Die Euro-Not kennt kein Gebot Europa in der Staatsschuldenkrise Von Michael Stürmer, Die Welt "Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle glauben an die Bundesbank." So seufzte vor 25 Jahren Jacques Delors, damals Präsident der Europäischen Kommission. Kanzler Kohl und Präsident Mitterrand hatten ihn beauftragt, mit der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion Ernst zu machen. Das konnte lange dauern. Dann aber fiel die Mauer. Paris und Bonn suchten neue Gleichgewichte in Europa. Die Angst vor den alten Dämonen hat dann alle Warnungen aus Bundesbank und Wissenschaft gegen eine gemeinsame Währung beiseite geschoben. Kanzler Kohl sprach düster von Krieg oder Frieden. Zuerst kamen die Maastrichter Verträge, dann kam die gemeinsame Währung. Heute ist eine strukturelle Dauerkrise am Werk. Und sie teilt die Europäer, zerstört das Vertrauen und nährt Zweifel, dass die Regierungen noch wissen, wohin. Donnerstag dieser Woche schaute die Finanzwelt auf Frankfurt - und wurde enttäuscht. Die Europäische Zentralbank sollte das Unmögliche möglich machen: Die Griechen retten vor dem Staatsbankrott, die Spanier ermutigen, die Italiener zu schnellerer Gangart bewegen. Zuletzt und vor allem sollte sie den Deutschen, die das Euro-Drama mit gemischten Gefühlen sehen und am Ende bezahlen müssen, wieder Mut machen, dass der Euro Vertrauen verdient und die Politik alles im Griff hat. Die Notenbank entschied sich auf ihrer Zinssitzung für Abwarten - mehr aus Ratlosigkeit denn aus Weisheit. Eine Währung ist nur so gut wie das Vertrauen, dass die Leute ihr entgegenbringen. Alles andere ist bedrucktes Papier. Die Bürger wissen heute nicht genau, was sie fürchten müssen - aber sie haben Angst, dass der Boden unter den Füßen versinkt, die Ersparnisse sich auflösen, die Renten schwinden. Die exportgetriebene Industrie dagegen warnt, Stabilisierung des Euro dürfe nicht auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit gehen - was im Klartext heißt, die Zentralbank solle es mit der Festigkeit der Währung nicht übertreiben. Die EZB hat nur die Wahl zwischen zwei Übeln: Zerbrechen der Eurozone oder Zerbrechen aller Regeln. Einst versprachen die Architekten der gemeinsamen Währung unter Verweis auf heilige Verträge, feste Statuten und diskontfähige Unterschriften den Deutschen, die neue Währung werde härter sein als es die D-Mark, die EZB strenger sein als die Bundesbank. Krisengetrieben, schert sich die Politik nicht mehr um heilige Schwüre, Satzungen und wirtschaftliche Logik. Entgegen den EU-Verträgen werden die Geldschleusen aufgemacht. Die EZB finanziert Staatsschulden, indem sie Staatsanleihen aufkauft. Das ist ihr eigentlich verboten - und es ist auch keine Dauerlösung. Aber Not kennt kein Gebot. Spanien und Italien sind akut gefährdet - der Rest bekam das Signal, dass Vorschriften und Verträge nichts sind als geduldiges Papier. Dass solchermaßen die Euro-Zone gerettet wird, erfordert einen starken Akt des Glaubens. Man kann das alles rechtfertigen unter Hinweis darauf, dass sonst die Straßen brennen - in Athen und anderswo. Aber alles hat seinen Preis. Bisher hat die Kanzlerin hinhaltende Verteidigung geübt und versucht, die Schwächen des Eurosystems nachträglich zu reparieren. Die Opposition in Berlin hat ihr dabei nicht geholfen und die meisten Euro-Partner auch nicht. Die Bundesbank, in der EZB hoffnungslos in der Minderheit, kämpft weiter für die alten Werte und die Verträge - aber steuern kann sie nicht mehr, auch wenn Präsident Weidmann die Ärmel hochkrempelt, sondern nur Schlimmeres verhüten. Die gemeinsame Währung, statt Europa zu einigen, hat die Europäische Union gespalten zwischen Euro-Ins und Euro-Outs. Das ist ernst genug. Noch ernster ist die Spaltung zwischen Nord und Süd, Gläubigern und Schuldnern. Alle Demokratien leben über die Verhältnisse, manche mehr und manche weniger, und finanzieren die Party durch Schulden. Der Euro war ein Projekt, um die Demokratie vor ihren Versuchungen zu bewahren und zugleich Europa zum Global Player zu machen. Die Deutschen glaubten, sie hätten dafür das Konzept und mit der EZB auch den Werkzeugkasten, und alle würden mitmachen. Das erweist sich längst als deutsche Rechnung ohne die europäischen Wirtsleute. Noch nie wurde Europa, die Meinungsumfragen dieser Woche beweisen es europaweit, so niedrig gehandelt.