Die ersten Jahre mit der Europäischen Insolvenzverordnung Erfahrungen und Erwartungen Von Christoph G. Paulus, Berlin Inhaltsübersicht I. Erkenntnisgewinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 II. Aktuelle Hauptprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 1. Artikel 3: Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen . . . . . . . . . 460 2. Artikel 31: Zusammenarbeit der Verwalter . . . . . . . . . . . . . . . . 464 III. Potentielle künftige Hauptprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 1. Artikel 4: Was ist Insolvenzrecht? und: Wie sind die prozessualen Zuständigkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 2. Artikel 1 und 2 lit. a: Insolvenzrechtsänderungen . . . . . . . . . . . . . 469 3. Forderungsanmeldungen nach Art.32 I und II . . . . . . . . . . . . . . 470 IV. Einfluß des europäischen auf das deutsche Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . 472 I. Erkenntnisgewinne Bis zum Inkrafttreten der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) am 31.5. 2002 galt das Internationale Insolvenzrecht vielen Insolvenzrechtlern als eine Materie, die man ruhigen Gewissens einigen wenigen Spezialisten überlassen könnte, weil entsprechende Fälle ohnedies nicht allzu häufig vorkommen würden. Internationales Insolvenzrecht wurde, wie es einmal ein Insolvenzverwalter formuliert hat, als Esoterik apostrophiert. Das gehört jetzt der Vergangenheit an: Das Europäische Gesetz ­ und vor allem seine schnell gespürte praktische Anwendung ­ hat ein ziemlich deutliches Umdenken bewirkt. Aus der Esoterik ist zwischenzeitlich eine brandaktuelle und breiter Aufmerksamkeit gewisse Materie geworden, was vor allem dem Agieren unternehmensfreudiger, insbesondere englischer Verwalter zu danken ist. Die Gründe, die zu dieser ursprünglichen Einschätzung geführt haben und die sich heute noch beispielsweise darin äußern, daß in Deutschland der Anschluß an RabelsZ Bd.70 (2006) S.458­473 2006 Mohr Siebeck ­ ISSN 0033-7250 45970 (2006) ausländische und internationale Entwicklungen nur äußerst zögernd gesucht wird, sind vielfältig. Sie dürften sich aber wohl im wesentlichen auf die Schwerkraft zurückführen lassen, die das Beharren in altvertrauten Bahnen und Denkmustern nun einmal auslöst. So ist es beispielsweise weltweit Allgemeinwissen unter den international tätigen und agierenden Insolvenzrechtlern, daß der Zusammenbruch von Konzernen in diesem Bereich der einseitig dominierende Typus von Insolvenzen ist. Und doch verharrt man vielfach unbeirrt auf dem Grundsatz, daß Konzerninsolvenzen am besten so abgewickelt werden, daß jedes Unternehmen einen separierten Insolvenzfall darstellt1 . Ein vergleichbar fundamentales Verharren ­ das übrigens wohl eng mit dem vorbezeichneten retardierenden Moment zusammenhängt ­ ergibt sich daraus, daß man in Deutschland erst allmählich auf breiterer Front beginnt, den völlig neuen Denkansatz zu internalisieren, der sich aus der Einführung eines Sanierungsverfahrens in Gestalt der §§217ff. InsO ergibt2 . Es ist nämlich nur aus der Liquidationsperspektive verständlich (die der alten, bis 1998 geltenden Konkursordnung zugrunde lag), daß der besagte Grundsatz das Konzerninsolvenzrecht dominiert3 und daß die Insolvenzrichter (teilweise mit kräftiger Unterstützung von seiten der Insolvenzverwalter) auf dem alteingesessenen Privileg und Machtinstrument verharren, denjenigen Sanierungsexperten für ungeeignet als Insolvenzverwalter im Sinne des §56 InsO anzusehen, der bei dem insolvenzantragstellenden Schuldner ein Sanierungskonzept bereits im Vorfeld ausgearbeitet hat. Schlichteste ökonomische Vernunft würde in einem solchen Fall nahelegen, daß eben diese Person das begonnene Konzept für die Sanierung des Unternehmens als Verwalter im Verfahren zu Ende führt4 . Schließlich sei noch als ein dritter Beleg für das Denken in althergebrachten Bahnen angeführt, daß es in Deutschland ganz allgemein ohne großen Widerspruch hingenommen wird, daß das Insolvenzrecht auch unter der Ägide der neuen Insolvenzordnung nicht von dem Makel weggekommen ist, einer der größten Arbeitsplatzvernichter im Wirtschaftsgeschehen zu sein. Überlegungen, ein dem eigentlichen Insolvenzverfahren vorgeschaltetes Abwendungsverfahren ­ beispielsweise nach dem Vorbild der jüngsten Reform in Frankreich ­ einzuführen, werden so gut wie gar nicht angestellt. 1 Hiergegen Paulus, Überlegungen zu einem modernen Konzerninsolvenzrecht: ZIP 2005, 1947 ­ mit prompter Entgegnung durch Sester, Plädoyer gegen ein materielles Konzerninsolvenzrecht: ebd. 2099. Siehe aber auch bereits Piepenburg, Faktisches Konzerninsolvenzrecht am Beispiel Babcock Borsig: Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung (NZI) 7 (2004) 231; Eidenmüller, Verfahrenskoordination bei Konzerninsolvenzen: ZHR 169 (2005) 528. Siehe jetzt auch Baird, Substantive Consolidation Today: Boston Coll.L.Rev. 47 (2005) 5. 2 Hierzu etwa Paulus, Die Insolvenz als Sanierungschance ­ ein Plädoyer: ZGR 34 (2005) 309. 3 Hierzu Paulus, Über den Einfluß des Europäischen Insolvenzrechts auf das deutsche Insolvenzwesen, in: Verschuldung, Haftung, Vollstreckung, Insolvenz, FS Kreft (2004) 469 (471). 4 Dazu Paulus, Notwendige Änderungen im Insolvenzrecht!?: ZIP 2005, 2301, mit prompter Entgegnung von Bork, Die Unabhängigkeit des Verwalters ­ ein hohes Gut: ZIP 2006, 58. die ersten jahre mit der euinsvo 460 RabelsZ Alle diese Defizite kann die EuInsVO nicht beseitigen, aber doch deutlich bemerkbar machen. Bislang führt dies in steigendem Maße dazu, daß ausländische (und auch hier wieder vornehmlich englische) Verwalter und Anwälte aufgrund ihrer größeren Flexibilität Geschäftsfelder für sich entdecken, die die deutschen Kollegen haben brach liegenlassen. Auf einen schlichten Nenner gebracht: Die Europäisierung macht auch vor dem Insolvenzrecht nicht halt; sie nötigt die Akteure vielmehr dazu, sich von althergebrachten Denkbahnen zu verabschieden und sich auf Neues einzustellen. II. Aktuelle Hauptprobleme Anders als in der vor Inkrafttreten der Verordnung veröffentlichten Literatur angenommen, waren und sind die großen Fragen der Verordnung nicht etwa solche der Behandlung von Sicherungsrechten, die in den Artt.5 und 7 EuInsVO allerdings tatsächlich eine konfliktträchtige Regelung erfahren haben5 . Es ist natürlich nicht auszuschließen, daß künftighin die Aufmerksamkeit dorthin gelenkt werden wird; doch wird das wohl noch einige Zeit dauern. Denn bislang ist das Gefechtsfeld (vom Ablauf eines Verfahrens her gesehen) viel weiter vorgelagert ­ vornehmlich bei der Frage nämlich, welchem Mitgliedstaat die Eröffnungszuständigkeit überhaupt zugewiesen ist. Außerdem zeigten sich schon schnell faktische Probleme bei der Umsetzung dessen, was die Verordnung zur Eindämmung des Effizienzverlustes vorgesehen hat, der mit einer Aufspaltung eines einheitlichen Insolvenzfalles in mehrere Verfahren einhergeht - nämlich die Pflicht der Verwalter, ihre jeweiligen Insolvenzverfahren miteinander zu koordinieren. Von diesen beiden Problemkreisen ist hier, wo es um die derzeitigen Hauptprobleme geht, zu berichten. 