MARTIN HEIDEGGER GESAMTAUSGABE I. ABTEILUNG: VEROFFENTLICHTE SCHRIFTEN 1910-1976 BAND 19 UNTERWEGSZURSPRACHE ., lleff VITTORIO KLOSTERMANN FRANKFURT AM MAIN MARTIN HEIDEGGER UNTERWEGSZURSPRACHE Jf6{i VITTORIO KLOSTERMANN FRANKFURT AM MAIN Text der durchgesehenen Einzelausgabe mitRandbemerkungen des Autors aus seinem Handexemplar Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann Dieser Band ist nur im Rahmen der Gesamtausgabe lieferbar © »Dnterwegs zur Sprache«: Verlag Gunther Neske, Pfullingen 1959 © der Gesamtausgabe: Vittorio Klostermann GmbH · Frankfurt am Main.· 1985 Satz und Druck: Poeschel & Schulz-Schomburgk, Eschwege AIle Rechtevorbehalten· Printed in Germany INHALT Die Sprache (1950) 7 Die Sprache im Gedicht (1952) Eine Erorterung von Georg Trakls Gedicht 31 Aus einem Gesprach von der Sprache (1953/54) Zwischen einem Japaner und einem Fragenden 79 Das Wesen der Sprache (1957/58) 147 Das Wort (1958) 205 Der Weg zur Sprache (1959) 227 259 Nachwort des Herausgebers 261 Der Mensch spricht. Wir sprechen im Wachen und im Traum. 11 Wir sprechen stets; auch dann, wenn wir kein Wort verlauten lassen, sondern nur zuhoren oder lesen, sogar dann, wenn wir weder eigens zuhoren noch lesen, stattdessen einer Arbeit nachgehen oder in der MuBe aufgehen. Wir sprechen standig in irgendeiner Weise. Wir sprecllen, weil Sprechen uns natiirlich ist. Es entspringt nicht erst aus einem besonderen Wollen. Man sagt, der Mensch habe die Sprache von Natur. Die Lehre gilt, der Mensch sei im Unterschied zu Pflanze und Tier das sprachfahige Lebewesen. Der Satz meint nicht nur, der Mensch besitze neben anderen Fahigkeiten auch diejenige zu sprechen. Der Satz will sagen, erst die Sprache befahige den Menschen, dasjenige Lebewesen zu sein, das er als Mensch ist. Als der Sprechende ist der Mensch: Mensch. Wilhelm von Humboldt hat dies gesagt. Doch es bleibt zu bedenken, was dies heiBt: der Mensch. In jedem FaIle gehort die Sprache in die nachste Nachbarschaft des Menschenwesens. Dberall begegnet Sprache. Darurn kann es nicht verwundern, daB der Mensch, sobald er sich denkend in dem umsieht, was ist, alsbald auch auf die Sprache trifft, urn sie in einer maBgebenden Hinsicht auf das, was sich von ihr zeigt, zu bestimmen. Das Nachdenken versucht, sich eine Vorstellung von dem zu verschaffen, was Sprache im allgemeinen ist. Das Allgemeine, das fur jede Sache gilt, nennt man das Wesen. Allgemeingiiltiges im allgemeinen vorstellen, das ist nach den herrschenden Urteilen der Grundzug des Denkens. Denkend von der Sprache handeln, heiBt demgemaB: VOID Wesen der Sprache eine Vorstellung geben und diese gegen andere Vorstellungen gehorig abgrenzen. Dergleichen scheint 12 auch dieser Vortrag zu versuchen. Allein, der Titel des Vortrags lautet nicht: Yom Wesen der Sprache. Er lautet nur: Die Sprache. »Nur« sagen wir und setzen doch offenbar einen weit an­ 10 Die Sprache maBenderen Titel tiber unser Vorhaben, als wenn wir uns dabei bescheiden, einiges iiber die Sprache zu erortem. Indes, iiber die Sprache sprechen ist vennutlich noch schlimmer als iiber das Schweigen schreiben. Wir wollen nicht die Sprache iiberfallen, urn sie in den Griff schon festgemachter Vorstellungen zu zwingen. Wir wollen das Wesen der Sprache nieht auf einen Begriff bringen, damit dieser eine liberall nutzbare Ansicht iiber die \1 Sprache liefere, die alles Vorstellen beruhigt. Die Sprache erortern heiBt, nieht so sehr sie, sondem uns an den Ort ihres Wesens bringen: Versammlung in das Ereignis. Der Sprache selbst und nur ihr mochten wir nach-denken. Die Sprache selbst ist: die Sprache und nichts auBerdem. Die Sprache selbst ist die Sprache. Der logisch geschulte, aIIes durchrechnende und darum meist hochfahrende Verstand nennt diesen Satz eine nichtssagende Tautologie. Zweimal nur das Gleiche sagen: Sprache ist Sprache, wie solI dies uns weiterbringen? Wir wollen jedoch nieht weiterkommen. Wir mochten nur erst einmal eigens dorthin gelangen, wo wir uns schon auf­ halten. Darum bedenken wir: Wie steht es mit der Sprache selbst? Darum fragen wir: Wie west die Sprache ais Sprache? Wir antworten: Die Sprache spricht. 1st dies im Ernst eine Antwort? Vermutlich schon; dann namlich, wenn ans Licht kommt, was sprechen heiBt. Der Sprache naehdenken verlangt somit, daB wir auf das Sprechen der Sprache eingehen, urn bei der Sprache, d. h. in ihrem Sprechen, nicht in unserem, den Aufenthalt zu nehmen. Nur so gelangen wir in den Bereich, innerhalb dessen es gliickt oder auch miBgliickt, daB aus ihm die Sprache uns ihr Wesen zuspricht. Der Sprache iiberlassen wir das Sprechen. Wir moch­ 13 ten die Sprache weder aus anderem, das nieht sie seIber ist, begrunden, noch mochten wir anderes durch die Sprache erklaren. Am 10. August 1784 schrieb Hamann an Herder (Hamann's Schriften, Ed. Roth. Bd. VII, S. 151 f.): »Wenn ich auch so beredt ware, wie Demosthenes, so wiirde Die Sprache 11 ich dorh nieht mehr als ein einziges Wort dreymal wiederholen mussen: Vernunft ist Sprache, AOyO;. An diesem Markknochen nage ich und werde mich zu Tode daruber nagen. Noch bleibt es immer finster iiber dieser Tiefe fiir mich; ich warte noch immer auf einen apokalyptischen Engel mit eine-m Schliissel zu diesem Abgrund.« Fur Hamann besteht dieser Abgrund darin, daB die Vernun.ft Sprache ist. Hamann kommt auf die Sprache zuriick bei dem Versuch, zu sagen, was die Vernunft sei. Der Blick auf diese fallt in die Tiefe eines Abgrundes. Besteht dieser nur darin, daB die Vernunft in der Sprache beruht, oder ist gar die Sprache selbst der Abgrund? Vom Abgrund sprechen wir dart, wo es vom Grund weggeht und uns ein Grund fehlt, insofern wir nach dem Grunde suchen und darauf ausgehen, auf einen Grund zu kommen. Indes fragen wir jetzt nicht, was die Vernunft .sei, sondeTIl denken sogleich der Sprache nach und nehmen dabei als leitenden Wink den seltsamen Satz: Sprache ist Sprache. Der Satz bringt uns nicht zu anderem, worin die Sprache griindet. Er sagt auch nichts damber, ab die Sprache selbst ein Grund fiir anderes sei. Der Satz: Sprache ist Sprache, laBt uns liber einen Abgrund schweben, solange wir bei dem aushalten, was er sagt. Die Sprache ist: Sprache. Die Sprache spricht. Wenn wir uns in den Abgrund, den dieser Satz nennt, fallen lassen, stlirzen wir nicht ins Leere weg. Wir fallen in die Rohe. Deren Roheit offnet eine Tiefe. Beide durchmessen eine Ortschaft, in der wir heimisch werden mochten, urn den Aufenthalt fiir das Wesen des Menschen zu fjnden. Der Sprache nachdenken heiBt: auf eine Weise in das Spre- 14 chen der Sprache gelangen, daB es sich als das ereignet, was dem Wesen der Sterblichen den Aufenthalt gewahrt. Was heiBt sprechen? Die gangige Meinung damber stellt fest: Sprechen ist die Betatigung der Werkzeuge der Verlautbarung und des Gehors. Sprechen ist das lautliche Ausdriicken und Mitteilen m.enschlicher Gemiitsbewegungen. Diese sind Die Sprache12 geleitet von Gedanken. Nach solcher Kennzeichnung der Sprache gilt dreierlei fiir ausgemacht: Zum ersten und vor allem ist Sprechen ein Ausdriicken. Die Vorstellung von der Sprache als einer AuBerung ist die gelaufigste. Sie setzt schon die Vorstellung eines Inneren voraus, das sich auBert. Wird die Sprache als AuBerung genommen, dann ist sie auBerlich vorgestellt und dies gerade dann, wenn man die AuBerung durch den Riickgang auf ein Inneres erklart. Zum anderen gilt das Sprechen als eine Tatigkeit des Menschen. DemgemaB miissen wir sagen: Der Mensch spricht, und er spricht je eine Sprache. Wir konnen darum nieht sagen: Die Sprache spricht; denn dies wiirde heiBen: Die Sprache erwirkt und er-gibt erst den Menschen. So gedacht ware der Mensch ein Versprechen der Sprache. SchlieBlich ist das vom Menschen betatigte Ausdriicken stets ein Vorstellen und Darstellen des Wirklichen und Unwirk­ lichen. Man weill seit langem, daB die angefiihrten Kennzeichen nicht ausreichen, urn das Wesen der Sprache zu umgrenzen. Wo dieses jedoeh auf den Ausdruck festgelegt wird, gibt man ibm. dadurch eine umfassendere Bestimmung, daB man das Ausdriicken als eine unter anderen Tatigkeiten in die Gesamtokonomie der Leistungen einbaut, durch die der Mensch sieh seIber macht.. Gegeniiber der Kennzeichnung des Sprechens als einer nur menschlichen Leistung betonen andere, das Wort der Sprache sei gottlichen Ursprungs. GemaB dem Beginn des Prologs des 15 Johannes-Evangeliurns war das Wort imAnfang beiGott. Aber nicht nur die ·Ursprungsfrage sucht man aus den Fesseln der rational-Iogischen Erklarung zu befreien, man beseitigt auch die Schranken der nur logisehen Beschreibung der Sprache. Entgegen der ausschlieBlichen Charakteristik der Wortbedeutungen als Begriffe riickt man den Bild- und Symbol-Charakter der Sprache in den Vordergrund. So bemiiht man denn die Biologie und die philosophische Anthropologie, die Soziologie Die Sprache 13 und die Psycho-Pathologie, die Theologie und die Poetik, urn die sprachlichen Erscheinungen umfassender zu beschreiben und zu erklaren. lndes bezieht man dabei aIle Aussagen im voraus auf die von altersher maBgebende Erscheinungsweise der Sprache. Man verfestigt hierdurch die schon festgemachte Hinsicht auf das Wesensganze der Sprache. So kommt es, daB die grammatischlogische, die sprachphilosophische und die sprachwissenschaftliche Vorstellung von der Sprache seit zweieinhalb Jahrtausenden dieselbe geblieben ist, obwohl die Erkenntnisse liber die Sprache sich fortgesetzt mehrten und wandelten. Man konnte diese Tatsache sogar als einen Beweisgrund fur die unerschiitterliche Richtigkeit der leitenden Vorstellungen -liber die Sprache anfiihren. Niemand wird wagen, die Kennzeiehnung der Sprache als lautliche AuBerung innerer Gemiitsbewegungen, als menschliche Tatigkeit, als ein bildhaft-begriffliches Darstellen fiir unrichtig zu erklaren oder gar als nutzlos zu verwerfen. Das angefiihrte Betrachten der Sprache ist richtig; denn es richtet sich nach dem, was eine Untersuchung sprachlicher Erscheinungen an diesen jederzeit ausmachen kann. 1m Bezirk dieses Richtigen bewegen sich denn auch aIle Fragen, von denen das Beschreiben und Erklaren der spraehlichen Erscheinungen begleitet wird. Zu wenig bedenken wir freilich noch die seltsame Rolle dieser richtigen Vorstellungen von der Sprache. Sie behaupten, gleich als seien sie unerschiitterlieh, iiberall das Feld der 16 verschiedenartigen wissenschaftlichen Betrachtungsweisen der Sprache. Sie reiehen in eine alte Uberlieferung zuriick. Dennoch lassen sie die alteste Wesenspragung der Sprache vollig unbeachtet. So geleiten sie denn trotz ihres Alters und trotz ihrer Verstandlichkeit niemals zur Sprache als Sprache. Die Sprache spricht. Wie ist es mit ihrem Sprechen? Wo finden wir solches?· Am ehesten doch im Gesprochenen. Darin namlich hat das Sprechen sieh vollendet. 1m Gesprochenen hort das Sprechen nicht auf. 1m Gesprochenen bleibt das Sprechen Die Sprache14 geborgen. 1m Gesprochenen versammelt das Sprechen die Weise, wie es wahrt, und das, was aus ihm wahrt - sein Wahren, sein Wesen. Aber zumeist und zu oft begegnet uns das Gesprochene nur als das Vergangene eines Sprechens. Wenn wir darum das Sprechen der Sprache im Gesprochenen suchen mussen, werden wir gut daran tun, statt nur beliebig Gesprochenes wahllos aufzugreifen, ein rein Gesprochenes zu finden. Rein Gesprochenes ist jenes, worin die Vollendung des Sprechens, die dem Gesprochenen eignet, ihrerseits eine anfangende ist. Rein Gesprochenes ist das Gedicht. Wir mussen diesen Satz zunachst als nackte Behauptung stehen lassen. Wir durfen dies, falls es gelingt, aus einem Gedicht rein Gesprochenes zu horen. Doch welches Gedicht solI zu uns sprechen? Hier bleibt uns nur eine Wahl, die jedoch vor bloBer Willkur geschutzt ist. Wodurch? Durch das, was uns schon als das Wesende der Sprache zugedacht ist, falls wir dem Sprechen der Spraeke nachdenken. Dieser Bindung zufolge wahlen wir als rein Gesprochenes ein Gedicht, das, eher als andere, bei den ersten Schritten uns helfen kann, das Bundige jener Bindung zu erfahren. Wir horen das Gesprochene. Das Gedicht tragt die Dberschrift: 17 Ein W interabend Wenn der Schnee ans Fenster fallt, Lang die Abendglocke lautet, Vielen ist der Tisch bereitet Und das Haus ist wohlbestellt. Mancher auf der Wanderschaft Kommt ans Tor auf dunklen pfaden. Golden bluht der Baum der Gnaden Aus der Erde kuhlem Saft. Die Sprache 15 Wanderer tritt still herein; Schmerz versteinerte die Schwelle. Da erglanzt in reiner Helle Auf dem Tische Brot und Wein. Die zwei letzten Verse der zweiten Strophe und die dritte Strophe lauten in der ersten Fassung (Brief an Karl Kraus vom 13. 19. 1913): Seine Wunde voller Gnaden Pflegt der Liebe sanfte Kraft. O! des Menschen bloBe Peine Der mit Engetn stumm gerungen, Langt, von heiligem S'chmerz bezwungen, Still nach Gottes Brot und Wein. (Vgl. die Schweizer Neuausgabe der Dichtungen von G. Trakl, besorgt von Kurt Horwitz. Zurich 1946.) Das Gedicht hat Georg Trakl gedichtet. DaB er der Dichter ist, bleibt unwichtig; hier, wie bei jedem anderen groBgegluckten Fall eines Gedichtes. Das GroBgegluckte besteht sogar mit 18 darin, daB es Person und Namen des Dichters verleugnen kann. Das Gedicht ist durch drei Strophen geformt. Ihr VersmaB und die Reimart lassen sich nach den Schemata der Metrik und Poetik genau bestimmen. Der Inhalt des Gedichtes ist verstandlich. Rein Wort findet sich, das, fur sich genommen, unbekannt oder unklar ware. Zwar lauten einige.Verse befremdlich, so der dritte und vierte der zweiten Strophe: Golden bluht der Baum der Gnaden Aus der Erde kuhlem Saft. Insgleichen uberrascht der zweite Vers der dritten Strophe: Schmerz verstelllerte die Schwelle. r 16 Die Sprache Aber die jetzt herausgehobenen Verse bekunden auch eine besondere Schonheit der gebrauchten Bilder. Diese Schonheit erhoht den Reiz des Gedichtes und bekraftigt die asthetische Vollendung des Kunstgebildes. Das Gedicht beschreibt einen Winterabend. Die erste Strophe schildert, was drauBen geschieht: Schneefall und Lauten der Abendglocke. Das DrauBen riihrt an das Drinnen der menschlichen Wohnstatt. Der Schnee fallt ans Fenster. Die Glocke lautet in jegliches Haus hinein. Drinnen ist alles gut bestellt und der Tisch bereitet. Die zweite Strophe HiBt einen Gegensatz erstehen. Gegentiber den Vielen, die im Haus und am Tisch heimisch sind, wandem Manche unheimisch auf dunklen pfaden. Doch fiihren solche vielleicht bosen Wege bisweilen an das Tor des bergenden Hauses. Dieses wird zwar nicht eigens vorgestellt. Stattdessen nennt das Gedicht den Baum der Gnaden. Die dritte Strophe bittet den Wanderer herein aus dem dunklen DrauBen in die Helle drinnen. Aus den Hausern der 19 Vielen und aus den Tischen ihrer alltaglichen Mahlzeiten ist das Gotteshaus und der Altartisch geworden. Der Inhalt des Gedichtes lieBe sich noch deutlicher zergliedern, seine Form noch genauer umgrenzen, wir blieben bei solchern Verfahren jedoch iiberall in die Vorstellung von der Sprache gebannt, die seit Jahrtausenden herrscht. Darnach ist die Spraehe der vom Menschen vo11zogene Ausdruck innerer Gemiitsbewegungen und der sie leitenden Weltansicht. LaBt sieh der Bann dieser Vorstellung tiber die Sprache brechen? Weshalb solI er gebrochen werden? Die Sprache ist in ihrem Wesen weder Ausdruck, noch eine Betatigung des Menschen. Die Sprache spricht. Wir suchen jetzt das Sprechen del' Sprache im Gedicht. Demnach Iiegt das Gesuehte im Dichterischen des Ge­ sprochenen. »Ein Winterabend« lautet die Dberschrift des Gedichtes. Wir erwarten von ihm. die Beschreibung eines Winterabends, wie er wirklich ist. Allein, das Gedicht stellt nicht einen irgendDie SpraChe 17 wo und irgendwann anwesenden Winterabend vor. Es schildert weder einen schon anwesenden nur ab, noch will es einem nieht anwesenden Winterabend den Anschein eines Anwesenden und den Eindruck eines solchen verschaffen. Natiirlich nicht, wird man entgegnen.AIle Welt weiB, daB ein Gedicht Dichtung ist. Es dichtet sogar dort, wo es zu beschreiben scheint. Diehtend bildet sich der Dichter ein moglicherweise Anwesendes in seinem Anwesen vor. Gedichtet bildet das Gedicht das so Vorgebildete unserem Vorstel1en ein. 1m Sprechen des Gedichtes spricht sich die dichterische Einbildungskraft aus.Das Gesprochene des Gedichtes ist das vom Dichter aus ihm Herausgesprochene. Dieses Ausgesprochene spricht, indem es seinen Gehalt ausspricht. Die Sprache des Gedichtes ist ein mehrfaltiges Aussprechen. Die Sprache erweist sich unbestreitbar als Ausdruck. Das jetzt Erwiesene steht aber gegen den Satz: Die Sprache spricht, gesetzt, daB Spreehen im Wesen nieht ein Ausdriicken ist. Selbst wenn wir das Gesproehene des Gedichtes vom Dichten 20 her verstehen, erscheint uns das Gesprochene wie unter einem Zwang immer wieder und immer nur als ausgesproehenes Aussprechen. Spraehe ist Ausdruck. Warum ftigen wir uns diesem Tatbestandnicht? Weil das Richtige und das Gangige dieser Vorstellung von der Sprache nicht zureichen, um darauf die Erorterung ihres Wes.ens zu griinden. Wie ennessen wir das Unzureichende? MuB uns, damit wir solches Messen vermogen, nicht schon ein anderes MaB binden? Allerdings. Esbekundet sich in dem Satz: Die Sprache spricht. Bisher sollte dieser Leitsatz nur erst die verhartete Gewohnheit abwehren, das Sprechen, statt es aus ihm. seIber zu denken, sogieich unter die Erscheinungen des Ausdriickens abzuschieben. Das gesagte Gedicht ist deshalb gewahlt, weil es auf eine nicht weiter erklarbare Weise die Eignung bekundet, unserem Versuch, die Sprache zu erortem, einige fruchtbare Winke zu leihen. Die Sprache spricht. Dies heiBt zugleieh und zuvor: Die Sprache spricht. Die Sprache? Und nicht der Mensch? 1st, was 18 19Die Sprache der Leitsatz uns jetzt zumutet, nicht noch arger? Wollen wir auch noch leugnen, daB der Mensch dasjenige Wesen sei, das spricht? Keineswegs. Wir leugnen dies so wenig wie die Moglichkeit, die sprachliehen Erscheinungen unter dem Titel »Ausdruck« einzuordnen. Doch wir fragen: Inwiefem spricht der Mensch? Wir fragen: Was ist Sprechen? Wenn der Schnee ans Fenster fallt, Lang die Abendglocke lautet, Dieses Spreehen nennt den Schnee, der spat am sehwindenden Tag, wahrend die Abendgloeke lautet, lautlos das Fenster trifft. Bei solehem Flockenfall wahrt alles Wahrende langer. Darum lautet die Abendgloeke, die taglich ihre streng begrenzte Zeit hindurch ertont, lang. Das Sprechen nennt die Winterabendg1 zeit. Was ist dieses Nennen? Behangt es nur die vorstellbaren, bekannten Gegenstande und Vorgange: Schnee, Glocke, Fenster, fallen, lauten - mit den Wortern einer Sprache? Nein. Das Nennen verteilt nicht Titel, verwendet nieht Worter, sondem ruft ins Wort. Das Nennen ruft. Das Rufen bringt sein Gerufenes naher. Gleichwohl sehafft dies Naherbringen das Gerufene nieht herbei, urn es im naehsten Bezirk des Anwesenden abzusetzen und darin unterzubringen. Der Ruf ruft zwar her. So bringt er das Anwesen des vordem Ungerufenen in eine Nahe. Allein, indem der Ruf herruft, hat er dem Gerufenen schon zugerufen. Wohin? In die Feme, in der Gerufenes weilt als noeh Abwesendes. Das Herrufen ruft in eine Nahe. Aber der Ruf entreiBt gleiehwohl das Gerufene nieht der Ferne, in der es durch das Hinrufen gehalten bleibt. Das Rufen ruft in sich und darum stets hin und her; her: ins Anwesen; hin: ins Abwesen. Schneefall und Lauten der Abendglocke sind jetzt und hier irn Gedicht zu uns gesproehen. Sie wesen im Ruf an. Dennoch fallen sie keineswegs unter das jetzt und hier in diesem S,aal Anwesende. Welche Anwesenheit ist die hohere, die des Vorliegenden oder die des Gerufenen? Die Sprache Vielen ist der Tisch bereitet Und das Haus ist wohlbestellt. Die beiden Verszeilen sprechen wie Aussagesatze, als ob sie Vorhandenes feststellten. Das entschiedene »ist« klingt so. Dennoch spricht es rufend. Die Verse bringen den bereiteten Tisch und das wohlbestellte Haus in jenes dem Abwesen zu-gehaltene Anwesen. Was ruft die erste Strophe? Sie ruft Dinge, heiBt sie kommen. Wohin? Nicht als Anwesende unter das Anwesende, nicht den im Gedicht genannten Tisch hierher zwischen die von Ihnen besetzten Sitzreihen. Der im Ruf mitgerufene Ort der Ankunft ist ein ins Abwesen geborgenes Anwesen. In solche gg Ankunft heiBt der nennende Ruf kommen. Das HeiBen ist Einladen. Es ladt die Dinge ein, daB sie als Dinge die Menschen angehen. Der Schneefall bringt die Menschen unter den in die Nacht verdammernden Himmel. Das Lauten der Abendglocke bringt sie als die Sterblichen vor das Gottliche. Haus und Tisch binden die Sterblichen an die Erde. Die genannten Dinge versammeln, also gerufen, bei sich Himmel und Erde, die Sterbliehen und die Gottlichen. Die Vier sind ein urspriinglich-einiges Zueinander. Die Dinge lassen das Geviert der Vier bei sich verweilen. Dieses versammelnde Verweilenlassen ist das Dingen der Dinge. Wir nennen das im Dingen der Dinge verweilte einige Geviert von Himmel und Erde, Sterblichen und Gottliehen: die Welt. 1m Nennen sind die genannten Dinge in ihr Dingen gerufen. Dingend ent-falten sie Welt, in der die Dinge weilen und so je die weiligen sind. Die Dinge tragen, mdem sie dingen, Welt aus. Unsere alte Sprache nennt das Austragen: bern, baren, daher die Worter »gebaren« und »Gebarde«. Dingend sind die Dinge Dinge. Dingend gebarden sie Welt. Die erste Strophe ruft die Dinge in ihr Dingen, heiBt sie kommen. Das HeiBen, das Dinge ruft, ruft her, ladt sie ein und TUft zugleich zu den Dingen hin, empfiehlt sie der Welt an, aus 20 Die Sprache der sie erscheinen. Darum nennt die erste Strophe nicht bloB Dinge. Sie nennt zugleich Welt. Sie ruft die»Vielen«, die als die Sterblichen zum Geviert der Welt gehoren. Die Dinge be-dingen die Sterblichen. Dies sagt jetzt: Die Dinge besuchen jeweils die Sterblichen eigens mit Welt. Die erste Strophe spricht, indem sie die Dinge kommen heiBt. Die zweite Strophe spricht in anderer Weise ais die erste. Zwar heiBt auch sie kommen. Aber ihr Rufen beginnt, indem sie die Sterblichen ruft und nennt: Mancher auf der Wanderschaft .. · 23 Weder aIle Sterblichen sind gerufen, noch die Vielen, sondern nur »Manche«; jene, die auf dunklen Pfaden wandem. Diese Sterblichen vermogen das Sterben als die Wanderschaft zum Tode. 1m Tod versammelt sich die hochste Verborgenheit des Seins. Der Tod hat jedes Sterben schon uberhoit. Die »auf der Wanderschaft« mussen erst Haus und Tisch durch das Dunkel ihrer Pfade erwandern, nicht nur und nicht einmal zuerst fur sich, sondem fur die Vielen; denn diese meinen, sie seien, wenn sie sich nur in Hausern einrichteten und an Tischen saBen, schon von den Dingen be-dingt und seien in das Wohnen ge­ langt. Die zweite Strophe beginnt, indem sie Manche der Sterblichen mft. Obzwar die Sterblichen mit den Gottlichen, mit Erde und Himmel zum Geviert der Welt gehoren, mfen die beiden ersten Verse der zweiten Strophe doch nicht eigens die Welt. Vielmehr nennen sie fast wie die erste Strophe, nur in anderer Folge, zugleich die Dinge: das Tor, die dunklen pfade. Erst die beiden anderen Verse der zweiten Strophe rufen eigens die Welt. Jah nennen sie ganz Anderes: Golden bliiht der Baum der Gnaden Aus der Erde kuhlem Saft. Die Sprache 21 Der Baum wurzelt gediegen in der Erde. So gedeiht er in das Bliihen, das sich dem Segen des Himmels offnet. Das Ragen des Baumes ist gerufen. Es durchmiBt zumal den Rausch des ErbIiihens und die Niichternheit der nahrenden Safte. Verhaltenes Wachstum der Erde und die Spende des Himmels gehoren zueinander. Das Gedicht nennt den Baum der Gnaden. Sein gediegenes Bliihen birgt die unverdient zufallende Frucht: das rettend Heilige, das den Sterblichen holdist. 1m golden bliihenden Baum walten Erde und Himmel, die Gottlichen und die Sterblichen. lhr einiges Geviert ist die Welt. Das Wort »Welt« ist jetzt nicht mehr im metaphysischenSinne gebraucht. Es nennt weder das sakularisiert vorgestellte Universnm von 24 Natur und Geschichte, noch neunt es die theologisch vorgestellte Schopfung (mundns), noch meint es lediglich das Ganze des Anwesenden (xooflo9). Der dritte und vierte Vers der zweiten Strophe mfen den Baum der Gnaden. Sie heiBen eigens die Welt kommen. Sie rufen das Welt-Geviert her und rufen so Welt zu den Dingen hin. Die Verse heben mit dem Wort »Golden« an. Damit wir dieses Wort und sein Gerufenes deutlicher horen, sei an ein Gedicht Pindars erinnert (lsthm. V.). Der Dichter nennt am Beginn dieser Ode das Gold 3tEQLWOLOV 3tUV'tffiV, das was alles, 3tuv'tu, jegliches Anwesende ringsum, vor allem durchglanzt. Der Glanz des Goldes birgt alles Anwesende in das Unverborgene seines Erscheinens. Wie das Rufen, das die Dinge nennt, heT- und hin-ruft, so ruft das Sagen, das die Welt nennt, in sich b.er und hin. Es traut Welt den Dingen zu und birgt zugleich die Dinge in den Glanz von Welt. Diese gonnt den Dingen ihr Wesen. Die Dinge gebarden Welt. Welt gannt die Dinge. Das Sprechen der beiden ersten Strophen spricht, indemes Dinge zur Welt und Welt zu den Dingen kommen heiBt. Beide Weisen des HeiBens sind geschieden, aber nicht getrennt. Sie sind aber auch nicht nur aneinander gekoppelt. Denn Welt und 22 Die Sprache Dinge- bestehen nicht nebeneinander. Sie durchgehen einander. Hierbei durchmessen die Zwei eine Mitte. In dieser sind sie einig. Als so Einige sind sie innig. Die Mitte der Zwei ist die Innigkeit. Die Mitte von Zweien nennt unsere Sprache das Zwischen. Die ·lateinische Sprache sagt: inter. Dem entspricht das deutsche »unter«. Die Innigkeit von Welt und Ding ist keine Verschmelzung. Innigkeit waltet nur, wo das Innige, Welt und Ding, rein sich scheidet und geschieden bleibt. In der Mitte der Zwei, im Zwischen von Welt und Ding, in ihrem inter, in diesem Unter- waltet der Sehied. 25 Die Innigkeit von Welt und Ding west im Schied des Zwischen, west im Unter-Schied. Das Wort Unter-Schied wird jetzt dem gewohnlichen und gewohnten Gebrauch entzogen. Was das Wort »der Unter-Schied« jetzt nennt, ist nicht ein Gattungsbegriff fur vielerlei Arten von Unterschieden. Der jetzt genannte Unter-Schied ist nur als dieser Eine. Er ist einzig. Der Unter-Schied halt von sich her die Mitte auseinander, auf die zu und durch die hindurch Welt und Dinge zueinander einig sind. Die Innigkeit des Unter-Schiedes ist das Einigende der ~Lan einer hermeneutischen Phanomenologie sprachen. Kuki betonte nur stets, der Name salle eine neue Richtung der Phanomenologie bezeichnen. I F Ohne diese theologische Herkunft ware ich nie auf den Weg des Denkens gelangt.Herkunft aber bleibt stets Zu­ kunft. r!il l i,ll,'I, "1,:lli: Iii ~! 92 Aus einem Gesprach von der Sprache J Wenn beide einander rufen und die Besinnung in solchem Rufen einheimisch wird ... F und so zur wahren Gegenwart. - Spater fand ich den Titel »Hermeneutik« bei Wilhelm Dilthey in seiner Theorie der historischen Geisteswissensehaften wieder. Dilthey war die Hermeneutik aus der selben Quelle her vertraut, aus seinem Theologiestudium, insbesondere aus seiner Beschaftigung mit Schleiennacher. J Herrneneutik ist, soweit ich aus der Philologie unterrichtet bin, eine Wissenschaft, die von den Zielen, Wegen und Regem der Auslegung literarischer Werke handelt. 97 F Zuerst und maBgebend bildete sie sich aus im Verein mit der Auslegung des Buches der Bucher, der Bibel. Aus Schleiermaehers hands.chriftlichem NachlaB wurde eine Vorlesung herausgegeben unter dem Titel: »Hermeneutik und Kritik mit besonderer Beziehung auf das Neue Testament« (1838). Ieh habe diese Vorlesung zur Hand und lese Ihnen die beiden ersten Satze der »AllgemeinenEinleitung« var: »Hermeneutik und Kritik, beide philologische Disciplinen, beide Kunstlehren, gehoren zusammen, weil die Ausiibung einer jeden die andere voraussetzt. Jene ist im allgemeinen die Kunst, die Rede eines andem, vornehmlich die schriftliehe, richtig zu verstehen, diese die Kunst, die Achtheit der Schriften und Schriftstellen richtig zu beurtheilen und aus genugenden Zeugnissen und Datis zu constatiren.« J Darnach kann die Hermeneutik, im passenden Sinne erweitert, die Theorie undMethodenlehre fur jede Art der Interpretation, z. B. auch der Werke der bildenden Kunst, be­ zeiehnen. Aus einem Gesprach von der Sprache 93 F Durchaus. J Gebrauchen Sie den Namen Henneneutik in diesem weiten Sinne? F Soil ich im Stll Ihrer Frage bleiben, dann muB ich antworten: Der Name Hermeneutik ist in »Sein und Zeit« in einer noch weiteren Bedeutung gebraucht; »weiter« meint hier allerdings nicht die bloBe Ausweitung derselben Bedeutung auf einen noch groBeren Geltungsbereich; »weiter« besagt: aus jener Weite, die aus dem anfanglichen Wesen entspringt. Hermeneutik meint in S. u. Z. weder die Lehre von der Auslegungskunst noch das Auslegen selbst, vielmehr den Versuch, das Wesen der Auslegung allererst aus dem Hermeneutisehen zu bestimmen. 