Hannes Böhringer Die »Philosophie des Geldes« als ästhetische Theorie Stichwort^zur Aktualität Georg Simmeis für die moderne bildende Kunst Die »Philosophie des Geldes« verstehe ich im vierfachen Sinne als ästhetische Theorie: i. Ästhetische Theorie, das heißt: eine Theorie ist ästhetisch geworden. Sie hat sich von ihrem Gegenstand und Ausgangspunkt gelöst und ist spielerisch und freischwebend geworden, autark und immun gegen Angriffe und Festlegungen von außen, immer in der Gefahr, alles- und nichtssagend zu sein. So trifft, scheint mir, auf die »Philosophie des Geldes« selbst zu, was sie beschreibt: die Ablösung, Ersetzung und Austauschbarkeit der Sachen. Eines der auffälligen, oft kritisierten logischen Mittel der Ästhetisierung und Ablösung in der »Philosophie des Geldes« ist die Analogie. Mit ihrer Hilfe kann Simmel von einem Phänomen zu einem auf den ersten Anblick weit entfernten anderen mühelos hinübergleiten. Die Analogie der Analogie ist für ihn das Geld, das gleich setzt, was nicht gleich ist. Es macht alles zur Ware und damit austauschbar, es ist der eigenschaftslose Träger des Warenstromes, Träger aller möglichen Überträgungen. Für Ernst Mach, mit dem Simmel die Position eines radikalen Funktionalismus teilt, sind »Ähnlichkeit und Analogie ... Leitmotive der Forschung«. Er beruft sich auf James Clerk Maxwell, der in der Einleitung seiner »Abhandlung über Faraday's Kraftlinien« (1855) die physikalische Analogie definiert »als jene teilweise Ähnlichkeit zwischen den Gesetzen eines Erscheinungsgebietes mit jenen eines anderen, welche bewirkt, daß jedes das andere illustriert«. Er überträgt das Bild des Flusses mit bestimmten Einschränkungen auf die Elektrizität und beschreibt sie als elektrischen Strom, indf.m er das Bild des Flusses zur »rein geometrischen Idee der Bewegung einer imaginären Flüssigkeit« formalisiert. Eine solche Idee und Fiktion scheint mir auch das Geld zu sein, von derr. Simmel spricht, ein anschauliches Bild, das 178 abstraktionsfähig, loslösbar von seinem eigentlichen Gebiete und übertragbar wird. Das Geld ist der idealisierte Warenstrom und damit auch so etwas wie eine Idee der Bewegung einer imaginären. Flüssigkeit. 2..Dadurch daß die »Philosophie des Geldes« eine in diesem Sinne ästhetische Theorie ist, kann sie zu einer Ästhetik, das Geld zu einer erhellenden Analogie für die moderne Kunst werden. Und zwar illustriert die »Philosophie des Geldes« eine Beziehung zweier scheinbar entgegengesetzter Linien in der Kunst-Geschichte, die ich behelfsmäßig Fluxus- und Objektkunst nenne, und erklärt ihren Zug ins Konzeptuellc. Der Fluxuscharakter der modernen Kunst kommt besonders in den dadaistischen und surrealistischen freien Assoziationen, in der ecriture automatique zum Vorschein, die vom action painting und Informel aufgegriffen werden und in der Fluxus-Bewegung im engeren Wortsinn, der Happening- und Event-Kunstformen weitergehen. Die Objektkunst kristallisiert sich vor allem im Ready Made und Objet trouve, in der »Dingmagie« der pittura metafisica und der Neuen Sachlichkeit, in der shaped-canvas-Malerei, in der minimal art, aber auch im Photorealismus und der Pop art. Beide Richtungen werden von der coneept art aufgegriffen, sie radikalisiert bzw. betont nur deren immer schon vorhandene Konzeptualität. Konzeptualität bedeutet vielerlei: 1. Das Konzept ist wichtiger als seine Realisierung. Sie wird gleichgültig, und mit ihr verlieren alle Fragen der Komposition an Bedeutung. 1. Durch den Vorrang des Konzeptes wird das, was realisiert wird, das einzelne Kunstwerk, austauschbar, eins unter vielen möglichen Beispielen. 