Indizes und Megatrends: Das glorreiche Dutzend Ein Portfolio vom Reißbrett Wenn es im ersten Kapitel irgendwo um Markttendenzen und übergeordnete Trends ging, kam die Sprache immer wieder auf einen Begriff – Index. Eigentlich nichts Besonderes, auch außerhalb der Börse begegnen uns Indizes ja mittlerweile an jeder Ecke. Das gesamte Wirtschaftsleben ist von vorne bis hinten „indexiert“: So veröffentlicht das Statistische Bundesamt allmonatlich seinen Lebenshaltungskosten-Index, der darüber Aufschluss gibt, ob der „Teuro“ nur „gefühlte“ oder tatsächliche Kaufkraftverluste bringt; der Geschäftsklima-Index des Münchener ifo-Instituts misst die (dank der Gefräßigkeit des Staates zumeist grottenschlechte) Stimmung im Unternehmerlager; und falls es dann doch einmal einen Aufschwung gibt, versucht die F.A.Z. diesen mit ihrem Konjunktur-Index schon frühzeitig aufzuspüren. Vor allem beim weiblichen Teil der Bevölkerung Anklang findet dagegen der Body-Mass-Index (BMI), der schonungslos offen legt, wie weit man noch von der Traumfigur entfernt ist (wofür aber zumeist schon der bloße Blick in den Spiegel genügen würde). Schon macht das Wort von der Index-Inflation die Runde und zumindest im Hinblick auf die Finanzmärkte trifft das durchaus zu. Rund 30.000 Aktien-, Renten-, Fonds- und Sonstwas-Indizes geistern durch die Welt und jeden Monat werden es mehr. Indexing scheint also ein ziemlich heißes Thema zu sein. In der breiten Masse hat sich das allerdings noch nicht herumgesprochen: Eine von der Commerzbank in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage brachte kürzlich ans Licht, dass gerade einmal 40 Prozent der Gesamtbevölkerung und nur 65 Prozent der Aktienbesitzer (!) wissen, was ein Aktienindex ist. Dabei ist Börse ohne Indizes wie Autofahren mit verdreckten Scheiben – es mag irgendwie gehen, aber man verliert schnell den Überblick. Dass Indizes die Märkte überhaupt erst nachvollziehbar machen, zeigt ein kleines Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, ein Bekannter fragt Sie, wie es denn so läuft an der Börse. „Ganz gut“, sagen sie vielleicht, „der DAX ist letzte Woche um drei Prozent gestiegen.“ Doch was wäre, wenn es den DAX und seine Index-Kollegen nicht gäbe? „Naja, BMW ist heute zwei Euro gefallen“, könnte eine mögliche Antwort sein. Leider weiß aber auch ihr Freund, dass der Kurszettel nicht nur mit dem bayrischen Automobilbauer bestückt ist. Nun müssten Sie wohl oder übel zum Kursteil ihrer Tageszeitung greifen, für jede Aktie die prozentuale Wertveränderung berechnen, daraus einen Mittelwert bilden und wenn Sie damit fertig sind, können Sie stolz vermelden, dass die Aktien irgendwann vor ein paar Tagen mal um durchschnittlich 0,5 Prozent zugelegt haben. Keine wirklich nutzbringende Aussage, vor allem wenn der Bekannte anmerkt, dass es ihm eigentlich um einen eher längerfristigen Kontext gegangen sei. An dieser Stelle würden Sie wahrscheinlich aufgeben – oder einen eigenen Index kreieren. Hier wird klar, was Indizes leisten: Sie fassen die Kursbewegungen vieler einzelner Aktien in einer einzigen Zahlenreihe zusammen, so dass die übergeordnete Tendenz ablesbar ist. Wenn Sie sich über die Entwicklung der 30 wichtigsten deutschen Aktien informieren wollen, reicht ein Blick auf den DAX. Geht es um die Geschehnisse an den europäischen Börsen, hilft der EURO STOXX 50. Und wer sich für das riesige Universum US-amerikanischer Nebenwerte interessiert, kommt nicht am Russel 3000-Index vorbei. Der ist, wie der Name schon andeutet, ein Monitor für satte 3.000 