Kapitel 1: Rechtsgeschäftslehre * I. Rechtsgeschäft * II. Verhältnis zwischen Rechtsgeschäft, Willenserklärung und Vertrag * III. Elemente der Willenserklärung * IV. Arten der Willenserklärung * V. Vertrag * VI. Vertragsfreiheit * VII. Auslegung von Rechtsgeschäften Rechtsquelle: §§ 133, 157 BGB. Literatur zur Einarbeitung: Brox, Allgemeiner Teil, §§ 2 IV, 4, 6; Musielak, Grundkurs BGB, Rz. 36-46, 53-64, 130-140. Unterrichtsmaterialien: Michalski, Übungen I, Fälle 2, 5 und 15 sowie Fragen auf S. 133; Helm, Grundkurs, Übung 4; Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 5; Werner, Fälle mit Lösungen, Fall 1; Ablaufplan; Zahlenbild Nr. 128 025: Das Bürgerliche Gesetzbuch; DAF-UE "Rechtsgeschäftslehre". I. Rechtsgeschäft 1. Grundlagen Das BGB geht in seinem Aufbau vom Allgemeinen zum Besonderen (vgl. Zahlenbild Nr. 128 025). Seine Verfasser haben dabei die Methode der sogenannten Ausklammerung benutzt: Regeln, die mehreren Rechtsgebieten (etwa: Schuldrecht, Sachenrecht, Erbrecht) gemeinsam sind, werden nicht jeweils wiederholt, sondern vor die Klammer gezogen, also in einem allgemeinen Teil zusammengefaßt. Der Herausbildung allgemeiner Begriffe, Definitionen und Rechtssätze verdankt insbesondere der Allgemeine Teil des BGB (1. Buch des BGB) seine Entstehung. Das Allgemeine und das Besondere bilden eine Einheit. (zum Aufbau des BGB vgl. Zahlenbild Nr. 128 025) Beispiel: In § 433 BGB (Kaufvertrag), der sich im Besonderen Teil des BGB (2. Buch: Schuldrecht; 7. Abschnitt: Einzelne Schuldverhältnisse) befindet, liest man über Rechte und Pflichten von Verkäufer und Käufer, die sich aus dem Kaufvertrag ergeben. § 433 BGB ("Durch den Kaufvertrag wird...") setzt einen Kaufvertrag voraus, wobei er aber nichts dazu sagt, wie dieser zustande kommt. Das Zustandekommen eines Vertrages wird im Allgemeinen Teil des BGB geregelt. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 5, Frage 4) 2. Begriff des Rechtsgeschäfts Infolge der Technik der Ausklammerung wurde als ein typisch deutscher Rechtsbegriff der Begriff des Rechtsgeschäfts entwickelt, der in der Mehrzahl der ausländischen Rechtsordnungen unbekannt ist. Definition: Das Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand, der mindestens aus einer oder mehreren Willenserklärungen und sonstigen Wirksamkeitsvoraussetzungen (etwa: Realakte wie die Übergabe in § 929 S. 1 BGB) besteht, die erforderlich sind, um den mit der Willenserklärung bezweckten Erfolg herbeizuführen. II. Verhältnis zwischen Rechtsgeschäft, Willenserklärung und Vertrag "Rechtsgeschäft" ist ein Oberbegriff, der eine hohe Abstraktionsstufe hat. Jedes Rechtsgeschäft besteht mindestens aus einer Willenserklärung (plus u. U. weitere gesetzliche Erfordernisse). (vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 4 B; Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 5, Fragen 1-3) 1. Arten der Rechtsgeschäfte * einseitige Rechtsgeschäfte beinhalten die Willenserklärung nur einer Person Beispiele: Kündigungserklärung, Auslobung (vgl. §§ 657 ff. BGB), Testament * mehrseitige Rechtsgeschäfte beinhalten die Willenserklärungen mehrerer (mindestens zweier) Personen Beispiele: Verträge, Gesamtakte, Beschlüsse 2. Die Willenserklärung ist ein Baustein eines jeden Rechtsgeschäfts. Bisweilen ist die Willenserklärung mit dem (einseitigen) Rechtsgeschäft identisch. Beispiel: Testament 3. Der Vertrag ist ein mehrseitiges Rechtsgeschäft, das aus mehreren Willenserklärungen besteht. Beispiel: Ein Kaufvertrag besteht aus der Willenserklärung des Verkäufers und der des Käufers (Angebot und Annahme). III. Elemente der Willenserklärung Die Willenserklärung ist eine private Willensäußerung, die auf die Erzielung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Die Willenserklärung besteht aus zwei Elementen : (vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 4 A 1) 1. Innerer Wille Dieser setzt sich seinerseits aus drei Elementen zusammen: (vgl. hierzu Michalski, Übungen I, Fall 2; Helm, Grundkurs, Systemübung 4 A 7) a) Handlungswille (= Wille zu handeln) Beispiel: Der Handlungswille fehlt, wenn X in der Hypnose sagt, er wolle sein Haus an Y verkaufen. Fehlt der Handlungswille, so ist keine wirksame Willenserklärung abgegeben worden. b) Erklärungswille / Erklärungsbewußtsein (= der Erklärende weiß, daß seine Handlung irgendeine rechtserhebliche Erklärung darstellt) Beispiel (Trierer Weinversteigerung): Der ortsfremde A winkt bei einer Weinversteigerung durch Erheben der Hand seinem Freund zu. A weiß nicht, daß hier das Handheben die Abgabe eines um 100,- € höheren Kaufangebots bedeutet. Der Versteigerer schlägt dem A das Faß Wein zu, nimmt also das "Angebot" des A an. Beim Erheben der Hand handelt A zwar mit Handlungswillen. Es fehlt ihm aber das Erklärungsbewußtsein. Er will mit seinem Winken keine Erklärung abgeben; es ist ihm nicht bewußt, daß sein Verhalten am Versteigerungsort als rechtserhebliche Erklärung (Kaufangebot) verstanden wird. Fehlt das Erklärungsbewußtsein, so hängt die Rechtslage davon ab, ob der Vertragspartner den Mangel erkennen mußte oder nicht. Im Trierer Weinversteigerungsfall konnte der Versteigerer nicht wissen, daß der A kein höheres Kaufangebot macht. Nach Auffassung des BGH (BGHZ 91, 324) hat A hier fahrlässig gehandelt. Der Empfänger der Erklärung ist zu schützen, ein wirksamer Vertrag ist zustande gekommen. A hat jedoch gemäß § 119 Abs. 1 BGB die Möglichkeit, seine Willenserklärung (Angebot) durch Anfechtung zu vernichten. (vgl. hierzu Michalski, Übungen I, Fall 15) c) Geschäftswille Der Wille muß auf das Herbeiführen einer konkreten Rechtsfolge gerichtet sein. Beispiel: X will seinen Wagen für 3.000,- € an Y verkaufen. Er verspricht sich jedoch und bietet den Wagen statt dessen für 300,- € an. Es fehlt der Geschäftswille, da X die erklärte Rechtsfolge (Verkauf des Wagens für 300,- €) nicht will. Fehlt der Geschäftswille, so gibt der Gesetzgeber dem Betroffenen - in unserem Beispielsfall dem X - die Möglichkeit, seine Willenserklärung wegen Irrtums anzufechten und so vom Vertrag loszukommen. Hinweis: Zur Anfechtung wegen Irrtums vgl. Kap. 8. 2. Äußerung des Willens Der innere Wille muß nach außen geäußert werden. Dieses Verhalten kann auf verschiedene Weise erfolgen: * ausdrückliche (direkte) Willenserklärung * konkludente (indirekte) Willenserklärung: Aus dem schlüssigen Verhalten des Betreffenden kann man auf dessen Geschäftswillen schließen Beispiel: An der Tankstelle sucht sich der Kunde K eine Zeitung aus und legt diese zusammen mit dem entsprechenden Geldbetrag an der Kasse vor. (vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 4 A 2) * Ausnahmsweise ein Nichtstun als Ausdruck des Geschäftswillen. Schweigen ist in der Regel keine Willenserklärung; etwas anderes gilt bisweilen im Handelsrecht (Kaufmännisches Bestätigungsschreiben) oder bei entsprechender Parteivereinbarung. Beispiel: Buchhändler B sendet dem X unaufgefordert ein Buch mit einem Begleitschreiben zu. Hiernach bietet er dem X das Buch für 60,- € zum Kauf an; sollte B innerhalb von zwei Wochen keine Antwort von X erhalten, so geht er davon aus, daß X das Angebot durch sein Schweigen annimmt. X schweigt. Hier gilt das Schweigen des X nicht als Annahme des Kaufangebots. Deshalb braucht X auch nicht zu zahlen. (vgl. Werner, Fälle mit Lösungen, Fall 1) IV. Arten der Willenserklärung Siehe hierzu Kap. 2: Abgabe und Zugang der Willenserklärung. V. Vertrag Siehe hierzu Kap. 3: Vertragsschluß durch Angebot und Annahme. VI. Vertragsfreiheit Siehe hierzu Kap. 5: Privatautonomie. VII. Auslegung von Rechtsgeschäften Bei der Auslegung eines Rechtsgeschäfts sind die Interessen des Erklärenden und - soweit ein solcher existiert - die des Erklärungsempfängers zu berücksichtigen. Stellt man nur auf die Interessen des Erklärenden ab, so ermittelt man dessen wirklichen Willen (§ 133 BGB). Stellt man dagegen (auch) auf die Interessen des Erklärungsempfängers ab, so ermittelt man einen normativen Willen (§ 157 BGB), der mit dem wirklichen Willen des Erklärenden nicht übereinstimmen muß. Eine Willenserklärung ist für diesen Fall so auszulegen, wie sie vom Empfänger nach den konkreten Umständen des Einzelfalles unter Beachtung der ihm zumutbaren Sorgfalt zu verstehen war (Auslegung nach dem objektivierten Empfängerhorizont). Es gibt Rechtsgeschäfte, bei denen nur die Interessen des Erklärenden berührt sind; dies sind insbesondere die nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen. Beispiel: Testament - hier gibt es keinen Empfänger, der geschützt werden muß. Bei den meisten Rechtsgeschäften sind neben den Interessen des Erklärenden auch die Interessen des Erklärungsempfängers zu berücksichtigen. Die empfangsbedürftigen Willenserklärungen wie z. B. Kündigung, Vertragsangebot oder Vertragsannahme berühren die Interessen des Empfängers, da dieser in der Lage sein muß, sich auf die durch die Erklärung geschaffene Rechtslage einzustellen. Wenn hier der äußere Erklärungswert vom tatsächlichen (inneren) Willen des Erklärenden abweicht, so fragt sich, ob der Erklärungsempfänger in seinem Vertrauen auf das Erklärte zu schützen ist. Beispiel: Der Verkäufer will eine Maschine für 980,- € verkaufen, verschreibt sich aber und erklärt, er biete sie für 890,- € an. Hier ist der Erklärungsempfänger zu schützen. Deshalb wird die Willenserklärung nach § 157 BGB ausgelegt. Entscheidend ist der von einem objektiven Empfängerhorizont aus zu ermittelnde äußere Erklärungswert. V hat allerdings die Möglichkeit, seine Willenserklärung wegen Irrtums anzufechten. Hinweis: Zur Anfechtung wegen Irrtums vgl. Kap. 8. Ausnahme: Der Erklärungsempfänger ist dann nicht schutzbedürftig, wenn er trotz der vom tatsächlichen Willen des Erklärenden abweichenden (äußeren) Erklärung erkennt, was der Erklärende wirklich gewollt hat. Beispiel: V will seinen Wagen für 3.000,- € verkaufen. Er verspricht sich und macht ein Angebot zu 300,- €. K weiß indes aus einem vorhergehenden Telefongespräch, daß das Angebot 3.000,- € beträgt und es sich somit um einen Versprecher handelt. In diesem Falle ist kein Schutz von K erforderlich. Die Willenserklärung von V wird nach dem wirklichen Willen ausgelegt (§ 133 BGB). Wenn der Erklärungsempfänger zwar nicht erkennt, was mit der Erklärung wirklich gewollt ist, er dies aber bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt hätte erkennen können, dann ist er im Vertrauen auf das Erklärte ebenfalls nicht schutzwürdig. Beispiel: Schreibt der in Köln ansässige X dem in München wohnhaften Y, er biete ihm ein bestimmtes Bild für 5.000,- Kronen an, so ist die Erklärung mehrdeutig, da sich aus ihr nicht ergibt, ob etwa dänische, schwedische oder tschechische Kronen gemeint sind. Y kann sich nicht die Währung aussuchen, die für ihn am günstigsten ist. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 5) Kapitel 2: Abgabe und Zugang von Willenserklärungen * I. Grundlagen * II. Arten von Willenserklärungen * III. Abgabe der Willenserklärung * IV. Zugang der Willenserklärung Rechtsquelle: §§ 130-133, 157 BGB. Literatur zur Einarbeitung: Brox, Allgemeiner Teil, § 7; Musielak, Grundkurs BGB, Rz. 65-84. Unterrichtsmaterialien: Michalski, Übungen I, Fälle 8, 9 und 10 sowie Fragen auf S. 144; Helm, Grundkurs, Übungen 4 und 5; Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 8. Vertiefende Literatur: Sundermann, Der Zugang der Willenserklärung, JuS 1989, S. L 57-60. I. Grundlagen Willenserklärung ist jede nach außen tretende Betätigung eines rechtsgeschäftlichen Handlungswillens; sie besteht aus Willen (innerer Tatbestand) und Erklärung (äußerer Tatbestand). Hinweis: Zu den Bestandteilen der Willenserklärung vgl. auch Kap. 1. Willenserklärungen können ausdrücklich (d. h. in der Regel mündlich bzw. schriftlich) oder aber konkludent (d. h. durch schlüssiges Handeln) abgegeben werden; entscheidend ist, daß ein rechtsgeschäftlicher Wille und eine irgendwie geartete Äußerung dieses Willens vorliegen. Beispiel: Nimmt jemand eine Ware aus dem Regal und bezahlt diese wortlos, so hat er damit seinen rechtsgeschäftlichen Willen zum Abschluß eines Kaufvertrages durch schlüssiges Handeln zum Ausdruck gebracht. Die Abgabe der Willenserklärung genügt aber nicht in allen Fällen für deren Wirksamkeit. Daneben ist meist auch der Zugang der Willenserklärung erforderlich, damit Rechtswirkungen eintreten können. Nach § 130 Abs. 1 BGB wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung wirksam, wenn sie dem Adressaten zugeht. II. Arten von Willenserklärungen Willenserklärungen lassen sich in verschiedene Gruppen einteilen. Die wichtigste Unterscheidung bei Willenserklärungen ist die Differenzierung danach, ob diese zu ihrer Wirksamkeit dem Empfänger zugehen müssen oder nicht. * Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind solche, die für ihre Wirksamkeit zwingend voraussetzen, daß sie bei einem anderen Rechtssubjekt (natürliche oder juristische Person) ankommen. Beispiele: Kündigungserklärung (siehe Video: Kündigung wegen Krankheit); Willenserklärungen, die auf den Abschluß eines Vertrags gerichtet sind (Angebot und Annahme); Mahnung; Bürgschaftserklärung. (vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 4 A 4) * Nicht empfangsbedürftig sind solche Willenserklärungen, die ohne Rücksicht darauf, ob sie von jemandem empfangen werden oder nicht, Wirkungen entfalten. Beispiele: Testament, Auslobung Die Unterscheidung von empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen hat insbesondere Auswirkungen auf die Auslegung der jeweiligen Willenserklärung. Grundsätzlich stellt § 133 BGB klar, daß nicht am Wortlaut von Willenserklärungen zu haften, sondern der wahre Wille des Erklärenden zu erforschen ist. Beispiel: Bestimmt der Erblasser in seinem Testament (= nicht empfangsbedürftige Willenserklärung), daß sein Hund alles erben soll (was nicht möglich ist, da der Hund nicht rechtsfähig ist), so ist zu erforschen, was seinem wirklichen Willen am nächsten kommt; unter Umständen kann die Erklärung dahingehend ausgelegt werden, daß das Vermögen an einen Tierschutzverein vererbt wird und dieser verpflichtet ist, das Tier bis zum Lebensende zu versorgen. Für den Fall der Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen ist neben § 133 BGB auch § 157 BGB zu berücksichtigen, der anordnet, daß Erklärungen so auszulegen sind, wie es die Verkehrssitte erfordert. Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind somit vom Horizont eines vernünftigen objektiven Empfängers der Erklärung auszulegen. Beispiel: V bietet dem K seinen Gebrauchtwagen schriftlich zum Kauf an. Dabei verschreibt er sich und setzt als Kaufpreis statt der gewollten 5.400 € 4.500 € an. Vom objektiven Empfängerhorizont ist die Willenserklärung des V (Angebot auf Abschluß eines Kaufvertrags) so auszulegen, daß der Kaufpreis 4.500 € beträgt. K ist jedoch nicht schutzwürdig in seinem Vertrauen auf den äußeren Erklärungswert, wenn er den Irrtum des V erkennt. Hinweis: Zur Auslegung von Willenserklärungen vgl. auch Kap. 1. III. Abgabe der Willenserklärung Die Abgabe ist mit der Willenserklärung untrennbar verbunden. Erst mit der Abgabe wird die Willenserklärung existent. Vor der Abgabe liegt lediglich der vorläufige Entwurf einer Willenserklärung vor. 1. Abgabe einer nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung Die Abgabe einer nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung liegt vor, wenn der Erklärende sich der Erklärung entäußert hat. Regelmäßig ist eine solche Erklärung mit der Abgabe bereits wirksam. Im Falle nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen ist kein Zugang erforderlich. Hier sind nur die Interessen des Erklärenden berührt; ein Erklärungsempfänger, der zu schützen wäre, ist nicht vorhanden. Die nicht empfangsbedürftige Willenserklärung richtet sich an unzählige, nicht bekannte Personen. Hier kann es nur auf den äußeren Erklärungstatbestand ankommen. Beispiel: A heftet an einen Straßenbaum einen Zettel: „Wiederbringer meines entlaufenen Dackels erhält 100,- € Belohnung!“. Muß A dem B den Betrag zahlen, wenn dieser den Hund zurückbringt, ohne von dem Zettel erfahren zu haben? Die Auslobung (§§ 657 ff. BGB) ist eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie ist mit dem Anschlag am Straßenbaum abgegeben und selbst dann wirksam, wenn kein Mensch den Anschlag wahrnimmt. A muß dem B die ausgesetzte Belohnung zahlen. 2. Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung Im Falle einer empfangsbedürftigen Willenserklärung reicht es für die Abgabe nicht aus, daß der Erklärende sich der Erklärung entäußert. Zur Abgabe der Erklärung gehört vielmehr, daß der Erklärende die Erklärung in Richtung auf den Empfänger in Bewegung setzt und er bei Zugrundelegung normaler Verhältnisse mit dem Zugang beim Empfänger rechnen darf. (vgl. Michalski, Übungen I, Fälle 8, 9) Beispiel: Michalski, Übungen I, Fall 10 (Die eifrige Putzfrau). Hier liegt keine Abgabe der Willenserklärung vor, da diese nicht mit Willen des Erklärenden auf den Weg zum Empfänger gebracht wurde. Zwar war dem äußeren Tatbestand nach eine Abgabe gegeben, als die Putzfrau den von K geschriebenen Brief absandte; denn von wem der Brief abgeschickt wurde, konnte V nicht erkennen. – Für den inneren Tatbestand ist indes zumindest Handlungsbewußtsein erforderlich. Die Abgabe muß willentlich erfolgt sein. Daran fehlt es bei K, weil dieser im Hinblick auf die Abgabe keinen Willen hatte. Das Handeln der Putzfrau kann den Willen nicht ersetzen. Somit liegt kein Angebot des K vor, das V annehmen konnte. IV. Zugang der Willenserklärung 1. Begriff Eine Willenserklärung ist zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, daß dieser unter normalen Umständen und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen konnte. Der Zugang setzt sich aus einem objektiven Aspekt (Gelangen in den Machtbereich) und einem subjektiven Aspekt (Möglichkeit der Kenntnisnahme) zusammen. Bei der Bestimmung des Wirksamwerdens geht es um die richtige Risikoverteilung zwischen Erklärendem und Adressaten. Da die Äußerung oder deren Absendung für die Wirksamkeit der empfangsbedürftigen Willenserklärung nicht ausreicht, geht der Verlust der Erklärung auf dem Wege zum Empfänger zu Lasten des Erklärenden. Andererseits ist für das Wirksamwerden der Willenserklärung die Kenntnisnahme durch den Empfänger nicht erforderlich. Es genügt vielmehr, daß die Erklärung in den Bereich des Empfängers gelangt und dieser die Möglichkeit hat, von ihr Kenntnis zu nehmen. Nimmt er dennoch keine Kenntnisse, geht dies zu Lasten des Empfängers. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 8, Frage 3) 2. Zugang gegenüber Abwesenden Nach § 130 Abs. 1 S. 1 BGB wird eine Willenserklärung wirksam, wenn sie dem Adressaten zugeht. Für den Zugang ist erforderlich, daß die Erklärung in den Bereich des Empfängers gelangt ist. Dies ist dessen räumlicher Machtbereich (Wohnung, Geschäftsräume, Hausbriefkasten). a) Schriftliche Erklärung unter Abwesenden Es ist erforderlich, daß der Empfänger in der Lage ist, vom Inhalt der Willenserklärung Kenntnis zu nehmen. Wird während der Öffnungszeit der Post der Brief in das Schließfach des Empfängers oder der postlagernd gesandte Brief zum Abholen bereit gelegt, so ist dem Empfänger eine Kenntnisnahme möglich. Geschieht das Bereitlegen jedoch während der Nacht, so kann der Empfänger den Brief erst am nächsten Morgen nach Öffnung der Post lesen. Zum Zugang gehört ferner, daß mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme unter normalen Umständen gerechnet werden kann. Das kann besonders für die Frage wichtig sein, ob eine fristgebundene Willenserklärung (z. B. eine Kündigungserklärung) innerhalb der Frist zugeht. Beispiel: Wird dem Mieter eine Kündigungserklärung gegen 22.00 Uhr in seinen Hausbriefkasten geworfen, so kann unter normalen Umständen nicht davon ausgegangen werden, daß dieser vor dem nächsten Tag einen Blick in seinen Briefkasten wirft. Der Zugang erfolgt somit erst am folgenden Tag. (vgl. auch Michalski, Übungen I, Fall 8; Diederichsen, Kapitel 8, Fall 2) b) Mündliche Erklärung unter Abwesenden Beispiel: Der Mieter (M) einer Maschine will das Mietverhältnis telefonisch kündigen. Deshalb ruft er am Freitagnachmittag im Geschäft des Vermieters (V) an. Wegen Dienstschlusses ist das Telefon nicht mehr besetzt, sondern mit einem automatischen Anrufbeantworter verbunden. M erklärt, er kündige das Mietverhältnis zu Ende Februar. V hört am Montag um 9.00 Uhr das Band ab. Ist die Kündigung wirksam, wenn die Kündigungsfrist am Freitag ablief? In diesem Fall handelt es sich um eine mündliche Erklärung unter Abwesenden, weil M nicht mit V spricht. Mit der Aufnahme auf das angeschlossene Band ist die Erklärung des M in den Machtbereich des V gelangt. Die am Freitag nach Geschäftsschluß in den Bereich des V gelangte Erklärung ist diesem jedoch erst am Montagmorgen, also verspätet, zugegangen, denn nach den Gepflogenheiten des Geschäftsbetriebs konnte nicht erwartet werden, daß V sich früher Kenntnis verschafft. Aber: Wenn V gegen seine Gewohnheit am Freitag abend doch ins Geschäft kommt und sich die Nachricht anhört bzw. den Brief liest, ist die Willenserklärung damit zugegangen (bestr.). c) Widerruf Mit Zugang der Willenserklärung beim Empfänger ist diese wirksam. Dies gilt gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 BGB indes dann nicht, wenn zuvor oder gleichzeitig mit der Erklärung ein Widerruf beim Empfänger zugeht. Beispiel: Nach Absenden eines brieflichen Angebots zum Abschluß eines Kaufvertrags reut A der seiner Ansicht nach zu niedrige Kaufpreis. Umgehend ruft er B an und widerruft sein schriftliches Angebot, bevor dieses bei B eingetroffen ist. Bis zum Zugang der Willenserklärung hat es der Erklärende also in der Hand, deren Wirksamwerden zu verhindern. (vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 5 B) 3. Zugang gegenüber Anwesenden Für das Wirksamwerden einer empfangsbedürftigen Willenserklärung gegenüber einem Anwesenden fehlt eine gesetzliche Regelung. Hier ist der Grundgedanke des § 130 BGB heranzuziehen und danach zu unterscheiden, ob es sich um eine schriftliche oder mündliche Erklärung handelt. a) Schriftliche Erklärung unter Anwesenden. Im Falle einer schriftlichen Erklärung kommt es auf den Zugang beim Empfänger an. Demnach wird die Erklärung regelmäßig mit der Übergabe an den Empfänger wirksam; denn damit gelangt die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers, und dieser hat in diesem Zeitpunkt die Möglichkeit der Kenntnisnahme. Beispiel: Wird eine schriftliche Erklärung dem Empfänger heimlich in die Tasche gesteckt, so ist sie zwar in dessen Bereich gelangt, aber noch nicht zugegangen, weil der Empfänger mit einer solchen Art der „Zustellung“ nicht zu rechnen braucht. Sonderfall: V will dem M zum nächsten Ersten kündigen, was M weiß. Als V an dessen Wohnungstür klopft, um M das Kündigungsschreiben zu überreichen, öffnet dieser nicht und ruft dem V zu, er solle sich mit seinem Kündigungsschreiben zum Teufel scheren. Hat V dem M wirksam gekündigt? Ja: Die Willenserklärung ist zwar nicht zugegangen, aber M ist hier nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) so zu behandeln, als ob er Kenntnis von dem Kündigungsschreiben erhalten hätte. Er muß sich wegen seines arglistigen Verhaltens so behandeln lassen, als sei ihm der Brief des V zugegangen. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 8, Frage 4) b) Mündliche Erklärung unter Anwesenden Die mündliche Erklärung wird nach der „Vernehmungstheorie“ nur wirksam, wenn der Adressat sie akustisch richtig vernommen hat. Eine Ausnahme hiervon ist im Interesse der Verkehrssicherheit dann zu machen, wenn für den Erklärenden kein vernünftiger Anlaß bestand, am Zugang seiner Erklärung zu zweifeln. Beispiel: Die Kündigungserklärung des A gegenüber B auf dem Fußballplatz während des Torjubels der Zuschauer ist nicht zugegangen, wenn die Erklärung des A nicht zu verstehen war. Sofern A jedoch davon ausgehen durfte, daß B seine Erklärung verstehen konnte, muß deren Zugang angenommen werden. Kein Zugang liegt vor, wenn der Adressat taub, schwerhörig oder der verwendeten Sprache nicht mächtig ist. (vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 4 A 6) Kapitel 3: Vertragsschluß durch Angebot und Annahme * I. Angebot * II. Annahme * III. Sonderfälle Rechtsquelle: §§ 145-157 BGB. Literatur zur Einarbeitung: Brox, Allgemeiner Teil, §§ 8, 9; Musielak, Grundkurs BGB, Rz. 111-129. Unterrichtsmaterialien: Michalski, Übungen I, Fälle 1, 2, 3, 4, 7 und 8 sowie Fragen auf S. 149 f; Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 7; Zahlenbild Nr. 128 038: Verträge des täglichen Lebens; DAF-UE "Vertragsschluß". Der Vertrag besteht aus inhaltlich übereinstimmenden Willenserklärungen von mindestens zwei Personen. Die zeitlich erste Willenserklärung bezeichnet man als Angebot oder Antrag, die spätere als Annahme. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 7, Frage 1) I. Angebot 1. Begriff und Inhalt Das Vertragsangebot (vgl. § 145 BGB: "Antrag") ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die ein Vertragsschluß einem anderen so angetragen wird, daß das Zustandekommen des Vertrags nur von dessen Einverständnis abhängt. Als empfangsbedürftige Willenserklärung ist das Angebot nicht mit Abgabe, sondern erst mit Zugang beim Empfänger wirksam. Bis zum Zugang kann es frei widerrufen werden. Hinweis: Zum Zugang von Willenserklärungen vgl. Kap. 2. Das Angebot muß inhaltlich so bestimmt sein, daß der Empfänger bloß zuzustimmen braucht. Das Angebot muß die wesentlichen Punkte zum Vertragsschluß (= essentialia negotii) enthalten (z. B. beim Kauf den Kaufgegenstand und den Kaufpreis, beim Mietvertrag den Mietgegenstand und den Mietzins). (vgl. hierzu Zahlenbild Nr. 128 038: Verträge des täglichen Lebens) Das Angebot muß in der Regel an eine bestimmte Person gerichtet sein, von der alleine es angenommen werden kann. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 1) Das Angebot ist normalerweise nur dann hinreichend bestimmt, wenn es auch die Person des Vertragspartners erkennen läßt. Es gibt jedoch Fälle, in denen sich der Anbietende seine Vertragspartner nicht aussuchen will oder ein individueller Antrag an einzelne Empfänger nicht mö glich ist. Hier ist die Erklärung an die Allgemeinheit bereits als Vertragsangebot aufzufassen (sog. Offerte ad incertas personas), z. B. im Falle von Warenautomaten. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 7, Fragen 8 und 9) Zu unterscheiden ist ein Angebot von der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (invitatio ad offerendum). Bei Verlautbarungen an die Allgemeinheit ("Angebote" in Zeitungsanzeigen, Postwurfsendungen, Kataloge, Schaufenster) fehlt erkennbar ein Geschäftswille (vgl. hierzu Kap. 1), so daß es sich nicht um Angebote im Rechtssinne, sondern nur um Aufforderungen zur Abgabe von Angeboten handelt. Würden es Angebote sein, so könnte eine unbegrenzte Zahl von Personen durch Annahme einen Vertragsschluß zustande bringen. Alle Verträge wären wirksam; der "Anbieter" könnte aber möglicherweise nur einen einzigen Vertrag erfüllen und sich gegenüber den anderen Vertragspartnern wegen Nichterfüllung des Vertrags schadenersatzpflichtig machen. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 3 sowie S. 149, Frage 1; Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 7, Frage 2) Hinweis: Zur Haftung wegen Unmöglichkeit vgl. Kap. 13. 2. Wirkung Im Interesse des Empfängers bestimmt § 145 BGB, daß der Antragende an seinen Antrag gebunden ist. Der Antrag ist also unwiderruflich; der Antragende kann sich nicht einseitig - wohl aber mit Zustimmung des durch die Vorschrift geschützten Empfängers - von seinem Antrag lossagen. Hinweis: Zur Möglichkeit des Widerrufs bis zum Zugang des Angebots beim Empfänger gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 BGB vgl. Kap. 2. Durch die Bindung des Antragenden erlangt der Empfänger eine günstige Rechtsposition: Er kann das Angebot annehmen oder ablehnen. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 2) Im Interesse des Antragenden kann die Bindung jedoch ausgeschlossen oder befristet sein. 3. Erlöschen des Antrags a) Erlöschensgründe Erlöschensgründe sind die Ablehnung des Antrags und der Ablauf der Annahmefrist: aa) Das Angebot erlischt durch Ablehnung gegenüber dem Antragenden. Die Ablehnung des Antrags ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung (§ 146 BGB). Eine Ablehnung liegt auch dann vor, wenn das Angebot "unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen" angenommen wird (§ 150 Abs. 2 BGB); eine solche Annahme stellt rechtlich einen neuen Antrag dar (§ 150 Abs. 2 BGB). (vgl. Michalski Übungen I, Fall 7) bb) Das Angebot erlischt, wenn es nicht rechtzeitig angenommen wird (§ 146 BGB). (1) Die Fristbestimmung erfolgt in erster Linie durch den Antragenden; die Annahme kann hier nur innerhalb der von diesem gesetzten Frist erfolgen (§ 148 BGB). (2) Die Fristbestimmung erfolgt durch das Gesetz, wenn der Antragende die Frist selbst nicht bestimmt: * Nach § 147 Abs. 1 BGB kann der einem Anwesenden oder telefonisch gemachte Antrag nur sofort angenommen werden. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 7, Fragen 4 und 5) * Nach § 147 Abs. 2 BGB kann der einem Abwesenden gemachte Antrag nur bis zum Zeitpunkt angenommen werden, in dem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Das Gesetz stellt darauf ab, wann man normalerweise mit dem Zugang der Annahmeerklärung rechnen darf. Unter regelmäßigen Umständen versteht man die normale Dauer der Beförderung durch das gewählte Beförderungsmittel, Ankunft im Geschäftslokal am arbeitsfreien Wochenende sowie Dauer der Überlegungszeit, die wiederum von der Wichtigkeit und dem Umfang des Angebots abhängt. Beispiel: V bietet dem K in einem am 1. 