3.'Dadurch daß das einzelne Kunstwerk nur noch beispielhaften und hinweisenden Charakter für eine konzeptuell intendierte Wahrnehmung hat, kann auf das Kunstwerk, auf die Kunst ganz allgemein verzichtet werden, wenn sie ihre konzeptuelie Arbeit für die Wahrnehmung geleistet hat. 4. Jedes spezielle Konzept setzt jedoch ein allgemeinstes in der modernen Kunst voraus: daß jedes Kunstwerk, als »Objekt« - gefunden oder eigens hergestellt - in erster Linie es selbst ist. Nur durch diese Bezugs- und Bedeutungsfreiheit kann es austauschbar werden, in den Fluxus der freien Assoziation geraten oder mit privaten Bedeutungen besetzt werden. Die Konzeptkunst ist die Kunst, die sich im Prinzip überflüssig macht, es praktisch aber nicht kann, weil sie sonst keinen Einfluß 179 auf die Wahrnehmung nehmen könnte. Das Kunstwerk ist ein bloßes Mittel des Konzeptes, das wiederum auf das Kunstwerk als Selbstzweck zurückverweist: wie jedes andere Objekt ist es ganz es selbst. Diese Figuren der Entmaterialisierung (L. Lippard) und der Auflösung der Zweck-Mittel-Relation sind in Simmeis Geldbegriff vorgebildet. Das Geld ist für Simmel nicht nur der imaginäre Fluß der Dinge, exemplifiziert am Warenstrom, sondern auch jedes einzelne Ding. Das Geld existiert nicht neben den Dingen, sondern steckt sie mit seiner Geldhaftigkeh an. Sobald etwas austauschbar wird, also in den Warenstrom gerät, ist es zu Geld geworden: eine potentielle Tausch- und Maßeinheit. Das Geld löst die Beziehung von Mittel und Zweck auf. Ursprünglich ist es zwar Mittel zu einem Zweck, doch je mehr Dinge es in seinen Strom hereinreißt, desto mehr wird es ein absolutes Mittel, ein Mittel zum Mittel, und so selbst Zweck, absoluter Zweck. Es verweist ständig über sich hinaus, doch worauf es verweist, ist selbst immer wieder Geld. Die Geld-haftigkeit der Sachen und die »Jenseitigkeit« des Geldes beschreibt Simmel an anderer Stelle auch als eine Tendenz zur Entmaterialisierung des Geldes, die jedoch nie an ihr Ziel gelangen wird. Das Geld hängt zwar immer weniger an einem "materiellen Träger und nähert sich immer mehr seinem »reinen Begriff« an, wird aber aus Gründen der Praktikabilität immer an einem Träger haften und gemessen an seiner Konzcptualität letzten Endes immer unvollkommen bleiben müssen. Um die Analogie Geld - Kunst, so wie ich sie sehe, nicht miß-zuverstehen, gilt es, die naheliegende Assoziation Geld - Warencharakter zu suspendieren. Das Geld verwandelt zwar die Dinge in Waren, aber Simmel will damit eigentlich sagen: das Geld verwandelt alles in Geld. Und dafür könnte man in Analogie zu dem von Simmel verwandten Begriff der Sachlichkeit sagen: das Geld macht aus den Dingen Sachen, Objekte; wie man es in der modernen Kunstgeschichte nennt. Mit Geld (= Sache, Objekt) meint Simmel, der sich ja ausdrücklich auf den Nominalismus beruft, die res absoluta im Sinne Wilhelms von Ockham: das von allen Relationen, also auch vom Subjekt losgelöste, einzelne Objekt. Die Beziehungen, in denen es steht, gehören nicht zu seinem Wesen, sondern sind ihm äußerlich, treten zu ihm hinzu. Im radikalen Funktionalismus eines Fechners oder Machs werden die res absolutae zu eigenschaftslosen Elementen bzw. Atomen, aus de- 180 ren Beziehungskomplexionen sich die phänomenale Welt aufbaut. Von hier hat Simmeis Soziologie ihren Ausgangspunkt genommen. Simmel beschreibt die moderne Wirtschaft und Gesellschaft als ein Purgatorium. Der sich immer mehr beschleunigende Strom der wirtschaftlichen Güter wirkt wie eine gewaltige Zentrifuge, in der sich die alten Substanzen in Beziehungen (= soziale Formen) und eigenschaftslosen, bedeutungsfreien, indifferenten, gleichgültigen und gleichberechtigten Sachen auflösen, den absoluten Objekten der modernen Kunst, den »Non-Relationals« (F.Stella). Nur weil das Objekt völlig sinnentleert, indifferent und fremd ist, kann es eine Dingmagie entwickeln, nah und fern zugleich sein, unentzifferbare Chiffre einer individuellen Mythologie werden, auf seine Materialität verweisen, das Beziehungsgefüge, den Kontext, die Gegenstände der Umgebung affizieren, stören etc. Das absolute Objekt ist tautologisch, es ist und bedeutet sich selbst. »What you see is what you see« (F. Stella). Jedes Kunstwerk ist eine tautologische Definition von Kunst (J. Kosuth). Huelsen-beck hatte schon im Dada-Almanach von 1920 geschrieben, daß Dada Wert auf den »bon sens« legt, »einen Tisch für einen Tisch und eine Pflaume für eine Pflaume zu halten». Weil also Dada »die Bezieh ungslosigkeit gegenüber allen Dingen ist«, hat es die Fähigkeit, »mit allen Dingen in Beziehung zu treten«. Das ist der Umschlag vom absoluten Objekt zum Fluxus. Nur das beziehungsfreie Objekt gerät in den Strom der freien Assoziation, alles andere bleibt in seinen Beziehungen hängen. Das Objekt ist nur ein Moment, ein