1. Artikel 3: Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen Ein Schreckgespenst im Internationalen Insolvenzrecht stellt die Eröffnung zweier Hauptverfahren in ein und demselben Fall dar. Geschehen ist das tatsächlich in dem aus mehreren Gründen hochinteressanten Fall Maxwell6 . Dort begann 5 Aus der reichhaltigen Literatur etwa Flessner, Dingliche Sicherungsrechte nach dem Europäischen Insolvenzübereinkommen, in: FS Drobnig (1998) 277; Naumann, Die Behandlung dinglicher Kreditsicherheiten und Eigentumsvorbehalte nach den Artikeln 5 und 7 EuInsVO sowie nach autonomem deutschen Insolvenzkollisionsrecht (2004); Scherber, Europäische Grundpfandrechte in der nationalen und internationalen Insolvenz im Rechtsvergleich (2004); Plappert, Dingliche Sicherungsrechte in der Insolvenz, Eine rechtsvergleichende Analyse unter Berücksichtigung der Rechtslage bei grenzüberschreitenden Insolvenzen nach Art.5 EuInsVO (erscheint 2006). 6 Dazu etwa Göpfert, In Re Maxwell Communications ­ ein Beispiel einer koordinierten Insolvenzverwaltung in parallelen Verfahren: ZZP Int 1 (1996) 269; Flaschen/Silverman, The Role of the Examiner as Facilitator and Harmonizer in the Maxwell Communication Corporation Insolvency, in: Current Developments in International and Comchristoph g. paulus 46170 (2006) das Verfahren (übrigens ­ natürlich ­ auch eine Konzerninsolvenz, in der ca. 800 Unternehmen verstrickt waren) damit, daß in New York und in London das Verfahren eingeleitet wurde. Da Insolvenzverwalter überall dort, wo das Universalitätsprinzip gilt, zur Vermeidung der persönlichen Haftung gehalten sind, die Masse des Schuldners einzusammeln, wo immer sie weltweit belegen sein mag, war der wechselseitige Verdrängungswettbewerb der beiden Verwalter in New York und in London vorprogrammiert. Das ebenso hinlänglich bekannte wie nutzlose Arsenal der anti-suit-injunctions wurde selbstverständlich bemüht, was in letzter Konsequenz einen ungeheuerlichen Wohlstandsgewinn der involvierten Juristen bedingt, die betroffenen Gläubiger aber mit einer Null-Quote zurückgelassen hätte7 . Um dieses Schreckgespenst zu bannen, sind die Verfasser des damals noch als Übereinkommen intendierten Regelungswerks auf die Idee verfallen, die (allein durch die eng gezogenen Schranken des ordre public begrenzte) Eröffnungszuständigkeit dort zu verorten, wo der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Diese Festlegung (die nicht von ungefähr an den §3 I 2 der deutschen Insolvenzordnung [InsO] angelehnt ist) hat sofort Karriere gemacht, indem sie von den parallel verlaufenden Verhandlungen zu dem von UNCITRAL geplanten und inzwischen abgeschlossenen Modellgesetz8 übernommen wurde und dank dessen inzwischen weiter Verbreitung ­ insbesondere der Ende 2005 erfolgten Übernahme durch das US-amerikanische Konkursrecht9 ­ fast schon weltweite10 Geltung beanspruchen kann. Indem also Art.3 I EuInsVO bestimmt, wo dasjenige Insolvenzverfahren zu eröffnen ist, von dem aus die Insolvenz europaweit (das heißt auf den Bereich der 24 Mitgliedstaaten11 beschränkt) abgewickelt werden soll, und indem nach völlig herrschender Ansicht ein (tatsächlicher oder behaupteter) Verstoß gegen die korrekte Anwendung dieses Tatbestandsmerkmals in aller Regel keine Verletzung parative Corporate Insolvency Law, hrsg. von Ziegel (Oxford 1994) 621; Westbrook, The Lessons of Maxwell Communication: Fordham L.Rev. 64 (1996) 2531; ders., International Judicial Negotiation: Texas Int. L.J. 38 (2003) 567 (572). 7 Man löste das Problem ebenso salomonisch wie innovativ ­ nämlich mit Hilfe eines sogenannten Protokolls, mit dem die Verwalter und Richter ihren jeweiligen Betätigungsbereich miteinander koordinierten. Vgl. dazu Paulus, Protokolle ­ ein anderer Zugang zur Lösung grenzüberschreitender Insolvenzen: ZIP 1998, 977; siehe auch (in einem weiteren Kontext) Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag (2004). 8 UNCITRAL Model Law on Cross-Border Insolvency, im Internet unter www.uncitral.org . Dazu etwa Wimmer, Die UNCITRAL-Modellbestimmungen über grenzüberschreitende Insolvenzverfahren: ZIP 1997, 2220. 9 Dazu Rüfner, Neues internationales Insolvenzrecht in den USA: ZIP 2005, 1859; Paulus, Das neue Internationale Insolvenzrecht der USA: NZI 8 (2005) 439. 10 Nachdem zunächst nur Eritrea das Modellgesetz übernommen hatte, haben sich inzwischen folgende Staaten diesem Vorbild angeschlossen: Japan, Mexiko, Polen, Rumänien, Südafrika, Montenegro, British Virgin Islands, die Überseeterritorien von Großbritannien und Nordirland, sowie die USA sowie ­ seit April 2006 ­ Großbritannien. 11 Dänemark hat sich als einziger Mitgliedstaat der EU nicht dem Anwendungsregime der Verordnung unterworfen, vgl. Erwägungsgrund 33 der Verordnung EG Nr.1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 29.5. 