Titel, die man ohne Index unmöglich in ihrer Gesamtheit verfolgen könnte. Indizes erfüllen also eine für jeden Anleger essentielle Informationsfunktion, weshalb man den Unternehmen, die für die permanente Berechnung und Pflege der Marktbarometer verantwortlich zeichnen, eigentlich zu tiefem Dank verpflichtet sein müsste. Doch die Börsen, Medienhäuser und Banken, die sich entweder auf eigene Faust oder in gemeinsamen Joint-Ventures dem Indexing widmen, sind natürlich keine Institutionen der börslichen Wohlfahrtspflege. Von Wallfahrten etwa zur Deutschen Börse AG, der „Mutter des DAX“, können Sie also getrost Abstand nehmen. Denn Indizes haben noch eine zweite nahezu hoheitliche Aufgabe, die Sie im ersten Kapitel schon kennen gelernt haben, nämlich das „Benchmarking“. Wenn sich Fondsmanager oder Vermögensverwalter öffentlich mit einem Index vergleichen und damit irgendwie den Nachweis ihrer (in der Regel eher zweifelhaften) Existenzberechtigung erbringen möchten, klingelt bei den Index-Anbietern die Kasse – und das nicht zu knapp. Obendrein müssen auch Banken, die ihre Finanzprodukte wie etwa Zertifikate oder Optionsscheine an einen Index koppeln, dafür einen Obolus in Form einer Lizenzgebühr entrichten. Indizes sind also nicht nur Barometer, sondern auch Maßstab. Folglich müssen sie vor allem ein Kriterium erfüllen – absolute Objektivität, vergleichbar dem Zollstock in Ihrem Werkzeugkasten. Dessen metrische Skala wurde ja auch nur erfunden, um nicht länger auf mitunter ziemlich nachteilige Behelfsmittel wie die Elle angewiesen zu sein. Wer in grauer Vorzeit Stoff für ein Gewand kaufen wollte, ging natürlich bevorzugt zu einem Schneider von der Statur eines Basketballspielers. Dessen Elle war schließlich um einiges länger als die seines Kollegen, der zwar ebenfalls fünf Taler pro Elle verlangte, körperlich aber eher in der Kategorie Norbert Blüms angesiedelt war. Ohne derlei Standardisierungen gäbe es sowohl im täglichen Leben als auch im Finanzbereich noch mehr Mauscheleien. Die Erfindung des Zollstocks war nun allerdings um einiges einfacher als die Herleitung eines Index. Wie lang ein Meter ist, lässt sich einmal für alle Ewigkeiten festlegen. Das kann bei Indizes schon deshalb nicht funktionieren, weil die unterliegenden Märkte sich ja laufend verändern. Ein paar Unternehmen gehen pleite, andere verschwinden durch Fusionen oder Delistings und falls es irgendwann wieder Börsengänge gibt, wird der Kurszettel auch wieder länger. Die Konzeption eines Index verlangt also durchaus ein bisschen Gehirnschmalz. Folglich greifen wir zu Papier und Bleistift respektive zur Tabellenkalkulation und basteln uns einfach mal einen eigenen Index. Schon stehen wir vor der ersten Herausforderung: Wir müssen definieren, worauf der Index sich beziehen soll und welche Wertpapiere überhaupt für eine Mitgliedschaft infrage kommen. Der Einfachheit halber konzentrieren wir uns wieder einmal auf der Deutschen liebstes Kind und beschließen, eine Messlatte für die Wertentwicklung deutscher Automobilaktien zu entwickeln. Die Auswahl der Einzeltitel ist also ziemlich schnell erledigt; mit BMW, DaimlerChrysler, Porsche und Volkswagen umfasst unser Index ganze vier Aktien. Aber wie geht es nun weiter? Mit diesem Problem wäre anno 1896 auch die Wirtschaftsjournalisten Charles Henry Dow und Edward Davis Jones konfrontiert, die einen Index für die an der Wall Street gelisteten Eisenbahn-Unternehmen kreieren wollten – eine Branche, die damals ungefähr genauso sexy war wie anno 2000 der Neue Markt. Nach einigem Hin