Augenblick im Fluß der Wahrnehmung im Stande der Beziehungslosigkeit zu allen Dingen, das einzelne Kunstobjekt für die Wahrnehmung nur eine austauschbare, ersetzbare Stütze in der Dingwelt. Die Behelfsmäßigkeit und Un-vollkommenheit des Objekts sind nur die Rückseite seiner Konzeptualität. Als res absoluta verweist es ständig über sich hinaus, nämlich darauf, daß alles es selbst ist, sei es Gegenstand oder Vorgang, daß es nur auf die richtige innere Einstellung, den Zustand der Beziehungslosigkeit, der »schöpferischen Indifferenz« (S. Friedländer), der »Sachlichkeit« (Simmel) ankomme. »Jedes Ding, auch den Menschen als Sache betrachten« (Chirico). 3. Hier hegt der dritte Grund, die »Philosophie des Geldes« eine ästhetische Theorie zu nennen. Als Kunsttheorie ist sie zugleich eine Wanmehmungstheorie. Die Konzeptualisierung weitet die 1S1 Kunst zum »Leben« aus, zum Erleben, zur produktiven Wahrnehmung. Und diese fußt auf Sachlichkeit. Das Geld, sagt Simmel, versachlicht den »Stil des Lebens«, zwingt, den Großstadtmenschen zur »Sachlichkeit«, »Indifferenz«, »Intellektualität«, »Charakterlosigkeit«, »Eigenschaftslo-sigkeit«. Das Geld vergesellschaftet Menschen als Fremde. Wie die Dinge, so macht es auch die Menschen zu res absoluta«, zu Sachen. Simmeis Schüler Georg Lukics hat zu Recht angemerkt, daß diese Versachlichung (in seinen Worten: Verdinglichung und Entfremdung) nicht äußerlich bleiben, nicht wie Simmel meinte, »Torhüter des Innerlichsten« sein kann, sondern selbst vennner-licht wird. Doch Lukäcs entging die Ambivalenz der Sachlichkeit,, ihre purgative, produktive Seite. Sie ist zwar »tragisch« dadurch, daß sie das Individuum zum »Schnittpunkt sozialer Kreise« macht. Doch zugleich kann die moderne Gesellschaft als eine Art innerweltliche Askese angesehen werden, die alle Propria, alle Eigenschaften »hin wegläutert und die Produktivität der Sachlichkeit, der sachlichen Einstellung, freisetzt: nicht nur die Warenproduktion, sondern auch die »produktiven Schlußprozesse« im Sinne Max Wertheimers. (Das gestaltpsychologische Prägnanzprinzip ist übrigens ähnlich wie Simmeis Form- und Geldbegriff eine stets konzeptuelle, wenn auch nicht-sprachliche Transzen-dierung der tatsächlichen Gestalt.) Auf die Ambivalenz der Sachlichkeit: Kultur- und Gesellschaftskritik, aber auch Freisetzung von Spontaneität durch »Austrocknung des Gefühls« (Sol Le Witt) zu sein, scheinen mir vor allem die Maschinen, Maschinenmenschen, Automaten, Puppen und Marionetten in der modernen Kunstwelt, vor allem in den Zwanziger Jahren, hinzudeuten. »I want to be a machine« (Warhol). 4. Schließlich ist Simmeis »Philosophie des Geldes« als ästhetische Theorie eine Soziologie der modernen Kunst, eine Beschreibung ihres prägnanten Orts: der Großstadt, die in ihrer Funktionalität und Sachlichkeit den inneren Zustand der Bezic-hungslosigkeit, den Blick für den Fluxus der Objekte, für die Objektivität der Welt ermöglicht und weiter schärft. Das einzelne Kunstwerk entgeht nicht der Verdinglichung zur Ware; durch seine Konzeptualität, dadurch daß es nur eine Stütze der Wahrnehmung in der Außenwelt ist, entzieht es sich jedoch seinem Warencharakter und wird als absolutes Objekt zu einem epochalen Moment im imaginären Fluß der Aisthesis. Sibylle Hübner-Funk Die ästhetische Konstituierung gesellschaftlicher Erkenntnis am Beispiel der >Philosophie des Geldes«1 »Et wäre ein Irrtum anzunehmen, ästhetische Prinzipien bezögen sich nur auf unsere Urteile über Kunstwerke oder jene natürlichen Dinge, die wir hauptsächlich wegen ihrer Schönheit beachten... Obwohl diese ästhetische Farbgebung möglicherweise die letzte Eigenschaft an Gegenständen des priktischen Interesses ist, die wir bemerken, ist ihr Einfluß auf uns trotz allem wirklich und erklärt oft einen großen Teil unserer moralischen und praktischen Einstellung.