98 J Doch was heiBt dann hermeneutisch? rch wage nicht, obzwar dies nahe liegt, dem Verdacht nachzugeben, daB Sie jetzt das Wort »hermeneutisch« willkurlich gebrauehen. Wie dem auch sei, mir liegt daran, von Ihnen eine, wenn ich so sagen darf, authentische Erklarung Ihres Sprachgebrauches zu horen, sonst bleibt auch fernerhin unklar, von woher das Nachsinnen des Grafen Kuki bewegt wurde. F 1ch entspreche Ihrer Bitte gem. Nur durfen Sie nicht zuviel erwarten. Denn die Sache ist ratselhaft, und vielieicht handelt es sich auch gar nicht urn eine Sache. J Eher urn einen Vorgang. F Oder um einen Sach-Verhalt. Doch wir geraten mit solehen Namen alsbald ins Unzureichende. J Dies aber doch nur dann, wenn wir jenes schon irgendwie im Blick haben, wohin unser Sagen reichen mochte. Aus einem Gespriich von der Sprache94 'F Es wird Ihnen kaum entgangen sein, daB ich in meinen spateren Schriften die Namen »Henneneutik« und »hermeneutisch« nicht mehr verwende. J Man sagt, Sie hatten Ihren Standpunkt gewechselt. F Ich habe einen friiheren Standpunkt verlassen, nicht urn dagegen einen anderen einzutauschen, sondern weil auch der vormalige Standort nur ein Aufenthalt war in einem 99 Unterwegs. Das Bleibende im Denken ist der Weg. Und Denkwege bergen in sich das Geheimnisvolle, daB wir sie vorwarts und riickwarts gehen konnen, daB sogar der Weg zuriick uns erst vorwarts fiihrt. J »Vorwarts« meinen Sie offenbar nicht im Sinne eines Fortschrittes, sondern ... sondern ... mir fallt es schwer, das rechte Wort zu finden. F »Vor« - in jenes Nachste, das wir standig iibereilen, das uns jedesmal neu befremdet, wenn wir es erblicken. J Was wir darum alsbald wieder aus dem Blick entlassen, urn uns an das Gelaufige und Forderliche zu halten. F Dagegen uns das stets iibereilte Nahe eher zuriickbringen mochte. J Zuriickja, aberwohin? F In das Anfangende. J Dies zu verstehen fallt mir schwer, wenn ich es aus dem her denken solI, was Sie bislang dariiber in Ihren Schriften sagten. I ~ I I I ~ Aus einem Gespriich von der Sprache 95 F Gleichwohl haben Sie schon darauf gedeutet, als Sie die Gegenwart nannten, die dem Einanderrufen von Herkunft und Zukunft entquillt. J Was Sie vielleicht vermuten, sehe ich sogleich klarer, wenn ich aus unseren japanischen Erfahrungen denke. Doch bin ich dessen nicht gewiB, ob Sie das Selbe im Blick haben. F Dies konnte sich in unserem Gesprach bewahren. 100 J Uns Japaner befremdet es nicht, wenn ein Gesprach das eigentlich Gemeinte im Unbestimmten laBt, es sogar ins Unbestimmbare zuriickbirgt. F Dies gehort, meine ich, zu jedem gegliickten Gesprach zwischen Denkenden. Es vermag wie von selbst darauf zu achten, daB jenes Unbestimmbare nicht nur nicht entgleitet, sondern im Gang des Gespraches seine versammelnde Kraft immer strahlender entfaltet. J An diesem Gliickhaften fehlte es wohl unseren Gesprachen mit dem Grafen Kuki. Wir Jiingeren forderten ihn zu unmittelbar heraus, unser Wissenwollen durch handliche Auskiinfte zufrieden zu stellen. F Das Wissenwollen und die Gier nach Erklarungen bringen uns niemals in ein denkendes Fragen. Wissenwollen ist stets schon die versteckte AnmaBung eines SelbstbewuBtseins, das sich auf eine selbsterfundene Vemunft und deren Verniinftigkeit beruft. Wissenwollen will nicht, daB es vor dem Denkwiirdigen verhoffe. J So wollten wir in der Tat nur wissen, inwiefem die europaische Asthetik geeignet sei, dasjenige in eine hohere Klarheit zu heben, woraus unsere Kunst und Dichtung ihr Wesen empfangen. II.....­ 96 Aus einem Gespriich von der Sprache FUnd dies ware? J Wir haben dafiir den schon erwahnten Namen [hi. 101 F Wie oft horte ich dieses Wort aus Kukis Mund, obne doch das darin Gesagte zu erfahren. J Indessen mull fur Kuki durch das von Ihnen gemeinte Hermeneutische irgendwie das Ihi in ein helleres Licht gelangt seine F Dergleichen spiirte ich wohl, konnte jedoch seine Einsichten nie nachvollziehen. J Was Sie daran hinderte, nannten Sie schon: Die Sprache des Gespraches war die europaische; zu erfahren und zu denken galt es jedoch das ostasiatische Wesen der japanischen Kunst. F Was wir besprachen, war im vorhinein in den europaischen Vorstellungsbezirk heriibergezwungen. J Woran merkten Sie dies? If1 J F An der Art, wie Kuki das Grundwort. Ihi erlauterte. Er lit: sprach vom sinnlichen Scheinen, durch dessen lebhaftes Entzucken Obersinnliches hindurchscheint. '·1·'""'" I,i,11 [il J Kuki hat, so meine ich, mit dieser Darlegung das getroffen,I IIii·I, was wir in der japanischen Kunst erfahren. ~j 11,'il I F Ihre Erfahrung bewegt sich demnach im Unterschied einer1III: sinnlichen und iibersinnlichen Welt. Auf dieser Unters~ei­ 11: dung ruht, was man seit langem die abendlandische Metaphysik nennt. Aus einem Gespriich von der Sprache 97 J Sieriihren jetzt mit dem Hinweis auf den die Metaphysik durchherrschenden Unterschied an die Quelle der Gefahr, von der wir sprachen. Unser Denken, wenn ich es so nennen darf, kennt zwar Ahnliches wie den metaphysischen Unterschied; dellnoch laBt sich die Unterscheidung selbst und damit ihr Unterschiedenes nicht durch die abendlandischen metaphysischen Begriffe fassen. Wir sagen Iro, d. h. Farbe, und sagen Ku, d. h. das Leere, das Offene, der Himmel. Wir sagen: ohne Iro kein Ku. 102 F Dies scheint genau dem zu entsprechen, was die europaische, d. h. metaphysische Lehre von der Kunst sagt, wenn sie die Kunst asthetisch vorstellt. Das aLo{hrrov, das wahrnehmbare Sinnliche, laBt das vO'Y)'tov, das Nichtsinnliche, durchseheinen. J Sie verstehen jetzt, wie groB die Versuchung fiir Kuki war, das Ihi mit Hilfe der europaischen Asthetik, d. h., nach Ihrem Hinweis, metaphysiseh zu bestimmen. F Noch groBer war und bleibt meine Befiirchtung, daB auf diesem Weg das eigentliehe Wesen der ostasiatischen Kunst verdeekt und in einen ihr ungemaBen Bezirk verschoben werde. J reh teile durchaus Ihre Befurchtung; denn Iro nennt zwar die Farbe und meint doch wesentlich mehr als das sinnlich Wahmehmbare jeder Art. Ku nennt zwar das Leere und Offene und meint doch anderes als das Nur-Obersinnliehe. F Ihre Andeutungen,denen ich bloB aus der Ferne folgen kann, steigern meine Unruhe. Noch groBer als die erwahnte Befiirchtung ist in mir die Erwartung, unser Gesprach, aus dem Andenken an den Grafen Kuki entsprungen, konnte glucken. 103 98 J Aus einem Gespriich von der Sprache .Sie meinen, es konnte uns dem Ungesagten naher bringen? F Dadurch ware uns schon ein Reichtum an Denkwiirdigem gewahrt. J Warum sagen Sie »ware«? F Weil ich jetzt noch deutlicher die Gefahr sehe, daB die Sprache unseres Gespraches fortgesetzt die Moglichkeit zerstort, das zu sagen, was wir besprechen. J Weil die Sprache selbst auf dem metaphysischen Unterschied des Sinnlichen und Nichtsinnlichen beruht, insofern die Grundelemente Laut und Schrift auf der einen und Bedeutung und Sinn auf der anderen Seite den Bau der Spra­ chetragen. F Wenigstens im Gesichtskreis des europaischen Vorstellens. Db es bei Ihnen auch so steht? J Wohl kaum. Aber, wie ich schon andeutete, die Versuchung, europaische Vorstellungsweisen und deren Begriffe zu Hilfe zu rufen, ist groB. F Sie wird durch einen Vorgang bestarkt, den ich die vollstandige Europaisierung der Erde und des Menschen nen­ nenmochte. J Viele sehen in diesem Vorgang den Triumphzug der Vernunft. Sie wurde doch am Ende des 18. Jahrhunderts wahrend der Franzosischen Revolution als Gottin ausgerufen. 104 F GewiB. Man geht denn auch in der Vergotzung dieser Gottheit so weit, daB man jedes Denken, das den Anspruch der Vernunft als einen nicht urspriinglichen zuriickweist, nur noch als Unvemunft verlastern kann. Aus einem Gespriich von der Sprache 99 J Man findet die unantastbare Herrschaft Ihrer europaischen Vernunft durch die Erfolge derRationalitat bestatigt, die der technische Fortschritt stlindlich vor Augen fuhrt. F Die Verblendung wachst, so daB man auch nicht mehr zu sehen vermag, wie die Europaisierung des Menschen und der Erde alles Wesenhafte in seinen Quellen anzehrt. Es scheint, als sollten diese versiegen. J Ein treffendes Beispiel fur das, was Sie meinen, ist der international bekannte Film »Rashomon«. Vielleicllt haben Sie ibn gesehen. F Zum Gluck ja; doch zum Ungluck nur ein einziges Mal. Ich glaubte, dabei das BezaubeTIlde der japanischen Welt zu erfahren, das in das Geheimnisvolle entfuhrt. Darum verstehe ich nicht, inwiefeTIl Sie gerade diesen Film als ein Beispiel der alles verzehrenden Europaisierung vor­ bringen. J Wir Japaner finden die Darstellung vielfach zu realistisch, z. B. in den Zweikampfszenen. F Doch erscheinen nicht auch verhaltene Gebarden? J Unscheinbares dieser Art flieBt in Fiille und kaum merklich fiir das europaische Betrachten durch diesen Film. Ich denke an eine aufruhende Hand, in der sich ein Beriihren versammelt, das unendlich weit von jeglichem Betasten entfeTIlt bleibt, nicht einmal Gebarde mehr heiBen dart in dem Sinne, wie ich Ihren Sprachgebrauch zu verstehen meine. Denn diese Hand ist von einem weither und noch weiterhin rufenden Anruf durchtragen, weil aus der Stille zugetragen. 105 100 Aus einem Gespriich von der Sprache F Aber im Blick auf solche Gebarden, die anders sind als die fl F Aus einem Gespriich von der Sprache Ein Europaer wird nur schwer begreifen, was Sie sagen. 101 unseren, verstehe ich dann vollends nicht, weshalb Sie die~;en Film als Beispiel der Europaisierung nennen konnen. J GewiB, und vor allern deshalb, weil die vordergriindige Welt Japans durchaus europaisch oder, wenn Sie wollen, J Dies laBt sich auch nicht verstehen, weil ich mich noch unzureichend ausdriickte. Um es jedoch zu leisten, bedarf ich amerikanisch ist. Die hintergriindige japanische Welt, besser gesagt, das, was sie seIber ist, erfahren Sie dagegen im gerade Ihrer Sprache. No-Spiel. F Und Sie achten dabei der Gefahr nicht? F Ich kenne nur eine Schrift darilber. J Vielleicht laBt sie sich fiir Augenblicke bannen. J Welche, wenn ich fragen darf? F Solange Sie vom Realistischen sprechen, reden Sie die Sprache der Metaphysik und bewegen sich im. Unterschied des I F Die Akademieabhandlung von Benl. Realen als des Sinnlichen gegeniiber dem Idealen als dem Nichtsinnlichen. I J Sie ist nach japanischem Urteil auBerst griindlich gearbeitet und weitaus das Beste, was Sie iiber das No-Spiellesen konJ Sie haben recht. Allein, mit dem Hinweis auf das Realisti­ :'1 nen. sche meinte ich nicht so sehr das hier un.d dort eingestreute Massive der Darstellung, das mit Riicksicht auf nicht-japa­ a F Doch mit dem Lesen ist es wohl nicht getan. nische Zuschauer ohnehin unvermeidlich bleibt. Ich meinte im Grunde mit dem Hinweis auf das Realisti- J Sie miiBten soIchen Spielen beiwohnen. Aber selbst dies sche des Films etwas ganz anderes, namlich dies, daB die bleibt schwer, solange Sie nicht japanisches Dasein zu bejapanische Welt iiberhaupt in das Gegenstandliche ~er Pho­ wohnen vermogen. Damit Sie einiges, weun auch nur aus tographie eingefangen und fiir diese eigens gestellt 1st. der Feme, von dem erblicken, was das No-Spiel bestimmt, mochte ich Ihnen durch eine Bemerkung weiterhelfen. Sie F Sie mochten, wenn ich recht hingehort habe, sagen, daB die wissen, daB die japanische Biihne leer ist. ostasiatische Welt und das technisch-asthetische Produkt der Filmindustrie miteinander unvereinbar sind. F Diese Leere verlangt eine ungewohnliche Sammlung. 107 106 J Dies meine ich. Gleichviel wie die asthetische Qualitat eines J Dank ihrer bedarf es dan.n nur noch einer geringen Gebarjapanischen Films ausfallen mag, schon die Tatsache, daB de des Schauspielers, urn Gewaltiges aus einer seltsamen unsere Welt in den Film herausgestellt wird, drangt diese Ruhe erscheinen zu lassen. Welt in den Bezirk dessen, was Sie das Gegenstandige nennen. Die filmische Vergegenstandigung ist bereits eine FoI- I F Wie meinen Sie dies? ge der immer weiter vorausgreifenden Europaisierung. 102 Aus einem Gesprach von der Sprache Aus einem Gespriich von der Sprache 103 J Wenn z. B. eine Gebirgslandschaft erseheinen solI, dann hebt der Sehauspieler Iangsam die offene Hand und halt sie in der Hohe der Augenbrauen still iiber dem Auge. Darf t I F Die Gefahr dieser .Fonnel bleibt allerdings, daB man die Versammlung ais einen nachtraglichen ZusammensehluB vorstellt ... ' F ich es Ihnen zeigen? Ieh bitte Sie darum. I l J statt zu erfahren, daB alies Tragen, Zutrag und Entgegentragen, erst und nur der Versammlung entquillt. F (Der Japaner hebt und halt die Hand in der beschriebenen Weise.) Das ist allerdings eine Gebarde, in die sieh ein Europaer kaum finden kann. F Wenn es uns gllickte, die Gebarde in diesem Sinne zu denken, wo wiirden wir dann das Eigentliche der Gebarde suchen, die Sie mir zeigten? J Dabei beruht die Gebarde weniger in der sichtbaren Bewegung der Hand, nieht zuerst in der Korperhaltung. Das Eigentliche dessen, was in Ihrer Spraehe »Gebarde« heiBt, J In einem selbst unsiehtbaren Sehauen, das sieh so gesammelt der Leere entgegentragt, daB in ihr und durch sie das Gebirge erscheint. F laBt sieh schwer sagen. Und doch ist dieses Wort vielleicht eine Rilfe, Sagende wahrhaft zu erfahren. das zuF Die Leere ist dann dasselbe wie das Nichts, jenes Wesende namlich, das wir als das Andere zu allem An- und Abwesenden zu denken versuchen. J F J Am Ende deekt sieh dies mit dem, was ieh meine. Gebarde ist Versammlung eines Tragens. Sie sagen wahl absiehtlich nieht: unseres Tragens, unseres Betragens. 'I I J GewiB. Deshalb haben wir in Japan den Vortrag »Was ist Metaphysik?« sogleieh verstanden, als er im Jahre 1930 durch die Dbersetzung zu uns gelangte, die ein japanischer Student, der damals bei Ihnen horte, gewagt hat. - Wir wundern uns heute noch, wie die Europaer darauf verfallen konnten, das im genannten Vortrag erorterte Nichts nihilistiseh zu deuten. Fur uns ist die Leere der hoehste Name flir 109 108 F Weil das eigentlieh Tragende uns sieh erst zu-tragt. das, was Sie mit dem Wort »Sein« sagen moehten ... J F J Wir jedoch ihm nur unseren Anteil entgegentragen. Wobei jenes, was sich uns zutragt, unser Entgegentragen schon in den Zutrag eingetragen hat. Gebarde nennen Sie demnach: die in sich urspriinglich einige Versammlung von Entgegentragen und Zutrag. I I I F in einem Denkversueh, dessen erste Schritte auch heute noeh unumganglieh sind. Er wurde freilieh zum AniaB einer groBen Verwirrung, die in der Sache begriindet ist und mit dem Gebraueh des Namens »Sein« zusammenhangt. Denn eigentlich gehort dieser Name in das Eigentum der Sprache der Metaphysik, wahrend ich das Wort in den Titel einer Bemlihung setzte, die das Wesen der Meta­ T 11 104 Aus einem Gespriich von der Sprache physik zum Vorschein und sie dadurch erst in ihre Grenzen einbringt. F Wie solI einer nennen, was er erst sucht? Das Finden beruht doch im Zuspruch des nennenden Wortes. Aus einem Gespriich von der Sprache 105 106 Aus einem Gespriich von der Sprache daran erinnere, muB ich bedenken, daB unser Gesprach weit von seinem Weg abgekommen ist. F So scheint es. In Wahrheit sind wir jedoch dahei, erst auf seinen Weg zu gelangen. J Dies uberschaue ieh im Augenblick nicht. Wir versuchten, tiber Kukis asthetische Auslegung des Iki zu sprechen. F Wir versuehten es und konnten dabei nieht umhin, die Gefahr solcher Gesprache zu beden.ken. J Wir erkannten, daB die Gefahr im verborgenen Wesen der Sprache beruht. FUnd soeben nannten Sie die Wendung »Haus des Seins«, die das Wesen der Sprache andeuten mochte. 112 J So sind wir in der Tat auf dem Weg des Gespraches geblie­ ben. F Wohl nur deshalb, weil wir, ohne es recht zu wissen, dem gehorchten, was allein nach Ihren Worten ein Gespraeh gliicken laBt. J Es ist jenes unbestimmte Bestimmende ... F dem wir die unversehrte Stimme seines Zuspruches lassen. J Auf die Gefahr, daB diese Stimme in unserem Fall die Stille selbst ist. F Woran denken Sie jetzt? J An das Selbe, was Sie meinen, an das Wesen der Sprache. Aus einem Gesprach von der Sprache 107 F Es ist das Bestimmende unseres Gespraches. Aber zugleieh diirfen wir nieht daran riihren. J GewiB nicht, wenn Sie darunter das Greifen im Sinne Ihrer europaischen Begriffsbildungen verstehen. F Diese meine ich allerdings nicht. Auch die Wendung »Haus des Seins« Iiefert keinen Begriff des Wesens der Spraehe, zum Leidwesen der Philosophen, deren Unrnut in solchen Wendungen nur noch einen Verfall des Denkens findet. JAuch mir gibt Ihre Wendung »Haus des Seins« viel zu denken, aber aus anderen Grunden. Weil ieh fiihle, daB sie an das Wesen der Sprache riihrt, ohne es zu verletzen. Denn wenn es dessen bedarf, daB wir dem Bestimmenden seine Stimme lassen, dann heiBt dies keinesfaIIs, wir sollten dem Wesen der Sprache nieht nachdenken. Entscheidend ist nur 113 die Weise, in der es versucht wird. F Darum fasse ich jetzt den Mut zu einer Frage, die mich seit langem beunruhigt, zu der Ihr unverhoffter Besuch mich jetzt beinahe zwingt. J Setzen Sie nicht zuviel auf meine Kraft, Ihren Fragen zu folgen. Unser Gesprach hat mich inzwischen ohnehin deutlieher sehen gelehrt, wie unbedacht noch alles ist, was das Wesen der Sprache angeht. F Zumal fur die ostasiatischen und die europaischen Volker das Sprachwesen ein durchaus anderes bleibt. J Anders auch das, was Sie»Wesen« nennen. ·Wie solI da unser Nachsinnen ins Freie gelangen? F Am ehesten so, daB wir von Anfang an nicht zuviel verlangen. Darum erlaube ich mir zunachst, Ihnen eine durehaus vorlaufige Frage vorzulegen. 108 Aus einem Gespriich von der Sprache Aus einem Gespriich von der Sprache 109 J Ich fiirchte, schon diese ist kaum zu beantworten, wenn wir F Dann ware der Wink der Grundzug des Wortes. F die Gefahr unseres Gespraches nicht auBer acht lassen. Das kann nicht sein, denn wir gehen auf diese Gefahr zu. I J Erst jetzt, da Sie yom Wink sprechen, auf welches Wort ich nicht kam, verdeutlicht sich mir, was ich schon vermutete, ais ich Ihren »Brief tiber den Humanismus« las und Ihren J F So fragen Sie denn. Was versteht die japanische Welt unter Sprache? Noch vorsichtiger gefragt: Haben Sie in Ihrer Sprache ein Wort ftir das, was wir Sprache nennen? Wenn nicht, wie erfahren Sie das, was bei uns Sprache heiBt? I F Vortrag liber Holderlins Elegie »Heimkunft« ins Japanische iibersetzte. Zur gleichen Zeit iibersetzte ich Kleists »Penthesilea« und den »Amphitryon«. Da muB das Wesen der deutschen Sprache wie ein Sturzbach liber Sie gekommen seine 115 114 J Diese Frage hat noch niemand an mich gerichtet. Auch scheint mir, daB man in unserer eigenen japanischen Welt dem, was Sie jetzt fragen, keine Beachtung schenkt. Deshalh muB ich Sie bitten, mir einige Augenblicke des Nachdenkens zu gestatten. (Der Japaner schlieBt die Augen, senkt den Kop£ und versinkt in ein langes Nachsinnen. Der Fragende wartet, bis sein Gast das Gesprach wieder aufnimmt.) /' I J F Es kam auch. Und wahrend des Dbersetzens war mir oft, als wanderte ich zwischen verschiedenen Sprachwesen hin und her, jedoch so, daB mir bisweilen ein Schein zuleuchtete, der mich ahnen lieB, der Wesensquell der grundverschiedenen Sprachen sei derselbe. Sie suchten demnach nicht nach einem allgemeinen Begriff, in dem sich die europaischen und die ostasiatischen Sprachen sollten unterbringen lassen. J F Es gibt ein japanisches Wort, das eher das Wesen der Sprache sagt, als daB es sich wie ein Name fiir das Sprechen und die Sprache verwenden laBt. Dies verlangt die Sache, wenn anders das Wesen der Sprache nichts Sprachliches sein kann. So steht es auch mit der Wendung »Haus des Seins«. I J F Ganz und gar nicht. Wenn Sie jetzt von Winken sprechen, dann ermuntert mich dieses losende Wort dazu, Ihnen das Wort zu nennen, was uns das Wesen der Sprache - wie solI ich sagen ... vielleicht: erwinkt. J F Ganz aus der Feme spiire ich eine Verwandtschaft unseres Wortes, das mir jetzt vorschwebt, mit Ihrer Wendung. Sie gibt nur einen Wink in das Wesen der Sprache. J Dies trifft. Aber zugleich beftirchte ich, die Kennzeichnung der Wendung »Haus des Seins« als Wink konnte Sie und mich dazu verleiten, die Vorstellung yom Winken zu einem Leitbegriff auszufonnen, in den wir alles verpacken. J Mir scheint, jetzt haben Sie ein losendes Wort gesagt. F Dies darf nicht geschehen. I I ~ __ 110 Aus einem Gespriich von der Sprache J Wie wollen Sie es verhiiten? F Verhiiten im Sinne des vollstandigen AusschlieBens laBt es sichnie. J Weshalb nicht? 116 F Well die Art des begrifflichen Vorstellens allzu· leicht in jede menschliche Erfahrungsweise sich einnistet. JAuch dort, wo das Denken ein in gewissem Sinne begriffloses ist? F Auch dort - denken Sie nur daran, wie unversehens Sie Kukis asthetische Auslegung des Iki als sachgerechte anerkannten, obzwar sie auf dem europaischen, d. h. metaphysischen Vorstellen beruht. J Wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie sagen, die metaphysische Vorstellungsweise sei in gewisser Hinsicht unum­ ganglich. F Dies hat Kant auf seine Art klar gesehen. J Dennoch ermessen wir nur selten die Tragweite seiner Ein­ sieht. F Weil Kant sie nicht uber die Metaphysik hinaus entfalten konnte. Deren ungebrochene Herrschaft richtet sich sogar dort ein, wo wir sie nicht erwarten ­ in der Ausbildung der Logik zur Logistik. J Sie sehen darin einen metaphysischen ProzeB? F Allerdings. Und der Angriff gegen das Wesen der Sprache, der sich darin verbirgt, vielleicht der letzte von dieser Seite, bleibt unbeachtet. i l J F J Aus einem Gespriich von der Sprache 111 Um so sorgsamer mussen wir die Wege zum Wesen der Sprache huten. Genug ware es schon, wenn es gluckte, erst nur einen Seitenpfad zu diesen Wegen zu bauen. DaB Sie von Winken sprechen, scheint mir eine Spur zu einem solchen Pfad zu weisen. 117 F J F J F Doch auch die Rede von einem Wink wagt schon zuviel. Wir verstehen nur allzu gut, daB ein Denkender es vorziehen mochte, das zu-sagende Wort zuruckzuhalten, nicht um es fur sich zu behalten, sondern um es dem Denkwiirdigen entgegenzutragen. Dies entspricht den Winken. Sie sind ratselhaft. Sie winken uns zu. Sie winken abe Sie winken uns kin zu dem, von woher sie unversehens sich uns zutragen. Sie denken die Winke in der Zusammengehorigkeit mit dem, was Sie durch das Wort »Gebarde« erlauterten. So ist es. J Winke und Gebarden sind nach Ihrem Hinweis verschieden von Zeichen und Chiffre·n, was alles in der Metaphysik beheimatet ist. F J Winke und Gebarden gehoren in einen ganz anderen Wesensraum, wenn Sie diesen auch mir verfanglichen Namen erlauben. Was Sie andeuten, bestatigt mir eine lang gehegte Vermutung. Ihre Wendung »Haus des Seins« durfen wir nicht als 112 Aus einem Gespriich von der Sprache ein nur fllichtiges Blld zur Kenntnis nehmen, an dessen 118 Leitfaden man sich Beliebiges einbilden konnte, z. B. dies: Haus ist das irgendwo zuvor aufgerichtete Gehause, worin das Sein wie ein transportabler Gegenstand untergebracht wird. F Diese Vorstellung wird schon hinfallig, wenn wir an die erwahnte Zweideutigkeit des »Seins« denken. In jener Wendung meine ich nicht das metaphysisch vorgestellte Sein des Seienden, sondem das Wesen des Seins, genauer der ZwiefaIt von Sein und Seiendem, diese Zwiefalt jedoch hinsichtlich ihrer Denkwiirdigkeit. J Wenn wir dies beachten, kann jene Wendung nie zu einem Schlagwort werden. F Sie ist es schon geworden. J Well Sie der heutigen Denkweise zuviel zumuten. F Zuviel, allerdings, zuviel an solchem, was noch nicht reif geworden. J Sie meinen so reif, daB es wie die Friichte yom Baum fallt. Mir scheint, solehe Worte gibt es nicht. Und ein Sagen, das darauf wartete, entsprache nicht dem Wesen der Sprache. Sie selbst sind doch dcr Letzte, der solches Sagen beanspruchen wollte. F Das ist zuviel der Ehre. Ich darf sie Ihnen zuriickgeben durch die Vermutung, daB Sie dem Wesen der Sprache naher sind als all unsere Begriffe. J Nicht ich, aber das Wort, nach dem Sie mich fragen, das 119 Wort, das ich, jetzt urn einiges ermuntert, Ihnen kaum vorenthalten dart. I F Aus einem Gespriich von der Sprache 113 Weshalb zogem Sie, wenn Sie ermuntert sind? I J Was mich ermuntert, HiBt mich zugleich zogern. I F Aus dieser Bemerkung ersehe ich, daB Ihr noch zuriickgehaltenes Wort flir das Wesen dessen, was wir Sprache I nennen, uns eine auch jetzt noch unverhoffte Dberraschung bringen wird. J Mag seine Indes bedarf diese Dberraschung, die Sie so entschieden trifft, wie sie mich seit Ihrer Frage gefangen halt, der Moglichkeit, weit auszuschwingen. F Darum zogern Sie. J Ermuntert durch Ihren Hinweis, das Wort sei Wink und nicht Zeichen im. Sinne der bloBen Bezeichnung. F Winke brauchen den weitesten Schwingungsbereich ... J worin die Sterblichen nur langsam hin- und herziehen. F Dies nennt unsere Sprache »zogem«. Es geschieht wahrhaft, wenn das Langsame durch die Scheu getragen wird. Deshalb mochte ieh Ihr Zogern durch kein libereiltes Dran­ genstoren. J Sie kommen damit meinem Versuch, das Wort zu sagen, I hilfreicher entgegen, als Sie dies wissen kannen. I F Ieh verhehle Ihnen nieht, daB Sie mich noch besonders deshalb in eine groBe Unruhe versetzen, weil ich bisher bei 120 Sprachkennem und Sprachforschern vergeblich nach einer Antwort auf meine Frage gesucht habe. Damit jedoch Ihre Besinnung gut und fast ohne Ihr Zutun ausschwinge, lassen 114 Aus einem Gespriich von der Sprache Sie uns die Rollen vertauschen, indem ich das Antworten ubernehme, und zwar hinsichtlich Ihrer Frage, die das Hermeneutis.me betrifft. J Wir gelangen so auf den zuerst eingeschlagenen Weg unseres Gespraches zuriick. F Wo wir mit der ErHiuterung des Hermeneutischen nicht allzu weit gediehen sind. Ich erzahlte Ihnen mehr nur Geschichten, die zeigten, wie ich zur Verwendung des Namens gelangte. J Ich stellte dagegen fest, daB Sie jetzt den Namen nicht mehr gebrauchen. F SchlieBlich betonte ich, das Hermeneutische meine, als Beiwort zu »Phanomenologie« gebraucht, nicht wie ublich die Methodenlehre des Auslegens, sondern dieses selbst. J Dann verlor sich unser Gesprach ins Unbestimmte. F Zum Gluck. J Gleichwohl danke ich Ihnen, daB Sie noch einmal auf die Henneneutik zuriickkommen. F Dabei mochte ich etymologisch an das Wort ankniipfen; Sie sehen daraus, daB meine Verwendung des Wortes nicht 121 willkiirlich, aber zugleich geeignet war, meinen Versuch mit der Phanomenologie in seiner Absicht zu verdeutlichen. J Um so mehr wundere ich mich dann, daB Sie inzwischen beide Titel fallen lieBen. F Es geschah nicht, wie viele meinen, urn die Bedeutung der Phanomenologie zu verleugnen, sondem urn meinen Denkweg im Namenlosen zu lassen. Aus einem Gespriich von der Sprache 115 J Was Ihnen kaum gelingen diirfte ... F insofem man in der Offentlichkeit nicht ohne Titel aus­ kommt. J Dies kann Sie jedoch nicht hindern, auch die inzwischen aufgegebenen Namen »Hermeneutik« und »hermeneutisch« noch genauer zu erHiutern. F Ich versuche es gem, weil die Erlauterung in eine Erorterung iibergehen kann. J In dem Sinne, wie Ihr Vortrag uber Trakls Gedicht die Erorterung versteht. F Genau so. Der Ausdruck »hermeneutisch« leitet sich vom griechischen Zeitwort £QJ.tflV£UELV her. Dies bezieht sich auf das Hauptwort £eJ.tflVEU~, das man mit dem Namen des Gottes eEeJ.tii~ zusammenbringen kann in einem Spiel des Denkens, das verbindlicher ist als die Strenge der Wissenschaft. Hermes ist der Gotterbote. Er bringt die Botschaft des Geschickes; EQJ.tl1VEU£LV ist jenes Darlegen, das Kunde bringt, insofem es auf eine Botschaft zu horen vermag. Solches Darlegen wird zum Auslegen dessen, was schon durch die Dichter gesagt ist, die seIber nach dem Wort des Sokrates in Platons Gesprach ION (534e) EefA.Tlvii~ £lOLV TooV aEooV »Botschafter sind der Gotter«. 122 J Ich liebe den von Ihnen genannten kleinen Qialog Platons. An der Stelle, die Sie meinen, fiihrt Sokrates die Beziige noch weiter, indem er die Rhapsoden als diejenigen vermutet, die vom Wort der Dichter Kunde bringen. F Aus all dem wird deutlich, daB das Hermeneutische nicht erst das Auslegen, sondern vordem schon das Bringen von Botschaft und Kunde bedeutet. 116 Aus einem Gespriich von der Sprache J Warum heben Sie auf diesen urspriingliehen Sinn des EQ~"VEUELV ab? F Weil dieser mieh bewog, mit seiner Hilfe das phanomenologisehe Denken zu kennzeichnen, das mir den Weg zu »Sein und Zeit« offnete. Es galt und gilt noch, das Sein des Seienden zum Vorsehein zu bringen; freilieh nieht mehr naeh der Art der Metaphysik, sondern so, daB das Sein selbst zum Seheinen kommt. Sein selbst - diessagt: Anwesen des Anwesenden, d. h. die Zwiefalt beider aus ihrer EinfaIt. Sie ist es, die den Mensehen zu ihrem Wesen in den Ansprueh nimmt. J Der Mensch west demnaeh als Mensch, insofern er dem Zuspru.eh der Zwiefalt entsprieht und sie so in ihrer Botsehaft bekundet. F Das Vorwaltende und Tragende in dem Bezug des Mensehenwesens zur Zwiefalt ist demnaeh die Sprache. Sie bestimmt den hermeneutischen Bezug. 123 J Wenn ich Sie also nach dem Hermeneutischen frage, und wenn Sie mieh naeh unserem Wort fur das fragen, was bei Ihnen Spraehe heiBt, dann fragen wir einander das Selbe. F Offenbar; darum. durfen wir dem verborgenen Zug unseres Gespraehes ruhig vertrauen ... J solange wir Fragende bleiben. F Sie meinen damit nieht, daB wir uns gegenseitig voller Neugier aushorehen, sondern ... J das, was gesagt sein mochte, immer weiter ins Offene ent­ lassen. ilL...... Aus einem Gespriich von der Sprache 117 F Was freilich allzu leieht den Anschein erweekt, als gleite alles ins Unverbindliche weg. J Diesem Schein begegnen wir, wenn wir die vormaligen Lehren der Denker aehten und stets in unserem Gesprach mitspreehen lassen. Was ieh da vorbringe, habe ich von Ihnen gelemt. F Was Sie so lernten, ist aueh nur wieder gelernt im. Horen auf das Denken der Denker. Jeder ist jedesmal im Gesprach mit seinen Vorfahren, mehr noeh vielleicht und verborgener mit seinen Nachkommen. J Dieses in einem tieferen Sinne geschichtliehe Wesen jedes denkenden Gespraches bedarf jedoch nieht jener Veranstal-. tungen, die naeh der Art der Historie Vergangenes iiber die Denker und ihr Gedachtes beriehten. F GewiB nieht. Aber fur uns Heutige kann es zur Not werden, daB wir solehe Gesprache vorbereiten, indem wir das Gesagte der friiheren Denker eigens auslegen. 