und Her entschieden sich die beiden Herren dafür, ihren Index einfach als Durchschnitt aus den aktuellen Kursen der einzelnen Aktien zu berechnen. So ganz schlecht kann diese Idee nicht sein, denn das von den nicht gerade uneitlen Protagonisten schlicht „Dow Jones Industrial Average“ getaufte Kursbarometer ist bis heute der weltweit am meisten beachtete Index geblieben. Aktie Kurs 2.1.2003 BMW 30,00 DaimlerChrysler 30,00 Porsche 500,00 Volkswagen 40,00 Index 600,00 Tabelle 6: Preisgewichteter Index (a) Mit dieser tollen Referenz im Rücken machen wir uns also frisch ans Werk. Als Startzeitpunkt wählen wir den Jahresanfang 2003, so dass wir nach Addition der Kurse vom 2. Januar einen Anfangswert von 600 Punkten erhalten. Für sich allein macht der Index-Stand allerdings wenig Sinn; Indizes leben vom Vergleich. Wir müssen also ein zweites Mal rechnen und raten dazu einfach, wo die Kurse wohl am 2. Januar 2004 stehen. Aktie Kurs 2.1.2004 Veränderung BMW 30,00 0,0% DaimlerChrysler 35,00 16,7% Porsche 450,00 -10,0% Volkswagen 65,00 62,5% Index 580,00 -3,3% Tabelle 7: Preisgewichteter Index (b) Auf Basis unserer Annahmen scheint das Jahr 2003 für die deutschen Auto-Aktien insgesamt ziemlich mau verlaufen zu sein. Der Index ist von 600 auf 580 Punkte gefallen, ein leichtes Minus von 3,3 Prozent. Ein Blick auf die Performance der einzelnen Titel nährt allerdings Zweifel an der Aussage des Index. Volkswagen hat rasant zugelegt, DaimlerChrysler immerhin ein bisschen gewonnen, BMW zumindest nicht verloren – nur bei Porsche steht ein negatives Vorzeichen. Das Bauchgefühl sagt, dass die Tendenz so schlecht eigentlich gar nicht sein kann. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man aus den Wertent-wicklungen der vier Aktien einfach einmal den Durchschnitt bildet. Dann nämlich stehen plötzlich 17,3 Prozent Gewinn zu Buche. Die Index-Granden Dow und Jones scheinen also schlechte Lehrmeister zu sein. Und in der Tat hat das simple Additions-System einen entscheidenden Haken: Es führt zu einer kolossalen Übergewichtung von Aktien mit einem optisch hohen Kurs. Der nur 10prozentige Verlust bei Porsche wird in der Rechnung mit 50 Euro erfasst und frisst somit die Gewinne bei DaimlerChrysler und Volkswagen völlig auf. Diese fallen zwar prozentual deutlich stärker aus, summieren sich in absoluten Zahlen jedoch nur auf 30 Euro. So kann es also nicht gehen – aber so weit hat man vor 100 Jahren anscheinend noch nicht gedacht. Aktie Kurs 2.1.2003 Faktor Wert BMW 30,00 1/30 1,00 DaimlerChrysler 30,00 1/30 1,00 Porsche 500,00 1/500 1,00 Volkswagen 40,00 1/40 1,00 Summe 4,00 Index (x 25) 100,00 Tabelle 8: Adjustierter Index (a) Für einen aussagekräftigen Index muss es uns also gelingen, die unterschiedlichen optischen Kursniveaus auf denselben Nenner zu bringen. Dafür sorgt ein schlichter Bereinigungsfaktor nach der Formel (1 / Kurs). Bei BMW und Daimler beträgt der Faktor also 1/30, bei Porsche 1/500 und bei Volkswagen 1/60. Multipliziert man nun jeweils den Kurs mit dem entsprechenden Faktor, ergibt sich stets ein Wert von 1,00. Und mit diesen „bereinigten“ Kursen können wir nun doch wieder auf die Idee von Dow und Jones zurückgreifen. Da nunmehr alle Aktien auf demselben rechnerischen Stand starten, führt die Addition nicht mehr zu Verzerrungen. Der Auto-Index würde also bei 4,00 Punkten beginnen, was freilich ein bisschen mickrig aussieht. Folglich nehmen wir das Ganze noch mal 25 und erhalten somit einen handlichen und irgendwie nett anzuschauenden Ausgangspunkt bei 100,00 Zählern. Ein Jahr