Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung – ZfPW 2019, 94 Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –** Thomas M. J. Möllers* Inhaltsübersicht I.Zur Notwendigkeit einer modernen Methodenlehre 95 1.Die juristsche Ausbildung 95 a)Das juristische Denken als Aufgabe der Juristischen Ausbildung 95 b)Die Fähigkeit zu methodischem Arbeiten als Aufgabe der juristischen Ausbildung 96 2.Die Rolle der Juristischen Methodenlehre in der Krise – Vorverständnis, Methodenpluralismus, Dezisionismus 97 3.Juristische Methodenlehre als wertgebundene Legitimations- und Argumentationslehre 98 a)Juristischen Methodenlehre als Legimitationslehre 98 b)Bausteine einer modernen juristischen Methodenlehre für die Ausbildung 99 II.Sachverhalt und Recht 100 1.Subsumtion und die Zunahme von Komplexität - Wechselspiel zwischen Sachverhalt und Recht 100 2.Sachverhalt und Normbereich 101 3.Folgerungen für die juristische Ausbildung 102 III.Savigny, Konkretisierung und Konstruktion 104 1.Savigny 104 a)Der Viererkanon 104 b)Weiterentwicklungen: Telos, Folgenorientierung und die Ökonomische Analyse des Rechts 104 2.Konkretisierung und Konstruktion 106 a)Kreativität und Dezisionismus 106 b)Vergleichsfallmethode und Fallgruppenbildung als Beispiele der Konkretisierung von Rechtsnormen 106 c)Die Arbeit mit Rechtsprinzipien: Deduktion und Induktion sowie Abwägung als Beispiele der Konstruktion im Recht 107 3.Schlussfolgerungen für die juristische Ausbildung 109 IV.Grenzen der Rechtsfortbildung – das unsichere Terrain 109 1.Eckpfeiler zulässiger und unzulässiger Rechtsfortbildung 109 Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 95 2.Vorrang- und Abwägungsregeln 110 3.Folgerungen für die juristische Ausbildung und auch die Praxis – Die Methoden-Zitrone 111 V.Zur Komplexität des europäischen Rechts 113 Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 1 von 27 11/8/2022 1.Der Richter als europäischer Richter 113 2.Komplexität europäischen Rechts 113 a)Die Prüfungsfolge als Wechselspiel von nationalem und europäischem Recht 113 b)Argumentationsfiguren der juristischen Methodik auf europäischer Ebene 114 3.Folgerungen für die Ausbildung 115 VI.Juristische Methodenlehre – ein “Mehr” an Rechtsicherheit 116 1.Eine Prüfungsreihenfolge 116 2.Gewichtung von Argumentationsfiguren 118 3.Statt eines Schlusswortes – Zur Stärkung der Grundlagenfächer 119 I. Zur Notwendigkeit einer modernen Methodenlehre 1. Die juristische Ausbildung a) Das juristische Denken als Aufgabe der Juristischen Ausbildung Die deutsche Juristenausbildung gilt weltweit als sehr gut1. In der Volksrepublik China diskutiert man, stärker als bisher Legal Clinics bzw. das deutsche Klausurensystem mit der Falltechnik zu übernehmen, d.h. die Prüfung juristischer Fähigkeiten anhand eines für den Prüfling unbekannten Falles.2 Die Falltechnik mit dem Zwang zum Transfer ist eine hervorragende Möglichkeit, den angehenden Juristen zum klaren Gedankengang und zur Präzision zu schulen. Diese Transferleistung erfordert zum Großteil weniger Einzelwissen als vielmehr Kenntnis vom Zusammenspiel der Normen – dem System – eines Fachgebiets. Dieses systematische Denken an der Kodifikation fehlt etwa auch angloamerikanischen Juristen. Allerdings ist nie etwas so gut, dass es nicht verbessert werden könnte. Die Ausbildungsreform der Juristen ist ein Dauerthema der letzten 100 Jahre.3 Tatsächlich ist nicht jeder Anwaltsschriftsatz von solcher Prägnanz, dass die Lektüre reine Freude bedeutet. Wo lässt sich also in der juristischen Ausbildung etwas verbessern? Der Wissenschaftsrat hatte 2012 eine Verbesserung des juristischen Studiums gefordert.4 Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 96 Die Kollegen Hobe und Dauner-Lieb von der Universität Köln haben jüngst die Zukunftsfähigkeit der juristischen Ausbildung angezweifelt und eine stärkere Arbeit mit Kommentaren sowie eine Anfängervorlesung im internationalen Recht vorgeschlagen.5 Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob es sinnvoll ist, den Fächerkanon weiter auszudehnen.6 Denn man versucht schon seit Jahren, den Prüfungsstoff zu entschlacken7 und Rechtsgebiete auf ihre „Grundzüge“ zu reduzieren – mit zweifelhaftem Erfolg, weil die Stofffülle in den verbleibenden Rechtsgebieten aufgrund der zunehmenden Komplexität des Rechts weiter anwächst.8 Aufgabe des Hochschullehrers kann nicht nur die reine Stoffvermittlung sein, denn in der Praxis ist jeder Fall anders. Ein guter Dozent hat vielmehr zwei Aufgaben: Er muss dem Studenten beibringen, wie er Wissen strukturiert, und er hat vielleicht noch eine vornehmere Aufgabe: Er sollte dem angehenden Juristen das juristische Denken vermitteln. b) Die Fähigkeit zu methodischem Arbeiten als Aufgabe der juristischen Ausbildung Für die spätere Praxis, den Sprung in das kalte Wasser, muss der Jurist in der Lage sein, neue, bisher so noch nicht entschiedene Fälle zu lösen. Dazu gibt das geltende Recht einen wichtigen Fingerzeig. Zu Inhalt, Zweck und Bedeutung der Ersten Juristischen Staatsprüfung heißt es in § 16 Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 2 von 27 11/8/2022 der Bayerischen Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen (BayJAPO): „Überblick über das Recht, juristisches Verständnis und Fähigkeit zu methodischem Arbeiten sollen im Vordergrund von Aufgabenstellung und Leistungsbewertung stehen.“9 Ähnlich verlangt auch das Deutsche Richtergesetz den Erwerb der „rechtswissenschaftlichen Methoden“, § 5a Abs. 2 S. 3 DRiG. Die These des Beitrages ist einfach und lautet: Die Juristische Methodenlehre ist der Schlüssel für eine gute juristische Ausbildung und umgekehrt: eine juristische Ausbildung, welche die juristischen Methoden ausspart, ist defizitär. Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 97 2. Die Rolle der Juristischen Methodenlehre in der Krise – Vorverständnis, Methodenpluralismus, Dezisionismus Was bedeutet „juristisches Verständnis“ und „die Fähigkeit zu methodischen Arbeiten“ i.S.v. § 16 Abs. 2 S. 2 BayJAPO? Sollte sie im Vordergrund der Ausbildung stehen? Und wird diese Fähigkeit dem angehenden Juristen ausreichend vermittelt? Der Begriff Methodenlehre wirkt heutzutage erfahrungsgemäß nicht nur bei Studenten abschreckend, antiquiert oder langweilig.10Die Methodenlehre wird als Grundlagenfach im dritten Semester angeboten und ist mitnichten obligatorisch. Oft herrscht der Eindruck vor, es handele sich um eine theorielastige Materie von rein akademischem Interesse. Die großen Werke zur Juristischen Methodenlehre wurden von Karl Larenz, Wolfgang Fikentscher und Franz Bydlinski vor mehr als 50 Jahren geschrieben und konnten moderne Strömungen wie etwa das Europarecht noch nicht ausreichend nachzeichnen. Ist die Methodenlehre in einer Existenzkrise? Drei Entwicklungen scheinen dafür zu sprechen: Rüthers wirft den Richtern heutzutage vor: „Methodische Argumente, wenn sie überhaupt vorkommen, dienen in der Regel nur als Fassade, um das vorgefasste Ergebnis mit einem rationalen Entscheidungsweg zu tarnen.“11 Damit lasse sich mit den juristischen Methoden alles behaupten; sie seien in Wirklichkeit überflüssig. Man spricht vom Entscheiden nach dem eigenen Vorverständnis.12 Ein zweiter Vorwurf wird erhoben: Der Eindruck der Subjektivität der Interpretation im Sinne eines „anything goes“13 zeige sich auch daran, dass von den Gerichten vom Ergebnis her bestimmte historische oder grammatische, systematische oder zweckreflektierende Interpretationsmerkmale selektiv benutzt würden.14 Dieser Vorwurf gegen die herrschende Praxis scheint sich zu bestätigen, wenn etwa das schweizerische Bundesgericht explizit von einem „pragmatischen Methodenpluralismus“ spricht15 oder wenn Grüneberg in der aktuellen Auflage des Palandt schreibt, dass der vor neue Fragen gestellte Richter häufig nicht wisse und auch nicht zu wissen brauche, ob das Problem durch Auslegung oder durch Rechtsfortbildung zu lösen sei. Weiter heißt es dort: „Der Richter darf das Gesetz im Rahmen der ratio legis und der Wertentscheidung des GG auch ohne konkreten Nachweis einer Lücke ausdifferenzieren und ergänzen.“16 Das geht einher mit dem Umstand, dass oft ScheinbegrünMöllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 98 dungen im Urteil herangezogen werden, wie der Hinweis auf die „Gerechtigkeit“ oder die „Natur der Sache“.17 Schließlich bezeichnet die sogenannte postmoderne Methodenlehre die Rechtsgewinnung durch Deduktion als Aufrechterhaltung eines schönen Scheins.18 In den Fällen, in denen das Gesetz mehrdeutig ist oder schweigt, würden die Gerichte nicht nach Gesetz und Recht, sondern allein schöpferisch kraft ihrer vom Staat verliehenen Autorität entscheiden. Carl Schmitt hatte hierfür den Begriff des Dezisionismus19 entwickelt: Danach liege in jeder gerichtlichen Entscheidung ein Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 3 von 27 11/8/2022 „Element reiner Entscheidung, das nicht aus dem Inhalt der Norm abgeleitet werden kann. [...] Der Sinn [einer Entscheidung] ist nicht überwältigende Argumentation, sondern eben Entscheidung durch autoritäre Beseitigung des Zweifels.“20 Das Gesetz bildet danach nicht mehr den Entscheidungsmaßstab, sondern eine nicht bzw. kaum kontrollierbare Befugnis des hoheitlich tätig werdenden Richters zur Entscheidung qua Amt. Regeln über die Juristische Methodenlehre sind nach der Lehre vom Dezisionismus folglich überflüssig, weil der Richter in nicht eindeutig geregelten Fällen letztlich so entscheidet, wie er eben entscheidet. 3. Juristische Methodenlehre als wertgebundene Legitimations- und Argumentationslehre a) Juristischen Methodenlehre als Legimitationslehre Den obigen Ansichten, welche die Sinnhaftigkeit der Methodenlehre relativieren, ist entgegenzutreten. Der moderne Rechtsstaat kennt seit Locke und Montesquieu die Gewaltenteilung und Machtverschränkung.21 Juristische Methodenlehre wird heutzutage als Legitimationslehre verfassungsrechtlich begründet. Ein tragender Gedanke ist die Machtbegrenzung des Juristen, vor allem des Richters. Dieser Gedanke lässt sich in zwei Varianten durchspielen. Er gilt einmal im Verhältnis von Judikative zur Legislative. Der Richter ist nach den Artt. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG an Gesetz und Recht gebunden. Für ihn und die Verwaltung gilt der Gesetzesvorrang.22 Es gilt die Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 99 „Erstzuständigkeit des Gesetzgebers“.23 Es ist grundsätzlich Aufgabe des Parlaments, über das Sachziel zu entscheiden.24 Juristische Methodenlehre bindet zweitens den Richter gegenüber dem Bürger. Denn zum einen sagt das Gesetzlichkeitsprinzip als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im Strafrecht, dass keine Strafe ohne gesetzliche Grundlage erfolgen darf („nullum crimen, nulla poena sine lege“). Zum anderen kann dieses Prinzip aber nur dann praktische Durchschlagskraft erlangen, wenn der Richter auch verpflichtet ist, seine Entscheidung zu begründen. Diese Begründungspflicht begrenzt die Willkür des Richters gegenüber dem Bürger. Sie ergibt sich auch aus dem verfassungsrechtlich verankerten, Jahrtausende alten Grundsatz des „audiatur est altera pars“.25 Das Gericht soll die Erwägungen beider Seiten zur Kenntnis nehmen und in seine Erwägungen einbeziehen.26 Konsequenterweise folgt aus der Berücksichtigungs- und Erwägungspflicht auch eine verfassungsrechtliche Begründungspflicht.27 Damit wird eine diskursive Entscheidung vor Gericht gewährleistet.28 Nur durch eine Begründung der Entscheidung kann der Betroffene beurteilen, ob sein Vorbringen berücksichtigt worden ist. b) Bausteine einer modernen juristischen Methodenlehre für die Ausbildung Die Juristische Methodenlehre muss, wenn sie modern sein möchte, den gerade genannten Einwänden Rechnung tragen. Juristisches Denken und Juristische Methoden laufen parallel: Sie erfordern die Fähigkeit, sich bisher unbekannten Problemen zu nähern, das Problem zu erkennen, Lösungen zu entwickeln und schließlich überzeugend vorzutragen, welche der verschiedenen Lösungen die rechtlich Beste ist. Dazu reicht es nicht aus, Streitstände