5 GOETHE UND BOLZANO Wofgang Künne Goethe bewunderte Bolzanos Beyträge zu einer begründeteren Darstellung der Mathematik [1810) und gab sie an den Mathematiker Werneburg in Weimar weiter. In Teil I meines Aufsatzes versuche ich, die folgenden Fragen auf der Basis aller verfügbaren Daten zu beantworten: Von welcher Art war der Kontakt zwischen Bolzano und Goethe im Jahre 1810? Wer war Werneburg, und was bedeutete er für Goethe? Konnte Bolzano von der Förderung durch Goethe profitieren? Die Rahmenfrage von Teil II lautet: Welche Einstellung hatte Bolzano zu Goethes Dichtung, und war diese Einstellung konstant? Einige seiner Schüler waren Goethe-Enthusiasten - allen voran M. J. Fesl. Zwei von ihnen nahmen sogar Kontakt zu dem Dichter auf und äußerten sich dabei über ihren Lehrer: der Gymnasialprofessor Ditt-rich und der Komponist Schoepke. Ich dokumentiere diese Kontakte, interpretiere en detail einen musikästhetisch bedeutsamen Brief Goethes an Schoepke und analysiere die Kritik, die Bolzano in seiner späten Abhandlung Über den Begriff des Schönen an Goethes [einzigem] Versuch geübt hat, diesen Begriff zu erklären. Im Schluss-Teil weise ich auf die Präsenz Goethes auf den allerersten Seiten von drei Büchern Bolzanos hin. 1. Vor zweihundert Jahren erschienen in Prag Bernard Bolzanos Beyträge zu einer begründeteren Darstellung der Mathematik. Der Verfasser betont, »daß selbst die ersten Grundmauern dieses im Uibrigen so prachtvollen Gebäudes [der Mathematik] noch nicht ganz fest und regelmäßig [sind], daß sich selbst in den ersten Elementarlehren aller mathematischen Disziplinen noch manche Lücken und Unvollkommenheiten finden«,1 und er versucht, etwas zur Befestigung und Begradigung der Grundmauern zu tun. Mit dem Echo der Beyträge in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit konnte Bolzano nicht zufrieden sein. Er hatte sie auf dem Titelblatt ausdrücklich als eine Erste Lieferung bezeichnet. »Allein gleich die erste dieser Lieferungen - so klagte er 1817 - hatte bey aller Wichtigkeit ihres Inhaltes das Unglück, in einigen gelehrten Zeitschriften gar nicht, in andern nur sehr oberflächlich angezeigt und beurtheilt zu werden.2 Dieß nöthigte mich, die Fortsetzung dieser Beyträge auf eine spätere Zeit zu verschieben.«3 In verschiedenen Teilen seiner Wissenschaftslehre (1837) und seiner unvollendeten Größenlehre, an der er spätestens seit 1830 gearbeitet hat,4 kehrt er mit verfeinertem Instrumentarium zur Thematik seines Büchleins von 1810 zurück. Die Beyträge sind der erste Meilenstein in der Geschichte der Philosophie der Mathematik seit Pascals De l'esprit geometrique (ca. 1655). Bis das einem Philosophen aufging, sollten noch 75 Jahre vergehen.5 Aber schon im Jahr ihres Erscheinens fanden das Opusculum 1 B(2), IV. (Die in meinen Anm. verwendeten Siglen werden unten in der Bibliographie erklärt.] Bolzano-Zitate im Text sind kursiv gedruckt und nicht eingerückt. 2 Die Bibliographie der BGA registriert in E 2/1 Suppl.l, 63 nur Eine anderthalbseitige Rezension in den Heidelbergischen Jahrbüchern der Literatur 3 (1810), wiederabgedruckt in Behboud. Über den Inhalt der Beyträge erfährt der Leser nur, wie Bolzano den Begriff der Mathematik erklärt. Mit dieser Erklärung ist der Rezensent zu Recht unzufrieden (und Bolzano selber wird es auch bald sein). Der Rest der Mini-Rezension besteht dann in der wenig überzeugenden Begründung für diese Unzufriedenheit: Bolzano habe wegen seines ungenügenden Kant-Verständnisses »die intuitive Natur der mathematischen Erkenntniß verkennen« müssen. Wie man BGA, E:2/2, 127 entnehmen kann, erschien eine weitere Rezension [ich ergänze die Angabe] in den Wiener Annalen der Literatur und Kunst in dem Oesterreichischen Kaiserthume, Jahrgang 1811, 2. Band, S. 147 (ff [?]). (Ich habe den Text noch nicht einsehen können.) 3 B(6), 27. Der Fragment gebliebene Entwurf einer »Zweiten Lieferung« wurde erst 1975 in BGA IIA 5 unter dem Titel »Allgemeine Mathesis« publiziert. * B[an Prih.], 08.05.1830, 92-93. 5 Der Wiederentdecker war (vier Jahrzehnte vor Husserl) Brentanos Schüler Benno Kerry, in den ersten drei Folgen seiner Aufsatzreihe »lieber Anschauung und und sein Verfasser in einem Kurgast in Karlsbad (Karlovy Vary) einen illustren Fürsprecher. Johann Wolfgang Goethe weilte zwischen 1785 und 1823 siebzehn Mal jeweils für mehrere Wochen in Böhmen. Er liebte Land und Leute. Eckermann berichtet:6 »Das Böhmen ist ein eigenes Land,« sagte Goethe, »ich bin dort immer gerne gewesen. Die Bildung der Literatoren hat noch etwas Reines, welches im nördlichen Deutschland schon anfängt selten zu werden, indem hier jeder Lump schreibt, bei dem an ein sittliches Fundament und eine höhere Absicht nicht zu denken ist.« Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Karlsbad besuchte Goethe auf der Heimreise seinen ältesten Freund, den Schriftsteller, Lukrez-Übersetzer und Offizier Karl Ludwig von Knebel in Jena. Am 3. Oktober 1810 berichtet Knebel darüber in einem Brief an seine Schwester:7 Ich schrieb kaum gestern diese letzte Zeile, als Goethe mit lautem Geräusch meine Treppe heraufkam und zu mir herein trat. Er kommt mit frischem Geist und Muth und hat mancherlei Neues gesehen. [Er erzählte] von der jetzt in Böhmen aufblühenden Kultur... [A]lle Wissenschaften und feinern Künste fingen an daselbst empor zu kommen; und sie hätten einige ganz vorzügliche Menschen hiezu, worunter er unter andern einen jungen Mann Bolzano nannte, psychische Verarbeitung«, in: Viertel]ahrsschr. f. Wissenschaft!. Philosophie (1885), 456, (1886), 423,435, (1887), 106. e 06.04.1829. In: GfM)!^ 307. * Düntzer 494 f.; auch in: G(2)2, 576-577. In Urzidil 294 heißt es: »Goethe berichtet über ihn [sc. Bolzano] an Knebel (2. Oktober).« Unter Berufung auf Urzidil spricht Jan Berg in BGA 3:5/1, 9 von einem »Brief« (sc. Goethes an Knebel), doch es gibt weder in G(4), der Ausgabe des Briefwechsels zwischen Goethe und Knebel, noch in irgendeiner Goethe-Ausgabe einen Brief mit diesem Datum oder diesem Inhalt, -Goethe scheint Bolzano nie in einem Brief erwähnt zu haben. Urzidils Datum ist richtig, aber die Präposition »an« ist irreführend: Goethe hat Knebel am 02.10.1810 mündlich von Bolzano berichtet. dessen Bekanntschaft er in Karlsbad gemacht, und der eben jetzt ein kleines Werkchen von sehr vorzüglichem Werthe und Geist herausgegeben habe. In einem Punkt hat Knebel seinen stürmischen Besucher missverstanden: Bolzano war nie in Karlsbad.8 Vielleicht wurde Goethe das Werkchen übergeben, als er am 13.07.1810 die Grafen Johann Rudolf und Wolfgang Czernin in Karlsbad traf, oder am 04. und 05.08.1810, als er Gast der Gattin des ersteren im Schloß Schönhof (Krasny Dvur) war. Eine Woche vorher hatte dort der Abbé Josef Dobrovský aus Prag als Gast geweilt, der Begründer der slawischen Philologie und der tschechischen Literaturwissenschaft, wohl der berühmteste Gelehrte Böhmens in seiner Zeit9 Zehn Jahre später, in der heikelsten Phase in Bolzanos Leben, ergriff er energisch und wirkungsvoll Partei für ihn.10 Ich vermute, dass Dobrovský die Beyträge und ihren Verfasser gegenüber seinen aristokratischen Gastgebern gepriesen hat. Wie auch immer Goethe an das Opusculum und an Informationen über 8 In Goethes minutiösen Tagebüchern und in seinem Briefwechsel ist niemals von einer solchen Begegnung die Rede, und dasselbe gilt von dem bislang veröffentlichten Teil von Bolzanos Briefwechsel. Bolzanos Lieblingsschüler Robert Zimmermann berichtet 1849 in seiner »Reminiscenz« von der Einstellung seines Lehrers zu Goethe (s.u., § 2) und von seinem Brief an einen Mathematiker in Weimar (den ich gleich zitieren werde], aber er sagt kein Wort über eine persönliche Begegnung Bolzanos mit Goethe, und genausowenig tut das der von der Kgl. Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften mit der Abfassung einer Bolzano-Biographie beauftragte Gregor Zeithammer (vgl. BGA 4:2). Der Prager Germanist August Sauer übernimmt 1904 den leicht erklärlichen Irrtum Knebels [G(5), LXV], und er reicht ihn an seinen Studenten Johannes Urzidil (294, 338] weiter. (Im Vorwort zu Urzidils Goethe in Böhmen heißt es: »Die Geschichte dieses Buches beginnt im germanistischen Seminar August Sauers an der Prager deutschen Universität im Jahre 1914.«) Auch in Huber (2), 478 und in G(Chron]5, 434 wird Knebels Fehlinformation übernommen. 9 G(F)33, 577; G(l)4.1, 169 u. 4./2, 1049-1050. Vgl. Urzidil 70-71, 294, 309 und die Korrekturen in Pietsch 236-240. Persönlich lernte Goethe Dobrovský wohl erst am 21.07.1823 in Marienbad kennen: G(Chron)7, 276. Er bewunderte ihn bald ebenso sehr, wie es Wilhelm von Humboldt tat; vgl. Urzidil 235-236, 309-312. Zu Dobrovský Künne (1), 22-23, 25; (*), Kap. II. 10 Vgl. Künne (*), Kap. VIII, § 3. seinen Verfasser gekommen sein mag: jedenfalls übergab er es alsbald einem Weimarer Mathematiker. (Das werden wir bald aus Bolzanos eigenem Munde erfahren.] Wer Goethes Mathematiker-Schelte im Ohr hat,11 wird sich vielleicht darüber wundern, dass der Dichter den »sehr vorzüglichen Werth und Geist des Werkchens« erkannte oder zumindest zu erkennen glaubte. Aber Goethe hatte schon früh ein Konzept von der mathematischen Methode, dem Leibniz, Bolzano und Frege unisono applaudieren würden:12 Die Bedächtlichkeit nur das Nächste ans Nächste zu reihen, oder vielmehr das Nächste aus dem Nächsten zu folgern, haben wir von den Mathematikern zu lernen[;] selbst da wo wir uns an keine Rechnung wagen, müssen wir immer so zu Werke gehen, als wenn wir dem strengsten Geometerp] Rechenschaft zu geben schuldig wären. Denn eigentlich ist es die mathematische Methode welche wegen ihrer Bedächtlichkeit und Reinheit gleich jeden Sprung in der As-sertion offenbart. Jemand, der das geschrieben hat, musste von dem Kapitel Ueber die mathematische Methode in den Beyträgen angetan sein; denn hier schloss sich »der junge Mann Bolzano« ja der - durch Kant nur scheinbar obsolet gewordenen - Leibniz'schen Überzeugung an, daß 11 Die Schelte findet man z.B. im Brief an Zelter vom 17.05.1829: »Daß aber ein Mathematiker, aus dem Hexengewirre seiner Formeln heraus, zur Anschauung der Natur käme und Sinn und Verstand, unabhängig wie ein gesunder Mensch brauchte, werd ich wohl nicht erleben« [G(M)20.2, 149). Zu beachten ist, dass Goethes Invektiven gegen »die« Mathematiker meist (genau wie die gerade zitierte) im Kontext seiner Klage über die Ablehnung seiner Farbenlehre durch viele zeitgenössische Physiker stehen. 