später wiederholt sich das Spiel, nun auf Basis der fiktiven Kurse vom 2. Januar 2004. Auf jede Aktie wird der ein Jahr zuvor ermittelte Faktor angewendet, die einzelnen Werte werden zusammengezählt und das Ergebnis wieder mit 25 multipliziert. Der Auto-Index steigt demzufolge von 100,00 auf 117,29 Punkte, gewinnt also die 17,3 Prozent hinzu, die wir schon zuvor als durchschnittliche Performance der Einzeltitel ermittelt haben – Plausibilitätstest mit Bravour bestanden. Aktie Kurs 2.1.2004 Faktor Wert BMW 30,00 1/30 1,00 DaimlerChrysler 35,00 1/30 1,17 Porsche 450,00 1/500 0,90 Volkswagen 65,00 1/40 1,63 Summe 4,69 Index (x 25) 117,29 Tabelle 9: Adjustierter Index (b) So könnten wir uns jetzt eigentlich zur Ruhe setzen oder unsere Kreation als Patent anmelden und fette Honorare dafür einstreichen, dass Banken den Index als Zertifikat abbilden. Dagegen spricht gleichwohl nicht nur der Umstand, dass die Deutsche Börse AG schon längst einen speziellen „Auto-DAX“ im Programm hat. Denn der Index liefert jetzt zwar eine saubere Darstellung der Kursbewegungen, aber eine andere wichtige Anforderung an jedes Aktienbarometer wird noch nicht erfüllt – die repräsentative Abbildung der Marktverhältnisse. In unserem Konzept, das letztendlich nur auf einem etwas „aufgemotzten“ Durchschnitt aus den prozentualen Veränderungen der vier Aktien basiert, werden alle Aktien gleich gewichtet. Wenn statt Volkswagen etwa Porsche um 62,5 Prozent zugelegt hätte und dafür der Wolfsburger Golf-Produzent ein Minus von 10 Prozent verzeichnen müsste, würde das den Index überhaupt nicht beeinflussen. Es wird also so getan, als wäre die kleine (zugegebenermaßen sehr feine) schwäbische Sportwagenschmiede genauso wichtig wie der Massenhersteller aus Niedersachsen. Diese absolute Ergebnisgerechtigkeit freut vielleicht den Sozialisten in uns, hat mit den wirklichen Kräfteverhältnissen jedoch nichts zu tun. Da Indizes (ganz im Gegensatz zu Fondsmanagern) objektiv und systematisch vorgehen müssen, können wir leider nicht aus dem Bauch heraus festlegen, dass Volkswagen viermal so wichtig ist wie Porsche, aber nur halb so bedeutend wie DaimlerChrysler. Wir brauchen ein transparent nachvollziehbares Kriterium, anhand dessen die vier Index-Mitglieder gewichtet werden. Eine Möglichkeit wären die in der jeweils letzten Bilanz veröffentlichten Umsatzzahlen, die auf jeden Fall (sogar noch von einem Wirtschaftsprüfer beglaubigt) etwas über die realwirtschaftlichen Größenverhältnisse aussagen. Trotzdem ist die Idee nicht wirklich gut. Es handelt sich schließlich um einen Aktien-Index, weshalb es nicht schlecht wäre, wenn das gewichtende Element irgendetwas mit der Börse zu tun hätte. Die Index-Wissenschaft kennt an dieser Stelle eine ganze Reihe von Alternativen, die sich jedoch fast alle auf zwei Ansätze eindampfen lassen: Marktkapitalisierung oder Börsenumsätze. Aktie Kurs 2.1.2003 Aktienzahl (Mio) Börsenwert (Mio.) Gewicht BMW 30,00 750 22.500 31,91% DaimlerChrysler 30,00 1.000 30.000 42,55% Porsche 500,00 8 4.000 5,67% Volkswagen 40,00 350 14.000 19,86% Summe 70.500 100,00% Tabelle 10: Herleitung von Gewichtungsfaktoren aus dem Börsenwert Wie die meisten professionellen Index-Anbieter entscheiden wir uns für die Marktkapitalisierung. Dahinter verbirgt sich der Betrag, mit dem die Börse ein Unternehmen insgesamt bewertet – das Produkt aus der Anzahl sämtlicher ausstehender Aktien und dem aktuellen Aktienkurs. Es ist also ein weiterer Griff zum Rechenschieber erforderlich. Nach der Berechnung der Marktkapitalisierungen per 