« Diese Aussage wurde von George Santayana, einem Zeitgenossen Simmeis, in seinem Buch »The Sense of BeautyV getroffen, das erstmals im Jahre 1896 erschien, zu einem Zeitpunkt also, als Simmel damit begann, seine Philosophie des Geldes zu schreiben. Santayanas Abhandlung enthält ein ganzes Kapitel, das der >Ästhetik der Demokratie« gewidmet ist, einem Interessengegenstand, auf den auch Simmel verschiedentlich eingeht Somit scheint es eine Art idiosynkratischer Beziehung zwischen ästhetischen Werten und politischen Urteilen zu geben, die infolge ihrer moralischen Implikationen der Erklärung bedarf. In den folgenden Darlegungen sollen fünf Ebenen unterschieden werden, auf denen Simmel innerhalb seiner Philosophie des Geldes Bezüge zu ästhetischen Prinzipien herstellt. Obwohl sie jeweils von unterschiedlicher Qualität sind, setzen sie einander in typischer Weise voraus und bringen das relativistische Weltbild zum Ausdruck, dem viele deutsche Intellektuelle um die Zeit der Jahrhundertwende zuneigten. Ausgehend von den sozialpsychologischen Komponenten ihres >Lebensstils< lassen sich - Simmel zufolge - ästhetische Werte als Wirkfaktoren in folgenden Prinzipien wiederfinden: - den Prinzipien der Gesellung, - den Prinzipien der kulturellen Entwicklung, - den Prinzipien der Erkenntnis, 183 - den Prinzipien der soziologischen Abstraktion, - den Prinzipien des politischen Urteilens. Während sich die ersten beiden Betrachtungsebenen auf die Entstehung einer ästhetischen Empfindsamkeit gegenüber der Wirklichkeit beziehen, belegen die nächsten beiden Ebenen den Einfluß ästhetischen Wertens auf die kognitive Strukturierung der Welt, während die letzte Ebene jene »moralische und praktische Einstellung« zum Thema hat, von der Santayana meinte, sie sei mit ästhetischen Werten verbunden. Diese fünf funktionalen Ebenen beziehen sich auf ein Bild vom Menschen, das - wie DÜthey es formulierte - ihn als »wollend, fühlend, vorstellendes Wesen«3 konzipiert, also als ein Wesen, das in vielfältiger Weise - nicht ausschließlich intellektuell - auf die Welt um sich herum bezogen ist. Simmel interessiert sich für solch einen integrativen Zugang zur Wirklichkeit, weil er der Auffassung ist, der kulturelle Entwicklungsprozeß neige tendenziell dazu, ganzheitliche Einstellungen zu zerstören, und weil er von sich selber glaubt, daß seine persönlichen Interessen an den verschiedenartigsten Analyseobjekten letztlich durch die gemeinsame Grundlage seines Temperaments* zusammengehalten werden, dem subjektiven Faktor seiner Wahrnehmungen. Im folgenden sollen die einschlägigen Aussagen nicht ausgiebig zitiert werden, in denen Simmel innerhalb seiner Philosophie des Geldes ästhetische Werte als Prinzipie^der_gese^^ Erkenntnis erwähnt. Anderenorts4 habe ich bereits im Detail entsprechende Argumentationsgänge belegt; sie sollen hier als Hintergrund dienen. Indem aber die vorliegende Betrachtung bewußt auf eines der umfangreichsten und originellsten Werke Simmeis begrenzt wird, entsteht ein besonders dichter Interpretationszusammenhang, auch wenn andere Publikationen Simmeis vergleichbare Hinweise verstreut enthalten. Im Jahre 1900, als Simmel die Philosophie des Geldes erstmals als Buch herausbrachte, hielt er sie - nach eigenem Urteil - für den »angemessensten Ausdruck der gegenwärtigen Wissensinhalte und Gefühlsströmungen«5. Da er sich somit ausdrücklich zum Sprecher eines größeren Publikums machte, mag auch die Charakterisierung seiner ästhetischen »Einstellung des Blickes« legitimerweise als mehr gelten denn als eine nur für ihn selber typische Haltung zur Welt. Diese Haltung hat vielmehr die Bedingungen und Konsequenzen eines nicht nur intellektuellen Zugangs zur 184 Wirklichkeit zum Gegenstand, in welchem die sinnlichen Elemente der Erkenntnis wieder zu ihrem Recht kommen. In einem »optischen Zeitalter«6, das in zunehmendem Maße menschliche Erfahrungen durch vielfältige und immer raffiniertere Medien bricht und so ihre Qualitäten auf reine Impressionen reduziert, können ästhetische Dimensionen möglicherweise eine neue Bedeutung für die Analyse der Gegenwart und der künftigen Entwicklungstendenzen gewinnen. Deshalb ist die Beschäftigung mit ihnen keineswegs antiquiert, wie es zunächst scheinen mag, auch wenn zugegebenermaßen die spezifisch SimmePsche Konzeption von Ästhetik eine idealistische ist, die sich auf Schiller und Goethe als Vorläufer sowie auf Nieasche als zeitgenössischen Propagandisten beziehen läßt7. Ästhetische Werte in den Prinzipien der Gesellung Die fünf menschlichen Sinne und ihre zugehörigen Organe: Auge, Ohr, Nase, Haut und