124 J Was indessen leicht zur bloBen Beschaftigung herabsinken kann. F Dieser Gefahr begegnen wir, solange wir selbst bemiiht sind, gesprachsweise zu denken. J Und dabei, wie man in Ihrer Sprache sagt, jedes Wort auf die Waagschale legen. F Vor allem aber priifen, ob das Wort jeweils in seinem meist verborgenen vollen Gewicht ausgewogen wird. J Mir scheint, wir geniigen dieser ungeschriebenen Vorschrift, wenn ich auch gestehen mnB, daB ich ein sehr unbeholfener Frager bin. I'I' t I~ i' .] it I! ~ i jl Ii I Aus einem Gespriich von der Sprache Aus einem Gespriich von der Sprache118 119 F Dies bleibe-n wir aIle. Wir gleiten auch noch bei vieler Sorg- F GewiB, aber es geniigt von Anfang an nicht, gesetzt, daB faIt tiber Wesentliches hinweg - aueh jetzt, in diesem Ge- dieses Wort »Bezug« in der genannten Aussage ein tragensprach, das uns auf die Erorterung des Henneneutischen des Wort werden saIl. und des Wesens der Sprache brachte-. »Bezug« sagen wir auch, wenn wir das Brauchen und Beibringen, das Beziehen van benotigten Waren ne-nnen walJ 1m Augenblick sehe ich nicht, inwiefern wir es an der Sorg­ len. Wenn der Mensch im hermeneutischen Bezug steht, faIt des Wortgebrauches fehlen lieBen. I dann meint dieses freilich gerade nicht, er sei eine Ware. Wahl dagegen mochte das Wort »Bezug« sagen, der Mensch F Das bemerken wir oft recht spat; weil der Mangel nicht so sehr an uns liegt, als daran, daB die Sprache machtiger ist l sei in seinem Wes.en gebraucht, gehore als der Wesende, der er ist, in einen Brauch, der ihn beansprucht. und darum gewichtiger als wire I J In welchem Sinne? J Wie meinen Sie dies? '/ F Herme-neutisch, d. h. hinsichtlich des Bringens einer Kunde, 126 125 F Urn es an dem zu erHiutern, was wir soeben besprachen ... hinsichtlich des Verwahrens einer Botschaft. J Sie sagten, die Sprache sei der Grundzug im henneneuti- J Der Mensch steht »im. Bezug« sagt dann dasselbe wie: Der schen Bezug des Menschenwesens zur Zwiefalt von Anwesen Mensch west als Mensch»im Brauch« ... und Anwesendem. Bei diesem Hinweis wollte ich sogleich einiges vorbringen; es solI abe~ erst geschehen, wenn Sie 11 F der den Menschen ruft, die Zwiefalt zu verwahren ... gezeigt haben, was wir dabei unbedacht lieBen. J die, soweit ich sehe, weder vom Anwesen her, nach vom F rch meine das Wort »Bezug«. Wir denken an Beziehung im Sinne der Relation. Wir konnen das so Bekannte in einem 11~. ~ Anwesenden aus, noch aus der Beziehung beider sich erklaren laBt. leeren, fonnalen Sinne bezeichnen und wie eine Rechenmarke verwenden. Denken Sie an das Vorgehen der Logistik. Wir konnen das Wort »Bezug« in der Redewendung, der Mensch stehe im hermeneutischen Bezug zur Zwiefalt, I F Well die Zwiefalt seIber erst die Klarheit, d. h. die Lichtung entfaltet, innerhalb deren Anwesendes als salches und Anwesen fur den Menschen unterscheidbar werden ... doch auch ganz anders horen. Wir mussen es sagar, falls wir dem Gesagten nachdenken. Wir miissen und konnen es vermutlich nicht sogleich, aber mit der Zeit nach langer Besin- I J fiir den Menschen, der seinem Wesen nach im Bezug, d. h. im Brauch der Zwiefalt seht. nung. F Darum diirfen wir auch nicht mehr sagen: Bezug zur ZwieJ Somit verschlagt es nichts, wenn man den »Bezug« zunachst in der gewahnten Weise als Relation versteht. I faIt, denn sie ist kein Gegenstand des Vorstellens, sondem das Walten des Brauches. 120 Aus einem Gespriich von der Sprache J Das wir jedoch nie u.nmittelbar erfahren, solange wir die Zwiefalt nur als den Unterschied vorstellen, der im Vergleichen sichtbar wird, das versucht, Anwesendes und dessen Anwesen gegeneinander zu halten. F Ich bin iiberrascht, daB Sie so klar sehen. J Wenn ich Ihnen im Gesprach folgen kann, gliickt es. Allein gelassen, bin ich ratIos; denn schon die Art, wie Sie die Worte »Bezug« und »Brauch« verwenden .. · i ~ ! 127 F besser gesagt: gebrauchen ... 11 J dies befremdet schon genug. F Was ich nicht leugne. Aber mir scheint, auf dem'Felde, das wir begehen, gelangen wir dann ins anfanglich Vertraute, wenn wir den DUTchgang durch das Befremdliche nicht scheuen. J Wie verstehen Sie das anfanglich Vertraute? Es ist doch nicht das zuerst Bekannte? F Nein, sondern jenes, was zuvor unserem Wesen zugetraut ist und erst zuletzt erfahrbar wird. J Und dem denken Sie nacho F Nur ihm, aber so, daB sich darin das Denkwiirdige als solches und im ganzen verhiillt. J Dabei kehren Sie sich nicht an die gelaufigen Vorstellungsweisen der Mitmenschen. F So sieht es zwar aus. In Wahrheit gilt doch jederDenkschritt nur der Bemiihung, mitzuhelfen, daB der Mensch denkend auf den Pfad seines Wesens finde. ,:.~.. 't Aus einem Gespriich von der Sprache 121 I J Daher Ihre Besinnung auf die Sprache ... F auf die Sprache in ihrem Verhaltnis zum Wesen des Seins, d. h. zum Walten der Zwiefalt. J Wenn die Sprache jedoch der Grundzug im hermeneutisch bestimmten Brauch ist, dann erfahren Sie das Wesen der 128 Sprache im vorhinein anders, als dies in der metaphysischen Denkweise geschieht. Dies ist es, worauf ich vorhin eigens hinweisen wollte. F Aberwozu? J Nicht urn Neues gegen das Bisherige abzuheben, sondern urn uns daran zu erinnern, daB gerade in der versuchten Besinnung auf das Wesen der Sprache das Gesprach als ein geschichtliches spricht. F Aus der denkenden Anerkennung des Gewesenen. J Dies soIl denn auch schon im Titel jener Vorlesung vermerkt werden, deren Nachschrift bei uns in den zwanziger Jahren haufig besprochen wurde. F Ich muB Ihnen gestehen, daB Sie sich jetzt tauschen. Die Vorlesung »Ausdruck und Erscheinung« (oder lautete der Titel nicht »Ausdruck und Bedeutung«?) war noch ziemlich streitbar, wenngleich sie von dem bestimmt blieb, was wir jetzt das Geschichtliche des denkenden Gespraches nennen. J Der Titel solI demnach einen Gegensatz anzeigen. F In jedem Fall lag mir daran, das ganz Andere, jedoch erst nur dunkel, wenn nicht verworren Geahnte, sichtbar zu machen. Bei solchen jugendlichen Spriingen wird einer leicht ungerecht. 122 Aus einem Gesprach von der Sprache J Das Wort »Ausdruck« im. Titel nennt das, wogegen Sie sich wenden. Denn Ihr Blick in das Wesen der Sprache haftet 199 nicht am Laut- und Schriftcharakter der Warter, was man doch als den Ausdruckscharakter der Sprache vorstellt. F Hierbei wird der Name »Ausdruck« in dem engen Sinne der sinnlichen Erscheinung verstanden. Indessen wird die Sprache auch dann noch im·Charakter des Ausdruckes vorgestellt, wenn man auf den Bedeutungsgehalt der Lautund Schriftgebilde achtet. J Inwiefem? Das in seiner Bedeutungsfiille verstandene Sprechen ist iiber dies Physisch-Sinnliche des Phonetischen hinaus und dies stets. Die Sprache ist als verlautender, geschriebener Sinn etwas in sich Dber-Sinnliches, das bloB Sinnliche standig Dbersteigendes. Die Sprache ist, so vorgestellt, in sich metaphysisch. F Ich stimme allern zu, was Sie vorbringen. Aber die Sprache kommt in diesem metaphysischen Wesen nur zum Vorschein, insofem sie zum voraus als Ausdrock. vorgestellt ist. Hierbei meint Ausdruck nicht nur die ausgestoBenen Sprachlaute und die gedruckten Schriftzeichen. Ausdruck ist zugleich AuBerung. J Sie bezieht sich auf das lnnere, das Seelische. F Zur Zeit jener Vorlesung sprach man iiberall yom Erlebnis, auch in der Phanomenologie. J Ein beriihmtes Buch von Dilthey tragt den Titel: »Das Erlebnis und die Dichtung«. F Erleben besagt stets: Zuriickbeziehen, namlich das Leben und Gelebte auf ein lch. Erlebnis nennt die Riickbeziehung Aus einem Gespriich von der Sprache 123 ,des Objektiven auf das Subjekt. Auch das vielbesprochene Ich-Du-Erlebnis gehort in den metaphysischen Bezirk der Subjektivitat. 130 J Diesen Bezirk der Subjektivitat und des ibm zugehorigen Ausdruckes haben Sie durch das Eingehen auf den hermeneutischen Bezug zur Zwiefalt verlassen. F Ich versuchte es wenigstens. Die Leitvorstellungen, die unter den Namen »Ausdruck«, »Erlebnis« und »BewuBtsein« das modeme Denken bestimmen, sollten hinsichtlich ihrer maBgebenden Rolle fragwiirdig werden. JAber dann verstehe ich nicht mehr, wie Sie den Titel »Ausdrock und Erscheinung« wahlen konnten. Er sollte doch einen Gegensatz ankiindigen. »Ausdruck« ist AuBerung eines Innen und bezieht sich auf das Subjektive. »Erscheinung« nennt dagegen das Objektive, falls ich hier an Kants Sprachgebrauch erinnem darf, wonach die Erscheinungen die Gegenstande, d. h. die Objekte der Erfahrung sind. Sie haben sich mit dem Tilel Ihrer Vorlesung seIber auf die Subjekt-Objekt-Beziehung festgelegt. F Ihre Bedenken sind in gewisser Hinsicht berechtigt, schon allein deshalb, weil in der genannten Vorlesung vieles unklar bleiben muBte. Niemand kann sich aus dem herrschenden Vorstellungskreis mit einem Sprung heraussetzen, vor allem dann nicht, wenn es sich urn die seit langem eingefahrenen Bahnen des bisherigen Denkens handelt, die im Unauffalligen verlaufen. AuBerdem ist ein solches Sichabsetzen gegen das Bisherige allein schon dadurch gemaBigt, daB der anscheinend revolutionare Wille vor allem anderen versucht, das Gewesene urspriinglicher zuriickzugewinnen. Auf der ersten Seite von »8ein und Zeit« ist mit 131 Bedacht die Rede vom»Wiederholen«. Dies meint nicht das 124 Aus einem Gespriich von der Sprache gleichformige Anrollen des .immer Gleichen, sondern: Holen, Einbringen, Versammeln, was sich im Alten verbirgt. J Unsere Lehrer und meine Freunde in Japan haben Ihre Bemiihungen stets in diesem Sinne verstanden. Professor Tanabe kam oft auf eine Frage zuriick, die Sie einmal an ihn gerichtet haben, weshalb wir Japaner uns nicht auf die ehrwiirdigen Anfange unseres eigenen Denkens besannen, statt immer gieriger dem jeweils Neuesten in der europaischen Philosophie nachzurennen. Dies geschieht in der Tat auch heute noch. I F Dagegen laBt sich schwer angehen. Solche Vorgange ersticken zur rechten Zeit in ihrer eigenen Unfruchtbarkeit. Was dagegen unser Zutun'verlangt, ist ein anderes. J Und das ware? F Die Achtsamkeit auf die Spuren, die das Denken in seinen Quellbereich weisen. I J Solche Spuren finden Sie in Ihrem eigenen Versuch? I F Ich finde sie nur, weil sie nicht von mir stammen und selten genug·vernehmlich sind wie ein verwehtes Echo eines fernen Zurufes. t J Aber ich mochte daraus entnehmen, daB Sie in der Unterscheidung »Ausdruck und Erscheinung«nicht mehr die Subjekt-Objekt-Beziehung zugrundelegen. 132 F Sie sehen dies noch klarer, wenn Sie beachten, was ich jetzt zu Ihrem Hinweis auf Kants Begriff der Erscheinung nachtragen mochte. Kants Bestimmung ruht auf dem Ereignis, daB alles Anwesende schon zurn. Gegenstand des Vorstellens geworden ist. Aus einem Gespriich von der Sprache 125 J 1m Erscheinen, wie Kant es denkt, mussen wir schon das Gegenstehen miterfahren. F Das ist notig, nicht aIlein urn. Kant recht zu verstehen, sondernum vor allern das Erscheinen der Erscheinung, wenn ich so sagen darf, urspriinglich zu erfahren. J Wie geschieht dies? F Die Griechen haben erstmals die -' '( 136 Aus einem Gespriich von der Sprache der .Unterscheidung des Qtaihrrov und vO'Y)'tov nannte: [ro 144 und Ku. [ro meint mehr als Farbe und das sinnlich Wahrnehmbare jeder Art. Ku, das Offene, die Leere des Himmels,meint mehr als das Dbersinnliche. F Worin das »mehr« beruht, konnten Sie nicht sagen. J Doch jetzt kann ich einem Wink folgen, den beide Worte bergen. F W ohin winken sie? J In das, von woher das Widerspiel beider zueinander sich ereignet. FUnd das ist? J Koto, das Ereignis der lichtenden Botschaft der hervorbringenden Huld. F Koto ware das waltende Ereignen ... J und zwar dessen, was die Hut des Gedeihenden und Erbliihenden braucht. F Was sagt dann Koto ba als Name fiir die Sprache? J Aus diesem Wort gehort, ist die Sprache: BliitenbHitter, die aus Koto stammen. F Das ist ein wund.ersames und darum unausdenkbares Wort. Es nennt anderes als das, was uns die metaphysisch verstandenen Namen: Sprache, yAwaa«, lingua, langue und langua­ 145 ge vorstellen. Ich gebrauche seit langem nur ungern das Wort »Sprache«, wenn ichihremWesen nachdenke. Aus einem Gespriich von der Sprache 137 JAber finden Sie ein gemaBeres? F Ieh meine, es gefunden zu haben; mochte es jedoch davor bewahren, daB es als gelaufiger Titel verwendet und zur Bezeichnung fiir einen Begriff umgefalscht wird. J Welches Wort gebrauchen Sie? F Das Wort »die Sage«. Es meint: das Sagen und sein Ge­ sagtes und das zu-Sagende. J Was heiBt sagen? F Vermutlich das Selbe wie zeigen im Sinne von: erscheinen­ und scheinenlassen, dies jedoch in der Weise des Winkens. J Die Sage ist darnach nicht der Name fur das menschliche Sprechen ... F sondern fiir jenes Wesende, das Ihr japanisches Wort Koto ba erwinkt: das Sagenhafte ... J in dessen Winken ich jetzt erst durch unser Gesprach heimisch geworden bin, so daB ieh aueh klarer sehe, wie gut geleitet Graf Kuki war, als er unter Ihrer Anleitung dem Hermeneutischen nachzusinnen versuchte. F Sie erkennen aber auch, wie diirftig es urn meine Anleitung bestellt sein muBte; denn mit dem Blick in das Wesen der Sage beginnt das Denken erst jenen Weg, der uns aus dem nur metaphysischen Vorstellen zuriicknimmt in das Achten 146 auf die Winke jener Botschaft, deren Botenganger wir eigens werden mochten. J Der Weg dahin ist weit. 138 Aus einem Gespriich von der Sprache F Weniger, weil er in die Ferne, als weil er durch das Nahe fiihrt. J Das so nah ist, lang schon so nah gewesen ist, wie uns Japanern das bislang unbedachte Wort fur das Wesen der Sprache: Koto ba. F Bliitenblatter, die aus Koto stammen. Die Einbildungskraft machte ausschweifen in unerfahrene Bereiche, wenn dieses Wort sein Sagen beginnt. J Schweifen konnte sie nur, wenn sie in das bloBe Vorstellen losgelassen wiirde. Wo sie jedoch als Quell des Denkens springt, scheint sie mir eher zu versammeln als zu schweifen. Dergleichen ahnte schon Kant, wie Sie- seIber zeigen. FAber ist unser Denken schon an diesem Quell? J Wenn nieht, dann doch unterwegs dorthin, sobald es den Pfad sucht, auf den, wie ich jetzt deutlicher sehe, unser japanisches Wort fiir »Sprache« winken mochte. F Um diesem Wink uns fligen zu kannen, mliBten wir erfahrener sein im Wesen der Sprache. J Mir scheint, Bemiihungen darum. begleiten seit Jahrzehnten Ihren Denkweg und dies so vielfaltig, daB Sie vorbereitet genug sind, etwas vom Wesen der Sprache als Sage zu sagen. 147 FAber Sie wissen auch ebensogut, daB eigene Bemiihung allein nie zureicht. J Das bleibt wahr. Doch wir konnen, was sterbliche Kraft flir sich nie vermag, eher erlangen, wenn wir von der BereitAus einem Gespriich von der Sprache 139 schaft erfiillt sind, auch das wegzuschenken, was wir von uns aus nur immer versuchen, ohne daB es die Vollendung erreicht hat. F Vorlaufiges habe ich in dem 'Vortrag gewagt, den ich in den Ietzten Jahren einige Male hielt unter dem Titel »Die Sprache«1. J Von diesem Vortrag tiber die Sprache habe ich Berichte und sogar eine Nachschrift gelesen. F Solche Na.chschriften, auch die sorgfaltigen, bleiben, wie ich schon sagte, zweifelhafte Quellen, und jede Nachschrift des genannten Vortrages ist ohnehin eine Verunstaltung seines Sagens. J Wie meinen Sie dieses harte Urteil? F Es ist kein Urteil iiber die Nachschriften, sondern iiber eine unklare Kennzeichnung des Vortrages. J Inwiefern? F Der Vortrag ist kein Sprechen iiber die Sprache ... J Sondern? F Wenn ich Ihnen jetzt antworten konnte, ware das Dunkel urn den Weg gelichtet. Aber ich kann nicht antworten. Der 148 Grund dafiir ist derselbe, der mich bisher davor zurUckgehalten hat, den Vortrag als Schrift erscheinen zu lassen. 1 Vgl. oben S. 9-30 140 Aus einem Gespriich von der Sprache J Es ware aufdringlich, wollte ich diesen Grund wissen. Nach der Art, wie Sie vorhin unser japanisches Wort fiir »Sprache« in Ihr Gehor aufnahmen, und aus dem, was Sie von der Botsehaft der Entbergung der Zwiefalt und yom Botengang des Mensehen andeuteten, kann ich nur unbestimmt vermuten, was es heiBt, die Frage nach der Spraehe in eine Besinnung auf das Wesen der Sage zu verwandeln. F Sie verzeihen, wenn ich mit den Hinweisen sparsam bleibe, die vielleicht dahin fiihren konnten, das Wesen der Sage zu erortern. J Hierfiir bedarf es einer Wanderung in die Ortsehaft des Wesens der Sage. F Dies vor allern. Aber ich meine jetzt zuvor etwas anderes. Was mich zur Zuriickhaltung bestimmt, ist die waehsende Einsicht in das Unantastbare, was uns das Geheimnis der Sage verhullt. Mit der bloBen Aufhellung des Untersehiedes zwischen Sagen und Sprechen ist wenig gewonnen. J Wir Japaner haben fur Ihre Art der ZUrUckhaltung - ich darf wohl sagen - ein angeborenes Verstandnis. Ein Geheimnis ist erst dann ein Geheimnis,wenn nieht einmal dies zum Vorschein kommt, daf3 ein Geheimnis waltet. F Fiir die oberflachlich Eiligen nicht minder als fur die sinnend Bedachtigen muB es so aussehen, als gabe es nirgends ein Geheimnis. 149 J Wir stehen jedoch mitten in der Gefahr, nieht nur zu Iaut yom Geheimnis zu reden, sondern. sein Walten zu verfeh­ len. F Dessen reinen Quell zu huten, dunkt mich das Schwerste. Aus einem Gespriich von der Sprache 141 J Aber diirfen wir deshalb kurzerhand der Miihe und dem Wagnis ausweichen, iiber die Sprache zu sprechen? F Keineswegs. Wir miissen uns unabHissig urn ein solches Spreehen bemiihen. Sein Gesprochenes kann freilieh nie in die Form einer wissensehaftlichen Abhandlung eingehen ... I I I J weil dadurch die Bewegung des hier verlangten Fragens zu leieht erstarrt. F Dies ware der geringste Verlust. Sehwerer wiegt ein anderes: ob es namlieh je ein Sprechen iiber die Sprache gibt. J DaB es dies gibt, bezeugt doch unser eigenes Tun. F Ieh fiirehte, nur allzusehr. J J Dann verstehe ich Ihr Bedenken nieht. I F Ein Sprechen iiber die Sprache macht sie fast unausweichlich zu einem Gegenstand. J J Dann entschwindet ihr Wesen. I F Wir haben uns uber die Sprache gestellt, statt von ihr zu horen. I J Dann gabe es nur ein Sprechen von der Sprache ... I F in der Weise, daB es von ihrem Wesen her gerufen und dakin geleitet ware. 150 J Wie vermogen wir solches? F Ein Sprechen von der Sprache konnte nur ein Gesprach seine 142 Aus einem Gespriich von der Sprache J Darin bewegen wir uns oOOe Zweifel. F Aber ist es ein Gesprach vom Wesen der Sprache her? J Mir scheint, wir bewegen uns jetzt im Kreis. Ein Gesprach von der Sprache muB von ihrem Wesen gerufen sem. Wie vermag es dergleichen, oOOe seIber erst auf ein Horen sich einzulassen, das sogleich ins Wesen reicht? F Dieses seltsame Verhaltnis nannte ich einmal den henneneutischen Zirkel. J Er besteht liberall im Hermeneutischen, also dort, wo nach Ihrer heutigen Erlauterung das Verhaltnis von Botschaft und Botengang waltet. F Der Botenganger muD schon von der Botschaft herkommen. Er muB aber auch schon auf sie zugegangen sein. J Sagten Sie friiher nicht,dieser Zirkel sei unausweichlich; statt zu versuchen, ihn als einen vermeintlich logischen Widerspruch zu vermeiden, miisse man iOO gehen? F GewiB. Aber diese notwendige Anerkennung des hermeneutischen Zirkels bedeutet noch nicht, da.B mit der Vorstellung des anerkannten Kreisens der hermeneutische Bezug urspriinglich erfahren ist. 151 J Sie wiirden also Ihre friihere Auffassung preisgeben. F Allerdings - und zwar insofem, als die Rede von einem Zirkel stets vordergriindig bleibt. J Wie wiirden Sie jetzt den hermeneutischen Bezug darstel­ len? Aus einem Gespriich von der Sprache 145 I F Ich mochte eine Darstellung ebenso entschieden venneiden wie ein Sprechen iiber die Sprache. J So lage ailes daran, in ein entsprechendes Sagen von der I Sprache zu gelangen. I F Ein solches sagendes Entsprechen konnte nur ein Gesprach sein. J Aber offenkundig ein Gesprach ganz eigener Art. I F Ein solches, das dem Wesen der Sage urspriinglich vereignet bliebe. I J Dann diirften wir aber nicht mehr jedes Miteinanderreden t J ein Gesprach nennen ... I I F falls wir diesen Namen fortan so horten, daB er uns die Versammlung auf das Wesen der Sprachenennt. I J In diesem Sinne waren dann auch Platons Dialoge keine I Gesprache? F Ieh mochte die Frage offenlassen und nur darauf weisen, I daB sich die Art eines Gespraches aus dem bestimmt, von woker die dem Anschein nach allein Sprechenden, die Men­ 15g schen, angesproehen sind. J Wo das Wesen der Sprache als die Sage die Menschen ansprache (ansagte), ergabe sie das eigentliche Gesprach ... F das nieht »liber« die Sprache, sondem von ihr, als von ihrem Wesen gebraucht, sagte. 144 Aus einem Gespriich von der Sprache Aus einem Gespriich von der Sprache 145 J F J Wobei es sogleich von untergeordneter Bedeutung bliebe, ob das Gesprach als ein geschriebenes vorliegt oder als ein irgendwann gesprochenes verklungen ist. GewiB - well alles daran liegt, ob dieses eigentliche Gesprach, mag es geschrieben und gesprochen sein oder nicht, fortwahrend im Kommen bleibt. Der Gang eines solchen Gespraches muBte einen eigenen Charakter haben, demgemaB mehr geschwiegen als geredet I I I J F J Ein Stillendes miiBte sich ereignen, was das Wehen der Weite in das Gefiige der rufenden Sage beruhigte. Dberall spielt das verhullte Verhaltnis von Botschaft und Botengang. In unserer alten japanischen Dichtung singt ein unbekannter Dichter vom Ineinanderduften der Kirschblute und pflaumenbliite am selben Zweig. wtirde. I F So denke ich mir das Zueinanderwesen von Weite und Stille F Geschwiegen vor allem tiber das Schweigen . · . irn selben Ereignis der Botschaft der Entbergung der Zwie­ faIt. J F J F J weil das Reden und Schreiben tiber das Schweigen das verderblichste Gerede veranlaBt · .. Wer vermochte es, einfach vom Schweigen zu schweigen? Dies mtiBte das eigentliche Sagen sein ... und das stete Vorspiel zum eigentlichen Gesprach von der Sprache bleiben. Ob wir so nicht das Unmoglicheversuchen? I I J F J Doch wer von den Heutigen konnte darin einen Anklang des Wesens der Sprache horen, das unser Wort Koto ba nennt, BliitenbHitter, die aus der lichtenden Botschaft der hervorbringenden Huld gedeihen? Wer mochte in all dem eine brauchbare Aufhellung des Wesens der Sprache finden? Man wird es nie finden, solange man Auskiinfte in Gestalt von Leitsatzen und Merkworten fordert. 154 153 F Allerdings ­ solange dem Menschen nicht jener Botengang rein gewahrt ist, den die Botschaft braucht, die dem Menschen die EI).tbergung der Zwiefalt zuspricht. F Doch manch einer konnte in das Vorspiel eines Botenganges einbezogen werden, sobald er sich fur ein Gesprach von der Sprache bereithalt. J Diesen Botengang hervorzurufen, gar noch, ihn zu gehen, dunkt mich noch unvergleichlich schwerer als das Wesen des Iki zu erortern. J Mir will scheinen, als hatten wir jetzt seIber, statt uber die Sprache zu sprechen, einige Schritte auf einem Gang versucht, der sich dem Wesen der Sage anvertraut. F GewiB. Denn es muBte sich etwas ereignen, wodurch sich dem Botep.gang jene Weite offnete und zuleuchtete, in der das Wesen der Sage zum Scheinen kommt. I F Sich ihm zusagt. Freuen wir uns, wenn es nicht nur so scheint, sondern so ist. Aus einem Gesprach von der Sprache146 J Was ist·dann, wenn es so ist? F Dann ereignet sich der Abschied von allem »Es ist«. J Den Abschied denken Sie aber doch nicht als Verlust und Verneinung? F Keineswegs. J Sondern? F Als die Ankunft des Gewesen. JAber das Vergangene geht doch, ist gegangen, wie solI es kommen? F DasVergehen ist anderes als das Gewesen. J Wie sollen wir dieses denken? 155 F Als die Versammlung des Wahrenden ... J das, wie Sie neulich sagten, wahrt als das Gewahrende ... F und das Selbe bleibt wie die Botschaft ... J die uns als Botenganger braucht. DAS WESEN DER SPRACHE I Die folgenden drei Vortrage stehen unter dem Titel: Das We­ 159 sen der Sprache. Sie mochten uns vor eine Moglichkeit bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen. Mit etwas, sei es ein Ding, ein Mensch, em Gott, eine Erfahrung machen heiBt, daB es uns widerfahrt, daB es uns trifft, iiber uns kommt, uns umwirft und verwandelt. Die Rede yom »machen« meint in dieser Wendung gerade nicht, daB wir die Erfahrung durch uns bewerkstelligen; machen hellit hier: durchmachen, erleiden, das uns Treffende vemelunend empfangen, annehmen, insofem wir uns ihm fligen. Es macht sich etwas, es schickt sich, es fugt sich. Mit der ·Sprache eine Erfahrung machen heiBt dann: uns yom Anspruch der Sprache eigens angehen lassen, indem wir auf ihn eingehen, uns ihm fugen. Wenn es wahr ist, daB der Mensch den eigentlichen Aufenthalt seines Daseins in der Sprache hat, unabhangig davon, ob er es weiB oder nicht, dann wird eine Erfahrung, die wir mit der Sprache machen, uns im innersten Geflige unseres Daseins anruhren. Wir, die wir die Sprache sprechen, konnen alsdann durch solche Erfahrungen verwandelt werden, iiber Nacht oder mit der Zeit. Nun ist aber vielleicht eine Erfahrung, die wir mit der Sprache machen, sogar dann schon zu groB fur uns Heutige, wenn sie uns auch nur so weit trifft, daB wir erst einmal auf unser Verhiiltnis zur Sprache aufmerksam werden, urn fortan dieses Verhaltnisses eingedenk zu bleibena• Gesetzt namlich, wir wlirden auf den Kopf zu gefragt: In welchem Verhaltnis lebt ihr denn zu der Sprache, die ihr sprecht? - wir waren urn keine Antwort verlegen; wir fanden 160 a keine Reflexion j I I 1 151150 Das Wesen der Sprache auch sogleich ein Leitband und einen Anhalt, die uns verstatteten, die Frage auf eine verHiBliche Bahn zu bringen. Wir sprechen die Sprache. Wie anders konnen wir der Sprache nahe sein als durch das Sprechen? Dennoch ist unser Verhaltnis zur Sprache unbestimmt, dunkel, beinahe sprachlos. Wenn wir diesem seltsamen Sachverhalt nachsinnen, laBt es sich kaum vermeiden, daB zunachst jede Bemerkung dazu befremdet und unverstandlich klingt. Daher konnte es forderlich sein, wenn wir uns abgewohnen, immer nur das zu horen, was wir schon verstehen. DieseT Vorschlag gilt nicht nur jedem einzelnen Horer, er gilt mehr noch fur den, der von der Sprache zu sprechen versucht, vollends dann, wenn dies in der einzigen Absicht geschieht, Moglichkeiten zu zeigen, die uns erlauben, eingedenksam zu werden der Sprache und unseres Verhaltnisses zu ihr. Dies nun jedoch, mit der Sprache eine Erfahrung machen, ist etwas anderes als sich Kenntnisse iiber die Sprache beschaffen. Solche Kenntnisse werden uns durch die Sprachwissenschaft, durch die Linguistik und die Pllilologie der verschiedenen Sprachen, durch die Psychologie und durch die Sprachphilosophie bereitgestellt und standig bis ins Untibersehbare gefordert. Neuerdings zielt diewissenschaftliche undphilosophische Erforschung der Sprachen immer entschiedener auf die Herstellung dessen ab, was man die »Metasprache« nennt. Die wissenschaftliche Philosophie, die auf eine Herstellung dieser Dbersprache ausgeht, versteht sich folgerichtig als Metalinguistik. Das klingt wie lVletaphysik, klingt nicht nur so, ist auch so; denn die Metalinguistik ist die Metaphysik der durchgangigen Technifizierung aller Sprachen zum aIlein funktionierenden interplanetarischen Informationsinstrument. Metasprache und Sputnik, Metalinguistik und Raketentechnik sind das Selbe. Nur darfallerdings nicht die Meinung aufkommen, die wissenschaftliche und die philosophische Erforschung der Sprachen 161 und der Sprache werde hier abschatzig beurteilt. Diese Forschung hat ihr besonderes Recht und behalt ihr eigenes GeDas Wesen der Sprache wicht. Sie gibt jederzeit auf ihre Weise Nutzbares zu lernen. Aber eines sind die wissenschaftlichen und philosophischen Kenntnisse tiber die Sprache, ein anderes ist eine Erfahrung, die wir mit der Sprache machen.Ob der Versuch, uns vor die Moglichkeit einer solchen Erfahrung zu bringen, gliickt, wie weit das vielleicht Gegluckte bei jedem einzelnen unter uns reicht, dies hat niemand von uns in der Hand. Was zu tun ubrig bleibt, ist, Wege zu weisen, die vor die Moglichkeit bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen. Solche Wege gibt es seit langer Zeit. Siewerden nur selten in der Weise begangen, daB die mogliche Erfahrung mit der Sprache ihrerseits zur Sprache kommt. In Erfahrungen, die wir mit der Sprache machen, bringt sich die Sprache selbst zur Sprache. Man konnte meinen, das geschahe doch jederzeit in jedem Sprechen. Allein, wann immer und wie immer wir eine Sprache sprechen, die Sprache seIber kommt dabei gerade nie zum Wort. Zur Sprache kommt im Sprechen vielerlei, vor allem das, was wir besprechen: ein Tatbestand, eine Begebenheit, eine Frage, ein Anliegen. Nur dadurch, daB im alltaglichen Sprechen die Sprache seIber sich nickt ztlr Sprache bringt, vielmehr an sich halt, vermogen wir geradehin eine Sprache zu sprechen, von etwas und uber etwas im Sprechen zu handeln, ins Gesprach zu kommen, im Gesprach zu bleiben. Wo aber kommt die Sprache seIber als Sprache zum. Wort? Seltsamerweise dort, wo wir fur etwas, was uns· angeht, uns an sich reiBt, bedrangt oder befeuert, das rechte Wort nicht finden. Wir lassen dann, was wir meinen, im Ungesprochenen und machen dabei, ohne es recht zu bedenken, Augenblicke durch, in denen liDS die Sprache seIber mit ihrem Wesen femher und fliichtig gestreift hat. Wo es nun abergilt, etwas zur Sprache zu bringen, was bislang noch nie gesprochen wurdea, liegt alles daran, ob die Spraa »Zeit und Sein« - das Nichtdurchkommen hier 1923-1926 notigte zur Besinnung auf die Sprache und - zumNichtveroffentlichen der zuerst entworfenen Stucke I L 152 Das Wesen der Sprache 162 che das geeignete Wort schenkt oder versagt. Einer dieser FaIle ist der Fall des Dichters. So kann denn ein Dichter sagar damn gelangen, daB er die Erfahrung, die er mit der Sprache macht, eigens, und d. h. dichterisch, zur Sprache bringen muB. Unter den spaten, einfachen, fast liedhaften Gedichten von Stefan George findet sich eines, das iiberschrieben ist: Das Wort. Das Gedicht erschien zuerst im Jahre 1919 und wurde spater in den Gedichtband, der betitelt ist Das Neue Reich, aufgenommen (S. 134). Das Gedicht besteht aus sieben zweizeiligen Strophen. Die ersten drei sind gegen die zweiten drei klar abgesetzt, beide Triaden wiederum im ganzen gegen die siebente, die SchluBstrophe. Die Weise, in der wir hier kurz, aber zugleich durch aIle drei Vortrage hindurch mit dem Gedicht sprechen, erhebt keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Das Gedicht lautet: Das Wort Wunder von ferne oder traum Bracht ich an meines landes saum Und harrte bis die graue nom Den namen fand in ihrem born Drauf konnt ichs greifen dicht und stark Nun bliiht und gHinzt es durch die mark ... Einst langt ich an nach guter fahrt Mit einem kleinod reich und zart Sie suchte lang und gab mir kund: >So schlaft hier nichts auf tiefem grund< Worauf es meiner hand entrann Und nie mein land den schatz gewann ... DasWesen der Sprame 153 So lemt ich traurig den verzicht: 163 Rein ding sei wo das wort gebricht. Nach dem zuvor Vermerkten sind wir versucht, uns an die SchluBzeile des Gedichtes zuhalten: »Kein ding sei wo das wort gebricht.