auswendig zu lernen.29 Der gute Jurist muss vielmehr in der Lage sein, eigene Streitstände zu entwickeln und die eigene Ansicht gegenüber fremden Argumenten zu verteidigen. Ziel der Juristischen Methodenlehre als Argumentations- und Begründungslehre ist es also, Entscheidungen rational nachvollziehbar und somit überprüfbar zu machen.30 Die Juristische Methodenlehre will dem Studenten und dem Praktiker, das „juristische Handwerkszeug“ an die Hand geben, um die eigene Argumentation zu strukturieren und das Begründungsniveau der Ausführungen zu heben. Juristische Methoden zielen erstens auf Rechtssicherheit ab, weil sie zur Vorhersehbarkeit der Rechtsfindung dienen.31 Zweitens Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 4 von 27 11/8/2022 nötigt die Begründungspflicht die Entscheidungsinstanzen zu einer Selbstkontrolle, verbreitert drittens die Konsensfähigkeit der Entscheidung und erleichtert es schließlich viertens Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 100 dem Betroffenen auch, diese zu akzeptieren.32 Sie will die Rechtsgewinnung systematisieren, verobjektivieren und letztlich auch kontrollieren. Wo wäre in der juristischen Ausbildung noch Optimierungsbedarf? Im Folgenden wird die Fähigkeit methodischen Arbeitens und juristischen Denkens anhand von vier Bereichen vorgestellt, die der Jurist zur Falllösung beherrschen sollte: Sachverhalt und Recht (II.), Savigny und seine Weiterentwicklung (III.), Argumentationsfiguren zum Umgang mit dem europäischen Recht (IV.) und die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung (V.). Die Überlegungen münden dann in eine strukturierte Prüfungsfolge, welche die einschlägigen Argumentationsfiguren gewichtet (VI.). II. Sachverhalt und Recht 1. Subsumtion und die Zunahme von Komplexität - Wechselspiel zwischen Sachverhalt und Recht Die juristische Ausbildung erscheint auf den ersten Blick einfach: Der Student hat einen festen Sachverhalt und das Gesetz. Um diese beiden Bestandteile zu verbinden, lernt er die Subsumtion, also die Unterordnung des Besonderen unter das Allgemeine.33 Damit kann er die Frage beantworten, ob der Sachverhalt den Tatbestand der jeweils fallrelevanten Norm erfüllt.34 Die Subsumtion stellt sich im rechtslogischen Sinne als „Schlussverfahren“ dar, indem sie die beiden Bestandteile Obersatz und Untersatz verbindet. Im Rahmen der Subsumtion ist zu prüfen, ob alle Tatbestandsmerkmale einer Norm durch Angaben im Sachverhalt gedeckt sind. Natürlich ist die genaue Subsumtion für den Jurastudenten oft schon schwierig genug. Nur: Die spätere rechtliche Praxis ist deutlich komplexer als ein einseitiger fertiger Sachverhalt.35 Auf zwei Schwierigkeiten sei nur hingewiesen. Rechtsanwälte, Richter und Verwaltungsbeamte müssen sich in einem ersten Schritt den Sachverhalt erarbeiten. In der Praxis ist die Ermittlung des Sachverhalts der erste entscheidende Schritt der Rechtsfindung. Oft ist die rechtliche Würdigung einfach, der Sachverhalt aber mühsam zu ermitteln. Wer etwa mit Verspätung aus dem Urlaub mit der Egyptair von Ägypten nach Deutschland zurückfliegt und Entschädigung verlangen möchte, benötigt erst einmal eine ladungsfähige Adresse der Fluggesellschaft. Sollte diese einwenden, die Verspätung beruhe wegen eines Sandsturmes auf höherer Gewalt, muss der Rechtsanwalt ermitteln, ob dieser Einwand zutreffend ist.36 Tatsächlich ist die Rechtslösung in einem zweiten Schritt nochmals komplexer, wenn sich verschiedene Rechtslösungen auftun: Engisch hat hierfür das Bild vom Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 101 „Hin- und Herwandern des Blickes“ geprägt: „Für den Obersatz ist wesentlich, was auf den konkreten Fall Bezug hat, am konkreten Fall ist wesentlich, was auf den Obersatz Bezug hat.“37 Notwendig ist damit ein Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Sachverhalt und Tatbestand. Dieses Hin- und Herwandern führt nicht zum Ausgangspunkt zurück, sondern hebt das Verständnis auf eine neue Stufe.38 Es hilft dem Rechtsanwender, den Sachverhalt juristisch aufzubereiten und zeigt plastisch, dass sich bei der Rechtsfindung Sachverhalt und Recht verschränken. Wird eine Frau von einem Hund gebissen, den sie streicheln wollte, bedarf es für die Prüfung von Schadensersatzansprüchen weiterer Details im Sachverhalt, um den Fall zutreffend lösen zu können39: Wusste die Frau, dass der Hund bissig ist, ist ihr ein Mitverschulden (§ 254 BGB) Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 5 von 27 11/8/2022 vorzuwerfen. Handelt es sich um einen Blindenhund, also ein Nutztier, kann sich der Halter unter Umständen gem. § 833 S. 2 BGB exkulpieren. Zudem ist zu fragen: Hatte die Frau einen Verdienstausfall? Welche Schmerzen hatte sie konkret? 2. Sachverhalt und Normbereich Und es wird noch komplexer: Der Jurastudent löst die Fälle in seiner Ausbildung weitgehend mit dem Gesetz. Als Rechtsquelle werden für den Rechtsanwender verbindliche Rechtssätze anerkannt.40 Gesetze und Verordnungen werden als primäre Rechtsquellen bezeichnet. Die juristische Praxis verwendet für den Sachverhalt aber auch alle Formen von Rechtserkenntnisquellen, um eine zutreffende Rechtslösung erarbeiten zu können. Bevor das Bundesverfassungsgericht einen Fall rechtlich würdigt, entwickelt es einen sogenannten „Maßstäbeteil“41 und umschreibt den Normbereich.42 Im Maßstäbeteil wird lehrbuchartig die Rechtsdogmatik der einzelnen Grundrechtsnorm anhand der bisherigen Rechtsprechung aufbereitet.43 Das BVerfG entwickelt den Sachverhalt, indem es den Parteien das Wort, aber auch gesellschaftlichen Verbänden und Gruppen Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Daneben sind sekundäre Rechtsquellen und Rechtserkenntnisquellen einzubeziehen, wie bisherige Entscheidungen deutscher Gerichte, ausländische Entscheidungen und die Stimmen der Rechtsliteratur, aber auch zugängliche Statistiken.44 Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 102 Die aktuelle Diskussion über ein generelles Burkaverbot in der Öffentlichkeit zeigt plastisch auf, wie aufwendig es ist, einen Normbereich zu bilden. Das Grundgesetz nennt zwar in Art. 4 Abs. 1 GG die Religionsfreiheit. Aus dem Wortlaut alleine wird man aber kaum eine angemessene Lösung entwickeln können. Bevor der Umfang der Religionsfreiheit und andere Grundrechte rechtlich geprüft werden, ist der Sachverhalt zu ergänzen, der dann für die Entwicklung des Normbereichs, etwa bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung, benötigt wird45. Empirisch lässt sich feststellen, wie viele Burka-Trägerinnen in den einzelnen Bundesländern in Deutschland leben und wie es um die öffentliche Meinung zu einem Burkaverbot steht. Der Koran nennt nur an einer Stelle den Schleier,46 verpflichtet aber ausdrücklich nicht dazu, eine Burka zu tragen. Für die Muslimin gibt es verschiedene Schleier, welche das Gesicht erkennen lassen.47 Auch in christlichen Klöstern tragen Mönche und Nonnen eine Ordenskleidung, die zum Teil die Haare verdeckt. Zudem wird man nach Präjudizien, früheren Entscheidungen zu ähnlichen Fällen suchen, wie etwa den Entscheidungen zum Kruzifix und zum Kopftuch,48 um dann mit der Vergleichsfallmethode zu argumentieren. Rechtsvergleichend wird man feststellen, dass in Frankreich bereits seit 2010 eine Vollverschleierung durch die Burka in der Öffentlichkeit generell verboten ist und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über die Rechtmäßigkeit des französischen Gesetzes zu befinden hatte.49 Erst nach dieser umfänglichen Ergänzung des Sachverhaltes kann man mit den rechtlichen Ausführungen beginnen. 3. Folgerungen für die juristische Ausbildung Die einstufige Juristenbildung an der Universität Augsburg führte damals dazu, dass Richter an der Universität als Arbeitsgemeinschaftsleiter unterrichteten. Bereits im dritten Studienjahr ging der Jurastudent in die Praxis, da er für neun Monate einem Richter zugeordnet war.50 Aus Kostengründen wurde dieses Modell wieder abgeschafft.51 Im Studium findet eine Arbeit am Sachverhalt nicht statt; vielmehr erhalten die Studierenden bis hin zum Ersten Staatsexamen meistens einen vom Aufgabenersteller fest vorgegebenen Sachverhalt.52 Vielleicht sollte das Zivilrecht künftig den prozessualen Anteil von Beginn des Studiums an noch stärken; das Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 6 von 27 11/8/2022 öffentliche Recht zeigt hier den richtigen Weg, werden die Klausuren dort schon ab dem ersten Semester regelmäßig prozessual eingekleidet. Die Referendarzeit gäbe den Rahmen, um diese Defizite zu beheben. Hier hat sich in den letzten 30 Jahren zwar einiges getan. Die Rechtsanwaltsstation dauert inzwischen neun Monate. In dieser Zeit sollen zehn schriftliche Arbeiten, sieben Mandantengespräche und acht Gerichtstermine bewältigt Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 103 werden.53 Ob das in jeder Kanzlei so eingefordert wird, steht aber auf einem anderem Blatt. Und schließlich gibt es vermehrt den Klausurtyp der Anwaltsklausur, wo auch beispielsweise prozesstaktische Fragen eine Rolle spielen.54 Auch in den anderen Ausbildungsstationen wird anhand von Fällen gearbeitet. Die Reduzierung der Zeit bis zur Allgemeinen Reifeprüfung (G-8), die Abschaffung der Wehrpflicht und die Kürzung des Vorbereitungsdienstes der Rechtsreferendare von drei auf zweieinhalb und dann auf zwei Jahre führten dazu, dass die Volljuristen inzwischen deutlich jünger, ja zum Teil gerade einmal 25 Jahre alt sind. Um die Ausbildung zu verkürzen und Kosten zu sparen, hat man hier vielleicht etwas des Guten zu viel getan. Die heutige Referendarzeit von zwei Jahren ist zu kurz, um die Arbeit am Fall zu erlernen. Denn spätestens in den letzten 12 Monaten vor dem zweiten Staatsexamen steht wiederum die Klausurtechnik ganz im Vordergrund. Wenn die Arbeit am Sachverhalt eine wichtige Qualifikation des späteren Juristen auszeichnet, dann sollte auch sichergestellt werden, dass die Qualifikation erworben wird. Der jetzige Leitfaden für die drei einmonatigen Praktika während des Studiums fordert dies zwar ebenso55 wie die Zeit während der Rechtsanwaltsausbildungsstation in der Referendarzeit.56 In der Praxis fehlen oft die Ressourcen, um dem Studenten oder Rechtsreferendar diese Arbeit am Fall zu vermitteln. Und nicht wenige Referendare wollen die „Arbeit am Fall“ gar nicht so intensiv erlernen, weil das Examen etwas völlig Anderes fordert als Sachverhaltshermeneutik. Die stärkere Verzahnung von Wissenschaft und Praxis ist eine uralte Forderung, die mehr als einhundert Jahre alt ist.57 Hier sollte eine Reform ansetzen, etwa in anwaltsorientierten Veranstaltungen an der Universität58, einem Ausbau der Praktika zu einem Semester hin oder eine Verlängerung der Referendarzeit um sechs Monate59. Nicht nur der Staat, sondern auch die Rechtsanwälte müssten hierfür die Ressourcen bereitstellen, um den status quo zu verbessern. Ein früherer Bezug zur Praxis wäre für den Studenten oder Referendar sicherlich motivationssteigernd, denn in der Praxis spielt das wirkliche Leben.60 Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 104 III. Savigny, Konkretisierung und Konstruktion 1. Savigny a) Der Viererkanon Mit diesem Vorverständnis ausgestattet, beginnt die eigentliche Arbeit mit dem Recht. Im späteren Alltag benötigt die Bearbeitung einfacher Fälle keine Juristische Methodenlehre, wahrscheinlich auch noch nicht einmal einen Blick in das Gesetz. Aber das ist nicht die Aufgabe des juristischen Studiums. Das Juristische Studium will den angehenden Juristen auch für die Fälle vorbereiten, in denen die Rechtslage nicht eindeutig ist und er weiterdenken muss. Dabei gilt, dass mit der Komplexität der Arbeitsaufwand steigt. Zur Krönung des Juristen gehört die Lösung komplexerer Fälle, in denen die einfache Lektüre des Gesetzestextes gerade nicht ausreicht. Der Studierende soll lernen, wie er in solchen Situationen vorzugehen hat, um zu einer juristisch überzeugenden Lösung Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 7 von 27 11/8/2022 zu gelangen. In der juristischen Auslegung wird der Viererkanon von Savigny in seiner Weiterentwicklung durch von Jhering gelehrt: Die Unterscheidung von Wortlaut, Systematik, Geschichte und Telos einer Norm.61 Einige Kollegen erachten ihn allerdings für „überholt“; der „Erkenntnisfortschritt sei gering“62, etwa weil die teleologische Auslegung zirkulär und überflüssig sei.63 Zudem würde der Viererkanon im Bereich unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln versagen. b) Weiterentwicklungen: Telos, Folgenorientierung und die Ökonomische Analyse des Rechts Zutreffend ist zwar, dass in juristischen Ausführungen nicht selten der Sinn und Zweck einer Norm nur behauptet, aber nicht bewiesen wird. Während die grammatische, systematische und historische Auslegung an der Norm und dem Gesetz unmittelbar ansetzen, fragt die telelogische Auslegung ohne einen solchen Anknüpfungspunkt nach der nur „geistig gegebenen Größe vom Normzweck“.64 Die Suche nach dem Sinn hat damit keinen selbstständigen originären Anknüpfungspunkt. Sie ist deshalb zweistufig zu gestalten, weil sie zunächst nur eine Prämisse ist. Sie muss als Zweckbehauptung, mit Argumenten verteidigt werden, um dann die Konsequenzen für die Interpretation zu entwickeln.65 Man kann insoweit auch von einem normsysMöllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 105 temimmanenten Telos sprechen.66 Wenn in einem Freibad das Mitnehmen von Hunden verboten ist, dann gilt dies wohl erst recht für Geparden (These), etwa um die objektive Gefahr für die Badegäste zu verringern, das angstfreie Baden zu ermöglichen oder zum Schutze der Hygiene (Telos als Prämisse).67 Dieser einfache Fall wird aber weniger eindeutig, wenn der Badegast seinen Hamster oder seine Spitzmaus mitnehmen möchte. Die Vergleichbarkeit der beiden Fälle muss dann anhand der Wertungen argumentativ begründet oder abgelehnt werden.68 Damit ist die Suche nach dem Telos nur eine Prämisse, die durch weitere Argumentationsfiguren verstärkt werden muss.69 Die teleologische Auslegung ist also nicht überflüssig, sondern verlangt nur weiterführende Argumente. Ergänzt wird die Suche nach dem Telos durch logische, interessengerechte70 und folgenorientierte Argumente. Entscheidend ist oft auch eine „Auslegung aus dem inneren System der Rechtsordnung, welches neben den gesetzlich normierten Wertungen auch die induktiv aus dem positiven Recht zu gewinnenden Prinzipien und allgemeinen Rechtsgrundsätze umfasst.“71 Folgenorientierte Überlegungen können die Wertungen des Gesetzes ergänzen. Dazu zählen etwa das „argumentum ad absurdum“, die Vermeidung einer Übermaßhaftung oder die normative Kraft des Faktischen. Folgenorientiert zeigt die ökonomische Analyse des Rechts wirtschaftlich effektive Lösungen auf. Allerdings sind diese Überlegungen nur dann hilfreich, wenn ökonomische Überlegungen mit den Wertungen der Verfassung und anderer Gesetze übereinstimmen. Das Kapitalmarktrecht betont etwa die Allokationseffizienz; es verbietet die Verwendung von Insiderwissen und will durch die Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität erreichen, dass alle unternehmensrelevanten Informationen im Börsenpreis abgebildet werden.72 Vorschriften sind im diesem Lichte extensiv73, Ausnahmen restriktiv auszulegen.74 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass das Viererquartett weiterhin seine Berechtigung hat. Es hat in zahlreichen Staaten Eingang ins Gesetz gefunden75 und wird auch vom EuGH verwendet.76 Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 106 2. Konkretisierung und Konstruktion a) Kreativität und Dezisionismus Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 8 von 27 11/8/2022 Einzelne Anhänger der postmodernen Juristischen Methodenlehre behaupten nun, der Richter entscheide dezisionistisch; sie sehen die klassische Methodenlehre als gescheitert an.77 Nimmt man den Dezionismuseinwand ernst, heißt dies erst einmal aber nur, dass der Richter nicht begründungslos ausschließlich kraft eigener Autorität entscheiden darf. Je unbestimmter oder unklarer die Norm für die Lösung des konkreten Falls ist, desto aufwendiger muss die Begründung sein.78 Dabei lässt sich in einem ersten Schritt durchaus mit dem Savigny‘schen Auslegungskanon beginnen. Dann bedarf es aber weiterer Verfahren der Konkretisierung mit Hilfe der Methodenlehre und der Rechtsdogmatik. b) Vergleichsfallmethode und Fallgruppenbildung als Beispiele der Konkretisierung von Rechtsnormen Die Vergleichsfallmethode erlaubt die Konkretisierung durch die Gerichte. Wie bei der Einzelanalogie muss die Vergleichbarkeit des ähnlichen Falls mit dem zu entscheidenden Fall belegt werden. Für die Teilgleichheit des neuen Falls mit früheren Fällen können das Ähnlichkeitsargument, der Erst-Recht-Schluss und das Umgehungsargument, und für die Ungleichheit der Umkehrschluss und das „argumentum ad absurdum“ herangezogen werden. Schließlich ist sicherzustellen, dass die verbleibenden Unterschiede nicht von solcher Art sind, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Der BGH hat es in ständiger Rechtsprechung als Vermögensschaden angesehen, wenn ein beschädigtes Kfz infolge eines Unfalls repariert werden muss und in dieser Zeit nicht genutzt werden kann.79Der Ausfall der Nutzungsmöglichkeit wurde als Vermögensschaden kommerzialisiert. Für einen Pelzmantel, der durch einen Dritten beschädigt wurde, soll es dagegen keinen kommerzialisierten Schadensersatz für die entgangene Nutzung geben.80 Kann der Geschädigte nun einen Schaden geltend machen, wenn er sein Schwimmbad nicht nutzen kann? Der BGH lehnte einen Schadensersatzanspruch wegen der fehlenden Möglichkeit, ein privates Schwimmbad81 zu nutzen, ab und grenzte diese „Liebhaberei“ mit der Vergleichsfallmethode von der Wohnung, dem Haus, dem Mietwagen oder dem Ausfall des Internetzugangs82 ab. Wie bei der Gesamtanalogie kann die Kombination von Induktion und Deduktion zu einem allgemeingültigen Rechtssatz führen, der über den direkten Vergleich mit einem anderen Fall hinausgeht. Dieses Vergleichsmoment, das tertium comparationis als verallgemeinerungsfähige Regel gelingt eher, wenn verschiedene Rechtsprechungslinien bestehen, die dann eine gewisse Abstraktion (induktiv) ermöglichen.83 Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 107 Erforderlich ist eine Art systematische Auslegung der Rechtsprechung, die nicht nur die linearen Entscheidungsketten, sondern im Zweifel auch die gesamte einschlägige Rechtsprechung umfasst.84 Dieser verallgemeinerungsfähige Rechtssatz konkretisiert damit den unbestimmten Rechtsbegriff. Er erhebt Geltungsanspruch und dient dazu, die Subsumtion herzuleiten und zu begründen.85 Im konkreten Fall konnte der Kläger sein Haus nicht mehr nutzen und verlangte hierfür Schadensersatz. Der Große Senat beschränkte den Anspruch wegen entgangener Nutzungsmöglichkeit und entwickelte einen verallgemeinerungsfähigen Rechtssatz: Schadensersatz gibt es nur bei einer Verletzung von „Wirtschaftsgüter[n] von allgemeiner, zentraler Bedeutung für die Lebenshaltung, sodass die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise auf deren ständige Verfügbarkeit angewiesen ist“.86 Fallgruppen können die Arbeit mit Generalklauseln erleichtern, wenn sie durch die Rechtsprechung und Rechtsliteratur zu Fallgruppennormen mit tatbestandsähnlichen Voraussetzungen konkretisiert Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 9 von 27 11/8/2022 wurden. Mehrere Fallgruppen können dieselben Zurechnungskriterien besitzen. So sind Zurechnungskriterien der Sittenwidrigkeit bei § 138 Abs. 1 BGB und § 826 BGB die Abwehr von schweren Äquivalenzstörungen, Freiheitsbeschränkungen, Machtpositionen, Schädigung Dritter und die missbilligende Kommerzialisierung.87 Solche Zurechnungskriterien erleichtern dann die Bildung neuer Fallgruppen.88 c) Die Arbeit mit Rechtsprinzipien: Deduktion und Induktion sowie Abwägung als Beispiele der Konstruktion im Recht Die Grenzen von Auslegung und Konkretisierung werden überschritten, wenn der Rechtsanwender sich nicht mehr ausschließlich auf eine konkrete Rechtsnorm stützen kann. Hier hat die Rechtsdogmatik ihren Anwendungsbereich, die über einzelne Rechtsnormen hinaus Recht etwa neu konstruiert und in das bestehende Recht einpasst.89 Beispiele solcher Konstruktionen sind etwa neue Rechtsinstitute oder Zwischenschritte und Prüfungsstufen, wie sie bei der Grundrechtsprüfung bekannt sind.90 Rechtsdogmatik kann dabei als System von Sätzen mit normativem Gehalt beschrieben werden, die zwar einen Bezug zum positiven Recht und zur Rechtsprechung aufweisen, aber mit diesen nicht zwingend identisch sind. Kennzeichnend für die Rechtsdogmatik ist darüber hinaus, dass die genannten Rechtssätze von Wissenschaft und Rechtsprechung aufgestellt und diskutiert werden.91 Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 108 Argumentationsfiguren sind die Lehre von der Topik und die Typenlehre. Topik ist ein Verfahren zur „Beschaffung sinnvoller Hypothesen“.92Topoi93sind – als Unterpunkte der Topik – rhetorische Ausgangspunkte des Argumentierens.94Es sind Geistesblitze, die der Jurist in einem Brainstorming sammelt, bevor er sie dann in seine Argumentation einbaut. Erforderlich ist ein normativ gebundenes topisches Vorgehen.95 Noch anspruchsvoller ist die Arbeit mit Rechtsprinzipien. Die Konstruktion gelingt durch Ableitung einzelner Rechtsnormen im Wege von Deduktion und Induktion. Zunächst wird aus der besonderen, gesetzlich geregelten Erscheinung ein allgemeiner Gedanke abstrahiert (Induktion). Dieser verallgemeinerte Rechtsgedanke wäre das Vergleichsmoment (das tertium comparationis).96 Anschließend wird dann ein Schluss aus diesem allgemeinen Gedanken auf das Besondere gezogen (Deduktion).97 Ein wichtiges Rechtsprinzip bildet im Zivilrecht die Vertragsfreiheit, die sich mittelbar aus verschiedenen Vorschriften des BGB ableiten lässt. Einzelne Rechtsinstitute, wie der Kontrahierungszwang, die Preiskontrolle oder die Störung der Geschäftsgrundlage scheinen diesem Prinzip zu widersprechen. Diese Rechtsinstitute lassen sich durch das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts begründen, das Teil der Privatautonomie ist. Oft wird die Selbstbestimmung lediglich auf eine Partei bezogen.98 Naheliegenderweise gilt das Selbstbestimmungsprinzip allerdings für beide Seiten. Selbstbestimmung beider Seiten heißt dann auch Schutz vor Fremdbestimmung.99 Flume hebt zu Recht hervor, dass der Vertrag einer beiderseitigen Selbstbestimmung bedarf und dass eine ungleiche Machtlage oder faktische Monopolstellung zu einseitiger Fremdbestimmung führt.100 Eine zweite Möglichkeit Rechtsprinzipien zu konkretisieren, bildet die Methode der Abwägung, mit der konkretisierende Zwischenschritte gewonnen werden können. Dazu bietet die Prüfung von Grundrechten im Verfassungsrecht zahlreiches Anschauungsmaterial. Die inzwischen ausgefeilte Rechtsdogmatik unterscheidet bei der Prüfung von Grundrechten zwischen Schutzbereich, Eingriff, Rechtfertigung und Schranken-Schranken sowie weiteren Zwischenschritten. Diese Prüfungsschritte finden sich nicht unmittelbar im GG, sondern wurden von der Rechtsprechung und Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 10 von 27 11/8/2022 Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 109 Rechtslehre entwickelt.101 Es geht um die Verteilung von Argumentations- und Rechtfertigungslasten: Rechtfertigungsbedürftig ist grundsätzlich nicht der Gebrauch der grundrechtlichen Freiheit, sondern der Versuch ihrer Beschränkung.102 3. Schlussfolgerungen für die juristische Ausbildung Im Staatsexamen kommen die Einzelanalogie oder die teleologische Reduktion durchaus vor; viele Studenten sind aber nicht in der Lage, diese Argumentationsfiguren genauer zu begründen.103 Im angloamerikanischen Recht arbeitet der Jurist mit Präjudizien und bildet aus zahlreichen Entscheidungen allgemeine Rechtssätze als Regeln. Dem deutschen Jurastudenten ist diese Methodik der Konkretisierung nur wenig vertraut. Das hat auch damit zu tun, dass die früher herrschende Ansicht Urteilen den Rechtsquellencharakter absprach, weil sie keine Bindungswirkung gegenüber jedermann erzeuge.104Dabei sind