Österreichisches Schadenersatzrecht, Teil I Dr. Daphne Beig, MJur (Oxford) 2. Dezember 2008 Funktion des Schadenersatzrechts § Casum sentit dominus (§ 1311 ABGB) § Ausnahme: Schadenersatzrecht bei Vorliegen besonderer Zurechnungsgründe § Schadenersatzrecht ist die Summe aller Vorschriften, die anordnen, unter welchen Voraussetzungen jemand für den Schaden, den ein anderer erleidet, einzustehen hat. Zwecke des Schadenersatzrechts § Ausgleichsfunktion § Präventionsfunktion § Keine Strafcharakter daher keine „punitive damages“; nur tatsächlich entstandener Schaden wird ersetzt System des Schadenersatzrechts § Verschuldenshaftung § Gefährdungshaftung (zB EKHG) § Eingriffshaftung (zB § 364a ABGB) Verschuldenshaftung - Gefährdungshaftung Haftungsgrund: rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Schädigers Haftungsgrund: Gefährlichkeit der Tätigkeit oder Sache Generalnorm der Verschuldenshaftung § 1295 Abs 1 ABGB: „Jedermann ist berechtigt, von dem Schädiger den Ersatz des Schadens, welcher dieser ihm aus Verschulden zugefügt hat, zu fordern; der Schade mag durch Übertretung einer Vertragspflicht oder ohne Beziehung auf einen Vertrag verursacht worden sein.“ Voraussetzungen der Verschuldenshaftung • Schaden • Rechtswidriges Verhalten • Rechtswidrigkeitszusammenhang • Verursachung (Kausalität) • Verschulden Der Schaden - Vermögensschäden • Positiver Schaden (Beeinträchtigung oder Minderung vorhandenen Vermögens) • Entgangener Gewinn (noch unsichere Erwerbschance) • Umfang des Ersatzes hängt von Verschuldensgrad ab (§ 1324 ABGB) Der Schaden – ideelle Schäden • Grundsätzlich nicht ersatzfähig • keine fiktiven Mietwagenkosten • Grundsätzlich keine frustrierten Aufwendungen • Ausnahmen zB • Schmerzengeld (§ 1325 ABGB) • entgangene Urlaubsfreude (§ 31e KSchG) Körperverletzung Sondertatbestand in § 1325 ABGB: Beeinträchtigung der körperlichen oder seelischen Gesundheit Ersetzt werden • Heilungskosten • Verdienstentgang • angemessenes Schmerzengeld Sonderhaftungstatbestand Tötung Sondertatbestand in § 1327 ABGB Ersetzt werden: • Begräbniskosten • Unterhalt für Hinterbliebene (hier ausnahmsweise mittelbar Geschädigte geschützt) Spezialproblem Schockschäden - Trauerschäden • Ersatz für Schockschäden (psychische Störung mit Krankheitswert infolge der Tötung eines Angehörigen) • Für Trauerschäden (Trauer ohne Krankheitswert bei Hinterbliebenen) Ersatz nur bei grobem Verschulden des Schädigers Art des Schadenersatzes bei Vermögensschäden • Primat der Naturrestitution (§ 1323 ABGB) • Geldersatz • bei Unmöglichkeit der Naturalrestitution • bei Untunlichkeit der Naturalrestitution (zB Totalschaden eines Autos) Bloße Vermögensschäden Sind Vermögensschäden, die nicht auf der Verletzung eines absolut geschützten Guten beruhen ERSATZ NUR BEI: • vertraglicher Haftung • im deliktischen Bereich nur bei Schutzgesetzverletzung und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung Umfang des Ersatzes • Positiver Schaden ODER • Positiver Schaden und entgangener Gewinn („Interesse“ „volle Genugtuung“) Abhängig von Verschulden (§ 1323 ABGB) SCHADENSBERECHNUNG • Objektiv-abstrakt: Wert des beeinträchtigen Rechtsgute (Ersatz des Verkehrswertes bzw Reparaturkosten) • Subjektiv-konkret: Vergleich des gesamten Vermögens des Geschädigten mit und ohne das schädigende Ereignis (inklusive Folgeschäden) • Bei leichter Fahrlässigkeit nur objektive Schadensberechnung; Wahlrecht bei grobem Verschulden und Vorsatz Zerstörung gebrauchter Sachen • Merkantiler Minderwert: Ersatz bei relativ neuen Sachen ohne Rücksicht auf Verkaufsabsicht • „Neu für alt“: Ersatz der Neuanschaffungskosten, aber Abzug für längere Lebensdauer. „Kind als Schaden“? Unerwünschte Geburt eines (behinderten) Kindes • Unterhaltsaufwand ein Schaden oder ausgeglichen durch immateriellen Nutzen? • Mehraufwand für behindertes Kind oder gesamter Unterhalt? • Vgl zuletzt OGH 5 Ob 148/07m Rechtswidrigkeit Verhaltensunrecht • Nur ein Verstoß gegen