« Denn sie bringt das Wort der Sprache, diese selbst eigens zur Sprache und sagt etwas tiber das Verhaltnis zwischen Wort und Ding. Der lnhalt der SchluBzeile·laBt sich in eine Aussage umformen, die lautet: Kein Ding ist, wo das Wort gebricht. Wo etwas gebricht, ist ein Bruch, einAbbruch eingetreten. Einer Sache Abbruch tun heiBt: ihr etwas entziehen, es an etwas fehlen lassen. Es gebricht heiBt: es fehit. Kein Ding ist, wo das Wort fehIt, namlich das Wort, das jeweils das Ding nennt. Was bedeutet »nennen«? Wir konnen antworten: Nennen meint: etwas mit einem Namen ausstatten. Und was ist ein Name? Eine Bezeichnung, die etwas mit einem Laut- und Schriftzeicllen, mit einer Chiffre, versieht. Und was ist ein Zeichen? 1st es ein Signal? Oder ein Signum? Ein Merkmal? Oder ein Wink? Oder all dies und noch anderes? Wir sind sehr lassig und rechnerisch geworden im Verstandnis und Gebrauch von Zeichen. 1st der Narne, ist das Wort ein Zeichen? AIles liegt daran, wie wir das denken, was die Worte »Zeichen« und »Namen« besagen. Und wir merken hier schon an diesen geringen Hinweisen, in welche Stromung wir geraten, wenn das Wort als Wort, die Sprache als Sprache zur Sprache kommt. DaB auch das gehorte Gedicht beim Wort»Wort« an den Namen denkt, sagt die zweite Strophe: Und harrte bis die graue norn Den namen fand in ihrem born lndes lassen uns sowohl die hier genannteFinderin des Namens als auch dessen Fundort, norn und born, zogern, den »Namen« im Sinne einer bloBen Bezeichnung zu verstehen. Vielleicht ist 164 154 Das Wesen der Sprache der Name und das nennende Wort hier eher in jenem Sinn gemeint, den wir aus den Wendungen kennen: 1m Namen des Konigs, im Namen Gottes. Gottfried Benn beginnt eines seiner Gedichte: »Im Namen dessen, der die Stunden spendet«. »Im Namen« besagt hier: Unter dem GeheiB, nach dem GeheiB. Die Worter »Name« und »Wort« sind in Georges Gedicht anders, tiefer gedacht denn als bloBe Zeichen. Doch was sage ich? Wird in·einem Gedicht auch noch gedacht? Allerdings, in einem Gedicht von solchem Rang wird gedacht, und zwar ohne Wissenschaft, ohne Philosophie. Trifft dies zu, dann diirfen wir, miissen wir sogar mit der gebotenen ZUrUckhaItung und Vorsieht der zunachst herausgegriffenen SchluBzeile des Gediehtes, das iiberschrieben ist: »Das Wort«, besinnlicher nachdenken. Kein ding sei wo das wort gebricht. Wir wagten die Umschreibung: Kein Ding ist, wo das Wort fehlt. »Ding« wird hier im iiberlieferten umfassenden Sinn verstanden, der jegliches Etwas meint, das irgendwie ist. So genommen ist auch ein Gott ein Ding. Erst wo das Wort gefunden ist fur das Ding, ist das Ding ein Ding. So erst ist es. Demnach miissen wir betonen: Kein Ding ist, wo das Wort, d. h. der Name fehlt. Das Wort verschafft dem Ding erst das Sem. Doch wie kann ein bloBes Wort dies leisten, daB es etwas dahin bringt zu sein? Der wahre Sachverhalt liegt doeh umgekehrt. Siehe den Sputnik. Dieses Ding, wenn es ein solches ist, ist doch unabhangig von diesem Namen, der ihm nachtraglich angehangt wurde. Aber vielleicht ist es mit Dingen von der Art der Raketen, Atombomben, Reaktoren und dergleichen anders bestellt als mit dem, was der Dichter in der ersten Strophe der ersten Triade nennt: Wunder von ferne oder traum Bracht ich an meines landes saum Das Wesen der Sprache 155 Unzahligebalten indes auch dieses »Ding« Sputnik fiir ein 165 Wunder, dieses »Ding«, das in einem weltlosen »Welt«-Raum umherrast; und fiir viele war es und ist es noch ein Traum: Wunder und Traum der modemen Technik, die am wenigsten bereit sein diirfte, den Gedanken anzuerkennen, das Wort verschaffe den Dingen ihr Sein. Nicht Worte, sondern Taten zahlen in der Reehnung der planetarischen Rechnerei. Wozu .Dichter ...? Und dennoch! Lassen wir einmal ab von der Eile der -Gedanken. 1st nicht sogar dieses »Ding«, was es ist und wie es ist, im Namen seines Namens? Allerdings. Hatte nicht das Eilen im Sinne der groBtmoglichen technischen Steigerung der Geschwindigkeiten, in deren Zeitraum aIlein die modernen Maschinen und Apparaturen sein konnen, was sie sind, den Menschen angesprochen und in sein GeheiB bestellta , hatte dieses GeheiB zu solcher Eile den Menschen nicht herausgefordert und gestellt, hatte das Wort dieses Stellens nicht gesprochen, dann ware auch kein Sputnik: Rein Ding ist, wo das Wort fehlt. Also bleibt es eine ratselhafte Sache: das Wort der Sprache und sein Verhaltnis zum Ding, zu jeglichem, was ist- daB es ist und wie es ist. Darum halten wir fur ratsam, eine Moglichkeit dafur vorzubereiten, daB wir eine Erfahrung mit der Sprache machen. Deshalb horen wir jetzt achtsamer dorthin, wo eine solche Erfahrung in einer hohen und edlen Weise zur Sprache kommt. Wir horen das gelesene Gedicht. Raben wir es gehort? Kaum. Wir haben nur - und dies beinahe groblich - den letzten Vers aufgegriffen und ihn sogar noch in eine undichterische Aussage umgeschrieben: Kein Ding ist, wo das Wort fehIt. Wir konnten ein Obriges tun unddie Aussage vorlegen: Etwas ist nur, wo das geeignete und also zustandige Wort etwas als seiend nennt und so das jeweilige Seiende als ein solches stiftet. HeiBt dies zugleich: Sein gibt es nur, wo das geeignete Wort spricht? Woher nimmt das Wort dafiir seine Eignung? Der Dichter sagt a die Ge-Stellnis 156 Das Wesen der Sprache 166 darliber nichts. Aber der Tnhalt des SchluBverses enthalt doch die Aussage: Das Sein von jeglichem, was ist, wohnt im. Wort. Daher gilt der Satz: Die Sprache ist das Haus des Seins. So vorgehend, hatten wir flir einen fmher einmal ausgesprochenen Satz des Denkens die schonste Bestatigung aus der Dichtung beigebracht und - in Wahrheit aIle'S durcheinander gewirbelt. Wir hatten die Dichtung zu einer Belegstelle flir das Denken herabgesetzt und das Denken zu leicht genommen und auch schon vergessen, worauf es ankommt, namlich eine Erfahrung mit der Sprache zu machen. Darum bringen wir den zunachst aufgegriffenen und umgeschriebenen SchluBvers des Gedichtes unangetastet in seine Strophe zuriick: So lernt ich traurig den verzicht: Kein ding sei wo das wort gebricht. Hinter »verzicht« hat der mit Zeichen sehr sparsame Dichter einen Doppelpunkt gesetzt. Man erwartet daher, daB etwas folge, was, grammatisch gekennzeichnet, in direkter Rede spricht: So lernt ich traurig den verzicht: Kein ding ist wo das wort gebricht. Stefan George sagt jedoch statt »ist«: sei; und er konnte nach der von ihm sonst geiibten Schreibweise den Doppelpunkt weglassen, was der indirekten Rede des letzten Verses, falls es eine solche ist, fast gemaBer ware. Aber flir Georges Scmeibweise lassen sich vennutlich viele Beispiele anfiihren; z. B. eine Stelle aus Goethes »Einleitung zum Entwurf einer Farbenlehre«. Da steht: »Damit wir aber nicht gar zu angstlich eineErklarung zu vermeiden scheinen, so mochten wir das Erstgesagte folgendermaBen umschreiben: Die Farbe sei ein elementares Naturphanomen fur den Sinn des Auges ...« Vas W esen der Sprache 157 Was dem Doppelpunkt folgt, versteht Goethe als die Erkla­ 167 rung dessen, was die Farbe ist, und er sagt: »Die Farbe sei ...«. Wie liegt die Sache aber in der letzten Strophe des Georgeschen Gedichtes? Hier handelt es sich nicht urn eine theoretische Erklarung eines Phanomens, sondem urn einen Verzicht. So lemt ich traurig den verzicht: Kein ding sei wo das wort gebricht. Sagt das, was dem Doppelpunkt folgt, den Inhalt des Verzichtes? Verzichtet der Dichter darauf, daB kein Ding sei, wo das Wort gebricht? Genau das Gegenteil ist der Fall. Tm gelemten Verzicht liegt, daB er gerade zulaBt, kein Ding sei, wo das Wort gebricht. Wozu dieser Umstand spitzfindiger Erorterungen? Die Sache ist doch klar. Nein, nichts ist klar; aber alles bedeutend. Inwiefern? Insofern es zu horen gilt, wie sich in der letzten Strophe des Gedichtes das Ganze derjenigen Erfahrung sammelt, die der Dichter mit dem Wort und d. h. zugleich mit der Sprache, gemacht hat; weil wir darauf achten miissen, daB die Schwingung des dichterischen Sagens nicht auf die starre Schiene einer eindeutigen Aussage gezwungen und so zerstort werde. Dann konnte der letzte Vers »Kein ding sei wo das wort gebricht.« noch einen anderen Sinn haben als den einer in die indirekte Rede gewendeten Aussage und Feststellung, die sagt: Kein Ding ist, wo das Wort fehlt. Was auf den Doppelpunkt nach dem _,Wort »verzicht« folgt, nennt nicht das, worauf verzichtet wird, sondern nennt den Bereich, in den sich der Verzicht einlassen muB, nennt das GeheiB zum Sicheinlassen auf das jetzt erfahrene Verhaltnis zwischen VVort und Ding. Worauf der Dichter verzichten lemte, ist die vonnals von ihm gehegte Meinung'iiber das Verhaltnis von Ding und Wort. Der Verzicht betrifft das bis dahin gepflegte dichterische Verhaltnis zum Wort. Der Verzicht ist die Bereit­ 168 schaft zu einem anderen Verhaltnis. Dann ware im Vers: »Kein ding sei wo das wort gebricht. «, grammatisch gesprochen, das l 159158 Das Wesen der Sprache »sei« nicht der Konjunktiv zum »ist«,sondern eineArt von Imperativ, ein GeheiB, dem der Dichter folgt, um es kunftig zu bewahren. Dann hieBe im Vers: »Kein ding sei wo das -wort gebricht.« das »sei« soviel wie: LaB fortan kein Ding als seiendes zu, wo das Wort gebricht. In dem als GeheiB verstandenen »sei« sagt sich der Dichter das gelemte Entsagen zu, worin er die Meinung fahren laBt, etwas sei auch dann und sei schon, wenn das Wort noch fehle. Was heiBt Verzicht? Das Wort »Verzicht« gehort zum Zeitwort verzeihen; eine alte Wendung lautet: »sich eines Dinges verzeihen«, etwas aufgeben, darauf verzichten. Zeihen ist das selbe Wort wie das lateinische dicere, sagen, das griechische BEL?{,'V'U!1L, zeigen, althd. sagan: unser sagen. Der Verzicht ist ein Entsagen. In seinem Verzicht sagt der Dichter seinem vormaligen Verhaltnis zum Wort abo Nur dies? Nein, in der Absage ist ihm schon etwas zugesagt, ein GeheiB, -- dem er sich nicht mehr versagt. Nun ware es gleich gewaltsam, die imperativische Deutung des »sei« als die einzig mogliche zu behaupten. Vermutlich schwingen im dichterischen Sagen dieses »sei« dereine und der andere Sinn ineinander: ein GeheiB als Anspruch und das Sichfiigen in dieses.a Der Dichter hat den Verzicht gelernt. Er hat eine Erfahrung gemacht. Womit? Mit dem Ding und dessen Beziehung zum Wort. Aber die Oberschrift des Gedichtes Iautet nur: Das Wort. Die eigentliche Erfahrung hat der Dichter mit dem Wort gemacht, und zwar mit dem Wort, insofem das Wort erst eine Beziehung zu einem Ding zu vergeben hat. Deutlicher gedacht: Der Dichter hat erfahren, daB erst das Wort ein Ding als das Ding, das es ist, erscheinen und also anwesen laBt. Das Wort sagt sich dem Dichter als das zu, was ein Ding in dessen Sein 169 halt und erhalt. Der Dichter macht die Erfahrung mit einem Walten, mit einer Wiirde des Wortes, wie sie weiter und hoher nicht gedacht werden konnen. Das Wort ist aber zugleich jenes Gut, das dem Dichter als Dichter auf eine ungewahnlicheWeiWortes zum Ding. Dieses Verhaltnisaber ist nicht eine Beziehung zwischen dem Ding auf der einen und dem Wort auf der anderen Seite. Das Wort seIber ist das Verhaltnis, das jeweils in sich das Ding so einbehalt, daB es ein Ding »ist«.a a Gelassenheit a damit nurerstdas Fragwiirdige genannt Das Wesen der Sprache se zugetraut und anvertraut wird. Der Dichter erfahrt den Dichterberuf im Sinne einer Berufung zum Wort als dem Born des Seins. Der Verzicht, den der Dichter lemt, ist von der Art jenes erfiillten Entsagens, demallein sich das lang Verborgene und eigentlich schon Zugesagte zuspricht. So miiBte der Dichterdenn jubeln ob solcher Erfahrung, die ihm das Freudigste zubringt, was einem Dichter geschenkt werden kann. Statt dessen sagt das Gedicht: »So lernt ich traurig den verzicht:«. Also hangt der Dichter doch nur niedergeschlagen dem Verzicht als einem Verlust nacho Aber der Verzicht so zeigte sich - ist kein Verlust. Das »traurig« betrifft auch nicht den Verzicht, sondern das Lemen des Verzichtes. Die Trauer jedoch ist weder bloBe Niedergeschlagenheit noch Triibsinn. Die eigentliche Trauer ist in den Bezug zum Freudigsten gestimmt, aber zu diesem, insofem es sich entzieht, im Entzug zagert und sich spart. lndem der Dichter den genannten Verzicht lemt, macht er die Erfahrung mit dem hohen Walten des Wortes. Er vernimmt die Dr-Kunde dessen, was dem dichterischen Sagen aufgegeben, als das Hochste und Bleibende zugesagt und doch vorenthalten ist. Die Erfahrung, die der Dichter mit dem Wort macht, konnte er nie durchmachen, wenn sie nicht auf die Trauer gestimmt ware, auf die Stimmung der Gelassenheit zur Nahe des Entzogenen, aber zugleich fiir eine anfangliche Ankunft Gesparten. Die wenigen Hinweise nlogen geniigen, damit deutlicher werde, welche Erfahrung der Dichter mit der Sprache gemacht hat. Erfahren heiBt nach dem genauen Sinn des Wortes: eundo assequi: im Gehen, unterwegs etwas erlangen, es durch den Gang auf einem Weg erreichen. Was erreicht der Dichter? Nicht eine bloBe Kenntnis. Er gelangt in das Verhaltnis des 170 Das Wesen der Sprache160 Allein, mit diesen Aussagen, sie mogen noch so weit weisen, ziehen wir doch nur die Summe aus der Erfahrung, die der Dichter mit dem Wort gemacht hat, statt uns auf die Erfahrung selbst einzulassen. Wie geschah die Erfahrung? In die Antwort auf diese Frage weist uns das Wortchen, das wir als einziges beim Hinweis auf die letzte Strophe des Gedichtes unbeachtet lieBen: So lernt ich traurig den verzicht: Rein ding sei wo das wort gebricht. »80 lernt ich ...« Wie denn? So, wie es die voranstehenden sechs Strophen sagen. Von dem aus, was soeben zur letzten Strophe vermerkt wurde, konnte nun einiges Licht auf diese sechs Strophen fallen. Sie mussen allerdings aus dem Ganzen des Gedichtes fur sich seIber sprechen. In den sechs Strophen spricht die Erfahrung, die der Dichter mit der Sprache macht. Es schickt sich ihm etwas zu, trifft ihn und verwandelt sein Verhaltnis zum Wort. Darum muB zuvor jenes Verhaltnis zur Sprache genannt werden, worin sich der Dichter vor der Erfahrung aufhielt. Es spricht in den ersten drei Strophen. Die letzte Zeile der dritten lauft in drei Punkte aus und kennzeichnet so die Absetzung der ersten gegen die zweite Triade. Dann setzt mit der vierten Strophe die zweite Triade em; und zwar jah in dem Wort »Einst«, das hier nach seiner alten Bedeutung soviel besagt wie: Einmal. Die zweite Triade sagt, was der Dichter ein und fur allemal erfiihrt. Erfahrung ist der Gang auf einem Weg. Er £-lihrt durch eine Landschaft. In sie gehort sowohl das Land des Dichters als auch 171 der Wohnsitz der grauen Norn, d. h. der alten Schicksalsgottin. Sie wohnt am Saum, an der Grenze des dichterischen Landes, das als die »mark« seIber ein Grenzland ist. Die graue Nom hiitet ihren Born, d. h. die Quelle, auf deren tiefem Grund sie die Namen sucht, urn sie daraus zu schopfen. Das Wort, die Sprache, gehort in den Bereich dieser geheimnisvollen Land- L~___ Das Wesen der Sprache 161 schaft, wo das dichterische Sagen an den geschickhaften Quell der Sprache grenzt. Zunachst und langehin scheint es so, als brauche der Dichter nur die Wunder, die ihn bezaubern, oder die Traume, die ihn entriicken, an die Quelle der Sprache zu bringen, urn sich daraus in ungetriibter Zuversicht die Worte schopfen zu lassen, die auf alles passen, was sich ihm an Wun­ derbarem und Getraumtem eingebildet hat. Vormals huldigte der Dichter, durch das Gegliickte seiner Dichtungen darin be­ starkt, der Meinung, die dichterischen, Dinge, Wunder und Traume, stunden schon von sich aus fur sich gut verburgt im Sein, es bediirfe nur noch der Kunst, fur sie auch das Wort zu finden, das sie beschreibt und darstellt. Zunachst und langehin schien es so, als seien die Worte wie Griffe, die das schon Seien­ de und fur seiend Gehaltene umgreifen, dicht machen, es aus­ driicken und ihm so zur Schonheit verhelfen. Wunder von ferne oder traum Bracht ich an meines landes saum Dnd harrte bis die graue nom Den namen fand in ihrem bom- Draufkonnt ichs greifen dicht und stark Nun bliiht und glanzt es durch die mark ... Hier Wunder und Traume, dort die greifenden Namen, beides verschmolzen - ergab die Dichtung. Geniigte sie dem, was des Dichters ist, daB er namlich stifte, was bleibet, damit es wahre und sei? Einmal jedoch kommt fiir Stefan George der Augenblick, wo 172 das bisherige, seiner selbst sichere Dichten jah zexbricht und ibn an das Wort Holderlins denken laBt: Was bleibet aber, stiften die Dichter. 162 Das Wesen der Sprache Einmal namlich langt der Dichter, sogar nach guter Fahrt und so noch voller Hoffnung, bei der alten Schicksalsgottin an und verlangt den Namen fur das Kleinod reich und zart, das ihm auf der Hand liegt. Es ist weder »Wunder von feme« noch »traum«. Die Gottin sucht lang, aber vergeblich. Sie gibt ihm die Kunde: >So schHift hier nichts auf tiefem grund< So, niimlich so wie das auf der Hand liegende Kleinod, reich und zart, seIber ist. Ein solches Wort, das dieses einfach auf der Hand liegende Kleinod sein lieBe, was es ist, ein solches Wort muBte der Geborgenheit entquillen, die in der Stille eines tiefen Schlafes ruht. Nur ein Wort solcher Herkunft konnte das Kleinod in den Reichturn und die Zartheit seines schlichten Seins bergen. >So schliift hier nichts auf tiefern grund< Worauf es meiner hand entrann Und nie mein land den schatz gewann · . · Das zarte reiche Kleinod, schon auf der Hand liegend, gelangt nicht in das Sein eines Dinges, es wird nicht zumSchatz, d. h. zu dem dichterisch verwahrten Eigentum des Landes. Der Dichter schweigt uber das Kleinod, das nicht zum Schatz seines Landes werden konnte, ihm aber gleichwohl eine Erfahrung mit der Sprache schenkte, die Gelegenheit, jenen Verzicht zu lemen, in dessen Entsagung sich ihm das Verhaltnis von Wort und Ding zusagt. Das »kleinod reich und zart« ist unters,chieden gegen »Wunder von ferne oder traum«. Wir durfen 173 vermuten, wenn anders das Gedicht den eigenen dichterischen Weg Stefan Georges dichtet, daB im Kleinod an die zarte Fulle des Einfachen gedacht ist, das auf den Dichter in seiner Spiitzeit als das zu-Sagende zukommt. DaB er den Verzicht gelemt Das Wesen der Sprache 163 hat, bezeugt dieses Gedicht selbst, das zum singenden Lied von der Sprache gegluckt ist. Fur uns jedoch muB offen bleiben, ob wir es vermogen, uns auf eine gemaBe Weise in diese dichterische Erfahrung mit der Sprache einzulassen. Die Gefahr besteht, daB wir ein solches Gedicht iiberanstrengen, d. h. zuviel hineindenken und uns gegen die Ruhrung durch das Dichterische absperren. Noch groBer freilich - aber heute ungem eingestanden - ist die Gefahr, daB wir zu wenig denken und uns gegen den ,Gedanken strauben, die eigentliche Erfahrung mit der Sprache konne nill die denkende Erfahrung sein, zumal das hohe Dichten aller groBen Dichtung stets in einem Denken schwingt. Wozu aber dann, wenn es zuerst auf eine denkende Erfahrung mit der Sprache ankommt, dieser Hinweis auf eine dichterische Erfahrung? Weil das Denken wiederum in der Nachbarschaft zum Dichten seine Wege geht. Darum ist es gut, an den Nachbar, an den, der in derselben Nahe wohnt, zu denken. Beide, Dichten und Denken, brauchen einander, wo es ins .AuBerste geht, je auf ihre Weise in ihrer Nachbarschaft. In welcher Gegenda die Nachbarschaft selbst ihren Bereich hat, werden Dichten lmd Denken zwar auf verschiedene Weise, jedoch so bestimmen, daB sie sich im selben Bereich finden. Weil man aber von dem durch Jahrhunderte genahrten Vorurteil benommen ist, das Denken sei eine Sache der ratio, d. h. des Rechnens im weitesten Sinne, miBtraut man schon der Rede von einer Nachbarschaft des Denkens zum Dichten. Das Denken ist kein Mittel fur das Erkennen. Das Denken zieht Furchen in den Acker des Seins. Urn das Jahr 1875 schreibt Nietzsche einmal (GroBoktav WW XI, 20): »Unser Denken soli kraftig duften wie ein Kornfeld am Sommer- 174 Abend.« Wie viele haben heute noch die Sinne fur diesen Duft? Jetzt lassen sich die beiden Satze, mit denen der Vortrag begann, deutlicher wiederholen: Die drei Vortriige stehen unter dem Titel »Das Wesen der Sprache«. Sie mochten uns vor eine a Ortschaft 164 Das Wesen der Sprache Moglichkeit bringen, eine denkende Erfahrung mit der Sprache zu machen. Wohlgemerkt, vor eine Moglichkeit. Es bleibt beim VorHiufigen eines Versuches. Davon sagt der Titel freilich nichts. Der Titel »Das Wesen der Sprache« klingt dem Inhalt nach eher anmaBend, gleich als soBte hier ein sicherer Bescheid iiber das Wesen der Sprache verkiindet werden. Der Titel klingt iiberdies nach der Form allzu gelaufig, wie: das Wesen der Kunst, das Wesen der Freiheit, das Wesen der Technik, das Wesen der Wahrheit, das Wesen der Religion u.s.f. Wir sind des vielen Wesens, das hier· gemacht wird, beinahe schon iiberdriissig, und dies aus Griinden, die wir selbst kaum hinreichend durchschauen. Wie ware es aber, wenn wir das AnmaBende und das Gelaufige des Titels durch eine einfache Vorkehrung beseitigen? Wir geben dem Titel ein Fragezeichen mit, und zwar so, daB der ganze Titel in diesem Zeichen steht und dadurch anders klingt. Dann lautet er: Das Wesen? - der Sprache? Jetzt steht nicht nur die Sprache in Frage, sondern zugleich, was Wesen heiBt - mehr noch: in Frage steht, ob und wie Wesen und Sprache zueinander gehoren. Das Wesen? der Sprache? Durch das Fragezeichen wird alles AnmaBende und Gelaufige des Titels hinfallig. Aber zugleich ruft eine Frage die andere. Zunachst erheben sich die beiden folgenden: Wie sollen wir bei der Sprache anfragen, wenn unser VerhaItnis zu ihr verworren, in jedem Fall unbestimmt ist? Wie sollen wir dem Wesen nachfragen, wenn sogleich strittig wer... den kann, was Wesen heiBt? Wir mogen vielerlei Wege ersinnen, um die Anfrage bei der Sprache und die Nachfrage nach ihrem Wesen gleichsam flott 175 zu machen, aIle Bemiihung bleibt vergeblich, solange wir uns einer Hinsicht verschlieBen, die sich keineswegs auf die jetzt angeriihrten Fragen beschrankt. Wenn wir bei der Sprache anfragen, namlich nach ihrem Wesen, dann muB uns doch die Sprache seIber schon zugesprochen seine Wollen wir dem Wesen, namlich der Sprache, nachfragen, so muB uns auch, was Wesen heiBt, schon zugesprochen Das Wesen der Sprache 165 seine Anfrage und Nachfrage brauchen hier und iiberall im voraus den Zuspruch dessen, was sie fragend angehen, dem sie fragend nachgehen. Jeder Ansatz jeder Frage halt sich schon innerhalb der Zusage dessen auf, was in die Frage gesteIlt wird. Was erfahren wir, wenn wir dies geniigend bedenken? DaB das Fragen nicht die eigentliche Gebarde des Denkens ist, sondem - das Horen der Zusage dessen, was in die Frage kommen solI. Nun gilt jedoch von altersher in der Geschichte unseres Denkens das Fragen als der maBgebende Zug des Denkens, und dies nicht von ungefahr. Ein Denken ist urn so denkender, je radikaler es sich gebardet, je mehr es an die radix, an die Wurzel alles dessen geht, was ist. Immer bleibt das Fragen des Denkens das Suchen nach den ersten und letzten Griinden. Weshalb? vVeil dies, daB etwas ist und was es ist, weil das Wesende des Wesens von altersher sich als der Grundbestimmt hat. Insofern alies Wesen den Charakter des Grundes hat, ist das Suchen nach dem Wesen das Ergriinden und Begriinden des Grundes. Das Denken, das auf das so bestimmte Wesen zudenkt, ist in seinem Grund ein Fragen. Am SchiuB eines Vortrages mit dem Titel »Die Frage nach der Technik« wurde vor einiger Zeit gesagt: »Denn das Fragen ist die Frommigkeit des Denkens.« Fromm ist hier im alten Sinn gemeint: fiigsam, hier namlich dem, was das Denken zu denken hat. Es gehort zu den erregenden Erfahrungen des Denkens, daB es bisweilen die gerade erreichten Einblicke nicht zureichend iiberblickt und ihnen nicht auf die gemaBe Weise nachkommt. So steht es auch mit dem angefiihrten Satz, das Fragen sei die Frommigkeit des 176 Denkens. Der genannte Vortrag namlich, dessen SchluB dieser Satz biidet, bewegt sich bereits in dem Sachverhalt, daB die eigentliche Gebarde des Denkens nicht das Fragen sein kann, sondeTIl das Horen der Zusage dessen sein muB, wobei aIIes Fragen dann erst anfragt, indem es dem Wesen nachfragt. Dementsprechend wird der Titel dieser Vortrage, auch wenn wir ihn mit einem Fragezeichen versehen, dadurch noch nicht 166 Das Wesen der Sprache zum Titel fur eine Erfahrung des Denkens. Dennoch steht er da und wartet auf seine Erganzung im Sinne dessen, was soeben iiber die eigentliche Gebarde des Denkens vermerkt wurde. Wie immer wir bei der Sprache nach ib.rem Wesen anfragen, allem zuvor braucht es dessen, daB sich uns die Sprache selbst zusagt. In diesem Faile wird das Wesen der Sprache zur Zusage ihres Wesens, d. h. zur Sprache des Wesens (siehe II. Vortrag). Der Titel »Das Wesen der Sprache« verliert jetzt sogar die Rolle des Titels. Was er sagt, ist der Anklang einer denkenden Erfahrung, vor deren Moglichkeit wir uns zu bringen versuchen: Das Wesen der Sprache-: Die Sprache des Wesens. Falls dieser Satz, sofem es ein solcher ist und sein kann, keine erkiinstelte und darum leere Umkehrung darstellt, kann sich die Moglichkeit ergeben, daB wir zur rechten Zeit in der Wendung »Sprache des Wesens« sowohl fur »Sprache« als auch fiir »Wesen« ein anderes Wort einsetzen. Das Ganze, was uns jetzt anspricht: Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens, ist weder Titel noch gar Antwort auf eine Frage. Es wird zum Leitwort, das uns auf den Weg geleiten mochte. Dabei solI uns die zu Beginn vernommene dichterische Erfahrung mit dem Wort auf unserem Denkweg begleiten. Wir kamen mit ihr bereits in ein Gesprach, das zeigte: Der SchluBvers »Kein ding sei wo das wort gebricht.« deutet in das Verhaltnis von Wort und Ding, dergestalt, daB das Wort selbst das Verhaltnis ist, insofern es jeglich Ding ins Sein halt 177 und darin behalt. Ohne das also verhaltende Wort sinkt das Ganze der Dinge, die»Welt«, ins Dunkel weg, samt dem »Ich«, das, was ihm an Wunder und Traum begegnet, an den Saum seines Landes zur Quelle der Namen tragt. Damit wir die Stimme aus Stefan Georges dichterischer Erfahrung mit dem Wort noch in einem anderen Ton horen, lese ich zum SchluB das zweistrophige Gedicht von Gottfried Benn aus den »Statischen Gedichten« (S. 36). Der Ton dieses Gedichtes ist gestraffter und zugleich heiBer, weil preisgegeben Das Wesen der Sprache 167 und zugleich ins AuBerste entschieden. Das Gedicht ist mit einer kennzeichnenden und verrnutlich bewuBten Anderung des Titels iiberschrieben: Ein Wort Ein Wort, ein Satz -: Aus Chiffem steigen erkanntes Leben, jaher Sinn, die Sonne steht, die Spharen schweigen und alles ballt sich zu ihm hin. Ein Wort-, ein Glanz, ein Flug, ein Feuer, ein Flammenwurf, ein Sternenstrich-, und wieder Dunkel, ungeheuer, im leeren Raum urn Welt und Ich. II Die drei Vortrage mochten uns vor eine Moglichkeit bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen. Etwas erfahren heiBt: unterwegs, auf einem Weg, etwas erlangen. Mit etwas eine Erfahrung machen, heiBt, daB jenes, wohin wir uuterwegs gelangen, urn es zu erlangen, uns seIber belangt, uns trifft und beansprucht, insofem es uns zu sich verwandelt. Weil es auf ein Erfahren ankommt, auf ein Unterwegs-sein, 178 bedenken wir heute in der Stunde des Dberganges vom ersten zum dritten Vortrag den Weg. Hierfiir bedarf es einer Vorbemerkung, weil die meisten von Ihnen vorwiegend im wissenschaftlichen Denken beschaftigt sind. Die Wissenschaften kennen den Weg zum. Wissen unter dem Titel der Methode. Diese ist, zumal in der neuzeitlich-modemen Wissenschaft, kein bloBes Instrument im Dienste der Wissenschaft, sondern die Methode hat ihrerseits die Wissenschaften in ihren Dienst genommen. Dieser Sachverhalt wurde in seiner ganzen Tragweite 168 Das Wesen der Sprache zum ersten Mal von Nietzsche erkannt und in den folgenden Aufzeichnungen dargelegt. Sie sind aus seinern NachlaB unter den Nr. 466 und 469 im»Willen zur Macht« veroffentlicht. Die erste lautet: »Nicht der Sieg der rVissenschaft ist Das, was unser 19. Jahrhundert auszeichnet, sondern der Sieg der wissenschaftlichen Methode iiber die Wissenschaft.