320 Teil 3 ihnen beliebt: die Geringeren wohnen dem Schauspiel bei und zahlen Geld: und weil sie zu großen Handlungen nicht herangezogen werden, so bleibt ihnen nur die Gelegenheit übrig, über die einzelnen Handlungen zu urteilen." Nun hatte in der Frühen Neuzeit das Motiv des Steuerzahlers in Frankreich angesichts mehrfacher Staatsbankrotte eine negativere Konnotation als in deutschen Landen. Pasquier mochte darum zu dem Bild gegriffen haben, dennoch ist Weises Zitat interessant, weil sie eine der frühesten deutschen Vergleiche der medialen mit der Arenenöffentlichkeit ist. Weises Frage, die sich daran anschloss, ist schon beinahe subversiv zu nennen: „Was soll ich über die Verfassung der Königreiche und Republiken sagen? Diese kann man nie kennen lernen, ohne daß unmittelbar darauf neue Veränderungen angemerkt werden müßten, die sei es die Art der Verwaltung, sei es den Umsturz der Staatsform betreffen."56 Was im 17. Jahrhundert noch in Frageform gekleidet und im 18. Jahrhundert aus dem Ausland importiert wurde, beschränkte sich nicht mehr allein auf philosophische Erörterungen, sondern war in der Napoleonischen Zeit schon Allgemeingut: 1806 empfahl eine anonym verbreitete Schrift als Ersatz „zur Sicherheit des Untertans die Pressefreiheit".57 In der Neuzeit entwickelten sich dabei drei pressepolitische Systeme: ® Autoritäre und konservative Regimente, • liberal-parlamentarische und sozialverantwortliche Staaten, • totalitäre Regime existierten nach-, aber zumindest zeitweise auch nebeneinander.58 Die un-freiesten Regime waren Kinder der jüngsten Vergangenheit. In der Frühen Neuzeit fehlte es den Staaten nämlich an der für den Totalitarismus notwendigen Machtfülle. Die folgende Tabelle zeichnet die Kontrollelemente idealtypisch nach. In der historischen Realität zeigten sich die Pressesysteme als ein ineinander fließendes Kontinuum mit vielfältigen Übergängen und Randunschärfen. 56 Weise, Ch.: Lesen von Zeitungen (1685), in: Kurth, K. (Hg.): Schriften, S. 71 und 75. Schon Ulrich von Hütten nutzte das Mittel publizistischer Kritik als Ersatz für fehlende politische Macht in einer Pressefehde gegen seinen Vetter Ulrich von Württemberg. Vgl. Ukena, P.: Tagesschtifttum, in: Presse und Geschichte I, S. 42. 57 Zit.n. Eisenhardt, U.: kaiserliche Aufsicht, S. 152. Vgl: „Die Preß-Freyheit aber ist und eine viel zu edle Freyheit, als daß sie nicht sollte unterstützet werden; mit dem Fall derselben würde die gantze Freyheit englischer Unterthanen zu Grunde gehen." HUC, 8.1.1774, Nr. 5, S. 1. Kant hatte 1798 apodiktisch formuliert: „So verhindert das Verbot der Publizität den Fortschritt eines Volks zum Besseren". Kant, L: Fortschreiten, in: Oelmüller, W./ Dölle, R. (Hg.): Diskurs Geschichte, S. 173. 58 Die Einteilung orientiert sich an: Siebert, Frederick S./ Peterson, Theodore/ Schramm, Wilbur: Four Theories of the Press, Urbana 1963. Eine vierte Kategorie benannten die Autoren als „Sozialverantwortlichkeit". Sie ist m.E. für Medien jedoch irrelevant. Die antikommunistischen Interpretationsmuster aus der Zeit des Kalten Krieges hingegen entwerten die Theorie als solche nicht. Zusammenfassung und Ausblick 321 Tabelle 3.2-5: Prüfkriterien für Pressesysteme autoritäre Regimente Liberale/ demokratische Staaten Totalitäre Systeme Inhaltliche Kontrolle Vorzensur extern, Nachzensur extern Zensurverbot, juristische Nachkontrolle Vorzensur intern, Nachzensur extern, Nachrichtenkontrolle Unternehmenskontrolle Privileg (auch zum Schutz vor Konkurrenz), z.T. Konzessionierung und Kaution, z.T. Zentralzeitungen Kartellrecht, Wettbewerbskontrolle z.T. Konzessionierung, Zentralorgane Berufskontrolle Unbekannt; bei technischen Berufen z.T. Zunftkontrolle Freier Berufszugang; Vielzahl von Ausbildungswegen Kontrolle von Ausbildung und Zugang, Zwangsmitgliedschaft in Berufsverbänden Verbreitungskontrolle Postdebit keine Auflagekontrolle, Papierkontingentierung, staatlicher Vertriebszwang Besteuerung demeritorisch meritorisch unwichtig Das System der autoritären Pressekontrolle stellt das älteste dar und herrschte bis ins 19. Jahrhundert vor, dann ging es allmählich zu Ende. Es folgte eine liberale Phase, die bis ins 20. Jahrhundert in die demokratische überging, welche in verschiedenen Staaten (Russland, Italien, Deutschland und nach 1945 weitere Ostblockstaaten) jedoch in totalitäre umgeschlagen ist. Der Übergang vollzog sich in den Staaten zu unterschiedlichen Zeiten. Dabei wurde mehrfach die Pressefreiheit unter revolutionären Umständen erobert, wich aber wiederholt nach mehr oder minder kurzer Zeit erneut strengen Regimenten. Es muss — um allzu grober Vereinfachung vorzubeugen — betont werden, dass Medienfreiheiten nur ein Teil umfassenderer Freiheiten sind und als solche in eine lange Tradition zu stellen sind. Gleichheit und Freiheit sind uralte menschliche Bedürfnisse; das im Englischen doppeldeutige „freedom" für Frieden und Freiheit verdeutlicht dies.59 Eine instruktive Herleitung moderner Freiheit aus vorneuzeitlichen Traditionen zeichnet: Blickle, P.: Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten.