Gesetz vom 9. März 1920 über das Verfassungsgericht (Gesetz Nr. 162/1920) Die Nationalversammlung der Tschechoslowakischen Republik hat das folgende Gesetz beschlossen: I. Zusammensetzung des Verfassungsgerichtes. § 1. Das Verfassungsgericht besteht aus 7 Mitgliedern, von denen 3 vom Präsidenten der Republik ernannt und je 2 vom Obersten Gericht und vom Obersten Verwaltungsgericht aus ihrer Mitte entsendet werden. Das Abgeordnetenhaus, der Senat und der karpathorussische Landtag schlagen Ternen vor, aus denen der Präsident der Republik je ein Mitglied auswählt. Solange der karpathorussische Landtag sich nicht zum erstenmal konstituiert hat, wird das Mitglied, welches vorzuschlagen dem karpathorussischen Landtag zusteht, vom Präsidenten der Republik auf Antrag der Regierung ernannt. Die vom Obersten Gericht und vom Obersten Verwaltungsgericht zu entsendenden Mitglieder werden in Plenarversammlungen jedes dieser Gerichte nach den betreffenden Geschäftsordnungen gewählt. Für jedes Mitglied wird ein Ersatzmann, und zwar auf dieselbe Weise wie das betreffende Mitglied bestellt. Der Ersatzmann tritt an die Stelle des Mitgliedes, wenn dieses dauernd oder zeitweise verhindert ist. Die näheren Bestimmungen enthält die Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtes Mitglieder des Verfassungsgerichtes sowie Ersatzmänner können bloß rechtskundige, in den Senat wählbare Personen sein, die nicht Mitglieder einer der genannten gesetzgebenden Körperschaften sind. Eines der drei im Absatze 2 erwähnten Mitglieder ernennt der Präsident der Republik zugleich zum Vorsitzenden des Verfassungsgerichtes. hierzu die Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofes vom 19. Mai 1922 (Gesetz Nr. 255/1922) § 2. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichtes leistet in einer Versammlung der Regierung in die Hand des Präsidenten der Republik dm Gelöbnis, alle Verfassungsgesetze streng und unparteiisch zu beobachten. Nach Leistung des Gelöbnisses beruft die Vorsitzende binnen acht Tagen das Verfassungsgericht zur konstituierenden Versammlung ein, in der die übrigen Mitglieder und die Ersatzmänner ein Gelöbnis gleichen Inhaltes in die Hand des Vorsitzenden leisten, worauf sie aus ihrer Mitte mit Stimmenmehrheit einen Vorsitzendenstellvertreter wählen, der den Vorsitzenden im Verhinderungsfalle oder, wenn dessen Stelle erledigt ist, vertritt. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende. § 3. Die Funktionsperiode der Mitglieder des Verfassungsgerichtes beträgt 10 Jahre und wird vom Tage der konstituierenden Versammlung gerechnet. Die Funktion des vom Präsidenten der Republik auf Antrag die Regierung ernannten Mitgliedes (§ 1, Abs. 3) dauert bis zu dem Zeitpunkte, in dem für dasselbe über Vorschlag des karpathorussischen Landtags ein anderes ernannt werden wird. § 4. Wenn während der Funktionsperiode die Stelle eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtes vakant wird, insbesondere wenn eines der Mitglieder Mitglied einer gesetzgebenden Körperschaft wird, so wird die erledigte Stelle für den restlichen Teil der Periode in gleicher Weise besetzt, wie sie ursprünglich besetzt wurde. Jede Erledigung hat der Vorsitzende ohne Verzug dem Präsidium der gesetzgebenden Körperschaft, von der der Vorschlag auf die Besetzung der erledigten Stelle ausgegangen ist, beziehungsweise dem Gerichte mitzuteilen, welches das Mitglied, dessen Stelle vakant wurde, entsendet hat. § 5. Die Mitglieder des Verfassungsgerichtes haben Anspruch auf eine Entschädigung, deren Höhe durch eine Regierungsverordnung festgesetzt wird. § 6. Der Sitz des Verfassungsgerichtes ist Prag. Das erforderliche Hilfspersonal, die Räumlichkeiten und sachlichen Erfordernisse werden von der Regierung beigestellt. II. Zuständigkeit des Verfassungsgerichtes. § 7. Das Verfassungsgericht ist ausschließlich zuständig zur Entscheidung darüber, ob a) die Gesetze der Tschechoslowakischen Republik und die Gesetze Karpathorußlands dem Grundsatze des Artikels 1 des Gesetzes, betreffend die Einführung der Verfassungsurkunde der Tschechoslowakischen Republik, b) die provisorischen Verfügungen auf Grund des § 54 der Verfassungsurkunde der Bestimmung des Abs. 8, lit. b dieses Paragraphen entsprechen. III. Verfahren vor dem Verfassungsgerichte. § 8. Das Verfassungsgericht hält nach Bedarf Sitzungen ab. Der Vorsitzende oder der ihn vertretende Vorsitzendestellvertreter beruft die Sitzungen ein und stimmt mit. Zu einem Erkenntnis, durch welches ein Gesetz für ungültig erklärt wird, sind mindestens fünf Stimmen erforderlich. Zur Gültigkeit anderer Beschlüsse ist die Anwesenheit des Vorsitzenden