2000, ABl. EG L 160/1. die ersten jahre mit der euinsvo 462 RabelsZ des ordre public im Sinn des Art.26 EuInsVO darstellt12 , ist das Hauptverfahren immer dort eröffnet, wo das erste angegangene Gericht eines Mitgliedstaates auf Grund eines bei ihm gestellten Antrags erkennt, daß ebendort der besagte Mittelpunkt des Schuldners belegen ist. Nicht nur, daß durch die Anwendung dieser Vorschrift in Deutschland erkennbar wurde, daß man sich mit der hierzulande üblichen dreimonatigen Eröffnungsphase auf der zum Überholen geradezu einladenden Kriechspur befand; man mußte überdies bemerken, daß diese Regelung schon gleich von Anbeginn an von den Engländern im Sinne eines Gerichtsstandes für Konzerninsolvenzen verstanden wurde. In ­ zugegeben ­ sehr freier Handhabung des (allerdings nur) in Erwägungsgrund 13 angesprochenen Erkennbarkeitsprinzips sowie in einer souveränen Zurückdrängung der in Art.3 I 2 niedergelegten Vermutungswirkung erklärten englische Gerichte zum Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen konzernierter Unternehmen denjenigen Ort, an dem sich der ­ wie es heute üblicherweise formuliert wird ­ mind of management befindet; für Tochterunternehmen wurde dieser mind praktisch immer am Sitz der Muttergesellschaft angenommen. Auf diese Weise wurde in die Verordnung hineingelesen, was diese ausweislich des erläuternden Berichts von Virgós/Schmit13 gerade nicht regeln wollte. Nach einem nahezu paneuropäischen Aufschrei gegenüber diesem englischen Gebaren (in Deutschland kulminierte er in dem so genannten Daisytec-Verfahren14 ), der freilich durch eine ­ diplomatisch ausgedrückt ­ unglückliche Judikatur provoziert worden war, beruhigten sich die Geister jedoch ein wenig, als man auf dem Kontinent schließlich entdeckte, daß diese Argumentation auch für eigene Zwecke nutzbar gemacht werden konnte. In Deutschland brachte insbesondere der Hettla- ge-Fall15 wenn nicht eine Art von Umdenken, so doch eine gewisse Neuorientierung im Verständnis; in Italien war dies der Parmalat-Fall. Die Gegner eines durch die Rechtsprechung geschaffenen Konzerninsolvenzrechts sind allerdings noch deutlich in der Überzahl16 . Einen Lichtblick für ihre 12 Siehe nur statt aller OLG Wien 9.11. 2004, NZI 8 (2005) 56 (58) mit Anm. Paulus; anderer Ansicht Mankowski, EWiR 2003, 767. 13 Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren, deutsche Übersetzung abgedr. in: Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, hrsg. von Stoll (1997) S.32 (S.60f. Tz.75f.). 14 Siehe High Court of Justice in Leeds 16.5. 2003, ZIP 2003, 1362; AG Düsseldorf 6.6. 2003, ZIP 2003, 1363 = IPRspr. 2003 Nr.218. Zum Ganzen Paulus, Zuständigkeitsfragen nach der Europäischen Insolvenzverordnung: ZIP 2003, 1725. 15 AG München 4.5. 2004, ZIP 2004, 962; dazu EWiR 2004, 493 (Paulus). 16 Statt vieler Ehricke, Die Zusammenfassung von Insolvenzverfahren mehrerer Unternehmen desselben Konzerns: Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht (DZWIR) 1999, 353ff.; ders., Zur gemeinschaftlichen Sanierung insolventer Unternehmen eines Konzerns: Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO) 2002, 393ff.; ders., Die neue Europäische Insolvenzverordnung und grenzüberschreitende Konzerninsolvenzen: EWS 2002, 101ff.; Lüer, Art.3 Abs.1 EuInsVO ­ Grundlage für ein europäisches Konzerninsolvenzrecht oder Instrumentarium eines Insolvenz-Imperialismus?, in: FS Günter Greiner (2005) 201 (213f.); van Daal/van der Meer, The COMI argument: A conflict of minds: Eurofenix (The Journal of INSOL Europe) Winter 2005, 16f.; siehe auch Eidenmüller, Verfahrenskoordination bei Konzerninsolvenzen: ZHR 169 (2005) 528 (560­563). christoph g. paulus 46370 (2006) Haltung können sie in dem Schlußantrag des Generalanwalts Jacobs sehen, der in dem zumindest mittelbar diese Frage betreffenden und demnächst vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verbescheidenden Fall Eurofood erstellt worden ist17 . Dort wird dem Gericht hinsichtlich eines Gerichtsstandes für Konzerninsolvenzen empfohlen, im wesentlichen im Sinne der Übereinkommensverfasser und des Wortlauts der Norm zu entscheiden. Freilich ist gegenüber dieser durchaus gewichtigen Argumentation zu beden- ken18 , daß die Verordnung (bzw. das nahezu wortgleiche Übereinkommen) zu einer Zeit verfaßt wurde ­ Mitte der neunziger Jahre ­, in der das Konzerninsolvenzrecht tatsächlich noch nicht im allgemeinen Bewußtsein verankert war. In den gut zehn Jahren seither hat sich jedoch insolvenzrechtlich mehr verändert als Jahrhunderte zuvor insgesamt. Das hängt mit globaler Wirtschaftspolitik zusammen, die nach der Finanzkrise der sogenannten Tigerstaaten ­ Japans, Rußlands und Brasiliens ­ (ebenfalls Mitte der neunziger Jahre) dazu geführt hat, daß zunächst der Internationale Währungsfonds19 , sodann die Weltbank20 und schließlich auch UNCITRAL21 sich des Insolvenzrechts angenommen und Leitlinien für eine entsprechende Gesetzgebung verfaßt haben. Insbesondere der Legislative Guide on Insolvency Law von UNCITRAL enthält sehr ausführliche Regelungen zum Konzerninsolvenzrecht, das überdies voraussichtlich Gegenstand weiterer Erörterungen dieser Institution sein soll. Darüber hinaus ist, gleichgültig wie die Entscheidung des EuGH im Eurofood-Fall ausfällt, in Erinnerung zu behalten, daß das Tatbestandsmerkmal Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen eben nicht mehr nur eine Frage europäischen Rechts ist, sondern künftighin auch von den Gerichten etwa der USA oder Japans judiziert wird. Insbesondere in den USA ist man bekanntlich neuerungsfreudiger, so daß im Falle einer retardierenden EuGH-Entscheidung Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung zur Modernität vorherzusehen sind. Die jüngst ergangene erste Entscheidung des EuGH zur Verordnung wird man schwerlich als Indiz in die eine oder die andere Richtung werten können. In ihr hat dieses Gericht auf Anfrage des Bundesgerichtshofs (BGH) hin entschieden, daß ein Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat nach Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die einmal begründete Zuständigkeit nicht mehr zu verändern vermag ­ daß also der Antrag eine Art perpetuatio fori begrün- det22 . 17 Abgedruckt etwa in: ZIP 2005, 1878. 18 Zum Folgenden Paulus, On Advocate General Jacobs' Opinion in the Eurofood Case: GlobalTurnaround, November 2005, 10f. 19 Orderly & Effective Insolvency Procedures: www.imf.org/external/pubs/ft/orderly/ . Dazu Paulus, Der Internationale Währungsfonds und das Internationale Insolvenzrecht: IPRax 1999, 148ff. 20 Insolvency and Creditor Rights Systems Principles, 2001 (in revidierter Fassung nunmehr ­ in Zusammenlegung mit den UNCITRAL Guidelines ­ als Insolvency and Creditor Rights Standard, 2005); beides auf der Website der Weltbank www.worldbank.org . 21 Legislative Guide on Insolvency Law (New York 2005); im Internet unter www.uncitral.org . 22 EuGH 17.1. 2006, Rs. C-1/04 (Susanne Staubitz-Schreiber), ZIP 2006, 188. die ersten jahre mit der euinsvo 464 RabelsZ 2. Artikel 31: Zusammenarbeit der Verwalter Ein weiteres, großes Problem ist weniger rechtlicher Art als vielmehr Resultat der nun einmal für jede Rechtsverwirklichung unabdingbaren Umsetzung des normierten in praktiziertes Recht. Zunächst aber zum Rechtlichen23 : Artikel 31 EuInsVO schreibt den Verwaltern von Haupt- und Sekundärverfahren vor, daß sie miteinander zu kooperieren, sich gegenseitig zu informieren und die Sekundärverwalter (auf Anregung des Hauptverwalters) ihre Verfahren an das Hauptverfahren anzupassen haben. In den nachfolgenden Artikeln werden einzelne dieser Aufgaben noch präzisiert und erweitert. Wie schon erwähnt, dient diese Regelung dazu, das aus faktischen Gründen derzeit noch nicht radikal umsetzbare reine Universalitätsprinzip, dem zufolge die Insolvenz eines Schuldners in einem Verfahren nach Maßgabe nur eines einzigen Rechts abgewickelt wird, wenigstens dergestalt zu fördern, daß der mit der Aufsplitterung in mehr als nur ein Verfahren einhergehende Effizienzverlust soweit als möglich gemildert wird. Das geschieht nach der Absicht der Gesetzesverfasser in der Weise, daß die beteiligten Verwalter miteinander in professioneller Weise kommunizieren und, geleitet von der Idee, aus dem ideell als Einheit zu verstehenden Insolvenzverfahren das Bestmögliche für die betroffenen Gläubiger herauszuholen, zu einer einvernehmlichen Lösung kommen. An dieser Stelle ist als rechtliches Defizit noch anzufügen, daß die Nichterwähnung der Richter in der genannten Vorschriftengruppe außerordentlich zu bedauern ist. Zwar mag es dem seit Jahrhunderten eingefahrenen, kontinentaleuropäischen (im Gegensatz zum anglo-amerikanischen) Richterbild24 nicht gemäß sein, daß der Richter derart aktiv in ein Verfahren eingreift und Seite an Seite mit dem Verwalter zur Verwirklichung des Verfahrenszieles beiträgt. Doch sollte spätestens seit dem oben schon erwähnten Maxwell-Fall und dem dort neu eingeführten (inzwischen schon vielfach wiederholten) Protokoll25 als potentiellen Schwerthieb durch den gordischen Knoten eines in vielfältigen, durch nationale Rechte verstrickten und gegebenenfalls unlösbaren Falles klar geworden sein, daß man umdenken und auch die hiesigen Richter stärker in die Verfahren einbeziehen sollte. Dies um so mehr, als es auch innerhalb der verschiedenen Rechtsordnungen auf dem Kontinent Richteraufgaben gibt, deren Intensität in bezug auf einen steuernden Eingriff auf das Verfahren heftig divergiert. 23 Ehricke, Verfahrenskoordination bei grenzüberschreitenden Unternehmensinsolvenzen, in: Aufbruch nach Europa, 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht (2001) 337; ders., Die Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter bei grenzüberschreitenden Insolvenzen nach der EuInsVO: WM 2005, 397; Staak, Mögliche Probleme im Rahmen der Koordination von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nach der Europäischen Insolvenzverordnung: NZI 7 (2004) 480; Vallender, Aufgaben und Befugnisse des deutschen Insolvenzrichters in Verfahren nach der EuInsVO: KTS 2005, 283; Westbrook, International Judicial Negotiation: Texas Int. L.J. 38 (2003) 567. 24 Hierzu etwa: Europäische und amerikanische Richterbilder, hrsg. von Gouron/Mayali/Padoa Schioppa/Simon (1996). 25 Dieses erste Protokoll ­ wie danach noch viele weitere ­ wurde nicht nur von den Verwaltern, sondern auch von den beteiligten Richtern unterzeichnet und damit getragen. christoph g. paulus 46570 (2006) Nun zum Faktischen ­ oder präziser: Psychologischen: Die bisherigen Erfahrungen legen den Verdacht nahe, daß hinsichtlich der professionellen Umsetzung der Vorgaben in der Verordnung noch erheblicher Nachholbedarf besteht. Nicht nur, daß dem Vernehmen nach die in Art.31 I und II EuInsVO mit Bedacht vorgesehene wechselseitige Informations- und Zusammenarbeitspflicht de facto gern so verstanden wird, daß nur der Verwalter des Sekundärverfahrens ihr zu entsprechen hat, während der Verwalter des Hauptverfahrens auch weiterhin ungetrübt und unbeeinflußt seine Kreise zieht. Hier wird ein wenig schmerzhaft erkennbar, daß der Typus des Insolvenzverwalters (wenn es denn so etwas tatsächlich gibt und was hier nur um einer groben Charakterisierung willen unterstellt werden soll) eher der eines Einzelkämpfers als der eines Teamworkers ist. Die Vorstellung, Verwalter eines Hauptverfahrens zu sein, verleitet da schnell zu der Annahme, der Hauptverwalter zu sein. Aber nicht nur das: Die heftigen Gegenreaktionen in einer durchaus stattlichen Anzahl von nationalen Gerichtsentscheidungen auf die Inanspruchnahme von Zuständigkeit für die Verwirklichung der durch die Verordnung vorgesehenen begrenzten Universalität26 , die durch die automatische Wirkungserstreckung in den Artt.16 und 17 EuInsVO legitimiert wird ­ es genüge der Hinweis auf den Daisytec-Fall in Frankreich27 und in Deutschland28 , in Österreich etwa die Entscheidung des Landesgerichts Leoben29 oder in Tschechien die des Stadtgerichts Prag30 ­ lassen sich (erneut: dem Vernehmen nach) in weiten Teilen mit schlichtweg arrogant-dreistem Auftreten einzelner Akteure bei den ausländischen Behörden und Gerichten31 erklären. Hier gibt es auf nichtjuristischem Bereich viel nachzuholen, um dem Regelungsanliegen der Verordnung gerecht werden zu können. Das ihrem Erlaß und ihrer faktischen Wirkungskraft zugrundeliegende wechselseitige Vertrauen in die Adäquanz der jeweils anderen Insolvenzrechte32 sollte nicht bloß unterstellt, sondern in der tagtäglichen Anwendung erarbeitet, gepflegt und gefestigt werden. 26 Begrenzt ist diese Universalität, weil die Verordnung in einer bemerkenswerten Abschottung gegenüber dem Rest der Welt Geltungsanspruch nur für die Region der Mitgliedstaaten erhebt. Für den Bereich ebendieser Mitgliedstaaten huldigt die Verordnung also dem alten Territorialitätsprinzip. 27 Siehe (als korrigierende Zweitentscheidung) Cour ďappel Versailles 4.9. 2003, Rec. Dalloz 2003, 2352 mit Anm. Vallens; dazu EWiR 2003, 1239 (Mankowski). 