2. Januar 2003 werden die einzelnen Werte zunächst addiert. So erhält man den Börsenwert der gesamten deutschen Autobranche. In unserem eng an die tatsächlichen Marktverhältnisse angelehnten Beispiel sind das satte 70,5 Mrd. Euro. Um daraus nun die Gewichtungsfaktoren abzuleiten, müssen die Kapitalisierungen der einzelnen Gesellschaften in Prozent der Gesamtsumme ausgedrückt werden. So kommt DaimlerChrysler mit seinem gigantischen Börsenwert von 30 Mrd. Euro auf ein Gewicht von 42,55 Prozent (30.000 / 70.500). Die Nobelmarke mit dem Stern ist für den Index damit mehr als doppelt so wichtig wie der Volkswagen-Konzern, der nur 14 Mrd. Euro auf die Waage bringt. Aktie Kurs 2.1.2003 Faktor Gewicht Wert BMW 30,00 1/30 31,91% 0,3191 DaimlerChrysler 30,00 1/30 42,55% 0,4255 Porsche 500,00 1/500 5,67% 0,0567 Volkswagen 40,00 1/40 19,86% 0,1986 Summe 100,00% 1,0000 Index (x 100) 100,00 Tabelle 11: Kapitalisierungsgewichteter Index (a) Und jetzt haben wir es tatsächlich geschafft – wenn wir die Kurse nicht nur mit den bereits bekannten Bereinigungsfaktoren von 1/30 (für DaimlerChrysler und BMW), 1/500 (für Porsche) und 1/40 (für Volkswagen) multiplizieren, sondern zusätzlich mit den neuen Gewichtungen malnehmen, ist der Index fertig. Da die Gewichtungen zusammen zwangsläufig 100 Prozent ergeben, liegt die Summe der Einzelwerte logischerweise nicht mehr bei 4,00, sondern bei 1,00. Ganz am Ende verhundertfachen wir das Ganze also noch einmal, womit wir wieder beim selben Startwert sind wie zuvor: 100,00 Index-Punkte. Aktie Kurs 2.1.2004 Faktor Gewicht Wert BMW 30,00 1/30 31,91% 0,3191 DaimlerChrysler 35,00 1/30 42,55% 0,4965 Porsche 450,00 1/500 5,67% 0,0511 Volkswagen 65,00 1/40 19,86% 0,3227 Index 1,1894 Index (x 100) 118,94 Tabelle 12: Kapitalisierungsgewichteter Index (b) Schauen wir also ein letztes Mal auf die hypothetischen Kurse vom 2. Januar 2004. Das macht sogar richtig Spaß – der Auto-Index ist auf 118,94 Punkte gestiegen. Mit 18,94 Prozent fällt das Plus noch einmal etwas höher aus als bei der gleichgewichteten Variante, wo lediglich 17,29 Prozent zu Buche standen. Der Grund dafür ist schnell entdeckt: Zuvor war der Verlust bei Porsche noch zu einem Viertel in den Index eingeflossen, während er jetzt nur noch mit lächerlichen 5,67 Prozent berücksichtigt wird. Umgekehrt wirkt sich das Plus bei DaimlerChrysler, deren Gewicht sich durch den neuen Index-Modus von 25,00 auf 42,55 Prozent erhöht hat, nun deutlich stärker aus. Damit sind wir quasi im Vorbeigehen bei einem der wichtigsten Kriterien für die Beurteilung von Indizes angelangt, nämlich der Frage nach der Ausgewogenheit. In manchen Ländern oder Branchen gibt es nur wenige Unternehmen mit hoher Marktkapitalisierung. Die Gewichtung nach diesem Kriterium kann somit dazu führen, dass der Index kräftig Schlagseite bekommt und nur von wenigen Schwergewichten dominiert wird. Da mag die Gesamttendenz noch so positiv sein – wenn ausgerechnet die Gesellschaft, die dank ihres kolossalen Börsenwertes 30 oder 40 Prozent für sich beansprucht, ins Straucheln gerät, ist es Essig mit den Performance-Chancen des Index. Natürlich kann eine solche Übermacht auch in die andere Richtung wirken. Trotzdem sind derlei Verzerrungen sicher nicht im Sinne des Erfinders, denn es geht schließlich um die Abbildung eines ganzen Marktes oder Marktsegments. Deshalb sehen die meisten professionellen Index-Anbieter, deren Kursbarometer in aller Regel deutlich breiter aufgestellt sind als unser nur vier Titel umfassendes Auto-Exempel, eine Kappungsgrenze