12 April 1792: G(M)4.2, 330; eine leicht abweichende spätere Version in G(M)12, 691-692. Der von Goethe ursprünglich nicht betitelte Text erhielt bei der Erstveröffentlichung 1823 die Überschrift »Der Versuch als Mittler von Objekt und Subjekt«. 13 Species pro genere: Mathematiker. Auch Pascals Fragment De l'esprit geometrique handelt vom Geist der Mathematik: »ce dernier mot [sc. >geometrie<] appartenant au genre et ä l'espece« (in: P., CEuvres completes, Paris 1963, 583). sich das Wesentliche [dieser Methode] auf jeden wissenschaftlichen Gegenstand anwenden lasse, und zog daraus die Konsequenz, dass eine Abhandlung über die mathematische Methode im Grunde nichts ander[e]s, als - Logik ist.14 Und jemand, der nie die leiseste Sympathie für Kants Philosophie der Mathematik bekundet hat, wusste vielleicht auch die im Anhang der Beyträge vorgetragene Kritik an dieser Theorie durch einen Philosophen, der zugleich ein kreativer Mathematiker war, zu schätzen. 1813 schrieb Goethe in einem Brief aus Böhmen an seinen Sohn:15 Ueberhaupt sind diese Böhmen, wenn ihnen einmal das Licht aufgeht, ganz vortreffliche Menschen, und um so braver, als das Licht, was sich über Deutschland verbreitet hat, zu ihnen gedrungen ist, ohne die fratzenhaften Gauckel-bilder mitzubringen, die aus unseren philosophischen Laternen so schattenhaft überall herumschwanken. Vielleicht hat er bei dieser Bemerkung auch an den Verfasser des »Werkchens von sehr vorzüglichem Werthe und Geist« gedacht, für den er sich drei Jahre zuvor eingesetzt hatte. Jedenfalls spricht aus Goethes Worten dieselbe Aversion, die wir in Bolzanos scharfer Kritik am Helldunkel der philosophischen Prosa des Deutschen Idealismus finden.16 Hier ist eine der bissigsten Bemerkungen Bolzanos über Hegel:17 Sokrates soll von des Herakleitos Schrift gesagt haben: »Was ich davon verstehe, ist vortrefflich, und so vermuthe ich, es möge auch das vortrefflich sein, was ich nicht verstehe.« Von Hegel muß ich bekennen: was ich davon verstehe, ist unrichtig; und so vermuthe ich etc. " B(2), 38-134, hier 38 f. 15 Brief vom 27.06.-03.07.1813, in: G(3), 120. 16 WL IV, 589. [Ich zitiere Bolzanos Wissenschaftslehre nach der Band-Nummer der .Erstausgabe und deren Seitenzahl.) 17 2A-.12/2, 128; vgl. Diog. Laert. II, 22. Auf den letzten Seiten der Wissenschaftslehre heißt es:18 Schriftsteller sowohl als Leser finden in Deutschland gegenwärtig an einer Schreibart, welche jeden Gedanken in eine aus dunklen Worten gewobene Wolke so einhüllt, daß er zur Hälfte nur durchblickt, ein so ausschließliches Wohlgefallen, daß Bücher aus dem Gebiete der Philosophie, deren Verfasser einem so verdorbenen Geschmacke nicht huldigen wollen, fast in Gefahr stehen, ungelesen zu bleiben. Was klar und verständlich ist, wird eben darum gering geachtet... In Räthseln muß sprechen, wer Aufmerksamkeit zu erregen wünscht... Deutsche! wann werdet ihr von einer Verwirrung, welche euch euern Nachbarn nur ungenießbar und lächerlich macht, endlich zurückkehren? Dass Goethe der Sache nach Bolzanos Unbehagen über die neueste Art des Philosophirens in Deutschland teilte,19 bezeugt auch Eckermann:20 Goethe zeigte mir ein Büchelchen von Hinrichs über das Wesen der antiken Tragödie.[21]... »Ich habe es mit großem Interesse gelesen,« sagte er... »Wenn ich aber ehrlich sagen soll, so tut es mir leid, daß ein ohne Zweifel kräftig geborener Mensch von der norddeutschen Seeküste, wie Hinrichs, durch die Hegeische Philosophie so zugerichtet worden, daß ein unbefangenes natürliches Anschauen und Denken bei ihm ausgetrieben und eine künstliche und schwerfällige 18 WL IV, 589-590. 19 So der Titel eines polemischen Exkurses in Bolzanos religionsphilosophischen Vorlesungen: RW I, 165-168. (Ich zitiere Bolzanos Lehrbuch der Religionswissenschaft nach der Band-Nummer der Erstausgabe und deren Seitenzahl) 20 21.& 28.03.1827: G(M)19, 539-541. 21 Der im Oldenburgischen geborene Hegel-Schüler Hermann F. W. Hinrichs war Philosophie-Professor in Halle, als er dort 1827 Das Wesen der Tragödie in ästhetischen Vorlesungen, durchgeführt an den beiden Oedipus des Sophokles im allgemeinen und an der Antigone insbesondere (120 S.) veröffentlichte. Art und Weise sowohl des Denkens wie des Ausdrucks ihm nach und nach angebildet worden, so daß wir in seinem Buch auf Stellen geraten, wo unser Verstand durchaus stille steht und man nicht mehr weiß, was man lieset... Es gibt... in seinem Buche nicht wenige Stellen, bei denen der Gedanke nicht rückt und fortschreitet und wobei sich die dunkele Sprache immer auf demselbigen Fleck und immer in demselbigen Kreise bewegt, völlig so, wie das Einmaleins der Hexe in meinem Faust. Geben Sie mir doch einmal das Buch! Von seiner sechsten Vorlesung über den Chor habe ich so viel wie gar nichts verstanden. Was sagen Sie z.B. zu diesem, welches nahe am Ende steht: >Diese Wirklichkeit [nämlich des Volkslebens) ist als die wahre Bedeutung derselben deshalb auch allein nur ihre wahrhafte Wirklichkeit, die zugleich als sich selber die Wahrheit und Gewißheit, darum die allgemein geistige Gewißheit ausmacht, welche Gewißheit zugleich die versöhnende Gewißheit des Chors ist, so daß allein in dieser Gewißheit, die sich als das Resultat der gesamten Bewegung der tragischen Handlung erwiesen, der Chor erst wahrhaft dem allgemeinen Volksbewußtsein gemäß sich verhält, und als solcher nicht bloß das Volk mehr vorstellt, sondern selbst an und für sich dasselbe seiner Gewißheit nach ist.< Ich dächte wir hätten genug! - Was sollen erst die Engländer und Franzosen von der Sprache unserer Philosophen denken, wenn wir Deutschen sie selber nicht verstehen,« Wenige Monate später soll Goethe in einem Gespräch mit dem Weimarer Kanzler Friedrich von Müller gesagt haben: »Von der He-gel'schen Philosophie mag ich gar nichts wissen, wiewohl Hegel selbst mir ziemlich zusagt.«22 Bolzano erfuhr von »Hegel selbst« durch ein Buch des Hegelianers Karl Rosenkranz, das 13 Jahre nach 22 16.07.1827, nach C. A. H. Burkhardt [Hg.], Goethes Unterhaltungen mit dem Kanzler Friedrich von Müller, Stuttgart 1870,113 f. Hegels Tod erschien, und nach der Lektüre teilte er auch in diesem Punkt die Einstellung des Dichters, der den Philosophen persönlich gekannt hatte: Hegels Biographie von Rosenkranz hat auch mir sehr gefallen, und wirklich habe ich den Philosophen, dem ich als solchem unmöglich gut werden kann, als Menschen lieben und achten gelernt.23 Doch kehren wir zurück zu Goethes Einsatz für Bolzano im Jahre 1810. Wie erging es dem Opusculum in Weimar? Der Mathematiker Werneburg, dem Goethe die Beyträge in die Hand drückte, war damals Lehrer am Pageninstitut in Weimar. Johann Friedrich Christian Werneburg [1777-1851),24 in Leipzig 1799 promoviert, hatte sich in Göttingen 1803 habilitiert. Als Goethe ihm die Beyträge in die Hand drückte, kannte er ihn schon seit mehreren Jahren.25 Im letzten Quartal des Jahres 1808 hatte er ihn nicht weniger als zehnmal zu Tische geladen, - meist (so notiert Goethe in seinem Tagebuch) unterhielt man sich über Mathematik und Musik.26 Goethe berichtet davon in einem Brief an Knebel:27 Eine mir sehr angenehme und lehrreiche Unterhaltung gibt mir Dr. Werneburg. Er bringt das allerfremdeste, was in mein Haus kommen kann, die Mathematik, an meinen Tisch; wobei wir jedoch schon eine Konvention geschlossen 23 B[an Fesl], 01.08.1844, 341; Rosenkranz, G. W, F. Hegels Leben, Berlin 1844. 24 Vgl. ADB, »Werneburg«. 25 Freilich nicht schon so lange, wie die Hg. von G(F)25, Wolf von Engelhardt und Manfred Wenzel behaupten, die mit der Mitteilung aufwarten, Goethe habe der Frau von Stein im Mai 1786 berichtet, er nehme Algebra-Unterricht bei Joh. Fr. Chr. Werneburg (909). Das wäre nun wirklich bemerkenswert; denn der war damals erst zwölf Jahre alt. Aber in Wahrheit war der kurzfristige Algebra-Lehrer Goethes dreizehn Jahre älter als sein Schüler: es war der Jenenser Mathematik-Professor Ernst Basilius Wiedeburg (1733-1789): G(M)13.2, 773. Goethe kannte Werneburg spätestens seit 1803: im Dez. erwähnt er ihn erst in einem Brief, dann schreibt er ihm, und Anfang Sept. 1806 steht zum ersten Mal in Goethes Tagebuch: »Zu Mittag Werneburg« [G(Chron)4, 425, 432, 742). Am 16.09.1806 schreibt Werneburg ihm, er hoffe, Goethes »unveränderliche Zuneigung« erworben zu haben (G(Reg)). 26 G(Chron)S, 245-6, 250, 253, 260 ff, 271, 276. Zu Goethes eigener Beschäftigung mit der »Tonlehre« vgl. G(M)9, 924-926 u. 1405-1409. 