Zunge, bilden die physiologischen Grundlagen für die Empfindungen, mit denen sich die Ästhetik - im weitesten Sinne ihrer Bedeutung - befaßt. Mit Ausnahme der Zunge, die sich unmittelbar auf die dinglichen Gegenstände der menschlichen Nahrungsaufnahme bezieht, stellen diese Sinne nicht allein Beziehungen zwischen den Menschen und der Natur, sondern zugleich auch zwischen Mensch und Mensch als sozialen Wesen her. Simmel betont ausdrücklich, daß die sinnlichen Reize, die Menschen von ihresgleichen empfangen, nie nur neutrale Informationen vermitteln, sondern immer auch mit starken Gefühlen der Anziehung oder Abstoßung verbunden sind. Deshalb sieht er in den menschlichen Sinnen die Hauptgestaltungskräfte für Gesellungen zwischen einzelnen Individuen und zwischen Gruppen von Individuen. Obwohl die Sinne also die natürliche Grundausstattung menschlicher Lebewesen sind, werden sie von Simmel zugleich auch als Quelle der individuellen Differenzierung betrachtet, da sie mit spezifischen Zu- und Abneigungen verbunden sind, die einzelne Personen vor dem Hintergrund ihrer kulturellen und schichtspezifischen Tradition entwickelt haben. Beispielsweise ist der optische Eindruck, den ein Individuum aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes - Körper, Gesicht, Kleidung, Bewegung usw. - bei anderen hinterläßt, ein Bestimmungs- 18$ faktor für seine Möglichkeiten sozialen Kontaktes; parallele Faktoren sind beispielsweise Stimme, Haut (Farbe, Tönung, Weichheit, Struktur) sowie Geruch bzw. Duft des Körpers. Das selektive Funktionieren der menschlichen Sinne, für das Simmel sich merklich interessiert, leistet jedoch nur einen Teilbeitrag zum Funktionieren des sozialen Systems. Dieses wird in erster Linie durch praktische Interessen der Kooperation und des Austausches konstituiert; Produktion und Reproduktion aber zwingen den Individuen Beziehungsstrukturen auf, die sie - nach ausschließlich sinnlichen Kriterien - nie eingehen würden. Simmel behauptet nun, die meisten der zwischenmenschlichen Beziehungen in modernen, Urbanen Gesellschaften seien physiologisch ausgesprochen unattraktiv, wenn nicht gar abstoßend. Beispielsweise komme man in der Straßenbahn, in der Eisenbahn und im Bus ungewollt verschiedenen Menschen physisch sehr nahe; man sehe, rieche und berühre sie ohne bewußte Absicht und werde beständig durch sinnliche Eindrücke dieser Art »schok-kiert« und »überreizt«. Simmel führt die nervösen Gefühle der »Hyperästhesie« und der »Berührungsangst«, die in dem Wunsch nach Distanz und Vornehmheit, nach Ruhe und Genuß in einer ureigenen Privatwelt kulminieren, auf diese modernen, großstädtischen Lebensbedingungen der Menschen zurück. Er ist sich durchaus bewußt, daß die »Unterschiedsempfindlichkett« vieler seiner Zeitgenossen sich am deutlichsten in deren »negativem Geschmack« ausdrückt, »d. h. in der leichten Verletzbarkeit durch Nicht-Zusagendes, in dem bestimmten Ausschließen des Unsympathischen, in der Repulsion durch Vieles, ja oft durch das Meiste des gebotenen Kreises von Reizen, während der positive Ge- -schmack, das energische Ja-Sagen, das freudige und rückhaltlose Ergreifen des Gefallenden, kurz die aktiv aneignenden Energien große Fehlbeträge aufweisen«1. 1 In seinen theoretischen Darlegungen des Problems entwickelt ! Simmel zwei zentrale Strategien, um mit diesem Dilemma der 1 Sinne umzugehcnTzum einen akzeptiert er die beobachtete »Un-terschiedsempfindlichkeit« als Motor sowohl für Gesellung wie Individualisierung, zum anderen reduziert er die sinnliche Wirklichkeitserfahrung auf die optischen Eindrücke. Dies macht es ihm möglich, autonom über die Distanz zu entscheiden, die er für sich selbst für die erträglichste gegenüber der Welt hält. Dabei räumt er ästhetischen Wertungen, die eher aristokratisch als de- 186 mokratisch zu nennen sind, Vorrang vor seinen Wahrnehmungen und Interpretationen ein. Das Ideal der »Vornehmheit« - »eine ganz einzigartige Kombination von Unterschiedsgefühlen, die auf Vergleichung beruhen und stolzem Ablehnen jeder Vergleichung überhaupt«', ist Simmeis bevorzugtes Konzept, um den Einfluß zu beschreiben, der ästhetischen Werten für menschliche Beziehungen zukommt. Das Ideal der Distanz, das aus der