vor. Das maximale Gewicht einer einzelnen Aktie ist dann auf vielleicht 15 oder 25 Prozent beschränkt, auch wenn sie wegen ihrer Kapitalisierung eigentlich eine stärkere Präsenz verdient hätte. Außerdem haben wir gerade in den letzten Jahren leidvoll erfahren müssen, dass „die Börse“ zu Recht femininen Geschlechts ist – sie neigt zu ungeahnten Launen. Die Marktverhältnisse, die ein Index ja möglichst authentisch abbilden soll, sind permanenten Veränderungen unterworfen. Ein statisches Kursbarometer, das einmal aufgesetzt und dann nie mehr angepasst wird, wäre ziemlich schnell überholt. So sind von den 30 Titeln, die Anfang 1988 beim Start des DAX die Haute Volée der deutschen Aktienlandschaft repräsentierten, einige inzwischen gänzlich vom Kurszettel verschwunden; darunter traditionsreiche Namen wie AEG, Dresdner Bank, Feldmühle Nobel oder Mannesmann. Im Gegenzug haben heute einige Unternehmen wie die Deutsche Post oder die Deutsche Telekom, die vor 15 Jahren noch nicht einmal notiert waren, einen erheblichen Anteil an der Gesamtkapitalisierung des Marktes. Doch nicht nur auf derlei Zu- und Abgänge muss ein Index-Anbieter reagieren, sondern auch auf die bloße Verschiebung der Größenverhältnisse. Wenn wir noch einmal zu unserem Beispiel zurückkehren und an die Kursexplosion bei Volkswagen denken, wird klar, dass auch die Gewichtungsfaktoren auf die neuen Realitäten abgestimmt werden müssen. Aktie Kurs 2.1.2004 Aktienzahl Börsenwert Gewicht NEU BMW 30,00 750 22.500 26,83% DaimlerChrysler 35,00 1.000 35.000 41,74% Porsche 450,00 8 3.600 4,29% Volkswagen 65,00 350 22.750 27,13% Summe 83.850 100,00% Tabelle 13: Anpassung der Gewichtungsfaktoren Der Wolfsburger Konzern kommt per 2. Januar 2004 auf einen Börsenwert von 22,75 Mrd. Euro, verglichen mit 14 Mrd. Euro ein Jahr zuvor. Es ergibt sich ein sattes Plus von 62,5 Prozent. Die Gesamtkapitalisierung der deutschen Autowerte hat währenddessen nur um 18,9 Prozent zugenommen, von 70,50 auf 83,85 Mrd. Euro. Relativ zu den Konkurrenten ist Volkswagen also zumindest an der Börse bedeutsamer geworden, weshalb für das Jahr 2004 analog zum Prozedere beim Start des Index neue Gewichtungen festgelegt werden, die dann wieder ein Jahr lang gelten. In der Realität führen die Index-Anbieter solche Anpassungen zumeist in kürzeren Zeitabständen durch. Der DAX beispielsweise wird jedes Vierteljahr neu aufgestellt; der US-amerikanische S&P500 erfreut sich sogar monatlicher Aktualisierungen. Diese halten das Kursbarometer nicht nur up-to-date, sondern begründen gleichzeitig eine Art Trendfolgesystem: Je stärker eine Aktie relativ zum Gesamtmarkt steigt, umso höher wird ihr Gewicht innerhalb des Index und umso stärker wirken sich folglich die weiteren Kursbewegungen aus. Flops, die hinter der allgemeinen Entwicklung zurückbleiben, werden dagegen sukzessive zurechtgestutzt und haben künftig weniger Einfluss. Dieser Mechanismus ist freilich etwas träge. Damit sich etwa die Bedeutung einer verlustträchtigen Aktie reduziert, muss diese zunächst einmal mehr oder weniger kräftig fallen, was den Gesamtverlauf des Index eine zeitlang beeinträchtigt. Lassen wir unsere bisherigen Erkenntnisse einmal Revue passieren, so ist ein Index bloß ein Korb von Aktien, der im Laufe der Zeit immer wieder neu bestückt wird. Diese schlichte Definition weckt unwillkürlich Erinnerungen an das, was jeder von uns auf der Bank hat, nämlich ein ganz gewöhnliches Wertpapierdepot. Und in der Tat sind DAX, EURO STOXX 50 & Co. nichts anderes als das – mit dem einzigen (und sehr