27 25.11.1808: G(4)l, 340. haben, daß nur im alleräußersten Falle von Zahlen die Rede sein darf. Wenn es mir nachgegangen wäre, so hättet ihr ihn schon lange in Jena und er würde in dem Kreise, den du belebst, redlich und erfreulich mitwirken. Aber so ist er leider dort noch nicht angestellt und muß, wider meinen Willen, zu meiner größten Zufriedenheit, mein Nachbar seyn. Werneburg interessierte sich auch sehr für Musiktheorie und musikalische Notation: er propagierte eine Notenschrift, in der die Töne der chromatischen Skala durch zwölf Ziffern bezeichnet werden. Am 12.12.1812 schreibt Goethe an seinen Berliner Freund, den Musiker und Komponisten Carl Friedrich Zelter:28 Mit der fahrenden Post erhältst Du ein wunderliches Werk [Allgemeine neue, viel einfachere Musikschule für jeden Dilettanten und Musiker. Mit einer Vorrede von J. J. Rousseau,29 Gotha 1812,115 Seiten], das Dir gewiß zu einiger Unterhaltung dienen wird. Es ist von einem merkwürdigen aber freilich etwas seltsamen Manne und enthält eine neue Symbolik der Musikschrift. Statt der bisherigen Linien, Intervalle, Notenköpfchen und Schwänzchen setzt er Zahlzeichen und behauptet, daß man auf dieser Weise viel leichter wegkomme. Ich kann darüber nicht urtheilen: denn erstlich bin ich die alte Notenschrift von Jugend auf gewohnt und zweitens kann niemand zahlenscheuer sein als ich... Der Verfasser, der sich Dr. Werneburg nennt, ist gewiß ein geborner mathematischer Kopf, der aber die eigne Art hat, daß er die Dinge, indem er sie sich erleichtert, andern schwer macht; deshalb hat er mit nichts durch dringen können und wird schwerlich jemals, sowohl in den bürgerlichen als den wis- 28 G(M)20.1, 304-305. 29 Schon Rousseau, der auch selber komponierte, hatte eine (allerdings ganz anders aufgebaute) numerische Notenschrift entwickelt, die er 1742 der Pariser Academie des sciences erfolglos präsentiert und 1743 als Dissertation sur la musique moderne veröffentlicht hatte. senschaftlichen Verhältnissen glücklich und zufrieden werden^30] Sage mir ein Wort über dieses Büchlein: denn Du wirst leicht übersehen, was ihm zu Gunsten und zu Ungunsten spricht31 In Nürnberg erschien 1817 eine Schrift Werneburgs »Zur richtigen Würdigung der Newton'schen und der von Göthe'schen Farbenlehre«. 1818 wurde er in Jena Privatdozent und dann a.o. Professor. Anscheinend hat Goethe also etwas getan, um ihn glücklich zu machen; denn als Beauftragter und dann als Staatsminister für Kultur und Erziehung und als Kurator der Universität Jena hatte Goethe keinen geringen Einfluss auf die Berufung von Dozenten und Professoren an diese Universität.Etwa neun Monate, nachdem Werneburg das böhmische Opusculum erhalten hatte,32 sandte er Bolzano mit einer Widmung seine Grundzüge von originellen alten und neuen Systemen und Theilen der Mathematik (Leipzig-Eisenach 1805], die er im Jahr 30 Werneburg war von Ende 1808 bis Mitte 1812 Lehrer am Weimarer Pageninstitut und von 1812 bis 1814 Gymnasiallehrer in Eisenach. In vielen seiner 30 Briefe an Goethe, die in G(Reg) registriert sind, bittet er diesen darum, ihn bei seinen Bemühungen um eine bessere Stelle zu unterstützen. Dass Goethe das getan hat, geht u.a. aus einem Schreiben seines Amtskollegen C. G. Voigt an den Jenenser Professor Eichstädt hervor: »HvGöthe wünscht es sehr [dass Werneburg eine Stelle an der Universität Jena bekommt]« (vor 26.01.1808, s. G(Reg). Goethe an Knebel (s.o.]: »Wenn es mir nachgegangen wäre, so hättet ihr ihn schon lange in Jena.« 31 Zelter antwortet nach Lektüre des Büchleins: »Wäre seine neue Musiklehre im Gebrauch und er wollte Die einführen welche wir haben, man würde ihn für toll halten. Doch die Welt ist, wie sie ist... [HJätte er Lust aus dem Werke ... einen pertinenten Auszug ... zu formieren den man diesem oder jenem in die Hände geben könnte um in Schulen davon Anwendung zu machen; ich meine die Sache könnte leichter gehn und auch ich würde die Hand bieten« [G(M)20.1, 321-322]. Sieben Jahre später, nach Erhalt eines Briefs von Werneburg, seufzt Zelter: »Die brave Seele dauert mich, er will uns den besten Spaß verderben und dazu sollen wir ihm selber helfen« (op. cit. 628]. 32 Vermutlich am 24.10.1810. Unter diesem Datum wird Werneburg nämlich zum ersten Mal seit Goethes Rückkehr aus Karlsbad wieder im Tagebuch erwähnt: »Mittags Werneburg zu Tische«, und das ist (abgesehen vom 21.12.1810: »Dr. Werneburg, der Abschied nahm«] die letzte ihn erwähnende Eintragung vor dem 15.09.1811, als Werneburg längst an Bolzano geschrieben hatte. Vgl. G(Chron)5, 455, 468, 535. ihres Erscheinens auch Goethe geschickt hatte.33 Die Widmung ist auf den 28.07.1811 datiert.34 Wie aus Bolzanos Antwort hervorgeht, konnte er dem (heute verschollenen] Begleitschreiben entnehmen, wer Werneburg auf die Beyträge hingewiesen hatte. Aus gesundheitlichen Gründen war Bolzano erst Monate später in der Lage, sich für die Post aus Weimar auf eine ihm angemessen erscheinende Weise zu bedanken. Am 17.01.1812 tat er es. Er entschuldigte sich für die Verspätung und fuhr dann fort: Uiberaus erfreulich war es mir zu hören, dass Sie meine Beyträge ... der Mühe eines wiederhohlten Studiums nicht unwerth finden. Noch erfreulicher aber würde es mir seyn, wenn Sie mir Ihr belehrendes Unheil über dieselben, und dieß recht ausführlich mittheilen wollten. Diese Gefälligkeit hoff ich mir dadurch zu verdienen, dass ich in Ansehung Ihres Werkes das zum voraus thue, was ich von ihnen in Rücksicht meiner bitte. Bolzano beginnt seine mehrseitige detaillierte Kritik mit einer grundsätzlichen philosophischen Bemerkung: Schon bei Gelegenheit dessen, was Sie in Ihrer Einleitung sagen, mögte ich anmerken, daß ich die eigenthümliche Meinung hege, der Wissenschaft oder dem Systeme sey es nicht bloß um die Gewißheit der Behauptungen, welche da aufgestellt werden, sondern vornehmlich um die Angabe ihres objectiven Zusammenhanges untereinander zu thun; es solle gezeigt werden, welche Wahrheiten ächte Grundwahrheiten (Axiomaftaj) welche gefolgerte Wahrheiten sind, und von den letztern, auf welchen objectiven Gründen sie beruhen.35 Den Unterschied zwischen bloßer Gewissmachung und Begründung hatte Bolzano bereits in den Beyträgen betont: Wem ist es wohl, seit dem er Elem. L. I. Prop. 5. gelesen hat, gewisser geworden, daß in einem gleichschenklichten Dreyecke die Winkel an der Grundlinie gleich sind? Nein, der nächste und unmittelbarste Zweck den alle echt philosophischen Köpfe bey ihren wissenschaftlichen Untersu- 33 G(Reg) s.v. Werneburg, 10.10.1805, 01.12.1805 34 BBF Bd. 2,402. 35 BJanWbg.], 161-162. 4% chungen hatten, war kein anderer, als nur die Aufsuchung der letzten Gründe ihrer Urtheile.36 In seinen drei Hauptwerken wird er auf diese Differenz zurückkommen.37 Bolzano beendete seinen Brief so: Ich schließe diese Bemerkungen mit der Bitte, mir die Freymüthigkeit, mit der ich rügte, was mir gefehlt [zu] sey[n] scheint, zum Guten zu halten... - Sollten Sie gelegenheitlich mit Goethe zusammenkommen, bitte dem 1. Dichter Deutschlands meine Verehrung zu vermelden, und meinen Dank, dass er mich Ihnen bekannt gemacht.38 Auf die so dringend erbetene kritische Stellungnahme Werneburgs zu seinem Opusculum hoffte Bolzano vergebens. 2. Wir haben gesehen, wie Goethe zu Bolzano stand. Aber wie stand Bolzano zu Goethe? War seine Einstellung zu ihm konstant? Und wie standen seine Schüler zu Goethe? Bislang habe ich nur berichtet, dass der junge Bolzano sich für Goethes Einsatz auf das Artigste bedankten Von allen Künsten scheint Bolzano die Literatur am meisten bedeutet zu haben. Eine Neigung zur literarischen Avantgarde kann man ihm freilich nicht nachsagen. 1849, ein Jahr nach Bolzanos Tod, erschien in der Prager Zeitung >Bohemia< eine »Reminiscenz« mit dem Thema »Bolzano's Verhältniß zur Poesie«.40 Ihr Verfasser war der junge Philosoph, in den Bolzano größere Hoffnung als in jeden 36 B(2), 39-42, 59-64, hier: 41. Dasselbe Beispiel schon in B(l), iii-iv. Vgl. B(6], 20. 37 RWI, 5-7; WL II, 323, 339-344, WLIV, 261; 2A:7, 80-88. 38ß[anWbg.], 169. 39 In seiner Einleitung nennt Jan Berg das einen »Kotau vor Goethe« (BGA 3:5/1, 9). Wenn das eine demütige Unterwerfung ist, wie würde er dann die Formulierungen nennen, die sich (um bei Absendern innerhalb der Donaumonarchie zu bleiben) in den Briefen Zaupers, Dittrichs und Schoepkes finden, aus denen wir bald zitieren werden? 40 In G(5) LXVI schreibt Sauer diesen Text fälschlicherweise K. V. Hansgirg zu, der in derselben Nummer der ebenfalls Erinnerungen an Bolzano publiziert hat anderen seiner Schüler gesetzt hatte, Robert Zimmermann (1824-1898) 41 Zimmermann berichtete über seinen Lehrer, dass er einige der damals im Schw[a]nge befindlichen Werke der romantischen Schule, die ihm zu Gesicht kamen, mit Unwillen bei Seite schob. Es ist nichts klar Gedachtes darin, war sein gewöhnlicher Ausspruch. Das nebelhafte Gefühls-schwärmen, die ausschweifende Ironie, die weitgetriebene Spielerei mit Wort und Reim, hinter welcher sich mehr unklare und entnervende Empfindung als fruchtreicher Gedanke verbarg, wohl auch das schlechte Ende, welches Mehre dieser Schule in römischer Glaubensverzückung nahmen, [42] widerte [n] ihn an, der sich frühzeitig gewöhnt hatte, alle seine Gedanken zur größtmöglichen Deutlichkeit zu erheben und sie um einen feststehenden Mittelpunkt zu koncentriren, als welchen er ihre sittliche Zuträglichkeit und hemmenden oder fördernden Einfluß auf die größtmögliche Summe des allgemeinen Wohles ansah. Was nicht auf das Letztere irgendwie Bezug nahm, und darauf hinwirken konnte, hielt er für nicht wichtig genug, um edle Kräfte und Mittel der Kunst daran zu verschwenden. Zu Recht weist Zimmermann darauf hin, dass Bolzano sein oberstes Sittengesetz auch bei der Bewertung von Kunstwerken in Anschlag bringt.43 Im Lehrbuch der Religionswissenschaft stellt er die fragwürdige These auf, nichts sey vollkommen schön, was nicht auch 41 Vgl. Künne (1), Kap. 9, § 3. 