« Die andere Aufzeichnung beginnt mit dem Satz: »Die werthvollsten Einsichten werden am spatesten gefunden: aber die werthvollsten Einsichten sind die Methoden.« Auch Nietzsche seIber hat diese Einsicht iiber das Verhaltnis von Methode und Wissenschaft am spatesten gefunden, namlich wahrend des letzten Jahres seines hellen Lebens, 1888 in Turin. In den Wissenschaften wird das Thema nicht nur durch die Methode gestellt, sondern es wird zugleich in die Methode hereingestellt und bleibt in ihr untergestellt. Das rasende Rennen, das heute die Wissenschaften fortreiEt, sie wissen seIber nicht wohin, kommt aus dem gesteigerten, mehr und mehr der Technik preisgegebenen Antrieb der Methode und deren Moglichkeiten. Bei der Methode liegt aIle Gewalt des Wissens. Das Thema gehort in die Methode. Anders als im wissenschaftlichen Vorstellen verhalt es sich im Denken. Hier gibt es weder die Methode noch das Thema, 179 sondern die Gegend, die so heiBt, weil sie das gegnet, freigibt, was es fur das Denken zu denken gibt. Das Denken halt sich in der Gegend auf, indem es die Wege der Gegend begeht. I-lier gehort der Weg in die Gegend. Dieses Verhaltnis ist vom wissenschaftlichen Vorstel1en aus nicht nur schwer, sondern uberhaupt nicht zu e.rblicken. Wenn wir uns daher im folgenden auf den Weg der denkenden Erfahrung mit der Sprache besinnen, stellen wir keine methodologische Dberiegung an. Wir gehen schon inder Gegend, in dem Bereich, der uns angellt. Wir sprechen und sprechen von der Sprache. Das, wovon WIT sprechen, die Sprache, ist uns stets schon voraus. Wir sprechen ihr standig nur nacho So hangen wir fortwahrend hinter dem Das Wesen der Sprache 169 zuruck, was wir zuvor zu uns eingeholt haben miiBten, um davon zu sprechen. Demnach bleiben wir, von der Sprache sprechend, in ein immerfort unzureichendes Sprechen verstrickt. Diese Verstrickung sperrt uns gegen das ab, was sich dem Denken kundgeben solI. Allein, diese Verstrickung, die das Denken nie zu leicht nehmen darf, lost sich auf, sobald wir das Eigentumliche des Denkweges beachten, d. h. uns in der Gegend umblicken, worin das Denken sich aufhait. Diese Gegend ist uberall offen in die Nachbarschaft zum Dichten. Die Besinnung auf den Denkweg muB diese Nachbarschaft bedenken. Von auBen her genommen und aufgezahlt behandelt der erste Vortrag dreierlei: Einmal den Hinweis auf eine dichterische Erfahrung mit der Sprache. Der Hinweis beschrankt sich auf eiJ;lige Bemerkungen zu Stefan Georges Gedicht »Das Wort«. Zum andern kennzeichnet der Vortrag die Erfahrung, die es hier fur uns vorzubereiten gilt, als eine denkende Erfahrung. Wo das Denken in seine eigentliche Bestimmung findet, sammelt es sich auf das Horen der Zusage, die uns sagt, was es fur das Denken zu denken gibt. Jedes Anfragen bei der Sache ~des Denkens, jedes Nachfragen nach ihrem Wesen, wird schon von der Zusage dessen ge- 180 tragen, was in die Frage kommen solI. Darum ist das Horen der Zusage die eigentliche Gebarde des jetzt notigen Denkens, nicht das Fragen. Weil jedoch das Hinhoren ein Hinhoren auf das entgegnende Wort ist, entfaitet sich das Horen auf die Zusage des zu-Denkenden stets in ein Fragen nach der Antwort. Die Kennzeichnung des Denkens als eines Horens klingt befremdlich, genugt auch nicht der Deutlichkeit, deren es hier bedarf. Allein, dies macht das Eigentiimliche des Horens aus, daB es seine Bestimmtheit und Deutlichkeit aus dem empfangt, was ihm durch die Zusage bedeutet wird. Doch eines zeigt sich schon: das mer gemeinte Horen ist der Zusageals der Sage zugeneigt, mit der das Wesen der Sprache verwandt ist. Gelingt es, in die Moglichkeit einer denkenden Erfahrung mit der 170 Das Wesen der Sprache Sprache zu blicken, dann kann dies eine Klarheit dariiber bringen, in welchem Sinne das Denken ein Horen der Zusage ist. SchlieBlich enthalt der erste Vortrag ein Drittes: die Verwandlung des Titels der Vortrage. Sie beseitigt zunachst das AnmaBende und das Gelaufige des Titels durch den Zusatz des Fragezeichens, das sowohl die Sprache als auch das Wesen in Frage stellt und den Titel in die fragende Wendung verwandelt: Das Wesen? - der Sprache? Nun gilt unser Versuch der Vorbereitung einer denkenden Erfahrung mit der Sprache. Insofem jedoch das Denken allem zuvor ein Horen ist, ein Sichsagenlassen und kein Fragen, miissen wir, wenn es auf eine denkende Erfahrung mit der Sprache ankommt, die Fragezeichen wieder streichen, konnen jedoch auch nicht mehr zur iiblichen Form des Titels zuriickkehren. Wenn wir dem Wesen der Sprache nachdenken sollen, muB sich die Sprache zuvor uns zusagen oder gar schon zugesagt haben. Die Sp,rache muB auf ihre Weise sich seIber - ihr Wesen uns zusprechen. Die Sprache west als dieser Zuspruch. Wir horen ihn standig schon, aber wir denken nicht daran. Rorten wir 181 nicht iiberall den Zuspruch der Sprache, dann konnten wir kein Wort der Sprache gebrauchen. Die Sprache west als dieser Zuspruch. Das Wesen der Sprache bekundet sich als Spruch, als die Sprache ihres Wesens. Aber wir konnen diese Dr-Kunde weder recht horen noch gar »lesen«. Sie lautet: Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens. Das jetzt Gesagte ist eine Zumutung. Ware es nur eine Behauptung, dann diirften wir uns daran machen, ihre Richtigkeit oder Falschheit zu beweisen. Dies ware urn vieles leichter, als die Zumutung aus-zuhalten und uns in sie zu finden. Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens. Die Zumutung, dies denkend zu erfahren, stammt, so will es scheinen, aus dem Vortrag, der sie an uns stellt. Aber die Zumutung kommt anderswoher. Die Verwandlung des Titels ist von einer Art, daB sie ihn verschwinden laBt. Was dem folgt, ist keine Abhandlung iiber die Sprache unter einer veranderten Dber­ r Das Wesen der Sprache 171 schrift. Es ist der Versuch eines ersten Schrittes in die Gegend, die uns Moglichkeiten fiir eine denkende Erfahrung mit der Sprache bereithalt. In dieser Gegend trifft das Denken auf die Nachbarschaft zur Dichtung. Wir horten von einer dichterischen Erfahrung mit dem Wort. Sie spricht gesammelt in der letzten Strophe des Gedichtes: So lernt ich traurig den verzicht: Kein ding sei wo das wort gebricht. Wir versuchten, durch eine knappe Erlauterung der vorangehenden zweimal drei Strophen auf den dichterischen Weg dieser Erfahnmg zu blicken. Aus der Feme nur ein Blick auf den Weg des Dichters - wir werden uns nicht einbilden, seIber diesen Weg gegangen zu seine Denn das dichterische Sagen Stefan Georges ist in diesem Gedicht und den dazu gehorenden ein Gehen, das einem Weggehen gleichkommt, nachdem dieser Dichter vormals wie ein Gesetzgeber und Kiinder gesprochen hat. So gehort denn auch dieses Gedicht »Das Wort« in den 182 letzten Teil des letzten von George mitgeteilten Gedichtbuches »Das Neue Reich«, das im Jahr 1928 erschien. Der letzte Teil tragt den Titel: Das Lied. Das Lied wird gesungen, nicht nachtraglich, sondem: 1m Singen fangt das Lied an, Lied zu seine Der Dichter des Liedes ist der Sanger. Dichtung ist Gesang. Holderlin liebt nach dem Vorbild der Alten den Namen »Gesang« fiir die Dichtung. In der jiingst wiedergefundenen Hymne »Friedensfeier« singt Holderlin am Beginn der achten Strophe: Viel hat von Morgen an, Seit ein Gesprach wir sind und horen voneinander, Erfahren der Mensch; bald sind aber Gesang (wir). Die »voneinander horen« - die einen und die anderen - sind die Menschen und die Gotter. Der Gesang ist die Feier der An­ 172 Vas Wesen der Sprache kunft der Gotter - in welcher Ankunft alles still wird~ Der Gesang ist nicht der Gegensatz zum Gesprach, sondem. die innigste Verwandtschaft mit ihm.; denn auch der Gesang ist Sprache. In der voraufgehenden siebenten Strophe sagt Holderlin: Schiksaalgesez ist diB, daB AIle sich erfahren, DaB, wenn die Stille kehrt, auch eine Sprache sei. 1m Jahre 1910 hat Norbert v. Hellingrath, der 1916 vor Verdun gefallen ist, zum ersten Mal Holderlins Pindar-Dbertragungen aus den Handschriften herausgegeben. Dann folgte 1914 der erste Druck der spaten Hymnen Holderlins. Beides wirkte damals auf uns Studenten wie ein Erdbeben. Stefan George selbst, der Norbert von Hellingrath auf Holderlin gewiesen, empfing wiederum durch die genannten Erstausgaben - gleich wie Rilke - entscheidende StoBe. Seitdem nahert sich 183 Stefan Georges Dichtungmehr und mehr dem Gesang. Dabei hat der Dichter schon im Ohr, was Nietzsche imdritten Teil von »AIso sprach Zarathustra« am SchluB des Stuckes sagt, das uberschrieben ist: Von der gro{3en Sehnsucht. »Oh meine Seele, nun gab ich dir Alles und auch mein Letztes, und .aile meine Hande sind an dich leer geworden: - da{3 ich dick singen hie{3, siehe, das war mein Letztes!« (WW VI, 327). Der SchluBteil von Stefan Georges Gedichtbuch »Das Neue Reich« beginnt unter dem Titel »Das Lied« mit einem Vorspruch, der lautet: Was ich noch sinne und was ich noch fuge Was ich noch liebe tragt die gleichen zuge Der Dichter ist aus seinem eigenen fruheren »Kreis« herausgetreten, ohne doch auf das Wort zu verzichten; denn·er singt, und Gesang bleibt Gesprach. Der Verzicht des Dichters betrifft nicht das Wort, sondern das Verhaltnis desWortes zum Ding, genauer: das Geheimnisvolle dieses Verhaltnisses, das sich geDas Wesen der Sprache 173 rade dort als Geheimnis offenbart, wo der Dichter ein auf der Hand liegendes Kleinod nennen mochte. Welcher Art dieses Kleinod ist, sagt der Dichter nicht. Wir durfen aber daran denken, daB »Kleinod« nach der alten Bedeutung heiBt: ein zierliches Geschenk, das dem Gast zugedacht wird; oder auch ein Geschenk als Zeichen besonderer Gunst, das der Beschenkte fortanbei sich tragt. Kleinod - gehort in die Bezuge zu Gunst und Gast. Achten wir darauf, daB mit dem Gedicht »Das Wort« unter dem Leittitel des SchluBteiles »Das Lied« auch jenes Gedicht zusammengehort, das iiberschriehen ist »)Seelied« und beginnt: Wenn an der kimm in sachtem fall Eintaucht der feurig rote ball: Dann halt ich auf der dune rast Ob sich mir zeigt ein lieher gast. Die letzte Strophe nennt den Gast und nennt ihn zugleich 184 nicht. Wie der Gast, so halt sich das Kleinod im Ungenannten. Ungenannt vollends bleibt, was dem Dichter als die hochste Gunst nahe kommt. Das SchluBgedicht des SchluBteiles sagt sie, singt sie und nennt sie doch nicht. Kleinod, Gunst und Gast sind gesagt, aber nicht genannt. Also verschwiegen? Nein. Verschweigen konnen wir nur, was wir wissen. Der Dichter verschweigt nicht die Namen. Er weill sie nicht. Er bekennt es selbst in dem einen Vers, der wie der Generalba13 durch aIle Lieder tont: Worin du hangst, das weiilt du nicht. Die Erfahrung dieses Dichters mit dem Wort geht ins Dunkle und bleibt dabei seIber noch verschleiert. Wir mussen sie so lassen; aber indem wir die di~hterischeErfahrung so bedenken, lassen wir sie dabei auch schon in der Nachbarschaft zum Denken. Indes sollen wir nicht meinen, eine denkende Erfahrung mit der Sprache werde an Stelle der dichterischen eher ins Helle fiihren und durfe die Schleier wegheben. Was ein Denken hier Das Wesen der Sprache174 vermag, bestimmt sich daraus, ob und wie es die Zusage hort, worin das Wesen der Sprache als die Sprache des Wesens spricht. DaB jedoch der Versuch, eine Moglichkeit fur eine denkende Erfahrung mit der Sprache zu bereiten, die Nachbarschaft zum Dichten aufsucht, geschieht keineswegs zum Notbehelf, sondem aus der Vennutung, daB Dichten und Denken in die Nachbarschaft geharen. Vielleicht entspricht diese Vermutung der Zumutung, die wir -erst nur undeutlich haren: Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens. Wir suchen, damit sich eine Maglichkeit zeige, mit der Sprache eine denkende Erfahrung zu machen, die Nachbarschaft auf, in der Dichten und Denken wohnen. Ein seltsames Beginnen, wo wir in beiden wenig erfahren sind. Gleichwohl kennen 185 wir beide. Unter den Titeln Poesie und Philosophie ist uns vielerlei uber Dichten und Denken bekannt. Auf unserem Weg suchen wir die Nachbarschaft von Dichten und Denken auch nicht blindlings auf; denn wir haben schon ein Gedicht »Das Wort« im Gehar und dadurch eine dichterische Erfahrung mit der Sprache im Blick. Wir durfen sie mit allen Vorbehalten in das Sagen des Verzichtes zusammenschlieBen: »Kein ding sei wo das wort gebricht.« Sobald wir bedenken, hier werde das Verhaltnis von Ding und Wort genannt, somit das Verhaltnis der Sprache zu einem jeweils Seienden als solchem, haben wir das Dichterische in das Nachbarliche eines Denkens heriiber gerufen. Dieses jedoch, das Denken, vemimmt dabei nichts Fremdes. Denn mit das Friiheste, was durch das abendlandische Denken ins Wort gelangt, istdas Verhaltnis von Ding und Wort, und zwar in der Gestalt des Verhaltnisses von Sein und Sagen. Dieses Verhaltnis uberfallt das Denken so besturzend, daB es sich in einem einzigen Wort ansagt. Es lautet: A6yo~. Dieses Wort spricht in einem zumal als der Name fur dasSein und fur das Sagen. Aber noch besturzender fur uns ist, daB hierbei keine denkende Erfahrung mit der Sprache gemacht wird, so namlich, daB die Sprache seIber jenem Verhaltnis gemaB und eigens ...... Das Wesen der Sprache 175 zur Sprache kame. Diesem Hinweis entnehmen wir: Die dichterische Erfahrung Stefan Georges nennt etwas Uraltes, was das Denken schon betroffen hat und dieses seitdem gefangen halt, auf eine Weise allerdings, die uns so gelaufig wie unkenntlich geworden ist. Weder die dichterische Erfahrung mit dem Wort noch die denkende Erfahrung mit dem Sagen bringen die Sprache in ihrem Wesen zur Sprache. So steht es; unbeschadet dessen, daB seit der Friihzeit des abendlandischen Denkens bis in die Spatzeit der Dichtung Stefan Georges durch das Denken Tiefes uber die Sprache gedacht, Erregendes im Dichten zur Sprache gedichtet wurde. Woran es nun aber liegt, daB gleichwohl das Wesen der Sprache sich 186 liberall nicht als die Sprache des Wesens zur Sprache bringt, konnen wir nur vermuten. Manches spricht daflir, daB das Wesen der Sprache es gerade verweigert, zur Sprache zu kommen, namlich zu der Sprache, in der wir uber die Sprache Aussagen machen. Wenn die Sprache liberall ihr Wesen in diesem Sinne verweigert, dann gehort diese Verweigerung zum Wesen der Sprache. Somit halt die Sprache nicht nur dart an sich, wo wir sie gewohnterweise sprechen, sondem dieses ihr An-sich-halten wird von .daher bestimmt, daB die Sprache mit ihrer Herkunft an sich halt und so ihr Wesen dem uns gelaufigen Vorstellen versagt. Flir diesen Fall dlirfen wir aber dann auch nicht mehr sagen, das Wesen der Sprache sei die Sprache des Wesens, es sei denn, das Wort »Sprache« besage in der zweiten Wendung etwas anderes und sagar solches, worin die Verweigerung des Sprachwesens - spricht. DemgemaB bringt sich das Wesen der Sprache auf seine eigenste Weise doch zur Sprache. Wir durfen dem nicht mehr ausweichen, mussen vielmehr weiter vermuten, woran es wohl liegen mag, daB die eigentlimliche »Sprache« des Sprachwesens allzuleicht iiberhort wird. Vermutlich liegt dies mit daran, daB die beiden ausgezeichneten Weisen des Sagens, Dichten und Denken, nicht eigens und d. h. in ihrer Nachbarschaft aufgesucht wurden. Aber man redet doch oft genug von Dichten und Denken. Die Wendung ist bereits 176 Das Wesen der Sprache zur leeren Formel geworden und abgeleiert. Vielleicht empfangt das »und« in der Wendung »Dichten und Denken« seine Fiille und Bestimmtheit, wenn wir uns in den Sinn kommen lassen, das »und« konnte die Nachbarschaft von Dichten und Denken meinen. Wir verlangen allerdings sogleich eine Erklarung dariiber, was hier Nachbarschaft heiBen solI, mit welchem Recht von dergleichen die Rede ist und sein kann. Nachbar ist, was das Wort seIber uns sagt, wer in der Nahe wohnt zu einem und mit einem anderen. Dieser andere wird dadurch selbst zum. NachbaTIl 187 des einen. Die Naehbarschaft ist somit eine Beziehung, die sich daraus ergibt, daB einer in die Nahe des anderen zieht. Die Nachbarschaft istdas Ergebnis, d. h. die Folge und Wirkung dessen, daB einer gegeniiber dem anderen sich ansiedelt. Die Rede von der Nachbarschaft des Dichtens und Denkens meint demnach, daB beide einander gegeniiber wohnen, eines gegeniiber dem arideren sich angesiedelt hat, eines in die Nahe des anderen gezogen ist. Dieser Hinweis auf das Kennzeichnende der Nachbarschaft bewegt sieh in einer bildlichen Redeweise. Oder sagen wir schon etwas von der Sache? Was heiBt denn »bildliche Redeweise«? Wir sind mit dieser Auskunft schnell bei der Hand, ohne daran zu denken, daB wir uns auf sie solange nicht in einer verlaBlichen Form berufen diirfen, als unbestimmt bleibt, was Rede ist und was Bild und inwiefeTIl die Sprache in BildeTIl spricht, ob sie iiberhaupt so spricht. Darum lassen wir hier alles weit offen. Halten wir uns an das Notigste, namlich daran, die Nachbarschaft von Dichten und Denken aufzusuchen, d. h. jetzt: das Gegen-einander-iiber der beiden. Zum Gliick brauehen wir die Nachbarschaft weder erst zu suchen noch aufzusuehen. Wir halten uns schon in ihr auf. Wir bewegen uns in ihr. Das Gedicht des Dichters spricht zu uns. Wir haben dem Gedicht gegeniiber einiges gedacht, wenngleich nur im groben Dberschlag. Kein ding sei wo das wort gebrieht. Das Wesen der Sprache 177 sagt der Verzicht des Dichters; und wir sagten dazu, hier komme das Verhaltnis von Ding und Wort zum Vorschein; sagten ein iibriges, Ding nenne hier jegliches, was irgendwie ist, ein jeweilig Seiendes. Wir sagten ein iibriges zum »Wort«, daB es nicht nur in einem Verhaltnis zum Ding stehe, sondern daB das Wort das jeweilige Ding als das Seiende, das ist, erst in dieses »ist« bringe, darin halte, es verhalte, ihm gleichsam den Unterhalt gewahre, ein Ding zu seine DemgemaB sagten wir, das 188 Wort stiinde nicht nur in einem Verhaltnis zum Ding, sondern das. Wort »sei« seIber dasjenige, was das Ding als Ding halt und verhalt, sei als dieses Verhaltende: das Verhaltnis seIber. Fiir manchen mag dies zum Gedicht Gedachte sich eriibrigen und als zudringlich und gewaltsam erscheinen. Doch hier gilt es, in der Nachbarschaft zum dichterischen Erfahren mit dem Wort eine Moglichkeit fiir eine denkende Erfahrung mit der Sprache zu finden. Dies heiBt jetzt und zunachst: auf die Nachbarschaft als solche achten lernen, in der Dichten und Denken wohnen. Doch seltsam - die Nachbarschaft selbst bleibt unsichtbar. So ist es auch sonst im Alltaglichen. Man lebt in ihr und kame in Verlegenheit, sollte man sagen, worin die Nachbarschaft bestehe. Aber diese Verlegenheit ist nur ein besonderer, vielleicht ausgezeichneter Fall jener alten weit ausgreifenden Verlegenheit, in der sich unser Denken und Sagen iiberall und standig befindet. Welche Verlegenheit meinen wir? Diese: Wir sind nieht, und wenn, dann nur selten und dabei kaum, in der Lage, eine Beziehung, die zwischen zwei Dingen, zwischen zwei Wesen waltet, rein aus ihr selbst her zu erfahren. Wir stellen uns die Beziehung sogleich von dem aus vor, was jeweils in der Beziehung steht. Wir sind wenig damber verstandigt, wie, wodurch und woher sich die Beziehung ergibt und wie sie als diese Beziehung ist. So bleibt es zwar richtig, wenn wir die Nachbarsehaft als eine Beziehung vorstellen. Diese Vorstellung trifft aueh auf die Nachbarschaft von Dichten und Denken zu. Aber diese Vorstellung sagt uns nichts damber, ob das Dichten in die Naehbarschaft zum Denken zieht oder dieses in die Naeh­ Vas Wesen der Sprache178 barschaft zu jenem,oder ob beide in die Nachbarschaft zueinander gezogen sind. Das Dichten bewegt sich im Element des Sagens, insgleichen das Denken. Besinnen wir uns auf das Dichten, dann finden wir uns zugleich schon im selben Element, darin das Denken sich bewegt. Hierbei konnen wir nicht 189 geradehin entscheiden, ob das Dichten eigentlich.ein Denken sei, oder das Denken eigentlich ein Dichten. Dunkel bleibt, wodurch sich ihr eigentliches Verhaltnis bestimmt und woher dies, was wir lassig genug das Eigentliche nennen, eigentlich stammt. Aber - wie immer wir uns das Dichten und das Denken in den Sinn kommen lassen, jedesmal hat sich uns schon ein und dasselbe Element genahert: das Sagen, wir mogen eigens darauf achten oder nicht. Mehr noch: Dichten und Denken bewegen sich nicht nur im Element des Sagens, sondem sie verdanken zugleich ihr Sagen mannigfaltigen Erfahrungen mit der Sprache, die fur uns kaum beachtet oder gar gesammelt sind. Wo es geschah, mangelte es an dem zureichenden Hinblick gerade auf dasjenige, was uns durch die jetzige Besinnung immer naher angeht: die Nachbarschaft von Dichten und Denken. Vermutlich istsie doch kein bloBes Ergebnis, das erst dadurch erwirkt wird, daB Dichten und Denken zueinander in ein Gegeniiber einziehen; denn beide gehoren schon zueinander, ehe sie sich aufmachen konnten, in das Gegen-einander-uber zu gelangen. Das Sagen ist dasselbe Element fur das Dichten und das Denken; aber es ist flir beide noch oder schon auf eine andere Weise »Element«, als das Wasser fur den Fisch und die Luft fur den Vogel; auf eine Weise, daB wir die Rede vom Element verlassen mussen, insofern das Sagen nichtnur das Dichten und das Denken »tragt« und den Bezirk bietet, den sie durchmessen. Dies alles ist freilich leicht gesagt, d. h. ausgesprochen, aber zumal fur uns Heutige schwer zu erfahren. Was wir unter dem Namen der Nachbarschaft des Dichtens und Denkens zu bedenken versuchen, ist weit entfernt von einem bloBen Bestand vorgestellter Beziehungen. Die genannte Nachbarschaft Vas Wesen der Sprache 179 durchwaltet uberall unseren Aufenthalt auf dies.er Erde und die Wanderung in ihm. Weil jedoch das heutige Denken immer entschiedener und ausschlieBlicher zum Rechnen wird, setzt es aIle nur bestellbaren Krafte und »Interessen« daran, zu 190 errechnen, wie sich der Mensch demnachst im .weltlosen kosmischen Raum einrichten konne. Dieses Denken ist im Begriff, die Erde als Erde preiszugeben. Als Rechnen treibt es mit einer steigenden Geschwindigkeit und Besessenheit der Eroberung des kosmischen Raumes zu. Dieses Denkenselber ist schon die Explosion einerGewalt, die alles ins Nichtige jagen konnte.Der Rest, der aus solchem Denken folgt, der technische Vorgang des Funktionierens der Zerstorungsmaschinerien, ware nur die letzte finstere Abfertigung des Wahnsinns in das Sinnlose. Stefan George sagt schon in seiner 1917 wahrend des ersten Weltkrieges entstandenen groBen Ode »Der Krieg«: »Dies sind die flammenzeichen, nicht die kunde« (Das Neue Reich, S. 29). Der Versuch, die Nachbarschaft von Dichten und Denken eigens zu erblicken, hat uns vor eine eigentumliche Schwierigkeit gebracht. Wollten wir sie unbedacht vorbeigehen lassen, dann bliebe die Wegstrecke dieser Vortrage und der Gang auf ihr im Truben. Die Schwierigkeit spiegelt sich in dem wider, was uns schon im ersten Vortrag streifte und jetzt in diesem angeht. Wenn wir auf den Dichter horen und, was sein Verzicht sagt, auf unsere Weise bedenken, halten wir uns schon in der Nachbarschaft von Dichten und Denken auf, und doch wiederurn nicht, namlich nicht so, daB wir die Nachbarschaft als solche erfahren. Wir sind noch nicht unterwegs zu ihr. Wir mussen erst da-hin zuriickkehren, wo wir uns eigentlich schon aufhalten. Die verweilende Ruckkehr da-hin, wo wir schon sind, ist unendlich schwerer als die eiligen Fahrten dorthin, wo wir noch nicht sind und nie sein werden, es sei denn als technische, den Maschinen angepaBte Ungetume. Der Schritt zuriick in die Ortschaft des Menschenwesensa verlangt anderes als der Fortschritt ins Maschinenwesen. a (Brauch - Eignis) 180 Das Wesen der Sprache Dahin zUrUckkehren, wo wir uns (eigentlich) schon aufhalten, dies ist die Art des Ganges auf dem jetzt notigen Denk­ 191 weg. Achten wir auf das Eigene dieses Weges, dann schwindet der Anschein von Verstrickung, der zunachst stort. Wir sprechen von der Sprache im standigen Anschein, nur iiber die Sprache zu sprechen, wahrend wir bereits aus der Sprache her, in ihr sie selbst, ihr Wesen, uns sagen lassen. Darum durfen wir die begonnene Zwiesprache mit der gehorten dichterischen Erfahrung nicht vorzeitig abbrechen aus der Besorgnis, das Denken lieBe das Dichten nicht mehr zu dessen Wort kommen, reiBe vielmehr alles auf den Denkweg heriiber. Wir mussen es wagen, in der Nachbarschaft zum Gedicht und zur SchluBstrophe, in die es sich versammelt, hin und her zu gehen. Wir versuchen erneut, zu horen, was dichterisch gesagt ist. Wir vermuten, was dem Denken zugemutet sein konnte, und beginnen mit diesem. So lernt ich traurig den verzicht: Rein ding sei wo das wort gebricht. Wir schreiben den letzten Vers wieder so um, daB er fast wie eine Aussage, wenn nicht gar wie ein Lehrsatz klingt: Rein Ding ist, wo das Wort fehlt. Ein Ding ist erst und nur, wo das Wort nicht fehIt, mithin da ist. Wenn jedoch das Wort ist, dann muB es seIber auch ein Ding sein; denn »Ding« meint hier jegliches, was irgendwie ist: »Wunder von ferne oder traum«. Oder ist das Wort, wenn es spricht, als Wort kein Ding, nichts dergleichen, was ist? 1st das Wort ein Nichts? Wie solI es aber dann dem Ding dahin verhelfen, zu sein? MuB nicht, was das Sein verleiht, erst recht und allem zuvor selber»sein«, somit das Seiendste, seiender als die Dinge, die sind? In dieser Sicht muB der Sachverhalt sich uns darstellen, solange wir rechnen, d. h. ' fur etwas, das ist, den geniigenden Grund ausrechnen, der das Seiende als die Folge des Grundes, als seine Wirkung begriin­ 192 det und dadurch unser Vorstellen befriedigt. DemgemaB muE Das Wesen der Sprache 181 auch das Wort, wenn es dem Ding das »ist« verleihen solI, vor jedem Ding sein - also unweigerlich seIber ein Ding. Wir hatten dann den Sachverhalt vor uns, daB ein Ding, das Wort, einem anderen Ding das Sein verschafft. Aber der Dichter sagt: »Kein ding sei wo das wort gebricht.« Wort und Ding sind verschieden, wenn nicht geschieden. Wir meinen, beim ersten Hinhoren den Dichter zu verstehen; aber kaum haben wir den Vers nachdenkend gleichsam angeriihrt, sinkt, was er sagt, ins Dunkel. Das Wort, das seIber kein Ding sein solI, kein Etwas, das »ist«, entrinnt uns. Es scheint, als geschahe hier dasselbe, was im Gedicht mit dem Kleinod geschieht. Meint der Dichter mit dem »kleinod reich und zart« vielleicht das Wort selbst? Dann hatte Stefan George, dichterisch ahnend, daB das Wort seIber kein Ding sein konne, bei der Nom fur das Kleinod, namlich fur das Wort, das Wort erbeten. Die Gottin des Geschickes gibt ihm jedoch die Kunde: >So schlaft hier nichts auf tiefem grund<. Das Wort furdas Wort laBt sich dart nirgends finden, wo das Geschick die nennend-stiftende Sprache schenkt fur das Seiende, daB es sei und als Seiendes glanze und bliihe. Das Wort fur das Wort, ein Schatz zwar, doch nie zu gewinnen fur das Land des Dichters; aber fur das Denken? Wenn das Denken versucht, dem dichterischen Wort nachzusinnen, zeigt sich: das Wort, das Sagen, hat kein Seine Doch unser gelaufiges Vorstellen wehrt sich gegen dieses Ansinnen. Jedermann sieht und hart in Schrift und Laut doch Worte. Sie sind; sie konnen sein wie Dinge, greifbar durch unsere Sinne. Wir brauchen, urn das grobste Beispiel anzufiihren, nur ein Warterbuch aufzuschlagen. Es ist vall von gedruckten Dingen. Allerdings. Lauter Worter und kein einziges Wort. Denn das Wort, wodurch die Worter zum Wort kommen, vermag ein Warterbuch weder zu fassen noch zu bergen. Wohin gehort das Wort, wohin das Sagen? So gibt uns denn die dichterische Erfahrung mit dem Wort einen bedeutenden Wink. Das Wort - kein Ding, nichts Sei- 193 182 Vas Wesen der Sprache endes; dagegen sind wir iiberdie Dinge verstandigt, wenn fiir sie das Wort zurVerfiigung steht. Dann »ist« das Ding. Doch wie verhalt es sich mit dem »ist«? Das Ding ist. 1st das »ist« seIber auch noch ein Ding, aufgestuft auf ein anderes, ihm aufgesetzt wie eine Kappe? Wir finden das »ist« nirgends als ein Ding an einem Ding. Dem »ist« geht es wie dem Wort. So wenig wie das Wort·geho·rt das »ist« unter die seienden Dinge. Plotzlich erwachen wir aus der Verschlafenheit des eiligen Meinens und erblicken Anderes. In dem, was die dichterische Erfahrung mit der Sprache vom Wort sagt, spielt das Verhaltnis zwischen dem »ist«, das seIber nicht ist, und dem Wort, das im selben Fall sich findet, d. h. nichts Seiendes ist. Weder dem »ist« noch dem »Wort« kommt das Dingwesen, das Sein, zu, und vollends nicht dem Verhaltnis zwischen dem »ist« und dem Wort, dem es aufgegeben, jeweils ein »ist« zu vergeben. Dennoch lassen sich weder das »ist« noch das Wort und dessen Sagen in die Leere der bloBen Nichtigkeit verbannen. Was zeigt die dichterische Erfahrung mit dem Wort, weun ihr das Denken nachdenkt? Sie zeigt in jenes Denkwiirdige, das dem Denken von altersher, wenngleich in verhiillter Weise, zugemutet ist. Sie zeigt solches, was es gibt und was gleichwohl nicht »ist«. Zu dem, was es gibt, gehort auch das Wort, vielleicht nicht nur auch, sondern vor allem anderen und dies sagar so, daB im Wort, in dessen Wesen, jenes sich verbirgt, was gibt. Yom Wort diirften wir, sachgerecht denkend, dann nie sagen: Es ist, sondem: Es gibt - dies nicht in dem Sinne, daB »es« Worte gibt, sondem daB das Wort seIber gibt. Das Wort: das Gebende. Was denn? Nachder dichterischen Erfahrung und nach altester 'Dberlieferung des Denkens gibt das Wort: das Sein.