OTTO FRIEDRICH BOLLNOW MENSCH UND RAUM Ein wissenschaftlich revolutionäres, neues Paradigma zur Architektur- und Raumanthropologie 1 "Menschsein ...bedeutet wohnen." (Bachelard) "Die Welt ist ein Nest." (Bachelard) VORWORT - ZUR BEDEUTUNG DES THEMAS IM WEITEREN RAHMEN Dieses kollektive 'Vergessen' wird aber dann höchst problematisch, wenn wir Texte übersetzen, die aus antiken Gesellschaften in unsere Zeit gelangt sind. Das gleiche Problem stellt sich in der Völkerkunde, wenn wir mit Menschen kommunizieren, die, am Rande der modernen Welt, unser neuzeitliches Raumwissen gar noch nicht verstehen. Wir übersetzen antike Texte oder interpretieren Befragungen in der Ethnologie so, als hätten diese in engen Umwelten lebenden historischen oder traditionellen Gesellschaften annähernd die gleichen Raumwahrnehmungen wie die moderne Industriegesellschaft. Wäre mit solchen Interpretationen bloss unser "interesseloses Wohlgefallen" an solchen Weltbildern verbunden, so wäre dies allenfalls noch akzeptabel. Aber sie bilden in verschiedenen Disziplinen die Basis bestimmter Theorien, die unser gesellschaftliches Sein wesentlich mitbestimmen, etwa in der Religion, wenn wir von Schöpfung reden, oder in der Philosophie, wenn wir über Metaphysik diskutieren. Das gleiche gilt in der Kunst von der Ästhetik, wenn wir etwa vom Schönen sprechen oder in der Architektur, wenn wir Häuser, Siedlungen oder Städte planen. In all diesen Themen ist der Raum eine grundlegende Komponente. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man antike Mythen und Schöpfungsgeschichten mit dem modernen räumlichen Kosmos verbindet oder, ob man sie dem vor- und frühgeschichtlichen Siedlungswesen zuordnet. Ebenso fragt sich, ob man Metaphysik im philosophisch-idealistischen Sinne in kosmologischen Dimensionen ergründet - und sich dabei natürlich auf entsprechend gedeutete historische Belege stützt - oder ob man den entsprechenden Begriffsinhalt in der konkret humanen Siedlungskultur als formalräumliches Ordnungsprinzip entdeckt. Es ist auch ein beträchtlicher Unterschied, ob man Kunstwerke an einem platonisch-kosmologisch begründeten Schönheitsbegriff misst oder, ob man Kunst - insbesondere das sogenannte "Schöne" - aus der konkret-menschlichen Tradition - anthropologisch - zu verstehen versucht. Am schlimmsten ist die Sache in der Architektur: Wir zwängen - weltweit - den Menschen in ein falsches Raumkorsett. Bollnows Buch 'Mensch und Raum' schafft diesen neuen Standpunkt, indem es dem physikalisch-mathematischen Raumbegriff die anthropologische Dimension des Raums entgegenstellt. Setzt man seinen anthropologischen Raumbegriff als Arbeitshypothese auf breiter Ebene ein, d.h. in der prähistorischen, historischen und völkerkundlichen Forschung, so müsste wohl das meiste, was die sogenannten "Geistewissenschaften" an Interpretationen über Jahrhunderte angehäuft haben, neu geschrieben werden. Für die wissenschaftliche Methode entscheidend ist dabei: Wenn Bollnow gemäss Raum nicht mehr primär als unendliche Leere erscheint, sondern als human-ökologisches Implantat im physikalischen Raum und somit auch wesentlich pluralistisch und qualitativ gebunden und am menschlichen Erleben und Verhalten orientiert erscheint, so werden seine Strukturen wissenschaftlich induktiv erforschbar. Metaphysische Grundbegriffe werden vom endlosen Himmel heruntergeholt und in die objektiv zugängliche, humane Kulturtradition verlagert. Bollnows Arbeit stellt somit nicht nur individuell, sondern auch wissenschaftlich eine Revolution dar. Er etabliert im Sinne von Thomas Kuhn ein neues Paradigma, das sich aber nicht bloss an diesem oder an jenem Zweig dieser oder jener Disziplin manifestiert. Vielmehr handelt es sich um ein neues Paradigma, das den modernen wissenschaftlichen "Baum der Erkenntnis" an seinen Wurzeln revolutioniert. EINLEITUNG: RAUM UND ARCHITEKTUR Raum ist eine der grundlegenden Kategorien des Erkennens und ist auch fundamental für jede Architekturdiskussion, sowohl im praktischen Entwurf wie in der Architekturforschung. 1971 hat Christian Norberg-Schulz in seiner Studie 'Existenz, Raum und Architektur' das Konzept 'Existenzieller Raum' vorgeschlagen, das sich zum einen auf J. Piagets Untersuchungen zum Aufbau der Raumperzeption beim Kind stützt (ontogenetische Aspekte der Raumkonzeption), sich zum andern in ihren sozio-kulturellen Aspekten (philogenetische Aspekte der Raumperzeption) von vielen früheren Studien zum Raum stimulieren liess. Wichtigste Vorläufer waren der vergleichende Religionshistoriker Mircea Eliade, der Kunsthistoriker Dagobert Frey und der philosophische Phänomenologe Otto Friedrich Bollnow. Norberg-Schulz' existentielle Alternative zum euklidischen Raumkonzept war nicht von wesentlichem Einfluss auf die Entwurfspraxis in der Architektur. Dies hauptsächlich aus zwei Gründen: Erstens hat er die Ergebnisse dieser Arbeiten recht willkürlich seinen eigenen Vorstellungen des architektonischen Raums zugrunde gelegt, und zweitens ging die Diskussion in der postmodernen Rhetorik unter. In diesem Kontext ist - wie im Vorwort schon angedeutet - Bollnows Buch 'Mensch und Raum' (1963) ausserordentlich wichtig. Seine Untersuchung kann als die erste ontologisch und interkulturell weit gefasste 'Raumanthropologie' verstanden werden. Das Buch setzt klar den kosmologischen oder metaphysisch ausgedehnten Raum als sekundär, veranschlagt dagegen als primär ein Raumordnen, wie es sich vom menschlichen Siedeln her entwickelt hat. Weiter setzt Bollnow den Menschen und sein komplementäres Bedürfnis nach Bewegung und Ruhe ins Zentrum seines Raumverständnisses. Raum, wie er sich auf den Menschen und sein Verhalten bezieht, wird inhomogen, was sich bei Bollnow in einer Fülle von klar baulich geprägten Beobachtungen ausdrückt. "Die anthropologische Bedeutung des Hauses muss heute wiederentdeckt werden" (:137). Es ist auf Anhieb einsichtig, dass dieser Ansatz somit für die Architekturforschung von grundlegender und weitreichender Bedeutung ist. Erstaunlicherweise ist Bollnow aber gerade in der Architekturforschung wenig bekannt. Im Unterschied zu den weitherum intensiv diskutierten, auf Bauen und Raum bezogenen Arbeiten Heideggers, wird er nur selten zitiert. Seine systematische Untersuchung hat nicht die Bedeutung erlangt, die sie eigentlich verdient hätte. Zeitweise wird Bollnow gar in Forschungen und Publikationen zur Raumordnungs-Thematik nicht angeführt, obschon sein Einfluss evident ist. Vor allem aber werden Bollnows revolutionäre Einsichten zur Raumdiskussion oft auch einfach übersehen. Das Buch wurde - leider - weder ins Englische noch ins Französische übersetzt. Um diese Verhältnisse zu klären und um Bollnows grundlegenden Einsichten zu einer weiteren Verbreitung zu verhelfen, wird hier seine Arbeit zusammengefasst dargestellt. Dem Leser soll eine Idee seiner wichtigsten Ansätze und seiner in gewissem Sinne genialischen und epochemachenden Leistungen vermittelt werden. 