42 Zimmermann denkt hier wohl an Franz von Baader, Clemens Brentano (der die Visionen und Reden einer stigmatisierten Nonne unter dem Titel Bitteres Leiden unseres Herrn Jesu Christi nach den Betrachtungen der gottseligen Anna Katharina Emmerich aufgezeichnet hatte), Joseph Görres und Friedrich Schlegel. Zu Bolzanos tiefer Aversion gegen Baader und gegen »Friedrich Schlegel und Consorten« vgl. etwa B[an Fesl], 75, B[an Prih.], 207. « Zu Bolzanos Ethik vgl, Künne (1), Kap. 3 u. (*) Kap. V, §§ 3-6; Morscher. sittlich gut z'st,44 und in seinem Büchlein vom besten Staate heißt es ganz entsprechend, alle wahrhaft gelungenen Werke der Dichtkunst [seien] eben darum auch sittlich [gut].45 Eine Handlung ist - gemäß Bolzanos kantianisch temperiertem Konsequentialismus - genau dann sittlich gut, wenn sie in der gerechtfertigten (aber vielleicht falschen] Meinung, sie sei für das allgemeine Wohl zuträglich, um der Förderung des allgemeinen Wohls willen vollzogen wird 46 Ein Werk der Dichtkunst ist aber (normalerweise) keine Handlung. Es kann daher bestenfalls in einem abgeleiteten Sinn sittlich gut genannt werden, und zwar genau dann - so hätte der frühe Bolzano wohl gesagt -, wenn es von seinem Schöpfer dazu bestimmt ist, seine Leser zu sittlich guten Handlungen aufzurufen. In den Augen des frühen Bolzano ist ein Werk der Dichtkunst nur dann vollkommen schön, wenn es im gerade angegebenen Sinne sittlich gut ist.47 Zimmermann schildert sodann, wie sich die Anwendung von Bolzanos Utilitätsprinzips auf seine Einschätzung der Dioskuren in Weimar ausgewirkt hat: Von diesem Gesichtspunkte aus beurtheilte er auch den größten Theil seines Lebens hindurch Göthe... [Stets] blieb er seinem Hauptgrundsatz getreu, daß die Poesie nur Mittel zum Zweck seyn dürfe und ihre Bestimmung verfehle, 44 rw IV, 295; genauso in der Exhorte »Von den Vorteilen der Entwicklung des Sinnes für das Schöne und Erhabene« (26.07.1818), in B(47) 329. « BGA2A:14,110. 46 Ist diese Meinung ein unverschuldeter Irrtum, also ein Irrtum, der nicht selber aus sittlich zu missbilligendem Handeln resultierte, dann ist die Handlung - so sagt Bolzano - nur subjectiv gut. Ist diese Meinung hingegen wahr, so ist die sittlich gute Handlung auch objectivgut. Vgl. Künne (*), Kap. V, §§ 4-5. 47 In seiner Exhorte am 26.07.1818 unterscheidet Bolzano das Gesetz des Schönen das bloße Ruthe ertheilt vom Gesetz der Tugend, das gebietet (328). Das soll wohl heißen: wer Schönes produziert, vollzieht eine supererogatorische Tat, - eine Tat, die sittlich gut ist, ohne geboten zu sein: vgl. Künne (*), Kap. V, § 3. In der Exhorte »Über den Sinn für die Naturschönheiten« (20.05.1810) versucht er u.a. zu zeigen: Wenn wir die Schönheiten der Natur oft und mit Fleiß betrachten, so tun wir etwas Gutes (bga2A:17/2, 414). wenn sie Selbstzweck seyn wolle. Um dieses didaktischen Charakters willen vornehmlich hing er an Schiller ... mit so inniger Verehrung und führte ihn, da er die meisten der kleineren Gedichte, die Epigramme insbesondere, auswendig wußte, häufig im Munde. Nur über eine Dichtung Goethes scheint Bolzano sich je schriftlich geäußert zu haben, und diesen Roman indizierte er als jugendgefährdend: Wilhelm Meisters Lehrjahre, so schreibt er im Mai 1829, lese ich, weil es die gnädige Frau [sc. Anna Hoffmann48] so wünscht; ich bin erst in der Hälfte des zweyten Bändchens und kann also noch kein Unheil über die Tendenz des Ganzen fällen, das aber erlaube ich mir jetzt schon zu sagen, daß es ein üppiges und für junge Leute gefährliches Buch sey, weil sie darin für alle Liederlichkeiten eine Beschönigung finden.*9 Und nach Abschluss der Lektüre lautet sein Fazit: Ein recht verderbliches Buch ists; und spricht sich selbst das Urtheil, wenn Wilhelm nahe gegen das Ende [VIII.5.] dem Jarno geradezu sagt, daß er durch Alles, was man mit ihm vorgenommen, nicht klüger, sondern nur noch verwirrter geworden sey, und nun gar nicht wisse, was er solle und wozu er da sey.50 In den Hexametern, die Bolzano für das Stuttgarter Schiller-Album schrieb,51 aber nie absandte (und die Zimmermann in seinem Nachlass fand), spricht er Schiller, obwohl Goethe ihn an Kraft überragt, die Krone zu: Dir nur, Dir, o edler, bescheidener Schiller, gebührt sie, 48 Künne (*), Kap. IX, § 2. «B[an Prih.], 88. s°B[an Prih.], 735. 51 Der Verein 'für das dem unsterblichen Schiller zu errichtende Denkmal' in Stuttgart hatte durch Anzeigen in der Augsburger 'Allgemeinen Zeitung' Beiträge für Schiller's Album erbeten, das dann 1837 bei Cotta erschien. Zu den Vfn. der ca. 300 kurzen Beiträge gehörten Dichter wie Chamisso, Freiligrath, Grabbe, Lenau, Raimund, Schwab, Tieck und Unland, Professoren wie W. T. Krug und der ehemalige Professor V. Weintridt, der in Wien Bolzanos Schicksal geteilt hatte: Künne (*) Kap. VIII. Ob Du auch selbst Dein Haupt vor Jenem gebeugt, sie gebührt Dir! Du allein schufst Werke der Kunst aus begeistertem Herzen, Die, wie Du selber geahnt, unsterblich leben und ewig, Weil sie die Kunst nicht allein, weil sie die Tugend Dir eingab... Bessern wolltest Du stets und zu wackerem Wirken entflammen!...52 In Bolzanos Privatbibliothek standen alle zwölf Bände der Sämmtlichen Werke Schillers (Stuttgart-Tübingen: Cotta 1835-36), und man kann schon an den Lesespuren erkennen, wie genau er bspw. die Rede >Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachten und den Don Carlos gelesen hat.53 Die Bevorzugung Schillers vor Goethe war in Österreich damals gang und gäbe. Goethe »erwarb sich von allen deutschen Klassikern ... am spätesten in Österreich das Bürgerrecht,« erinnert sich der aus Prag stammende Kunsthistoriker Anton Springer 1892. » Während sich Schiller in Österreich der größten Popularität erfreute, bestand gegen Goethe ein tief gewurzeltes Vorurteil, welches erst in den letzten Jahrzehnten vollkommen verschwunden ist. Er galt für gefährlich, Glauben und Sitte lockernd«.54 Und doch gab es schon zu Beginn des Jahrhunderts ausgerechnet unter den böhmischen Ordensgeistlichen leidenschaftliche Bewunderer Goethes. Der Zisterzienser Anton Dittrich (1786-1849), der 1805/06 bei Bolzano studiert hatte, unterzeichnete 1813 seinen ersten Brief an Goethe als »Professor der beiden Humanitäts-Klassen am k. Gymna- 52 Nietzsche wird diese Einschätzung umdrehen, wenn er Schiller als »Moral-Trompeter von Säckingen« verspottet (Götzen-Dämmerung, Aph. 1). 53 BBF Bd. 2,339. 54 Springer 103, 28-29. sium zu Kommothau«.55 Im Juli 1813 berichtete Dittrich einem Kollegen von einem Gespräch mit Goethe in Teplitz (Teplice):56 Gestern war einer der merkwürdigsten Tage meines Lebens. Ich hatte das Glück, den verehrtesten Dichter Deutschlands zu sehen, und mich mit ihm mehr als eine halbe Stunde über Kunst zu unterhalten... [Unser Gespräch] führte uns auf den Unterschied zwischen seiner und der Schillerschen Poesie. Ich sagte ihm, der Aufschwung seiner Phantasie lasse uns nie ohne Basis, ohne Piedestál, darum würde man auch von seiner Poesie ... länger gehalten als von der Schillerschen, deren reiner Idealismus uns zwar höher reiße, aber nach verflogener Trunkenheit uns kaum etwas mehr als die Erinnerung des seelischen Aufschwungs läßt... Er entgegnete: »Ich habe mit Schillern selbst oft darüber gesprochen... Seine Begeisterung riß ihn unwill-kührlich zum reinen Idealismus empor. Indeß hat er uns bewiesen, daß er auch reelle Gegenstände zu behandeln verstehe: in seiner Glocke, im Wallenstein. Dabei glaube ich, 55 »Die österreichischen Gymnasien zerfielen damals in zwei Kurse, einen vierjährigen Grammatikal- und einen zweijährigen Humanitätskursus. Fachlehrer gab es nicht. Unter einem Klassenlehrer machte man den niedern Kursus durch und bekam erst bei dem Eintritt in die sogenannte Humanitätsklasse einen andern Lehrer« (Springer 16], Alle Professoren des Gymnasiums in Komotau (Chomutov) [zwischen Leitmeritz und Karlsbad] waren damals Mitglieder des [nordöstl. d. Stadt, am Fuße des Erzgebirges gelegenen] Zisterzienser-Stifts Ossegg (Ossek): vgl. Huber (2), 470. Die Abteien im Habsburgerrreich waren von der Regierung beauftragt worden, für Gymnasien Lehrkräfte bereitzustellen und Ordensmitglieder für eine Universitätslaufbahn auszubilden. Zum Folgenden vgl. G(5), LXVIII-LXX, 290-295, 392-395 (sowie Urzidil 111, 300-301; Huber (2], 483-484]. 56 G(5), 392-393. (Urzidil bringt in einem Satz: »Über die erste Begegnung ... besteht eine Tagebuchaufzeichnung Dittrichs, der ein Anhänger und Freund Bolzanos war und dessen Goethe-Bewunderung teilte« [300] drei Fehler unter.) Goethe, der sich seit dem 26.04.1813 in Teplitz (ganz in der Nähe des Stifts Ossegg] aufhielt, notiert in seinem Tagebuch am 01.07, d. ]. zum ersten Mal ein Treffen mit Dittrich (G(l)5.1, 69; GfChronJSj 722], und er zählt ihn rückblickend zu den »bedeutenden Personen«, die er im Laufe dieses Jahres kennengelernt habe [G(M)14, 235). er habe mehr Gutes gestiftet als ich, da er stärkere Rührung hervorbrachte, folglich den Leser zu stärkerem Streben entflammte.« Ich glaubte ... widersprechen zu müssen ... Ein Unentschiedenheit kündendes Achselzucken allein beantwortete meinen Widerspruch... Wie man sieht, hatte Bolzanos Schüler eine andere Vorstellung von der Rangordnung in Weimar. Als Goethe ihm seine Rede >Zu brüderlichem Andenken Wielands< zugesandt hatte,57 bedankte Dittrich sich überschwänglich. Er betonte dabei, er verdanke der Lektüre dieses Nekrologs die Befreiung von einem Vorurteil gegen Wieland (und wohl auch gegen Goethe), das er in seinen Studententagen erworben habe:58 Durch meinen würdigen Prager Universitäts-Lehrer im Religions-Fache, den als soliden Denker und gründlichen Gelehrten gewiß zu wenig gekannten, von seinen hyper-or-thodoxen Umgebungen oft verkannten Hrn. Professor Bolzano [ward ich] als Jüngling vor dem lockenden Geiste solcher Schriftsteller gewarnt, welche eine erhöhte Sinnlichkeit in das Gewand des Schönen hüllen, und so meist auf Kosten der Moralität die Vernunft bestechen, wobey nicht undeutlich auf Wieland hingedeutet ward; und bald darauf durch die Lektüre eines Peregrinus Proteus, eines neuen Amadis,[59] und mehrerer kleinen Erzählungen in dieser Meynung bestärkt, war ich lange gewöhnt, (hören Sie das reuige Bekenntniß eines durch Sie Gebesserten) Wielands Muse für leichtfertig, die Lektüre seiner Schriften für gefährlich zu halten. 57 Gehalten in der Trauerloge am 18.02.1813: G(M)9, 945-965. 58 05.10.1813: G(5), 291-292. 