Urteile m.E. sogenannte sekundäre Rechtsquellen105, die zu einer Befassungspflicht und einer subsidiären Befolgungspflicht führen.106 Wer die Rechtsprechung nicht kennt, haftet als beratender Jurist.107Viel zu selten wird dem angehenden Juristen vermittelt, wie man eine ganze Kette von Entscheidungen aufarbeitet und zu einem verallgemeinerungsfähigen Rechtssatz verdichtet. Hier könnten Seminare und Hausarbeiten ansetzen. Aber auch die mündliche Prüfung böte einen passenden Rahmen, um rechtsdogmatische Fragen und Rechtsprinzipien einzelner Rechtsgebiete fallorientiert zu entwickeln. IV. Grenzen der Rechtsfortbildung – das unsichere Terrain 1. Eckpfeiler zulässiger und unzulässiger Rechtsfortbildung Die Grenzen der Rechtsfortbildung sind für eine freiheitliche Rechtsordnung essential. Hier lässt sich auf den eingangs formulierten Überlegungen aufbauen: Sicherzustellen ist, dass der Richter seine Macht, verbindliche Entscheidungen gegen eine Partei zu treffen, nicht missbraucht. Machtbegrenzung im Verhältnis zu den anderen Gewalten und im Verhältnis zu Privaten ist deshalb die Messschnur zulässiger bzw. unzulässiger Rechtsfortbildung. Im Einzelnen bedeutet dies: Der Richter hat nicht zu prüfen, ob eine gesetzliche Lösung die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 110 ist.108 Er überschreitet die Grenze der Rechtsfortbildung, wenn er sich anmaßt, positive Sozialgestaltung zu betreiben.109 Er wird zum gesetzgebenden Richter. Die Grenze zulässiger Rechtsfortbildung ist dort erreicht, wo der Richter die klare Grundkonzeption des Gesetzgebers ignoriert und beseitigen würde.110 Aus dem US-amerikanischen Recht111 stammt der Gedanke des „judicial self-restraint“. Er bedeutet, dass sich die Gerichte im Sinne richterlicher Selbstbeschränkung bei ihren Entscheidungen zurückhalten und damit dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber letztlich in wichtigen politischen Fragestellungen ein Ermessen einräumen.112 Höchst umstritten ist, wann Grundrechte Dritter einer Rechtsfortbildung entgegenstehen: Während der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts eine solche Relevanz verneint,113 will der erste Senat schon dann eine Rechtsfortbildung für unzulässig erachten, wenn sich die rechtliche Situation des Bürgers verschlechtert.114 Im Ergebnis lehnte der erste Senat einen auf § 242 BGB rechtsfortbildend gestützten Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegenüber der Mutter mit der Begründung ab, dass dieser das Persönlichkeitsrecht der Mutter verletzen würde. Das lässt sich mit Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 11 von 27 11/8/2022 guten Argumenten bestreiten, beispielsweise damit, dass die Mutter nicht schützenswert ist. Nicht von ungefähr ist das Urteil in der Rechtsliteratur massiv kritisiert worden.115Im Ergebnis sollte eine verfassungsrechtliche Kontrolle durch das BVerfG erst eingreifen, wenn Grundrechte des Dritten eindeutig und schwer verletzt sind.116 2. Vorrang- und Abwägungsregeln Akzeptiert man diese Eckpfeiler, lassen sich unschwer Argumente aus den bisher vorgestellten Bereichen für und gegen die Zulässigkeit der Rechtsfortbildung sammeln, die sich im Einzelnen prüfen lassen. Je mehr Argumente gegen die Rechtsfortbildung streiten, desto schwieriger wird es, eine zulässige Rechtsfortbildung zu begründen. Sprechen etwa Wortlaut, Systematik, Gesetzesgeschichte oder Zweck gegen die Rechtsfortbildung, wird man nur höchst ausnahmsweise eine solche zugunsten Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 111 eines in seinem Grundrechten Verletzten bejahen (Stichwort: Persönlichkeitsrechtsverletzung).117 Für die Rechtsfortbildung streiten aber zwingende Vorrangargumente, wie die gerade genannte primärrechtskonforme Auslegung.118 § 239 BGB fordert für einen tauglichen Bürgen einen Gerichtsstand im Inland. § 917 Abs. 2 ZPO a.F. stellte für den Arrestgrund mittelbar auf das Inland ab.119 Die Vorschriften der §§ 239 BGB, 108 ZPO, 116 S. 1 Nr. 2 ZPO a.F. und § 917 Abs. 2 ZPO a.F. verstoßen gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV, sodass die nationalen Normen nach ihrem ursprünglichen Wortlaut nicht anwendbar sind. Wenn § 239 BGB als tauglichen Bürgen nur eine Person ansieht, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, ist im Wege der primärrechtskonformen Rechtsfortbildung der Begriff des Inlandes neben Deutschland auch auf alle anderen Mitgliedstaaten der EU auszuweiten.120 Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung bilden dagegen der schwere Grundrechtseingriff und das berechtigte Vertrauen des Bürgers. Das Gesetzlichkeitsprinzip121und die Grundsätze zur Rückwirkung von Urteilen122 konkretisieren dieses schützenswerte Vertrauen. 3. Folgerungen für die juristische Ausbildung und auch die Praxis – Die Methoden-Zitrone Sicherlich ist die genaue Grenze zulässiger Rechtsfortbildung nicht immer leicht zu bestimmen. Aber Rechtsfortbildung findet nicht nur bei Überschreitung der Wortlautgrenze, sondern nach einer Ansicht im Grunde täglich bei der Konkretisierung von Recht statt.123 Damit wäre jede Auslegung auch Rechtsfortbildung; eine Abgrenzung wäre mithin überflüssig. Daher soll für die Bereiche der Konkretisierung der Begriff der Rechtsfortbildung grundsätzlich nicht verwendet werden, weil sich der Jurist noch innerhalb des Wortlauts bewegt. Konkretisierung von Recht findet im Rahmen des Wortlauts statt, wenn dieser selbst noch zu unbestimmt ist. Im Rahmen der Konkretisierung ist der Begriff Rechtsfortbildung aber ausnahmsweise zu benutMöllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 112 zen, wenn der Jurist kreativ wird124und neue Fallgruppen, Zwischenschritte oder Rechtsprinzipien entwickelt. Rechtsfortbildung kann damit auch innerhalb der Wortlautgrenze stattfinden.125 Je komplizierter und weniger eindeutig die Rechtslage ist, desto umfangreicher wird der Jurist den ganzen Kanon juristischer Methoden anwenden müssen; und je umstrittener, aber auch je unerforschter die zu entscheidende Frage ist, desto höher ist auch der erforderliche Begründungsaufwand. Der Jurist muss lernen, mit den Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 12 von 27 11/8/2022 umgehen zu können, wie die Frage zulässiger richtlinienkonformer Rechtsfortbildung oder die primärrechtskonforme Rechtsfortbildung zeigen. Es ist erstaunlich, dass „der Palandt“ mit dem obigen Zitat eine solche Beliebigkeit zur Rolle der Rechtsfortbildung vertritt. In der Schweiz126 und in Österreich127 gibt es in den großen Kodifikationen explizite Normen, die den Richtern die grundsätzliche Kompetenz zur Rechtsfortbildung zusprechen.128 Und dies hat erfreulicherweise zu umfangreichen Ausführungen in den einschlägigen Kommentaren geführt. In Deutschland sind dagegen die Ausführungen zur Juristischen Methodenlehre selbst in Großkommentaren nicht immer aktuell und oft nur unzureichend. Die Ausführungen im Palandt, die Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung wäre eigentlich egal129, würden kaum vor dem BVerfG oder dem EuGH standhalten, widersprechen sie doch den eingangs genannten Grundsätzen zur verfassungsrechtlich abgesicherten Begründungspflicht des Richters.130 Weil der Standardkommentar zum BGB jegliches Methodenbewusstsein vermissen lässt, verdient er sich eine „Methoden-Zitrone“.131Nach meiner Erfahrungen werden die Grenzen zwischen de lege lata und de lege ferenda hauptsächlich in fortgeschrittenen wissenschaftlichen Arbeiten, nämlich bei Dissertationen thematisiert. Aus den gerade genannten Gründen sollten die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung aber viel früher in der Ausbildung am Fall aufgezeigt und eingeübt werden. Dass der Student mit anfänglichen Lücken im geschriebenen Recht umgehen muss, zeigt etwa der Anspruch des Eigentümers, der einen Eingriff erdulden muss. Der Gesetzgeber hat nämlich nicht geklärt, ob sich der Schadensersatzanspruch aus § 904 S. 2 BGB gegen den Verhaltens- oder den Zustandsstörer richtet.132 Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 113 V. Zur Komplexität des europäischen Rechts 1. Der Richter als europäischer Richter Vor mehr als 60 Jahren wurde in Europa durch Verträge eine eigene Rechtsordnung mit supranationaler Wirkung geschaffen. Das Recht in Deutschland wird in immer stärkerem Maße durch europäisches Recht unmittelbar und mittelbar beeinflusst. Das gilt für den EGV (heute: EUV und AEUV) und europäische Grundrechte ebenso wie für Verordnungen und Richtlinien als sekundäres Gemeinschaftsrecht. Inzwischen entspringen schon mehr als 50% aller nationalen Gesetze dem europäischen Recht, im Wirtschaftsrecht sind es sogar 80%.133 Das BGB ist durch zahlreiche Verbraucherschutz-Richtlinien europäisiert worden.134 Nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 EUV treffen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus dem europäischen Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Die Pflicht wird als Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit oder Prinzip der Unionstreue bezeichnet.135 Der nationale Richter ist immer auch zugleich europäischer Richter bzw. Unionsrichter.136 Der EuGH formuliert deutlich: „Insoweit ist es Sache der nationalen Gerichte und des Gerichtshofs, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus diesem Recht erwachsen.“137 Verstößt ein Gericht gegen Unionsrecht, ist eine Staatshaftung für judikatives Unrecht aufgrund des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs denkbar.138 2. Komplexität europäischen Rechts a) Die Prüfungsfolge als Wechselspiel von nationalem und europäischem Recht Die europäische Einigung hat damit auch für den Juristen seinen Preis: Das Mehrebenensystem des europäischen Rechts139 zwingt zu einer komplexen mehrstufigen Prüfung, was die QuelleKopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 13 von 27 11/8/2022 Entscheidung mit der Prüfung des Verbrauchsgüterkaufs verdeutlicht:140 In einem ersten Schritt stößt der Rechtsanwender auf die nationale Norm und muss fragen, ob sie einen Europarechtsbezug aufweist. Dann gilt es zweitens das europäische Recht auszulegen. Dazu ist die Verbrauchsgüterkauf-RL auszulegen. Gegebenenfalls ist dann drittens das Sekundärrecht im Lichte des Primärrechts Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 114 auszulegen. Dann ist viertens das nationale Recht, also die deutschen Normen, zu prüfen. Besteht nach den aus den ersten beiden Schritten gewonnenen Erkenntnissen eine Kollision zwischen nationalem und europäischem Recht und damit ein Anwendungsvorrang? Kann das nationale Recht gegen den Wortlaut richtlinienkonform interpretiert werden? Und schließlich fünftens: Was gilt, wenn man sich überschießend außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie bewegt?141 All dies ist gut machbar, wenn der nationale Gesetzgeber die Vorgaben des EuGH wieder in Gesetzesform gießt, wie er es im Fliesen-Fall mit § 439 BGB n.F. getan hat.142 Bis dies geschieht, ist der Rechtsanwender aber auf sich gestellt. b) Argumentationsfiguren der juristischen Methodik auf europäischer Ebene Dann wird es richtig schwierig und jetzt zeigt sich, dass eine zutreffende Lösung des Falles ohne die einschlägigen europäischen Auslegungsfiguren gar nicht mehr funktionieren kann. Noch ungeklärt ist die Durchschlagskraft des europäischen Primärrechts, der europäischen Grundrechte und der Grundfreiheiten sowie europäischer Verordnungen. Der Anwendungsvorrang zwingt hier, die nationale Vorschrift zu ignorieren. Bevor aber eine Norm als mit dem höherrangigem europäischen Recht unvereinbar und infolge des Anwendungsvorrangs für unanwendbar erklärt werden kann, muss die nationale Norm primärrechtskonform ausgelegt werden, wobei der EuGH unter „interprétation“ nicht nur Auslegung, sondern auch Rechtsfortbildung versteht.143 Die Grenze zulässiger primärrechtskonformer Rechtsfortbildung ist aber noch ungeklärt. So wird der europäische Amtshaftungsanspruch teilweise aus dem Europarecht144, teilweise aus § 839 BGB hergeleitet145; Vergleichbares gilt für den Rückforderungsanspruch bei unberechtigt gezahlter Beihilfe gem. Art. 