2 Die Diskussion folgt im wesentlichen der Struktur von Bollnows Untersuchung. BOLLNOW: METHODEN UND QUELLEN Bollnow rechtfertigt seine philosophische Ontologie des Raums mit der Philosophie seiner Zeit. Bergson, Simmel, Heidegger, Sartre, Merleau-Ponty und Minkowsky haben die Zeitlichkeit der menschlichen Existenz als zentrales und grundlegendes philosophisches Phänomen diskutiert. Räumliche Bedeutungen der menschlichen Existenz sind dabei im Hintergrund geblieben. Einige Untersuchungen sind in den Dreissigerjahren gemacht worden, die sich auf den Raum richteten, wie er im Rahmen von Psychopathologie und Psychologie verstanden wird. Auch philosophisch gesehen, stellt Bollnow seine Arbeit in einen weiteren Rahmen. Er bezieht sich auf Heidegger, Graf Dürkheim, Minkowsky, Straus, Binswanger, Bachelard und - in anderem Sinne - auf Cassirers Philosophie der symbolischen Formen. Methodologisch gesprochen, steht Bollnow der Phänomenologie nahe. Norberg-Schulz stuft sein Buch entsprechend als spekulativ und unwissenschaftlich ein. Er hat offensichtlich nicht erkannt, dass die Phänomenologie ihre Theorien nicht durch Systematik und logisches Kalkül konstruiert, sondern vielmehr eine klare Sicht im philosophischen Sinne kultiviert. Wie es der Begriff Phänomenologie ausdrückt, widmet diese sich der Beschreibung von Phänomenen mit der überzeugung, dass das untersuchte Objekt unter wohl begründeten Reflexionen sein wahres, reines Wesen enthüllt. Und in der Tat, Bollnow scheint auf die wesentliche Struktur des Raumes gestossen zu sein, indem er ihn in enger Beziehung zum menschlichen Erleben und Verhalten und zu Bedingungen der Umwelt beschreibt. Es leuchtet ein, dass dies auch in einem anthropologischen Sinne von Bedeutung sein muss. Im Kontrast zu Norberg-Schulz' noch stark dem herkömmlichen Architektur-Rationalismus verhafteten Raum-Konzept ist Bollnows Sichtweise tief humanistisch, indem er den Menschen und seine unmittelbare Umgebung ins Zentrum all dessen setzt, was er beschreibt. Es glingt ihm, einen ungeheuren Reichtum an neuen Einsichten vorzulegen, die das Raumkonzept der Architektur als recht klägliches Instrument erscheinen lassen. In der Tat, man ist versucht, sich vorzustellen wie anders Architektur heute verschieden sein könnte, wenn anstelle der Postmoderne Bollnows Konzept in den letzten dreissig Jahren sich zur Grundlage architektonischen Räsonnierens entwickelt hätte. Seine Methode spiegelt sich auch im Inhalt des Buches, das einen reichen Katalog von Zugängen und Themen präsentiert. Aber diese Komplexität sollte einen nicht verwirren. Im Gegenteil, die phänomenologische Methode definiert ihr Objekt über die grösstmögliche Zahl von Annäherungen, und Bollnows Methode spiegelt in diesem Sinne nur die faktische Komplexität des Raumes. Offensichtlich hat Bollnow wichtige Impulse von der Struktur der deutschen Sprache erhalten. Im Gegensatz zu den stark rationalisierten Sprachtraditionen wie z.B. jenen der romanischen Sprachen, insbesondere des Französischen, hat die deutsche Sprache viele ihrer primitiven Wurzeln nicht verloren. Vor allem hat sie zahlreiche Begriffe bewahrt, die auf ursprüngliche Bedingungen von Räumlichkeit hinweisen. Wörter, die ganz andere Bedeutungen implizieren als die entsprechenden romanischen Begriffe (z.B. 'Platz' gegen 'Ort', 'Stelle', 'Heim'). Entsprechend gründen sich wesentliche Teile von Bollnows Diskussionen auf die Wort-, Sprach- und Ideengeschichte, wie sie sich vor allem in der Literatur niedergeschlagen hat. Bollnow macht damit auch deutlich, dass Etymologie zur wichtigen Quelle für die Erforschung menschlicher Raumkonzpete und Architekturbedingungen werden könnte. 3 Im weiteren beschäftigt sich Bollnow ausführlich mit den philosophischen Diskussionen seiner Zeit, insofern sie sich auf sein Thema beziehen. In einem weiteren Rahmen verwendet er europäische, teilweise auch nicht-europäische kulturgeschichtliche Aspekte sowie Ansätze aus der Ethnologie. Mircea Eliades Strukturgeschichte der Religion spielt dabei eine wichtige Rolle. Aber Bollnow bleibt skeptisch hinsichtlich seiner metaphysischen Interpretation, die scharf im Kontrast steht zu seinem eigenen humanistischen Ansatz. Das Buch gliedert sich in fünf Teile mit den Titeln: 'Die elementare Gliederung des Raums', 'Die weite Welt', 'Die Geborgenheit des Hauses', 'Aspekte des Raums' und 'Die Räumlichkeit des menschlichen Lebens'. Wir wollen im folgenden versuchen, einen kurzen Abriss der wichtigsten Gedanken unter Wahrung der Grundstruktur des Buches zusammenzustellen, soweit dies bei einem Text von mehr als dreihundert Seiten möglich ist. DIE ELEMENTARE GLIEDERUNG DES RAUMS Im ersten Teil verwendet Bollnow verschiedene Quellen, die zeigen, dass Raum in seinen Ursprüngen kein unendliches Konzept war, sondern im Gegenteil mehr oder weniger klar begrenzt, definiert, umgebungsmässig bestimmt und eng mit der Siedlungsgeschichte verbunden war. Geschichte Raum ist nicht homogen, sondern gegliedert. Diese Vorstellung findet sich schon in Aristoteles' verwirrender Diskussion im vierten Buch seiner Physik - der ersten Abhandlung über Probleme des Raums in der abendländischen Denktradition. Aristoteles bringt Raum mit den vier Elementen (Feuer, Luft, Wasser, Erde) zusammen und lehrt deren "natürliche Gliederung", indem jedes Element eine natürliche Richtung vorsehe. Zum Beispiel nach oben im Falle des Feuers und leichter Dinge, und nach unten mit Bezug auf Erde und schwere Dinge. Bollnow hebt hervor, dass sich dieses Konzept grundlegend von unserer modernen Raumvorstellung unterscheidet. Weiter enthält der aristotelische Raumbegriff einen anderen, verwirrenden Aspekt. Was wir als Ort (topos) bezeichnen würden, erscheint irgendwie hierarchisch herausprojiziert vom Lokalen in kosmische Dimensionen und zeigt so Ausdehnung, die Bollnow mit einem Behälter vergleicht. Schluss: Aristoteles' Sicht des Raums ist keinesfalls eine des endlosen mathematischen