28 AG Düsseldorf 6.6. 2003 (oben N.14); dazu EWiR 2003, 767 (Mankowski). 29 LG Leoben 31.8. 2005, NZI 8 (2005) 646 mit Anm. Paulus. 30 Stadtgericht Prag 26.4. 2005, ZIP 2005, 1431; dazu Herchen, Das Prioritätsprinzip im internationalen Insolvenzrecht: ebd. 1401. 31 Banal zu sagen ­ aber hierzu gehören eben auch die Richter, die die Verordnung jedoch nicht in den Pflichtenplan der Artt.31ff. EuInsVO einbezieht. 32 Vgl. Erwägungsgrund 22 (EG-VO Nr.1346/2000 [oben N.11]). Siehe auch Paulus/ Udink, European Law and Trust: Eurofenix, Spring 2004, 8f. die ersten jahre mit der euinsvo 466 RabelsZ III. Potentielle künftige Hauptprobleme Es kam bereits oben zur Sprache, daß sich die derzeitigen Hauptprobleme in Bereichen finden, die man zuvor gar nicht als problembeladen antizipiert hatte. Es steht aber zu erwarten, daß nach den eher pauschalen, direkten Fragen ­ In welches Land gehört dieses Verfahren? Wie arbeiten wir zusammen? ­ in der Anfangsphase der Verordnung alsbald schon feinere auftauchen und virulent werden, die dann Indikator dafür sein werden, daß man sich allmählich auf den grundlegenden Mechanismus der Verordnung eingestellt hat. Die nachfolgenden Ausführungen sind Mutmaßungen über das Potential einiger Problembereiche, zu derartigen Zentralfragen aufzusteigen. Dabei wird allerdings nicht noch einmal (auch wenn seine Bedeutung erheblich ist) das soeben schon angesprochene Kommunikationsproblem zwischen den aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten kommenden Akteuren thematisiert. Die Prognose ist jedoch nicht allzu gewagt, daß es noch lange ein heikles Unterfangen und in der Umsetzung von viel Fingerspitzengefühl abhängig sein dürfte, wenn beispielsweise ein lettischer, zypriotischer oder portugiesischer Verwalter in Deutschland oder Frankreich, oder aber ein englischer oder deutscher Verwalter in Litauen oder auf Malta die ihm durch die Verordnung eingeräumten Rechte realisieren will. 1. Artikel 4: Was ist Insolvenzrecht? und: Wie sind die prozessualen Zuständigkeiten? Artikel 4 ist eine der Zentralnormen der Verordnung. Er ordnet die Anwendbarkeit des Insolvenzrechts desjenigen Mitgliedstaates an, in dem das Hauptverfahren eröffnet worden ist; dieses Recht stellt mithin die lex concursus. Während in Abs.1 ganz allgemein auf das betreffende Insolvenzrecht Bezug genommen wird, konkretisiert Abs.2 Satz 1 dies dahingehend, daß damit gemeint ist, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist, bevor dann in Abs.2 Satz 2 eine umfangreiche Liste von beispielhaften Anwendungsfeldern erstellt ist. (1) Von diesem Befund ausgehend, wird in der deutschen Literatur derzeit viel darüber diskutiert, was von diesem Terminus Insolvenzrecht alles erfaßt sein mag und was nicht ­ insbesondere was wohl demgegenüber Gesellschaftsrecht ist und damit eben gerade nicht der lex concursus unterfällt33 . Man kommt dabei 33 Siehe jetzt Eidenmüller, in diesem Heft, S.474, und vorher Goette, Zur systematischen Einordnung des §64 Abs.2 GmbHG, in: FS Kreft (oben N.3) 53; U. Huber, Gesellschafterdarlehen in der Inlandsinsolvenz von Auslandsgesellschaften, in: Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, hrsg. von Lutter (2005) 132; ders., Die Insolvenzantragspflicht der Geschäftsführer von Auslandsgesellschaften: ebd. 307; Kindler, Die AschenputtelLimited und andere Fälle der Mehrfachqualifikation im Schnittfeld des internationalen Gesellschafts-, Delikts- und Insolvenzrechts, in: FS Jayme I (2004) 409; Ulmer, Gläubigerschutz bei Scheinauslandsgesellschaften: NJW 2004, 1201; Weller, Europäische Rechtschristoph g. paulus 46770 (2006) zu feinen Unterscheidungen, die bisweilen auch noch innerhalb eines Paragraphen nach den einzelnen Absätzen differenzieren ­ bevorzugt so bei §64 GmbHG. Die Frage, die sich angesichts aller dieser Bemühungen stellt, ist jedoch, ob das alles überhaupt Europa-kompatibel ist. Die Vermutung ist jedenfalls nicht abwegig, daß der EuGH dann, wenn er einmal mit diesen Fragen beschäftigt sein wird, sich zu einer verordnungsautonomen Festlegung dessen verstehen wird, was mit Insolvenzrecht in Art.4 EuInsVO gemeint ist. Er wäre gut beraten, wenn er sich dabei eine Grundsatzfrage einer jeden Insolvenzgesetzgebung vor Augen hielte, die in fast jedem der Mitgliedstaaten unterschiedlich beantwortet wird ­ wie weit nämlich Einfluß und Entscheidungsbefugnis des Insolvenzgerichts reichen sollen. Das maßgebliche Stichwort hierfür ist die vis attractiva concursus34 . Diese vis attractiva ist bekanntlich im deutschen Recht sehr schwach ausge- prägt35 . Der deutsche Insolvenzrichter spielt im wesentlichen nur eine den korrekten Verfahrensablauf kontrollierende Rolle. De facto beschränkt sich diese Tätigkeit in den allermeisten Fällen sogar auch noch allein auf das Eröffnungsverfahren bis hin zum Erlaß des Eröffnungsbeschlusses; danach repräsentieren Rechtspfleger das Insolvenzgericht. Folge dieser Beschränkung auf eine Kontrollfunktion ist die bisweilen durchaus leidige Diskrepanz zwischen den dann natürlich auch für Fragen des Insolvenzrechts je zuständigen Gerichtsbarkeiten. Beispiele hierfür sind etwa die Frage nach der Anwendbarkeit des §613a BGB im Insolvenzverfahren, die Haftung der Insolvenzmasse für Bodenverschmutzungen eines massebehafteten Grundstücks oder aber die Steuerpflichtigkeit der Masse für die vom Insolvenzverwalter in Erfüllung seiner Aufgaben vorgenommenen Handlungen. Andere Rechtsordnungen räumen ihren Insolvenzgerichten größere Entscheidungsbefugnisse ein und schaffen damit die Voraussetzung für eine ausgeprägtere Kohärenz dieser Rechtsmaterie. Dort überträgt man den Insolvenzrichtern die Kompetenz, etwa über Anfechtungsprozesse zu entscheiden oder auch über die Haftung von Gesellschaftsorganen wegen Insolvenzverschleppung oder sonstigen insolvenzrelevanten Vergehen zu urteilen. In England etwa gibt es eine derartige vis attractiva, aber auch in Österreich. In Anbetracht dieses Umstandes, daß nämlich die einzelnen Mitgliedstaaten je Unterschiedliches mit dem Terminus Insolvenzrecht assoziieren, täte also der EuGH gut daran, wenn er sich folgende Überlegung zu eigen machen würde: Unter Insolvenzrecht im Sinne des Art.4 EuInsVO ist alles das zu subsumieren, formwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung (2004); Vallender/Fuchs, Die Antragspflicht organschaftlicher Vertreter einer GmbH vor dem Hintergrund der Europäischen Insolvenzverordnung: ZIP 2004, 829. 