59 Christoph Martin Wieland: Der Neue Amadis. Ein comisches Gedicht in Achtzehn Gesängen (Leipzig 1771) [einer von 14 Wieland-Bänden in Bolzanos Privatbibliothek (BBF Bd 2, 404-5)]; Geheime Geschichte des Philosophen Peregrinus Proteus (Leipzig 1791). Hier wird Bolzano m.W. zum ersten Mal in einem Brief an Goethe erwähnt. Dittrich traf Goethe erneut Ende August 1818, diesmal in Karlsbad,60 und einen Monat später war er Goethes Gast in Weimar.61 Überwältigt davon, wie ihn der »Herr Geheimrath und Staatsminister« empfing, notierte er in seinem Tagebuch: »Beym zweyten Trunk Rheinwein trank [Goethe] auf die Dauer unserer Freundschaft, stellte mich als seinen Freund aus Böhmen den Seinigen vor.«62 Im September 1819 traf Dittrich ihn zum letzten Mal, wieder in Karlsbad.63 Goethe übersandte ihm zwei Monate später, wie er in seinem Tagebuch festhält, ein Paket »mit einem Band: meine sämmtlichen kleinen Gedichte, deßgleichen die Festgedichte«.64 1 8 2 0 übernahm Dittrich die Vertretung der noch nicht wieder besetzten Universitätsstelle Bolzanos.65 1824 wurde er »k. k. Humanitätsprofessor am altstädter akademischen] Gymnasium«.66 Der Schriftstel- 60 G(Chron) 6, 585. Vgl. John 302-303. 61 G(Chron) 6, 591, 592 [Eintragungen zum 28.09.1818 & 03.10.1818.) 62 John 306. 63 G(M)14j 277: »... im Gespräch mit Professor Dit[tjrich... alte Freude, altes Leid wieder hervorgerufen« (1819). Vgl. G(Chron)6t 676, 678 (18./25.09.1819). 64 G(Chron)6, 689 (10.11.1819). In einem seiner letzten Briefe (15.03.1832, an Joh. Seb. Grüner in Eger) hatte Goethe Anlass, Dittrich »großen Dank... ab [zu] statten«: dieser hatte ihm nämlich (über Gründer) »das Werkchen des Med. Dr. Hermann Lövy, Israeliten in Prag«, eine Dissertation mit dem Titel 'Über Polarität' [Prag 1831, 63 S.] zusenden lassen, und diese Schrift verschaffte Goethe die Genugtuung, sein Werk über die Farbenlehre »mitten in einem catholischen Lande anerkannt und an die rechte Stelle gesetzt« zu sehen, während »die protestantischen Universitäten und Academien, welche sich so großer Liberalität und Preßfreiheit rühmen, mein Werk in Verruf gethan« {G(F)38, 540, vgl. 914; G(6) 132, 136-137, vgl. 423). Seine Freude über die Prager Dissertation tut Goethe auch in einem Brief an Zelter kund: G(M)20.2J 1616-1617. Er hat vom 02. bis zum 07.02.1832 mehrere Gespräche über sie geführt: G(Chron)8, 584, 586. 65 Künne (*), Kap. VIII, § 2. Der Registerband der Weimarer Ausgabe (1916) registriert ihn als »Cistercienser, Gymnasialprofessor in Komotau (1786-1849)«; in G(F)17, 985 erhält man nur die Fehlinformation: »Professor in Komotau 1820«. 66 So wird er im Schematismus des Kgr. Böhmen für das Jahr 1827 und dem für 1836 angeführt. 1845 übernahm er von Josef Jungmann die Leitung des Gymnasiums- ler Alfred Meißner [ein Enkel des Ästhetik-Professors, bei dem Bolzano studiert hatte67] war ab Ende 1835 Schüler an diesem Gymnasium,68 und er berichtet:69 [Hier] waltete ein vernünftiges und human[e]s System. Und noch besser wurde es in den zwei letzten Gymnasialjahren, damals Humanitätsclassen genannt. Professor Dittrich, der uns durch diese beiden Jahrgänge führte, war ein wackerer Mann. Er war Prämonstratenser [Zisterzienser!], aber aufgeklärt, den Meinungen seines Lehrers Bolzano zugethan. Er hatte, ich weiß nicht mehr wo, Goethe kennen gelernt und sprach mit Verehrung von diesem. (Wir wissen, wo und wann das geschah.] In seinen späteren Jahren war Dittrich außerordentliches Mitglied der Königlich Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften.70 — Der (nominell protestantische] Besucher aus Weimar hatte ersichtlich Freude an seinen Kontakten mit böhmischen Geistlichen wie Zauper und Dittrich. Er zeigte während seiner zahlreichen Besuche auch immer wieder ein lebhaftes Interesse an den Formen des katholischen Kultus in Böhmen,71 und er hielt seine Beobachtungen in seinem Tagebuch fest.72 Bei manchen dieser Beobachtungen muss Goethe geschmunzelt haben:73 67 Künne (1), Kap. 1; (*), II u. III, § 2 mit Anhang. 68 Später besuchten dieses Gymnasium Franz Kafka, Hugo Bergmann, Felix Weltsch und EmilUtitz (Brod40]. 69 Meißner 1:47. 70 Vgl. Abhandlungen der Königlich Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, Prag 1851, 3. 71 Dazu Huber (2], 463-478. 72 Nicht nur im Tagebuch: »Zelebrität Auf großen und auf kleinen Brucken / Stehn vielgestaltete Nepomucken / Von Erz, von Holz, gemalt, von Stein, / Kolossisch hoch, und puppisch klein. / Jeder hat seine Andacht davor, / Weil Nepomuk auf der Brucken das Leben verlor. [...]« (1815). »St. Nepomucks Vorabend. Carlsbad, d. 15 Mai 1820. Lichtlein schwimmen auf dem Strome, / Kinder singen auf der Brücken, / Frohnleichnam [Karlsbad,16.06.1808]. Erst durch die Straßen um das Aufbauen der Altäre zu sehen; dann in die Kirche, wo unter dem Hochamte die Arie aus der Entführung aus dem Serail gesungen wurde: Ich baue ganz auf Deine Stärke... Dann in das Amtmännische Haus, wo wir die Procession ansahen. Mozart wusste, wie sehr die Böhmen seine Musik liebten. Aber er hat es sich wohl nicht träumen lassen, dass Belmontes Arie von der Überwindung der Angst durch die Liebe zu einer schönen Frau jemals in einem Gottesdienst erklingen würde.74 Über die böhmischen Erscheinungsformen des Katholizismus äußerte sich Goethe nicht nur stets taktvoll, sondern manchmal sogar mit offenkundiger Sympathie. Das entging auch dem Marienbader Polizeikommissar nicht, der dem Grafen Sedlnitzki in Wien über das Treiben der ausländischen Kurgäste Bericht zu erstatten hatte. 1822 meldete er dem Polizei-Minister Metternichs, dass Goethe gegenwärtig »für die katholische Religion ... recht viel Zuneigung blicken lässt«, und fügte hinzu; »insbesondere lobt er die Erbaulichkeit des katholischen Ritus gegen den protestantischen.«75 Der Lauscher hat sich nicht verhört. »Der protestantische Gottesdienst hat zu wenig Fülle und Konsequenz,« schreibt Goethe im Siebenten Buch von 'Dichtung und Wahrheit': »der Protestant hat zu wenig Sakramente... Die Sakramente sind das Höchste der Religion, das sinnliche Symbol einer außerordentlichen göttlichen Gnade und Gunst.«76 - Glocke, Glöckchen fügt vom Dome / Sich der Andacht, dem Entzücken. [...]«. In: G(M)9, 83; G(M)13.1, 23, 627. 73 G(Chron]5, 204-205. 74 G(Chron)5, 204-205. Goethe hat Belmontes Arie gewiss sofort erkannt,-schließlich stand die 'Entführung' in dem Vierteljahrhundert, in dem er Intendant des Weimarer Hoftheaters war, 49mal auf dem Spielplan (G(M)6.1, 914). 75 Zit. nach Huber (2), 472. 76 G(M)16, 312. Im 13. Buch berichtet Goethe vom Frankfurter Brentano-Zirkel, wo er 1774 dem Dekan des Leonhardstifts begegnete: Dieser »faßte Vertrauen ja Freundschaft zu mir. Er war der erste katholische Geistliche, mit dem ich in nähere Doch kehren wir zurück zu Bolzanos Einschätzung der Dioskuren in Weimar. Zimmermann berichtet in seiner »Reminiscenz«, Bolzanos Einstellung gegenüber den Werken Schillers und Goethes habe sich gegen Ende seines Lebens in einer Hinsicht verschoben: [Auch wenn Bolzano] vom sittlichen Standpunkte aus den ringenden Schiller ... höher stellte als den in klassischer Ruhe sein[er] selbst bewußten ... Göthe,[77] so verlor er in den letzt[e]n Jahren seines Lebens, als er sich angelegentlich mit der Untersuchung und Feststellung ästhetischer Begriffe beschäftigtebei erneuerter und aufmerksamerer Lektüre weder die künstlerischen Mängel Schiller's noch die ästhetischen Vorzüge Göthe's aus dem Auge. Einem Freunde gegenüber, der jene Zurücksetzung Göthe's in seinem Urtheil oft erfahren hatte und einmal mit Begeisterung die Iphigenie auf Tauris< mit den Worten pries: sie sey wohl das größte Meisterwerk der deutschen Literatur, that er die diesen überraschende Aeußerung: Wohl aller Literaturen!« Der Freund war, so vermute ich, Michael loseph Fesl (1788-1864), einer der ältesten Schüler Bolzanos und mehr als alle anderen um die Verbreitung seiner Ideen bemüht.78 Am 7. Juli 1850 sagte Fesl in einem Brief an den vielleicht besten Goethe-Kenner in Böhmen, Jo- Berührung trat, und der, weil er ein sehr hellsehender Mann war, mir über den Glauben, die Gebräuche, die äußern und innern Verhältnisse der ältesten Kirche schöne und hinreichende Aufschlüsse gab« [G(M)16, 619-620). 77 Darin sieht auch Thomas Manns Schiller (in der Novelle Schwere Stunde] seine Differenz zu Goethe. 78 Die im folgenden präsentierten Belege für diese Hypothese scheinen mir gewichtiger zu sein als die Tatsachen, dass Prihonsky seinem Lehrer Goethes Werke zusandte (vgl. B[an Prih.] 90,157) und dass Bolzano seine Wilhelm Meister-Schelte in einem Brief an Prihonsky vortrug. (Ganz unwahrscheinlich ist, dass der junge Zimmermann sich hier selber als Bolzanos »Freund« tituliert, wie Huber (2) 478 unterstellt. Übrigens, wenn Sauer in G(5) LXXXV >Martin Fesl< sagt, meint er immer Michael Joseph F.) seph Stanislaus Zauper, mit dem er 1805 bis 1809 das Erzbischöfli-che Priesterseminar in Prag besucht hatte: »Bolzano und Goethe [waren] unsere zwei Idole, von denen wir ... grossgezogen wurden.«79 Fesls Bewunderung für Goethe hat auch seine Tätigkeit als Präses des Priesterseminars in Leitmeritz (Litoměřice), der nordböhmischen Bischofsstadt am Ufer der Elbe, mitbestimmt. 1819 leitete der Wiener Nuntius eine Denunziation Bolzanos und Fesls nach Rom weiter, daraufhin richtete Papst Pius VII. an den Arbeitgeber Fesls, den Bischof von Leitmeritz, ein Breve.80 In beiden Schreiben wurde fast gleichlautend u.a. darüber Klage geführt, dass die Theologiestudenten in Leitmeritz vom Präses des Seminars angehalten werden, »carmina amatoha a Göthe, Schiller, Wieland, Herder auctoribus protestandcis conscripta,,.. legere, recitare et pathetice declamare [Liebesgedichte, die von protestantischen Autoren wie Goethe (usw.) verfasst wurden, zu lesen, auswendig zu lernen und pathetisch vorzutragen]«.81 In seiner Antwort auf das päpstliche Breve schrieb der Rektor des Seminars, der wackere Bischof von Leitmeritz unter anderem: »Gedichte, welche unschuldige Ohren beleidigen könnten, [werden] durch die fürsorgliche Bemühung sowohl des Seminar-Praeses als auch des Rectors allen ohne Ausnahme hintangehalten.