48 BayVwVfG. Hier hat der EuGH die nationale Norm in weiten Teilen „zurechtgestutzt“, gilt es doch gleich mehrere Tatbestandsmerkmale zu ignorieren: Die Vorschrift des Art. 48 BayVwVfG wird nicht nur hinsichtlich der Ausschlussfrist nach Absatz 4 modifiziert. Auch die Einwände, die Beihilfe sei bereits verbraucht (Art. 48 Abs. 2 S. 1 und S. 2 BayVwVfG) bzw. der Empfänger sei entreichert (Art. 49a Abs. 2 BayVwVfG) werden vom europäischen Grundsatz des effet utile überlagert und gelten daher nicht.146 In diesem Rahmen hat viele irritiert, dass es auch im europäischen Recht nicht nur die richtlinienorientierte Auslegung und die richtlinienkonforme Auslegung, sondern Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 115 auch die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung gibt, die gegen den Wortlaut der nationalen Norm den Zweck der europäischen Richtlinie zur Anwendung bringen kann. Die Quelle-Entscheidung hat sehr klar verdeutlicht, dass entgegen der §§ 346 Abs.1, 2 Nr. 1 i.V.m. 439 Abs. 5 BGBder Verbraucher keine Nutzungsentschädigung zahlen muss, sondern der Quelle AG den benutzten Kühlschrank unentgeltlich zurückgeben darf.147 Hierbei ist die contra-legem-Grenze zu beachten, wobei Einzelheiten sehr umstritten sind.148 Unzulässige Rechtsfortbildung contra legem liegt wohl vor, wenn der diskriminierte Bewerber um einen Arbeitsplatz einen Schmerzensgeldanspruch wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung auch ohne Verschulden des Arbeitgebers auf § 823 Abs. 1 BGB stützen möchte. Weil dies zu einem Systembruch mit dem deliktsrechtlichen Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 14 von 27 11/8/2022 Verschuldensprinzip führen würde, sind hier die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschritten.149 3. Folgerungen für die Ausbildung Im Bereich der europäischen Rechtsmethodik besteht noch am meisten Nachholbedarf in der juristischen Ausbildung. Kaum ein Student ist geübt, mit der autonomen Auslegung umzugehen, die nicht nur für das Primärrecht, sondern das gesamte europäische Recht, also auch für Richtlinien und Verordnungen gilt. Sie verlangt, dass der europäische Begriff unabhängig vom Verständnis des nationalen Anwenders ausgelegt wird.150 Wechselt der europäische Gesetzgeber von der Richtlinie zur Verordnung, ändert dies auch grundlegend die Auslegungsgrundsätze, weil dann nicht das nationale Gesetz, sondern die europäische Verordnung unmittelbar gilt und damit Maßstab zulässiger Auslegung ist.151 Wenn der EuGH die rechtsvergleichende Arbeit einfordert,152 fehlen aber auch den Universitäten noch die Arbeitsmittel, etwa die Möglichkeit, auch umfassend mit entsprechenden Datenbanken rechtsvergleichend arbeiten zu können.153 Examensklausuren im Bereich des Zivilrechts beginnen erst, das Europarecht zu entdecken. Gerade weil hier noch viel im Fluss ist, sollten sich eigentlich auch die Praktiker regelmäßig durch Fortbildungsmaßnahmen schulen.154 Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 116 VI. Juristische Methodenlehre – ein “Mehr” an Rechtsicherheit 1. Eine Prüfungsreihenfolge Die Juristische Methodenlehre hat Berührungspunkte zur Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie, Rechtstheorie, Staatstheorie und Rechtsdogmatik. Schließlich zielt die Juristische Methodenlehre auf ein gerechtes Ergebnis, dem Ziel der Rechtsphilosophie.155 Dem Rationalitätsanspruch der Juristischen Methodenlehre kommt somit zugute, dass sie zahlreiche Interpretationsfiguren nutzen kann, die sich aus verschiedenen Geistesströmungen und den Grundlagenfächern als Nachbardisziplinen entwickelt haben. Sie erhalten damit ein zusätzliches Gewicht. Will man aus allen diesen Teildisziplinen Argumentationsfiguren zusammentragen, verpflichtet dies zur Disziplinierung. Dazu kann eine Prüfungsreihenfolge (1.) und eine Gewichtung der Argumentationsfiguren (2.) helfen. Mit einer sechsstufigen Prüfungsreihenfolge lässt sich die Prüfung juristischer Fälle rationalisieren. Schritt 1: Die Arbeit mit dem Sachverhalt muss am Anfang der Prüfung stehen, denn nur wenn der Sachverhalt vollständig ist, kann die Rechtslösung entwickelt werden. Die Sachverhaltshermeneutik verlangt ein Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Sachverhalt und Norm.156 Schritt 2: Klassischerweise beginnt man die Rechtsfindung mit dem Auslegungskanon von Savigny, wenn der Wortlaut zumindest bestimmbar ist.157Mit der Auslegung des Wortlauts zu beginnen, ist naheliegend, weil angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die Worte in dem Sinne gebraucht, in dem sie gemeinhin verstanden werden.158 Sie ist deshalb der Ausgangspunkt der Sinnermittlung.159 Schritt 3: Gerade wenn die vier klassischen Auslegungsfiguren zu keinem klaren Ergebnis führen, gilt es, verschiedene Ziel- und Wertströmungen aufzudecken, zu entwirren, zu selektieren und zu gewichten.160 Dazu bedarf es Zwischenschritte zur Konkretisierung „offener“ Normen.161 Hier hilft etwa die bisherige Rechtsprechung mit ihren Präjudizien und der Vergleichsfallmethode. Die Konstruktion entwickelt Zwischenschritte und neue Rechtsinstitute durch Innovation, Deduktion und Induktion. Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 15 von 27 11/8/2022 Schritt 4: Der Stufenbau hat gelehrt, dass höherrangiges Recht in die Prüfung einzubeziehen ist und gegebenenfalls auch vorgehen kann. Dieses kann die bereits vorgefundenen Ergebnisse bestätigten, aber auch korrigieren. Die Verfassung und das Europarecht sind hier die wichtigsten Rechtsquellen. Schritt 5: Damit sind auch die Grenzen der Rechtsfortbildung zu thematisieren. Die Rechtslösung will eine unzulässige Rechtsfortbildung contra legem verhindern; dieses Interpretationsziel muss deshalb naturgemäß am Ende der Prüfung stehen. Eine Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 117 Rechtsfortbildung contra legem ist ausnahmslos unzulässig; diese Grenze ist eine absolute.162 Schritt 6: Gerade wegen der Missbrauchsmöglichkeit juristischer Methoden, wie sie das Unrechtsregime des Dritten Reichs deutlich vor Augen geführt hat, ist es erforderlich, dass die Methodenlehre auf Richtigkeit und Gerechtigkeit abzielt.163Am Ende der Prüfung steht daher eine Richtigkeitskontrolle.164 Die Entscheidung des Richters steht unter einer „normativen Richtigkeitserwartung.“165 Das geht einher mit der Erkenntnis, dass juristische Entscheidungen nicht immer restlos abgesichert, sondern nur „flankierend methodisch eingerahmt“ werden können.166 Das ist zu akzeptieren, wenn die Entscheidung begründet wird.167Je unbestimmter oder unklarer die Norm für die Lösung des konkreten Falls ist, desto aufwendiger muss die Begründung sein. In der Literatur werden Mindeststandards einer rationalen Begründung verlangt, eine völlige Offenlegung der Deduktion bis hin zur Letztbegründung, die Plausibilität der Schlussfolgerung und die Vereinbarkeit mit normativ abgesicherten Präferenzen.168 An dieser Stelle kommt auch das Rechtsgefühl, das geschulte Judiz,169zum Einsatz. Gerechtigkeitsfragen müssen mit der Juristischen Methodenlehre rational abgesichert und damit „juristisch operational“ gemacht werden.170Damit bleibt ein Grenzbereich: Wertungsjurisprudenz und andere methodische Ansätze müssen letztlich anerkennen, dass ganz am Ende der Prüfung in einem Restbereich auch auf außergesetzliche Wertmaßstäbe zurückgegriffen werden muss.171 Damit lässt sich auch der Vorwurf, dass nach dem Vorverständnis entschieden würde und ein unkontrollierter Methodenpluralismus herrsche, entkräften. Alle Prüfungsschritte sind zumindest gedanklich durchzuprüfen, ohne sie aber zwingend zu Papier bringen zu müssen. Nur eine solche Gesamtbetrachtung der einschlägigen Argumente führt zu einem richtigen Normverständnis.172 Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 118 2. Gewichtung von Argumentationsfiguren Die juristische Argumentation lässt sich schließlich weiter rationalisieren, indem man versucht, die verschiedenen Argumentationsfiguren zu gewichten. Vier verschiedene Regeln lassen sich differenzieren: Der Rechtsanwender hat immer zwingende Vorrangregeln zu berücksichtigen. Vorrangregeln setzen sich in allen Konfliktfällen durch und führen zu einer eindeutigen Rechtsfolge, sie bedingen ein bestimmtes Ergebnis. Es gilt dann ausnahmsweise die „one right answer thesis“: nur eine Antwort ist richtig – eine Gegenauffassung wäre falsch und nicht vertretbar. Ein typisches Beispiel einer zwingenden unzulässigen Rechtsfortbildung contra legem bildet das Gesetzlichkeitsprinzip, also die Wortlautgrenze im Strafrecht aufgrund des Rechtssatzes „nulla crimen sine lege scripta“.173 Eine unzulässige Rechtsfortbildung contra legem liegt auch vor, wenn die Rechtsfortbildung zu einer schweren Grundrechtsbeeinträchtigung des Betroffenen führen würde.174Umgekehrt kann eine Vorrangregel die Rechtsfortbildung auch erzwingen. Dies ist der Fall bei der primärrechtskonformen Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 16 von 27 11/8/2022 Rechtsfortbildung durch das Europarecht. Sie führt entweder zu einer Derogierung, also Missachtung einzelner Tatbestandsmerkmale, oder zu einem unmittelbaren Anwendungsvorrang für das europäische Primärrecht, welches das nationale Recht insoweit verdrängt.175 Der Jurist wird feststellen, dass bestimmte Argumente gewichtiger sind und zu einer Vermutungswirkung führen. Die Vermutungsregel spricht dem ersten Anschein nach, prima facie, für eine bestimmte Rechtslösung. Will der Rechtsanwender von der Gewichtung abweichen, muss er dies begründen. Er trägt die Argumentations- oder Begründungslast. Man kann insoweit von einer subsidiären Befolgungspflicht sprechen. Grundsätzlich spricht für die Vermutung, dass der Wortlaut der Norm auch den Willen des Gesetzgebers wiedergibt.176Allerdings verlangt dies, dass der Wortlaut eindeutig und klar ist, was nur selten der Fall ist.177 Eine Vermutungsregel haben schließlich die richtlinienkonforme Auslegung und die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung. Sie führen aber gerade nicht zu einem zwingenden Vorrang, weil die Figuren durch Grenzen der nationalen Rechtsfortbildung beschränkt werden.178 Nicht zu unterschätzen ist die bisherige Rechtsprechung, d.h. Präjudizen, die zu einer Vermutungswirkung führen. Die eingangs begründete subsidiäre Befolgungspflicht ist Teil der sekundären Rechtsquellen. Hintergrund ist die Überlegung der Rechtsanwendungsgleichheit des Art. 3 Abs. 1 GG.179 Ein unwidersprochenes Präjudiz ist „starting point“ zumindest für den Bereich der Konkretisierung, oft auch in der Praxis.180 Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 119 Umgekehrt gibt es andere Auslegungsfiguren, die eine Argumentationslast auslösen. Will der Rechtsanwender etwas ändern, trägt er die Argumentationslast für den Änderungsvorschlag.181 Wer sich für ein Abweichen von einem eindeutigen Wortlaut und damit für die Rechtsfortbildung ausspricht, trägt die Darlegungslast.182 Oben wurde gezeigt, dass die teleologische Auslegung mehr als ein eigener Auslegungsschritt ist. Sie ist Auslegungsziel und insoweit grundsätzlich der übergeordnete Schritt der Rechtsfindung. Sie ist gewichtig, weil sie bisherige Auslegungsfiguren entkräftet, wenn sich mit dem Sinn und Zweck der Norm ein anderes Ergebnis überzeugender begründen lässt. Für die Herleitung des Telos besteht für den Rechtsanwender die Darlegungslast. Gelingt es dem Rechtsanwender, den Telos nachzuweisen, kann er andere Argumentationsfiguren als Formalargumente entkräften. Zu nennen sind insbesondere die Eindeutigkeitsregel, die Einheit der Rechtsordnung, das Gebot, Ausnahmen eng auszulegen, Kollisionsregeln, „droit constant“ sowie der subjektive Wille. Die Einzelanalogie und teleologische Reduktion sind letztlich Beispiele, dass sich der Telos gegenüber dem Wortlaut durchsetzt. Am schwächsten sind Argumentationsfiguren ohne jegliches Gewicht. Dann existieren oft gleichgewichtige Gegenargumente. Das hat zur Folge, dass der Überzeugungsgrad dieser Argumente relativ gering ist. Man spricht deshalb durchaus passend von reinen Formalargumenten.183So können selbst vermeintlich logische Argumente jeglicher Überzeugungskraft beraubt werden, wenn ihre Bezugsgröße nicht stimmt. Das gilt etwa für die gleichrangigen Rechtsfiguren des Erst-Recht-Schlusses und des Umkehrschlusses.184 Weitere Argumentationsfiguren ohne telelogischen Bezug sind die Einheit der Rechtsordnung und Ausnahmen dürfen weit ausgelegt werden, die gespaltene Auslegung, die Relativierung der Lexspecialis-, Lex-posterior- oder Lex-superior-Regel, die Perplexität des historischen Willens oder das Redaktionsversehen. Somit ist auch die These, es gäbe keine Ranghierarchie juristischer Argumente185, in dieser Allgemeinheit unzutreffend. 