realen Existenz der Dinge nur die Folie ihres »Anschauungsbildes«10 abstrahiert, funktioniert ebenfalls in doppelter Weise: indem es eine »ästhetische Indifferenz« gegenüber der Welt der Praxis errichtet, gibt es dem Individuum seinen selektiven Einfluß auf die Eindrücke zurück, die permanent von außen kommen": »Die ästhetische Betrachtung - die als bloße Funktion jeglichem Gegenstande gegenüber möglich und dem >Schönen« gegenüber nur besonders leicht ist - beseitigt am gründlichsten die Schranke zwischen dem Ich und den Objekten; sie läßt die Vorstellung der letzteren so leicht, mühelos, harmonisch abrollen, als ob sie von den Wesensgesetzen des ersteren allein bestimmt wären. Daher das Gefühl der Befreiung, das die ästhetische Stimmung mit sich führt, die Erlösung von dem dumpfen Druck der Dinge, die Expansion des Ich mit all seiner Freude und Freiheit in die Dinge hinein, von deren Realität es sonst vergewaltigt wurde.« Offensichtlich verbindet sich sowohl das Ideal der Vornehmheit wie auch das Ideal der Distanz mit den spezifischen Interessen der wohlhabenden und kultivierten Schichten, die auf diese Weise bemüht sind, den schmutzigen, unansehnlichen Verhältnissen zu entfliehen, in der die Mehrzahl der Bevölkerung - die Arbeiterklasse - ihr Leben zu verbringen hat. Simmel erkennt dies unumwunden als maßgebenden Grund an; deshalb betont er auch, der »soziale Sinn der Vornehmheit« gebe offenbar »den Typus für alle Anwendungen ihres Begriffes« ab": »Gesinnungen wie Kunstwerke, Abstammung wie literarischen Stil, einen bestimmt ausgebildeten Geschmack ebenso wie die ihm zusagenden Gegenstände, ein Benehmen auf der Höhe gesellschafdicher Kultur wie ein Tier edler Rasse«. Grundsätzlich stehen also die Begriffe Distanz und Vornehmheit als Indikatoren für ein Gesellungsverhalten, das Menschen der gehobenen Gesellschaftsschichten Freude bereitet; indem sie sich mit anderen Menschen ähnlichen Standes und ähnlicher Herkunft in verfeinerter Atmosphäre treffen und wissen, daß es nur ein kleiner, erlesener Kreis ist, der sich diesen 187 Lebensstil leisten kann, und indem sie zugleich doch immer versuchen, jenen anderen Individuen gegenüber den Eindruck zu vermitteln, sie selbst seien höher, besser, reicher etc. als jene. -Daher spiegelt das ästhetische Ideal hier nicht den existenziellen Kampf von Menschen um ihr physisches Überleben, sondern es reflektiert den sozialen Kampf um Anerkennung und Selbstachtung. Die Aneignung der Natur durch menschliche Arbeit ist nicht Sache dieser Vornehmen; vielmehr gehören sie den großstädtisch-bürgerlichen Kreisen von Intellektuellen, Künstlern, Aristokraten und Geschäftsleuten an, die jenen differenzierten Aufgaben nachgehen, die im Rahmen der modernen Geldwirtschaft als vielfältige Dienstleistungen entstanden sind, z. B. Verwaltung, Wissenschaft, Kunst, Literatur, Bankgewerbe usw. Trotz ihrer Abhängigkeit von dem Geld als Unterhaltsmedium pflegen sie aber ein Selbstbild, in dem einzig und allein die kultivierte Individualität über den sozialen Wert entscheidet. Deshalb beobachtet Simmel einerseits eine »Feindseligkeit zwischen der ästhetischen Tendenz und den Geldinteressen«'3, während er andererseits interessante Formgleichheiten zwischen der »psychologischen Färbung der Freude am bloßen Geldbesitz« und der »psychologischen Form des ästhetischen Reizes«'4 erkennt. Simmeis unverhüllt apologetische Argumentation zugunsten der oberen Gesellschaftsschichten mit einem Bild der sozialen Welt zu konfrontieren, innerhalb dessen die eingeschränkten Lebensbedingungen der aufkommenden Arbeiterklasse angemessener berücksichtigt werden, würde seine Wertungstendenz jedoch nicht ändern. Wie Simmel in seiner Erörterung der Charakteristika des modernen >Lebensstils< konstatiert, ist »der Reiz der entgegengesetzten Lebensform {...) indiskutabel, in dessen Empfinden sich die aristokratischen und die individualistischen Tendenzen begegnen«1'. Ästhetische Anziehung ist nicht eine Besonderheit, deren man sich durch Lernen versichern kann. Simmel behauptet vielmehr, Individuen >hätten< nicht, sondern >seicn< diese Qualität'6. Daher verläßt er sich auch fundamental auf seine ästhetische Empfindsamkeit als Grundlage der Interpretation