«82 Wie erfolgreich sie dabei auch immer gewesen sein mögen, Gedichte wurden (vor den mehr oder weniger unschuldigen Ohren der Semi- 79 Zit. nach Huber (2) 42. Zauper (1784-1850) war Canonicus des Prämonstratenser-Stiftes Tepl und Professor der Poetik u. Rhetorik am Gymnasium in Pilsen. Er hatte 1804/05 bei Bolzano studiert. Den Dichter hatte er 1821 in Marienbad kennengelernt; er führte mit ihm bis 1832 eine rege Korrespondenz und veröffentlichte mehrere Schriften über ihn. Vgl. G(6) LXXIV-CI,141-263, 425-476; sowie: G(5) LXXXII-LXXXVII; Urzidil 250-257; Winter (1), 509; Huber [1], 41-46, (2) 484-490. Goethe notiert; »Zaupers Grundzüge einer deutschen theoretisch-praktischen Poetik [aus Goethes Werken entwickelt, Wien 1821, 134 Seiten] brachten mich mir selbst entgegen, und gaben mir, wie aus einem Spiegel, zu manchen Betrachtungen Anlaß« [G(M)14, 305; G(6), 428). Er erwog eine Zeitlang, Zauper zu seinem Eckermann zu machen: vgl. G(F)37, 711. so Künne (*), Kap. VIII, § 1 si B(18), 115,117; Winter (2), 214. 82 Zitiert nach G(6), 362. < naristen] nicht nur deklamiert. In den musikalischen Soireen des Leitmeritzer Seminars, die allwöchentlich zweimal stattfanden, brachte der Student Adalbert Schoepke seine Vertonungen von Goethe-Gedichten zu Gehör.83 Am 1. Januar 1818 schreibt er Goethe einen Brief, der mit der Anrede »Achtungswürdigster!« beginnt: »Es ist wohl kühnes Beginnen des Jünglings im fernen Lande, aus verborgenem rebumkränztem Thale an den erhabenen Meister auf lichten Höhen fragendes Wort zu senden.« (An dieser Formulierung muss Verfasser lange gedrechselt haben.) Als Student in Prag, so erzählt Schoepke dem erhabenen Meister, »widtmete ich die meiste Zeit der Tonkunst«. Von der dortigen Universität sagt er: »Bolzano ist ihr einziger Stern.« Hier wird Bolzano zum zweiten Mal - und, wenn ich recht sehe, zum letzten Mal - in einem Brief an Goethe erwähnt.84 Schoepke hatte 1810/11 bei Bolzano studiert. (Fesl ließ seine Studenten in Leitmeritz Abschriften der Autographen von Bolzanos Erbauungsreden anfertigen: zwei von Schoepke unterzeichnete Abschriften sind erhalten.85] Der Student preist in seinem Brief die Atmosphäre im Leitmeritzer Seminar, das er »unser Bildungshaus« nennt, und »unsers Hauses Präses«, also Fesl, und er lässt Goethe wissen:86 Am meisten arbeite ich gegenwärtig in Ihren Poesien (welche hier, wie Ihre sämmtl. Werke [26 Bde bis itz[t]87] freu- 83 1793-1844. Zum Folgenden vgl. G(5) XXXV, 89-95, 360-364 (sowie Urzidil 301-302; Huber (2], 461-463). 84 Die Regestausgabe »sämtlicher« Briefe an Goethe registriert diesen Brief nicht -und daher fehlt diese zweite Erwähnung Bolzanos in ihrem Register: G(Reg). Schon in der Weimarer Goethe-Ausgabe kam Schoepke nicht mehr vor, wie ein Blick in den Registerband (1916) lehrt. es Exhorte (01.01.1808), Abschrift vom 09.06.1815, in BGA 2A:15, 123-130); Exhorte (17.05.1818), Abschrift vom 07.06.1818, in B(43), 302-311. 86 G(5) 93-94. 87 Bei Cotta waren 1806-10 eine 13bändige und 1815-19 eine 20bändige Gesamtausgabe erschienen. Handelt es sich um einen österreichischen Raubdruck? dig und nutzhaft gelesen werden -]; man hört nichts lieber als betontef88] Stücke aus Ihren Werken... Weil man nu[r] Lieder von Ihnen allein hören will, so fand ich mich aufgefordert, mit größerem Fleiße den Sinn derselben zu studiren, um ihn zu erfassen, und in der Melodie auszudrücken; in wie weit es mir gelungen seye, wünschte ich vom Verfasser selbst zu erfahren, welches mich zur Fortsetzung bestimmen soll. Darum [le]ge ich einige, wegen Gedrängtheit, mit bloßer Gu/tarr-Begleitung bey, in der Erwartung einer Antwort. Als wäre das nicht schon genug der Erwartung, bittet der Student den Dichter auch noch um Beantwortung einiger musikästhetischer Fragen: Welches sind die Gränzen der Nachahmung in der Tonkunst? Welchen Berührungspunkt haben Natur und Kunst in derselben? Wie läßt sich das Schöne in der Musick defi-niren? Schoepke schließt seinen Brief mit den Worten: »Möchten Sie doch... das hiesige Rebumkränzte böhmische Paradieses Thal - und in demselben Uns und unsern Sie hoch achtenden gastfreundlichen Bischof besuchen.« 88 Auch Goethe verwendete >betonen< nicht im Sinne von >akzentuieren<, sondern im Sinne von >vertonen<, als er in ein Exemplar seiner Iphigenie aufTauris, das er einer großen Sängerin zusandte, als Widmung schrieb: »An Madame Milder. Dies unschuldvolle, fromme Spiel / Das edlen Beifall sich errungen / Erreichte doch noch höheres Ziel / Betont von Gluck, von dir gesungen. Weimar d. 12. Juni 1826« [G(13.1], 184). Im Irrealis bedauert Goethe in der Schlusszeile, dass Christoph Willibald Gluck nicht seine 'Iphigenie' vertont und dass Anna Pauline Milder nicht auch seine Iphigenie gesungen hat. In einem Brief an Zelter berichtet er von dem Eindruck, den die Sängerin 1823 in Marienbad auf ihn gemacht hat [G(20.1), 746). Goethe wandte sich nach Erhalt dieses Briefes umgehend an seinen Berliner Freund mit der Frage, »ob Du guten Humor[89] genug hast beikommende Noten anzusehen und mir ein Wort darüber zu sagen« [20.01.1818]. Zelter antwortete; »Die Liedchen gefallen mir in der Tat« (29.01.], er erklärte warum und fügte hinzu: »Die Noten schicke ich nicht mit, weil ich sie dem Fürsten Radziwil[l] mitzuteilen gedächte, der in diesen Tagen ankommen soll.« (Der hochmusikalische polnische Fürst Anton Radziwill vertrat von 1815 bis 1830 den preußischen König als Statthalter im Großherzogtum Posen, - die Wintermonate pflegte er in seinem Palais in Berlin zu wohnen.90] Als Goethe Zelters Antwort erhalten hatte, kündigte er an: »Dem böhmischen Freunde will ich also freundlich antworten« (16.02.),91 und er tat es noch am selben Tag. Er ermunterte ihn, weiter zu komponieren. Bekam der komponierende Fürst in Berlin Schoepkes Lieder je zu Gesicht, und wenn ja, wie fand er sie? Wir wissen es nicht.92 Heute sind sie verschollen. Ein paar Monate nach der Abfassung seines Briefs nach Weimar wurde der Leitmeritzer Goethe-Enthusiast zum Priester geweiht.93 Von weiteren kompositorischen Aktivitäten ist nichts bekannt. 89 DWb, >Humor<: im Sinne von >Stimmung<, >Laune<, »namentlich bei Goethe, wenn er das Wort in festen Formeln [wie >übler [guter] Humor<] braucht«. 90 ADB, 'Radziwill, A.'. Die Compositionen zu Göthe's Faust vom Fürsten Anton Radziwill, an denen er seit 1808 gearbeitet hatte, erschienen nach seinem Tod 1835 in Berlin. 91 G(M)20.1, 524,525,528. 92 Der Plural in Goethes Mitteilung an Schoepke, seine Kompositionen hätten auch »in Berlin, wohin ich sie an Freunde und Kenner gesendet, gute Aufnahme gefunden,« beweist hier nichts; denn zur Zeit der Abfassung dieses Briefs konnte Goethe nicht wissen, ob Zelter seine Ankündigung inzwischen wahr gemacht hatte. 93 Sauer hat im bischöflichen Consistorialarchiv in Leitmeritz die Auskunft erhalten, dass Schoepke nacheinander in Teplitz, Prag, Tuschmitz, Kaaden (Kadan an der Eger) und Radonitz tätig war und 1844 in Kaaden verstarb: vgl. G(5), 360. Ich weiß nicht, worauf sich die Behauptung in G(M)20.2, 1829 stützt, er sei »später Geistlicher und Musiker« gewesen. In seiner Antwort auf Schoepkes Brief nahm sich Goethe sogar die Zeit, auf eine der ästhetischen Fragen des Studenten einzugehen:94 [1] Die Fragen die Sie mir vorlegen, lassen sich vielleicht gar nicht beantworten, [2] ob schon im Gespräch Andeutungen zu geben wären, die dem praktischen Künstler Vortheil brächten. [3] Auf Ihre Frage zum Beispiel was der Musiker mahlen dürfe? wage ich mit einem Paradox zu antworten: Nichts und Alles. [4] Nichts! wie er es durch die äußeren Sinne empfängt darf er nachahmen; [5] aber alles darf er darstellen was er bey diesen äußern Sinnesempfindungen empfindet. [6] Den Donner in Musik nachzuahmen ist keine Kunst, [7] aber der Musiker, der das Gefühl in mir erregt als wenn ich donnern hörte, würde sehr schätzbar seyn. [8] So haben wir im Gegensatz für vollkommene Ruhe, für Schweigen, ja für Negation entschiedenen Ausdruck in der Musik, wovon mir vollkommene Beispiele zur Hand sind. [9] Ich wiederhole: das Innere in Stimmung zu setzen: ohne die gemeinen äußern Mittel zu brauchen ist der Musik großes und edles Vorrecht. Es lohnt sich, Goethes »Andeutungen« [2] Satz für Satz zu interpretieren (was m.W. in der Goethe-Forschung bislang noch nicht geschehen ist]. Das Wort »Musiker« bedeutet in den Sätzen [3] und [7] soviel wie Komponist, - dieser Sprachgebrauch war damals nicht unüblich.95 Anscheinend war Goethe auf Wörter wie 'Komponist' in diesem Zusammenhang allemal nicht gut zu sprechen (was ihn nicht daran gehindert hat, sie oft zu gebrauchen}:96 ['Komposition' ist] ein ganz niederträchiges Wort,... das wir sobald wie möglich wieder loszuwerden suchen sollten. 94 G(5), 94-95. Meine [ ]-Lesezeichen. 95 So in dem Text von Engel, den ich gleich zitieren werde. 96 Gespräch mit Eckermann am 20.06.1831: G(M)19, 684. Wie kann man sagen, Mozart habe seinen Don Juan kompo-niertl - Komposition*. - Als ob es ein Stück Kuchen oder Bis-kuit wäre, das man aus Eiern, Mehl und Zucker zusammenrührt! In Schoepkes Frage war vom Nachahmen die Rede. Goethe verwendet in unserer Brief-Passage die Verben »malen« [3], »nachahmen« [4,6] und »darstellen« [5] als austauschbar, und das scheint auch von dem Verb »ausdrücken« zu gelten, dessen Nominalisierung er in [8] gebraucht. Die lautmalerische Form der Darstellung, die Goethe in Satz [6] als musikalisch wertlos ablehnt, verwirft er andernorts so: »Töne durch Töne zu malen: zu donnern, zu schmettern, zu plätschern und zu patschen, ist detestabel.