3. Statt eines Schlusswortes – Zur Stärkung der Grundlagenfächer Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 17 von 27 11/8/2022 Was zeichnet den guten Juristen aus und was verlangt ein Juristisches Studium? Rechtsanwaltskanzleien, aber auch die Justiz suchen händeringend gute und sehr gute Juristen. Ziel muss es sein, die Anzahl der sehr guten Juristen zu erhöhen. Dazu benötigt man gute Abiturienten. Aber auch in der juristischen Ausbildung lässt sich das Juristische Denken noch stärker schulen. Hassemer und Kübler schrieben schon vor knapp 30 Jahren: „Nicht im Wissen erschöpft sich das Lernziel; das Können muß angezielt werden. Ein guter Jurist überblickt sein Gebiet nicht nur; er kann mit ihm umgehen, sich auf ihm bewegen, er kann «juristisch denken» (und handeln).[...] Juristisches Denken verlangt nicht nur, daß man ein rechtsdogmatisches Institut oder Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 120 eine rechtspraktische Institution (von innen her) kennt; man muß sie auch in ihren historischen, theoretischen und realen Bedingungen (von außen her) betrachten, relativieren und in größere Zusammenhänge einordnen können.“186 Der Wissenschaftsrat hatte 2012 mit seinem Vorschlag zur Verbesserung des juristischen Studiums, der und unter anderem eine Stärkung der Grundlagenfächer vorsah, eine intensive Diskussion ausgelöst.187 Die Vorlesung Juristischen Methodenlehre besuchen an der Juristischen Fakultät Augsburg Drittsemester aus dem klassischen Studiengang und Neuntsemester als Masterstudenten aus dem Studiengang Rechts- und Wirtschaftswissenschaften und man merkt sehr wohl den Unterschied. Studenten des klassischen Studienganges sind mit dem juristischen Wissen von zwei Semestern eher überfordert, etwa die Regeln der verfassungskonformen Auslegung, der richtlinienkonforme Rechtsfortbildung oder die Arbeit mit Prinzipien zu verstehen als die Studenten, die sich vier Jahre mit dem Recht beschäftigt haben. Interessant erscheint das Bayreuther Modell: Kollegen aus allen drei Disziplinen unterrichten im ersten Semester „Bausteine“ des Rechts, wie etwa Verbindlichkeit des Rechts, Rechtserzeugung, supranationales Recht. Im sechsten Semester kommt dann die eigentliche Methodenvorlesung, die wiederum intradisziplinär vorgetragen wird. Beide Veranstaltungen sind verpflichtend, werden mit einer Klausur abgeprüft und sind Voraussetzung für die Übung und dann für die Teilnahme am Schwerpunkt.188 Man sollte dagegen nicht, wie der Wissenschaftsrat fordert189, Lehrstühle einrichten, die ausschließlich Grundlagenfächer lesen. Denn die Juristischen Fakultäten sollten keine abgehobene Theorienausbildung betreiben, sondern für die Praxis ausbilden. Juristische Methodenlehre und Rechtsdogmatik arbeiten und leben am konkreten Fall, sie haben eine dienende Funktion für das einzelne Rechtsgebiet. Im Idealfall pflegt und unterrichtet also jeder Professor sein jeweiliges Rechtsgebiet im rechtsdogmatischen und rechtsmethodischen Kontext.190 Der juristische Alltag wird sicherlich auch von Routinearbeiten geprägt; zur anspruchsvollen juristischen Arbeit gehört aber auch, auf unbekannte Fragen des zwischenmenschlichen Lebens Antworten zu geben, die sich u.a. in Politik und Wirtschaft stellen. Dabei sind Argumente und Interessen abzuwägen, Streitstände zu erörtern. Die Juristische Methodenlehre ist mehr als juristische Arbeits- oder Falltechnik; sie dringt in immer tiefere Schichten vor, wenn das Gesetz keine (einfachen) Antworten bereithält. Wenn man der Juristischen Methodenlehre vertraut, lässt sich bei der Lösung unbekannter Fälle doch eine relative Sicherheit gewinnen191 – im Idealfall abgewogen, wohlbegründet, überzeugend und für alle Betroffenen zufriedenstellend. Möllers: Wie Juristen denken und arbeiten – Konsequenzen für die Rolle juristischer Methoden in der juristischen Ausbildung –(ZfPW 2019, 94) 121 Mit ihrem Rationalitätsanspruch192 schafft die Juristische Methodenlehre Vertrauen in die juristische Entscheidung und dient damit den drei Rechtsideen: Zweckmäßigkeit, Rechtssicherheit und Gerechtigkeit.193 Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 18 von 27 11/8/2022 ** Schriftliche Fassung eines Vortrages vor der Juristischen Gesellschaft Augsburg. Der Beitrag führt Überlegungen aus meinem Werk, Juristische Methodenlehre, 2017 fort und verbindet diese mit Vorschlägen für die juristische Ausbildung. Ich danke Frau Ministerialdirigentin Dr. Schmidt, Leiterin des bayerischen Landesjustizprüfungsamtes und Herrn Ltd. Ministerialrat Tiesel, für zahlreiche Anregungen. Alle Internetadressen waren bei Drucklegung abrufbar. * Prof. Dr. Thomas M. J. Möllers ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht, Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg und Inhaber eines Ad personam Jean-Monet-Lehrstuhls. 1 Hillendorf, in FG Knemeyer, 2012, 559 (561). 2 Zur Diskussion s. etwa Roth-Mingram, in Bu, Juristische Methodenlehre in China und Ostasien, 2016, 223 (232 ff.) m.w.Nachw. 3 S. die historischen Überblicke verschiedener Gutachten des DJT, etwa Oehler, 48. DJT 1970, E 17 ff.; Hensen/Kramer, 58. DJT 1990, F 19 ff. sowie die Fn. 8 und Fn. 57. 4 Wissenschaftsrat, Perspektiven der Rechtswissenschaft in Deutschland, 2012, abrufbar unter: https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2558-12.pdf. 5 Hobe/Dauner-Lieb, Zukunftsfähig? Die Juristenausbildung in Deutschland, Forschung&Lehre 4/18, 314 ff. 6 Unschwer ließen sich Argumente finden, warum etwa das Verfassungsrecht, das Europarecht oder auch das Steuerrecht in den Vordergrund einer thematischen Auseinandersetzung gerückt werden sollte. 7 Aus den letzten Jahren zu nennen sind etwa die Streichung von Kenntnissen über das Erbscheinverfahren nach dem FamFG oder auch das Kommunalabgabenrecht und damit gleichzeitig das in anderen Bundesländern gängige behördliche Widerspruchsverfahren. 8 Die Versuche, die Stofffülle zu reduzieren, sind Legion: s. bereits den Vorschlag der 11 nichtpreußischen Rechtsfakultäten des Deutschen Reichs, DJZ 1930, Sp. 952; Großfeld, JZ 1986, 357 ff.; Hassemer/Kübler, 58. DJT 1990, E 26; jüngst etwa Beschluss der 88. Konferenz der Justizminister v. 9.11.2017 unter TOP I.1 (2.), abrufbar unter https://www.justiz.nrw.de/JM/schwerpunkte/juristenausbildung/bericht_ausschuss/index.php und prägnant zusammenfassend: Hensen/Kramer, 58. DJT 1990, F 37: „Die Erkenntnis, daß die Hauptursache für die zu lange Studiendauer in der Stofffülle liegt, zieht sich wie ein roter Faden durch die Reformdiskussion.“ 9 § 16 Abs. 2 S. 2 Bayer. JAPO v. 13.10.2003, GVBl. 1990, 397. Ähnlich auch § 7 Abs. 2 S. 2 JAPrO BW v. 8.10.2002, GBl. 2002, 391 (Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung für BadenWürttemberg); § 2 Abs. 2 JAG NRW v. 11.3.2003, GV. NRW 2003, 310 (Juristenausbildungsgesetz Nordrhein-Westfahlen). 10 Simon, Über die Wertlosigkeit der Methodenlehre, 1, 9, Vortrag vor der Juristischen Fakultät Potsdam v. 23.6.2016, abrufbar unter https://mediaup.uni-potsdam.de/Player/5256; Manuskript: http://docplayer.org/28590820-Herr-dekan-liebe-kolleginnen-und-kollegen-meine-damen-undherren.html; vorher die Autoren in Krawietz/Morlok (Hrsg.), Sonderheft Rechtstheorie 32 (2003), 135–371. Nicht von ungefähr orientierte er sich an dem Titel von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848. 11 So Rüthers, JZ 2006, 53 (54). 12 Gadamer, Wahrheit und Methode, 6. Aufl. 1990, 281 ff., 296 ff.; Hassemer, Tatbestand und Typus, 1968, 107 f.; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970, 139 ff., 149 ff. 13 Feyerabend, Against Method, 1975, 23 ff. 14 Esser (Fn. 12) 126. 15 Etwa schweiz. Bundesgericht: BGer 7.9.2012 – BGE 138 II 440, 453. Ganz ähnlich formuliert das BVerfG, dass bei der Auslegung „alle herkömmlichen Auslegungsmethoden in abgestimmter Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 19 von 27 11/8/2022 Berechtigung [helfen]. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen“ BVerfG 20.3.2002 – 2 BvR 794/95, BVerfGE 105, 135 (157). 16 Im Original lautet das Zitat in der Abkürzungssprache des Kurzkommentars Palandt: „Der vor neue Fragen gestellte Richter weiß häuf nicht u braucht auch nicht zu wissen, ob das Problem dch Auslegg od dch RFortbildg zu lösen ist. [...] Der Richter darf das Gesetz iR der ratio legis u der WertEntsch des GG auch ohne konkreten Nachw einer Lücke ausdifferenzieren u ergänzen“, s. Grüneberg in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 78. Aufl. 2019, Einl. Rn. 56 f. 17 Ausführlich Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache“, 2. Aufl. 1982; F. Müller, Normstruktur und Normativität, 1966, 94 ff.; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, 100. 18 Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, 195 und 199: „Ausgangspunkt einer erneuerten Methodologie muß die Erkenntnis sein, daß die Begründung der richterlichen Entscheidung durch textwissenschaftliche Interpretationsmethoden erheblich seltener möglich ist, als gemeinhin geglaubt wird.“ Ebenso Neumann, Rechtstheorie 32 (2001), 239 (242).Teilweise wird von postmoderner Theorie (Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, 327 ff.), teilweise von „postmoderner“ Methodenlehre (Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 228 ff.) gesprochen. 19 Lat. decidere: wörtlich übersetzt abschneiden, sinngemäß übersetzt Entscheidung. 20 Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, 45 f.; zustimmend Fischer-Lescano/Christensen, Der Staat 44 (2005), 213 ff. 21 Locke, The Second Treatise of Government, 1689, 7. Kap. § 93; plastisch Montesquieu, De l’esprit des lois, 1748, 11. Buch, 6. Kap.: „Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann oder dieselbe Körperschaft der Fürsten, des Adels oder des Volkes diese drei Gewalten ausübte: Gesetze zu erlassen, sie in die Tat umzusetzen und über Verbrechen und private Streitigkeiten zu richten.“ 22 Schulze-Fielitz in Dreier, Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 101 m.w.Nachw. 23 BVerfG 11.11.1999 – 2 BvF 2/98 u.a., BVerfGE 101, 158 (217 f.); Hermes, VVDStR 61 (2002), 119, 129. 24 Flume, Richter und Recht, 46. DJT, 1967, K 18. 25 Wacke, in FS Waldstein 1993, 369 ff. 26 Schulze-Fielitz in Dreier, GG, 2. Aufl. 2008, Art. 103 I, Rn. 20, 60 ff. 27 BVerfG Beschl. v. 17.5.1983 – 2 BvR 731/80, BVerfGE, 64, 135 (143 ff.); BVerfG 15.2.1992 – 2 BvR 207/92, InfAuslR 1992, 300 Ls. 1. 28 Steinberger, Konzeption und Grenzen freiheitlicher Demokratie, 1974, S. 265; Schulze-Fielitz in Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 103 I, Rn. 12. 29 Hassemer/Kübler, 58. DJT 1990, E 33: „Blinde Reproduktion juristischer Regeln und Begriffe ist ein Feind juristischen Denkens und belastet deshalb alle Fächer und Juristenprofessionen.“ 30 Esser, AcP 172 (1972), 97 (113). Zu einer weiteren Facette des juristischen Denkens s. unten VI.3. 31 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 7. Aufl. 2012, 326 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10. Aufl. 2018, Rn. 651; Vogenauer, ZEuP 2005, 234 (235); Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. 2012, 13. 32 BVerfG 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 (287) – Soraya: „seine Entscheidung muß auf rationaler Argumentation beruhen.“ S. Möllers, Juristische Methodenlehre, 2017, § 13 Rn. 19. 