·Dann hatten wir denkend in jenem »es, das gibt« das Wort zu suchen als das Gebende selbst, aber nie Gegebene. 194 Wir kennen dieWendung »Es gibt« in vielfachem Gebrauch, z. B. »es gibt an der sonnigen Halde Erdbeeren«; il y a: es hat dort Erdbeeren; man kann sie als Vorkommendes finden. In Vas Wesen der Sprache 183 unserer Besinnung ist das »Es gibt« anders gebraucht; nicht: Es gibt das Wort, sondern: Es, das Wort, gibt ... So verfliegt der ganze Spuk mit dem »Es«, vor dem sich viele mit Recht angstigen; aber das Denkwiirdige bleibt, kommt erst zum Scheinen. Dieser einfache, ungreifbare Sachverhalt, den wir nennen durch die Wendung: Es, das Wort, gibt- enthiillt sich als das eigentlich Denkwiirdige, fiir dessen Bestimmung iiberall noch die MaBe fehlen. Vielleicht kennt sie der Dichter. Aber sein Dichten hat den Verzicht gelernt und gleichwohl durch den Verzicht nichts verloren. Indes, das Kleinod entrinnt ihm doch. GewiB. Aber es entrinnt in der Weise, daB das Wort verweigert wird. Die Verweigerung ist der Vorenthalt. Darin erscheint gerade das Erstaunliche des Waltens, das dem Wort eignet. Das Kleinod zerfallt keineswegs in das nichtsnutzige Nichts. Das Wort entsinktnicht in das platte Unvermogen des Sagens. Der Dichter sagt dem Wort nicht abo Das Kleinod entzieht sich allerdings in das geheimnisvoll Erstaunende, was staunen laBt. Darum sinnt der Dichter, wie der Vorspruch zu »das lied« sagt, auch jetzt noch, er sinnt mehr noch als zuvor: Er fiigt noch - namlich ein Sagen, anders noch als zuvor. Er singt Lieder. Sogleich das erste Lied, das er singt, das ohne Dberschrift bleibt, singt nichts Geringeres als das geahnte Geheimnis des Wortes, das in der Verweigerung sein vorenthaltenes Wesen nahe bringt. D as Lied singt das Geheimnis des Wortes erstaunend, d. h. dichterisch fragend, in drei Strophen zu je drei Versen: Welch ein kiihn-Ieichter schritt Wandert durchs eigenste reich Des marchengartens der ahnin? Welch einen weckruf jagt 195 Blaser mit silbernem horn Ins schlummernde dickicht der Sage? 184 Das Wesen der Sprache Welch ein heimlicher hauch Schmiegt in die seele sich ein Der jiingst-vergangenen schwermut? Stefan George pflegt mit Ausnahme der Worter, mit denen die Verszeilen beginnen, aIle Worter klein zu schreiben. Es fallt auf, daB sich in diesem Gedicht ein einziges groBgeschriebenes Wort findet. Es steht am Ende der mittleren Strophe und lautet: »Sage«. Der Dichter hatte dem Gedicht die Dberschrift »Die Sage« geben konnen. Er unterlieB es. Das Gedicht singt die geheimnisvolle Nahe des fern ausbleibenden Waitens des Wortes. 1m Gedicht wird ganz Anderes auf andere Weise gesagt - und doch das Selbe gesagt wie jenes vorher zum Verhaltnis des »ist« und des undinglichen Wortes Gedachte. Wie verhalt es sich nun mit der Nachbarschaft von Dichten und Denken? Wir finden ·uns ratIos zwischen zwei durchaus verschiedenen Weisen des Sagens. 1m Lied des Dichters scheint das Wort als das geheimnisvoll Erstaunende. Die denkende Besinnung auf die Beziehung zwischen dem »ist« und dem undinglichen Wort gelangt vor etwas Denkwiirdiges, dessen Ziige sich ins Unbestimmte verlieren. Dort das Erstaunende in einem erfullten singenden Sagen, hier das Denkwiirdige in einem kaum bestimmbaren, jedenfalls nicht singenden Sagen. Und dies solI eine Nachbarschaft sein, der gemaB Dichten und Denken in einer Nahe wohnen? Beide laufen doch so weit als nur moglich auseinander. Doch wir mochten uns mit der Vermutung befreunden, daB sich die Nachbarschaft von Dichten und Denken in diesem weitesten Auseinander ihres Sagens verbirgt. Dieses Auseinander ist ihr eigentliches Gegen-einander-iiber. 196 Wir mussen die Meinung ablegen, die Nachbarschaft von Dichten und Denken erschopfe sich in einer geschwatzigen triiben Mischung beider Weisen des Sagens, wobei die eine bei der anderen unsichere AnIeihen macht. Hie und da mag es diesen Anschein haben. In Wahrheit sind jedoch Dichten und Das Wesen der Sprache 185 Denken aus ihrem Wesen durch eine zarte, aber helle Differenz in ihr eigenes Dunkel auseinander gehalten: zwei Parallelen, griechisch nU()(1 aA.A.~Aro, bei einander, gegen einander iiber sich auf ihre Weise iibertreffend. Dichten und Denken sind nicht getrennt, wenn Trennung heiBen solI: ins Bezugslose abgeschieden. Die Parallelen schneiden sich im Un-endlichen. Dort schneiden sie sich in einem Schnitt, den sie nicht seIber machen. Sie werden durch ihn erst in den AufriB ihres nachbarlichen Wesens geschnitten, d. h. eingezeichnet. Diese Zeichnung ist der RiB. Er reiBt Dichten und Denken in die Nahe zueinander auf. Die Nachbarschaft von Dichten und Denken ist nieht das Ergebnis eines Vorganges dergestalt, daB Dichten und Denken erst - man weiB nicht woher - zueinander in die Nahe ziehen, die dadurch seIber erst entsteht. Die Nahe, die nahert, ist selbst das Ereignis, woraus Dichten und Denken in das Eigene ihres Wesens verwiesen sind. Wenn jedoch die Nahe von Dichten und Denken eine solche des Sagens ist, dann gelan.gt unser Denken in die Vermutung, das Ereignis waIte als jene Sage, in der die Sprache uns ihr Wesen zusagt. Ihre Zusage schweift nicht ins Leere. Sie hat schon getroffen. Wen anders ais den Menschen? Denn der Mensch ist nur Mensch, insofern er dem Zuspruch der Sprache zugesagt, fur die Sprache, sie zu sprechen, gebrauchta ist. III Die drei Vortrage dienen einem Versuch, uns vor eine Moglichkeit zu bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen. Der erste Vortrag hort auf eine dichterische Erfahrung mit dem 197 Wort. Er denkt ihr nach. Also denkend halt sich der erste Vortrag schon innerhalb der Nachbarschaft von Dichten und Denken auf. Er bewegt sich in ihr hin und her. Der zweite Vortrag bedenkt den Weg dieser Bewegung. Fur das heutige Vorstellen, das uberallhin durch das technischa der Brauch in der Eignis 187Vas Wesen der Sprache186 wissenschaftliche Rechnen in seine Formen ausgestanzt wird, gehort der Gegenstand des Wissens in die Methode. Diese befolgt die auBerste Ab- und Ausartung dessen, was ein Wegist. Fur das sinnende Denken dagegen gehort der Weg in das, was wir die Gegend nennen. Andeutend gesagt, ist die Gegend als das Gegnende die freigebende Lichtung, in der das Gelichtete zugleich mit dem Sichverbergenden in das Freie gelangt. Das Freigebend-Bergende der Gegend ist jene Be-wegung, in der sich die Wege ergeben, die der Gegend gehoren. Der Weg ist, hinreichend'gedacht, solches, was uns gelangen laBt, und zwar in das, was nach uns langt, indem es uns b,e-langt. Wir verstehen freilich das Zeitwort »belangen« nur in einem gewohnlichen Sinne, der meint: sich jemanden vomehmen zur Vernehmung, zum Verhor. Wir konnen aber auch das Be-Iangen in einem hohen Sinne denken: be-Iangen, be-rufen, be-hiiten, be-halten. Der Be-Ianga : das, was, nach unserem Wesen auslangend, es verlangt und so gelangen laBt in das, wohin es gehort. Der Weg ist solches, was uns in das gelangen laBt, was uns be-Iangt. Der Anschein drangt sich vor, als verfuhren wir, das Be-Iangen also denkend, willkurlich mit der Sprache. Es ist in der Tat Willkur, wenn wir den jetzt genannten Sinn von Be-Iangen an dem messen, was man gewohnlich unter dem Wort versteht. Aber maBgebend fur den besinnlichen Sprachgebrauch kann nicht das sein, was man gemeinhin gewohnlich meint, sondern was der verborgene Reichtum der Sprache bereithalt, urn uns daraus zu be-langen fur das Sagen der Sprache. Die Gegend ergibt als Gegend erst Wege. Sie be-wegt. Wir 198 horen das Wort Be-wegung irn Sinne von: Wege allererst ergeben und stiften. Sonst verstehen wir bewegen im Sinne von: bewirken, daB etwas seinen Ort wechselt, zu- oder abnimmt, uberhaupt sich andert. Be-wegen aber heiBt: die Gegend mit Wegen versehen. Nach altern Sprachgebrauch der schwabischalemannischen Mundart kann »wegen« besagen: einen Weg bahnen, z. B. durch tief verschneites Land. a die Eignis (der Brauch) Vas Wesen der Sprache Wegen und Be-wegen als Weg-bereiten und Weg als das Gelangenlassen gehoren in denselben Quell- und Strombereich wie die Zeitworter: wiegen und wagen und wogen. Vermutlich is! das Wort»Weg« ein Urwort der Sprache, das sich dem sinnenden Menschen zuspricht. Das Leitwort im dichtenden Denken des Laotse lautet Tao und bedeutet »eigentlich« Weg. Weil man jedoch den Weg leicht nur auBerlich vorstellt als die Verbindungsstrecke zwischen zwei Orten, hat man in der Dbereilung unser Wort»Weg« fur ungeeignet befunden, das zu nennen, was Tao sagt. Man ubersetzt Tao deshalb durch Vernunft, Geist, Raison, Sinn, Logos. Tndes konnte der Tao der alles be-wegende Weg sein, dasjenige, woraus wir erst zu denken vermogen, was Vernunft, Geist, Sinn, Logos eigentlich, d. h. aus ihrem eigenen Wesen her sagen mochten. Vielleicht verbirgt sich irn Wort»Weg«, Tao, das Geheimnis aller Geheimnisse des denkenden Sagens, falls wir diese Namen in ihr Ungesprochenes zuriickkehren lassen und dieses Lassen vermogen. Vielleicht stammt auch noch und gerade die ratselhafte G'ewalt der heutigen Herrschaft der Methode daher, daB die Methoden, unbeschadet ihrer Leistungskraft, doch nur die Abwasser sind eines groBen verborgenen Stromes, des alles be-wegenden, allem seine Bahn reiBenden Weges. Alles ist Weg. Die Vortrage sind unterwegs innerhalb der Nachbarschaft von Dichten und Denken, unterwegs mit dem Ausblick nach einet Moglichkeit, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen. Dabei vermuten wir die genannte Nachbarschaft als die 199 Statte, die es verstattet, zu erfahren, wie es sich mit der Sprache verhalt. Was uns etwas verstattet und erlaubt, gibt uns Moglichkeit, d. h. solches, was ermoglicht. Die so verstandene Moglichkeit, das Ennoglichende, besagt anderes und mehr als die bloBe Chance. Der dritte Vortrag mochte uns eigens vor eine Moglichkeit, d. h. in eine Ermoglichung bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen. Hierfiir braucht es nicht allein dies, daB 1 188 Vas Wesen der Sprache wir auf dem eingeschlagenen Weg innerhalb der Nachbarschaft von Dichten und Denken bleiben. Wir mussen uns in dieser Nachbarschaft umbIicken, ob und wie sie solches zeigt, was unser Verhaltnis zur Sprache verwandelt. Vom Weg aber, der in dieses Ermoglichende bringen solI, wurde gesagt, er fuhre uns nur dorthin, wo wir schon sind. Das »nur« meinthier keine Beschrankung, sondertdeutet auf das reine Einfache dieses Weges. Der Weg laBt in das gelangen, was uns be-Iangt, in dessen Bereich wir uns schon aufhalten. Weshalb dann, mochte man fragen, erst noch ein Weg dahin? Antwort: weil wir dort, wo wir schon sind, auf solche Weise sind, daB wir zugleich nicht dort sind, insofem wir jenes, was unser Wesen be-Iangt, seIber noch nicht eigens erlangt haben. Der Weg, der uns dahin gelangen laBt, wo wir schon. sind, bedarf, anders denn jeder andere Weg, eines weit vorausreichenden Geleites. Dieses liegt in dem Leitwort beschlossen, das wir gegen das Ende des ersten Vortrages fliichtig nannten. Das Wegweisende des Leitwortes erlauterten wir noch nicht. Solches konnte auch keinesfalls geschehen. Denn zuvor muBte uns der zweite Vortrag eigens auf die Gegend hinweisen, in die der Weg gehort, dem das Leitwort das vorauswinkende Geleit gibt. Diese Gegend bekundet sich in der Nachbarschaft von Dichten und Denken. Nachbarschaft heiBt: in der Nahe wohnen. Dichten und Denken sind Weisen des Sagens. Die Nahe aber, die Dichten und Denken in 200 die Nachbarschaft zueinander bringt, nennen wir die Sage. In dieser vermuten wir das Wesen der Sprache. Sagen, sagan heiBt zeigen: erscheinen lassen, lichtend-verbergend {rei-geben als dar-reichen dessen, was wir Welt nennen. Das lichtend-verhullende, schleiemde Reichen von Welt ist das Wesende im Sagen. Das Leitwort fur den Weg innerhalb der Nachbarschaft von Dichten und Denken enthalt eine Weisung, der folgend wir in die Nahe, aus der sich diese Nachbarschaft bestimmt, gelangen mochten. Vas Wesen der Sprache 189 Das Leitwort lautet: Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens. Das Leitwort gibt die Dr-Kunde yom Sprachwesen. Wir versuchen jetzt, sie deutlicher zu horen, damit sie uns winkender werde fur den Weg, der uns dorthin gelangen laBt, von woher wir schon be-Iangt sind. Das Wesen der Sprache : Die Sprache des Wesens. Zwei Wendungen, durch einen Doppelpunkt auseinander gehalten, die eine die Umkehrung der anderen. SolI das Ganze ein Leitwort sein, dann muB das Zeichen des Doppelpunktes andeuten, daB, was vor ihm steht, sich offnet ·in das, was auf ihn folgt. 1m Ganzen des Leitwortes spielt ein Eroffnen und Winken, das auf solches weist, was wir, von der ersten Wendung herkommend, in der zweiten nicht vennuten; denn diese erschopft sich keineswegs in einer bloBen Umstellung des Worterbestandes der ersten Wendung. Steht es so, dann sagen die Worter »Wesen« und »Sprache« zu beiden Seiten des Doppelpunktes nicht nur nicht das Gleiche, sondern auch die Form der Wendung ist von Mal zu Mal verschieden. Eine Erlauterung im Gesichtskreis des grammatischen, d. h. logischen und metaphysischen Vorstellens kan.n uns der Sache um ein geringes Stuck naherbringen, wenngleich sie den Sach- 201 verhalt nie zu erreichen vermag, den das Leitwort nennt. In der Wendung vor dem Doppelpunkt, die lautet »Das Wesen der Sprache«, ist die Sprache das Subjekt, uber das ausgemacht werden solI, was es sei. Das, was etwas ist, 'to 'tL E(J'tLV, das Wassein, enthalt seitPlaton dasjenige, was man gewohnterweise »das Wesen«, die essentia einer Sache nennt. Das so verstandene Wesen wird in jenes eingegrenzt, was man spater den Begriffnennt, die Vorstellung, mit deren Hilfe wir uns das zu­ 190 Das Wesen der Sprache stellen und greifen, was eine Sache ist. Aufgelockert sagt dann die Wendung vor dem Doppelpunkt : Das, was die Sprache ist, begreifen wir, sabald wir uns dorthin einlassen, wahin der Doppelpunkt gleichsam den Ausblick offnet. Das ist die Sprache des Wesens. In dieser Wendung hat »das Wesen« die Rolle des Subjekts, dem die Sprache eignet. Das 'Vort »Wesen« meint aber jetzt nicht mehr das, was etwas ist. »Wesen« horen wir als Zeitwort, wesend wie anwesend und abwesend. »Wesen« besagt wahren, weilen. Ailein, die Wendung »Es west« sagt mehr als nur: Es wahrt und dauert. »Es west« meint: Es west an, wahrend geht es uns an, be-wegt und be-langt uns. Das Wesen so gedacht, nennt das Wahrende, uns in allem Angehende, weil alles Be-wegende. Die zweite Wendung im Leitwort: »Die Sprache des Wesens« besagt demnach: Die Sprache gehort·in dieses Wesende, eignet dem alles Be-wegenden als dessen Eigenstes. Das Ail~Bewegendebe-wegt, indem es spricht. Allein, es bleibt dunkel, wie wir das Wesende denken sollen, dunkel voilends, inwiefem das Wesende spricht, am dunkelsten, was dann sprechen heiBt. Dem gilt doch erst unsere Besinnung, wenn wir dem Wesen der Sprache nachsinnen. Dieses Nachsinnen ist jedoch bereits auf einem bestimmten Weg unterwegs, namlich innerhalb der Nachbarschaft vonDichten undDenken. Fur den Gang auf diesem Weg gibt das Leitwort einen Wink, aber keine Antwort. Wohin aber kann es winken, wenn es winkt?Nurin das, 202 was die Nachbarschaft von Dichten und Denken als Nachbarschaft bestimmt. Das Nachbarliche, das Wohnen in der Nahe, empfangt seine Bestimmung aus der Nahe. Dichten und Denken sind aber Weisen des Sagens und zwar ausgezeichnete. Sollen die beiden Weisen des Sagens aus ihrer Nahe nachbarlich sein, dann muB die Nahe seIber in der Weise der Sage walten. Die Nahe und die Sage waren dann das Selbe. Dies zu denken bleibt eine arge Zumutung. Ihr Arges darf nicht im geringsten abgeschwacht werden. Wenn es einmal gluckte, dahin zu gelangen, wohin das Leitwort winkt, gelangten wir in das, was uns ermoglicht, mitder Das Wesen der Sprache 191 Sprache, der uns bekannten, eine Erfahrung zu machen. So liegt denn viel daran, daB wir in der Weisung des Winkes verbleiben, den das verdeutlichte Leitwort gibt, das wir jetzt in folgender Weise umschreiben konnen: Das, was uns als die Sprache angeht, empfangt seine Bestimmung aus derSage als dem alles Be-wegenden.EinWink winkt vom einen weg zum anderen hin. Das Leitwort winkt von den gelaufigen Vorstellungen uber die Sprache "\\Teg in die Erfahrung der Sprache als der Sage. Winke winken auf vielfaltige Weise. Ein Wink kann das, wohin er winkt, so einfach und zugleicherfullt erwinken, daB wir uns in aller Eindeutigkeit dahin loslassen. Ein Wink kann aber auch so winken, daB er uns zuvor und langehin an das Bedenkliche verweist, von wo er weg winkt, wogegen er das, wohin er winkt, nur erst vermuten laBt als das Denkwiirdige, fur das die gemaBe Denkweise noch fehlt. Von dieser Art ist der Wink, den das Leitwort gibt. Denn das Wesen der Sprache ist uns durch vielfaltige Bestimmungen so bekannt, daB wir uns nur schwer daraus losen. Die Loslosung duldet jedoch keinen Gewaltstreich, weil die Dberlieferung reich an Wahrheit bleibt. Deshalb sind wir daran gehalten, erst unsere gelaufige Vorstellung von der Sprache, wenn auch nur im Dberschlag, zu bedenken, dies jedoch im Vorblick auf das, wohin die Nachbarschaft 203 der beiden Weisen des Sagens, Dichten und Denken, winkt: in die Nahe als die Sage. Die Sprache begegnet, wenn man sie unmittelbar wie etwas Anwesendes vorstellt, als Tatigkeit des Sprechens, als Betatigung der Sprachwerkzeuge, als da sind: der Mund, die Lippen, die Zunge. Die Sprache zeigt sich im Sprechen als eine am Menschen vorkommende Erscheinung. DaB die Sprache s.eit langer Zeit von da her erfahren, vorgestellt und bestimmt wird, bezeugen die Namen, die sich die abendHindischen Sprachen selbst gegeben haben: yAooaa(J., lingua, langue, language. Die Sprache ist die Zunge. 1m2. Kapitel der Apostelgeschichte, das vom Pfingstwunder berichtet, heiBt es v. 3 und 4: 192 Das Wesen der Sprache 'Kat roq>i}'YI0av au'toi~ bLaJlEQtt6~£vat j'A-ooooat ro~ £1, 3tuQ6~ .•• 'Kat 11Q~av'to AaAELV E't£Qat~ j'ArooOat~. Die Vulgata iibersetzt: Et apparuerunt illis dispertitae linguae tamquam ignis ... et coeperunt loqui variis linguis. Luther iibersetzt: »Dnd es erschienen ihnen Zungen, zerteilt, wie von Feuer ... und sie fingen an, zu predigen mit anderen Zungen.« Gleichwohl ist dieses Reden nicht als bloBe Zungenfertigkeit gemeint, sondern yom TtVEUJla. a:ytov, yom heiligen Hauch erfiillt. Der hier genannten biblischen Vorstellung von der Sprache geht schon jene griechische Kennzeichnung des Sprachwesens vorauf, die Aristoteles in die maBgebende Umgrenzung bringt. Der A6j'o~, das Aussagen, wird im Ausgang von der lautlichen Erscheinung des Sprechens vorgestellt. Aristoteles sagt im Beginn einer Abhandlung, die spater den Titel erhielt 3tEQL EgJlllvE(a~, de interpretatione, Dber das Aussagen, folgendes: »Es ist nun das, was in der stimmlichen Verlautbarung vor­ kommt (die Laute), Zeichen von dem, was in der Seele an Er­ leidnissen vorkommt, und das Geschriebene (ist) Zeichen der stimmlichen Laute. Und so wie die Schrift nicht bei allen die 204 namliche ist, so sind auch die stimmlichen Laute nicht die nam­ lichen. Wovon aber diese (Laute und Schriftzeichen) erstlich Zeichen sind, das sind bei allen die niimlichen Erleidnisse der Seele, und die Dinge, wovon diese (die Erleidnisse) die anglei­ chenden Darstellungen bilden, sind gleichfalls die niimlichen.« Die angefiihrten Siitze des Aristoteles bilden die klassische Stelle, aus der das Baugeriist sichtbar wird, in das die Sprache als stimmliche Verlautbarung gehort: Die Buchstaben sind Zeichen der Laute, die Laute sind Zeichen der Erleidnisse in der Seele, diese sind Zeichen der Dinge. Die Verstrebungen des Baugeriistes werden durch die Zeichenbeziehung gebildet. Wir verfahren allerdings zu grob, wenn wir ohne niihere Bestimmung iiberall von Zeichen sprechen, von etwas, das ein anderes bezeichnet und in gewisser Weise zeigt. Aristoteles gebraucht Das Wesen der Sprache 195 zwar ausdriicklich das Wort 011Jl£ia, Zeichen; aber er spricht zugleich von OUJl~OAaund o~otro~a'ta. Worauf es jetzt ankommt, ist, daB wir iiberhaupt das ganze Baugeriist der Zeichenbeziehungen vor Augen haben, weil es fiir aIle nachkommende Betrachtung der Sprache, freilich bei mancherlei Abwandlungen, maBgebend geblieben ist. Die Sprache wird yom Sprechen her als der stimmlichen Verlautbarung vorgestellt. Aber trifft diese Vorstellung nieht einen jederzeit an jeder Sprache nachweisbaren und ihr wes.entlichen Bestand? GewiB. Es darf auch keineswegs die Meinung aufkommen, als wollten wir die stimmliche Verlautbarung, die eine leibliche Erscheinung ist, als das bloB Sinnliche an der Sprache herabwiirdigen zugunsten dessen, was man den Bedeutungs- und Sinngehalt des Gesprochenen nennt und als das Geistige, den Geist der Spraehe wiirdigt. Viel eher gilt es zu bedenken, ob in den angefiihrten Vorstellungsweisen des Baugeriistes das Leibhafte der Sprache, Laut- und Schriftzug, zureichend erfahren wird; ob es geniigt, den Laut nur dem physiologisch vorgestellten Leib zu- und in den metaphysisch gemeinten Bezirk des Sinnlichen einzuordnen. Zwar lassen sich 205 die Verlautbarung Ull9. die Laute physiologisch als Schallerzeugung erkliiren. Indes bleibt offen, ob dabei je das Eigene des Lautens und Tonens im Sprechen erfahren und im Blick behalten wird. Man verweist indes auf die Melodie und den Rhythmus in der Sprache und damit auf die Verwandtsehaft von Gesang und Sprache. Wenn nur nicht die Gefahr bestiinde, auch Melodie und Rhythmus aus dem Gesichtskreis der Physiologie und Physik her, also im weitesten Sinne technisch-rechnerisch vorzustellen. Dabei ergibt sich zwar viel Richtiges, aber vermutlich nie das Wesenhafte. DaB die Sprache lautet und klingt und schwingt, sehwebt und bebt, ist ihr im selben MaBe eigentiimlich, wie daB ihr Gesprochenes einen Sinn hat. Aber unsere Erfahrung dieses Eigentiimlichen ist noch arg unbeholfen, weil iiberalldas metaphysisch-technische Erkliiren dazwischen fiihrt und uns aus der sachgemaBen Besinnung herausdrangt. Schon Das Wesen der Sprache194 allein der einfache Sachverhalt, daB wir die landschaftlich verschiedenen Weis,en des Sprechens die Mundarten nennen, ist kaum bedacht. Ihre Verschiedenheit griindet nicht nur und nicht zuerst in unterschiedlichen Bewegungsformen der Sprachwerkzeuge. In der Mundart spricht je verschieden die Landschaft und d. h. die Erde. Aber der Mund ist nicht nur eine Art von Organ an dem als Organismus vorgestellten Leib, sondem Leib und Mund gehoren in das Stromen und Wachstum der Erde, in dem wir, die Sterblichen, gedeihen, aus der wir das Gediegene einer Bodenstandigkeit empfangen. Mit der Erde verlieren wir freilich auch das Bodenstandige. Holderlin lafit in der V. Strophe der Hymne »Germanien« den Adler des Zeus zur »stillsten Tochter Gottes« sagen: Und heimlich, da du traumtest, lieB ich Am Mittag scheidend'dir ein Freundeszeichen, Die Blume des Mundes zuriick und du redetest einsam. 206 Doch Fiille der goldenen Worte sandtest du auch Gliikseelige! mit den Stromen und sie quillen unerschopflich In die Gegenden all. Die Sprache ist die Blume des Mundes. In ihr erbliiht die Erde der Bliite des Himmels entgegen. Die erste Strophe der Elegie »Der Gang aufs Land« singt: Darum hoff ich sagar, es werde, wenn das Gewiinschte Wir beginnen, und erst unsere Zunge gelost, Und gefunden das Wort, und aufgegangen das Herz ist, Und von trunkener Stirn' hoher Besinnen entspringt, Mit der unsem zugleich des Himmels Bliithe beginnen, Und dem offenen Blik offen der Leuchtende seyn. Es muB Ihnen iiberlassen bleiben, im Zusammenhang mit dem, was die drei Vortrage versuchen, seIber diesen Versen Das Wesen der Sprache 195 nachzusinnen, urn es eines Tages zu erblicken, inwiefem hier dasWesen der Sprache als die Sage, als das alles Be-wegende sich ankiindigt. Nur einWort des Dichters darf nicht iiberhort werden, das er vom Wort sagt, wobei wir fuglich auf die Versammlung der Verse horen mussen, aus denen es spricht. Sie stehen am Ende der V. Strophe der Elegie »Brod und Wein«: So ist der Mensch; wenn da ist das Gut, und es sorgetmit Gaaben SeIber ein Gott fur ihn, kennet und sieht er es nicht. Tragen muB er, zuvor; nun aber nennt er sein Liebstes, Nun, nun mussen dafur Worte, wie Blumen, entstehn. Fur das Durchdenken dieser Verse ist es forderlich, zu bedenken, was Holderlin selbst in einer anderen Fassung dieser Stelle sagt, was freilich ein noch sinnenderes Nachdenken verlangt: Lang und schwer ist das Wort von dieser Ankunft aber 207 Weiss (Hell) ist der Augenblik. Diener der Himmlischen sind Aber kundig der Erd, ihr Schritt ist gegen den Abgrund Jugendlich menschlicher doch das in den Tiefen ist alt. (vgl. Hellingrath IV2, Anhang S. 322) Wiederum erscheint das Wort in der Gegend, als die Gegend, die Erde und Himmel, das Stromen der Tiefe und die Macht der Rohe, einander ent-gegnen laBt, Erde und Himmel zu Weltgegenden bestimmt. Wieder:»Worte, wie Blumen«. Wir blieben in der Metaphysik hangen, wollten wir dieses Nennen Holderlins in der Wendung »Worte,wie Blumen« fur eine Metapher halten. Gottfried Benn sagt freilich in seinem sonderbaren .Vortrag »Probleme der Lyrik« (1951, S. 16): »DiesWie ist immer ein Bruch in der Vision, es holt heran, es vergleicht, es ist keine primare Setzung ... «, »ein Nachlassen der sprachlichen Span­ Das Wesen der Sprache196 nung, eine Sehwache der sehopferischen Transformation.« Diese Deutung mag weithin von groBen und kleinen Diehtem gelten. Sie gilt aber nicht vom Sagen Holderlins, dessen Diehtung Gottfried. Benn, von seinem Standort folgerichtig, denn aueh nur noeh fur ein »Herbarium« halt, eine Sammlung vertroekneter Pflanzen. »Worte, wie Blumen«, das ist »kein Bruch in der Vision«, sondern das Erwaehen des weitesten Bliekes; hier wird niehts »herangeholt«, sondern das Wort zuruekgeborgen in seine Wesensherkunft. Hier fehlt nicht die »primare Setzung«, denn hier ist Hervorbringen des Wortes aus seinem Anfang; hier ist nieht »eine Sehwaehe der schopferisehen Transformation«, sondem die sanfte Gewalt der Einfalt des Horenkonnens. Eine »sehopferische Transfonnation« ist der Sputnik, aber er ist kein Gedieht. Gottfried Benn hat erkannt, auf seine Weise, wohin er 208 selbst gehort. Er hat diese Erkenntnis ausgehalten. Das gibt seiner Dichtung das Gewieht. Wird das Wort die Blume des Mundes und Bliite genannt, dann horen wir das Lauten der Spraehe erdhaft aufgehen. Von woher? Aus dem Sagen, worin sieh das Ersebeinenlassen von Welt begibt. Das Lauten erklingt aus dem Lauten, dem rufenden Versammeln, das, offen dem Offenen, Welt erseheinen laBt in den Dingen. Das Lautende der Stimme ist so nieht mehr nur leiblichen Organen zugeordnet. Es ist aus dem Gesiehtskreis der physiologisch-physikalisehen Erklarung der bloB phonetischen Bestande herausgelost. Das Lautende, Erdige der Spraehe wird in das Stimmen einbehalten, das die Gegenden des Weltgefiiges, sie einander zuspielend, auf einander einstimmt. Dieser Hinweis auf das Lautende des Sprechens und seine Herkunft aus dem Sagen muB zunaehst dunkel klingen u.nd befremdlieh. Und doch weist er auf einfache Saehverhalte. Wir konnen sie erblicken, sobald wir erneut darauf achten, inwiefem wir liberall inder Naehbarschaft von Weisen des Sagens unterwegs sind. Als solche sind Dichten und Denken von jeher ausgezeiehnet. Ihre Nachbarschaft ist ihnen keineswegs irgendwoher zugefalDas Wesen der Sprache 197 len, gleich als vermochten beide flir sich auBerhalb ihrer Naehbarschaft zu sein, was sie sind. DemgemaB mussen wir sie in und aus ihrer Naehbarschaft erfahren, d. h. aus dem, was die Nachbarsehaft als solche bestimmt. Nachbarschaft, so hieB es, erzeugt nieht erst Nahe, sondem Nahe ereignet Nachbarschaft. Doeh was heiBt Nahe? Sobald wir versuchen, dem naehzusinnen, haben wir uns schon flir einen weiten Denkweg entsehlossen. Hier gelingen uns jetzt nur wenige Schritte. Sie flihren nieht fort, sondern zurlick, dahin, wo wir schon sind. Die Sehritte bilden nieht, hochstens im auBeren Anschein, eine Abfolge im Nacheinander von diesem zu jenem. Die Sehritte fligen sich vielmehr in eine Versammlung auf das Selbe und spielen sich in dieses zuriiek. Was aussieht wie Umweg, ist Einkehr in die eigentliehe Be- 209 -wegung, aus der die Nachbarsehaft bestimmt wird. Das ist die Niihe. Meinen ,vir Niihe, meldet sich Ferne. Beide stehen. in einem gewissen Gegensatz als versehiedene GraBen des Abstandes von Gegenstiinden. Die Abmessung der GroBe erfolgt, indem wir Streeken nach Lange und Klirze bereehnen. Dabei sind die MaBe der abgemessenen Streeken jeweils einer Erstreekung entnommen, an der entlang, an der vorbei die MeBzahl der StrekkengroBe errechnet wird. Etwas an etwas, im Vorbeiziehen daran, messen, heiBt griechiseh Jtaea~E't(>ELV. Die Erstreckungen, an denen entlang und vorbei wir Nahe und Ferne als Abstande messen, sind das Naeheinander der Jetzt, d. h. die Zeit, und das Neben-Vor-Hinter-Dber-Untereinander der Hier- und DortStellen, d. h. der Raum. Flir das reehnende Vorstellen erseheinen Raum und Zeit als die Parameter der Abmessung von Nahe und Ferne, diese als Zustiinde von Abstanden. Raum und Zeit dienen jedoch nieht nur als Parameter; ihr Wesen ersehopft sich alsbald in diesem Charakter, dessen Vorformen sich friihzeitig im ·abendlandisehen Denken abzeiehnen, und der dann dureh dieses Denken im Verlauf der Neuzeitzur maBgebenden Vorstellung verfestigt wird. 198 Das Wesen der Sprache Am Parametercharakter von Raum und Zeit haben auch die neuen Theorien, d. h. Methoden der Raum- und Zeitmessung, Relativitats- und Quantentheorie und Kemphysik nichts geandert. Sie konnen eine solche Anderung auch nicht bewirken. Konnten sie dies, dann muBte das ganze Geriist der modernen technischen Naturwissenschaftin sich zusammenbrechen. Nichts spricht heute fur die Moglichkeit eines solchen Falles. Alles spricht dagegen, allem voran die Jagd nach der mathematischtheoretischen physikalischen Weltformel. Allein, der Antrieb zu dieser Jagd entstammt nicht erst der personlichen Leidenschaft der Forscher. Deren Wesensart ist seIber schon das Getriebene 210 einer Herausforderung, in die das modeme Denken im Ganzen gestellt ist. »Physik und Verantwortung« - das ist gut und fur die heutige Notlage wichtig. Aber es bleibt eine doppelte Buchfuhrung, hinter der sich ein Bruch verbirgt, der weder von seiten der Wissenschaft noch von seiten der Moral heilbar ist wenn er es uberhaupt ist. Doch was hat dies aIIes mit dem Wesen der Sprache zu tun? Mehr als wir heute uberdenken konnen. Ein Geringes freilich durften wir jetzt schon geahnt haben angesichts der entschiedenen Zuordnung, die Nahe und Ferne als MaBformen des Strekkenabstandes in Raum und Zeit als Parametern verrechnet. Was beunruhigt uns hier? DaB auf diese Weise jene Nahe nicht erfahrbar wird, der die Nachbarschaft zugehort. Waren die Nahe und das Nachbarliche parametrisch vorstellbar, dann muBte der Abstand von der GroBe eines millionsten Teiles einer Sekunde und eines Millimeters die nachste Nahe einer Nachbarschaft ergeben, mit der verglichen der Abstand von einem Meter und einer Minute schon die groBte Ferne darstellt. Gleichwohl wird man darauf bestehen, daB zu jeder Nachbarschaft ein gewisser raumlich-zeitlicher Wechselbezug gehore. Zwei einsame Bauemhofe - soweit es sie noch gibt -, die fur einen Gang tiber Feld eine Stunde weit auseinander liegen, konnen auf das Schonste benachbart sein, wogegen zwei Stadthauser, die sich an der selben StraBe gegenuberliegen oder gar 'iii 1.. 