«97 In [5] spricht er vom Gemütszustand des Komponisten, in [7] und [9] von dem des Hörers. Man kann die in [7] angedeutete These wohl so ausbuchstabieren: Von manchem Nicht-Psychischem gilt, dass die Vortrefflichkeit seiner musikalischen Darstellung (unter anderem] darin besteht, dass sie einen (aufmerksamen und sensiblen) Hörer dazu zu bringen vermag, dass ihm so zumute ist, als ob er es wahrnähme. Ganz ähnlich hatte der Schriftsteller und Philosoph Johann Jacob Engel schon 1780 in seinem Brief 'Über die musikalische Malerei. An den Königl. Capellmeister Herrn Reichardt' gefordert:98 Daß der Musiker immer lieber ... den Zustand [malen soll], worin die Seele... durch Betrachtung einer gewissen Sache und Begebenheit versetzt wird, als diese Sache und Begebenheit selbst. Denn man soll mit jeder Kunst dasjenige am liebsten ausführen wollen, was man damit am besten, am vollkommensten ausführen kann. Besser also immer, daß 97 G(M)20.1, 599 (meine Hervorhebung]. 98 Engel 1780, 319-320. (Auch hier sind die Musiker Komponisten.) Über den seinerzeit prominenten J.J. Engel (1741-1802) informiert der ihm gewidmete Artikel in Killys Literaturlexikon, Bd. 3, 248-251, München 1989. man in einer Gewittersymphonie,["] dergleichen in verschiedenen Opern vorkömmt, mehr die innern Bewegungen der Seele bei einem Gewitter, als das Gewitter selbst male, welches diese Bewegungen veranlasst. Das Verdikt, das Goethe in [4] über das Darstellen von Tönen durch Töne verhängt, ist in seinen Augen kein absolutes Verbot. In Zelters Gedicht-Vertonungen werde, so lobt Goethe seinen Freund, nur »das Minimum [an imitatorischer Klangmalerei] ... als Tüpfchen aufs i ... weislich benutzt«.100 Wenn Beethoven 1808 über die erste Violinstimme seiner 'Pastoral-Sinfonie' schreibt: »Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei«, so behauptet er wohlweislich nicht, dass es in seiner Symphonie überhaupt keine imitatorische Klangmalerei gibt, - sonst würde er sich (um beim Thema Gewitter zu bleiben] durch einige Takte im vierten Satz selber widerlegen. Anders als Goethe scheint Beethoven nur das Darstellen von Nicht-Psychischem als Malen bezeichnen zu wollen, und. auch J. J. Engel hatte eine solche Einschränkung erwogen:101 Nun heißt man Malen in der Musik: das Objective darstellen; hingegen das Subjective darstellen, heißt man nicht mehr Malen, sondern Ausdrücken. Im Grunde ... fällt beides unter unsern ... Begriff von Malerei. Ausdruck könnte man erklären durch Malerei des Subjectiven, Malerei der ... itzt in der Seele herrschende^] Empfindung. Dabei versteht er unter Malen ein Darstellen mit Hilfe von Zeichen, die dem Dargestellten ähneln; was bei der Darstellung »itzt in der Seele herrschender Empfindungen« schwer plausibel zu machen sein dürfte. 99 Als Beispiel führt Engel die Gewittersymphonie in Johann Adam Hillers Singspiel >Die Jagd< an. i°° G(M)20.1, 599. loi Engel 1780, 327-328. 7)0 Welches mögen die »vollkommenen Beispiele« für die musikalische Darstellung von Stille und von Negation sein, von denen Goethe in [8] versichert dass sie ihm »zur Hand sind«? Im ersten Fall kann man nur spekulieren, und an anderem Ort werde ich die Hypothese begründen, dass Goethe hier an die Vertonung seines Gedichts Meeresstille durch Johann Friedrich Reichardt denkt, die zusammen mit dem Erstdruck des Gedichts in Schillers 'Musenalmanach für das Jahr 1796' erschienen war. Im zweiten Fall kann man das Exempel mit größerer Gewissheit identifizieren. Mit seiner Ballade Johanna Sehus hatte Goethe 1809 einem Bauernmädchen ein literarisches Denkmal gesetzt, das Anfang des Jahres bei dem Versuch ertrunken war, eine Mutter mit ihren Kindern aus dem eisigen Hochwasser des Rheins zu retten. Zelter hat dieses Gedicht für Solostimmen, Chor, Klavier und kleines Orchester vertont. In seinem Dankesbrief preist Goethe u.a. die Vertonung der folgenden Verse:102 Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf, 40 Dann nehmen die schmeichelnden Fluten sie auf. 41 Kein Damm, kein Feld! Nur hier und dort Bezeichnet ein Baum, ein Turn den Ort. Goethe an Zelter, 06.05.1810 (damals siezte er ihn noch]:103 Daß auf einem ganz natürlichen Wege in der Musik der Donner rollen und die Wellen brausen können, versteht sich von selbst. Wie glücklich Sie aber die Negation Kein Damm, kein Feld durch den abgerissenen unterbrochnen Vortrag ausgedrückt haben, ist überraschend. Zelter lässt Solisten und Chor zwischen den Versen 40 und 41 fünf Takte lang schweigen,104 und wenn Chor und Orchester dann im pianissimo die Verse 41 und 42 zu Gehör bringen, wird die Tonfolge i°2 G(M)9, 28-30, V.39-42. »Turn« in V.42 ist ein mittelhochdeutsches Wort für Turm. ">3 G(M)20.1,228. 104 Vgl. G(M)20.3, 257 und den Auszug aus der Partitur in Moser 73. durch viele Pausen unterbrochen. Zehn Jahre später nennt Goethe in einem Brief, den zu zitieren ich schon einmal Anlass hatte, Zelters Vertonungen von drei seiner Gedichte »Muster« für die »reinste und höchste Malerei in der Musik«, - die Ballade auf das mutige Mädchen ist eines von ihnen.105 Da liegt die Vermutung nahe, dass Zelters Umgang mit den beiden (elliptisch formulierten) negativen Existenz-Sätzen in dieser Ballade - mit Sätzen, die eine Abwesenheit, einen Mangel konstatieren - das ist, was Goethe 1818 im Sinn hat, wenn er in seinem Brief an Schoepke in Satz [8] von einem vollkommenen Beispiel für musikalischen »Ausdruck« der Negation spricht. Was wird hier musikalisch »ausgedrückt«? Hält man sich an Goethes Aussagen in [4] und [5], so ist es nicht das, was man sieht, wenn man sieht, dass Dämme und Felder unter dem Wasser verschwunden sind. Ausgedrückt wird vielmehr, wie einem zumute ist, wenn man so etwas sieht.— Die Frage des komponierenden Theologiestudenten nach der Definition des Musikalisch-Schönen lässt Goethe unbeantwortet. Hält er sie für eine, die »sich vielleicht gar nicht beantworten« [1] lässt? Diese Einstellung sollte man erwarten, wenn das folgende Zeugnis Eckermanns authentisch ist:106 Mittwoch, den 18. April 1827 Mit Goethe vor Tisch spazieren gefahren... »Ich muß über die Ästhetiker lachen«, sagte Goethe, »welche sich abquälen, dasjenige Unaussprechliche, wofür wir den Ausdruck schön gebrauchen, durch einige abstrakte Worte in einen Begriff zu bringen.« »In den letzten Jahren seines Lebens«, so lasen wir in Zimmermanns 'Reminiscenz', beschäftigte sich Bolzano »angelegentlich mit der Untersuchung und Feststellung ästhetischer Begriffe.« In den Beyträgen hatte er noch geglaubt, dass die Definition des Schönen los G(M)20.1, 599. 106 G(M)19, 554-555. wohl gar nicht schwer zu finden sey,107 in seiner Akademie-Abhandlung Über den Begriff des Schönen (1843) quälte er sich ab (wie Goethe gesagt hätte), das, »wofür wir den Ausdruck schön gebrauchen, durch einige abstrakte Worte in einen Begriff zu bringen«. Da »einige« suggeriert: wenige, sei darauf hingewiesen, dass Bolzano für das Definiens nicht weniger als siebzig Wörter benötigt.108 Seine Definition ist eine Einsetzungsinstanz des folgenden Schemas: Schön ist etwas genau dann, wenn es allen so-und-so beschaffenen Menschen aus den-und-den Gründen ein Wohlgefallen zu gewähren vermag.109 Für die ästhetische Beurteilung der Werke der Weimarer Dioskuren durch den späten Bolzano ist eine Konsequenz seiner Definition entscheidend, die er auch eigens hervorhebt: die sittliche Güte und Vortrefflichkeit der Aspirationen, zu denen uns die Rezeption eines Kunstwerks (im Sinn des Schöpfers) entflammen mag, ist nicht in die Wagschale, auf der wir den Grad [seiner] Schönheit abwiegen wollen, zu legen.110 Damit hat Bolzano die These fallen gelassen, die er früher vertreten hatte, und er hat jetzt keinen Grund mehr, Goethe zu widersprechen, der sagt:111 [M]oralische Zwecke vom Künstler zu fordern, heißt ihm sein Handwerk verderben. Die Musik aber, so wenig als irgend eine Kunst, vermag auf Moralität zu wirken, und immer ist es falsch, wenn man solche Leistungen von ihr verlangt. 107 B(2), 50. los BdS§ 14,127 (Seitenzahl in BGA 1:18). iß? BdS§ 11, 122-123; vgl. ebd. 127, 135. (Am Rande gebe ich hier zu Protokoll, dass mir Bolzanos Definiens besser auf >Unterm Birnbaum< zu passen scheint als auf >Über allen Gipfeln ist Ruh<.) ii° BdS § 17,133-134. Vgl. auch § 30,153; [B]ei der Beurtheilung der Schönheit eines Gegenstandes [ist] offenbar keine Rede [von] der Brauchbarkeit desselben zur Förderung des allgemeinen Wohles. m Erstes Zitat aus Dichtung und Wahrheit: G(M)16, 574; zweites Zitat aus Nachlese zu Aristoteles' Poetik: G(M)13.1, 342, Was Goethe (laut Eckermann) für lächerlich erklärt hat, dazu hat er sich einmal auch selber hinreißen lassen, und Bolzano bespricht diesen Definitionsversuch in seiner Akademie-Abhandlung. Er fand ihn in Goethes Anfang der 20er Jahre geschriebenen Erinnerungen an seinen Besuch im Münster'schen Salon der Fürstin Amalie von Gallitzin im Jahre 1792. In diesen Aufzeichnungen adaptiert der Dichter eine Definition des Begriffs des Schönen, die ein Mitglied jenes Kreises gegeben hatte, der niederländische Philosoph Frans Hems-terhuis: le beau dans tous les arts doit donner le plus grand nombre d'idees possible, dans le plus petit espace de temps possible,112 in Bolzanos Übersetzung: das Schöne ist das, »was uns die größte Ideenzahl in kleinster Zeit gewähret«.113 Bolzano verwirft diese Definition (aus Gründen, die uns hier nicht zu beschäftigen brauchen) und fährt fort: Inzwischen hat Göthe [...] dieser Erklärung die Ehre angethan, sie einigermassen geändert auch zu der seinigen zu machen.114 Und dann zitiert er die beiden ersten Absätze des folgenden Textes.115 (Ich reproduziere auch die beiden Zeichen, die Bolzano kopfschüttelnd eingefügt hat.) Hemsterhuis Philosophie, die Fundamente derselben, seinen Ideengang könnt' ich mir nicht anders zu eigen machen, als wenn ich sie in meine Sprache übersetzte. Das Schöne und das an demselben Erfreuliche sei, so sprach er sich aus, wenn wir die größte Menge von Vorstellungen in Einem Moment bequem erblicken und fassen; ich aber mußte sagen: das Schöne sei, wenn wir das gesetzmäßig Lebendige in seiner größten Tätigkeit und Vollkommenheit schauen, wodurch wir zur Reproduktion gereizt uns gleichfalls lebendig und in höchste Tätigkeit versetzt fühlen. 