Raums, sondern er ist begrenzt selbst in seinen extremsten Ausdehnungen zur Leere hin, "die vom Himmelsgewölbe eingegrenzt wird." (:30) Etymologie Dass Raum ursprünglich als begrenzt verstanden wurde, legt auch die Etymologie des deutschen Wortes Raum nahe. Grimm leitete es von der entsprechenden Verbalform "räumen" ab, im Sinne des Räumens eines Teils von Wildnis mit der Absicht, sich dort niederzulassen und eine Wohnung zu errichten. Bollnow geht ausführlich auf diesen Punkt ein, gibt zahlreiche Beispiele zum Alltagsgebrauch verwandter Begriffe, zeigt, dass die Wurzeln des Wortes sich eng auf das Wohnen und die menschlich geordnete Umgebung beziehen. Entsprechend verweist das Wort Raum, mit bestimmtem oder unbestimmtem Artikel gebraucht (z. B. als verallgemeinerter Begriff für die Räume eines Hauses) auf Bauten. In diesem Sinne gebraucht, ist Raum unvereinbar mit Orten im Freien (z.B. Versammlungsorte). Auch ohne Artikel gebraucht, erscheint er in enger Beziehung zur menschlichen Umgebung, meist in der Bedeutung von Bewegungsraum zwischen Dingen oder Objekten. Erst sekundär bezieht sich das Konzept des Raums auf ausgedehnte Bedeutungen ("raume" gleich offene See; Weltraum etc.). Ähnlich erscheinen verwandte Begriffe immer auf Objekte der menschlichen Umgebung angewandt. So zum Beispiel 'Ort' (als punktualisierte Lokalisation, die sich ursprünglich auf spitzige Dinge, wie Speere [Ortsmarken?], oder Landformen wie Landzungen usw. bezog), oder 'Stelle' (prinzipiell bezogen auf gebaute Konstruktionen oder Möbel) oder 'Fleck' (horizontale Ausdehnung von Land, Marktplatz usw.). Diese höchst überzeugende Betonung der umweltlichen Ursprünge des Raumbegriffes hat weitreichende Konsequenzen, nicht nur für die Architekturforschung und die Architekturtheorie, sondern auch für das ganze menschliche Selbstverständnis, insofern unsere Ontologien und unsere Metaphysik primär auf Kosmologien fussen. Anders gesagt, Bollnow fordert eine dramatische Umkehr, eine 'Implosion' unserer Raumkonzpete. Eine Implosion, die, nebenbei, in der Oekologie und in den tierischen Verhaltensforschung bereits gut etabliert ist (Uexküll), nicht aber in der Architektur und im Städtebau. Richtungselemente und Axialität Die folgenden Abschnitte in Bollnows Buch handeln von räumlichen Richtungselementen. Auch hier baut er genial etablierte Systeme ab. So etwa z.B. Axialität. Schon die Paare, die bereits Aristoteles anführte (oben/unten, vorne/hinten, rechts /links), seien Kontraindikationen für Homogenität, besonders wenn sie nicht einfach im Rahmen linear axialer Systeme interpretiert erscheinen, sondern bezogen sind auf objektive Realität. So begreift Bollnow Erde und Luft als zwei absolut verschiedene "Halb-Räume", die für menschliches Leben notwendig komplementär sind. Verliert der Boden seine Qualität des Stützens, so erscheint die menschliche Existenz bedroht. Bollnow bezieht sich hier auf Kierkegaards Konzept der Angst. Auch die Paare vorne/hinten und rechts/links zeigen in ihren engen Verflechtungen mit Ideologie und moralischen Werten ganz klar ihre enge Beziehung zur Kulturgeschichte, aber offensichtlich nicht, wie allgemein veranschlagt, im anthropomorphen Sinne, sondern im Bezug zur räumlichen Organisation der Umgebung. Fixpunkte Besonders wichtig ist Bollnows Einsicht über die Existenz von Null- und Fixpunkten im humanen Raumkonzept. Er beschreibt ausführlich die Polarität von Weggehen und Zurückkommen zu angestammten Orten (Heim) oder temporären Nullpunkten (Hotelraum in einer fremden Stadt) und sieht in ihnen essentielle Bezugspunkte in einem subjektiven Orientierungssystem. Er nennt dies die "Mitte des Raums". 4 "Wenn wir die Wohnung wechseln, so baut sich von der neuen Wohnung aus die Welt in einer neuen Weise auf." (:58) Soziale und räumliche Hierarchie von Zentrumsmarkierungen Dieses fundamentale Konzept wird dann in triangularen Beziehungen zwischen Individuum, Sozialem und dem hierarchischen System von Markierungen solcher zentraler Punkte (Wohnung, Kirche, Markt, Stadt- und Staatszentrum) behandelt. In diesem Zusammenhang beschreibt Bollnow altüberlieferte Ideen, die solche Fixpunkte als Markierungen der "Mitte der Welt" oder der "Weltachse" (axis mundi) interpretierten. Er zählt auch viele konkrete Symbole auf, die in verschiedenen Kulturen solche zentralen Fixpunkte kennzeichnen (Pfeiler, Paläste, Heiligtümer, heilige Berge). Mit Bezug auf Haberland (Raumkonzepte der Naturvölker, 1957) und Brunner (zum Raumbegriff der Aegypter, 1957) erklärt er Phänomene dieser Art dualistisch auf der Ebene von Spannungen zwischen dem bewohnten Raum und dem umgebenden Chaos und klassifiziert sie - in scharfem Kontrast zu Eliade - als begrenzten Raum. Dieser Teil, der zahlreiche Beispiele von symbolischen Markierungen solcher Fixpunkte behandelt, ist äusserst wichtig, da er im Keim eine Ethnologie des Raumes skizziert. Fluss und Windrose als Orientierungssystem Andere Richtungssysteme sind die vier Himmelsrichtungen, die in verschiedenen Kulturen ganz unterschiedlich interpretiert worden sind (Frobenius: goldene Pfeiler, die den Himmel stützten). Mit Bezug auf Jensen (1947) erwähnt Bollnow den Fluss als zentrales Orientierungssystem, das auf horizontaler Ebene wichtige Kategorien (aufwärts - abwärts, links - rechts) mit Bezug auf das von den Bergen zu Seen oder zum Meer fliessenden Wasser enthält. Solche Richtungssysteme sind zuweilen für das moderne Richtungsverständnis recht verwirrend, vor allem wenn in überschaubaren Kulturzonen Flüsse von zentralen oder mittigen Gebirgen in verschiedene oder gegenläufige Richtungen fliessend zugleich die kulturellen Orientierungssysteme bilden. Sie werden jedoch sinnvoll, wenn man raum-entwicklungstheoretisch solche Flussysteme gegenüber der kosmischen Orientierung als primär betrachtet. Auch mit diesen Beschreibungen gibt Bollnow zahlreiche wertvolle Hinweise zu einem Forschungsprogramm, das sich ethnologisch und interkulturell vergleichend mit Raumkonzepten zu befassen hätte. Schluss Kurz, das erste Kapitel behandelt vorerst elementare Raumkonzepte, die in der humanen Umgebung wurzeln und insbesondere im anthropologischen Sinne in enger Beziehung stehen zum Wohnen und zur Siedlung. Der allgemeine Schluss aus diesem Teil: Raum ist in seiner primären Struktur keineswegs homogen. Bollnows Argumente für die umweltlichen Ursprünge der Raumwahrnehmung sind absolut überzeugend. Dies wird besonders wichtig im Hinblick auf