wesentlichen) Unterschied, dass dieses Portfolio eben nicht aus dem Bauch heraus verwaltet wird, sondern nach einer transparenten und objektiven Systematik. Das fängt schon beim Auswahluniversum an. Ein normales Privat-Depot sieht in der Regel aus wie Kraut und Rüben. Neben ein paar Bundesanleihen besitzt man einige Standardaktien wie die unvermeidliche Deutsche Telekom; hinzu kommen vielleicht zwei Fonds, die einem der Anlageberater mal aufs Auge gedrückt hat, sowie ein bisschen Schrott vom Neuen Markt und diverse Spezialwerte, die einst in irgendeinem Börsenblättchen als „heißer Tipp für schnelle Gewinne“ gepriesen wurden, nun jedoch die zynische Feststellung untermauern, dass langfristig gehaltene Positionen letztendlich bloß missratene Kurzfrist-Engagements sind. Man nutzt meist alles Mögliche, was so an Wertpapieren auf den Kurszetteln der Welt herumgeistert. Ein Index muss jedoch einen bestimmten Markt abbilden, weshalb die Grundgesamtheit wohl kaum „alles“ sein kann. Gefordert sind eindeutige Vorgaben. In den DAX beispielsweise können nur deutsche Unternehmen einziehen, deren Aktien im Prime Standard-Bereich der Deutschen Börse gelistet sind. Damit ist Porsche (wegen tapferer Verweigerung in puncto Quartalsberichte aus dem vermeintlichen Premium-Segment ausgeschlossen) genauso außen vor wie die US-Softwareschmiede Microsoft oder der Pharmariese Aventis, in dem zwar die traditionsreiche Hoechst AG aufgegangen ist, der jedoch seinen Hauptsitz in Frankreich hat. Zweite Ebene ist der Portfolio-Umfang. Ihr Depot wird mal 10, mal 30 und mal 20 Titel umfassen. Bei Indizes sind derlei Schwankungen dagegen die Ausnahme; zumeist bleibt die Zahl der berücksichtigten Werte immer konstant. So bündelt etwa der DAX stets exakt 30 Unternehmen. Und noch einen wichtigen Unterschied gibt es: Während der Privatanleger üblicherweise eine Liquiditätsreserve anlegt (bis zur Halskrause im Markt zu stecken, kann extrem teuer werden), ist ein Index jederzeit voll investiert. Die Summe der einzelnen Gewichtungsfaktoren ergibt also stets 100 Prozent – was ja auch Sinn macht, schließlich soll ein Aktienindex den Aktienmarkt widerspiegeln und nicht die Entwicklung eines Festgeldkontos. Aus der Beschränkung auf eine fixe Zahl resultiert nun die dritte Herausforderung – die Qual der Wahl. Beim heimischen Depot ist das oft ein fließender Prozess, perfekt geeignet als Studienobjekt für angehende Psychologen: Weil Sie schon immer der Meinung waren, dass die besten Autos der Welt aus München kommen, sind Sie natürlich BMW-Aktionär. Irgendwann lesen Sie in der Zeitung vom Erfolg des Betriebssystems LINUX und ordern flugs ein paar Aktien des IT-Dienstleisters Red Hat. Dann wieder zappen Sie zufällig in die „3Sat-Börse“, wo der im Musterdepot-Contest führende Experte gerade vom gigantischen Potential eines venezuelanischen Limonaden-Herstellers schwärmt. Klar, auch bei dieser klebrigen Angelegenheit wollen Sie dabei sein. Würde ein Index-Anbieter derlei Willkür walten lassen, wäre der vermeintliche Markt-Maßstab bald genauso witzlos wie seinerzeit die Elle. Ein objektives Kriterium muss her und das ist entweder die Marktkapitalisierung oder der Börsenumsatz. Anhand dieser Werte, die sich jederzeit aktuell und frei von persönlichen Vorlieben ermitteln lassen, wird das gesamte Auswahluniversum in absteigender Reihenfolge sortiert und wer auf den vorderen Plätzen liegt, zählt zum erlauchten Kreis der Index-Mitglieder. Die entsprechenden Listen sind übrigens meist im Internet abrufbar, so dass wirklich jedermann nachvollziehen