1II Das Wesen der Sprache 199 zusammengebaut sind, keine Nachbarschaft kennen. Also beruht die nachbarliche Nahe doch nicht auf der raumzeitlichen Beziehung. Also hat die Nahe ihr Wesen auBerhalb und unabhangig von Raum. und Zeit. Dies zu meinen, ware jedoch iibereilt. Wir durfen nur sagen: Die in der Nachbarschaft waltende Nahe beruht nicht auf Raum und Zeit, insofem diese als Parameter erscheinen. Aber sind denn Raum und Zeit etwas anderes, wenn sie uberhaupt sind? Woran liegt es, daB der Parametercharakter von Raum und Zeit die nachbarliche Nahe verwehrt? Gesetzt, die Parameter Raum und Zeit sollten die 211 MaBgabe fur die nachbarliche Nahe leisten und somit Nahe erbringen, dann muBten sie schon in sich seIber dasjenige enthalten, was das Nachbarliche auszeichnet: das Gegen-einander-uber. Wir sind geneigt, das Gegen-einander-iiber nur als Beziehung zwischen Menschen vorzustellen. Auch die Vortrage haben das Gegen-einander-tiber sogar auf die Nachbarschaft von Dichten rind Denken als Weisen des Sagens eingeschrankt. Ob es sich dabei um eine Einschrankung handelt oder eine Entschrankung, lassen wir jetzt offen. lndes kommt das Gegen-einander-uber weiter her, namlich aus jener Weite, in der sich Erde und Himmel, der Gott und der Mensch erreichen. Goethe und auch Morike gebrauchen die Wendung »gegen-einander-uber« gem und zwar nicht nur von Menschen, sondem auch von Weltdingen. 1m waltenden Gegen-einander-uber ist jegliches, eines fur das andere, offen, offen in seinem Sichverbergena; so reicht sich eines dem anderen hinuber, eines uberiaBt sich dem anderen, und jegliches bIeibt so es seIber; eines ist dem anderen tiber als das dariiber Wachende, Hutende, daruber als das Verhtillende. Um das Gegen-einander-uber der Dinge so zu erfahren, mussen wir freilich zuvor das rechnende Vorstellen fahren lassen. Was das Nachbarliche der vier Weltgegenden be-wegt, zu einander gelangen HiBt und in der Nahe ihrer Weite halt, ist die Nahe seIber. Sie ist das Be-wegen des Gegen-einander-uber. a die einander zugetrautenFemen 200 Das Wesen der Sprache Wir nennen die Nahe im Hinblick auf dies ihr Be-wegendes: die Nahnis. Dies Wort scheint erkiinstelt zu sein, ist aber in nachvollziehbarer denkender Erfahrung der Sache entwachsen und so gut moglich wie Wildnis zu wild und Gleichnis zu gleich. Das Wesende der Nahe ist nicht der Abstand, sondem die Be-wegung des Gegen-einander-iiber der Gegenden des Weltgeviertes. Diese Be-wegung ist die Nahe als die Nahnis. Sie bleibt das Unnahbare und ist uns am femsten, wenn wir »iiber« sie sprechen. Raum und Zeit aber k6nnen als Parameter weder 212 Nahe bringen noch ermessen. Weshalb nieht? ImNacheinander der Abfolge der Jetzt als den Elementen der parametrischen Zeit ist niemals ein Jetzt offen gegeniiber dem anderen. Dies trifft so wenig zu, daB wir nieht einmal sagen diirfen, im Nacheinander der Jetzt seien die nachfolgenden und voraufgehenden gegen einander verschlossen. Denn auch die Verschlossenheit ist noch eine Weise der Zu- und Abkehr im Gegen-einander-iiber. Dieses ist vielmehr als solches aus dem Parameter, als welchen wir die Zeit vorstellen, ausgeschlossen. Das Selbe gilt von den Elementen des Raumes, gilt von den Zahlen jeglicher Art, gilt von den Bewegungen im Sinne der raumzeitlich gerechneten Ablaufe. 'Vir stellen das Ununterbrochene und fortlaufendAngereihte der Parameter und des an ihnen Gemessenen als das Kontinuum vor. Es schlieBt ein Gegen-einander-iiber seiner Elemente so entsehieden aus, daB auch dort, wo wir Unterbrechungen vorfinden, die Bruchstellen niemals in ein Gegen-einander-uber gelangen konnen. Obgleich nun Raum und Zeit innerhalb ihrer Erstreckung als Parameter kein Gegen-einander-iiber ihrer Elemente zulassen, greift doch gerade die Herrschaft von Raum und Zeit als Parametern fur alles Vorstellen, Herstellen und Bestellen, d. h. als Parametern der modernen technischen Welt, aufeine unheimliche Weise in das Walten der Nahe, d. h. in die Nahnis der Weltgegenden ein. Wo alles in berechneteAbstande gestellt wird, macht sich durch die losgelassene Berechenbarkeit von Jeglichem gerade das Abstandlose breit, und zwar in der GeDas Wesen der Sprache 201 stalt der Verweigerung der nachbarlichen Nahe derWeltgegenden. 1m Abstandlosen wird alles gleich-giiltig zufolge des einen Willens zur einformig rechnenden Bestandsieherung des Ganzen der Erde. Darum. ist jetzt der Kampf urn die Erdherrschaft in seine entscheidende Phase getreten. Die vollstandige Herausforderung der Erde in die Sicherung der Herrschaft iiber sie laBt sich nur noch dadurch einrichten, daB eine letzte Position der totalen Kontrolle der Erde auBerhalb derselben in Besitz 213 genommen wird. Der Kampf urn diese Position ist jedochdie durchgangige Umrechnung aller Bezuge zwischen allem in das berechenbare Abstandlose. Das ist die Ver-Wiistung des Gegen-einander-iiber der vier Weltgegenden, die Verweigerung der Nahe. In diesem Kampf urn die Erdherrschaft gelangen nun aber Raum und Zeit zu ihrer auBersten Herrschaft als Parameter. Allein - deren Gewalt kann sich nur deshalb entfesseln, weil Raum und Zeit noeh Anderes, schon Anderes sind als die langst bekannten Parameter. Der Parametercharakter verstellt das Wesen von Zeit und Raum. Er verbirgt vor allem das Verhaltnis ihres Wesens zum. Wesen der Nahe. So einfach diese Verhaltnisse sind, so unzuganglich bleiben sie allem rechnenden Denken. Wo sie jedoch gezeigt werden, sperrt sich das gelaufige Vorstellen gegen diesen Einblick. Von der Zeit laBt sich sagen: die Zeit zeitigt. Vom Raum la!3t sich sagen: der Rau.m raumt. Das gewohnte Vorstellen argert sich an solcher Rede, und dies mit Recht. Denn es bedarf, urn sie zu verstehen, der denkenden Erfahrung dessen, was Identitiit heiBt. Die Zeit zeitigt. Zeitigen heiBt: reifen, aufgehen lassen. Das Zeitige ist das Aufgehend-Aufgegangene. Was zeitigt die Zeit? Antwort: das Gleich-Zeitige, d. h. das auf dieselbe einige Weise in ihr Aufgehende. Und was ist das? Wir kennen e.s langst, denken es nur nicht aus der Zeitigung. Das Gleich-Zeitige der Zeit sind: die Gewesenheit, die AnweseI;lheit und die GegenWart, die uns entgegenwartet und sonst dieZukunft heiBt. Zeitigend entriickt uns die Zeit zumal in ihr dreifaltig Gleich­ l J 202 Das Wesen der Sprache Zeitiges, entriickt dahin, indem sie uns das dabei Sichoffnende des Gleich-Zeitigen, die Einigkeit von Gewesen, Anwesen, Gegen-Wart zubringt. Entriickend-zubringend be-wegt sie das, was das Gleich-Zeitige ihr einraumt: den Zeit-Raum. Die Zeit selbsta im Ganzen ihres Wesens bewegt sich nieht, ruht still. 214 Das Selbe ist vom Raum zu sagen, der Ortschaft und Orte einraumt, freigibt und zugleich in sie entlaBt und das GleichZeitige aufnimmt als Raum-Zeit. Der Raum selbst im Ganzen seines Wesens bewegt sich nicht, ruht still. Das entriickend-Zubringende der Zeit und das einraumend-zulassend-Entlassende des Raumes gehoren in das Selbe, das Spiel der Stille, zusammen, dem wir jetzt nicht weiter nachdenken konnen. Das Selbe, was Raum und Zeit in ihrem Wesen versammelt halt, kann der Zeit-Spiel-Raum hellien. Zeitigend-einraumend be-wegt das Selbige des Zeit-Spiel-Raumes das Gegen-einander-iiber der vier Welt-Gegenden: Erde und Himmel, Gott und Mensch das Weltspiel. Die Be-wegung des Gegen-einander-iiber im Welt-Geviert ereignet Nahe, ist die Nahe als die Nahnis. Sollte die Be-wegung seIber das Ereignis der Stille heiBen? Doch sagt das soeben Gewiesene noch vom Wesen der Sprache? GewiB, und sogar im Sinne dessen, was die drei Vortrage versuchten: uns vor eine Moglichkeit zu bringen, mit der Sprache eine Erfahrung zu roachen dergestalt, daB unser Verhaltnis zur Sprache kiinftig das Denk-wiirdige wird. Sind wir vor eine solche Moglichkeit gelangt? Vordeutend wurde das Sagen bestimmt. Sagen heiBt: Zeigen, Erscheinen lassen, lichtend-verbergend-freigebend Darreichen von Welt. Jetzt bekundet sich die Nahe als die Be-wegung des Gegen-einander-iiber der Weltgegenden. Die Moglichkeit ergibt sich, zu erblicken, daB und wie die Sage als Wesen der Sprache zuriicl{schwingt in das Wesen der Nahe. Bei ruhiger Umsicht ist der Einblick moglich, inwiefern die Nahe und die Sage als das Wesende der Sprache das Selbe a Ereignis Das Wesen der Sprache 203 sind. So ist denn die Sprache keine bloBe Fahigkeit des Menschen. 1hr Wesen gehort in das Eigenste der Be-wegung des Gegen-einander-iiber der vier Weltgegenden. Die Moglichkeit ergibt sich, daB wir mit der Sprache eine Erfahrung machen, in solches gelangen, was uns umwirft, d. h. 215 unser Verhaltnis zur Sprache verwandelt. 1nwiefem? Die Sprache ist als die Sage des Weltgeviertes nicht mehr nur Solches, wozu wir, die sprechenden Menschen, ein Verhaltnis haben im. Sinne einer Beziehung, die zwischen Mensch und Sprache besteht. Die Sprache ist als die Welt-bewegende Sagea das Verhaltnis aller Verhaltnisseb• Sie verhalt, unterhalt, reicht und bereichert das Gegen-einander-iiber der Weltgegenden, halt und hiitet sie, indem sie seIber - die Sage - an sich halt. Also an sieh haltend, be-Iangt uns die Sprache als die Sage des Weltgeviertes, uns, die wir als die Sterbliehen in das Geviert gehoren, uns, die wir nur insofern sprechen konnen, als wir der Spraehe entsprechen. Die Sterblichen sind jene, die den Tod als Tod erfahren konnen. Das Tier vermag dies nicht. Das Tier kann aber auch nieht spreehen. Das Wesensverhaltnis zwischen Tod und Sprache blitzt auf, ist aber noch ungedacht. Es kann uns jedoch einen Wink geben in die Weise, wie das Wesen der Sprache uns zu sich be-Iangt und so bei sich verhalt, fiir den Fall, daB der Tod mit dem zusammengehort, was uns be-Iangt. Gesetzt, das Be-wegende, das die vier Weltgegenden in der einigen Nahe ihres Gegen-einander-iiber halt, beruhe in der Sage, dann vergibt auch erst die Sage jenes, was wir mit dem winzigen Wort »ist« nennen und so ihr nachsagen. Die Sage gibt das »ist« in das gelichtete Freie und zugleich Geborgene seiner Denkbarkeit. Die Sage versammelt als das Be-wegende des Weltgeviertes alles in die Nahe des Gegen-einander-iiber und zwar lautlos, so still wie die Zeit zeitigt, der Raum raumt, so still, wie der ZeitSpiel-Raum spielt. a Sage der brauchenden Eignis b dank wessen (ist) die Sprache das Ver-haltnis? T Das Wesen der Sprache204 Wir nennen das lautlos rufende Versammeln, als welches die Sage das Welt-Verhaltnis be-wegt, das Gelaut der Stille. Es ist: die Sprache des Wesens. DAS WORT216 In der Nachbarschaft zum Gedicht Stefan Georges horten wir sagen: Kein ding sei wo das wort gebricht. Wir beachteten, daB in der Dichtung etwas Denkwiirdiges zurUckbleibe, dies namlich, was es heiBe: ein Ding ist. Denkwiirdig zugleich wurde uns das Verhaltnis des verlautenden, weil nicht fehlenden Wortes zum »ist«. Nunmehr diirfen wir, in der Nachbarschaft zum dichterischen Wort denkend, vennutend sagen: Ein »ist« ergibt sich, wo das Wort zerbricht. Zerbrechen heiBt hier: Das verlautende Wort kehrt ins Lautlose zuriick, dorthin, von woher es gewahrt wird: In das Gelaut der Stille, das als die Sage die Gegenden des Weltgeviertes in ihre Nahe be-wegt. Dieses Zerbrechen des Wortes ist der eigentliche Schritt zuruck auf dem Weg des Denkens. Denken wir von diesem Ort aus fur einen Augenblick an das, 219 was Holderlin in seiner Elegie Brod und Wein (VI. Strophe) fragt: Warum schweigen auch sie, die alten heilgen Theater? Waru.m freuet sich denn nicht der geweihete Tanz? Dem einstigen Ort des Erscheinens der Gotter ist das. Wort verwehrt, das Wort, wie es einmal schon Wort war. Wie war es denn? 1m Sagen selbst begab sich das Nahen des Gottes. Das Sagen war in sich das Erscheinenlassen dessen, was die Sagenden erblickten, weil es sie zuvor schon angeblickt hatte. Solcher Anblick brachte die Sagenden und die Horenden in die un-endliche Innigkeit des Streites zwischen den Menschen und den Gottern. Diesen Streit jedoch durchwaltete Jenes, was noch tiber die Gotter und Menschen ist, wie es Antigone sagt: ou yae 'tL ~OL ZEiJ; ~v, 0 xt)eu~a; 'taSE, (v. 450) Nicht Zeus denn war's, der mir die Botschaft gab, (sondern Anderes, jener weisende Brauch.) ou yae 'tL VUV yE xnxi}e;, nAA' nEL no-rE ttl 'tau'ta, XOU6ELSoIaEv £~ o'tou'So schlaft hier nichts auf tiefem grund< Worauf es meiner hand entrann Und nie mein land den schatz gewann ... So lernt ich traurig den verzicht: Kein ding sei wo das wort gebricht. Das Gedicht erschien zuerst in der 11. und 12. Folge der »Blatter fur die Kunst« aus dem Jahr 1919. Spater (1928) hat Stefan George es in den letzten von ihm veroffentlichten Gedichtband 221 aufgenommen, der den Titel tragt: Das Neue Reich. Das Gedicht ist in sieben zweizeilige Strophen gebaut. Die SchluBstrophe schlieBt das Gedicht jedoch nicht nur ab, sie schlieBt es zugleich auf. Dies zeigt sich schon daran, daB der SchluBvers allein dasjenige eigens sagt, was in der Dberschrift steht: Vas Wart. Der SchluBvers lautet: Kein ding sei wo das wort gebricht. Das Wort 209 Man ist versucht, die SchluBzeile in eine Aussage umzuformen des Inhaltes: Kein Ding ist, wo das Wort gebricht. Wo etwas gebricht, besteht ein Bruch, ein Abbruch. Einer Sache Abbruch tun heiBt: ihr etwas entziehen, es an etwas fehlen lassen. Es gebricht, bedeutet: es fehlt. Wo das Wort fehlt, ist kein Ding. Das verfiigbare Wort erst verleiht dem Ding das Seine Was ist das Wort, daB es solches vermag? Was ist das Ding, daB es des Wortes bedarf, um zu sein? Was heiBt hier Sein, daB es wie eine Verleihung ers.cheint, die dem Ding aus dem Wort zugeeignet wird? Fragen tiber Fragen, die beim ersten Horen und Lesen des Gedichtes nicht sogleich an unser Nachdenken ruhren. Wir sind viel eher verzaubert durch die ersten sechs. Strophen; denn sie erzahlen eigentiimlich verschleierte Erfahrungen des Dichters. Bedrangender freilich spricht die SchluBstrophe. Sie drangt uns in die Unrohe des Nachdenkens. Aus ihr erst horen wir, was der Dberschrift gemaB das ganze Gedicht in seinem dichterischen Sinn hat: das Wort. Gibt es Erregenderes und Gefahrlicheres fiir den Dichter als das Verhaltnis zum Wort? Kaum. Wird dieses Verhaltnis erst durch den Dichter' geschaffen, oder braucht das Wort von sich her und fiir sich das Dichten, so daB allein durch diesen Brauch der Dichter zu dem wird, der er sein kann? Dies alles und an-:deres noch gibt zu denken und macht uns nachdenklich. Gleichwohl zogem wir, auf solches Nachdenken einzugehen. Denn es stiitztsich jetzt nur auf einen einzigen Vers des ganzen Ge- 222 dichtes. Diesen SchluBvers haben wir zudem noch in eine Aussage umgeandert. Allerdings geschah dieser Eingriff nicht aus bloBer Willkiir. Wir werden vielmehr zu der Umformung fast genotigt, sobald wir bemerken, daB der erste Vers der SchluBstrophe mit einem Doppelpunkt endet. Dieser weckt die Erwartung, im folgenden sei etwas ausgesagt. Solches ist denn auch der Fall in der fiinften Strophe. Am Ende ihres ersten Verses steht gleichfalls ein Doppelpunkt: 210 Vas Wort Sie suchte'lang und gab mil' kund: >So schlaft hier nichts auf tiefem grurid< Del' Doppelpunkt eroffnet etwas. Was folgt, spricht, grammatisch vorgestellt, im Indikativ: >So schlaft hier nichts ...< AuBerdem ist das von del' grauen Nom Gesagte in Anfiihnmgszeichen gesetzt. Anders in del' SchluBstrophe. Riel' steht am Ende del' ersten Zeilezwar auch ein Doppelpunkt. Was jedoch auf diesen folgt, spricht wedel' im Indikativ, noch steht das Gesagte zwischen Anfiihrungszeichen. Worin beruht die Verschiedenheit del' fiinften und del' siebenten Strophe? In del' fUnften Strophe gibt die graue Nom etwas kund. Die Kundgabe ist eineArt von Aussage, eine Eroffnung. Dagegen sammelt sich del' Ton del' SchluBstrophe in das vVort »verzicht«. Verzichten ist kein Aussagen, aber vielleicht doch auchein Sagen. Verzichten gehort zum Zeitwort verzeihen. Zeihen, zichten ist das selbe Wort wie zeigen, das griechische ~EhGvuf.tL, das lateinische dicere. Zeihen, zeigen heiBt: sehen lassen, zum Vol'schein bringen. Dies nun abel', das zeigende Sehenlassen, ist del' Sinn unseres alten deutschen Wortes sagan, sagen. Jemanden bezeihen, bezichten meint: ihm etwas auf den Kopf zusagen. 1m Verzeihen, Verzichten waltet demnach ein Sagen. gg3 Wieso? Verzichten heiBt: sich des Anspruches auf etwas begeben, sich etwas versagen. Weil das Verzichten eine Weise des Sagens ist, kann es sich in del' Schrift durch einen Doppelpunkt einfiihren. Hierbei braucht, was diesem folgt, keine Aussage zu seine Del' Doppelpunkt nach dem Wort »verzicht« eroffnet nichts im Sinne einer Aussage oder Feststellung, abel' del' Doppelpunkt offnet das Verzichten als ein Sagen fiir das,worauf es sich einlaBt. Worauf laBt es sich ein? Vermutlich auf das, worauf del' Verzicht verzichtet. So lernt ich traurig den verzicht: Kein ding sei wo das wort gebricht. Das Wort 211 Doch wie? 'Verzichtet del' Dichter darauf, daB kein Ding sei, wo das Wort gebricht? Keineswegs. Dem sagt del' Dichter so.wenig ab, daB er dem Gesagten gel'ade zustimmt. Also kann das, wohin del' Doppelpunkt den Verzicht offnet, nicht solches sagen, worauf del' Dichter verzichtet. Es muB vielmehr jenes sagen, worein del' Dichter sich einlaBt. Abel' verzichten heiBt unbestreitbar: sich etwas versagen. Demzufolge muB doch del' SchluBvers das sagen, was del' Dichter sich versagt. Ja und nein. Wie sollen wir dies denken? Immel' nachdenklicher macht uns die ScWuBstrophe und verlangt, daB wir sie im ganzen und deutlicher horen, die ganze Strophe jedoch als diejenige, die das Gedicht dul'ch den AbschluB zugleich aufschlieBt. So lernt ich traurig den verzicht: Kein ding sei wo das wort gebricht. Del' Dichter hat den Verzicht gelernt. Lemen heiBt: wissend werden. Wissend ist, lateinisch gesprochen, qui vidit, wer etwas gesehen, erblickt hat, wer das'Erblickte nie mehr aus dem Blick verliert. Lemen heiBt: in solches Erblicken gelangen. Dazu ge- gg4 hart, daB wir es erlangen, namlich unterwegs, auf einer Fahrt. Sich in das Er-fahren schicken heiBt:.lernen. Bei welchen Fahrten gelangt del' Dichter zu seinemVerzicht? Durch welches Land fiihren die Fahrten den Fahrenden? Wie hat del' Dichter den Verzicht erfahren? Die SchluBstrophe gibt die Weisung. So lerntich traurig den verzicht: Wie denn? So, wie es die voraufgehenden sechs Strophen sagen. Hier spricht del' Dichter von seinem Land. Bier spricht er von seinen Fahrten. Die vierteStrophe beginnt: Einst langt ich an nach guter fahrt 212 Das Wort »Einst« ist hier in der alten Bedeutung gebraucht, die besagt: einmal. Darin bekundet sich ein ausgezeichnetes Mal, eine einzigartige Erfahrung. Deshalb setzt das Sagen von ihr nicht nur jah ein mit dem »Einst«, es setzt sich zugleich deutlich ab gegen die bisherigen Fahrten; denn der letzte Vers der unmittelbar voraufgehenden dritten Strophe lauft in drei Punkte aus. Das Gleiche gilt yom letzten Vers der sechsten Strophe. Demnach sind die sechs Strophen, die sich auf die siebente, die SchluBstrophe zu sammeln, durch deutliche Zeichen in zweimal drei Strophen, in zwei Triaden gegliedert. Die Fahrten des Dichters, von denen die erste Triade sagt, sind anderer Art als die eine und einzige, der die ganze zweite Triade gewidmet ist. Damit wir den Fahrten des Dichters, zumal der einzigartigen, die ihn den Verzicht erfahren laBt, nachdenken konnen, mussen wir zuvor die Landschaft bedenken, in die das Erfahren des Dichters gehort. Zweimal, im zweiten Vers der ersten und im zweiten Vers der sechsten Strophe, also am Beginn und am Ende der beiden 225 Triaden, sagt der Dichter: »mein land«. Sein ist das Land als der gesicherte Bezirk seines Dichtens. Wonach dieses verlangt, sind die Namen. Wofur? Der erste Vers des Gedichtes gibt die Antwort: Wunder von ferne oder traum Namen fur solches, was dem Dichter aus der Ferne als Erstaunliches zugetragen wird, oder solches, was ihn im Traum. besucht. Beides gilt dem Dichter in aller Sicherheit fur das ihn wahrhaft Angehende, fur das, was ist, welches Seiende er jedoch nieht fur sich behalten, sondern darstellen will. Dazu bedarf es der Namen. Dies sind Worte, durch die das schon Seiende und fur seiend Gehaltene so greifbar und dieht gemacht wird, daB es fortan glanzt und bluht und so uberall im Lande als das Schone herrscht. Die Namen .sind die darstellenden Worte. Sie stellen das schon Seiende dem Vorstellen zu. Durch Das Wort 213 die Kraft der Darstellung bezeugen die Namen ihre maBgebende Herrschaft uber die Dinge. Der Dichter selbst dichtet aus dem Anspruch auf die Namen. Um sie zu erlangen, muB er durch seine Fahrten erst dorthingelangen, wo seinAnspruch die verlan~gte Erfiillung findet. Dies geschieht am Saum. seines Landes. Der Sauro saumt, er halt auf, begrenzt und umgrenzt den sicheren Aufenthalt des Dichters. Am Saum des dichterischen Landes - oder dieser Saum seIber? - ist der Born, der Brunnen, aus dem die graue Nom, die alte Schicksalsgottin, die Namen herau£holt. Mit diesen gibt sie dem Dichter jene Worte, die er zuversichtlich und seiner selbst sicher als die Darstellung dessen erwartet, was er fur das Seiende halt. Der Anspruch des Dichters auf die Herrschaft seines Sagens erfullt sieh. Gedeihen und Glanz seiner Dichtung werden Gegenwart. Der Dichter ist seines Wortes so sieher wie machtig. Die letzte Strophe der ersten Triade beginnt mit dem entschiedenen »Drauf«: Drauf konnt ichs grei£en dicht und stark 226 Nun bluht und glanzt es durch die mark ... Achten wir gut auf den Wechsel des Zeiteharakters der Zeitworter im zweiten Vers dieser Strophe gegeniiber dem ersten. Sie sprechen im Prasens. Die Herrschaft des Dichtertums ist vollendet. Sie ist an ihrem Ziel und ist vollkommen. Kein Mangel, kein Zweifel stort die Selbstsicherheit des Dichters. Bis einmal eine ganz andere Erfahrung ihn trifft. Sie wirdin der zweiten Triade gesagt, die in der genauen Entsprechung zur ersten gebaut ist. Merkmale dafiir sind folgende: Die letzten Strophen beider Triaden beginnen jeweils mit einem »Drauf« und »Worauf«. Dem »Drauf« steht am Ende deT zweiten Strophe ein Gedankenstrich voran. Dem »Worauf« geht gleichfalls ein Zeichen vorher: die Anfuhrungszeichen in der fiinften Strophe. Bei der einzigartigen Fahrt bringt der Dichter nieht mehr »Wunder von ferne oder traum« zum Saum seines Landes. Er 214 Das Wort kommt nach guter Fahrt mit einem Kleinod zum Born der Nom. Die Herkunft des Kleinods bleibt dunkel. Der Dichter tragt es einfach auf der Hand. Das auf der Hand Liegende ist weder etwas Getraumtes noch aus der Ferne Beigeholtes. Aber das befremdlich Kostbare ist zugleich »reich und zart«. Deshalb muB die Schicksaisgottin lang nach dem Namen fur das Kleinod suchen und den Dichter zuletzt mit dem Bescheid verab­ schieden: >So schlaft hier nichts auf tiefem grund< Die Namen, die der Brunnen birgt, gelten als etwas Schlafendes, was nur geweckt zu werden braucht, urn als Darstellung der Dinge seine Verwendung zu finden. Die Namen und Worte sind wie ein fester Bestand, der den Dingen zugeordnet ist und nachtraglich ihnen fur die Darstellung angetragen wird. Aber 2/27 diese Quelle, aus der das dichterische Sagen hisher die Worte schopfte, die als Namen das Seiende darstellten, spendet niehts mehr. Welche Erfahrung wird dem Dichter? Nur die, daB im Fall des auf der Hand liegenden Kleinods der Name ausbleibt? Nur die, daB jetzt das Kleinod zwar den Namen entbehren muB, sonst aber in der Hand des Dichters bleiben darf? Nein. Anderes, Besturzendes geschieht. Doch besturzend ist weder das .Ausbleiben des Namens, noch das Entrinnen des Kleinods. Besturzend wird, daB mit dem Ausbleiben des Wortes das Kleinod wegschwindet. Also ist es das Wort, das erst das Kleinod in seinem Anwesen halt, es sogar erst dahin holt und bringt und darein verwahrt. Das Wort zeigt jah ein anderes, hoheres Walten. Es ist nieht mehr nur benennender Griff nach dem schon vorgestellten Anwesenden, nicht nur Mittel der Darstellung des Vorliegenden. Dem entgegen verleiht das Wort erst Anwesen, d. h. Sein, worin etwas als Seiendes erscheint. Dieses andere Walten des Wortes blickt den Dichter jah an. Zugleich bleibt aber das Wort, das so waltet, aus. Darum entVas Wort 215 rinnt das Kleinod. Allein, dabei zerfallt es keineswegs zu nichts. Es bleibt ein Schatz, den der Dichter freilich nie in seinem Land bergen darf. Worauf es meiner hand entrann Und nie mein land den schatz gewann ... Durfen wir so weit hinausdenken, daB jetzt den Fahrten des Dichters zum Born der Nom das Ende gesetzt ist? Vermutlieh ja. Denn der Dichter hat durch die neue Erfahrung ein anderes Walten des Wortes, wenngleich verhullt, erblickt. Wohin bringt diese Erfahrung den Dichter und sein bisheriges Dichten? Der Dichter muB sich des Anspruches begeben, daB ihm in aller Sicherheit auf Verlangen der Name fur das geliefert wird, was er als das wahrhaft Seiende gesetzt hat. Dieses Setzen und jenen Anspruch muB er sich versagen. Der Dichter muB darauf ggS verzichten, das Wort als den darstellenden Namen fur das gesetzte Seiende unter seiner Herrschaft zu haben. Verzichten ist als Sichversagen ein Sagen, das sich sagt: Kein ding sei wo das wort gebricht. Wahrend wir bei der Erlauterung der ersten sechs Strophen des Gedichtes darauf achteten, welche Fahrt den Dichter seinen Verzicht erfahren laBt, hat sieh uns zugleieh der Verzicht seIber urn einiges geklart. Um einiges nur; denn vieles bleibt noeh dunkel in diesern Gedicht, allern voran jenes Kleinod, dafur der Name verwehrt wird. Darum kann der Dichter auch nieht sagen, was dies Kleinod ist. Um so weniger durfen wir eine Vermutung daruber wagen, es sei denn, das Gedicht gabe selbst einen Wink. Es gibt ihn. Wir vemehmen ihn, falls wir naehdenklich genug horen. Dem genugen wir, wenn wir etwas bedenken, was uns jetzt am nachdenklichsten stimmen muB. DerEinblick in die Erfahrung des Dichters mit dem Wort, d. h. der Einblick in den gelernten Verzicht drangt uns zu der 216 Das Wort Frage: Warum konnte der Dichter, nachdem er den Verzicht gelemt hat, nicht auf das Sagen verzichten? Warum sagt er gerade den Verzicht? Warum dichtet er sogar ein Gedicht mit der Dberschrift Vas Wort? Antwort: Weil dieser Verzicht ein eigentlicher Verzicht ist und keine bloBe Absage an das Sagen und somit kein bloBes Verstummen. Als Sichversagen bleibt der Verzicht ein Sagen. So wahrt er das Verhaltnis zum Wort. Weil jedoch das Wort sich in einem anderen, hoheren Walten gezeigt hat, muB auch das Verhaltnis zum Wort eine Wandlung erfahrene Das Sagen gelangt in eine andere Gliederung,in ein anderes ~£AO~, in einen anderen Ton. DaB der Verzicht des Dichters in diesem Sinne erfahren ist, bezeugt das Gedicht seIber, das den Verzicht sagt, indem es ihn singt. Denn dieses Gedicht 229 ist ein Lied. Es gehort in denletzten Teil des letzten von Stefan George veroffentlichten Gedichtbandes. Dieser letzte Teil tragt den Titel Das Lied und beginnt mit dem Vorspruch: Was ich noch sinne und was ich noch fiige Was ich noch liebe tragt die gleichen ziige Sinnend, fiigend, liebend ist das Sagen: ein still frohlockendes Sichbeugen, ein jubelndes Verehren, ein Preisen, ein Loben: Iaudare. Laudes Iautet der Iateinische Name fiir die Lieder. Lieder sagen heiBt: singen. Der Gesang ist die Versammlung des Sagens in das Lied. Verkennen wir den hohen Sinn des· Gesanges als Sagen, dann wird er zur nachtraglichen Vertonung des Gesprochenen und Geschriebenen. Mit dem Lied, mit den letzten unter dieser Dberschrift versammelten Gedichten, tritt der Dichter endgiiltig aus dem eigenen frliheren Kreis heraus. Wohin? In den Verzicht, den er lemte. Dieses Lernen war eine jahe Erfahrung in dem Augenblick, da ihn das ganz andere Walten des Wortes anblickte und die Selbstsicherheit seines vormaligen Sagens erschiitterte. UneraOOtes, 8chreckhaftes blickte ihn ·an, dies, daB erst das Wort ein Ding als Ding sein laBt. 1 Das Wort 217 Seitdem muB der Dichter diesem kaum geaOOten, nur sinnend ahnbaren Geheimnis des Wortes entsprechen. Solches gliickt nur, wenn das dichtende Wort im Ton des Liedes erklingt. Wir konnen diesen Ton besonders deutlich aus einem der Lieder horen, das ohne Dberschrift erstmals im letzten Teil des letztenGedichtbuches mitgeteilt ist (DasNeueReich 8.137): In stillste ruh Besonnenen tags Bricht jah ein blick Der uneraOOten schrecks Die sichre seele stort So wie auf hoOO 230 Der feste stamm Stolz reglos ragt Und dann noch spat ein sturm Ihn bis zum boden beugt: So wie das meer Mit gellem Iaut Mit wildem prall Nocheinmal in die lang Verlassne muschel stoBt. Der Rhythmus dieses Liedes ist so herrlich wie deutlich. Es geniigt, ihn durch einen Hinweis anzudeuten. Rhythmus, eua~6~, heiBt indes nicht FluB und FlieBen, sondem Fiigung. Der Rhythmus ist das Ruhende, das die Be-wegung des Tanzens und Singens fiigt und so in sich beruhen laBt. Der Rhythmus verleiht die Ruhe. 1m gehorten Lied- zeigt sich die Fiigung, wenn wir auf die eine Fuge achten, die sich uns in den drei Strophen dreigestaltig zusingt: sichre Seele und jaher Blick, Stamm und Sturm, Meer und Muschel. Aber das Seltsame in diesem Lied ist ein Zeichen, das der Dichter als einziges auBer dem SchluBpunkt vermerkt. Selt­ . 