den zweiten Hauptteil. DIE WEITE WELT Der zweite Teil kontrastiert stark mit dem ersten. Der erste Teil befasst sich mit lokalisierten, mehr oder weniger permanenten Orten, im zweiten geht es Bollnow in drei Kapiteln ('das Weite, Fremde und Ferne', 'Der Weg und die Strasse', 'Der Wanderpfad') um räumliche Ausdehnung und Bewegung. Damit erscheint ein wichtiges Strukturelement in Bollnows Werk. Er stellt sein Raumkonzept in komplementären Gegensätzen dar. Offensichtlich hat das mit der Sache zu tun, die er behandelt. Auf welcher Ebene auch immer, der erfahrene Raum ist nach komplementären Prinzipien strukturiert. Bollnow beschreibt die Dynamik von "vor und zurück", die "grundlegende doppelte Bewegung von Weggehen und Zurückkommen", die menschlichen Raum gliedert. Dies führt ihn zur Beschreibung aller Arten von Pfaden, Wegen und Strassen und wie Raum entlang solcher Bewegung erfahren wird. <5> Später hören wir über den hodologischen Raum. Dies ist ein Typus von Raum, der sich absolut vom mathematischen Raum unterscheidet. Hodologischer oder Weg-Raum entspricht dem faktischen menschlichen Erleben auf dem Weg zwischen zwei Punkten auf einer Karte. Er ist absolut verschieden von der geometrischen Linie, die zwei Punkte verbindet. Eine andere Idee, die Bollnow hervorbringt, ist von grösster Bedeutung. Raum war nicht einfach von Anfang an da, wie wir das mit dem euklidischen Verständnis veranschlagen. Raum im menschlichen Sinne, hat sich entwickelt. Als menschliche Perzeption, die eng mit der Kultur zusammenhängt, war Raum ursprünglich eng mit der Siedlung, mit der Geschichte des Wohnens verwoben und entwickelte sich in der Folge durch die Ausdehnung der räumlichen Wahrnehmung des Menschen. Bollnow zeigt dies mit überzeugenden Argumenten. Enorme Veränderungen ereigneten sich zu Beginn der Neuzeit. Diese Veränderungen charakterisiert er mit einem historischen Schlüsselereignis. Der Dichter Petrarca besteigt 1336 die Spitze des Mont Ventoux und beschreibt die grandiose Erfahrung der endlosen Himmel. Es ist bezeichnend für die Zeit, dass Petrarca in der Beschreibung nicht den äusseren Ausdehnungen folgt, sondern vielmehr den Spiegelungen des Endlosen in seiner Seele. Reflex im Begrenzten. Bollnow bringt diese entscheidende Veränderung zusammen mit dem, was später folgt: die Entdeckung der planetarischen Mechanik, der Wechsel vom geozentrischen zum kosmischen Weltbild, der plötzliche Mut auch, die Ozeane zu überqueren, sich von der früheren Küstenschiffahrt abzuwenden, sich aufs offene Meer zu wagen. Ergebnisse dieses neuen Raum-Bewusstseins: die Entdeckung Amerikas und die seltsamen Denk-Spuren, die dies zurückliess (West-Indien), sowie auch die Entdeckung zahlreicher, ferner und exotischer Kulturen. Kurz: das Zeitalter der Entdeckungen. Bollnow weist in diesem Zusammenhang hin auf Sedlmayers Begriff "Verlust der Mitte". Die menschliche Psyche verlor ihre naiven Wurzeln im angestammten Geburtsplatz, in dem Ort den man früher für die Mitte der Welt hielt. Die Position des Menschen in dieser Welt wurde tief in Frage gestellt und im Zuge der neuen räumlichen Dimensionen, die nun plötzlich ins Gesichtsfeld traten, vernichtet. Kopernikus' Kugelform der Erde löste das frühere ptolemäische System auf, das seit der Antike die Welt auf einer Scheibe um das Mittelmeer sah. Die Sonne wurde zum Zentrum unseres Planeten-Systems, die Himmelräume lösten sich in Unendlichkeit auf. Der berühmte Holzsschnitt des Mannes, der seinen Arm durch die himmlische Kuppel gegen die Unendlichkeit streckt, beschreibt wohl am eindrücklichsten diesen Paradigmenwechsel. Die meisten sind heute mehr oder weniger vertraut mit diesem gewaltigen Ideenwandel, der jetzt natürlich in unser Fortschrittsdenken integriert ist. Aber kaum jemand denkt darüber nach, was dies im Hinblick auf die andere Seite der Entwicklung, jene der Voraussetzungen, bedeutet. Nämlich, dass Raumkonzepte ursprünglich offenbar auf sehr eng begrenzte Umweltbedingungen beschränkt waren. Wir haben die Konsequenz bereits angedeutet. Es würde nicht nur eine grundlegende Revision der Architekturtheorie bedeuten, vielmehr werden jene, welche die kulturellen Implikationen des Raumes etwas kennen, schnell einsehen, dass dieser Ansatz manch einen unserer berühmten Philosophen vom hohen Sockel stürzt (Platon, zum Beispiel). Sie stellt die idealistische Metaphysik und die Theologie mit ihrer primär kosmologisch begründeten Schöpfungsgeschichte fundamental in Frage. Barock-Architektur und die Ekstase der Endlosigkeit Bollnow beschreibt diesen Wandel auch, wie er sich in der Barocken Architektur niederschlägt. Eine Ekstase von Endlosigkeit findet statt. Abschlüsse des architektonischen Raums werden mit verschiedenen Mitteln (plastische Dekorationen, Spiegel usw.) versteckt und verkleidet. Perspektiven führen durch endlose Serien von Hallen und Räumen, vermeiden klar definierte Grenzen. Raumdecken öffnen sich gegen den Himmel und wie im Fall des Petrarca ereignet sich die Perzeption unendlicher Räumlichkeit durch das Verschränken von Gegensätzen zwischen geschlossenen und offenen Räumen. Weite und Enge Weite ist das Gegenteil von Enge. Auch hier werden polare Gegensätze zur Illustration von Begriffen verwendet. Bollnow zeigt, dass diese Gegensätze auf ganz verschiedenen Ebenen angewendet werden. Kleider können eng sein, ebenso eine Wohnung, eine Stadt, ein Tal, eine Landschaft, ein Land und alle können mit ihrem Gegensatz, dem räumlich Weiten kontrastiert werden. Fremder, ferner Raum macht auch Sinn, wenn er im Gegensatz gesehen wird zu dem was zur Hand ist und was man kennt. Bollnow zitiert Rilke, Hesse und insbesondere Nietzsche, die alle für den Ausgleich zwischen dem Fernen und dem Nahen, zwischen dem Unbekannten und dem Bekannten, im Hinblick auf die Formation menschlicher Persönlichkeit und Charakter votiert haben. Typologie der Bewegungen ausserhalb des Hauses Eine lange Diskussion widmet sich verschiedenen Typen von Pfaden, Wegen und Strassen, die auf verschiedenen Ebenen die Bewegung des Menschen voraussetzen. Auch Tiere haben Pfade, auf denen sie sich nach aussen bewegen und zurückkehren zu ihren Fixpunkten. Strassen entwickeln sich oft aus einfachen Fusswegen, manchmal über sehr kurze, manchmal über lange Zeitperioden. Strassen ziehen Verkehr an, sie entwickeln sich mit der Entwicklung der Technologie. Ursprünglich waren sie eng gebunden an die Landschaft. Die moderne Technik erlaubt einen höheren Grad