112 Hemsterhuis, Lettre sur la sculpture [...], Amsterdam 1769, S. 9. Goethe hat das Büchlein 1784 gelesen und am 11.01.1821 wiedergelesen [G(Chron)7, 17). us BdS§34,157; vgl. 179. Ii* BdS§ 34, 157. 115 Aus Campagne in Frankreich: G(M]14, 492-493. (Meine Kursivierung.) Genau betrachtet (?) ist eins und ebendasselbe gesagt, nur von verschiedenen Menschen ausgesprochen, und ich enthalte mich mehr zu sagen; denn (?) das Schöne ist nicht sowohl leistend als versprechend, dagegen das Häßliche aus einer Stockung entstehend selbst stocken macht und nichts hoffen, begehren und erwarten läßt. [...] Dabei hat man freilich den Unterschied zu bedenken ob der Gegenstand des für ihn empfundenen Enthusiasmus würdig sei; ist er es, so muß Freude und Bewunderung immer daran wachsen, sich stets erneuen; ist er es nicht ganz, so geht das Thermometer um einige Grade zurück und man gewinnt an Einsicht, was man an Vorurteil verlor. Versuchen wir zunächst, die mit den interpolierten Fragezeichen angedeutete Kritik auszubuchstabieren. Wenn Goethe meinen sollte, sein Definiens sei strenggenommen nichts anderes als eine Paraphrase des Hemsterhuis'schen, so ist Bolzanos erstes Fragezeichen nur zu berechtigt, aber kann Goethe das im Ernst meinen? Sehr unklar ist in der Tat auch, was genau die Aussage nach dem zweiten Fragezeichen begründen soll und ob sie es begründen kann. Weder kann sie die Weigerung, mehr zu sagen, plausibel begründen, noch auch die prima facie behauptete Gehaltgleichheit der beiden Defi-nientia. Vielleicht tut man am besten daran, den Begründungsanspruch zu ignorieren. Nach dem zweiten Fragezeichen sagt Goethe jedenfalls etwas über das Wesen des Schönen, dem Bolzano der Sache nach schon zu Beginn seiner Akademie-Abhandlung zugestimmt hat: Wenn etwas schön ist, dann vermag uns seine >Betrachtung< immer neue Freude zu gewähren.116 116 [Wjenn wir einen Gegenstand einmal als schön kennen gelernt haben, wenn wir durch seine Betrachtung bereits ein oder etlichemal vergnügt worden sind: was ist natürlicher, als dass er in uns ein Verlangen nach der Wiederholung dieses Vergnügens zurücklässt? Ein Verlangen, das - falls wir zu diesem Zwecke ... seiner sichtbaren Gegenwart bedürfen,- auch noch das fernere Verlangen, denselben in unserer Nähe zu haben, herbeiführen wird (BdS § 2, in BGA 1:18, 106). Dazu passt freilich nicht gut, was Bolzano dann in § 16, Nr. 3 [S. 132) sagt. Bolzano belässt es natürlich nicht bei der impliziten Kritik durch die interpolierten Fragezeichen, sondern er nimmt die von mir unterstrichene Definition kritisch unter die Lupe. So weit Gothel dankbar für so viel Schönes, das er zu Tage gefördert, wollen wir nicht an der Erklärung des Begriffes mäckeln: sonst müssten wir fragen [ - er mäkelt also doch - ], ob denn nur das Lebendige, und das gesetzmässig Lebendige, und dieses ausschliesslich nur in seiner grössten Thätigkeit und Vollkommenheit schön sei? ob nicht auch Todte, sogar Leichname schön sein könnten? ob nicht auch Gegenstände, die in der Ruhe sind, nicht die geringste von uns bemerkte Thätigkeit äussern, z.B. ein Schlafender, oder ein schlafend Dargestellter,[117] eine Säule, ein Obelisk, u. dgl. Schönheit besitzen können?118 Wie man sieht, lässt Bolzano den (änigmatischen) Relativsatz im Goethe'schen Definiens, der von der Freude des >Betrachters< handelt, auf sich beruhen.119 Eine Begriffserklärung muss eine Bedingung angeben, deren Erfüllung für die Anwendung des Begriffs nicht nur hinreichend, sondern auch notwendig ist. Es wäre nicht sonderlich überraschend, wenn Goethe hier >wenn< sagt und >immer dann und nur dann, wenn< meint. (Tarski hat einmal darauf hingewisen, dass sogar Mathematiker oft das Konditional verwenden, als wäre es ein Bikonditional.] Was Bolzano bestreitet, ist jedenfalls, dass etwas nur dann schön ist, wenn es ein gesetzmäßig Lebendiges in seiner größten Tätigkeit und Vollkommenheit ist. Wer den Hauch von ästhetischer Nekrophilie in seinem ersten Exempel irritierend findet, denke sich den Leichnam durch die Darstellung eines solchen ersetzt, etwa die in Michelangelos >Pietä<. Bolzanos Beispiele widerlegen Goethes 117 Man denke etwa an Vermeers >Schlafendes Mädchen<. na BdS§34,157. 119 Man kann ihn vielleicht etwas besser verstehen, wenn man ihn im Lichte der folgenden Passage aus dem Aufsatz >Über Wahrheit und Wahrscheinlichkeit der Kunstwerke< (1798) liest: »Der wahre Liebhaber ... fühlt, daß er sich zum Künstler erheben müsse, um das Werk zu genießen, er fühlt, daß er sich aus seinem zerstreuten Leben sammeln, mit dem Kunstwerk wohnen, es wiederholt anschauen, und sich selbst dadurch eine höhere Existenz geben müsse« [G(M)4.2, 95). Definitionsversuch, wenn der Dichter die Adjektive 'lebendig' und >tätig< hier wörtlich verstanden wissen will. Handelt es sich aber um Metaphern,120 dann würde Bolzano einwenden, dass übertragene Rede in einer Definition tunlichst vermieden werden sollte. Es dürfte ... wohl nicht zu strenge seyn, so heißt es in der Wissenschaftslehre, -wenn ich zum Wenigsten für jedes Nachdenken von einer solchen Art, wo eine genauere Bestimmung der Begriffe nothwendig ist, die Regel aufstelle, daß man sich eines jeden bloß metaphorischen Zeichengebrauches enthalten müsse.121 Schluss. Sinnreiche Sprüche. Ich beende meine Dokumentation mit einem Hinweis auf die Präsenz Goethes auf den allerersten Seiten von drei Büchern Bolzanos. Die Erklärung dieser Präsenz wird weiteres Wasser auf die Mühlen meiner Hypothese leiten, dass es Michael Joseph Fesl war, der vor Bolzanos Augen immer wieder die Fahne Goethes geschwenkt hat. Eine der philosophisch weniger elektrisierenden Instruktionen für Lehrbuch-Verfasser, die sich im letzten Band der Wissenschaftslehre finden, lautet so: Erübriget [auf dem Titelblatt des Buches] noch Raum...: so ist es gewiß ein glücklicher Gedanke, diesen oder die Kehrseite des Blattes zu einem sogenannten Motto, d.h. zur Anführung eines sinnreichen Spruches zu benützen, welcher den Geist, in dem wir gearbeitet haben, oder sonst eine andere bemerkenswerthe Eigenheit des Buches andeutet.122 Auf drei solche Sprüche möchte ich abschließend hinweisen. [1] Mitte April 1836 macht Fesl seinen Lehrer in einem Brief darauf aufmerksam, in der Augsburger 'Allgemeinen Zeitung' sei zu Anfang des Monats eine Äußerung Goethes abgedruckt worden, die mit einigen Ansichten in Bolzanos Buch Athanasia fast völlig über- 120 In diesem Sinne kann man manchmal von einer Person, die am Leben ist, zu Recht sagen, sie nicht mehr so lebendig wie früher ist, - schlimmstenfalls sogar: dass sie nie lebendig war. m WL III, 375. *22 WL IV, 586. einstimme.123 Und diese Stelle aus Goethes Trostbrief an Zelter, dem der letzte Sohn gestorben war, erscheint dann 1838 als ein Motto zur zweiten Auflage der Athanasia:124 Wirken wir fort bis wir, vor oder nacheinander, vom Weltgeist berufen in den Äther zurückkehren! Möge dann der ewig Lebendige uns neue Tätigkeiten, denen analog in welchen wir uns schon erprobt, nicht versagen! Fügt er sodann Erinnerung und Nachgefühl des Rechten und Guten was wir hier schon gewollt und geleistet, väterlich hinzu; so würden wir gewiß nur desto rascher in die Kämme des Weltgetriebes eingreifen.125 (2) Bolzanos Büchlein vom besten Staate ist zwar erst im 20. Jh. erschienen, aber mit Motti hatte Fesl das Manuskript längst versehen, das eine entnahm er dem Livius, das andere einem Sonett (»Aus Morgenduft gewebt und Sonnenklarheit«) seines zweiten Idols: Warum sucht' ich den Weg so sehnsuchtsvoll, Wenn ich ihn nicht den Brüdern zeigen soll?126 (3) Kurz vor dem lang ersehnten Erscheinen der Wissenschaftslehre diskutiert Bolzano immer noch mit Fesl über die Gestaltung der ersten Seiten. Das Motto aus Goethe auf der Kehrseite, schreibt er ihm am 23. Januar 1837, kann bleiben; schon weil es aus Goethe ist, wird es empfehlen.127 Der Titel des langen Gedichts, dem das Motto entnommen ist, enthält den Namen einer Kleinstadt am Rande des Thüringer Waldes, die im Leben Goethes und des jungen Weimarer Herzogs 123 B[an Fesl], 151. 124 B(9a). 125 Goethe an Zelter, 19.03.1827. G(M)20.1, 981-982. Goethe verwendet hier »Kämme« als pars pro toto für »Kammräder«, worunter man damals Zahnräder verstand: G(M)20.3, 804. 126 Goethe, Zueignung G(M)2.1, 93-96 (V. 71-72). Das Gedicht heißt nicht >Die Widmung<, wie in BGA 2A:14, 19 behauptet. 127 B[an Fesl], 185. eine wichtige Rolle spielte, und das Datum des Geburtstags des Herzogs. Ihm ruft der Dichter zu: So wandle du, der Lohn ist nicht gering, Nicht schwankend hin wie jener Sämann ging Daß bald ein Korn des Zufalls leichtes Spiel Hier auf den Weg, dort zwischen Dornen fiel Nein streue klug wie reich mit männlich steter Hand Den Segen aus auf ein geackert Land, Dann laß es ruhn die Ernte wird erscheinen Und dich beglücken und die Deinen.128 Zu Beginn dieser Strophe spielt Goethe auf das Gleichnis vom Sämann in den synoptischen Evangelien an, dessen Same der Logos ist.129 Die Ernte wird erscheinen: - als Motto von Bolzanos Hauptwerk gelesen, drücken diese Worte die Zuversicht aus, dass die logischphilosophische Arbeit des Autors nicht vergebens sein wird. Es sollte noch sehr lange dauern, bis ihre Ernte erschien. Bolzano und die Seinen haben es nicht mehr erlebt. 128 Goethe, Ilmenau am 3. September 1783 G(M)2.1, 82-87 (V. 186-194], Mk. 4,3-20; Mt. 13,3-23; Lk. 8, 5-15. 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