6. abgeschickten und dem K am 3. 6. durch die Post zugestellten Brief eine Vase für 900,- € zum Kauf an. K schreibt dem V am Abend des 4. 6. einen Brief, in dem er erklärt, er nehme das Angebot an. Dieser Brief geht dem V am 6. 6. zu. K hat das Angebot des V rechtzeitig angenommen. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 8) b) Keine Erlöschensgründe Keine Erlöschensgründe sind regelmäßig der Tod und die Geschäftsunfähigkeit (vgl. hierzu Kap. 7) des Antragenden (§ 153 BGB; vgl. auch § 130 Abs. 2 BGB). Das Angebot kann somit auch angenommen werden, wenn der Antragende stirbt oder geschäftsunfähig wird, gleichgültig ob vor oder nach Zugang des Angebots. Ausnahmsweise erlischt das Angebot bei Tod oder Geschäftsunfähigkeit, wenn ein entsprechender hypothetischer Wille anzunehmen ist. Beispiel: Dienstvertrag c) Wirkung des Erlöschens Die Wirkung des Erlöschens des Antrags besteht darin, daß der Antrag rechtlich nicht mehr existiert. Die Annahmeerklärung gilt dann als neuer Antrag (§ 150 BGB). Das gilt auch dann, wenn die Annahmeerklärung zwar rechtzeitig abgesandt wurde, dem Antragenden aber wegen unregelmäßiger Beförderung erst nach Ablauf der Annahmefrist (§§ 147, 148 BGB) zugeht. Nach § 149 BGB hat der Antragende dem Annehmenden die Verspätung in diesem Fall jedoch unverzüglich anzuzeigen (Obliegenheit), sonst gilt nach § 149 S. 2 BGB die verspätete Annahme als nicht verspätet (Fiktion). Der Vertrag gilt dann trotz verspäteter Annahme als geschlossen. II. Annahme 1. Begriff Die Annahme ist eine grundsätzlich empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die der Antragsempfänger dem Antragenden sein Einverständnis mit dem angebotenen Vertragsschluß zu verstehen gibt. Als empfangsbedürftige Erklärung wird die Annahmeerklärung erst mit dem Zugang beim Antragenden wirksam; bis zum Zugang kann der Annehmende seine Erklärung also widerrufen (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Ausnahme: Der Zugang der Annahmeerklärung ist ausnahmsweise fü r das Zustandekommen des Vertrags nicht erforderlich (§ 151 S. 1 BGB): * wenn ein Zugang nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist (z. B. Bestellung eines Hotelzimmers) * wenn der Antragende auf den Zugang der Annahme verzichtet hat (z. B. Express-Bestellung von Waren, die starken Preisschwankungen unterliegen). Achtung: In diesen Fällen wird allein auf den Zugang der Annahmeerklärung, nicht jedoch auf deren Abgabe verzichtet. Die Abgabe der Willenserklärung erfolgt in den Beispielsfällen durch konkludentes Handeln, nämlich das Bereitstellen des Hotelzimmers bzw. das Verpacken und Absenden der bestellten Ware. Der Antragende kann nicht nur eine Frist fü r die Annahme bestimmen (§ 148 BGB); er ist auch in der Lage, die formalen Erfordernisse an die Annahmeerklärung zu erschweren (z. B. Übergabe an den Antragenden persönlich; notarielle Beurkundung, die gesetzlich nicht vorgeschrieben ist) oder zu erleichtern (z. B. Zugang nicht erforderlich). Inhaltlich muß die Annahmeerklärung mit dem Angebot übereinstimmen; andernfalls liegt keine Einigung vor. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 4) 2. Wirkung Entspricht die Annahme inhaltlich dem Antrag und ist sie vor dem Erlöschen des Antrags wirksam geworden, so ist der Vertrag zustande gekommen. Enthält die Annahme gegenüber dem Antrag Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstige Änderungen, so ist die Erklärung nicht als Annahme, sondern als Ablehnung aufzufassen. Sie gilt nach § 150 Abs. 2 BGB als neuer Antrag. Ist die Annahme verspätet, so muß geprüft werden, ob nach § 149 BGB die Annahme ausnahmsweise als nicht verspätet gilt. Wenn nicht, dann ist kein Vertragsschluß erfolgt (Erlöschen des Angebots wegen Fristablaufs). Die Annahmeerklärung gilt dann als neuer Antrag. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 7 sowie S. 150, Frage 10) 3. Verpflichtung zur Annahme Aus dem Grundsatz der Privatautonomie (vgl. hierzu Kap. 5) folgt, daß der Empfänger eines Angebots grundsätzlich frei darin ist, ob er das Angebot annimmt oder ablehnt. Ausnahmsweise kann der Empfänger des Angebots zur Annahme verpflichtet sein (Abschlußzwang): * durch einen Vorvertrag verpflichten sich die Parteien zum Vertragsschluß * kraft Gesetzes ergibt sich ein Abschlußgebot z. B. für Eisenbahn, Post sowie Energieversorgungsunternehmen. III. Sonderfälle 1. Option Die Option ist das Recht, durch Erklärung einseitig einen Vertrag zu begründen. Die Option bedarf keiner Annahmeerklärung des Vertragspartners, damit der Vertrag zustande kommt. Das Optionsrecht beruht auf einem zuvor geschlossenen Vertrag, in dem das Einverständnis einer Partei zur Begründung eines weiteren Vertrags durch den Optionsberechtigten gegeben ist. 2. Schweigen als Annahme Grundsätzlich gilt das Schweigen auf ein Angebot nicht als Annahme, sondern als Ablehnung. Nur ausnahmsweise gilt das Schweigen als Annahme. Voraussetzung ist eine entsprechende Parteivereinbarung oder eine gesetzliche Bestimmung. Beispiel: Das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben gilt nach Gewohnheitsrecht als Zustimmung zum Inhalt des Schreibens. (hierzu näher Brox, Allgemeiner Teil, Rz. 202) Kapitel 4: Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften * I. Richtlinie 85/577/EWG * II. Deutscher Umsetzungsakt Rechtsquelle: Richtlinie 85/577/EWG; § 312 BGB. Literatur zur Einarbeitung: Brox, Allgemeiner Teil, § 9 I; Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, § 6 III, Musielak, Grundkurs BGB, Rz. 141-147. Unterrichtsmaterialien: Zahlenbild Nr. 128 042: Haustürgeschäfte; DAF-UE "Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften". I. Richtlinie 85/577/EWG In den 80er Jahren entwickelte sich im Wirtschaftsverkehr die Tendenz, Verträge außerhalb der Geschäftsräume eines Gewerbetreibenden abzuschließen. Hiermit entstanden für den Verbraucher neuartige Risiken: Insbesondere verleitet die Vertragsanbahnung im heimischen Umfeld sowie der damit einher gehende psychische Druck zum übereilten Abschluß von Verträgen. Da solche Verträge bzw. Verpflichtungserklärungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch unterschiedliche Rechtsvorschriften geregelt waren und die Unterschiede zwischen diesen Rechtsvorschriften sich unmittelbar auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken konnten, erließ der Rat der EG eine Richtlinie betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen. Die wichtigsten Gründe zum Erlaß der Richtlinie waren folgende: * Bei solchen Verträgen geht die Initiative vom Gewerbetreibenden aus. * Der Verbraucher ist auf die Vertragsverhandlungen nicht vorbereitet und hat deshalb keine Möglichkeit, die sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen zu überdenken. Der Rat forderte die Mitgliedstaaten auf, dem Verbraucher das Recht einzuräumen, innerhalb von sieben Tagen (Mindestzeitraum) vom Vertrag zurückzutreten, und geeignete Maßnahmen zu treffen um sicherzustellen, daß der Verbraucher schriftlich über seine Überlegungsfrist unterrichtet ist. Deutschland hatte diese Richtlinie zunächst durch das Haustürgeschäfte-Widerrufsgesetz (HaustürWG) vom 16. 1. 1986 umgesetzt. Im Rahmen der zum 1. 1. 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform wurden die Vorschriften des HaustürWG wie die weiterer Verbraucherschutzgesetze in das BGB überführt. II. Deutscher Umsetzungsakt 1. Bedeutung Häufig werden Leute an der Haustür durch einen Werber oder Vertreter zum Vertragsschluß bewogen, den sie später bereuen, weil sie ohne hinreichende Überlegung Zahlungsverpflichtungen mit schwerwiegenden finanziellen Folgen eingegangen sind. Zum Kundenschutz wird dem Verbraucher in solchen und in vergleichbaren Fällen unter bestimmten Voraussetzungen ein Widerrufsrecht eingeräumt. Beispiel: Der 57-jährige P nimmt an einer "Kaffeefahrt" teil. Bei der üblichen Warenvorführung am Zielort läßt der Veranstalter V deutlich durchblicken, daß es unanständig wäre, die preiswerte Busfahrt zu genießen, aber keine der Heizdecken zu kaufen. P kauft daraufhin eine Heizdecke für 240,- €. Den Kaufpreis entrichtet er sofort an Ort und Stelle, die Heizdecke nimmt er mit nach Hause. Drei Wochen später kommt der Sohn des P zu Besuch. Er stellt fest, daß die gleiche Decke im Fachgeschäft nur 80,- € kostet. Die Familie überredet P., den Vertrag anzufechten. 2. Voraussetzungen des Widerrufsrechts a) Die Willenserklärung des Kunden muß das Angebot oder die Annahme zum Abschluß eines Vertrags über eine entgeltliche Leistung sein. b) Der Kunde muß zu seiner Erklärung bestimmt worden sein (§ 312 Abs. 1 BGB): * durch mündliche Verhandlung an seinem Arbeitsplatz oder im Bereich einer Privatwohnung, * anläßlich einer Freizeitveranstaltung, die von der anderen Vertragspartei durchgeführt wird (vgl. Beispielsfall oben), oder * durch ein überraschendes Ansprechen in (öffentlichen) Verkehrsmitteln oder im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrswege. 3. Ausschluß des Widerrufsrechts (§§ 312 Abs. 3 BGB) Das Widerrufsrecht ist ausgeschlossen, wenn der Kunde nicht schutzbedürftig ist: * Die Vertragsverhandlungen am Arbeitsplatz oder in einer Privatwohnung sind auf vorherige Bestellung des Kunden geführt worden. * Die Leistung wird sofort erbracht und bezahlt; das Entgelt übersteigt nicht 40,- €. * Die Willenserklärung des Verbrauchers ist von einem Notar beurkundet worden. * Der Vertrag wird vom Kunden in Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit geschlossen (kein Verbraucher i. S. d. § 13 BGB). * Die andere Partei handelt nicht geschäftsmäßig (kein Unternehmer i. S. d. § 14 BGB). Das Gesetz gilt zudem nicht für den Abschluß von Versicherungsverträgen. 4. Ausübung des Widerrufsrechts (§ 355 BGB) Das Widerrufsrecht wird durch Widerrufserklärung innerhalb von zwei Wochen nach erfolgter Widerrufsbelehrung ausgeübt. Die Widerrufserklärung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die der Kunde gegenüber seinem Vertragspartner die Rücknahme seiner auf den Vertragsschluß gerichteten Willenserklärung zum Ausdruck bringt. Sie bedarf der Textform; allerdings ist auch ein Widerruf durch Rücksendung der Ware möglich (konkludente Willenserklärung). a) Form Die Widerrufserklärung bedarf keiner Begründung; allerdings müssen der betroffene Vertrag sowie der Widerrufende klar identifizierbar sein. Vorgeschrieben ist - außer bei Rücksendung der Sache - Textform (§ 126 b BGB); somit ist auch ein Widerruf per Telefax oder e-mail möglich. Der Abschluß der Erklärung muß durch die Unterschrift des Widerrufenden, deren Nachbildung oder in anderer Weise erkennbar gemacht werden. b) Frist Der Widerruf muß fristgemäß erfolgen. Zur Wahrung der Frist genügt nach § 355 Abs. 1 S. 2 HS. 2 BGB die rechtzeitige Absendung des Widerrufs (Ausnahme! im Zivilrecht ist ansonsten stets der Zugang der Willenserklärung maßgeblich). Die Länge der Widerrufsfrist richtet sich danach, ob der Kunde über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt worden ist. Bei ordnungsgemäßer Belehrung beträgt die Widerrufsfrist zwei Wochen ab Belehrung. Bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung erlischt das Widerrufsrecht gemäß § 355 Abs. 3 BGB erst sechs Monate nach Vertragsschluß (vgl. Beispielsfall oben). Eine ordnungsgemäße Belehrung setzt nach § 355 Abs. 2 BGB voraus: (1) Sie muß in Textform erfolgen und drucktechnisch deutlich gestaltet sein (Deutlichkeitsgebot). (2) Aus dem Inhalt muß dem Kunden klar sein, daß er seine Willenserklärung ohne weitere Voraussetzungen innerhalb von zwei Woche seit der Widerrufsbelehrung widerrufen kann, der Widerruf in Textform erfolgen muß und die Frist mit der Absendung des Widerrufs gewahrt wird. Die Belehrung muß den Namen und die Anschrift des Widerrufsempfängers enthalten. (3) Die Belehrung muß vom Kunden unterschrieben oder (im Falle eines elektronischen Mediums) mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (vgl. § 2 Nr. 3 SigG) versehen sein und ihm zur Verfügung gestellt werden werden. Der Vermerk des Datums der Aushändigung ist nicht erforderlich; freilich trifft den Unternehmer die Beweislast für den Beginn der Frist (§ 355 Abs. 2 S. 4 BGB) 5. Rechtsfolgen des Widerrufs Die Rechtsfolgen ergeben sich, wenn der Kunde sein Widerrufsrecht form- und fristgemäß ausgeübt hat, aus §§ 357, 346 ff. BGB: (1) Jeder Teil ist verpflichtet, dem anderen Teil die empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Die Verpflichtungen sind Zug um Zug zu erfüllen (§§ 357 Abs. 1 i. V. m. §§ 346, 348 BGB). (2) Der Verbraucher ist verpflichtet, dem Unternehmer die Ware auf dessen Kosten und Gefahr zurückzusenden (§ 357 Abs. 2 BGB). (3) Der Verbraucher ist in Abweichung von § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB verpflichtet, auch für die durch bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache eingetretene Wertminderung Ersatz zu leisten (§ 357 Abs. 3 BGB). Beispiel: Durch die Zulassung eines neuen Pkw tritt automatisch ein Wertverlust von mehreren tausend Euro ein. Dies gilt dann nicht, wenn die Wertminderung ausschließlich auf die Prüfung der Ware zurückzuführen ist. Beispiel: Kein Wertminderungsanspruch, wenn die erworbene Ware lediglich ausgepackt wird, um sie auf ihre Vollständigkeit hin zu überprüfen. Voraussetzung für den Wertminderungsanspruch ist indes, daß der Unternehmer spätestens bei Vertragsschluß in Textform auf die Rechtsfolge wie auf eine Möglichkeit zu ihrer Vermeidung hingewiesen hat. Beispiel: Im Fall des Kraftfahrzeugkaufs wird der Verkäufer auf eine Möglichkeit zur Testfahrt ohne Zulassung des Fahrzeugs (etwa auf einem Privatgelände) verweisen müssen. (4) Der Unternehmer ist verpflichtet, dem Verbraucher die auf die Sache gemachten notwendigen Aufwendungen zu ersetzen (§ 357 Abs. 1 i. V. m. § 347 Abs. 2 BGB). Ausgangsbeispiel: Da P nicht ordnungsgemäß belehrt wurde, kann er im Laufe von sechs Monaten nach Vertragsschluß seine Willenserklärung widerrufen und dadurch den Vertrag unwirksam machen. Als Rechtsfolge sind die empfangenen Leistungen (Eigentum und Besitz an der Heizdecke, Kaufpreis) zurückzugewähren. Kapitel 5: Privatautonomie * I. Form des Rechtsgeschäfts * II. Inhaltliche Schranken des Rechtsgeschäfts * III. Exkurs: Verschulden bei Vertragsverhandlungen Rechtsquelle: §§ 125-129, 134, 138, 311 Abs. 1, 311 b Abs. 1, 550 BGB. Literatur zur Einarbeitung: Brox, Allgemeiner Teil, §§ 13, 14; Medicus, Schuldrecht I: Allgemeiner Teil, § 14; Musielak, Grundkurs BGB, Rz. 47-52, 98-101, 478-488. Unterrichtsmaterialien: Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 6, 12 und 13; Helm, Grundkurs, Übungen 4 und 23. DAF-UE "Privatautonomie"; Video "Die Geheimnummer" mit UE; Hörtext mit UE "Die Form von Rechtsgeschäften" Vertiefende Literatur: Vykydal, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, JuS 1996, S. L 33-37. I. Form des Rechtsgeschäfts 1. Grundsatz der Formfreiheit Rechtsgeschäfte sind grundsätzlich formlos wirksam. Der Erklärende ist frei in der Wahl des Erklärungsmittels (z.B. mündliche oder schriftliche Äußerung; Gebärde). (vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 4 A 2) 2. Bedeutung der Formbedürftigkeit Die Formbedürftigkeit eines Rechtsgeschäfts beruht entweder auf Gesetz oder auf Parteivereinbarung und hat folgende Funktionen: * Beweisfunktion: Die Form kann Klarheit darüber schaffen, ob und zu welchen Bedingungen ein Vertrag abgeschlossen worden ist. Die Form dient also der Sicherung des Beweises. Beispiel: Nach § 550 BGB bedarf ein Grundstücksmietvertrag, der für länger als ein Jahr geschlossen wird, der Schriftform, damit der Beweis über den Vertragsinhalt gesichert wird. * Beratungsfunktion: Durch eine notarielle Beurkundung des Rechtsgeschäfts soll eine juristische Beratung über die Auswirkungen des Geschäfts erreicht werden. Beispiel: Nach § 311 b Abs. 1 S. 1 BGB bedarf der Kaufvertrag über ein Grundstück der notariellen Beurkundung, um eine fachkundige Beratung durch einen Notar zu ermöglichen sowie etwaigen Streitigkeiten über Abschluß und Inhalt des Vertrages vorzubeugen. * Warnfunktion: Eine Formvorschrift kann die Warnung vor dem übereilten Abschluß eines wichtigen Rechtsgeschäfts bezwecken. Beispiel: Nach § 766 BGB bedarf z. B. der Bürgschaftsvertrag der Schriftform, da ein solches einseitig verpflichtendes Rechtsgeschäft besonders riskant ist. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 12, Fragen 1-3) 3. Arten der Form a) Schriftform Einfache Schriftform ist z. B. in § 766 BGB für die Bürgschaftserklärung, in §§ 780, 781 BGB für das Schuldversprechen und das Schuldanerkenntnis sowie in § 550 BGB für bestimmte Mietverträge vorgesehen. aa) Ist durch Gesetz Schriftform vorgeschrieben, so muß eine Urkunde erstellt und von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder durch notariell beglaubigtes Handzeichen unterzeichnet werden (§ 126 Abs. 1 BGB). Beispiel 1: Das Telegramm genügt der Schriftform nicht, da das zugestellte Telegramm nicht eigenhändig unterschrieben ist. Beispiel 2: Eine Unterzeichnung mittels Faksimilestempel oder Schreibmaschinenschrift ist nicht ausreichend. Bei einem Vertrag muß die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen; werden mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen, so reicht es aus, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet (§ 126 Abs. 2 BGB). Der Text der Urkunde muß nicht vom Erklärenden selbst niedergelegt werden; der Text kann etwa gedruckt, mit der Schreibmaschine oder mit der Hand geschrieben sein. Ausnahme: Das Handtestament muß der Erblasser selbst eigenhändig (= handschriftlich) schreiben und unterschreiben (§ 2247 Abs. 1 BGB); dadurch soll einer Fälschung des Testaments vorgebeugt werden. bb) Ist durch Rechtsgeschäft Schriftform für ein Rechtsgeschäft bestimmt, so können die Parteien die Anforderungen an die Schriftform erleichtern oder erschweren. Sie können beispielsweise von der Eigenhändigkeit der Unterzeichnung absehen oder Zustellung des Schriftstückes durch eingeschriebenen Brief vereinbaren. Beispiel: Schriftformklausel in AGB (s. aber § 309 Nr. 13 BGB) Im Zweifelsfall gelten aber auch hier die Vorschriften über die gesetzliche Schriftform (§ 127 Abs. 1 BGB). Freilich sieht das Gesetz bestimmte Erleichterungen vor. So genügt im Zweifelsfall die telekommunikative Übermittlung (ohne eigenhändige Unterschrift) oder im Falle des Vertrags der Abschluß durch Briefwechsel (vgl. § 127 Abs. 2 BGB); in diesen Fällen kann später die Ausfertigung einer den Voraussetzungen des § 126 BGB entsprechenden Urkunde verlangt werden.. b) Elektronische Form (§ 126 a BGB) Die Schriftform kann grundsätzlich durch die elektronische Form (z. B. e-mail) ersetzt werden, es sei denn, das Gesetz schließt diese ausdrücklich aus (§ 126 Abs. 3 BGB). Eine Funktionsäquivalenz zwischen elektronischer Form und Schriftform wird dabei insbesondere in den Fällen bejaht, in denen die Beweisfunktion des Formerfordernisses im Vordergrund steht, nicht dagegen in den Fällen, in denen die Warnfunktion überwiegt. Beispiel: § 766 BGB schließt für die Erteilung einer Bürgschaftserklärung die Schriftform aus. Anstelle der handschriftlichen Unterschrift ist im Falle der elektronischen Form eine Hinzufügung des Namens sowie eine qualifizierte elektronische Signatur nach dem Signaturgesetz erforderlich (§ 126 a Abs. 1 BGB). Im Falle der gewillkürten (= durch Rechtsgeschäft bestimmten) Schriftform reicht jegliche Art der elektronischen Signatur aus (§ 127 Abs. 3 BGB). c) Textform (§ 126 b) Insbesondere für Informationen, die dem Vertragspartner bei Vertragsschluß zur Verfügung gestellt werden müssen, um typischen Gefällesituationen (Beispiel: Verbrauchergeschäfte) zu begegnen, sieht der Gesetzgeber die Textform vor. Beispiel: Die Belehrung über das Widerrufsrecht des Verbrauchers im Falle eines Haustürgeschäftes (vgl. hierzu Kap. 4) hat gemäß § 355 Abs. 2 S. 1 BGB in Textform zu erfolgen; ebenso der Widerruf selbst (§ 355 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Textform verlangt die Lesbarkeit der Erklärung in Schriftzeichen (Beispiel: Ausdruck einer Textdatei), die Angabe des Erklärenden sowie einen erkennbaren Abschluß der Erklärung (§ 126 b BGB). d) Öffentliche Beglaubigung (§ 129 BGB) Die Beglaubigung bezieht sich nur auf die Unterschrift, nicht auf den Text der Urkunde: Der Notar bestätigt hierbei auf der Urkunde, daß die Unterschrift von dem herrührt, der die Erklärung wirklich abgegeben hat. Die Beglaubigung beweist also die Echtheit der Urkunde. Dies ist oft bei Abgabe einer Erklärung gegenüber einer Behörde erforderlich, wie etwa bei Anmeldungen zur Eintragung ins Handelsregister (§ 12 HGB). e) Notarielle Beurkundung (§ 128 BGB) Der Beurkundung bedürfen besonders wichtige Verträge, wie etwa der Grundstückskaufvertrag (§ 311 b Abs. 1 BGB) oder das Schenkungsversprechen (§ 518 BGB). Bei der Beurkundung wird der gesamte Inhalt des Rechtsvorganges festgestellt und bezeugt. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 12, Frage 10) f) Abgabe vor einer Behörde Ist die Abgabe von Erklärungen vor einer Behörde vorgeschrieben, so muß dies in wichtigen Fällen bei gleichzeitiger Anwesenheit aller Beteiligten erfolgen. Beispiel: Die Eheschließenden müssen die Erklärung zur Eingehung der Ehe vor dem Standesbeamten bei gleichzeitiger Anwesenheit und persönlich abgeben. 4. Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung der Form a) Nichtbeachtung der gesetzlichen Form aa) Nichtig ist ein Rechtsgeschäft, bei dem die durch Gesetz vorgeschriebene Form nicht beachtet ist (§ 125 S. 1 BGB). Beispiel: Wird die Schriftform für die Kündigung eines Mietverhältnisses (§ 568 Abs. 1 BGB) nicht eingehalten, so ist die Kündigung nichtig. bb) Bei bestimmten formbedürftigen Rechtsgeschäften (Schenkung, § 518 Abs. 2; Bürgschaft, § 766 S. 3 BGB) kann eine Heilung des Formmangels eintreten. Die Heilung tritt ein, wenn die formlos versprochene Leistung bewirkt worden ist. Grund für die Heilung ist, daß Warn- und Beweisfunktion bei Erfüllung entbehrlich sind. Beispiel: A und B vereinbaren mündlich die Schenkung eines Kfz; eine Woche später händigt A dem B den Schlüssel und die Wagenpapiere aus. Die an sich formwidrig ergangene Schenkung ist durch die ordnungsgemäße Übereignung geheilt. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 12, Fragen 7-8) cc) Im Einzelfall kann eine Berufung auf den Formmangel gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen. Haben beide Parteien eines schuldrechtlichen Vertrags den Mangel der Form gekannt und dennoch die Formschrift nicht beachtet, so ist das Rechtsgeschäft nichtig und der durch den Formmangel Geschädigte verdient keinen Schutz. Hat jedoch eine Partei die andere über die Formbedürftigkeit arglistig getäuscht, so muß der Vertrag im Interesse des Getäuschten als wirksam behandelt werden. Beispiel: Rechtsanwalt R verspricht dem Gläubiger G, für die Schuld des S als Bürge zu haften. R weist darauf hin, als Rechtsanwalt brauche er sein Versprechen nicht schriftlich zu erklären. Später verlangt G von R Zahlung. Zu Recht? - Hat G auf das Wort des fachkundigen R vertraut und kannte er die Formbedürftigkeit des Bürgschaftsversprechens nicht, so kann er von R trotz Nichtigkeit der Bürgschaft Zahlung verlangen (§ 766 S. 1 BGB). b) Nichtbeachtung der rechtsgeschäftlichen Form Da die Parteien auf Grund der Privatautonomie das Recht haben, durch Rechtsgeschäft die Einhaltung einer Form zu vereinbaren, richten sich die Rechtsfolgen bei Nichteinhaltung einer vereinbarten Form ebenfalls nach dem Willen der Parteien. Die Auslegung des Willens kann ergeben, daß die Parteien die vereinbarte Form als Wirksamkeitsvoraussetzung des Rechtsgeschäfts oder nur als Beweissicherungsmittel gewollt haben. Im ersten Fall wird das Rechtsgeschäft erst durch die Einhaltung der Form wirksam; die Nichteinhaltung der Form hat die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge. Im zweiten Fall dient die Form nur der Sicherung des Beweises; ihre Nichteinhaltung beeinträchtigt die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts nicht. Eine Formvereinbarung kann von den Parteien jederzeit aufgehoben werden. Dies ist ausdrücklich, aber auch stillschweigend möglich, indem die Parteien das Rechtsgeschäft formlos abschließen und damit die Aufhebung der Formvereinbarung zu erkennen geben. Beispiel: Vereinbaren V und K, den Kaufvertrag über einen Pkw schriftlich abzuschließen, tun es später jedoch nicht, sondern übereignen den Pkw sofort gegen Barzahlung, so ist der Kaufvertrag wirksam. Die beiderseitige Erfüllung spricht dafür, daß die Parteien die Formabrede abbedungen haben. II. Inhaltliche Schranken des Rechtsgeschäfts Abschluß- und Gestaltungsfreiheit Der Grundsatz der Vertragsfreiheit umfaßt zum einen das Recht, frei zu bestimmen, ob und mit wem ein Vertrag geschlossen werden soll (Abschlußfreiheit), zum anderen das Recht, den Inhalt eines Vertrages frei zu gestalten (Gestaltungsfreiheit). 1. Abschlußfreiheit Bis zum Vertragsschluß soll jede Seite frei sein in der Entscheidung, ob überhaupt und mit wem sie einen Vertrag schließen will. Ist der Vertrag geschlossen, so ist er indes verbindlich. Ausnahme: Die Abschlußfreiheit wird in Ausnahmefällen durch den Kontrahierungszwang (Abschlußzwang) im Bereich der öffentlichen bzw. privaten Dienst- und Versorgungsleistungen mit Monopolstellung (Post, Transport, Müllabfuhr, Strom, Gas, Wasser) außer Kraft gesetzt. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 6, Fragen 7 und 8) 2. Gestaltungsfreiheit a) Allgemeines Das BGB gibt den Vertragspartnern die Möglichkeit den Inhalt ihrer vertraglichen Beziehung selbst zu gestalten. In erster Linie ist also für den Vertragsinhalt das maßgebend, was die Parteien vereinbart haben. Die Regeln des BGB gelten nur subsidiär, nämlich dort, wo die Parteien nichts vereinbart haben (etwa weil sie nicht daran gedacht haben oder weil sei insoweit eine Regelung nicht für erforderlich hielten). Das Gesetz ist also "dispositiv", d. h., es steht zur Disposition der Parteien. Diese können es durch eine Vereinbarung anderen Inhalts ersetzen. Das BGB gibt den Vertragschließenden somit die Freiheit zu entscheiden, ob sie die vom Gesetz angebotene Regelung übernehmen, oder ob sie die Gewichte anders verteilen und eine vom BGB abweichende vertragliche Regelung finden wollen. (zur Möglichkeit einer Vereinbarung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen vgl. Video: "Die Geheimnummer") b) Beschränkung der Gestaltungsfreiheit Die Gestaltungsfreiheit wird durch Verbotsgesetze (§ 134 BGB) sowie die guten Sitten (§ 138 BGB) begrenzt. Rechtsgeschäfte, deren Inhalt gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, sind nichtig. aa) Gesetzliche Verbote Gesetz im Sinne des BGB ist jede Rechtsnorm (vgl. Art. 2 EGBGB), also etwa auch Verordnungen oder Gewohnheitsrecht. Hinsichtlich des Verbotscharakters zu unterscheiden sind: * Ordnungsvorschriften, die sich ausschließlich gegen die Art und Weise richten, in der das Rechtsgeschäft abgeschlossen wird. Ein Verstoß gegen eine solche Ordnungsvorschrift führt nicht zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Beispiel: Das Ladenschlußgesetz soll durch das Verbot eines Verkaufs zu bestimmten Zeiten die Arbeitnehmer schützen, nicht jedoch das Rechtsgeschäft an sich verhindern. * Inhaltsverbote, welche den Inhalt des Rechtsgeschäfts betreffen. Ein Verstoß gegen ein solches Inhaltsverbot führt zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Beispiele: Drogenhandel (Betäubungsmittelgesetz); Waffenhandel (Kriegswaffenkontrollgesetz), Alkoholverkauf an Minderjährige bb) Verstoß gegen gute Sitten Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nach § 138 BGB nichtig. Klassisches Beispiel: Setzt der Erblasser E testamentarisch seine Geliebte G zur Belohnung für ein ehebrecherisches Verhältnis als Alleinerbin ein, so verstößt die Verfügung von Todes wegen gegen § 138 BGB. Heiratet E später die G, liegt beim Tod des E kein Grund mehr vor, die Erbeinsetzung der G als sittenwidrig anzusehen. Wandelt sich die Moralauffassung in der Zeitspanne zwischen Geschäftsabschluß und Eintritt des Rechtserfolgs, so ist der letztere Zeitpunkt maßgebend. § 138 BGB will nicht eine verwerfliche Gesinnung bestrafen, sondern einen zu mißbilligenden Rechtserfolg verhindern. Mit der Zeit hat die Rechtsprechung typische Fallgruppen aufgrund des § 138 BGB entwickelt: * Sittenwidrigkeit des Inhalts (Beispiel: A verspricht dem B eine Belohnung dafür, daß dieser einen Diebstahl begeht.) * Knebelungsverträge: Ein Vertragspartner wird in seiner persönlichen und wirtschaftlichen Freiheit übermäßig beschränkt. (Beispiel: Für den Druck seines Erstlingswerks durch den Verleger V verpflichtet sich der Schriftsteller S, in Zukunft sämtliche Arbeiten ausschließlich dem V zu überlassen.) * Sittenwidrigkeit wegen auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung; dies ist der Fall, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung. Ein Sonderfall des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts ist das wucherische Geschäft (§ 138 Abs. 2 BGB: "insbesondere"). Beispiel: A leiht dem B für eine Woche 1.000,- €. B soll nach einer Woche 1.500,- € zurückgeben. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 13, Fragen 1, 3, 6-7, 12) (Zur Beschränkung der Gestaltungsfreiheit im Falle Allgemeiner Geschäftsbedingungen [AGB] vgl. Video: "Die Geheimnummer") III. Exkurs: Verschulden bei Vertragsverhandlungen Bereits vor Abschluß eines Vertrags besteht u. u. ein vorvertragliches Schutzverhältnis zwischen den möglichen Parteien eines späteren Vertrags. 