von Unabhängigkeit. Bollnows Typen von Bewegungen ausserhalb des Hauses sind sehr komplex, bringen viele wertvolle Einsichten, besonders wenn man sie mit den ärmlichen Stereotypen der Architekturliteratur vergleicht (z.B. Ch. Alexander: 'Community and Privacy'). Die fundamentale Einsicht, die Bollnow uns hier vorlegt, ist die folgende. Er beschreibt wie Mobilitätsnetzwerke unsere Raumerfahrung beeinflussen. Die Strassen einer Stadt nehmen eine gewisse Autonomie an, schaffen ihre eigenen räumlichen Bedingungen, bewirken eine homogene Landschaft eigener Art. Linschoten hat ebenfalls den Wegraum als "unkultivierten Raum", oder drastischer, als eine Art Wüste bezeichnet. Das System der Strassen ist nicht mehr direkt bezogen auf dieses oder jenes Haus, es bildet einen überindividuellen Typus von Raum. Es ist neutral, hat aber seine eigene Objektivität, insofern es das gemeinschaftliche System räumlicher Kommunikation bildet. Das Individuum verliert seine häuslichen Prägungen, wird anonym. Aehnlich verliert die Landschaft ihre Individualität, zum Beispiel wenn sie aus dem Fenster eines fahrenden Wagens betrachtet wird. Neue Prinzipien dominieren: die Bedingungen, der Zustand der Strasse, die Effizienz des Bewegungsmittels. Wegweiserzeichen, Ortsnamenschilder werden nötig, um die Orientierung dem mit der Gegend nicht vertrauten Reisenden zu ermöglichen. "Jede Strasse führt zum Ende der Welt". Nach Linschoten steht die Strasse zum Wohnraum in exzentrischer Beziehung. Sie ist der Ausdruck einer Welt, in der der Mensch nicht mehr länger ganz zu Hause ist. Auf der anderen Seite finden wir zahlreiche symbolische und philosophische Konzepte bezüglich Pfad, Strasse, Bewegung (z.B. das Tao im alten China, in der Literatur: der Mensch als dauernder Wanderer, der nie einen dauernden Ruheort findet). Durch sein ganzes Buch hindurch betont Bollnow diese zwei Aspekte. Der Mensch ist Wohnender und Wanderer, ist zentriertes und exzentrisches Wesen. In verschiedenen folgenden Paragraphen klingt in phänomenologischen Reflexionen oder Erörterungen zu literarischen Quellen dieses Grundthema an. Doch, wir gehen hier nicht im Einzelnen darauf ein und gehen zum nächsten Teil über. DAS HAUS UND DAS GEFÜHL FÜR SICHERHEIT Hatte der erste Teil von der Entwicklung der engräumlichen Umgebung des Menschen eher theoretisch gehandelt, so wird Bollnow jetzt zum gleichen Thema konkret. Das Haus wird diskutiert, die Architektur kommt zur Sprache. Die Untertitel sind: 'Die Bedeutung des Hauses', 'Der sakrale Raum', 'Die Wohnlickeit', 'Tür und Fenster', 'Das Bett', 'Das Aufwachen und das Einschlafen'. Das Haus hat archetypische Werte bewahrt Bollnow zitiert verschiedene Autoren, die das Haus als Zentrum der Welt charakterisieren. Dieses mythische Bild einer lokalen Weltachse ist im Zuge der Entwicklung aufgegeben worden zugunsten grossräumlicher Dimensionen, wie wir es oben erwähnten, aber es bleibt weithin erhalten auf der Ebene des Hauses. Die moderne Gesellschaft wird sich heute wieder bewusst werden müssen, dass Wohnen eine grundlegende Bedingung des Menschen ist. Es bietet viel mehr als blosse Existenz. Die Argumentation versteht sich auch kritisch gegen den Existentialismus, der den Menschen als-zufällig-in-die-Welt-geworfenen, ewigen Fremden begreift. Nach Bollnow hingegen bedeutet Wohnen zu Hause sein, das heisst sich an einem besonderen Ort mit besonderen Bedingungen zu befinden. Viele aufs Haus bezogene Begriffe drücken ein Gefühl der Sicherheit und des Schutzes aus. Die anthropologische Funktion des Hauses Bollnow geht hier sogar weiter, indem er eine "anthropologische Funktion des Hauses" im gesamten Kontext menschlichen Lebens postuliert: ein Gefühl von Sicherheit sei grundlegend für die Selbstidentifikation des Menschen. Nur als Wohnender kann er sein eigenes Wesen finden und im vollen Sinne Mensch sein. Ohne Wohnung "ist die innere Zerstörung des Menschen unvermeidbar." (:136) Er bezieht sich auf Goethe, der in seinem Faust einen seiner Wohnung beraubten Menschen als "nicht-menschliches Wesen ohne Ziel und Ruhe" bezeichnet hat. Bollnow weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die "anthropologische Funktion des Hauses" wieder neu entdeckt werden müsse. Nach dem Zusammenbruch vieler konventioneller Systeme ist jedoch jede Anspielung auf Sicherheit verdächtig geworden. Er kritisiert Schiller, der die Bedeutung des Hauses vernachlässigt und sich dafür ausspricht, man müsse sich mit der feindlichen äusseren Welt auseinandersetzen. Bollnow betont dagegen das polare Ausgewogensein zwischen exzentrischer Spannung der Aussenwelt und zentrischer Ruhe im geschützten Haus. In seinen Augen ist diese Ausgewogenheit die Voraussetzung für menschliche Gesundheit. Heiliger Raum Die folgenden Untertitel behandeln die enge Beziehung zwischen heiligem Raum und dem geschützten Raum des Hauses. Das profane Raumkonzept von LeCorbusiers Wohnmaschine konnte dieser heiligen Bedeutung nichts anhaben. Sie kommt in der individuellen und sozialen Kontrolle über die private Sphäre zum Ausdruck. Niemand darf ohne die Einwilligung des Bewohners eine Wohnung betreten. Der Privatraum ist gesetzlich geschützt. "Haus und Tempel sind wesentlich eins." (Van der Leeuw) Schutzfilter Höchst bereichernd sind Bollnows Beschreibungen objektiver Elemente, die die Privatheit des Hauses garantieren. Jeder Wohnraum setzt Oeffnungen nach dem Aussen hin voraus, sonst werden Innenräume zu Gefängnissen. Die "Semipermeabilität" des Tors oder der Türe ermöglicht das Oeffnen und das Schliessen. Derjenige, welcher eine Wohnung besetzt oder besitzt, entscheidet, wann und wem er seine Türe öffnet. Dies bringt eine persönliche Freiheit mit sich, sich in die eigene Domäne zurückzuziehen. Der Wohnende unterscheidet zwischen Freunden, die Zugang haben, und Fremden, die ausgeschlossen bleiben. Schlösser und Schlüssel sind wesentlich für diesen sozialen Mechanismus vorgesehen. Auch traditionelle Vorstellungen haben aus den gleichen Gründen die Schwelle mit sehr hohen Werten belegt. Heute sind diese Werte am Verschwinden, weil die Sicherheit auf einer höheren sozialen Ebene (Stadt, Staat) garantiert werden. Das Fenster ist nicht nur eine Vorrichtung, um Tageslicht hereinzulassen. Es ist auch das "Auge des Hauses", das uns das Beobachten der Aussenwelt erlaubt. Oft wird diese wechselseitige Beziehung gefiltert. Vorhänge erlauben eine Sicht nach aussen, ohne dass der Sehende von aussen gesehen werden