33 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, 271; abweichend: Engisch, Hrsg. Otto/Würtenberger, Einführung in das juristische Denken, 11. Aufl. 2010, 104 ff., 123 f. 34 So bereits Kant, Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl. 1787, zitiert nach der Akademie Ausgabe, Bd. III, 1911, S. 131: „Wenn der Verstand überhaupt als das Vermögen der Regeln erklärt wird, so ist Urteilskraft das Vermögen, unter Regel zu subsumieren, d.i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht.“ Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 20 von 27 11/8/2022 35 Kritisch bereits Hassemer/Kübler, 58. DJT 1990, E 30 f. 36 Dieses Beispiel verdanke ich Herrn Kollegen Klaus Weber. 37 Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl. 1963, 15; zustimmend etwa Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Aufl. 1976, 197; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 2. Aufl. 1972, 79; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, 421 f.; Pavčnik, Rechtstheorie 39 (2006), 557 ff.; Mastronardi, Juristisches Denken, 2. Aufl. 2003, Rn. 677 ff. 38 Larenz (Fn. 33) 206. 39 Larenz (Fn. 33) 279 ff.; aufgenommen auch von Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, Rn. 93 ff. Der Sachverhalt von Larenz ist hier noch weiter ergänzt. 40 °Rüthers/Fischer/Birk (Fn. 31) 217. 41 Dies im Unterschied zum sogenannten Subsumtionsteil der Entscheidungsbegründung. 42 Den sog. Normbereich bilden nach Friedrich Müller diejenigen konkreten tatsächlichen Umstände (Realdaten), die für die Subsumtion unter eine bereits durch Auslegung oder Konkretisierung präzisierte Rechtsvorschrift (Normprogramm) nötig sind und die damit zu Recht zur Grundlage der Entscheidung gemacht werden. S. dazu ausführlich F.Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 11. Aufl. 2013, Rn. 16, 235a, 281. 43 Jaestadt, in Jaestadt/Lepsius/Ch. Möllers/Schönberger, Das entgrenzte Gericht, 2011, 77, 110 ff., 135 ff. 44 Bryde, in FS 50 Jahre BVerfG, 2001, Bd. 1, 533 (536 f.) Typischerweise werden die einschlägigen Rechtsnormen (unter A.I.), die Prozessgeschichte (A.II.), die Rechtsausführungen der Beteiligten (A.III.) und ggf. auch die Ergebnisse der Beweisaufnahme und anderer Äußerungsberechtigter (A.IV.) genannt, s. Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 362; beispielhaft etwa BVerfG 27.1.2015 – 1 BvR 471/10 u.a., BVerfGE 138, 296 – Kopftuch II. 45 S. unten III.2.c). 46 Koran, 3. Vers 24:30–31. 47 Wie Hidschab, Al-Amira, Chimar, Tschador bis hin zu vollständig auch das Gesicht verdeckende Ganzkörperschleiern, die nur die Augen frei lassen (Nikab) oder auch hier noch ein Gitter vorsehen (Burka). 48 S. Möllers (Fn. 32) § 14 Fn. 46 f. 49 EGMR 1.7.2014 – 43835/11, CE:ECHR:2014:0701JUD00438 3111 – S.A.S. v. France. 50 Hierzu Weber, JuS 1989, 678 ff.; Juristische Fakultät Augsburg, Die Augsburger Juristenausbildung, 1980. 51 Kritisch etwa R. Schmidt/Braun/Mögele, JZ 1984, 364 m.w.Nachw. 52 Sehr kritisch zur einseitigen Ausbildung etwa J. Wolf, in FS Schnapp, 2008, 873 ff. 53 Gemeinsame Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien der Justiz und des Inneren v. 28.4.2005, PA 2220-1587/2004 unter 1.7.1.4, abrufbar unter: https://www.justiz.bayern.de/media/pdf/ljpa/vd_fuer_rref/bekanntmachung_stmj_stmi_bayrak_ zuletzt_geändert_2017.pdf. 54 Im Unterschied zum Ersten Staatsexamen (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 2 BayJAPO) sollen im Zweiten Staatsexamen mindestens 4 Klausuren rechtsberatende und rechtsgestaltende Fragen zum Gegenstand haben (§ 62 Abs. 3 Satz 3 BayJAPO). 55 Vgl. § 5a DRiG, § 25 BayJAPO. Interner Leitfaden des Bayerischen Staatsministerium der Justiz v. April 2014 unter III.2.c): „Ihm [dem Studenten] soll vielmehr ein vertiefter Einblick in die von der Rechtspraxis zu bewältigenden Streitigkeiten und deren Aufbereitung durch Schriftsätze und anderer Aktenstücke gegeben werden. Er soll vor allen erkennen, dass, insbesondere vom Zivilrichter, häufig erst ein unstrukturiert und redundant vorgetragener Sachverhalt zu ordnen und auf seine rechtliche Relevanz zu prüfen ist, bevor Fragen der Beweisführung und rechtliche Fragen in den Vordergrund treten.“ Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 21 von 27 11/8/2022 56 S. gerade Fn.53. 57 Zitelmann, DJZ 1909, 505; ebenso Oehler, 48. DJT 1970, E 46 f.; Hassemer/Kübler, 58. DJT 1990, E 84 sowie die Autoren in den Fn. 35 und Fn.51. 58 Barton/Jost/Lindemann/Schumacher, Anwaltsorientierung im rechtswissenschaftlichen Studium, 2000; Mattheus/Teichmann, JuS 2003, 633 ff. 59 Der Deutsche Anwaltsverein bot eine 12-monatige Zusatzausbildung an, s. www.anwaltsausbildung@anwaltsverein.de. Zur Anwaltsorientierten Juristenausbildung an der Universität Hannover, s. Wolf, JA 2006, 160. 60 Ebenso bereits Hensen/Kramer, 58. DJT 1990, F 37. 61 von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 213 ff.; von Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 1, 2. Aufl. 1884, S. VIII., 435 ff.; hierzu Müller-Erzbach, JhJ 61 (1912), 343, 377ff. 62 Bydlinski (Fn. 37) 437: „Obwohl manche an ihm festhalten wollen, ist der ‚Kanon‘ somit überholt.“ Ähnlich auch Rüthers/Fischer/Birk (Fn. 31) Rn. 703: „Erkenntnisfortschritt [...] eher gering“. 63 Für das Verfassungsrecht bereits Forsthoff, Zur Problematik der Verfassungsauslegung, 1961, 39. Generell Herzberg, NJW 1990, 2525 ff.; ders., JuS 2005, 1 (3 f.); Putzke/Putzke, JuS 2012, 500 (503), wonach der Wert der teleologischen Auslegung gering wäre. 64 Morlok, in Gabriel/Gröschner, Subsumtion, 2012, 179 (191); Sachs in Sachs, Grundgesetz Kommentar, 8. Aufl. 2018, Einf. Rn. 43. 65 Morlok (Fn. 64) 179 (204). Eine Folgerung ist die Rechtsfortbildung durch Analogie oder teleologische Reduktion, um den Normzweck zu verwirklichen. 66 Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, 160 ff. Vorher schon Stern, in Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, 1663. 67 Morlok (Fn. 64) 179 (191 f.). 68 Ausführlich zur Rechtanalogie und zur telologischen Reduktion s. Möllers (Fn. 32) § 6 Rn. 81 ff. 69 F. Müller/Christensen (Fn. 42) Rn. 103; Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, 457 (461). 70 Ebenso E. Ott, Juristische Methode in der Sackgasse?, 2006, 62 ff. 71 Umfassend Möllers (Fn. 32) § 12; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1 (7 f.), die dies allerdings nicht unter die teleologische Auslegung fassen möchten. 72 Begr RegE 2. FFG, BT-Drucks. 12/6679, 48, Baums, ZHR 167 (2003), 129 (150); Möllers/Leisch in Kölner Kommentar zum WpHG, 2. Aufl. 2014, §§ 37b, c Rn. 7. 73 EuGH 28.6.2012 – C-19/11, EU:C:2012:397, Rn. 38 ff. – Geltl/Daimler AG; hierzu Möllers/Seidenschwann, NJW 2012, 2762 ff.; vorher schon Möllers, NZG 2008, 330 ff. 74 EuGH 22.11.2005 – C-384/02, EU:C:2005:708 Rn. 48 - Grøngaard/Bang. 75 Z.B. Art. 3 no. 1 Código Civil. 76 EuGH 3.10.2013 – C-583/11P, EU:C:2013:625, Rn. 50 – Inuit Tapiriit Kanatami u.a.; EuGH 27.11.2012 – C-370/12, EU:C:2012:756, Rn. 135 – Pringle. 77 S. oben Fn.18. 78 Möllers (Fn. 32) § 1 Rn. 42, § 14 Rn. 99. 79 BGH 30.9.1963 – III ZR 137/62, BGHZ 40, 345 (348 ff.). 80 BGH 12.2.1975 – VIII ZR 131/73, BGHZ 63, 393 (398) – Pelzmantel. 81 BGH 28.2.1980 – VII ZR 183/79, BGHZ 76, 179 (187) – Schwimmbad; s. aber Möllers (Fn. 32) § 9 Rn. 53 f. 82 BGH 24.1.2013 – III ZR 98/12, BGHZ 196, 101 Rn. 9 ff. – Internetzugang. Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 22 von 27 11/8/2022 83 Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. II, 1975, 101 spricht von Präzedenzfallketten und einer „choice between two lines of authority”. 84 Vogel, Juristische Methodik, 1998, 164. 85 Vogel, Juristische Methodik, 1998, 162. 86 BGH 9.7.1986 – GSZ 1/86, BGHZ 98, 212 (220 ff.). 87 S. vertiefend Möllers (Fn. 32) § 10 Rn. 36 ff. 88 Zur kapitalmarktrechtlichen Informationshaftung nach § 826 BGB s. 89 Zu dem Begriff der Konstruktion s. bereits von Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. II/2, 357 ff., Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd, 1., 2. Aufl. 1888, V, XI: „Die wissenschaftliche Aufgabe der Dogmatik eines bestimmten positiven Rechts liegt aber in der Konstruktion der Rechtsinstitute, in der Zurückführung der einzelnen Rechtssätze auf allgemeinere Begriffe und anderseits in der Herleitung der sich aus diesen Begriffen ergebenden Folgerungen“. 90 Möllers, Juristische Methodenlehre, 2017, §§ 11 und 12; Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, 157 ff. 91 S. vertiefend Möllers (Fn. 32) § 11 Rn. 2 ff. 92 Kriele (Fn. 37) 148. 93 Topos, plural: Topoi, bedeutet wörtlich „Ortskunde“. 94 So bereits Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 5. Aufl. 1974, 111: zeitgenössische rhetorische Argumentationstheorie; Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 1956, 44 ff. 95 So Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, Rn. 67 ff.; ähnlich Lindner (Fn. 66) 165 f.: methodologisch einwandfreies Vorgehen in Abgrenzung zu Viehweg. 96 Mittelstraß (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 4, 1996, 239 f. 97 S. bereits Aristoteles, Analytica priora et posteriora, II 24; Aristoteles, Rhetorik 1. Buch, Rn. 1357b, 25 ff.; Klug, Juristische Logik, 4. Aufl. 1982, 122; Engisch (Fn. 33) 249 (255); Kramer, Juristische Methodenlehre, 5. Aufl. 2016, 218; Honsell in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearb. 2013, Einl. zum BGB Rn. 156; Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, 1999, 53 f.; Martens (Fn. 69) 320; zur Induktion und Deduktion s. oben § 4 Rn. 2 f. 98 Busche in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Aufl. 2018, Vor § 145 Rn. 6; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 10 Rn. 30. 99 Reich, JZ 1997, 609. 100 Flume, in FS 100 Jahre DJT, Bd. 1, 1960, 135 (143); ebenso Larenz, Schuldrecht, Bd. 1, 14. Aufl. 1987, § 4, S. 41: „freie Selbstbestimmung jedes der beiden Kontrahenten“. Zustimmend Säcker in MüKoBGB, 8. Aufl. 2018, Einl. Rn. 38. 101 Hierzu Lennartz (Fn. 90) 160. 102 Ausführlich Möllers (Fn. 32) § 12. 103 Klausuren im Staatsexamen könnten sich durchaus öfters auf ein unbekanntes Problem konzentrieren und nicht nur „rennfahrermäßig“ zahllose Anspruchsgrundlagen abprüfen. Dieses Petitum wendet sich an die Hochschullehrer, die regelmäßig die Prüfungsaufgaben erstellen. 104 Larenz (Fn. 33) 432; Picker, JZ 1988, 62 (72 f.); Köhler, JR 1984, 45 (48). 105 Zu dieser Begrifflichkeit s.Möllers, in FS Buchner, 2009, 649 ff. 106 So bereits Bydlinski (Fn. 37) 510; Bydlinksi, in FG 50 Jahre BGH, 2000, 3 ff.; Kramer (Fn. 97) 258; Canaris, in Europäische Vertragsvereinheitlichung und deutsches Recht, 2000, 5, 8: „subsidiäre Rechtsgeltungsquelle“. 107 Unkenntnis entschuldigt nicht; man hat das Recht und damit auch die Rechtsprechung zu kennen, BGH Urt. v. 11.1.1984 – VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296 (302 f.) – Ersatzpflicht bei Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 23 von 27 11/8/2022 unberechtigter Kündigung; BGH 14.6.1994 – XI ZR 210/93, NJW 1994, 2754 (2755); Grüneberg in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 280 Rn. 68. 108 Ständige Rechtsprechung, etwa BVerfG 17.12.1953 – 1 BvR 323/51 u.a., BVerfGE 3, 162 (182); BVerfG 26.3.1980 – 1 BvR 121/76 u.a., BVerfGE 54, 11 (26). 109 S. das Zitat von Rüthers, JZ 2008, 446 (448); Picker, JZ 1988, 62 (71): „Sozialgestaltung zu betreiben“. 110 Scholz, ZG 2012, 105 ff. 111 U.S. v. Butler, 297 U.S. 1, 79 (1936); sehr anschaulich Cox, 47 Md.L.Rev. 118 ff. (1987); Posner, 100 Calif.L.Rev. 519 (2012); Ribble, 26 Va.L.Rev. 981, 984 (1940). 112 BVerfG 31.7.1973 – 2 BvF 1/73, BVerfGE 36, 1 (14 f.) und Ls. 2 – Grundlagenvertrag; Rau, Selbst entwickelte Grenzen in der Rechtsprechung des United States Supreme Court und des Bundesverfassungsgerichts, 1996, 125 ff.; Rupp, 21 Ohio St. L.J. 503 (1960); Schuppert, DVBl. 1988, 1191 ff. 113 BVerfG 15.1.2009 – 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, 248 (286) – Rügeverkümmerung: „Die Grenzen, die sich aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG für die richterliche Auslegung des einfachen Rechts ergeben, können daher nicht prinzipiell enger oder weiter gesteckt sein je nachdem, ob die jeweilige Auslegung sich zugunsten oder zu Lasten betroffener Einzelner auswirkt.