34 Siehe zum Folgenden bereits Paulus, Anfechtungsklagen in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren: ZInsO 2006, 295. 35 Dazu etwa Jahr, Die gerichtliche Zuständigkeit für das Konkursverfahren und für die Entscheidung von Streitigkeiten, die mit dem Konkursverfahren zusammenhängen: ZZP 79 (1966) 347; ders., Vis attractiva concursus ­ Stellungnahme zu den Artt.15 und 16 des Entwurfs von 1980, in: Vorschläge und Gutachten zum Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens (1988) 305; Habscheid, Das deutsche internationale Insolvenzrecht und die vis attractiva concursus: ZIP 1999, 1113 (1114ff.). die ersten jahre mit der euinsvo 468 RabelsZ was der Mitgliedstaat mit der weitestreichenden vis attractiva concursus36 darunter versteht. Daß dieser Vorschlag nicht etwa einer methodischen Beliebigkeit entspringt, sondern vielmehr in der Verordnung selbst angelegt ist, ergibt sich aus einer weiteren Vorschrift, die somit das Potential in sich trägt, zum Anknüpfungspunkt eines weiteren, ebenso großen wie nicht explizit geregelten Problems zu werden. (2) Die Rede ist von Art.25 I Unterabs. 2 EuInsVO: Danach werden nach Maßgabe des Brüsseler Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens (EuGVÜ) ­ das dürfte als dynamische Verweisung zu verstehen sein, so daß man nunmehr darunter die Europäische Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel-I-Verordnung [EuGVVO]) zu verstehen haben wird ­ auch solche Entscheidungen vollstreckt, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen, auch wenn diese Entscheidungen von einem anderen Gericht getroffen werden. Nach dem Voranstehenden ist evident, daß der Verordnungsgeber an dieser Stelle (und nur an dieser) von den beschriebenen Kompetenzdivergenzen innerhalb der Mitgliedstaaten Kenntnis nimmt und sie dergestalt in ein einheitliches Konzept zu überführen versucht, daß wenigstens die Vollstreckung in anderen Mitgliedstaaten einheitlich erfolgen soll. Was jedoch damit nicht geregelt ist, was aber eine schmerzhafte, weil altbekannte Lücke darstellt, ist die Abstimmung zwischen den beiden Verfahrensverordnungen. Die EuGVVO enthält dieselbe Begrenzung ihres Anwendungsbereichs in ihrem Art.1 II wie ihr Vorgängerübereinkommen. Danach sind von ihrem Regelungsregime Konkurssachen nicht erfaßt. Was unter Konkurssache genau zu verstehen ist, ist nicht ganz klar37 , doch ist die Annahme nicht leicht von der Hand zu weisen, daß die im Jahre 1979 getroffene Entscheidung des EuGH bezüglich der Anwendbarkeit des Übereinkommens auf Klagen nach dem Recht der Insolvenzanfechtung38 auch heute noch Geltung beansprucht; danach unterfallen derartige Prozesse nicht den Regelungen des Übereinkommens und ­ heute ­ der Zuständigkeitsverordnung. Die daraus zu ziehende Schlußfolgerung für die Frage nach der Zuständigkeitsregelung für Prozesse im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren ist, daß sich die Zuständigkeiten nach dem jeweiligen nationalen Prozeßrecht richten39 . 36 Um welchen Staat es sich dabei handelt, ist meines Wissens bislang noch nicht unter- sucht. 37 Dazu etwa Trunk, Internationales Insolvenzrecht (1998) 6ff. 38 EuGH 22.2. 1979, Rs. C-133/78 (Gourdain ./. Nadler), Slg. 1979, 733 = RIW 1979, 273; siehe auch BGH 11.1. 1990, ZIP 1990, 246; OLG Köln 6.6. 1997, ZIP 1998, 74 = IPRspr. 1997 Nr.148. Zum Problem etwa Lorenz, Annexverfahren bei internationalen Insolvenzen (2005); Lüke, Europäisches Zivilverfahrensrecht ­ das Problem der Abstimmung zwischen EuInsÜ und EuGVÜ, in: Wege zur Globalisierung des Rechts, FS Schütze (1999) 467; Schwarz, Insolvenzverwalterklagen bei eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistungen nach der Verordnung (EG) Nr.44/2001 (EuGVVO): NZI 5 (2002) 290. 39 So etwa: Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung (-Wimmer)4 (2006) Anh. I Rz.366; Burgstaller/Neumayr (-Kodek), Internationales Zivilverfahrensrecht II (2003) Art.25 InsVO Rz.19ff.; Beissenhirtz, Die Insolvenzanfechtung in Deutschland und Engchristoph g. paulus 46970 (2006) Diese Schlußfolgerung ist freilich im Hinblick auf die mit dem Erlaß der Insolvenzverordnung angestrebte Vereinheitlichung wenig adäquat. Der Gegenschluß aber, daß man mit dem Erlaß der Europäischen Insolvenzverordnung ein neues Kapitel aufgeschlagen habe, und daß nunmehr EuGVVO und EuInsVO als paßgenaue, einander ergänzende Regelungskomplexe anzusehen seien, stellt mehr ein rechtspolitisches Postulat als einen tatsächlich realisierbaren Vorschlag dar40 . Infolgedessen ist ein dritter Vorschlag zur Beantwortung der Frage nach der prozessualen Zuständigkeitsregelung vorzugswürdig41 , der angesichts des soeben konstatierten Regelungsdefizites in der Insolvenzverordnung selbst die Lösung findet. Danach ist implizit mitgeregelt, daß sich die prozessualen Zuständigkeiten ­ zusammen mit der Zuständigkeitszuweisung für die Eröffnung eines Hauptoder Parallelverfahrens ­ auch nach der Insolvenzverordnung richten. Wenn also beispielsweise ein Hauptverfahren in Deutschland eröffnet wird, so sind die deutschen Gerichte zuständig, wenn es um die Erhebung etwa einer Klage auf der Grundlage des Rechts der Insolvenzanfechtung geht. Sofern in diesem Fall das deutsche Recht keinen Inlandsgerichtsstand vorsieht, ergibt er sich aus der EuInsVO ­ genauer: aus deren Art.3 I, so daß also das sachlich zuständige Gericht desjenigen Ortes zuständig ist, an dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. 2. Artikel 1 und 2 lit. a: Insolvenzrechtsänderungen Die Verordnung beschreitet bei der Festlegung ihres Anwendungsfeldes in den Artt.1 und 2 EuInsVO einen sicheren Weg ­ so scheint es zumindest. Während nämlich in Art.1 EuInsVO abstrakt der Verfahrenstypus umschrieben wird, den die Verordnung vor Augen hat ­ Gesamtverfahren, welche die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben ­, nimmt die Definitionsnorm des Art.2 lit. a EuInsVO hierauf Bezug und bestimmt, daß damit alle diejenigen Verfahren erfaßt seien, die im Anhang A aufgeführt sind. Was sich also in Art.1 als eine inhaltliche Umschreibung gibt, wird in Art.2 formell als Verfahrensname erfaßt ­ und damit petrifiziert. Was ex ante wie eine ganz vernünftige Konkretisierung aussieht, wird sich, diese Prognose kann man heute schon wagen, recht bald als ein Stein des Anstoßes herausstellen. Erste Erfahrungen lassen das Ausmaß schon erahnen. land (2003) 214; Oberhammer, Das Europäische Insolvenzrecht in praxi ­ was bisher geschah: ZInsO 2004, 761 (767); siehe auch BGH 27.5. 