kann. Bollnow weist auch auf die Bedeutung des Fensters in der Romantik und in einigen Schriften Rilkes hin. Das Fenster gilt ihm als Rahmen, der einem Ausschnitt des Aussen ein besondere Bedeutung verleiht. Das Bett Ein ausserordentlich wichtiges Element in Bollnows anthropologischer Betrachtung des Hauses ist das Bett. Der Herd hat seine Bedeutung als Zentrum des Hauses verloren, später wurde er teilweise ersetzt durch den Tisch für Familienmahlzeiten, aber selbst heute sei das Bett das wichtigste Zentrum. Am Morgen ist es der Ausgangspunkt zur Arbeit im Aussen, abends ist es der Rückkehrspunkt nach einem beschäftigten Tag. Weiter ist es die intimste Domäne des Hauses oder einer Wohnung. Im allgemeinen ist das Schlafzimmer für Besucher nicht zugänglich. Dieser tägliche Zyklus des Gehens und Kommens wiederholt sich auf der Ebene des Lebenszyklus. Der Mensch wird gewöhnlich in einem Bett geboren und in einem Bett sterben. Das Bett hat auch eine interessante Kulturgeschichte. Sie beginnt mit einfachen Vorrichtungen, etwa einem primitiven Loch, gefüllt mit Stroh als Schlafplatz. Und sie erstreckt sich über zahlreiche Arten hin bis zu stabilen Anlagen, Möblen. Nennen wir etwa das Himmelbett, ein Haus im Haus, eine kleine Welt in der grossen Welt. Die Phänomenologie von Aufwachen und Einschlafen Diese kulturellen Ausrüstungsgegenstände beziehen sich auf eine physische Polarität des Menschen, die Bollnow in alle Einzelheiten und in komplexen Beziehungen beschreibt. Stehen und Liegen, physische Aktivität und Ruhe, Muskelspannung und deren Entspannung, bewusste Wahrnehmung der Umgebung und Aufgabe aller sinnlichen Beziehungen im Schlaf. Bollnow misst all diesen polaren Beziehungen Bedeutung zu und beschreibt sorgfältig auch Uebergangsstadien, so etwa das Aufwachen und das Einschlafen. Er präsentiert interessante Beobachtungen über die tägliche Rekonstruktion der persönlichen Raumwelt und deren Auflösung im unbewussten Zustand des Schlafens in der Nacht. Der Leser, der sich durch all diese überzeugenden Beschreibungen humaner Bedingungen durchgearbeitet hat, wird sich am Ende mit Schrecken der Künstlichkeit moderner Entwurfsprinzipien gewahr und wird sich wohl plötzlich auch bewusst, wie sehr die Architektur heute all diese elementaren Beziehungen von Mensch und Raum verdrängt. ASPEKTE DES RAUMS Der vierte Teil führt eine Typologie von Räumlichkeiten vor, die verbunden sind mit bestimmten menschlichen Verhaltensweisen ('Der hodologische Raum', 'der Handlungsraum', 'der präsentische Raum'), oder sich mehr auf Umweltbedingungen beziehen ('der Tagraum und der Nachtraum'), oder zwischen beiden stehen ('der gestimmte Raum' und 'der Raum menschlichen Zusammenlebens'). Der hodologische Raum Der Begriff hodologischer Raum ist vom griechischen Wort hodos ('Pfad', 'Weg') abgeleitet. Im Gegensatz zum mathematischen Konzept des Raums, wie er in Karten, Plänen und dergleichen dargestellt wird, baut sich der hodologische Raum auf faktisch-topologischen, physischen, sozialen und psychologischen Beding- ungen auf und wird auf dem Weg von A nach B erlebt, sei dies nun in offener Landschaft oder im urbanen Raum mit dominant architektonischen Bedingungen. Bollnow führt zahlreiche Beobachtungen zu kulturellen Bedingungen entlang hodologischer Linien auf, oft im Vergleich und in Gegenüberstellung zum geometrischen Aequivalent (Sprache und Kultur in Bergtälern; traditionelle Verkehrsbedingungen in Bergregionen; Wahrnehmung einer Landschaft, in der Krieg herrscht mit ihrem absoluten Brennpunkt, der Front). Von ganz besonderem Interesse ist die Beschreibung des Höhlencharakters der Wohnung. Im Plan eines Architekten können zwei Punkte zweier verschiedener Wohnungen ganz nahe, nur durch eine Mauer getrennt, nebeneinander liegen. Was es aber jemanden unter Umständen an physischem und sozialem Aufwand kostet, um vom einem dieser beiden zum andern Punkt zu gelangen, das beschreibt Bollnow sehr eindrücklich und überzeugend. Die "lebendige Geometrie" der "hodologischen" Verbindung sieht ganz anders aus, als dies sich der Architekt denkt. Kurz, Bollnow präsentiert hier ein Lehrstück für Designer und Architekten, das sie anhalten sollte, ihre Bleistiftstriche etwas vermehrt zu reflektieren! Der Handlungsraum In Erweiterung des hodologischen Konzepts unterscheidet Bollnow 'den Handlungsraum' und beschreibt diesen als dreidimensionales ergologisch geprägtes Raumkonzept. Das heisst, der Handlungsraum organisiert und strukturiert sich entsprechend der menschlichen Arbeit (Vorratsraum, Magazin, Werkstätte, Studierplatz, Bibliothek usw.; siehe hierzu Heideggers Begriff der "Zuhandenheit"). Bemerkenswert in diesem Sinne sind Bollnows genetische Beobachtungen zu diesem Raumtyp: räumliche Umgebungen sind nur in beschränktem Umfang vom menschlichen Individuum selbst geordnet. Wir alle sind in solche Ordnungen hineingeboren, lernen sie, und die immanenten Werte, die sie bedingen, kennen, lernen uns in Form von "Ordentlichkeit" an sie anzupassen. Jeder von uns kennt diese Forderungen der "guten Erziehung", der "guten Kinderstube". Dilthey hat diesen geordneten Raum im Sinne Hegels als "objektivierten Geist" aufgefasst und zweifellos ist dies besonders für die Architektur von Bedeutung. Doch, wird Architektur als Kontinuum in anthropologischen Dimensionen interpretiert, so kann dies natürlich nicht mehr bloss auf der philosophischen Ebene abgehandelt werden. Tagraum und Nachtraum Tagraum ist Sichtraum, Nachtraum ist wesentlich Tast- (oder Berührungs-)raum und Hörraum (die Sicht ist ausgeschaltet). Innerhalb dieser Extreme beschreibt Bollnow sehr eindrücklich das differenzierte Spektrum von Zwielicht-, Dämmerungs- und Halblichträumen. Faszinierend ist vor allem der paradoxe Charakter des Waldes. Man ist in der Bewegung in jeder Richtung frei, doch die Sicht ist eng beschränkt. Wie ein Schatten begleitet ein mehr oder weniger enger Kreis den Wanderer. Aehnlich verhält es sich im Nebel, bei starkem Schneefall und in der Dämmerung. Die Raumbedingungen können sich je nachdem ganz grundlegend verändern. "Die Nacht erschafft tausend Ungeheuer" sagt Goethe. Der gestimmte Raum 47/Der euphorische und der deprimierende oder beengende Raum bezieht sich auf verschiedene äussere Bedingungen (Enge und Weite, die sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe, Innenräume) und innere Bedingungen (der beengende Raum des bangenden Herzens, der euphorische Raum). Bollnow belebt diese