der Welt; für ihn persönlich gibt es keinen anderen Weg, seine Wahrnehmungen und Erkenntnisse zu strukturieren als den über ästhetische Prinzipien vermittelten, obwohl auch andere Weltbilder das gleiche Recht für sich beanspruchen können. In Simmeis Augen ist die Unterschiedlichkeit der Weltbilder nur eine Frage der 188 verschiedenen Distanz gegenüber der Sphäre praktischer Interessen: jede Distanz habe - so behauptet er -, für sich genommen, ihre spezifischen Vorzüge und Nachteile. Auch hier wieder glaubt Simmel, daß die Entscheidung für eine bestimmte Distanz sich nicht »logisch« rechtfertigen, sondern nur »psychologisch« erklären lasse'7. Nietzsche und der Sozialismus sind die beiden Pole, an denen Simmel die fundamentalen Divergenzen festmacht, und er selbst fühlt sich explizit Nietzsche wesentlich verwandter als Marx. Ästhetische Werte in den Prinzipien der kulturellen Entwicklung Der erwähnte physiologische Faktor ist nur eine der Vorbedingungen für die Existenz ästhetischer Werte; eine weitere liegt -laut Simmel - in der geschichtlichen Entwicklung einer auf geldlich gemessenen Tauschbeziehungen beruhenden Gesellschaft. Geld als »die reinste Wechselwirkung« in ihrer »reinsten Darstellung«'1 symbolisiert die »Greifbarkeit des Abstraktesten«: es hat eine sichtbare Substanz, verkörpert jedoch die menschliche Tauschbeziehung als unsichtbares Phänomen. Simmel beurteilt jene »Projizierung bloßer Verhältnisse auf Sondergebilde« als »eine der großen Leistungen des Geistes« und als »höchsten Triumph« innerhalb der menschlichen Geschichte1». Er spricht so emphatisch von dieser Tatsache der Substanzwerdung, weil sie dem »ObjektJvationsprozeß«" konkret faßbaren Ausdruck verleiht, dem die Menschen ihre Möglichkeiten des ästhetischen Genusses verdanken. Die »Lösung des Lustgefühls von der Realität seiner ursprünglichen Veranlassung«, die die Transformarion der Nützlichkeit*- b die Schönheitswerte beschreibt, stellt für Simmel einen der schöpferischsten Schritte in der kulturellen Entwicklung dar1'. Da er glaubt, daß das »verfeinerte ästhetische Interesse«" auf »reine Formen«, sei es in der Kunst oder im Leben gerichtet - selbst eine »Form« des Bewußtseins geworden sei, beachtet er vor allem jene sozio-historischen Erscheinungen, die »unabhängig von den ersten Inhalten« bestehen, die ihre Bildung veranlaßt haben'3. Analog zu Schiller, der in einem seiner Briefe »zur ästhetischen Erziehung des Menschen«14 schrieb, ein wirklich schönes Kunst- 189 werk sei unabhängig von seinem Inhalt und nur auf seine Form gegründet, begreift auch Simmel den historischen Prozeß der »Objektivierung« vor allem als Prozeß der ästhetischen Befreiung. »Ästhetische Interesselosigkeit«, die »Gleichgültigkeit gegen die reale Existenz des Gegenstandes, wenn nur seine >Form«, d. h. Sichtbarkeit, gegeben ist«1', stellt nach Simmel den kultiviertesten Geisteszustand dar, den die Menschheit indirekt hervorgebracht hat, indem sie beständig den »Unterbau von Mitteln« erweiterte1'. In ausdrücklichem Widerspruch zu Marx, der den geschichtlichen Entwicklungsprozeß der menschlichen Gesellschaft ebenfalls als einen Prozeß zunehmender Verselbständigung der Mittel in Relation zu den Zwecken beschrieb, aber diesen Trend durch Wiedereinführung der Zwecke umzukehren trachtete, akzeptierte Simmel nicht nur diese ständig wachsende Autonomisierung der Mittel, sondern wertet sie vor allem auch als notwendige Vorbe-dingung für ästhetische Genußfähigkeit ausgesprochen hoch. Ästhetische Werte in den Prinzipien der Erkenntnis Wenn man diese Ableitung ästhetischer Wertungen aus de£ Sphäre kultureller Objekte akzeptiert und Simmeis Argumentationsgang im einzelnen folgt, so kann man erkennen, daß er beständig Parallelen aufzeigt zwischen der Geschichte als Prozeß l^bojc^chejj^ zwischen der Gifi&ÉfcfaolfJ^ auf Seiten ihrer Subsistenzmittel. Auf diese Weise gelingt es ihm, ein faszinierendes Netz ineinandergreifender subjektiver und objektiver Phänomene zu etablieren, denen die Eigenschaft gemeinsam ist, daß sie auf der Grundlage »realer Abstraktionen« funktionieren17. Obwohl Simmel jegliche Priorität der Wirklichkeitssphäre im Vergleich zu anderen Arten menschlicher Weltbeziehungen -etwa der