2003, NJW 2003, 2916. 40 So aber gleichwohl etwa Schwarz (oben N.38) 290ff.; Schlosser, EU-Zivilprozeßrecht2 (2003) Art.1 EuGVVO Rz.21a; Geimer/Schütze (-Geimer), Europäisches Zivilverfahrensrecht2 (2004) Art.1 EuGVVO Rz.130; Virgós/Garcimartín, The European Insolvency Regulation, Law and Practice (Den Haag 2004) 56. 41 Leipold, Zuständigkeitslücken im neuen Europäischen Insolvenzrecht, in: FS Ishikawa (2001) 221 (234ff.). die ersten jahre mit der euinsvo 470 RabelsZ So hat England schon kurz nach dem Inkrafttreten der EuInsVO sein Insolvenzrecht durch den Enterprise Act 2002 erheblich reformiert42 . Unter Beibehaltung des im Anhang A der Verordnung verzeichneten Namens Administration wurde dieses Verfahren (in recht deutlicher Anlehnung an das US-amerikanische Recht) inhaltlich dergestalt verändert, daß nunmehr Verfahrenseinleitungen möglich sind, bei denen das Vorliegen eines Insolvenzgrundes nicht nachgewiesen, geschweige denn geprüft worden ist. Damit steht dann also solch ein Verfahren zwar im Einklang mit der Anwendungsvoraussetzung, die in Art.2 EuInsVO genannt ist, nicht aber mit der, die Art.1 EuInsVO vorsieht. Eine vergleichbare Verschiebung von Inhalt und Bezeichnung hat es zwischenzeitlich bei der italienischen amministrazione straordinaria gegeben; dieser Verfahrenstypus wurde zunächst in dem Parmalat-Verfahren und sodann im Volare-Verfahren ebenso hektisch wie vielfältig durchaus substantiellen Veränderungen unterworfen. Die naheliegende Idee, daß man unter diesen Umständen dadurch für schnelle Abhilfe sorgen müsse, daß man die Anhänge dann eben zeitnah ändere und an die neue Rechtslage anpasse, steht deswegen unter keinem guten Stern, weil Art.45 EuInsVO für die Änderung der Anhänge ein besonderes Verfahren vorsieht43 . Danach kann der Rat auf Initiative eines seiner Mitglieder oder auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit die Anhänge ändern. Diese Vorgehensweise ist jedoch umständlich und auch recht langwierig. Diese Verzögerung ist nicht ungefährlich: Denn wenn es einmal in einem konkreten Verfahren zu der beschriebenen Diskrepanz kommen sollte, könnten sich nationale Gerichte durchaus genötigt sehen, die durch die Artt.16 und 17 EuInsVO vorgeschriebene Anerkennung nicht mehr nur unter den engen Voraussetzungen des in Art.26 EuInsVO vorgesehenen ordre-public-Vorbehalts zu verweigern, sondern schon dann, wenn die inhaltliche Umschreibung eines Insolvenzverfahrens in Art.1 EuInsVO im konkreten Fall nicht mehr einschlägig ist. Ein solches Szenario kann niemand wirklich wollen; denn dann überprüft der einsame Insolvenzrichter in einem abgelegenen Ort die Frage, ob das am anderen Ende Europas eröffnete Hauptverfahren tatsächlich anerkannt werden kann oder nicht. 3. Forderungsanmeldungen nach Art.32 I und II Bislang ist es offenbar trotz verschiedener bereits vorgenommener ÜberkreuzAnmeldungen noch nicht zu größeren Problemen gekommen; das Potential dazu ist jedoch vorhanden. Sedes materiae dafür ist Art.32 I und II EuInsVO. Danach kann zunächst einmal jeder Gläubiger seine Forderung im Hauptinsolvenzverfahren und in jedem Sekundärinsolvenzverfahren anmelden. Er kann das übrigens jeweils zum vollen Nominalwert tun, denn nach Art.20 II EuInsVO er42 Dazu etwa Ehricke/Köster/Müller-Seils, Neuerungen im englischen Unternehmensinsolvenzrecht durch den Enterprise Act 2002: NZI 6 (2003) 409. 43 Zu dem Korrekturbedarf hierbei und bei einigen weiteren Punkten in der Verordnung Moss/Paulus, The European Insolvency Regulation, The Case for Urgent Reform: Insolvency Intelligence 2006, 1. christoph g. paulus 47170 (2006) folgt die zur Gleichbehandlung der Gläubiger erforderliche Anrechnung (auf der Grundlage der so genannten hotch-pot-rule) bei jeder Verteilung durch das Gericht oder den Verwalter. Eine derartige Mehrfach-Anmeldung erfolgt aber nicht nur auf Eigeninitiative eines Gläubigers; vielmehr ermöglicht Art.32 II EuInsVO den jeweiligen Verwaltern, nach Maßgabe der Zweckmäßigkeit44 ihrerseits Anmeldungen der in ihrem Verfahren beteiligten Gläubiger in den anderen Verfahren vorzunehmen. Damit ist dann weitgehend sichergestellt, daß alle Gläubiger an allen Verfahren teilnehmen. In Ergänzung dessen sieht Art.33 III EuInsVO vor, daß jeder Verwalter in den je anderen Verfahren berechtigt ist, wie ein Gläubiger daran teilzunehmen. Damit ist eine Informationsquelle eröffnet, die aber nicht so weit reicht, daß die Verwalter damit auch zugleich ein Stimmrecht hät- ten45 . Die daraus resultierenden Berechnungsprobleme, die insbesondere dann entstehen, wenn eine bestimmte Gläubigerkategorie in der einen Rechtsordnung privilegiert befriedigt, in der anderen dagegen nur in der allgemeinen Gruppe der ungesicherten Gläubiger eingeordnet wird, sollen nachfolgend nicht weiter vertieft werden, obwohl auch hier Konfliktpotential zu vermuten ist46 . Statt dessen sind hier nur die Fragen anzusprechen, die sich aus der Sammelanmeldung47 durch die involvierten Verwalter ergeben. Zunächst einmal ergibt sich aus diesem institutionalisierten Überkreuz-Anmeldungsmechanismus für die Verwalter eine erhöhte Kontrollpflicht bezüglich etwaiger Doppelanmeldungen. Es muß sichergestellt werden, daß nicht eine Individualanmeldung zu einer Sammelanmeldung hinzukommt und der betreffende Gläubiger auf diese Weise zweifach bedacht wird. Die Kontrolle wird dadurch vereinfacht, daß die Verwalter bei ihrer Sammelanmeldung nicht etwa nur eine Gesamtsumme anmelden, sondern jede Forderung einzeln. Dies ist zum einen wegen des potentiell unterschiedlichen Ranges jeder einzelnen Forderung geboten, zum anderen wird dadurch die Abgleichung mit Individualanmeldungen er- möglicht. Die eigentlichen Probleme schlummern aber in den oben berichteten Defiziten im professionellen ­ oder besser: schlicht menschlichen ­ Umgang der Verwalter miteinander. Denn wenn etwa ein deutscher Insolvenzverwalter eine Sammelanmeldung in dem Verfahren eines anderen Mitgliedstaats vornimmt, erhebt sich die Frage, ob dem empfangenden Verwalter ein Prüfungsrecht oder gar eine entsprechende Pflicht hinsichtlich der angemeldeten ­ und im Ausgangsverfahren bereits geprüften ­ Forderungen zusteht48 . Dagegen ließe sich einwenden, 44 Im Lichte der persönlichen Haftung dürfte diese Zweckmäßigkeit vielfach zu einer Obliegenheit des Verwalters mutieren. 