Konzepte reich mit Zitaten aus der Literatur, wissenschaftlichen Diskussionen (Binswanger) und mit seinen eigenen Reflexionen. Der präsentische Raum Dieses Kapitel beschäftigt sich vor allem mit dem Phänomen des Tanzes und wie dies die räumliche Wahrnehmung prägt oder verändert. Die raumschaffende Kraft der Liebe Dieser Untertitel im Kapitel 'Der Raum menschlichen Zusammenlebens' ist etwas vom Eindrücklichsten an Bollnows Beobachtungen und Reflexionen. Da ist auf der einen Seite der gnadenlose Kampf um den Lebensraum, der klare räumliche Barrieren setzt und auch unter Menschen oft zu erbitterten Rivalitäten führt. Und auf der anderen Seite gibt es jene 'raumschaffende Kraft der Liebe' und das seltsame Phänomen des 'liebenden Zusammenseins', wie es Bollnow beschreibt. Das heisst: bei Liebenden vergrössert sich der Raumbedarf quantitativ nicht wesentlich, "Liebende teilen sich in den selben Raum, sie schaffen sich ein Heim." DIE RÄUMLICHKEIT DES MENSCHLICHEN LEBENS 50/Der fünfte Hauptteil gibt eine theoretische Synthese des in den vorgehenden Teilen Erarbeiteten. Drei Kapitel mit den Titeln 'Im-Raum-sein und Raum-haben', 'Formen des Eigenraums' und 'Zusammenfassung und Ausblick'. Bollnow stellt vorerst den 'intentionalen Raum' der Psychologie in Frage und bringt seine eigene Definition des Raums als mehrdeutiges "Medium", das sich dialektisch zwischen Subjekt und Umgebung, zwischen (physischen und psychischen) Dispositionen und Umweltbedingungen aufbaut. Kritik am Existentialismus Die Hauptdiskussion stellt die existentialistische Position hauptsächlich Heideggers und Sartres in Frage: das "in die Welt geworfen sein". Seine eigenen Einsichten zusammenfassend stellt er ihnen die Bedingung des Wohnens entgegen als irgendwo verwurzelt sein, an einem bestimmten Ort geschützt sein, zuhause, daheim zu sein. Heidegger betont, dass man die Räumlichkeit des Menschen überhaupt ganz allgemein als "Wohnen" interpretieren könne. Er führt seine eigene Typologie des 'Eigenraums' an, die aus 'drei Domänen des Wohnens besteht (Leib, Haus, offener Raum) und findet seinen Standpunkt bestätigt durch die zoologische und Tier-psychologische Verhaltensforschung (Uexküll, Hediger, Peters, Portmann). Tiere leben nicht frei im homogenen Raum, sondern haben vielmehr Fixpunkte innerhalb definierter Territorien, von denen sie ausgehen und zu welchen sie zum Schutz und zur Ruhe immer wieder zurückkehren. Vier modifizierte Bereiche menschlicher Räumlichkeit Die Zusammenfassung bringt vier Bereiche menschlicher Räumlichkeit: ein primäres naives räumliches Vertrauen, das Gefühl der Sicherheit wie das eines Kindes. Diesem entgegengesetzt ist eine Angst der Heimatlosigkeit, die das Gefühl des Verlorenseins vermittelt. Dem steht wiederum die Institution des Hauses entgegen, indem sie gesellschaftlich sanktioniert Schutz bieten kann. Aber da jede Art solchen Schutzes immer relativ ist, ist eine höhere Ebene von Sicherheit in grösseren Raumeinheiten von Bedeutung. Offensichtlich stellt sich Bollnow in seinem philosophischen Standpunkt wesentlich auch gegen den Existentialismus, indem er dem Raum in seinen schützenden und differenzierenden Bedeutungen Priorität einräumt. Zusammen mit Bachelard veranschlagt er die "bewusste Metaphysik" des Existentialismus als sekundär: Bevor er "in die Welt geworfen wird, ... ist der Mensch in die Krippe des Hauses gelegt." SCHLÜSSE Wir sind den wichtigesten Gedankengängen der Studie Bollnows 'Mensch und Raum' gefolgt und versuchten einen Eindruck seiner breit und tief angelegten Untersuchungen zu vermitteln, soweit dies bei einem Buch mit mehr als 300 Seiten möglich ist. Es wurde deutlich, dass Bollnow in der Philosophie zu Hause ist, insbesondere in der Phänomenologie, und dass er es brilliant verstand, mit ihrer definierten Neugier für die zahllosen Aspekte dieses wichtigen Themas gleichsam wie auf einem Instrument zu spielen. Andersrum hat uns Bollnow auch ganz klar gezeigt, dass es sich bei der Untersuchung menschlicher Erfahrung des Raums nicht bloss um ein philosophisches Problem handelt. Im Gegenteil, er hat seine Bemühungen in die Psychologie ausgedehnt, in die menschliche Verhaltensforschung, ja sogar in die angestammten Bereiche der Architektur. Er behandelt das Wohnen in einem Bau, in einer Wohnung, in einem Haus. Zu Beginn unserer Rezension haben wir auf den Umstand hingewiesen, dass Bollnows Untersuchung der Beziehung von Mensch und Raum, zusammen mit Untersuchungen Mircea Eliades und Dagobert Freys, unter Vermittlung von Christian Norberg-Schulz auch in der Architekturtheorie eine gewisse Wirkung hatte. Entsprechend sollen im folgenden zum Abschluss kurz seine wichtigsten Ergebnisse, nun aber mehr im Rahmen der Architekturtheorie, herausgearbeitet werden. Zweifellos, in dieser Linie der Architekturtheorie liegt Bollnows wichtigster Beitrag. Dies, indem er einer 'Raumanthropologie' den Grund legte und auch bereits eine Art Forschungsprogramm zu einer 'Anthropologie des Wohnens', zu einer 'Bau- oder Architektur-Anthropologie' anklingen liess. Im folgenden deshalb eine kurze Aufstellung seiner wichtigsten Ansätze und Errungenschaften. 1 Das archaische Raumkonzept ist bezogen auf die Gründung von Siedlung und Wohnung. Gestützt auf die deutschsprachigen Etymologien um das Wort Raum und verwandter Begriffe zeigt Bollnow plausibel, dass das Raumbewusstsein ursprünglich eng der Umgebung des Wohnens und der Siedlungsgründung (räumen) verhaftet war. Auch der alltägliche Gebrauch des Wortfelds zeigt enge Beziehungen zur Wohnung, zu gebauten Objekten, zum Bauen allgemein. 2 Globale und kosmologische Raumkonzepte sind sekundäre Entwicklungen. Das globale und kosmisch unbegrenzte Raumverständnis ist eine sehr späte Entwicklung der europäischen Geschichte. Sie beginnt im 14. Jhdt. und weitet sich aus mit der modernen Geschichte der weltweiten Entdeckungen und der Wissenschaft. Entsprechend werden weiträumliche Ursprünge zur Fiktion. Frühe Ideologien müssen entsprechend im eng begrenzten lokalen Umraum rekonstruiert werden. Metaphysische Begründungen werden höchst fragwürdig. Die Untersuchung archaischer Siedlungen wird entsprechend ausserordentlich wichtig sein, auch im Hinblick auf nicht- eurozentrische Zugänge zur Kulturanthropologie. 