“ Ausführlich Möllers (Fn. 32) § 7 Rn. 79 ff. 114 BVerfG 24.2.2015 – 1 BvR 472/14, BVerfGE 138, 377 Rn. 42 ff. – Aufklärungsanspruch des Scheinvaters. 115 Löhnig, NZFam 2015, 359; Sachs, JuS 2015, 860 (861); Rauscher, JZ 2015, 624 (626); Neuner, JZ 2016, 435 (438). 116 Vertiefend Möllers (Fn. 32) § 7 Rn. 80 ff. 117 BVerfG 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 (281) – Soraya: „die Rechtsfigur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts [...] füllt Lücken im Persönlichkeitsschutz aus, die hier trotz Anerkennung einzelner Persönlichkeitsrechte verblieben und im Laufe der Zeit aus verschiedenen Gründen immer fühlbarer geworden waren.“; BVerfG 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1 (42 f.) – Volkszählung; BVerfG 27.2.2008 – 1 BvR 370/07 u.a., BVerfGE 120, 274 (303 ff.) – Online-Durchsuchungen. 118 S. oben IV.2.b). 119 § 917 ZPO a.F. lautete: „(1) Der dingliche Arrest findet statt, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. (2) Als ein zureichender Arrestgrund ist es anzusehen, wenn das Urteil im Ausland vollstreckt werden müsste.“ Der EuGH bejahte eine versteckte Diskriminierung, s. EuGH 10.2.1994 – C- 398/92, EU:C:1994:52, Rn. 15 ff. – Mund & Fester. 120 Ausführlich hierzu Ehricke, EWS 1994, 259 ff.; OLG Koblenz 29.3.1995 – 2 W 105/95, RIW 1995, 775 – Österreich; OLG Hamburg 4.5.1995 – 5 U 118/93, NJW 1995, 2859, 2860 – Schweden; Leible/Domröse, in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 8 Rn. 58 m.w.Nachw. 121 BVerfG Urt. v. 24.10.1996 – 2 BvR 1851/94 u.a., BVerfGE 95, 96 (133) – Mauerschützen. 122 Möllers (Fn. 32) § 3 Rn. 33 ff. 123 So wohl Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, 247 ff.: Jede Entscheidung, die nicht vom Gesagten geboten ist, sondern entweder freigestellt oder verboten ist. Ebenso Lindner, Rechtswissenschaft als Metaphysik, 2017, 87: „Da jede Auslegung des Rechts in der Sache eine Rechtsfortbildung ist.“ 124 Ausführlich Möllers (Fn. 32) § 14 Rn. 39 ff. 125 Zu diesem weiteren Begriff der Rechtsfortbildung s. Möllers (Fn. 32) § 13 Rn. 15. 126 Zu Art. 1 ZGB, s. Meier-Hayoz in Berner Kommentar ZGB, 1966, Art. 1 Rn. 1 ff. Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 24 von 27 11/8/2022 127 Zu §§ 6, 7 ABGB s. etwa Kerschner/Kehrer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Großkommentar zum ABGB, 3. Aufl. 2014, §§ 6, 7 Rn. 1 ff.; Kodeck in Rummel/Lukas, Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. Stand 1.7.2015 § 6 Rn. 1 ff. 128 In Deutschland hielt man eine solche Vorschrift für überflüssig, weshalb § 1 des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 1888, nicht in das BGB aufgenommen wurde s. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. I, 1896, S. 8, 16 f. 129 S. oben Fn.16. 130 S. oben I.3.a). 131 Im Jahre 1993 verdiente sich der Palandt die „Euro-Zitrone“ als Scherzpreis für diejenige Publikation, welche die Bedeutung des europäischen Rechts am stärksten ignorierte, s. Basedow, ZEuP 1993, 656. S. hierzu Möllers (Fn. 32) § 13 Fn. 13. 132 Zu verschiedenen Lösungsmöglichkeiten s. etwa Baur/Stürner, Sachenrecht, 18. Aufl. 2009, § 25 Rn. 8; Möllers (Fn. 32) § 16 Rn. 161 ff. 133 So die Zahlen des BVerfG 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92 u.a., BVerfGE 89, 155 (173) – Maastricht; es handelte sich ursprünglich um eine Prognose von Delors, Bull. EG 1988 Nr. 7/8, 124. 134 Möllers, JZ 2002, 121 ff.; Herresthal, in Langenbucher, Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2013, § 2 Rn. 35 ff.; Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. 2010, insbesondere 143 ff. 135 Art. 4 Abs. 3 Uabs. 1 EUV. Calliess/Ruffert/Kahl, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 4 EUV Rn. 34 ff.; Streinz/Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 4 EUV Rn. 30 ff. 136 Pernice, EuR 1996, 27 (33); Zuleeg, JZ 1994, 1 (2); Möllers, Die Rolle des Rechts im Rahmen der europäischen Integration, 1999, 73. 137 EuGH 8.3.2011 – C-1/09, EU:C:2011:123, Rn. 66 ff. – Europäisches Patentgericht. 138 Möllers (Fn. 32) § 8 Rn. 118 ff. 139 „multilevel system“, s. Remien, RabelsZ 62 (1998), 627, 630; Schmid, ZfRV 1999, 213 (214); Pernice, 36 Common Mkt.L.Rev. 703 ff. (1999); Wollenschläger in Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 23 Rn. 17 m.w.Nachw. 140 Zur Übersicht s. Möllers (Fn. 32) § 8 Rn. 102. 141 Möllers (Fn. 32) § 8 Rn. 90 m.w.Nachw. 142 Gesetz [...] zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung [...] v. 28.4.2017, BGBl. I, 969 f. 143 EuGH 4.7.2006 – C-212/04, EU:C:2006:443, Rn. 110 f. – Adeneler. S. auch BGH 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27, Rn. 21 – Quelle; Babusiaux, Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht, 2007, 137 f.; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 4. Aufl. 2016, Rn. 107; Möllers, EuR 1998, 20 (44); Canaris, in FS Bydlinski, 2002, 47 (81). 144 EuGH 19.11.1991 – C-6/90 u.a., EU:C:1991:428, Rn. 43 – Francovich; EuGH 5.3.1996 –C- 46/93u.a., EU:C:1996:79, Rn. 67 – Brasserie du Pêcheur; Ehlers, JZ 1996, 776 (777 f.); Papier/Shirvani in MüKoBGB, 7. Aufl. 2017, § 839 Rn. 99, 103; Sprau in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 839 Rn. 5, 6a, 8. 145 BGH Urt. v. 24.10.1996 – III ZR 127/91, BGHZ 134, 30 (37) – Brasserie du Pêcheur; BGH 14.12.2000 – III ZR 151/99, BGHZ 146, 153 (158 f.) – Fleischuntersuchungsgebühren; Wöstmann in Staudinger, BGB, Neubearb. 2012, § 839 Rn. 524. 146 BVerwG 17.2.1993 – 11 C 47/92, BVerwGE 92, 81 (85 f.) – Rückforderung von rechtswidrigen Beihilfen; BVerfG 17.2.2000 – 2 BvR 1210/98, NJW 2000, 2015, 2016 – Alcan. 147 BGH Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 (36) – Quelle. 148 Ausführlich Möllers (Fn. 32) § 8 Rn. 55 ff. 149 BAG 5.3.1996 – 1 AZR 590/92, BAGE 82, 211 (230) - Kalanke. Weiterführend Möllers, in FS Siekmann, 2019 (im Erscheinen). Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 25 von 27 11/8/2022 150 EuGH 27.1.2005 – C-188/03, EU:C:2005:59, Rn. 29 - Junk. 151 Ausführlich zum Wechsel von MAD zur MAR s. Möllers, ZEuP 2016, 325 (352 ff.). 152 BGH 13.11.2001 – X ZR 134/00, BGHZ 149, 165 (173); EuGH 5.10.2004 – C-397/01 u.a., EU:C:2004:584, Rn. 114 – Deutsches Rotes Kreuz; EuGH 13.3.2008 – C-383/06 u.a., EU:C:2008:165, Rn. 29 Nr. 7. 153 So bereits Lutter, JZ 1992, 593 (604); Möllers (Fn. 136) 74 ff.; Kötz, in FG 50 Jahre BGB, Bd. II, 2000, 825, 831; Rösler, Europäische Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Zivilrechts, 2012, 437 ff.; Gsell, AcP 214 (2014), 99 (141 ff.). 154 Die Deutsche Richterakademie in Trier tut dies seit Jahren. Vergleichbares gilt für Notare, s. § 14 Ab. 6 BNotO und Jerschke, in FS Schippel, 1996, 667 ff. 155 Ausführlich Möllers (Fn. 32) § 14 Rn. 65 ff. 156 S. oben II. 157 Zur Relevanz und Bedeutung s. Möllers (Fn. 32) § 4 Rn. 39 ff. 158 Ähnlich Larenz (Fn. 33) 320; ebenso für den angloamerikanischen Rechtskreis MacCormick, 6 Ratio Juris (1993), 16, 22. 159 Meier-Hayoz, Der Richter als Gesetzgeber, 1951, 42. 160 Gern, VerwArch 80 (1989), 415 (419). 161 Möllers (Fn. 32) § 11 Rn. 25. 162 Auch Schünemann, in FS Klug, 1983, 169 (185) geht von einer vierten Stufe der Rechtsgewinnung contra legem aus, ohne diese allerdings näher auszuführen. 163 Hierzu Möllers (Fn. 32) § 14 Rn. 68 ff. Zippelius (Fn. 31) 47, 51 fordert bei der Wahl der Auslegungsargumente eine möglichst gerechte Problemlösung. Unscharf verlangt Bydlinski (Fn. 37) 565 eine Begleitkontrolle nach den Kriterien der Rechtsidee. A.A. Rüthers/Fischer/Birk (Fn. 31) Rn. 992 f., wonach die Methodenlehre über keine materiellen Kriterien der Gerechtigkeit verfügen würde. 164 Rückert/Seinecke, in Rückert/Seinecke, Methodik des Zivilrechts – von Savigny bis Teubner, 2. Aufl. 2012, Rn. 72 ff. 165 Ähnlich Morlok (Fn. 64) 189 (207 f.). 166 Zu der überzeugenden, aber nicht einzig möglichen Entscheidung, s. Möllers (Fn. 32) § 1 Rn. 26 ff. sowie Laudenklos/Rohls/W. Wolf, in Rückert/Seinecke, Methodik des Zivilrechts – von Savigny bis Teubner, 2. Aufl. 2012, Rn. 1531, 1549. 167 S. oben I.3.a). Fischer-Lescano/Christensen, Der Staat 44 (2005), 213 (224); ausführlich Möllers (Fn. 32) § 1 Rn. 59 ff. 168 Herdegen, JZ 2004, 873 (877). 169 Hierzu Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, 150. 170 So Esser, AcP 172 (1972), 97 (113). 171 Laudenklos/Rohls/W. Wolf (Fn. 166) 1531 (1549). 172 So die h.M., u.a. Larenz (Fn. 33) 343 ff.; Looschelders/W. Roth, Juristische Methodik in der Rechtsanwendung, 1996, 193; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, 126; BGH 30.6.1966 – K ZR 5/65, BGHZ 46, 74 (79) – Preisbindung von Schallplatten. 173 Als zwingender Vorrang bezeichnet bei Alexy/R. Dreier, in Statutory Interpretation, 1991, 73 (95); Möllers, in FS Roth, 2011, 473 (487). Allgemein Möllers (Fn. 32) § 1 Rn. 74. 174 BVerfG 11.10.1978 – 1 BvR 84/74, BVerfGE 49, 304 (320) – Sachverständigenhaftung. 175 S. oben V.2. A.A. aber Martens (Fn. 69) 500. 176 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1983, 305; Canaris, JZ 1987, 543 (546); Wolf/Neuner (Fn. 98) § 4 Rn. 74; Reimer (Fn. 39) Rn. 701. 177 Möllers (Fn. 32) § 6 Rn. 3 ff. Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 26 von 27 11/8/2022 178 Möllers (Fn. 32) § 8 Rn. 76 ff. A.A. aber Canaris, in FS Kramer, 2004, 141 (145); Canaris, in FS Bydlinski, 2002, 47 (66 ff.); zustimmend Langenbucher (Fn. 134) § 1 Rn. 92 ff. 179 BVerfG 6.10.1981 – 2 BvR 1290/80, BVerfGE 58, 163 (168) – Willkürverbot; BVerfG 5.1.1985 – 2 BvR 1434/83, BVerfGE 71, 122 (135 f.); Bydlinski (Fn. 37) 81; Rennert, NJW 1991, 12. 180 Braun, Deduktion und Invention, 2016, 263 spricht vom „starting point“ für andere Regel als die der Gesetzesauslegung. 181 Braun (Fn. 180) 169. 182 Wolf/Neuner (Fn. 98) § 4 Rn. 74. 183 Säcker in MüKoBGB, 8. Aufl. 2018, Einl. Rn. 115: „Formalargumente“; ähnlich MacCormick, 6 Ratio Juris, 16, 22 (1993): „formalistic“ or „legalistic“. 184 Entscheidend ist, welcher Regelungszweck der Norm zugrunde liegt. S. für den Mutter-Kind-Fall, Möllers (Fn. 32) § 1 Rn. 28. 185 Ausführlich Kriele (Fn. 37) 85 ff.; Engisch (Fn. 33) 146 ff.; Bydlinski (Fn. 37) 553 ff.; Zippelius (Fn. 31) 50; Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. 3, 1976, 684; Vogel (Fn. 84) 120; Sachs in Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Einf. Rn. 39; Esser (Fn. 14) 123; Hassemer, Rechtstheorie 39 (2008), 1, 8 f., 12 f. 186 Hassemer/Kübler, 58. DJT 1990, E 88 f. m.w.Nachw. Zu einer weiteren Facette juristischen Denken s. oben I.3.b). 187 S. etwa die Diskussion von Grundmann, JZ 2013, 693 (695); Gutmann, JZ 2013, 697 ff.; Hillgruber, JZ 2013, 700 (701 ff.); Lorenz, JZ 2013, 704 (705 ff.); Rixen, JZ 2013, 708 (709 ff.); Stolleis, JZ 2013, 712 ff. Vorher bereits Heinig/Ch. Möllers, FAZ v. 23.3.2011 und Canaris/Schmidt, FAZ. 6.4.2011. Vorher bereits Wassermann, JZ 1983, 788 (791); Hassemer/Kübler, 58. DJT 1990, E 89. 188 Rixen, JZ 2013, 708 (711). 189 Wissenschaftsrat (Fn. 4) 36. 190 Kritisch insoweit auch Rixen, JZ 2013, 708 (710); in der Sache auch Lorenz, JZ 2013, 704 (707). 191 Röhl (Fn. 18) 609; ähnlich Kötz, RabelsZ 54 (1990), 203 (215): „wo es doch eigentlich in der Juristenausbildung darum gehen müßte, daß es die jungen Leute lernen, sich unter Bedingungen juristischer Unsicherheit wohlzufühlen“. 192 Zur Verobjektivierungs-, Systematisierungs- und Kontrollfunktion der Juristischen Methodenlehre s. oben I.3.c). 193 Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1912, 82 ff.; Kaufmann, Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 1997, 169 ff. Oder in den Worten von Simon: Mit der Kenntnis der Methodenlehre wird vielleicht Recht „schwerer werden, aber auch schöner, weil ehrlicher und – wenn es denn in ferner Zukunft weitgehend auf dem zwanglosen Zwang der besseren Argumente ruht – überzeugender und deshalb gerechter,“ Simon, Recht als Rhetorik – Rhetorik als Recht, in Grimm/Kemmerer/Ch. Möllers, Gerüchte vom Recht, 2015, 201 (225). Kopie von Masaryk University , abgerufen am 08.11.2022 18:50 - Quelle: beck-online DIE DATENBANK http://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZFPW-B-2019-S-94-N-1 27 von 27 11/8/2022