Kunst, der Religion, der Wissenschaft - leugnet, erkennt er dennoch an, daß im Verlauf der Geschichte die meisten Mittel-Zweck-Beziehungen, die zum Erreichen spezifischer Ziele gedient haben, ihren Charakter fundamental verändert haben, weil sie mit neuen Zielen verbunden wurden. Wenn sich aber Prioritäten von Generation zu Generation wandeln, werden »Inhalte« ersetzt und »Formen«, d. h. Strukturen, bleiben bestehen. Daß diese Kristallisationen eine bestimmte Anziehungskraft auf all diejenigen menschlichen Lebewesen entfalten, die nicht durch den Erwerb ihres täglichen Lebensunterhalts voll ausgelastet sind und es sich daher leisten können, sich mit mutzlosen« Tätigkeiten zu vergnügen, definiert nach Simmeis Auffassung gerade ihre ästhetische Qualität. Die Tatsache jedoch, daß diese Abstraktionen »real« sind - in dem Sinne, daß sie tatsächlich existieren -, ist unter dem Gesichtspunkt ihrer ästhetischen Attraktivität im Prinzip überflüssig. Da, nach Simmel, »kein sinnliches Wahrnehmen oder logisches Folgen (...) unmittelbar die Überzeugung von einer Wirklichkeit ist«**, müssen Wahrnehmungen nicht notwendig das »übertheoretische Gefühl der Bejahung, der Zustimmung« enthalten, das das »Wirklichkeitsgefühl« ausmacht. Das besondere Bewußtsein der Wirklichkeit einer Erscheinung ist für Simmel vielmehr nur das »psychologische Vehikel zwischen den beiden erkenntnistheoretischen Kategorien: dem gültigen, durch seinen inneren Zusammenhang getragenen, jedem Element seine Stelle anweisenden inhaltlichen Sinn der Dinge und unserem Vorstellen ihrer, das ihre Wirklichkeit innerhalb eines Subjekts bedeutet«*'. Die »Kultur der Dinge« und die »Kultur der Menschen«30 haben jeweils einen ganz eigenen Gültigkeitsanspruch und einen eigenen Entwicklungsrhythmus, doch in der ästhetischen Betrachtung stellen sie sich dar, als seien sie identisch: das Gesetz des Objekts erscheint als das Gesetz des Subjekts. In seiner Theorie der Kultur beschreibt Simmel viele »tragische« Punkte, an denen sich objektive und subjektive Tendenzen nicht treffen. Auch für seine eigene Zeit findet er eine Vielzahl von Beispielen für die ständig wachsende Entfernung zwischen beiden; deshalb wohl klammert er sich so emphatisch an die Kunst als den Bereich der Versöhnung. Betrachtet man ein Kunstwerk als objektives Produkt, so ist es »unter allem Menschenwerk die geschlossenste Einheit, die sich selbst genüglihaste^ötahtaT^ selbst den Staat nicht ausgenommen«, schreibt Simmel3'. Indem es eine »subjektive Seeleneinheit« zum Ausdruck bringt, fordert es »nur eben Menschen, diesen aber ganz und seiner zentralsten Innerlichkeit nach«11. Und da die Bedingungen seiner Herstellung jede Arbeitsteilung ablehnen, lassen sie das Kunstwerk zu einer homogenen Einheit werden. Aus der Sicht des wahrnehmenden Subjekts entfaltet es allerdings seine ästhetische Qualität, d.h. seine Schönheit, am besten, wenn es nur auf seine >Form< hin 191 angesehen wird; denn die Form aJs die Art, in der die Bestandteile sich aufeinander beziehen, spricht die formalen Grundlagen der Erkenntnis - die visuellen Wert£ - besonders stark an. Sowohl in der Kultur wie auch In der Kunst ist es also die »Wirklichkeit« der einheitlichen Strukturiertheit des Objekts, aus der der »Begriff« der Einheit hervorgeht. Für sich genommen, verbindet sich eine Struktur mit gar keinem Wert; erst in der Konfrontation mit einer besonderen Form von Subjektivität nimmt sie eine Qualität an, die für das Subjekt »Wahrheit« bedeutet. Simmel erläutert diese Interdependenz auf die folgende Weise': »Wenn auf der einen Sei« ein bestitnnit angelegter Intellekt, auf der anderen eine bestimmte Objekrivität gegeben ist, so ist damit dasjenige, was gerade für diesen Geist »Wahrheit« ist, sachlich präformiert, wie es das Resultat einer Rechnung ist, wenn ihre Faktoren gegeben sind; bei jeder Änderung der mitgebrachten geistigen Struktur ändert sich der Inhalt dieser Wahrheit, ohne darum weniger objekuv und unabhängig von allem, in diesem Geiste erfolgenden Bewußtwerden festzustehen.« In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich daran zu erinnern, daß die Bedeutung, die Simmel hier der Struktur des Intellekts zuschreibt, die individuellen, ni