das Sorgfaltsgebot ist rechtswidrig • Herbeiführung eines schädigenden Erfolgs ist – für sich allein genommen – nicht rechtswidrig Rechtswidrigkeit kann sich ergeben aus • Vertrag, zB Verzug, mangelhafte Erfüllung • Verletzung von Schutzgesetzen • Verletzung absolut geschützter Rechte • Verkehrssicherungspflichten • Verstoß gegen die guten Sitten Vorteile vertraglicher Haftung • Beweislastumkehr gem § 1298 ABGB • Haftung für Gehilfen gem § 1313a ABGB • Ersatz reiner Vermögensschäden Verletzung von Schutzgesetzen Gebote und Verbote der Rechtsordnung, die der Verhinderung von Schäden dienen zB Straßenverkehrsordnung zB Bauordnung Verkehrssicherungspflichten • Derjenige, der eine bestimmte Fläche für den Verkehr eröffnet oder eine besondere Gefahrenquelle schafft, muss Maßnahmen zur Abwendung von Gefahren treffen • zB Halter einer Skipiste, Sportplatz zur allgemeinen Benutzung Eingriff in absolut geschützte Rechtsgüter Absolut geschützte Rechtsgüter: Persönlichkeitsrechte zB Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre etc; Eigentum Eingriff in absolut geschütztes Rechtsgut indiziert die Rechtswidrigkeit, aber Abwägung durch umfassende Interessenabwägung notwendig. Rechtfertigungsgründe • Notwehr • Notstand • Einwilligung des Verletzten Rechtswidrigkeitszusammenhang • Schaden liegt im Schutzzweck der verletzten Norm • Nur Schäden ersatzfähig, deren Eintritt die verletzte Norm gerade verhindern sollte • Regelmäßig sind „mittelbar Geschädigte“ nicht vom Schutzzweck erfasst (Ausnahme: Schadensverlagerung) Verursachung (Kausalität) • Bedingungstheorie: Prüfung nach der conditio sine qua non-Methode • Adäquanz: Schadenseintritt liegt nicht außerhalb aller Lebenserfahrung • Mehrere Schädiger haften im Zweifel solidarisch (§ 1302 ABGB) Sonderfragen der Kausalität • Alternative Kausalität • Kein Ersatz bei alternativer Kausalität mit Zufall • Kumulative Kausalität • Überholende Kausalität Mitverschulden • Der Geschädigte hat selbst schuldhaft eine Bedingung für den Schadenseintritt gesetzt Gem § 1304 ABGB Kürzung des Schadenersatzanspruchs • Auf § 1304 ABGB wird auch die Schadenminderungspflicht gestützt. Verschulden - Verschuldensfähigkeit • Alter (Deliktsfähigkeit ab 14 Jahren) • Geisteszustand • Haftung der Aufsichtsperson (§ 1309 ABGB) • Ausnahmsweise Haftung des Deliktsunfähigen (§ 1310 ABGB) Das Verschulden • Vorsatz • Fahrlässigkeit • Grobe Fahrlässigkeit • Leichte Fahrlässigkeit • Bedeutung für Umfang des Ersatzes • Subjektiver Verschuldensmaßstab • Beachte aber die Sachverständigenhaftung in § 1299 ABGB Haftung für fremdes Verschulden Grundlegende Unterscheidung zwischen ERFÜLLUNGSGEHILFEN (§ 1313a ABGB) und BESORGUNGSGEHILFEN (§ 1315 ABGB) Erfüllungsgehilfe Haftung des Geschäftsherrn, wenn • Der Gehilfe vom Geschäftsherrn zur Erfüllung eines besonderen Schuldverhältnisses (meist ein Vertrag) eingesetzt wird UND • die Schädigung des Gläubigers im Zuge der Erfüllung durch den Gehilfen erfolgt Besorgungsgehilfe nicht zur Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen sondern irgendwelcher Verpflichtungen eingesetzt Haftung gem § 1315 ABGB nur für • untüchtige Gehilfen • wissentliche gefährliche Gehilfen Beispiel Der Baumeister B wurde von dem Hauseigentümer H beauftragt, Hs Dach zu renovieren. B schickt seinen Mitarbeiter M. M lässt Ziegel auf das Auto des Hauseigentümers H und des vorbeifahrenden X fallen, wodurch beide Autos beschädigt werden. Haftung des Geschäftsherrn gegenüber H gem § 1313a, nicht jedoch gegenüber X. Repräsentantenhaftung bei juristischen Personen HAFTUNG DER JURISTISCHEN PERSON • Nicht nur für Organe • Sondern auch für Personen, die eine verantwortliche, leitende oder überwachende Funktion ausüben („Machthaber“). Ausweitung der vertraglichen Haftung • Schutz- und Sorgfaltspflichten • Culpa in contrahendo • Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter Teil II folgt nächste Woche. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!