218 Das Wort samer noch ist die Stelle, an die er das Zeichen gesetzt hat. Es ist der Doppelpunkt am Ende der letzten Zeile der mittleren Strophe. Dieses Zeiehen an dieser Stelle ist urn so erstaunlieher, als beide Strophen, die mittlere und die letzte, im Riiekbezug auf die erste jedesmal gleieh einsetzen mit einem So wie ...: So wie auf hohn Der feste stamm und: So wie das meer Mit gellem laut 231 Beide Strophen seheinen in ihrer Aufeinanderfolge gleichgeordnet zu seine Aber sie sind es nieht. Der Doppelpunkt am Ende der mittleren Strophe laBt die folgende letzte Strophe eigens auf die erste zUrUckdeuten, indem er die zweite in diesen Hinweis einbezieht. Die erste Strophe meint den aus seiner Sieherheit aufgestorten Dichter. Allein, der »unerahnte sehreck« zerstort ihn nieht. Doeh er beugt ihn zu Boden wie der Sturm den Stamm, damit er offen werde fiir das, was die auf den offnenden Doppelpunkt folgende dritte Strophe singt. Noch einmal stoBt das Meer seine unergriindliehe Stimme in das Gehor des Dichters, das die »lang verlassne musehel« heiBt; denn der Dichter blieb bislang ohne das rein geschenkte Walten des Wortes. Statt seiner nahrten die von der Nom erheischten Namen die Selbstsicherheit des herrischen Kiindens. Der gelemte Verzicht ist keine bloBe Absage an einen Anspruch, sondem die Wandlung des Sagens in den fast verborgen rauschenden liedhaften Widerklang einer unsaglichen Sage. Jetzt diirften wir eher imstande sein, der SchluBstraphe nachzudenken, damit sie seIber so spricht, daB sich in ihr das ganze Gedicht versammelt. Gliickte dies auch nur in geringem MaBe, dann konnten wir bei guten Augenblicken die Dberschrift des Gediehtes Das Wort deutlieher horen und erkennen, wie die SehluBstrophe das Gedicht nicht nur abschlieBt, nicht Das Wort 219 nur aufschlieBt, sondern zugleieh das Geheimnis des Wortes verschlieBt. So lernt ich traurig den verzieht: Kein ding sei wo das wort gebrieht. Die SchluBstrophe sagt yom Wort in der Weise des Verzichtes. Dieser ist in ihm seIber ein Sagen: das Sich-versagen ... namlieh den Anspruch auf etwas. So genommen behalt der Verzicht einen verneinenden Charakter: »Kein ding«, d. h. nieht ein Ding; »das wort gebricht«, d. h. es ist nicht verfiigbar. Nach der Regel ergibt die doppelte Verneinungeine Bejahung. Der Ver- 232 zieht sagt: Ein Ding sei nur, wo das Wort gewahrt ist. Der Verzicht spricht bejahend. Die blaBe Absage ersehopft nieht nur nieht das Wesen des Verziehtes, sie enthalt es gar nieht. Der Verzieht hat zwar eine negative, aber zugleieh eine positive Seite. Doeh die Rede von Seiten ist hier verfanglieh. Sie ordnet das Vemeinende und Bejahende einander gleich und verdeekt so das im Verzieht eigentlieh waltende Sagen. Diesem gilt es vor allem nachzudenken. Nicht genug. Notig ist zu bedenken, welchen Verzieht die SehluBstrophe meint. Er ist von einziger Art; denn er bezieht sieh nieht auf irgendeinen Besitz von irgend etwas. Das Verzichten betrifft als Sichversagen, d. h. als ein Sagen, das Wort selbst. Das Verziehten bringt das Verhaltnis zurp. Wort in Be-wegung zu dem, was jedes Sagen als Sagen angeht. Wir ahnen, daB in diesem Siehversagen das Verhaltnis zum Wort eine fast »iibermaBige Innigkeit« gewinnt. Das Ratselhafte der SchluBstrophe iiberwachst uns.· Wir moehten es aueh nicht losen, sondern nur lesen, unser Nachdenken darauf sammeln. Zuerst denken wir. das Verzichten als Sieh-etwas-versagen. GrammatischerkHirt, steht das »sieh« im Dativ und meint den Dichter. Das, was der Dichter sich versagt, steht im Akkusativ. Es ist der Anspruch alif die vorstellende Herrschaft des Wortes. Inzwischen kam ein andererZug in diesem Verziehten zumVor- L 220 Das Wort schein. Das Verzichten sagt sich dem hoheren Walten des Wortes zu, das erst ein Ding als Ding sein laBt. Das Wort be-dingt das Ding zum Ding. Wir mochten dieses Walten des Wortes die Bedingnis nennen. Dieses alte Wort ist aus unserem Sprachgebrauch verschwunden. Goethe kennt es noch. Bedingnis sagt im vorliegenden Zusammenhang jedoch anderes als die Rede von der Bedingung, als welche auch Goethe noch die Bedingnis versteht. Die Bedingung ist der seiende Grund fur etwas Seiendes. Die Bedingung begriindet und griindet. Sie geniigt dem Satz vom Grund. Aber das Wort be-grundet das Ding nicht. 233 Das Wort laBt das Ding als Ding anwesen. Dieses Lassen heiBe die Bedingnis. Der Dichter erklart nicht, was diese Bedingnis ist. Aber der Dichter sagt sieh, d. h. sein Sagen diesem Geheimnis des Wortes zu. In solchem Sich-zusagen versagt der Verzichtende sich dem vormals von ihm gewollten Anspruch. Das Sieh-versagen hat seinen Sinn gewandelt. Das »sieh« steht nieht mehr im Dativ, sondem im Akkusativ, und der Anspruch steht nicht mehr im Akkusativ, sondern im Dativ. 1m Wandel des grammatisehen Sinnes der Wendung »sieh den Anspruch versagen« in ein »sich dem Anspruch versagen« verbirgtsich der Wandel des Dichters selbst. Er hat sich, d. h. sein kiinftig noeh mogliches Sagen vor das Geheimnis des Wortes, vor die Bedingnis des Dinges im. Wort bringen lassen. Allein, aueh im gewandelten Sichversagen behalt der verneinende Charakter des Verzichtens noch die Vorhand. Indessen wurde immer deutlieher, daB der Verzicht des Dichters durehaus kein Nein-sagen, sondern ein Ja-sagen ist. Das Sich-versagen-- anscheinend nur Absage und Siehzuriicknehmen .;... ist in Wahrheit ein Sieh-nicht-versagen: dem Geheimnis des Wortes. Dieses Sich-nicht-versagen kann nur in der Weise spreehen, daB es sagt: es »sei«. Fortan sei das Wort: die Bedingnis des Dinges. Dieses »sei« laBt sein, was und wie das Verhaltnis von Wort und Ding eigentlich ist: Kein Ding ist ohne das Wort. Dieses »ist« sagt sich der Verzieht im »es sei« zu. Darum bedarf es nicht erst einer nachtraglichen Umfonnung des SchluBverses Das Wort 221 in eine Aussage, urn dadurch das »ist« zum Vorschein zu bringen. Das »sei« reicht uns das »ist« reiner, well verschleiert dar. Kein ding sei wo das wort gebricht. In diesem Sich-nicht-versagen sagt der Verzicht sich selbst als dasjenige Sagen, das sich ganz dem Geheimnis des Wortes verdankt. Das Verzichten ist im Sich-nicht-versagen ein Sich-verdanken. Darin wohnt der Verzicht. Der Verzicht ist Verdank 234 und so einDank. Der Verzicht ist weder bloBe Absage noch gar ein Verlust. Doch weshalb ist der Dichter traurig gestimmt? So lemt ich traurig den verzicht: Macht ihn der Verzicht traurig? Oder befiel ihn die Trauer nur beim Lemen des Verziehtes? In diesem Fall konnte die Trauer, die jiingst sein Gemut beschwerte, wieder vergangen sein, sobald er sich in den Verzicht als den Verdank eingelassen hat; denn das Sich-verdanken ist als Danken auf die Freude gestimmt. Den Ton der Freude horen wir aus einem anderen Lied. Auch diesem Gedicht fehlt die Dberschrift. Aber es tragt ein so seltsam einziges Zeichen, daB wir dieses Lied aus der inneren Verwandtschaft mit dem Lied Das Wort horen mussen (Das Neue Reich S. 125). Es lautet: Welch ein kiihn-Ieichter schritt Wandert durehs eigenste reich Des marchengartens der ahnin? Welch einen weckruf jagt Bliiser mit silbemem hom Ins schlummemde dickicht der Sage? Welch ein heimlicher hauOO Schmiegt in die seele siOO ein Der jiingst-vergangenen schwermut? 222 Das Wort Stefan George pflegt aile Worter klein zu schreiben, ,ausgenommen diejenigen, mit denen die Verszeilen beginnen. Doch in diesem Gedicht findet sich ein einziges groBgeschriebenes Wort, fast in der Mitte des Gedichtes am Ende der mittleren Strophe. 235 Das Wort lautet: die Sage. Der Dichter hatte diesesWort als Oberschrift wahlen konnen. mit dem verborgenenAnklang, daB die Sage als die Mar des Marchengartens von der Herkunft des Wortes Kunde gibt. Die erste Strophe singt den Schritt als die Wanderung durch den Bereich der Sage. Die zweite Strophe singt den Ruf,der die Sage weckt. Diedritte Strophe singt den Hauch, dessen Wehen sich der Seele einschmiegt. Schritt (d. h. Weg) und Ruf und Hauch schwingen um das Walten des Wortes. Dessen Geheimnis hat nicht nur die vormals sichere Seele aufgestort, es hat der Seele zugleich die Schwermut genommen, die sie niederzuziehen drohte. Also ist die Traurigkeit aus dem Verhaltnis des Dichters zum Wort geschwunden. Sie betraf nur das Lernen·des·Verzichtes. Dies alles trafe zu, wenn die Trauer der bloBe Gegensatz zur Freude, wenn Schwermut und Trauer das Gleiche waren. Doch je freudiger die Freude, je reiner die in ihr schlummernde Trauer. Je tieferdie Trauer, je rufender die in ihr ruhende Freude. Trauer und Freude spielen ineinander. Das Spiel selbst, das beide ineinander stimmt, indem es das Ferne nah und das Nahe fern sein laBt, ist der Schmerz. Darum sind beide, die hochste Freude und die tiefste Trauer, je nach ihrer Weise schmerzlich. Der Schmerz aber mutet das Gemiit der Sterblichen so an, daB es aus ihm - dem Schmerz- sein Schwergewicht empfangt. Dieses halt die Sterblichen bei allem Schwanken in der Ruhe ihres .Wesens. Der dem Schmerz entsprechende »muot«, das durch ihn und auf ihn gestimmte Gemut, ist die Schwermut. Sie kann das Gemut niederdriicken, sie kann aber auch das Lastende verlieren und ihren »heimlichen hauch« der Seele einschmiegen, ihr den Schmuck verleihen, der sie in das kostbare Verhaltnis zum Wort kleidet und in diesem Kleid schutzt. Das Wort 223 Solches denkt vermutlich die dritte Strophe des zuletzt gehorten Gedichtes. Mit dem heimlichen Hauch der jiingst vergangenen Schwermut weht die Trauer durch den Verzicht selbst; 236 denn sie gehort zu ihm, falls wir diesen Verzicht aus seinem eigensten Gewicht denken. Das ist das Sich-nicht-versagen dem Geheimnis des Wortes, dem, daB es die Bedingnis des Dinges ist. Als Geheimnis bleibt es das Feme, als erfahrenes Geheimnis ist das Ferne nah. Der Austrag dieser Ferne solcher Nahe ist das Sich-nicht-versagen dem Geheimnis des Wortes. Fur dies.es Geheimnis fehlt das Wort, d. h. jenes Sagen, das es vermochte, das Wesen der Sprache - zur Sprache zu bringen. Der Schatz, den das Land des Dichters nie gewinnt, ist das Wort fur das Wesen der Sprache. Das jah erblickte Walten und Weilen des Wortes, sein Wesendes, mochte ins eigene Wort kommen. Aber das Wort fur das Wesen des Wortes wird nicht gewahrt. Wie nun, wenn einzig dies, das Wort fur das Wesende der Sprache, jenes Kleinod ware, das, dem Dichter ganz nahe, weil auf der Hand liegend, gleichwohl entrinnt, doch als Entronnenes und nie Gewonnenes das Fernste .bleibt in der nachsten Nahe? Aus dieser ist ihm das Kleinod geheimnisvoll vertraut, denn anders vermochte er nicht, das Kleinod zu besingen: »reich und zart«. Reich heiBt: vermogend zum Gewahren, vermogend im Reichen, vermogend im Erreichen- und Gelangenlassen.Dies aber ist der Wesensreichtum des Wortes, daB es iill Sagen, d. h. im Zeigen, das Ding als Ding zum Scheinen bringt. Zart heiBt nach dem alten Zeitwort zarton das Selbe wie: vertraut, erfreuend, schonend. Das Schonen ist ein Reichen und Be-freien, aber ohne Wille und Gewalt, ohne Sucht und Herr­ schaft. Das kleinod reich und zart ist das verborgene Wesen (verbal) des Wortes, das sagend unsichtbar und schon im Vngesprochenen das Ding als Ding uns darreicht. 224 Vas Wort lnsofern der Verzicht sich dem Geheimnis des Wortes zugesagt hat, behalt der Dichter das Kleinod durch den Verzicht im Andenken. Auf diese Weise wird das Kleinod zu dem, was der 237 Dichter als ein Sagender allem anderen vorzieht, iiber alIes iibrige wiirdigt. Das Kleinod wird zum eigentlich Denkwiirdigen des Dichters. Denn was kann es fiir den Sagenden Denkwiirdigeres geben als das sich verschleiernde Wesen des Wortes, das entscheinende Wort fiir das Wort? Wenn wir das Gedicht als Lied im Einklang mit den verwandten Liedem horen, dann lassen wir uns durch den Dichter und mit ihm das Denkwiirdige des Dichtertums sagen. Sich das Denkwiirdige sagen lassen, heiBt - Denken. lndem wir das Gedicht horen, denken wir dem Dichten nacho Auf solche Weise ist: Dichten und Denken. Was zunachst wie eine Dberschrift iiber einem Thema aussieht: Dichten und Denken, zeigt sich als die Inschrift, in die unser geschickliches Dasein von altersher eingeschrieben ist. Die Inschrift verzeichnet das Zueinandergehoren von Dichten und Denken. Deren Zusammenkunft hat eine lange Herkunft. Wenn wir in diese zuriickdenken, gelangen wir vor das uralt Denkwiirdige, dem nie genug nachgedacht werden kann. Es ist das selbe Denkwiirdige, das den Dichter jah anblickte, dem er sich nicht versagte, sagend: Rein ding sei wo das wort gebricht. Das Walten des Wortes blitzt auf aIs die Bedingnis des Dinges zum Ding. Das Wort hebt an zu leuchten als die Versammlung, die Anwesendes erst in sein Anwesen bringt. Das alteste Wort fiir das so gedachte Walten des Wortes, fiir das Sagen, hellit A6yor;: die Sage, die zeigend Seiendes in sein es ist erscheinen laBt. Das selbe Wort A6yor; ist aber als Wort fiir das Sagen zugleich das Wort fiir das Sein, d. h. fiir das Anwesen des Anwesenden. Sage und Sein, Wort und Ding gehoren in einer verhiillten, kaum bedachten und unausdenkbaren Weise zueinander. Das Wort 225 Jedes wesentliche Sagen hort in dieses verhiillte Zueinander- 238 gehoren von Sage und Sein, Wort und Ding zuriick. Beide, Dichten und Denken, sind ein ausgezeichnetes Sagen, insofern sie dem Geheimnis des Wortes als ihrem Denkwiirdigsten iiberantwortet und dadurch seit je in die Verwandtschaft miteinander verfugt bleiben. Damit wir diesem Denkwiirdigen, wie es sich dem Dichten zusagt, auf eine gemaBe Weise nach- und vordenken, iiberlassen wir aIles jetzt Gesagte einer Vergessenheit. Wir horen das Gedicht. Wir werden jetzt noch nachdenklicher im. Hinblick auf die Moglichkeit, daB wir uns im Horen urn so leichter verhoren, je einfacher das Gedicht in der Weise des Liedes singt. DERa WEG ZUR SPRACHE a .weshalb nicht »ein« Weg unter anderen? Der Vortrag versucht: das Eigentiimliche der Sprache be-merken zu lassen und zu nennen - in die Fragwiirdigkeit des Unscheinbaren ruten (das Unscheinbare eines Vorenthaltes, dessen Reichtum) Zum Beginn horen wir ein Wort von Navalis. Es steht in einem 241 Text, den er Monolog iiberschrieben hat. Der Titel deutet in das Geheimnis der Sprache: Sie spricht einzig und einsam. mit sich seIber. Ein Satz des Textes lautet: »Gerade das Eigentiimliche der Sprache, daB sie sich bloB urn sich selbsta bekiimmert, weiB keiner.« Fassen wir, was jetzt zu sagen versucht sei, als eine Folge von Aussagen tiber die Sprache, dann bleibt es bei einer Rette unbewiesener, wissenschaftlich unbeweisbarer Behauptungen. Erfahrenb wir dagegen den Weg zur Sprache aus dem, was sich unterwegs mit dem Weg begibt, dann konnte eine Vermutung erwachen, in der uns fortan die Sprache befremdend anmutet und unser Verhaltnis zu ihr sich als das Ver-Haltnis bekun­ det.c Der Weg zur Sprache - dies klingt so, als lage die Sprache weit weg von uns, irgendwo, dahin wir uns erst auf einen Weg machen miiBten. Braucht es denn nun aber einen Weg zur Sprache? Wir sind nach einer alten Kunde doch seIber diejenigen Wesen, die zu sprechen vermogen und daher die Sprache schon haben. Das Vermogen zu sprechen ist auch nicht nur eine Fahigkeit des Menschen, gleichgeordnet seinen iibrigen. Das Vennogen zu sprechen zeichnet den Menschen zum Menschen aus. Diese Aus-Zeichnung enthalt den AufriB seines Wesense Der Mensch ware nieht Mensch, wenn ihm versagt bliebe, unablassig, iiberallher, auf jegliches zu,.in mannigfaltigen Abwandlungen und zumeist unausgesprochen in einem »es ist« zu a Reflexion?? b eundo assequi fahren, ziehen, den Weg einschlagen, geleiten, gelangenlassen er-fahren durch solches - in solchem fahren - eigens gelangen c Ver-Haltnis: Ortschaft des· Zu-einander-Gehorens von Brauch und Er­ eignis i 230 Der Weg zur Sprache sprechen. In.sofern die Sprache solches gewahrt, beruhta das Menschenwesen in der Sprache.b So sind wir denn allem zuvor in der Sprache und bei der Sprache.C Ein Weg zu ihr ist unnotig. Der Weg zur Sprache ist g42 aber auch unmoglieh, wenn anders wir schon dort sind, wohin er fuhren solI. Doch, sind wir dort? Sind wir so in der Sprache, daB wir ihr Wesen erfahren, sie·als die Sprache denken, indem wir, in das Eigened der Sprache horend, dieses vernehmen? Verweilen wir ohne unser Zutun schon in der Nahe der Sprache? Oder ist der Weg zur Sprache als der Sprache der weiteste, der sich denken laBt? Der weiteste nieht nur, sondern gesaumt mit Hindernissen, die aus der Sprache selbst kommen, sobald wir versuchen, der Sprache ohne Seitenblicke rein in das Ihrige nachzusinnen?' Wir wagen hierbei etwas Seltsames und mochten es auf die folgende Weise umschreiben: Die Sprache als die Sprache zur Sprache bringen. Dies klingt wie eine Formel. Sie solI uns zum Leitfaden auf dem Weg zur Spraehe dienen. Die Formel gebraucht das Wort »Sprache« dreimal, wobei es jedesmal Anderes und gleichwohl das Selbe sagt. Dies ist Jenes, was das Auseinandergehaltene aus dem Einen, worin das Eigentiimliche der Sprache beruht, zueinanderhait. Zunaehst freilieh deutet die Formel auf ein Geflechte von Beziehungen, darein wir seIber schon einbezogen sind. Das Vorhaben eines Weges zur Sprache ist in ein Sprechen verflochten, das gerade die Sprache freistellen moehte, urn sie als die Spraehe vorzustellen und das a Instandigkeit in der Lichtung des Sichverbergenden Bergens b die Sprache aller Sprachen: das »Ist« (transitiv) - Sagen - gleichviel in welchem Laut oder gar lautlos im Er-staunen vor ­ 1st (transitiv) der Mensch die Sprache oder 1st die Sprache den Menschen C .was heiBt hier »in« und »bei«? d ihr Eigenes? daB sie das Ver-Haltnis ist in der Eignis - das Ver-Hiiltnis als das GeHiut der Stille . e der Name »Geflecht« ist schlecht aber: »Zirkel« erst recht das Gefalt - falten - durch umbiegen zusammenlegen - »Rande falten« aber zugleich: lichtend das fiigende Gelicht? Der Weg zur Sprache 231 Vorgestellte auszuspreehen, was zugleich bezeugt, daB die Spraehe seIber uns in das Sprechen verfloehten hat. Dieses Geflecht, das die Wegformel anzeigt, nennt den vorbestimmten Bereich, in dem sich nieht nur die Reihe dieser Vortrage, sondern die ganze Sprachwissenschaft, aIle Sprachtheorie und Sprachphilosophie, jeder Versuch, der Sprache nachzusinnen, aufhalten mussen. Ein Geflecht drangt zusammen, verengt und verwehrt die gerade Durchsicht im Verfloehtenen. Zugleich aber ist das Geflecht, das die Wegformel nennt, die eigene Sache der Sprache. Darum durfen wir von diesem Gefleeht, das dem Anschein nach alles ins Unentwirrbare zusammendrangt, nieht wegsehen. Die Formel muB unser Naehdenken eher bedrangen, damit es ver- 243 suehe, das Gefleeht zwar nieht zu beseitigen, aber so zu losen, daB es den Blick in das freie Zusammengehoren der durch die Formel genannten Beziigea gewahrt. Vielleicht ist das GeHeeht von einem Band durehzogen, das auf eine stets befremdende Weise die Sprache in ihr Eigentiimliches entbindet. Es gilt, im Geflecht der Sprache das entbindende Band zu er­ fahren. Der Vortrag, der die Sprache als Information bedenkt und dabei die Information als Spraehe denken muB!, nennt dieses in sich zuriicklaufende Verhaltnis einen Zirkel und zwar einen unvermeidlichen, zugleich aber sinnvollen. Der Zirkel ist ein besonderer Fall des genannten Geflechtesb• Der Zirkel hat einen Sinn, weil die Riehtung und die Art des Kreisens von der Spraehe selbst durch eine Bewegung in ihr bestimmt werden. Den Charakter und die Reiehweite dieser Bewegung mochten wir aus der Spraehe selbst erfahren, indem wir uns auf das Gefleeht einlassen. a Ver-Haltnisse b flechten - plectere O'''~3tAO)(''' faIten - das Gefalt Idie Ein£alt 1 Vgl. Hinweise, S. 260. In der dort genannten Vortragsreihe sprach C. Fr. v. Weizsacker zum Thema: Sprache als Information ..... 232 Der Weg zur Sprache Wie kann dies gelingen? Dadurch, daB wir unabHissig dem folgen, was die Wegformel anzeigt: Die Sprache als die Sprache zur Sprache bringen. Je deutlieher dabei die Spraehe selbst sich in ihrem Eigenen zeigt, um so bedeutsamer wird unterwegs der Weg zur Spraehe fur sie selbst, urn so entsehiedener wandelt sieh der Sinn der Wegformel. Sie verliert ihren Formeleharakter, ist unversehens ein Iautloser Anklang, der uns ein Geringes yom Eigentiimlichen der Spraehe horen BiBt. I Die Spraehe: Wir meinen jetzt das Sprechen, kennen es als unsere Tatigkeit und vertrauen der Befahigung dazu. Gleiehwohl ist es kein fester Besitz. Einem Mensehen bleibt vor Staunen 244 oder Sehreeken die Spraehe weg. Er staunt nur noch und ist betroffen. Er sprieht nicht mehr: er schweigt. Jemand verliert durch einen Dnfall die Sprache. Er spricht nicht mehr. Er sehweigt auch nieht. Er bleibt stumm.Zum Sprechen gehort die gegliederte Verlautbarung, sei es, daB wir sie vollziehen - im Spreehen, oder sie unterlassen - im Schweigen, oder dazu unfahig sind - im Verstummen. Zum Sprechen gehort die stimmlich-gegliederte Verlautbarung. Die Sprache zeigt sich im Sprechen als Betatigung der Sprechwerkzeuge, als da sind: der Mund, die Lippen, das »Gehege der Zahne«, dieZunge, die Kehle. DaB die Sprache seit alter Zeit unmittelbar von diesen Ers.cheinungen her vorgestellt wird, bezeugen die Namen, die sich die abendlandischen Sprachen selbst gegeben haben: yAwooa, lingua, langue, language. Die Sprache ist dieZunge, ist Mund-art. Aristoteles sagt am Beginn einer Abhandlung, die spater den Titel nEQt EQl-tflV£La;, de interpretatione, Dber das Aussagen erhielt, folgendes: "EO'tL IlEV OVV 'ta £v 'tn Sachen selbst<, so dankt das der Verf. in erster Linie E. Husserl, der den Verf. wahrend seiner Freiburger Lehrjahre durch eindringliche personliche Leitung und durch freieste Dberlassung unveroffentlichter Untersuchungen mit den verschiedensten Gebieten der phanomenologischen Forschung vertraut machte. « 260 Hinweise Zu der im Gesprach genannten »Zwiefalt«, insgleichen zu dem im Vortrag »Die Sprache« erorterten »Unter-Schied« sind zu vergleichen: Was heipt Denken? Niemeyer Tiibingen 1954 und Identitiit und Differenz G. Neske Pfullingen 1957. Das Wesen der Sprache. Die drei Vortrage wurden im Studium generale der Universitat Freiburg i. Br. am 4. und 18. Dezember 1957 und am 5. Februar 1958 gehalten. Das fVort. Der Text wurde in der vorliegenden Fassung zuerst bei einer Morgenfeier im Burgtheater zu Wien am 11. Mai 1958 vorgetragen unter dem Titel: Dichten und Denken. Zu Stefan Georges Gedicht Das Wort. Ferner wurde der Vortrag in Konstanz am 12. Juni 1959 und in Amriswil am 15. Juni 1959 gehalten. Der Weg zur Sprache. Der Vortrag gehort in die Reihe von Vortragen, die im Januar 1959 von der Bayerischen Akademie der Schonen Kiinste und von der Akademie der Kiinste in Berlin unter dem Titel »Die Sprache« veranstaltet wurde; er wurde in der Aula der Universitat Munchen am 23. Januar 1959 und im Emst-ReuterHaus in Berlin am 28. Januar 1959 gehalten. Der Text ist fiir den Druck neu durchgesehen und an einigen Stellen erweitert. Er erschien zuerst in der IV. Folge von Gestalt und Gedanke 1959 (Redaktion: Clemens Gra£ Podewils). NACHWORT DES HERAUSGEBERS Der hier vorgelegte Band 12 der Gesamtausgabe letzter Hand Martin Heideggers enthalt den Text der 1959 im Verlag Giinther Neske, Pfullingen, erschienenen Einzelausgabe »Unterwegs zur Sprache«. Getreu den von Heidegger ftir die Herausgabe der Bande in der I. Abteilung erteilten Anweisungen wurden aus seinen Handexemplaren einige kleine Textverbesserungen, die von ihm mittels Korrekturzeichen ausgeftihrt sind, in den vorliegenden Band iibernommen. Die von diesen Verbesserungen betroffenen Textseiten sind: 42, 149, 151, 166, 193, 199, 229, 23~ 23~ 238,239, 241,243, 245,24~ 248,249,251,252,255. Bei den genannten Handexemplaren handelt es sich urn die erste Auflage der Einzelausgabe »Unterwegs zur Sprache« von 1959 sowie urn den von der Bayerischen Akademie der Schonen Ktinste herausgegebenen Sammelband »Die Sprache. Vortragsreihe Miinchen, Berlin 1959«, Mtinchen 1959. Auch der vorliegende Band enthalt einige Randbemerkungen Heideggers aus einem Handexemplar, die einer von ihm gegebenen Anweisung gemaB als FuBnoten mit hochgestellten Kleinbuchstaben im Druck wiedergegeben sind. Da aIle Randbemerkungen nur dem Handexemplar der ersten Auflage von 1959 entstammen, konnte auf die Angabe der Herkunft jeweils vor den Randbemerkungen, wie es in anderen Biinden der I. Abteilung geschehen ist, verzichtet werden. Die Zuordnung der Randbemerkungen zu Worten oder Satzen ergibt sich aus den von Heidegger in seinem Handexemplar verwendeten Verweisungszeichen. Ferner hat Heidegger in sein Handexemplar der Einzelausgabe tiber den Beginn des Vortrages »Der Weg zur Sprache« einen Text von Georg Christoph Lichtenberg handschriftlich eingetragen, der hier wiedergegeben wird: »Wenn man viel selbst denkt, so findet man viele Weisheit in die Spra­ 262 Nachwort des Herausgebers che eingetragen. Es ist wohl nicht wahrscheinlich, daB man aIIes selbst hineintragt, sondern es liegt wurklich viel Weisheit darin so wie in den Sprichwortem.« (GesammeIte Werke in 2 Banden. Herausgegeben u. eingeleitet v. W. Grenzmann. Frankfurt a. M. 1949. Bd. I, S. 408.) Aile Einzeltexte dieses Bandes wurden fur den Wiederabdruck auf Druckfehler hin durchgesehen. Zur Venneidung von MiBverstandnissen oder zur Verdeutlichung des Gesagten erfolgte gelegentlich ein stillschweigender Eingriff in die Zeichensetzung, der sich an die hierfur geltenden Regeln hielt. Achtgegeben wurde femer auf die einheitliche Schreibweise von Grundworten wie >Unter-Schied< oder >Be-wegung<. AIle Zitate wurden an den von Heidegger gebrauchten Ausgaben uberpriift. Hierbei konnte in den meisten Fallen auf seine eigenen HandexempIare zuriickgegriffen werden. Dort, wo sich geringfugige Abweichungen von den VorIagen zeigten, wurden die Zitate und die bibliographischen Angabenden Vorlagen vollstandig angeglichen. Die am Seitenrand angebrachten Ziffem beziehen sich auf die Seitenzahlen der Einzelausgabe aller sieben AufIagen. Die von Heidegger fur die ErstaufIage der Einzelausgabe zusammengesteIlten »Hinweise« konnten mit Hilfe seiner eigenhandigen Angaben in den Handschriften der in diesem Band vereinigten Texte erganzt werden. Dem NachlaBverwalter, Herrn Dr. phil. Hermann Heidegger, schuIde ich Dank fur die Begleitung dieser Herausgabe, insbesondere fur das gemeinsame Kollationieren der Randbemerkungen. Fur die umsichtige Korrekturhilfe sage ich Frau Dr. Luise Michaelsen meinen aufrichtigen Dank. Herrn cand.philos. Hans-Helmuth Gander danke ich herzlich fur das sorgsame Mitlesen der Korrekturen sowie fiir manche Hilfe bei der Vorbereitung der Druckvorlage und wahrend der Druck­ legung. Freiburg i. Br., im Juli 1985 F.-W. v. Herrmann