3 Raum im anthropologischen Sinne ist nicht homogen. Bollnow stellt den Raum als perzeptive Entwicklung zwischen Mensch und Umwelt dar. Das konventionelle (historistisch deduktiv postulierte) Raumkonzept wird zur Fiktion. Es gibt unzählige Räume. Bollnow beschreibt ein weites Spektrum von Räumen bezogen auf Ruhe und Wohn-Ort, auf Bewegung entlang von Pfaden und Wegen, spricht ausführlich von Tag- und Nacht-Räumen, vom euphorischen Raum, vom momentanen Raum usw. Er entwickelt so nicht nur ein umfassendes Gerüst von Bezügen, er breitet einen reichen Katalog von Beschreibungen, Fragestellungen, Annahmen und Hypothesen zur Erforschung der räumlichen Konzepte des Menschen. 4 Raum ist grundlegend auf das Wohnen bezogen und zeigt existentielle Pole. Das Haus oder die Wohnung ist das wichtigste Zentrum des Menschen in seinem täglichen Leben, gegensätzlich zu seinen Bewegungen im anonymen und bewegten Aussen. Der Mensch braucht die Zentrierung im Heim absolut, besonders auch im Hinblick auf seinen nächtlichen Schlaf. Seine Wohnung formt den Fixpunkt in seiner mehr oder weniger stationären Existenz, ist Punkt der täglichen Rückkehr nach täglichen Beschäftigungen ausserhalb des Hauses. Auch hier legt uns Bollnow einen ganzen Katalog von überzeugenden Hypothesen vor über die Viel-Räumlichkeit des Lebens und Wohnens im und um das Haus. 5 Die Anthropologie des Raumes drückt sich in polaren Beziehungen aus. Bollnow benützt eine recht überraschende, neue Art des Denkens in komplementären oder relationalen Bezügen. Raum wird nicht klar als dies oder jenes definiert, es kommt vielmehr an auf die wechselseitigen Beziehungen verschiedener Domänen der menschlichen Existenz. Die menschliche Existenz erscheint so gleichsam als rhythmisches Pulsieren zwischen kontrastierenden Polen. Bollnow erarbeitet eigentlich eine "Relativitäts-Theorie" des Raums, eine Theorie, in welcher polare oder komplementäre Beziehungen räumlicher Aktivitäten und Erfahrungen von ausschlagebender Bedeutung sind. Umweltliche und menschliche Bedingungen strukturieren den Raum in polaren Beziehungen. Es scheint, dass Bollnow damit auf eine sehr alte und tief wurzelnde Wahrheit unserer räumlichen Existenz gestossen ist. 6 In engen Bezügen zu Mircea Eliade, aber im Gegensatz zu dessen religiöser Interpretation, betont Bollnow die Mittung des archaischen Raums und, dass solche "Mitte der Welt"- Bereiche objektiv markiert waren. Als Religionshistoriker hat Mircea Eliade Strukturprinzipien in der Weltvorstellung verschiedener Religionen herausgearbeitet, hat sie aber grundlegend theologisch als "Offenbarung" (Hierophanie) gedeutet und blieb so den konventionellen Bereichen der Metaphysik und der Theologie verhaftet. In scharfem Kontrast zu Eliade rückt Bollnow im Zuge seiner siedlungsgenetischen These des Umwelt-Ursprungs der Raumperzeption die räumlichen Aspekte religiöser Phänomene in den Vordergrund und bringt ein weites Spektrum objektiver und architektonischer Elemente mit solchen "Mitte der Welt"- oder "Axis Mundi"-Bereichen zusammen. Er baut damit die Grundlage für objektive oder induktive topographische und architektonische Studien der Religion. 7 Raum, einschliesslich das Wohnen und Bauen, ist ein wichtiges Objekt philosophischer und anthropologischer Forschung. Bollnows reiche und ausführliche Untersuchungen vermitteln eine starke Faszination. Absolut fundamentale philosophische und anthropologische Einsichten werden entwickelt. Dabei wird von einfachen Beobachtungen der menschlichen Umgebung ausgegangen. Die Argumente sind zwingend. Wir begreifen plötzlich, dass der quasi-religiöse Eifer des Historikers uns daran gehindert hat, eine der wohl wichtigsten menschlichen Bedingungen ernsthaft zu untersuchen: das Wohnen im Umraum als weltweit menschliche und kulturelle Wirklichkeit. Falls viele von uns in naher Zukunft auf breiter Ebene begreifen sollten, wie sehr zahlreiche vermeintlich etablierte Wahrheiten im Grunde auf räumlichen "Explosionen" der Neuzeit fussen und entsprechend geistig inkommensurable Fiktionen der europäischen Geisteswissenschaften erzeugten, so wird vielleicht Bollnow als wohl der wichtigste Vorläufer, ja Begründer einer räumlich "implodierten" Anthropologie gefeiert werden. Dem jedenfalls, der den Reichtum seines 1963 erstmals veröffentlichten Buches kennt, für den steht es ausser Frage: Bollnow hat als eigentlicher Vater der Raumanthropologie und zweifellos auch der Bau- oder Architektur-Anthropologie zu gelten. ANMERKUNGEN 1 Die vorliegende Untersuchung wurde erstmals unter dem Titel >Otto Friedrich Bollnow's Anthropological Concept of Space< am 5. Internationalen Kongress der >International Association for the Semiotics of Space<, 29. - 31 Juni 1992, Hochschule der Künste Berlin, vorgelesen. Kurz danach wurde eine leicht modifizierte Version am Symposium >The Ancient Home and the Modern Internationalized Home: Dwellling in Scandinavia< an der Universität Trondheim, Norwegen, 20. - 23. August 1992 präsentiert. Dessen Titel lautete: >Otto Friedrich Bollnow and the Ontology of Home and Movement outside. Euclidian Space, human behavioural Space and the harmonious or polar Space Concept. Suggestions for the revival of fundamental discussion of concepts of space<. 2 Der Autor dieses Buches ist von der anthropologischen Bedeutung dieses Raumkonzeptes überzeugt und ist in seinen eigenen Untersuchungen zu ähnlichen Resultaten gelangt sowohl ethnographisch (semantische und symbolische Architektur im Rahmen zyklischer Bau-Rituale des japanischen Dorfschinto) wie ethnologisch (Konzepte des Wohnens, Territoriums und des Raums bei einer Jäger- und Sammlerkultur, den Ainu imNorden Japans) und primatologisch (Untersuchung grundlegender Architekturphänomene wie der Nestbau der höheren Menschenaffen). 3 Siehe R. Meringer: Etymologien zum geflochtenen Haus. In: Abhandlungen zur germanischen Philologie. Festgabe für Richard Henzel. Halle a. S., 1898 4 Man muss hier anmerken, dass das deutsche Wort 'Mitte', im Unterschied zum englischen 'centre', nicht notwendigerweise Zentralität im Sinne eines Kreises bedeutet. Mitte kann auch halbwegs einer linearen Ausdehnung oder Mitte zwischen zwei Feldern oder zwei Räumen bedeuten. 5 Auch methodologisch ist dies sehr wichtig. Bollnows Methode ist prinzipiell induktiv. Er stellt das herkömmliche deduktive Konzept des homogenen Raumes fundamental in Frage, indem er das ganze Spektrum möglicher menschlicher Raumerfahrung analysiert. Diese Methode bringt ihn in eine enorme Vielfalt räumlicher Bedingungen, die jedoch auch gemeinsame Züge zeigen, sich somit - im Sinne der induktiven Methode - verallgemeinert sehen lassen.