oder Vorsitzendenstellvertreters und außerdem von wenigstens vier Mitgliedern erforderlich. Bei Stimmengleichheit gilt jene Meinung, welcher der Vorsitzende beigetreten ist. Die näheren Bestimmungen über die Verhandlung werden durch die Geschäftsordnung getroffen, die vom Verfassungsgericht beschlossen und vom Präsidenten der Republik genehmigt wird. § 9. In dem Falle des § 7, lit. a entscheidet das Verfassungsgericht bloß auf Grund eines Antrages, der lediglich vom Obersten Gericht, vom Obersten Verwaltungsgericht, vom Wahlgericht, vom Abgeordnetenhaus, vom Senat oder vom karpathorussischen Landtag gestellt werden kann. § 10. Die Stellung des im § 9 erwähnten Antrages kann von den betreffenden Faktoren mit absoluter Stimmenmehrheit beschlossen werden. Das Oberste Gericht, das Oberste Verwaltungsgericht und das Wahlgericht können dies bloß in einer Plenarversammlung tun. § 11. In dem Antrage muß genau bezeichnet werden, welche Bestimmungen eines bestimmten Gesetzes welcher Bestimmung eines bestimmten Verfassungsgesetzes widersprechen, oder welche Bestimmungen eines bestimmten, von der Nationalversammlung oder vom karpathorussischen Landtag beschlossenen Gesetzes den verfassungsmäßig umschriebenen Wirkungskreis dieser gesetzgebenden Körperschaften überschreiten. § 12. Der Antrag kann bloß binnen 3 Jahren vom Tage der Kundmachung des betreffenden Gesetzes gestellt werden (§ 13). Nach Auffassung vieler Juristen war der § 12 verfassungswidrig. § 13. Der Präsident der gesetzgebenden Körperschaft oder des Gerichtes, von der bzw. dem der Antrag ausgeht, übermittelt diesen Antrag in zwei Abschriften dem Vorsitzenden des Verfassungsgerichtes. § 14. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichtes weist den Antrag einem Mitgliede als Referenten zu, worauf er längstens binnen einem Monate nach dem Tage des Einlangens des Antrages das Verfassungsgericht zu einer Sitzung einberuft, in der entschieden wird, ob der Antrag rechtzeitig eingebracht wurde (§ 12) und ob er zur Kompetenz des Verfassungsgerichtes gehört. § 15. Sind diese Voraussetzungen nicht vorhanden, so wird der Antrag vom Verfassungsgerichte abgewiesen. Andernfalls werden die betreffenden gesetzgebenden Körperschaften und der Vorsitzende der Regierung verständigt und zugleich aufgefordert, sich über den Antrag innerhalb einer Frist von mindestens einem Monate und höchstens drei Monaten zu äußern. Diese Frist kann aus besonders gewichtigen Gründen nur einmal und höchstens um weitere drei Monate verlängert werden. § 16. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichtes beruft spätestens binnen weiteren drei Monaten das Verfassungsgericht zur öffentlichen mündlichen Verhandlung über den vorgelegten Antrag ein. Von der Verhandlung sind der Antragsteller, die Regierung und die beteiligten gesetzgebenden Körperschaften zu verständigen. Diese haben das Recht, zur Verhandlung je einen Vertreter zu entsenden. § 17. Wenn einer der beteiligten Faktoren zur Verhandlung keinen Vertreter entsendet, steht dies der Verhandlung des Antrages nicht im Wege. § 18. Erachtet das Verfassungsgericht nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung den Antrag als begründet, so spricht es mittels Erkenntnisses aus, welche Bestimmungen eines bestimmten Gesetzes, welchen Bestimmungen eines bestimmten Verfassungsgesetzes widersprechen, oder welche Bestimmungen eines von der Nationalversammlung oder vom karpathorussischen Landtag beschlossenen Gesetzes den verfassungsmäßig umschriebenen Wirkungskreis dieser gesetzgebenden Körperschaften überschreiten und daher ungültig sind. § 19. Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtes läßt der Vorsitzende der Regierung zustellen. Der Minister des Innern ist verpflichtet, das Erkenntnis ohne Begründung binnen acht Tagen in der Sammlung der Gesetze und Verordnungen zu verlautbaren. Gleichzeitig ist das Erkenntnis mit der eingehenden Begründung in den Amtsblättern zu verlautbaren. § 20. Die Verlautbarung des Erkenntnisses in der Sammlung der Gesetze und Verordnungen hat die Wirkung, daß vom Tage der Verlautbarung die gesetzgebenden Körperschaften, die Regierung sowie alle Behörden und Gerichte an das Erkenntnis gebunden sind. § 21. Über die Gültigkeit einer provisorischen Verfügung auf Grund des § 54 der Verfassungsurkunde entscheidet das Verfassungsgericht von Amts wegen, sobald sie ihm von der Regierung vorgelegt wird. Für das Verfahren gelten sinngemäß die Bestimmungen der vorstehenden Paragraphen. § 22. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit der Verfassungsurkunde in Wirksamkeit. Seine Durchführung wird der Regierung aufgetragen.