308 Teil 3 Tabelle 3.2-1: Schriftsteller (und Journalisten) in Deutschland28 ^^^ Schriftsteller in Deutschland Journalisten in Deutschland 1760er 2.000-3.000 1926 6.246 1771 3.000 1936 15.000 (davon ca. 6.000 hauptberuflich) 1791 7.000 1810 12.500 1980 38.000 1837 18.000 2004 70.000 Angesichts der vielfältigen Kontakte zwischen Periodika und Publikum konnte daher nicht ausbleiben, dass die Leser auch Einfluss auf Gestaltung und Funktion der Presse nahmen. Schon Caspar Stieler hatte zu dem Verhältnis von älteren Messrelationen und neueren Wochen- und Tageszeitungen bemerkt: „So kommen [...] alle halbe Jahr gewisse Relationes auf die Frankfurter und Leipziger Messe heraus, aus welchen ein Zeitungs-Leser sehr klug werden kan, in geschwinder Eil zu begreifen, wo etwas, das in den Avisen vorkommet, hinaus wolle, und aus welcher Grund-Feste es eigentlich herrüre."29 „Theatrum Euro-paeum" und „Diarium Europaeum", die im 17. und 18. Jahrhundert als Jahresoder Mehrjahre s chroniken erschienen, schlachteten die Medien ihrer Zeit aus und wurden als Komplementärmedien zu den Tages- und Wochenzeitungen benutzt. Während jedoch jene erst einige Jahrzehnte nach den ersten Zeitungen gegründet wurden, existierten die Messrelationen schon vor ihnen. Stielers Bemerkung lässt also den Schluss zu, dass die Messrelationen sich gegen die Konkurrenz der jüngeren und aktuelleren Avisen und Relationen auch deshalb behaupten konnten, weil sie einen Funktionswandel hin zu Komplementärmedien vollzogen und die Avisen ergänzten. Das „Diarium" und das „Theatrum" könnten hingegen u.a. aus dem Motiv heraus gegründet worden sein, den Lesern der Avisen Medien anzubieten, die ihnen über den atomisierenden Blick der frühen Zeitungen hinaus einen Überblick verschafften.30 28 Engelsing, R.: Lesergeschichte, in: AGB 10/1970, Sp. 984. Schenda, R.: Volk ohne Buch, S. 193f. Wittmann, R.: Geschichte des Buchhandels, S. 160. Haferkorn, H. J.: Schriftsteller 1750-1800, in: AGB 5/1964, Sp. 651-684, 691-695. Kutsch, A.: Zeitungs-Enquéte, in: Publizistik 33/1988., Nr. 1, S. 5-31. Stöber, R.: Verbandsinteresse, 12£; Engelsing, R.: Massenpublikum, S. 39f. Hausjell, F.: Journalisten, S. 237f. 29 Stieler, C: Zeitungs Lust, Nachdruck 1969, S. 147. „Insgemein aber sagen wir/ daß alle so da lesen/ und lesen hören können/ fähig und geschickt seyn/ der Zeitungen sich zu bedienen." Stieler, C: Zeitungs Lust, Nachdruck 1969, S. XXII. 30 Weise, Ch.: Lesen von Zeitungen, in: Kurth, K. (Hg.): ältesten Schriften (1685), S. 52f. und 66. Stieler, C: Zeitungs Lust, Nachdruck 1969, S. 138f., 146f. Prutz, R.E.: Journalismus, S. 200-204. Welke, M.: Geschichte der Zeitung, in: Daphnis 3/1974, Nr. 1, S. 103. Bender, K.: Meßrelationen, in: Presse und Geschichte II, S. 63. Berns, J.J.: Medienkonkurrenz, in: Presse und Geschichte II, S. 198f. Vgl. die Zusammenfassung und Ausblick 309 • Auch die Genese der Zeitschriften kann über Komplementärfünktionen erklärt werden und ging zumeist mit paralleler Zeitungslektüre einher. • Die Ausdifferenzierung der Presse hat seither den Funktionswandel vorangetrieben. Durch den Zutritt neuer elektronischer Medien seit dem späten 19. Jahrhundert hat sich dieser Wandel noch verstärkt, auch komplementäre Effekte gewannen an Bedeutung. Die Symbiose zwischen Film und Illustrierten war solch eine komplementäre Wechselwirkung: Fotos der Illustrierten gewöhnten das Publikum an Bilder, die „Films" schufen Stars, über welche die Presse berichten konnte. Die Wechselwirkungen zwischen Rundfunk und Presse waren zunächst nicht so sichtbar. Die Zeitungsverleger der 1920er befürchteten anfangs hauptsächlich die konkurrierende Werbekraft des neuen Mediums, eine Befürchtung, die sich übrigens mit dem Aufkommen des Fernsehens in den 1950ern und 1960ern und dem Internet der 1990er wiederholte. Die dichte Periodizität der Zeitungen nahm hingegen durch das Radio zunächst keinen Schaden, vor allem, weil der Rundfunk anfangs nur ein- bis zweimal täglich Nachrichten verbreitete und daher kein ernst zu nehmender Informationskonkurrent der Presse war. Erst allmählich, seit den 1930ern und 1940ern änderte sich dies, so dass in der Gegenwart die mehrmals täglich erscheinenden Zeitungen nicht mehr existieren können. Doch letztlich können sie dies wegen der anderen Ansprüche des Publikums nicht mehr. Warum sollte jemand noch zwei oder drei Zeitungen am Tag kaufen, wenn (kostenfrei) stündlich oder alle 20 Minuten Nachrichten im Radio zu hören sind. Publikum und Lesefahigkeit Presseverbreitung und Lesefähigkeit steigerten sich wechselseitig. Zwar lässt sich das Publikum für frühere Zeiten nicht analog zu den Media-Analysen der Gegenwart erfragen, doch immerhin enthalten schon die frühesten Medien ab und zu Aussagen über ihr Publikum. Einige Flugblätter, deutlich unter zehn Prozent, sprachen es explizit an. Die meisten dieser direkt angesprochenen Adressaten zeichneten sich durch eine sozial herausgehobene Stellung aus: Die Flugblätter richteten sich an Adlige, Honoratioren und Patrizier aus den Städten sowie Geistliche. Der Zweck der Adresse mag gewesen sein, dass die Buchdrucker, Verleger, Autoren des Flugblattes sich einen persönlichen Vorteil dadurch versprachen, den Adressaten zu loben und zu preisen. Darum bedeuten die ange- Abbildungen z.B. in den Relationen des Jacobus Franci Relationis Historicae 1616, 1621, 1623, 1624, 1641.