kann, warum ein bestimmtes Unternehmen „drin“ ist und ein anderes nicht. Dieses einfache System, das nur der im täglichen (Schlafzimmer-)Leben bisweilen heiß umstrittenen Regel „Auf die Größe kommt es an“ folgt, lässt sich natürlich noch verfeinern. So stützt sich der DAX mit typisch deutscher Perfektion gleich auf beide Merkmale. Nur Unternehmen, die sowohl beim Börsenwert als auch in der Umsatz-Statistik auf Ranglistenplatz 35 liegen, haben die Chance, mit von der Partie zu sein. Wohlgemerkt, die Chance, nicht die Gewissheit. Für die endgültige Entscheidung über die Zusammensetzung formal zuständig ist der Vorstand der Deutschen Börse AG, der sich dabei vom mit hochkarätigen Aktienexperte diverser Banken besetzten Arbeitskreis Aktienindizes beraten lässt. Und so kann es kommen, dass eine Aktie auch dann noch im Index verbleiben darf, wenn sie die 35/35-Regel nicht mehr erfüllt. Index-Kontinuität nennen die Börsianer dieses „weiche“ Kriterium und meinen damit, dass ein Kursbarometer nicht allzu sehr in „Rein-und-raus“-Spielchen verfallen sollte. Gewisse Nischen der Subjektivität gibt es also auch in der ansonsten rein mechanischen Index-Welt. Da solche Grenzfälle sich aber immer nur auf Aktien beziehen, die nur wenige Zehntelprozent zum Index beitragen, kann das nicht wirklich Anlass zur Kritik geben. Für die betreffenden Unternehmen geht es dabei freilich um viel Geld – die Mitgliedschaft in einem Index bringt Prestige und zieht Investoren an; wer dagegen aus einem wichtigen Marktbarometer gestrichen wird, kann sich in aller Regel auf Kursverluste gefasst machen. So bleibt auf dem Weg zum fertigen Index nur noch ein vierter Schritt, die Gewichtung der Einzelwerte. Der Privatanleger verlässt sich dabei gerne auf reichlich diffuse Einschätzungen nach dem Motto „Die Aktie ist riskant, da investiere ich nur ein bisschen“; beim Index führen auch an dieser Stelle handfeste Größenkriterien Regie. In jüngster Zeit setzen die meisten professionellen Index-Anbieter auf den Free Float Value. Während in die Marktkapitalisierung ja wie gesehen alle ausstehenden Aktien eines Unternehmens einfließen, berücksichtigt diese Kennzahl nur die frei handelbaren, also nicht fix bei irgendwelchen Großaktionären liegenden Anteile. So wird vermieden, dass große Aktiengesellschaften, die nur einen geringen Streubesitz aufweisen und deshalb weniger stark gehandelt werden, im Index ein allzu großes Gewicht erhalten. Darunter würde nämlich die Investierbarkeit eines Kursbarometers leiden – und dieser Begriff führt uns direkt zur Gretchenfrage der Geldanlage: Wenn Indizes letztendlich Portfolios vom Reißbrett sind, die nach rein objektiven Maßstäben geführt und permanent entsprechend den Veränderungen der Märkte aktualisiert werden – warum investiert man dann nicht gleich in den Index? Diese Überlegung drängt sich vor allem deshalb auf, weil der ganze mit dem aktiven Management verbundene Aufwand sich nachweislich nicht lohnt. Aus dem ersten Kapitel wissen Sie: Die Wahrscheinlichkeit, mit einem klassischen Fonds die Wertentwicklung des Index zu übertreffen, ist irgendwo bei 30 Prozent angesiedelt. Über zwei Drittel der Fonds hinken dem Index hinterher und auch die Bilanz eines Privatanlegers, der auf eigene Faust „Stock Picking“ betreibt, dürfte kaum besser sein. Da wird doch geradezu zwangsläufig die Idee geboren, diese höchst diffuse Chance auf „Outperformance“ einzutauschen gegen ein direktes Engagement im Index, das die absolute Gewissheit bietet, niemals schlechter abzuschneiden als der Markt.