45 Siehe auch Virgós/Schmit (oben N.13) Tz.240. 46 Dazu etwa Westbrook, Universal Participation in Transnational Bankruptcies, in: Making Commercial Law, Essays in Honour of Roy Goode (1997) 419. 47 Dazu, daß ein Verwalter immer nur seine Gläubiger insgesamt ­ oder doch wenigstens eine absonderbare Gruppe ­ anmelden kann, siehe etwa Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzverordnung (Wien 2002) Art.32 Rz.11. 48 Zum Nachfolgenden insbesondere Kodek, Internationale Bindungswirkung der konkursrechtlichen Forderungsfeststellung?: Zeitschrift für Insolvenzrecht und Kreditschutz (ZIK) 2005, 6. die ersten jahre mit der euinsvo 472 RabelsZ daß einer einmal festgestellten Forderung zumindest nach deutschem Recht eine Rechtskraftwirkung zugemessen wird, §178 III InsO, die folglich gegenüber jedermann Geltung beanspruchen kann. Dem steht jedoch entgegen, daß ein Verwalter allein schon aus Haftungsgründen schwerlich gehalten sein kann, die Fremdanmeldung unbesehen zu übernehmen ­ zumal Unterschiede in den jeweiligen nationalen Anmeldungserfordernissen durchaus denkbar sind. Wenn man es also nicht bei dem faktischen Gebot belassen will, daß eine tatsächliche Vermutung für die Berechtigung der Forderung spricht ­ sie setzt naturgemäß ein gewisses wechselseitiges Vertrauensverhältnis zwischen den Verwaltern voraus ­, so sprechen die besseren Gründe dafür, daß der empfangende Verwalter eine grundsätzliche Prüfungspflicht hat ­ zumindest dann, wenn und soweit es sich dabei um Forderungen handelt, die noch nicht (außerhalb des Insolvenzverfahrens) tituliert worden sind. IV. Einfluß des europäischen auf das deutsche Insolvenzrecht Die Liste der voranstehend prognostizierten Problemfelder ließe sich selbstverständlich noch verlängern ­ genauso wie eine allein schon ihrer Länge wegen eindrucksvolle Liste der verbesserungswürdigen und -bedürftigen Punkte erstellt werden könnte. Doch kommt es auf Vollständigkeit in diesem Beitrag nicht an. Vielmehr soll hier am Beispiel des deutschen Rechts noch hingewiesen werden auf die Auswirkungen auf das bestehende Insolvenzrecht, die sich aus dem Inkrafttreten der EuInsVO schon jetzt abzeichnen. Evident ist dieser Einfluß natürlich dort, wo sich der Gesetzgeber absichtlich eng an die Vorlage der Europäischen Verordnung angelehnt hat ­ nämlich bei der Regelung des autonomen Internationalen Insolvenzrechts in den §§335ff. InsO49 . Ob dies allerdings ein wirklich glücklicher Schachzug war, mag angesichts des in seiner Grundkonzeption nach außen hin ungleich offeneren UNCITRAL-Modellgesetzes bezweifelt werden; insbesondere im Hinblick darauf, daß dieses Modellgesetz die oben angedeutete weite Verbreitung gefunden hat und inzwischen mit Großbritannien auch ein anderer Mitgliedstaat der Verordnung sein eigenes autonomes Internationales Insolvenzrecht ebendiesem Modellgesetz nachgebildet hat. Weniger offensichtlich, aber gleichwohl nicht minder intensiv, ist der faktische Einfluß der Verordnung auf das deutsche Insolvenzrecht und seine Umsetzung in der Praxis50 . Das beginnt bei der bereits angesprochenen Behäbigkeit des deutschen Eröffnungsverfahrens, bei dem man sich üblicherweise ziemlich genau drei Monate Zeit läßt, bevor das eigentliche Insolvenzverfahren tatsächlich eröffnet wird. Das hat seine Gründe auch im System des aus einem Fonds gezahlten Insolvenzgeldes für die Arbeitnehmer, welches in der Praxis gern für die vorläufige Weiterfinanzierung des Unternehmensbetriebs genutzt wird. Diese Finanzie49 Dazu statt vieler Ludwig, Neuregelungen des deutschen Internationalen Insolvenzverfahrensrechts (2004); Smid, Deutsches und Europäisches Internationales Insolvenzrecht (2004). 50 Zum Folgenden bereits Paulus (oben N.3) 469ff. christoph g. paulus 47370 (2006) rungsoption wird sich in Zukunft aber schwerlich allgemein halten lassen. Der Einfluß geht weiter, wie sich am Beispiel des ebenfalls schon angesprochenen Konzerninsolvenzrechts zeigt. Das gilt selbst dann, wenn sich der EuGH nicht zu einer modernen Interpretation sollte durchringen können; denn das entscheidende Tatbestandsmerkmal Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen hat sich bereits über die EuInsVO hinaus erstreckt und entfaltet damit das Potential, von außen hin seinerseits Anpassungs- und Entwicklungsdruck auf das europäische Recht auszuüben. Und als letztes Beispiel für den europäischen Einfluß auf deutsches Insolvenzrecht mag angeführt werden, daß Verbraucher lernfähig und flexibel sind ­ oder doch sein können. Wenn sich für sie herausstellt, daß sie in einem Nachbarstaat (derzeit erfreut sich Frankreich großer Attraktivität unter dieser Klientel) schneller an eine Restschuldbefreiung als in Deutschland kommen können, verlegen sie den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in ebendieses Land und harren dort aus, bis das gewünschte Ziel erreicht ist. Eine auf diese Weise im Ausland erlangte Restschuldbefreiung ist als Konsequenz der lex concursus dann auch in Deutschland anzuerkennen, Art.4 II lit. k EuInsVO. Die Beispiele belegen: Vorbei sind die Zeiten, in denen der mitgliedstaatliche Insolvenzgesetzgeber in introvertierter Ruhe an seinem Gesetz herumbasteln kann. Diese Aufgabe ist mit dem Inkrafttreten der EuInsVO um einige Dimensionen bereichert und damit komplizierter geworden. Nunmehr gilt es, auch fremdländische Implikationen zu berücksichtigen und, wenn man sich denn am Wettbewerb der Systeme beteiligen will, die Attraktivität des eigenen Rechts auch am Maßstab internationaler Standards auszurichten. Kurzum: der Wettbewerb verschärft sich. die ersten jahre mit der euinsvo