1. Rechtspolitischer Hintergrund Die Lehre vom Verschulden bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo = c.i.c.) bildete sich zunächst als Richterrecht aus, bevor sie im Rahmen der Schuldrechtsreform von 2002 vom Gesetzgeber in § 311 Abs. 2 BGB kodifiziert wurde. Rechtspolitisch erklärt sich die Bedeutung der c.i.c. aus den Schwächen des deutschen Deliktsrechts: Dieses sieht grundsätzlich keinen Ersatz reiner Vermögensschäden vor (vgl. hierzu Kap. 16); zudem steht dem Geschäftsherr im Rahmen der Haftung für seine Verrichtungsgehilfen gemäß § 831 die Möglichkeit des Entlastungsbeweises offen (vgl. hierzu Kap. 12). 2. Vorvertragliches Schutzverhältnis Grundlage der c.i.c. ist der Vertrauenstatbestand, den eine Seite durch ihre Bereitschaft zu Vertragsverhandlungen gesetzt hat und auf den sich die andere Seite verläßt. Dieser Tatbestand beginnt nicht erst im Stadium konkreter Vertragsverhandlungen, sondern bereits im Vorfeld der Vertragsanbahnung (vgl. nunmehr § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Beispiel: Betritt Frau A ein Warenhaus, um sich über die neue Frühjahrskollektion zu informieren, so entsteht bereits hierdurch der für die Haftung aus c.i.c. erforderliche Geschäftskontakt. Hierzu ist nicht erforderlich, daß A bereits eine feste Kaufabsicht hat oder sich für ein bestimmtes Produkt interessiert. Bedeutungslos ist auch, ob es letztlich zu einem Vertragsschluß kommt oder nicht. Nicht ausreichend sind hingegen bloße soziale Kontakte. Beispiel: Betritt jemand ein Warenhaus, um sich dort aufzuwärmen oder den Weg abzukürzen, so liegt kein für die Haftung aus c.i.c. relevanter geschäftlicher Kontakt vor. (vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 23 A 1) Hinweis: Nach erfolgtem Vertragsschluß gelten die Regeln des Leistungsstörungsrechts. Für bis dahin eingetretene Schäden bleiben indes nach wie vor die Regeln der c.i.c. anwendbar. 3. Pflichtverletzung Im Rahmen des vorvertraglichen Schutzverhältnisses bestehen eine Reihe von Pflichten (§ 241 Abs. 2 BGB), deren Verletzung einen Anspruch auf Schadensersatz begründet (§ 280 Abs. 1 BGB). In Betracht kommen zunächst allgemeine Obhuts- und Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Rechtsgüter des anderen Teils, etwa für dessen Körper und Gesundheit. Beispiel: Kommt Frau A während ihres Kaufhausbummels auf einem liegen gebliebenen Salatblatt in Rutschen und bricht sich das Bein, so hat der Inhaber des Warenhauses seine allgemeine Obhutspflicht gegenüber der A verletzt. Dabei wird ihm das Verschulden seiner Angestellten (Erfüllungsgehilfen) wie eigenes Verschulden zugerechnet, ohne daß er sich hierfür entlasten könnte (§ 278 BGB). Merke: Die allgemeinen Obhuts- und Sorgfaltspflichten ergänzen den (in Teilbereichen lückenhaften) deliktsrechtlichen Rechtsgüterschutz. Daneben kommt häufig auch eine Verletzung spezifischer Pflichten im Vorfeld eines Vertragsschlusses in Betracht, insbesondere von Offenbarungspflichten (Aufklärungs-, Mitteilungspflichten). Kennt eine Partei Umstände nicht, die für einen Vertragsschluß von wesentlicher Bedeutung sind, und ist dies für die andere Partei erkennbar, so besteht u. U. die Pflicht, den anderen Teil über diese Umstände aufzuklären, selbst wenn die Parteien gegenläufige Interessen verfolgen. Beispiel: Der Rechtsanwalt R versichert dem juristischen Laien L die zwischen ihnen vereinbarte Schenkung sei formlos wirksam. In Wirklichkeit ist der Vertrag aber wegen §§ 518 Abs. 1, 125 BGB nichtig. Merke: Der grundlose Abbruch von Vertragsverhandlungen stellt nur in Ausnahmefällen eine Pflichtverletzung dar, nämlich dann wenn die eine Partei bei der anderen die irrige Vorstellung hervorgerufen hat, sie sei zum Vertragsschluß fest entschlossen.. Weiterhin haftet der Schuldner nur dann, wenn er die Pflichtverletzung zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB); er oder sein Erfüllungsgehilfe müssen vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben (vgl. hierzu Kap. 12). 4. Umfang des Schadensersatzes Gemäß § 280 Abs. 1 S. 1 wird der Ersatz des durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens geschuldet. Der Verpflichtete muß den Zustand herstellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 S. 1 BGB). Es ist der Schaden zu ersetzen, der dem Berechtigten dadurch entstanden ist, daß er auf das Verhalten der anderen Partei vertraut hat (= Vertrauensschaden) (vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 23 A 4) Beispiel: So muß der Warenhausinhaber der A Ersatz für die Behandlungskosten sowie einen eventuellen Verdienstausfall leisten. - Rechtsanwalt R muß dem L Schadensersatz in Höhe des Wertes des entgangenen Geschenks leisten. Wäre ein Vertrag bei richtiger Aufklärung nicht zustande gekommen, so ist der Zustand wieder herzustellen, der ohne Vertragsschluß bestünde (Naturalrestitution). (vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 23 A 5) Kapitel 6: Natürliche und juristische Personen * I. Natürliche Personen * II. Personengesellschaften * III. Juristische Personen Rechtsquelle: §§ 1-12 BGB; §§ 1-6, 17, 343 HGB; Art. 1 GG. Literatur zur Einarbeitung: Brox, Allgemeiner Teil, §§ 33, 34; Schack, Allgemeiner Teil I, §§ 1-7. Unterrichtsmaterialien: Michalski, Übungen I, Fragen S. 138 f.; Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 1, 34; Zahlenbild Nr. 128 031: Rechts- und Geschäftsfähigkeit; Zahlenbild Nr. 128 030: Juristische Personen. I. Natürliche Personen Die Regelungen zu den natürlichen Personen finden sich im ersten Titel des ersten Abschnittes des BGB (§§ 1-12). Das Gesetz geht vom Grundsatz aus, daß jeder Mensch eine natürliche Person ist. 1. Rechtsfähigkeit "Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt" (§ 1 BGB). a) Bedeutung und Umfang Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Nach dem BGB ist jeder Mensch in vollem Umfange rechtsfähig; es gibt keine abgestufte oder in irgendeiner Form begrenzte Rechtsfähigkeit. Deshalb ist ein Kleinkind ebenso rechtsfähig wie ein Erwachsener, ein geistig schwerbehinderter Mensch ebenso wie ein gesunder. Dieses Konzept fußt auf dem verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 1, Fragen 1-5, 7) b) Beginn Gemäß § 1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit eines Menschen mit der Vollendung der Geburt. Ein Mensch wird also rechtsfähig, wenn er lebend geboren wird. Dabei kennt das BGB allerdings Ausnahmen von diesem Grundsatz, indem es dem bereits gezeugten, aber noch nicht geborenen Menschen (sog. nasciturus) einzelne Rechte und Pflichten zuspricht. So kann dieser gemäß § 1923 Abs. 2 BGB Erbe werden und gemäß § 844 Abs. 2 BGB einen Ersatzanspruch wegen Tötung des Unterhaltsverpflichteten erlangen. Hintergrund dieser Vorschriften ist, daß in solchen Fällen die Rechtslage nicht durch den (medizinisch beeinflußbaren) Zeitpunkt der Geburt verändert werden soll. Diese Ausnahmevorschriften setzen allerdings zwingend voraus, daß der nasciturus rechtsfähig wird, d. h. lebend geboren wird, wofür die kurzzeitige Feststellung von Lebenszeichen ausreicht. Beispiel: Bekommt die Geliebte eines alleinstehenden Mannes ein Kind von ihm und stirbt der Mann während der Schwangerschaft, so erbt die Frau nichts, soweit das Kind tot zur Welt kommt. Kommt es hingegen lebend zur Welt, verstirbt aber noch im Kreißsaal, so wird es Erbe des Mannes und direkt von seiner Mutter beerbt, so daß diese letztlich das Vermögen des Mannes erhält. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 1, Fragen 8 und 9) c) Ende Die Rechtsfähigkeit endet mit dem Tod eines Menschen, wobei die Definition des Todes vom BGB bewußt dem jeweiligen Stand der Medizintechnik überlassen ist. Wurde darunter früher das Ende der Herztätigkeit verstanden, so tritt der Tod heute erst mit Beendigung jeder meßbaren Hirntätigkeit ein. Es gibt darüber hinaus einen Bedarf zur Regelung von Fällen, in denen Menschen verschwunden sind, ohne daß sich ihr Tod sicher feststellen läßt. Das Bürgerliche Recht muß daher Regelungen zur Verfügung stellen, die bestimmen, wann eine Person für tot erklärt werden kann. Heute sind diese Regelungen im Verschollenheitsgesetz (VerschG) zusammengefaßt. Beispiel: V ist am 15. 12. 1998 gestorben; ein Testament hatte er nicht errichtet. Gesetzliche Erben sind entweder sein Sohn S oder seine Schwester B. S war Matrose auf einem Schiff, das am 12. 12. 94 untergegangen ist. Seitdem fehlt von S jede Spur. - Die Verschollenheit ändert an der Rechtsfähigkeit des Verschollenen nichts; sie erlaubt nur, den S für tot zu erklären. Die Todeserklärung schafft eine Vermutung, daß S an einem bestimmten Zeitpunkt gestorben ist. Also kann B nach der Todeserklärung des S als gesetzliche Erbin die Erbschaft in Anspruch nehmen. Sollte S jedoch zurückkehren, dann kann er die Herausgabe seines "Nachlasses" von B fordern. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 1, Frage 10) d) Abgrenzung zu anderen Instituten Die Rechtsfähigkeit ist abzugrenzen von anderen Instituten, die im weitesten Sinne die Handlungsfähigkeit von Rechtssubjekten betreffen. (1) Geschäftsfähigkeit: Fähigkeit, Rechte und Pflichten durch Rechtsgeschäfte selbständig und wirksam zu erwerben. (vgl. hierzu Kap. 7) (2) Deliktsfähigkeit: Fähigkeit, für angerichtete Schäden selbst zivilrechtlich verantwortlich zu sein. (vgl. hierzu Kap. 16) (3) Schuldfähigkeit: Fähigkeit, strafrechtlich für sein Verhalten verantwortlich zu sein und zur Rechenschaft gezogen werden zu können. 2. Allgemeines Persönlichkeitsrecht Zum Schutz der Selbstbestimmung und Achtung der Person werden jedem Menschen Persönlichkeitsrechte zuerkannt. Diese Rechte sind höchstpersönlich, d. h. nicht von der Person ihres Trägers ablösbar, also auch nicht übertragbar. Der Gesetzgeber hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht geregelt und sich damit begnügt, einzelne Persönlichkeitsrechte zu schützen. Beispiele: Namensrecht (§ 12 BGB); Recht am eigenen Bild (§§ 22 ff. KunstUrhG); Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit (§ 823 Abs. 1 BGB). Fall: A hat mit dem Teleobjektiv am Strand die bekannte Filmschauspielerin F im Evaskostüm fotografiert. Das vergrößerte Bild hängt, für jeden Besucher deutlich sichtbar, in der Wohnung des A. F verlangt von A die Herausgabe oder die Vernichtung des Bildes oder zumindest, daß A es verschlossen hält. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht soll die Person in allen ihren Ausstrahlungen und ihrer Intimsphäre schützen. Das ungefragte Fotografieren einer Person als Bildmotiv bedeutet grundsätzlich eine Persönlichkeitsverletzung. Das gilt ganz besonders für heimliche sowie für Nacktaufnahmen. Selbst wenn das Bild künstlerische Qualitäten hat, hat das Interesse der F an der Wahrung ihrer Intimsphäre Vorrang. Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist grundsätzlich jede natürliche Person, im Ausnahmefall auch Personenvereinigungen. Allerdings kann die Beleidigung einer Personengruppe u. U. einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht jedes Gruppenmitgliedes darstellen. Beispiel: Beleidigung einer Personenmehrheit, die bestimmbar und nach äußeren Kennzeichen abgrenzbar ist, wie etwa die Äußerung "Soldaten sind Mörder". Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wirkt teilweise über das Lebensende, d. h. über das Ende der Rechtsfähigkeit hinaus, fort. Es wird hier von einem postmortalen Persönlichkeitsschutz gesprochen. Die Rechte können dann von den im Gesetz bestimmten Personen geltend gemacht werden. Beispiel: Sektion der Leiche oder andere Eingriffe wie die Organentnahme zwecks Transplantation sind ohne Einwilligung des Verstorbenen oder seiner nächsten Angehörigen rechtswidrig (Schutz der körperlichen Integrität). II. Personengesellschaften 1. Überblick Am Rechtsverkehr nehmen nicht nur einzelne Personen, sondern auch Vereinigungen von Personen und sogar Vermögensmassen teil. Zu unterscheiden ist zwischen den Personengesellschaften als Personenvereinigungen ohne Rechtssubjektivität und den juristischen Personen; nur letztere sind rechtsfähig. Zu den Personengesellschaften gehören folgende Gesellschaftsformen: (1) Gesellschaft des bürgerlichen Rechts als Grundform der Gesellschaft (GbR) (2) Gesellschaften des Handelsrechts * Offene Handelsgesellschaft (oHG) * Kommanditgesellschaft (KG) In einer Personengesellschaft sind die Gesellschafter Träger aller gesellschaftlichen Rechte und Pflichten. Merke: Personengesellschaften sind keine juristischen Personen. Gleichwohl können sie nach der Rechtsprechung des BGH rechtsfähig, d. h. Träger von Rechten und Pflichten, sein, soweit sie durch ihre verfassungsmäßigen Vertreter (z. B. Geschäftsführer) am Rechtsverkehr teilnehmen ("Außengesellschaft"). Im übrigen kommt der Gesellschaft keine von den jeweiligen Personen unabhängige eigene Rechtsfähigkeit zu; deshalb spricht man von Personengesellschaften. Die Organisation der Personengesellschaften beruht auf einem schuldrechtlichen Vertrag, welcher individuelle Beziehungen zwischen den persönlich beteiligten Gesellschaftern begründet. 2. Die Gesellschaft Bürgerlichen Rechts Die Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts (GbR) ist eine auf einem Vertrag beruhende Vereinigung von mindestens zwei Personen zur Förderung eines von ihnen gemeinsam verfolgten Zwecks. Beispiel: Beschließen drei Freunde, gemeinsam ein Konzert zu veranstalten, so müssen sie einen Konzertsaal mieten, Künstler verpflichten, Eintrittskarten und Programme drucken lassen usw. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 34, Frage 1) Das Gesetz stellt in den §§ 705 ff. BGB für eine solche Gesellschaft Regeln auf, die gelten sollen, wenn die Beteiligten sich gegenseitig verpflichten, um einen gemeinsamen Zweck zu erreichen. Die Gesellschafter sollen die Geschäfte der Gesellschaft gemeinschaftlich führen (§ 709 BGB); freilich können im Gesellschaftsvertrag abweichende Geschäftsführungsregeln getroffen werden (vgl. §§ 709 Abs. 2, 710, 711 BGB). Der (die) geschäftsführende(n) Gesellschafter soll(en) die Gesellschaft nach außen vertreten (§ 714 BGB). (vgl Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 34, Fragen 4-6) Nimmt danach die GbR als solche am Rechtsverkehr teil (Außengesellschaft), so ist sie nach inzwischen h. M. rechtsfähig. Die Gesellschaft kann somit Trägerin von Rechten und Pflichten sein; sie kann klagen und verklagt werden (Parteifähigkeit). Beispiel: Haben die drei Freunde ein besonderes Bankkonto für den Gesellschaftszweck eingerichtet (Gesamthandsvermögen) und einen von ihnen mit der Geschäftsführung betraut, so ist die GbR Partei der abgeschlossenen Verträge und kann auf deren Erfüllung klagen. Freilich haften neben dem Gesellschaftsvermögen auch die Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen als Gesamtschuldner für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Tritt die Gesellschaft hingegen nach außen nicht als solche auf, ist insbesondere entgegen § 714 BGB keiner der Gesellschafter berechtigt, sie nach außen zu vertreten, so handelt es sich um eine Innengesellschaft. In diesem Fall ist die Gesellschaft nicht rechtsfähig; vielmehr ist jeder einzelne Gesellschafter Träger von Rechten und Pflichten. Beispiel: Die drei Freunde schließen also gemeinsam die einzelnen Verträge mit dem Vermieter, den Künstlern, dem Drucker. So haben alle drei aus dem Mietvertrag einen Anspruch gegen den Vermieter und alle drei schulden den Mietzins. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 34, Frage 2) 3. Personengesellschaften des Handelsrechts a) Bedeutung und Grundlagen aa) Bedeutung Personengesellschaften des Handelsrechts sind auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet. Sie unterliegen den besonderen Regelungen des HGB, die wesentliche Unterschiede zu den Regelungen des BGB aufweisen können: Fall 1: A benötigt wegen eines Arbeitsplatzwechsels eine Wohnung in München. Da erinnert er sich an seinen alten Studienfreund B, der dort seit langem lebt. Brieflich bittet A den B, ihm eine Wohnung zu besorgen; die anfallenden Unkosten würde er ihm selbstverständlich erstatten. B, der sich nicht mehr an A erinnern kann, läßt den Brief unbeantwortet. Ist es zum Vertragsschluß gekommen? In Betracht kommt der Abschluß eines Auftragsverhältnisses (§ 662 BGB) zwischen A und B. Voraussetzung sind zwei übereinstimmende Willenserklärung, Angebot und Annahme (vgl. hierzu Kap. 3). Vorliegend reagiert B nicht auf das Schreiben des A. Dieses Schweigen stellt nach Bürgerlichem Recht keine Annahmeerklärung dar. Es ist nicht zum Vertragsschluß gekommen. Variante: A schaltet zur Wohnungssuche seinen neuen Arbeitgeber, das Finanzamt München ein. Dieses bedient sich bei der Wohnungssuche für seine Mitarbeiter stets der D-Makler-oHG, die es auch diesmal mit der Suche beauftragt. Das Schreiben des Finanzamtes kommt auch bei der D an, bleibt dort jedoch unbeachtet liegen. Vertragsschluß? Zwischen dem Finanzamt München und der D-oHG könnte es zum Abschluß eines Geschäftsbesorgungsvertrags (§ 675 BGB) gekommen sein. Nach § 362 HGB gilt Schweigen im Handelsrecht unter bestimmten Voraussetzungen als Annahme eines Angebots auf Abschluß eines Vertrages: (1) Der Annehmende muß Kaufmann sein. (2) Sein Gewerbebetrieb muß die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringen. (3) Er muß mit dem Antragenden in Geschäftsverbindung stehen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so muß er dem Angebot unverzüglich widersprechen; ansonsten gilt sein Schweigen als Annahme. Fall 2: Der 23jährige A braucht zur Anschaffung eines neuen Autos einen Bankkredit in Höhe von 15.000,- €. Die Bank ist zu dem Kredit nur bereit, wenn der Vater des A für den Kredit bürgt. V erklärt sich hierzu in einem Gespräch mit dem Sachbearbeiter der Bank bereit. Ist ein wirksamer Bürgschaftsvertrag zustande gekommen? Der Bürgschaftsvertrag (§ 765 BGB) bedarf nach Bürgerlichem Recht zu seiner Wirksamkeit der schriftlichen Erteilung der Bürgschaftserklärung seitens des Bürgen (§ 766 S. 1 BGB). Vorliegend wurde die Erklärung nur mündlich abgegeben. Wegen Formmangels ist das Rechtsgeschäft somit nichtig (§ 125 S. 1 BGB). Hinweis: Zur Form von Rechtsgeschäften vgl. Kap. 5. Variante: V, der Inhaber eines großen Möbelhauses ist, will bei dem Möbelhersteller B Ware für die nächste Saison kaufen. Da sein freies Kapital zur Vorfinanzierung des Kaufpreises nicht ausreicht, bittet er B um Stundung für zwei Monate. B erklärt sich hierzu bereit, wenn V eine Bankbürgschaft für den Kaufpreis beschafft. Daraufhin veranlaßt V den mit ihm befreundeten C, der Prokurist der örtlichen Niederlassung der H- Bank KG ist, dem B in einem Telefongespräch zu versichern, die Bank bürge für die Kaufpreisschuld des V. Wirksamer Bürgschaftsvertrag? Gemäß § 350 HGB findet im Handelsrecht die Formvorschrift des § 766 S. 1 BGB unter bestimmten Voraussetzungen keine Anwendung: (1) Die Bürgschaft muß auf der Seite des Bürgen ein Handelsgeschäft sein (2) Handelsgeschäfte sind nach § 343 HGB alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehören. (Beachte: Der Prokurist C war vorliegend vertretungsbefugt, da die Prokura nach § 49 HGB zu allen Arten von Rechtshandlungen ermächtigt, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt.) bb) Handelsgesellschaften sind nach § 6 HGB Formkaufleute, d. h. Kaufmann kraft Rechtsform. Jedoch setzt die Errichtung einer Handelsgesellschaft zwingend den Betrieb eines Handelsgewerbes voraus (vgl. § 105 Abs. 1 HGB für die oHG). Nach § 1 Abs. 2 HGB ist Handelsgewerbe jeder Gewerbebetrieb, es sei denn, daß das Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Der Betreiber eines solchen Handelsgewerbes ist Kaufmann (Ist-Kaufmann). Auch wenn ein Unternehmen nach Art und Umfang keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, kann die Firma des Unternehmens nach § 2 HGB in das Handelsregister eingetragen werden (Kann-Kaufmann). Beispiel: Der Betreiber eines Zeitungskioskes, welcher aufgrund des geringen Geschäftsumfanges keine kaufmännische Buchhaltung erfordert, hat die Möglichkeit sein Unternehmen in das Handelsregister eintragen zu lassen, ist hierzu aber nicht verpflichtet (Kann-Kaufmann). cc) Firma ist nach § 17 HGB der Name des Kaufmanns, unter dem er sein Handelsgeschäft betreibt und die Unterschrift abgibt. Er kann unter der Firma klagen und verklagt werden. Dies gilt insbesondere auch für die Handelsgesellschaften. Beispiel: A hat mit der S-oHG einen Kaufvertrag abgeschlossen. Als diese nicht liefert, will A seinen Anspruch gerichtlich durchsetzen. Obgleich die oHG keine juristische Person ist und Vertragspartner des A nur deren Gesellschafter, nicht aber die oHG selbst ist, kann A die Klage gegen die oHG unter deren Firma einreichen. b) offene Handelsgesellschaft Die offene Handelsgesellschaft ist auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet, wobei die Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern persönlich, unbeschränkt und gesamtschuldnerisch haften (§§ 105 Abs. 1, 128 HGB). Die oHG wird mit dem Abschluß eines Gesellschaftsvertrags durch die Gesellschafter (im Innenverhältnis) und mit der Eintragung ins Handelsregister (im Außenverhältnis) gegründet (§ 109 HGB). Zur Führung der Geschäfte der Gesellschaft sind alle Gesellschafter berechtigt und verpflichtet (§ 114 HGB). Zur Vertretung der Gesellschaft ist jeder Gesellschafter ermächtigt, abweichende Regelung (z. B. Gesamtvertretung) im Gesellschaftsvertrag ist möglich (§ 125 HGB). Die oHG wird nach Zeitablauf, durch den Beschluß der Gesellschafter, infolge des Insolvenzverfahrens oder einer gerichtlichen Entscheidung aufgelöst (§ 131 HGB). c) Kommanditgesellschaft Nach § 161 HGB ist die KG eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist, wobei mindestens ein Gesellschafter (Komplementär) unbeschränkt haftet, die Haftung des anderen Gesellschafters (Kommanditist) dagegen summenmäßig auf seine Einlage beschränkt ist. Hinsichtlich der Komplementäre gelten die auf die oHG anwendbaren Regeln entsprechend. III. Juristische Personen Durch die Erfordernisse der modernen Industriegesellschaft besteht ein Bedürfnis, daß neben einzelnen Personen auch Personenvereinigungen Träger von Rechten und Pflichten sein können. 1. Begriff Juristische Personen sind alle von der Rechtsordnung als selbständige Rechtsträger anerkannten Personenvereinigungen oder Vermögensmassen. Das Gesetz selbst bestimmt den Kreis der juristischen Personen, indem es den Personenvereinigungen oder Vermögensvereinigungen die Rechtsfähigkeit zuerkennt. 2. Juristische Personen des öffentlichen Rechts Juristische Personen des öffentlichen Rechts beruhen auf einem staatlichen Hoheitsakt (Gesetz). Beispiele: * Der Staat (Bund und Länder) * Körperschaften wie Gemeinden, Kirchen * Anstalten wie Rundfunkanstalten, Sparkassen 3. Juristische Personen des Privatrechts. a) Überblick Juristische Personen des Privatrechts sind die im BGB geregelten rechtsfähigen Vereine sowie die handelsrechtlichen Kapitalgesellschaften (AG und GmbH). Die Aktiengesellschaft (AG) ist im Aktiengesetz (AktG), die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) im Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) geregelt. AG und GmbH sind handelsrechtliche Gesellschaften, die mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind (juristische Personen). Sie können unabhängig von ihren Gesellschaftern am Rechtsverkehr teilnehmen, insbesondere Verträge abschließen und Inhaber dinglicher Rechte sein. Beispiel: Schließt eine GmbH einen Vertrag ab, so ist die juristische Person "GmbH" Vertragspartner; die Gesellschafter sind persönlich aus dem Vertrag weder verpflichtet noch berechtigt. Schließt hingegen eine oHG einen Vertrag ab, so haften neben dem Gesellschaftsvermögen auch die Gesellschafter persönlich als gesamtschuldner für die sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen der Gesellschaft (§ 128 BGB). b) Der rechtsfähige Verein aa) Überblick Der Verein ist eine mit juristischer Persönlichkeit ausgestattete Personenvereinigung zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks. Der Verein ist nicht nur im BGB, sondern bereits in der Verfassung geregelt. Art. 9 Abs. 1 GG spricht allen Deutschen das Recht zu, Vereine zu gründen (sog. Vereinigungsfreiheit). Die zivilrechtlichen Regelungen über den Verein finden sich in den §§ 21-79 BGB. Der Verein besteht aus einer Mehrheit von Personen (Mitglieder). Sein Bestand wird von Mitgliederwechseln nicht berührt. Das BGB unterscheidet zwischen einem nichtwirtschaftlichen (§ 21 BGB) und einem wirtschaftlichen (§ 22 BGB) Verein. Wirtschaftliche Vereine kommen in der Praxis selten vor, da für einen Verein, der wirtschaftliche Zwecke verfolgt, die handelsrechtlichen Rechtsformen der AG oder der GmbH gesetzlich vorgesehen sind. Nichtwirtschaftliche Vereine haben einen kulturellen, religiösen oder politischen Hauptzweck. Beispiel: Goethe-Institut e. V. bb) Beginn der Rechtsfähigkeit Ein rechtsfähiger Verein entsteht durch den Abschluß eines Gründungsvertrags und erlangt die Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister; diese ist an der Abkürzung "e. V." erkennbar. Der Gründungsvertrag stellt eine gemeinschaftliche Erklärung der Gründer des Vereins (mindestens 7 Personen, § 56 BGB) dar, in der gemäß § 57 Abs. 1 BGB mindestens das folgende zum Ausdruck kommen muß: (1) die Satzung des Vereins (2) der Name des Vereins (3) der Sitz des Vereins (4) der Wunsch, daß der Verein eingetragen werden soll cc) Handelnde Organe Juristische Personen handeln durch ihre Organe. Notwendige Organe des Vereins sind: (1) die Mitgliederversammlung (§§ 32 ff. BGB) (2) der Vorstand (§ 26 BGB) Darüber hinaus steht es jedem Verein grundsätzlich frei, weitere Organe einzurichten, etwa Ausschüsse. Die Mitgliederversammlung ist das oberste Organ des Vereins. Sie ist für alle Angelegenheiten des Vereins zuständig, soweit diese nicht durch das Gesetz oder die Satzung auf andere Organe übertragen wurden. Die Mitgliederversammlung entscheidet über: (1) Bestellung und Abberufung des Vorstandes (§ 27 BGB) (2) Änderung der Satzung (§§ 33, 71 BGB) (3) Auflösung des Vereins (§§ 41, 74 Abs. 2 BGB) Der Vorstand besteht aus einer oder mehreren Personen und wird durch Beschluß der Mitgliederversammlung gewählt. Dem Vorstand obliegt die Wahrnehmung von zwei Hauptaufgaben: (1) die Geschäftsführung des Vereins (§ 27 Abs. 3 BGB) (2) die Vertretung des Vereins nach außen (§ 26 Abs. 2 BGB) dd) Ende der Rechtsfähigkeit Die Rechtsfähigkeit eines Vereins kann auf drei verschiedene Arten enden: (1) Durch Entzug der Rechtsfähigkeit durch gerichtliche Entscheidung (§§ 43, 44, 73, 74 Abs. 3 BGB), (2) durch Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vereinsvermögen (§§ 42, 75 BGB) oder (3) durch Wegfall des Vereins. c) Kapitalgesellschaften aa) Begriff Die Kapitalgesellschaften zeichnen sich aus durch ein bestimmtes Grundkapital, die Kapitalbeteiligung der Mitglieder, die Umlauffähigkeit dieser Kapitalanteile und die Kapitalverwaltung durch besondere Organe, die nicht Gesellschafter zu sein brauchen. Die Gesellschafter haften nicht persönlich, sondern allein die Kapitalgesellschaft als juristische Person. Die Kapitalgesellschaften werden durch einen Gesellschaftsvertrag (zwingende Vorschriften) gegründet, in dem die Satzung der Kapitalgesellschaft festgelegt wird. Die Kapitalgesellschaft erlangt die Rechtspersönlichkeit durch die Eintragung in das Handelsregister. Die Kapitalgesellschaft tritt im Rechtsverkehr unter ihrer Firma auf, z.B. Deutsche Bank AG, Robert Bosch GmbH. bb) Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Die GmbH ist als Rechtsform vor allem für Betriebe mittlerer Größe geeignet. Die Gesellschafter der GmbH beschränken ihre Haftung auf die Höhe ihrer Kapitaleinlage (§ 13 Abs. 2 GmbHG). Mit ihren Einlagen sind die Gesellschafter an dem in Stammanteile zerlegten Vermögen beteiligt (§ 14 GmbHG). Die GmbH kann durch eine oder mehrere Personen zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck errichtet werden (§ 1 GmbHG). Zu den typischen Merkmalen der GmbH gehört u. a.: (1) relativ geringes Stammkapital (ab 25.000,- € gemäß § 5 Abs. 1 GmbHG) (2) Publizitätspflicht (§§ 7 f. GmbHG) Die GmbH wird durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 35 Abs. 1 GmbHG). Der Geschäftsführer leitet die Gesellschaft und setzt die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung um. Die GmbH wird gemäß § 60 GmbHG in den nachfolgenden Fällen aufgelöst: (1) durch Ablauf der im Gesellschaftsvertrag bestimmten Zeit (2) durch Beschluß der Gesellschafter (3) durch gerichtliches Urteil (4) durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (5) durch eine Verfügung des Registergerichts. cc) Aktiengesellschaft (AG) Die Aktiengesellschaft ist typische Kapitalgesellschaft. Die wirtschaftliche Funktion der AG liegt in der Kapitalsammelfunktion. Die Aufbringung eines soliden Grundkapitals (das Mindestgrundkapital beträgt gemäß § 7 AktG 50.000,- €) ermöglicht große und langfristige Geschäfte. Das Grundkapital wird in Aktien zerlegt, wodurch viele, auch kleinere Anleger an der AG beteiligt werden können. Die Aktionäre haben keine Pflichten. Das Verlustrisiko ist auf den Kaufpreis der Aktien beschränkt. Für die Verbindlichkeiten der AG haftet den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen (§ 1 Abs. 1 S. 2 AktG). Die Leitung der AG erfolgt durch ihre Organe: (1) der Vorstand (2) der Aufsichtsrat (3) die Hauptversammlung. Der Vorstand vertritt die AG nach außen und übernimmt die Geschäftsführung (§§ 77 f. AktG). Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen (§ 111 AktG). Die Aktionäre üben ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft in der Hauptversammlung aus, z. B. bestellen sie den Aufsichtsrat, entscheiden über die Verwendung des Bilanzgewinns und Satzungsänderungen (§§ 118 f. AktG). Die AG wird gemäß § 262 AktG aufgelöst: (1) nach bestimmter Zeit (2) durch Beschluß der Hauptversammlung (3) durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens (4) durch eine Verfügung des Registergerichts. Kapitel 7: Geschäftsfähigkeit * I. Begriff * II. Geschäftsunfähigkeit * III. Beschränkte Geschäftsfähigkeit Rechtsquelle: §§ 104-113 BGB. Literatur zur Einarbeitung: Brox, Allgemeiner Teil, § 12; Musielak, Grundkurs BGB, Rz. 287-316. Unterrichtsmaterialien: Michalski, Übungen I, Fälle 19 und 20 sowie Fragen auf S. 138; Helm, Grundkurs, Übung 25; Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 11; Werner, Fälle mit Lösungen, Fälle 9 und 10; Zahlenbild Nr. 128 031: Rechts- und Geschäftsfähigkeit. Vertiefende Literatur: Lipp, Geschäftsfähigkeit und Geschäftsunfähigkeit, JuS 1989, S. L 73-76. I. Begriff Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte wirksam vorzunehmen. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 11, Frage 2) Die Bedeutung der Vorschriften über die fehlende Geschäftsfähigkeit liegt im Schutz der nicht voll Geschäftsfähigen. Sie sollen davor geschützt werden, sich selbst zu schädigen. Besondere Arten der Geschäftsfähigkeit, die eine eigenständige Regelung erfahren haben, sind die Ehefähigkeit (§ 1303 f. BGB) und die Testierfähigkeit (§ 2229 BGB). II. Geschäftsunfähigkeit 1. Begriff Der Begriff der Geschäftsunfähigkeit ergibt sich aus dem Gesetz (§ 104 BGB). a) Geschäftsunfähig ist zum einen, wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat. (vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 25 A) b) Geschäftsunfähig ist weiterhin derjenige, der sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistesfähigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein Vorübergehender ist. Beispiel: K leidet an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit, nämlich an Schizophrenie. Dieser Zustand ist bei ihm auch von Dauer und nicht nur vorübergehend. Wenn K jedoch in einem geistig klaren Augenblick einen Kaufvertrag schließt, ist dieser gültig, weil K dann in der Lage ist, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. 2. Wirkung Die Willenserklärungen der Geschäftsunfähigen sind nichtig (§ 105 Abs. 1 BGB). Ebenfalls nichtig sind die Willenserklärungen, die im Zustande der Bewußtlosigkeit oder in vorübergehender Störung der Geistestätigkeit abgegeben werden (§ 105 Abs. 2 BGB). Beispiel: Verschenkt ein Volltrunkener einen Hunderteuroschein, so ist die Schenkung nicht wirksam, da der Volltrunkene eine wirksame Willenserklärung nicht abgeben kann. III. Beschränkte Geschäftsfähigkeit 1. Begriff Beschränkt geschäftsfähig sind Minderjährige, die das siebente Lebensjahr vollendet haben (§ 106 BGB), aber noch nicht volljährig, d. h. noch nicht 18 Jahre alt, sind (§ 2 BGB). 2. Zustimmungsfreie Rechtsgeschäfte Beschränkt geschäftsfähige Personen können im bestimmten Umfang selbst Rechstgeschäfte wirksam vornehmen, nämlich dann, wenn sie durch das Rechtsgeschäft lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangen. Ein mehrseitig verpflichtender Vertrag ist für den beschränkt Geschäftsfähigen niemals lediglich rechtlich vorteilhaft. Beispiel: Ein Kaufvertrag begründet für beide Vertragsparteien Verpflichtungen, nämlich für den Verkäufer die Pflicht zur Übereignung und Übergabe des Kaufgegenstandes, für den Käufer hingegen die Pflicht zur Bezahlung des Kaufpreises (vgl. § 433 BGB). Somit kann er für den beschränkt Geschäftsfähigen, egal ob als Verkäufer oder Käufer, niemals lediglich einen rechtlichen Vorteil darstellen. Dies gilt auch dann, wenn das Geschäft für den beschränkt Geschäftsfähigen wirtschaftlich sehr günstig ist. (vgl. Werner, Fälle mit Lösungen, Fall 9) Der beschränkt Geschäftsfähige kann einseitig verpflichtende Veträge schließen, wenn er nicht der verpflichtete Vertragsteil ist. Beispiel: Die Eltern E wollen ihrem fünfzehnjährigen Sohn S ein Hausgrundstück schenken und übertragen. Das Grundstück ist 200.000,- € wert. Die Schenkung ist für S lediglich rechtlich vorteilhaft. Aus diesem Grund ist der Vertrag wirksam. Rechtsgeschäfte, die für den beschränkt Geschäftsfähigen weder rechtlich vorteilhaft, noch nachteilig sind, kann dieser selbst wirksam vornehmen. Obwohl der Wortlaut des § 107 BGB einen rechtlichen Vorteil verlangt, vertritt die Rechtsprechung die Auffassung, daß der beschränkt Geschäftsfähige nicht schutzbedürftig ist, wenn das Geschäft keinen rechtlichen Nachteil mit sich bringt (korrigierende Auslegung). Beispiel: Der beschränkt Geschäftsfähige bestimmt nach § 317 Abs. 1 BGB als am Vertrag unbeteiligter Dritter die Höhe des Kaufpreises. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 11, Fragen 5 und 6) 3. Zustimmungsbedürftige Rechtsgeschäfte a) Einwilligung des gesetzlichen Vertreters Gesetzlicher Grundsatz ist, daß der beschränkt Geschäftsfähige zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters bedarf (§ 107 BGB). Einwilligung ist die vorherige Zustimmung (§ 183 BGB). Hat der beschränkt Geschäftsfähige die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zum Abschluß eines Vertrages erhalten, so ist die von ihm abgegebene Willenserklärung wirksam. Die Einwilligung kann sowohl dem beschränkt Geschäftsfähigen wie dessen Vertragspartner gegenüber erklärt werden (§§ 182 Abs. 1, 183 S. 2 BGB). Beispiel: Geben die Eltern ihrem minderjährigen Sohn K das Geld zum Kauf eines Fahrrads, so liegt darin die Einwilligung zum Fahrradkauf gegenüber K. Dieser kann deshalb selbst mit dem Händler einen wirksamen Kaufvertrag schließen. aa) Die Einwilligung wird regelmäßig für ein bestimmtes einzelnes Rechtsgeschäft erteilt (so im oben angeführten Beispiel). Der gesetzliche Vertreter kann aber auch eine generelle Einwilligung für einen begrenzten Kreis von Rechtsgeschäften erteilen. Beispiel: Erhält der minderjährige Fachhochschulstudent von seinen Eltern zur Bestreitung aller Aufwendungen 500,- € monatlich, so liegt darin die Einwilligung für alle Rechtsgeschäfte, die zur Deckung des Lebensbedarfs und zur Durchführung des Studiums erforderlich sind. bb) Einen besonderen Fall der generellen Einwilligung betrifft § 110 BGB: Ein von dem beschränkt Geschäftsfähigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geschlossener Vertrag gilt als von Anfang an wirksam, wenn er die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten überlassen worden sind (Taschengeldparagraph). Erfaßt werden hiervon allerdings ausschließlich Barzahlungsgeschäfte. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 19; Werner, Fälle mit Lösungen, Fall 10) b) Fälle partieller Geschäftsfähigkeit Von der generellen Einwilligung zu unterscheiden ist die Ermächtigung des Minderjährigen durch dessen gesetzlichen Vertreter, in Dienst oder Arbeit zu treten (§ 113 BGB). In diesem Falle ist der Minderjährige für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche die Eingehung oder Aufhebung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses der gestatteten Art oder die Erfüllung der sich aus einem solchen Verhältnis ergebenden Verpflichtungen betreffen. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 20) Eine Parallelregelung für den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts enthält § 112 BGB. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 11, Frage 9) c) Folgen fehlender Einwilligung Schließt der beschränkt Geschäftsfähige einen Vertrag ohne Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters, so hängt die Wirksamkeit des Vertrages von der Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter ab (§ 108 Abs. 1 BGB). Genehmigung ist die nachträgliche Zustimmung (§ 184 Abs. 1 BGB). Bis zur Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung tritt ein Schwebezustand ein; der Vertrag ist schwebend unwirksam. Durch die Erteilung der Genehmigung wird der Vertrag rückwirkend (vgl. § 184 Abs. 1 BGB) wirksam. Die Genehmigung kann im allgemeinen dem beschränkt Geschäftsfähigen wie dessen Vertragspartner gegenüber erklärt werden (§ 182 Abs. 1 BGB). Der Vertragsgegner hat aber u. U. ein Interesse daran zu wissen, ob der schwebend unwirksame Vertrag gelten soll oder nicht. Deshalb gibt § 108 Abs. 2 BGB ihm die Möglichkeit, den gesetzlichen Vertreter zur Erklärung über die Genehmigung aufzufordern. Für diesen Fall kann die Genehmigung nur mehr ihm gegenüber erfolgen; eine zuvor dem beschränkt Geschäftsfähigen gegenüber erteilte Genehmigung wird unwirksam (§ 108 Abs. 2 S. 1 BGB). (vgl. Werner, Fälle mit Lösungen, Fall 9) Durch die Verweigerung der Genehmigung wird der Vertrag endgültig unwirksam. Beispiel: Der siebzehnjährige M tauscht sein altes Mofa gegen das neue Fahrrad seines achtzehnjährigen Freundes F ein. Die Eltern des M sind sehr überrascht, als ihr Sohn mit dem eingetauschten Fahrrad nach Hause kommt, und fordern ihn auf, den Tausch rückgängig zu machen. Durch diese dem beschränkt Geschäftsfähigen gegenüber erklärte Verweigerung der Genehmigung wird der bis zu diesem Zeitpunkt schwebend unwirksame Vertrag endgültig unwirksam. Im Falle einseitiger Rechtsgeschäfte soll ein Schwebezustand ausgeschlossen werden. Daher ist ein einseitiges Rechtsgeschäft (Beispiel: Kündigung), das der beschränkt Geschäftsfähige ohne die erforderliche Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters vornimmt, unwirksam (§ 111 S. 1 BGB). Kapitel 8: Anfechtung von Willenserklärungen wegen Irrtums * I. Ursache * II. Voraussetzungen * III. Rechtswirkungen * IV. Sonderfälle der Irrtumsanfechtung Rechtsquelle: §§ 119-122, 142-144 BGB. Literatur zur Einarbeitung: Brox, Allgemeiner Teil, § 18; Musielak, Grundkurs BGB, Rz. 323-356. Unterrichtsmaterialien: Michalski, Übungen I, Fälle 12, 13, 16, 17, 18 und 25 sowie Fragen auf S. 158; Helm, Grundkurs, Übung 26; Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 14; Werner, Fälle mit Lösungen, Fall 3; DAF-UE "Anfechtung von Willenserklärungen"; Video mit UE "Die verschwiegene Schwangerschaft". Vertiefende Literatur: Schünemann/Beckmann, Inhalts- und Erklärungsirrtum, JuS 1991, S. L 65-72; Kern, Ausgewählte Probleme der Anfechtung nach §§ 119, 120 BGB, JuS 1998, S. L 41-43. I. Ursache Das Bedürfnis nach Anfechtung einer Willenserklärung wegen Irrtums entsteht durch das unbewußte Abweichen von Wille und Erklärung. Diese Abweichung kommt durch Auslegung der Willenserklärung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§ 157 BGB) zustande. Hierbei wird der Erklärung zum Schutz des Empfängers unter Umständen ein anderer Erklärungswert gegeben als vom Erklärenden gewollt war. Beispiel: Verkäufer V will Käufer K einen Fernseher für 1.200,- € anbieten; er verspricht sich jedoch und sagt versehentlich "1.100,- €". Von V gewollt ist die Erklärung, daß der Preis des Fernsehers 1.200,- € beträgt; der objektive Erklärungswert lautet jedoch, daß der Preis 1.100,- € beträgt. Somit weichen Wille und Erklärung unbewußt voneinander ab. Hinweis: Zur Auslegung von Willenserklärung vgl. auch Kap. 1.Wegen dieser Diskrepanz soll dem Erklärenden die Möglichkeit gegeben werden, die Erklärung durch Anfechtung zu beseitigen. II. Voraussetzungen 1. Irrtum Merke: Nicht jeder Irrtum berechtigt zur Anfechtung; vielmehr unterscheidet das Gesetz verschiedene Arten des Irrtums.a) Der Irrtum bei der Willensäußerung berechtigt zur Anfechtung. * Erklärungsirrtum = Irrtum in der Erklärungshandlung: Liegt vor, wenn der Erklärende "eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte" (§ 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB). Fälle, in denen Erklärender sich verspricht, verschreibt, vergreift (vgl. obiges Beispiel; Michalski, Übungen I, Fall 13). * Inhaltsirrtum = Irrtum über die Bedeutung der Erklärung: Liegt vor, wenn der Erklärende "bei Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtume war" (§ 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB). Fälle, in denen Erklärender genau das sagt, was er will, dieser Erklärung aber einen anderen Sinn beimißt als ihr in Wirklichkeit (objektiver Empfängerhorizont) zukommt (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 12) * Übermittlungsirrtum = unrichtige Übermittlung der Willenserklärung durch einen Erklärungsboten wie etwa eine natürliche Person oder die Post (§ 120 BGB) Hinweis: Zur Unterscheidung zwischen Bote und Stellvertreter vgl. Kap. 10. b) Der Irrtum bei der Willensbildung (Motivirrtum) berechtigt regelmäßig nicht zur Anfechtung. Beispiel: Wenn A in einem Porzellangeschäft ein Kaffeeservice als Hochzeitsgeschenk für ihre Nichte erwirbt, so kann sie ihre Willenserklärung nicht mit der Begründung anfechten, die Hochzeit sei abgesagt worden. Die Verwendung des Kaufgegenstandes als Hochzeitsgeschenk stellt nur ein Motiv für die Kaufentscheidung dar, welches für den Inhalt der Willenserklärung unerheblich ist. Durch Parteivereinbarung kann das Motiv jedoch zum Geschäftsinhalt gemacht werden, etwa indem die Durchführung der Hochzeit zur Bedingung für die Wirksamkeit des Kaufvertrages gemacht wird. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 17; Helm, Grundkurs, Systemübung 26 C 5) Ausnahme: Der Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Person oder Sache berechtigt zur Anfechtung (§ 119 Abs. 2 BGB): * Person kann der Vertragspartner oder ein Dritter sein, wenn sich das Rechtsgeschäft auf diesen bezieht (Bsp.: Dienstvertrag, Mietvertrag). Eigenschaften können etwa Alter, Geschlecht, berufliche Fähigkeiten oder Vorstrafen sein, wenn sie in unmittelbarer Beziehung zum Vertragsinhalt stehen. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 14, Fragen 7 und 8) (vgl. aber Video "Die verschwiegene Schwangerschaft"; u. U. berechtigt auch Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaft - hier: Schwangerschaft - nicht zur Anfechtung) * Sache ist nicht nur ein körperlicher (§ 90 BGB), sondern jeder Gegenstand, wenn dieser den Gegenstand des Rechtsgeschäfts bildet (Bsp.: Kaufvertrag, Mietvertrag). Eigenschaften sind alle wertbildenden Faktoren wie Alter, Material, Beschaffenheit oder Herkunft; keine Eigenschaft ist der Wert oder Preis einer Sache. * Verkehrswesentlich ist eine Eigenschaft, die von einem objektiven Standpunkt als wesentlich erachtet wird. Merke: Auch der Irrtum über eine nur subjektiv wesentliche Eigenschaft kann zur Anfechtung berechtigen, wenn die Eigenschaft zum Inhalt des Rechtsgeschäfts gehört. (vgl. Michalski, Übungen I, Fälle 16 und 18; Helm, Grundkurs, Systemübung 26 C 4, Fallübung 26 A) 2. Kausalität zwischen Irrtum und Willenserklärung (§ 119 Abs. 1 BGB) * subjektiv: der Erklärende hätte die Willenserklärung "bei Kenntnis der Sachlage" nicht abgegeben. * objektiv: der Erklärende hätte die Willenserklärung "bei verständiger Würdigung des Falles" nicht abgegeben; Faustregel: Wie würde ein verständiger Mensch handeln? (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 18) 3. Anfechtungserklärung (§ 143 Abs. 1 BGB) Die Anfechtungserklärung ist ein einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft Hinweis: Zu empfangsbedürftigen Rechtsgeschäften vgl. Kap. 2. Der Ausdruck "Anfechtung" braucht nicht verwandt zu werden. Es muß lediglich zum Ausdruck kommen, daß der Anfechtende wegen eines Willensmangels ein bestimmtes Rechtsgeschäft beseitigen will. Anfechtungsgegner, das heißt Empfänger der Anfechtungserklärung, ist regelmäßig der Empfänger der Willenserklärung, welche durch die Anfechtung beseitigt werden soll, in einem Vertrag also der Vertragspartner (§ 143 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 BGB). (vgl. Helm, Grundkurs, Fallübung 26 A) 4. Frist Die Anfechtung hat unverzüglich zu erfolgen (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB), das heißt ohne schuldhaftes Zögern, wobei eine Überlegungszeit - u. U. mit Einschaltung eines Rechtsanwaltes - zugestanden wird. Frist beginnt mit Kenntnis des Anfechtungsberechtigten vom Anfechtungsgrund zu laufen. Entscheidend für Einhaltung der Frist ist Absendung der Anfechtungserklärung (§ 121 Abs. 1 S. 2 BGB). Merke: 10 Jahre nach Abgabe der anfechtbaren Willenserklärung erlischt Anfechtungsrecht endgültig (§ 121 Abs. 2 BGB); auf Kenntnis vom Anfechtungsgrund kommt es hierbei nicht an. III. Rechtswirkungen 1. Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts ex tunc, also von Beginn an (§ 142 Abs. 1 BGB) Die wirksam angefochtene Willenserklärung entfällt also rückwirkend auf den Zeitpunkt ihrer Abgabe; das Rechtsgeschäft wird so angesehen, als sei es niemals vorgenommen worden. (zur Anfechtung einer Kündigungserklärung vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 14, Frage 12) Ist die angefochtene Willenserklärung Teil eines Vertrages (Angebot oder Annahme), so wird durch ihre Nichtigkeit ex tunc auch der Vertrag beseitigt, da es an einer der diesen konstituierenden Willenserklärungen fehlt. Merke: Wegen des Abstraktionsprinzips beeinträchtigt die Anfechtung des Kaufvertrages (Verpflichtungsgeschäft/schuldrechtliches Rechtsgeschäft) regelmäßig nicht die Wirksamkeit der Übereignung (Verfügungsgeschäft/dingliches Rechtsgeschäft). Hat der Irrtum auch zur Abgabe der Willenserklärung im Rahmen der dinglichen Einigung geführt, so kann allerdings auch diese Willenserklärung angefochten werden. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 25) Hinweis: Zum Abstraktionsprinzip sowie zur Übereignung gemäß § 929 S. 1 BGB vgl. Kap. 20.2. 2. Schadensersatzpflicht (§ 122 BGB) Die Anfechtung nach §§ 119 f. BGB löst eine Schadensersatzpflicht des Anfechtenden gegenüber dem Anfechtungsgegner aus, soweit dieser im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts einen Schaden erlitten hat. Beispiel: Da der Verkäufer von der Wirksamkeit des Vertrages ausgegangen ist, hat er dem Käufer den Kaufgegenstand durch die Post zugesandt. Fechtet der Käufer im Anschluß den Kaufvertrag wirksam an, so muß der dem Verkäufer die entstandenen Transportkosten ersetzen. Es handelt sich hierbei um den Vertrauensschaden (= negatives Interesse). Der Geschädigte ist so zu stellen, als sei er nie mit seinem Vertragspartner in Berührung gekommen. Allerdings wird der Schadensersatz durch das Erfüllungsinteresse (= positives Interesse) des Geschädigten begrenzt. Dieser kann nicht mehr verlangen, als er bei ordnungsgemäßer Durchführung des Rechtsgeschäfts verdient hätte (§ 122 Abs. 1, letzter Halbsatz BGB) (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 13; Helm, Grundkurs, Fallübung 26 A/B; Werner, Fälle mit Lösungen, Fall 3) IV. Sonderfälle der Irrtumsanfechtung Für die Behandlung des Irrtums bei Abfassung von Testamenten (vgl. §§ 2078 ff. BGB) sowie der Eheschließung (vgl. §§ 1313 ff. BGB) gelten teilweise abweichende Regeln. Kapitel 9: Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung * I. Grundlage * II. Voraussetzungen * III. Rechtsfolgen Rechtsquelle: §§ 123-124, 142-144 BGB. Literatur zur Einarbeitung: Brox, Allgemeiner Teil, § 19; Musielak, Grundkurs BGB, Rz. 372-387. Unterrichtsmaterialien: Michalski, Übungen I, Fälle 14 und 25 sowie Fragen auf S. 158; Helm, Grundkurs, Übung 26; Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 14; DAF-UE "Anfechtung von Willenserklärungen"; Video mit UE "Die verschwiegene Schwangerschaft". I. Grundlagen Ist ein Rechtsgeschäft durch die arglistige Täuschung oder infolge einer widerrechtlichen Drohung zustande gekommen, so soll der Betroffene die Möglichkeit haben, seine Willenserklärung anzufechten (§ 123 Abs. 1 BGB). Zweck der Rechtsnorm ist der Schutz der Freiheit der Willensentschließung. Arglistige Täuschung liegt vor, wenn ein Irrtum durch Vorspiegeln falscher oder durch Verschweigen wahrer Tatsachen trotz bestehender Aufklärungspflicht erregt oder aufrechterhalten wird. Beispiel: V hat dem K seinen Pkw wahrheitswidrig als "Vorführwagen" verkauft. Dabei hat V dem K verschwiegen, daß der Wagen tatsächlich bereits 60 000 km gelaufen ist, der Kilometerzähler aber infolge eines Defektes bei 7000 km stehengeblieben ist. Außerdem hat V bei den Kaufverhandlungen mit K nicht erwähnt, daß der Wagen einen schweren Unfall hatte. Im Unterschied zur Täuschung, liegt bei der Drohung kein Irrtum des Erklärenden vor. Drohung ist das Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluß zu haben vorgibt. Beispiele: Drohung mit einer Strafanzeige, mit einer herabsetzenden Pressenotiz oder mit Prügel (zum Verhältnis zur Irrtumsanfechtung vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 26 D; Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 14, Frage 11) II. Voraussetzungen 1. Arglistige Täuschung a) Täuschungshandlung Es muß eine Täuschungshandlung vorliegen. Darunter versteht man ein Verhalten, das darauf abzielt, in einem anderen eine unrichtige Vorstellung hervorzurufen, zu bestärken oder zu unterhalten. aa) Die Täuschungshandlung kann in einem positiven (aktiven) Tun bestehen. Beispiele: Unrichtige Bezeichnung des verkauften Wagens als Vorführwagen, falsche Beantwortung der Frage nach Krankheiten bei Abschluß einer Lebensversicherung. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 25; Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 14, Frage 10) bb) Die Täuschungshandlung kann auch in einem bloßen Unterlassen (Verschweigen) bestehen; ein solches Unterlassen ist aber nur dann beachtlich, wenn eine Rechtspflicht zur Aufklärung besteht. Beispiele: Bei falscher Kilometeranzeige ist der Verkäufer verpflichtet offenzulegen, wie viele Kilometer das Fahrzeug in Wirklichkeit gelaufen ist, denn diese Tatsache ist für den Käufer eines Gebrauchtwagens von erheblicher Bedeutung. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 14) b) Kausalität Die Täuschungshandlung muß für die Willenserklärung ursächlich sein. Erforderlich ist also, daß die Täuschung zu einem Irrtum des Getäuschten führt und dieser Irrtum für die Abgabe der Willenserklärung ursächlich ist. aa) Kausalzusammenhang zwischen Täuschungshandlung und Irrtum Die Täuschungshandlung muß zu einem Irrtum des Getäuschten führen. Es genügt jeder Motivirrtum, der auf der Täuschung beruht. Beispiel: Zahlungsunfähigkeit der Mieter eines verkauften Mietshauses - Kausalität zwischen Täuschungshandlung und Irrtum besteht dann, wenn der Verkäufer die Fehlvorstellung des Käufers durch falsche Angaben hervorgerufen hat; es genügt jedoch auch, daß K, der beim Kauf des Mietshauses irrtümlich von der Zahlungsfähigkeit der Mieter ausgeht, in dieser falschen Vorstellung von V bestärkt wird. bb) Kausalzusammenhang zwischen Irrtum und Willenserklärung Der Irrtum des Getäuschten muß für die von ihm abgegebene Willenserklärung ursächlich sein. Entscheidend ist, ob der Getäuschte ohne den Irrtum die Willenserklärung überhaupt nicht oder nicht zu diesem Zeitpunkt oder nur mit anderem Inhalt abgegeben hätte. Beispiel: Wenn K das Mietshaus kauft, um Einnahmen zu erzielen, ist sein Irrtum über die Zahlungsfähigkeit der Mieter ursächlich für den Kauf. Will er das Haus aber abreißen, um ein Geschäftshaus auf dem Grundstück zu errichten, so ist sein Irrtum für die Abgabe der Willenserklärung nicht erheblich. c) Widerrechtlichkeit Die Täuschung muß widerrechtlich sein. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Gesetzeswortlaut, wurde aber vom Gesetzgeber als selbstverständlich vorausgesetzt. Eine arglistige Täuschung ist in der Regel per se widerrechtlich. In Ausnahmefällen kann es indes an der Widerrechtlichkeit fehlen. Dann ist die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ausgeschlossen. Beispiel: Video "Die verschwiegene Schwangerschaft" - Wird eine Frau im Bewerbungsgespräch um einen Arbeitsplatz nach einer eventuellen Schwangerschaft befragt, so darf sie diese verschweigen oder auch lügen. Sie handelt hierbei nicht widerrechtlich, da die Frage nach der Schwangerschaft wegen des Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) sowie aus Gründen des Mutterschutzes unzulässig ist. Um trotz einer solchen unzulässigen Frage die Chance auf Einstellung nicht zu verlieren, muß die Betroffene nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lügen dürfen. Sie handelt somit nicht widerrechtlich, wenn sie den Vertragspartner über ihre Schwangerschaft täuscht. d) Arglist Für die Arglist des Täuschenden ist Vorsatz erforderlich. Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen des (rechtswidrigen) Erfolgs. Dieser muß sich auf die Tatbestandsmerkmale Täuschungshandlung, Irrtumserregung und dadurch motivierte Willenserklärung des Getäuschten beziehen. Arglist liegt somit vor, wenn der Täuschende die Unrichtigkeit seiner Angaben kennt und er sich bewußt ist, daß der Erklärende durch die Täuschung zur Abgabe seiner Willenserklärung bestimmt wird. Beispiel: Geht V irrig davon aus, K wisse, daß der Wagen einen Unfall hatte, fehlt es am Vorsatz des V. Eine Anfechtung wegen § 123 BGB scheidet aus, selbst wenn die Unkenntnis des V auf grober Fahrlässigkeit beruht. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 14) Bedingter Vorsatz genügt; dieser liegt vor, wenn der Täuschende, obwohl er mit der möglichen Unrichtigkeit seiner Angaben rechnet, ins Blaue hinein unrichtige Behauptungen aufstellt. e) Person des Täuschenden Im Falle empfangsbedürftiger Willenserklärungen (vgl. hierzu Kap. 2) ist danach zu differenzieren, von wem die arglistige Täuschung verübt wird. aa) Täuscht der Erklärungsempfänger (Vertragspartner) oder eine seiner Hilfspersonen (Beispiel: Stellvertreter), so kann der Getäuschte seine Willenserklärung in jedem Fall anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB). bb) Verübt ein anderer als der Erklärungsempfänger oder eine seiner Hilfspersonen die Täuschung, so soll der Erklärungsempfänger in seinem Vertrauen auf die Willenserklärung des Getäuschten grundsätzlich geschützt werden. Die Erklärung kann von diesem nur dann angefochten werden, wenn der Erklärungsempfänger die Täuschung kannte oder hätte kennen müssen (§ 123 Abs. 2 BGB). Hierfür genügt jede Art der Fahrlässigkeit. (vgl. Michalski, Übungen I, Fall 14 sowie S. 158 Fragen 7 und 8) (zur Person des Getäuschten vgl. Michalski, Übungen I, Fall 25) 2. Widerrechtliche Drohung Im Unterschied zur Täuschung besteht bei der Drohung kein Irrtum des Erklärenden. Die Voraussetzungen der Anfechtung wegen Drohung sind: a) Drohung Drohung bedeutet das Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluß zu haben vorgibt. Als Übel genügt jeder Nachteil, ohne daß eine besondere Schwere erforderlich ist (Beispiel: Strafanzeige, Prügel). Die Ausübung unwiderstehlichen körperlichen Zwangs (vis absoluta) stellt keine Drohung dar, da hierdurch der Wille des Betroffenen völlig ausgeschaltet wird. Das künftige Übel muß aus der Sicht des Bedrohten vom Willen des Drohenden abhängig sein. Der Hinweis auf eine auch ohne Einwirken des Drohenden bestehende Zwangslage reicht nicht aus. b) Kausalität Die Drohung muß für die Willenserklärung ursächlich sein. Dazu muß der Betroffene die Drohung als ernst gemeint auffassen, unabhängig davon, ob der Drohende tatsächlich beabsichtigte diese in die Tat umzusetzen. Kausalität besteht auch dann, wenn die Drohung nur wegen der besonderen Ängstlichkeit oder Leichtgläubigkeit des Betroffenen ihr Ziel erreichen konnte. c) Widerrechtlichkeit Die Widerrechtlichkeit der Drohung kann sich ergeben aus: aa) Widerrechtlichkeit des Mittels - Beispiel: Drohung mit Prügel bb) Widerrechtlichkeit des Zwecks - Beispiel: Drohung mit einer Strafanzeige wegen früheren Vergehens (rechtmäßiges Mittel), um den anderen zur Beihilfe zu einem Betrug zu bewegen cc) Widerrechtlichkeit der Mittel-Zweck-Relation - Beispiel: Gläubiger droht dem Betroffenen mit einer Strafanzeige wegen eines früheren Vergehens (Mittel), um diesen zur Begleichung fälliger Schulden (Zweck) zu bewegen. Sowohl das Mittel als auch der Zweck sind hier rechtmäßig, aber der Einsatz dieses Mittels (Strafanzeige) zur Erreichung dieses Zwecks (Schuldenzahlung) ist rechtswidrig, da die vom Drohenden hergestellte Verbindung zwischen beidem nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) als unangemessen anzusehen ist. 3. Anfechtungserklärung Hinweis: Zur Anfechtungserklärung vgl. Kap. 8. (vgl. Michalski, Übungen I, S. 158 Frage 3) 4. Frist Die Anfechtungsfrist beträgt ein Jahr (§ 124 Abs. 1 BGB). Die Frist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung mit der Entdeckung der Täuschung, im Falle der Drohung mit dem Zeitpunkt, in dem die Zwangslage aufhört (§ 124 Abs. 2 BGB). Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn nach der Abgabe der anfechtbaren Willenserklärung 10 Jahre verstrichen sind (§ 124 Abs. 3 BGB). III. Rechtsfolgen * Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts (§ 142 Abs. 1 BGB) * Keine Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB, da der Anfechtungsgegner (= der Täuschende, der Drohende) nicht schutzwürdig ist Hinweis: Zu den Rechtsfolgen der Anfechtung vgl. Kap. 8. Kapitel 10: Stellvertretung * I. Grundlagen * II. Voraussetzungen und Wirkungen * III. Vollmacht * IV. Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht Rechtsquelle: §§ 164-181 BGB. Literatur zur Einarbeitung: Brox, Allgemeiner Teil, §§ 23 bis 25, 27; Musielak, Grundkurs BGB, Rz. 812-859. Unterrichtsmaterialien: Michalski, Übungen I, Fälle 21, 22, 23 und 24 sowie Fragen auf S. 163, 188; Helm, Grundkurs, Übung 28; Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 9; Werner, Fälle mit Lösungen, Fälle 6 und 7; BGH, Urteil v. 10. 3. 1953, I ZR 76/52 und Urteil v.20. 1. 1983, VII ZR 32/82. Vertiefende Literatur: Grimme, Duldungs- und Anscheinsvollmacht, JuS 1989, S. L 49-52. I. Grundlagen 1. Ursachen Der Stellvertretung bedarf es, wenn eine Person (der Vertretene) aus tatsächlichen (z. B. Abwesenheit) oder rechtlichen Gründen (z. B. Unfähigkeit zur Abgabe gültiger Willenserklärungen aufgrund Minderjährigkeit) Rechtsgeschäfte durch eine Hilfsperson (den Vertreter) abschließen muß. Beispiel 1: Der Inhaber eines großen Warenhauses ist tatsächlich nicht in der Lage, alle erforderlichen Wareneinkäufe selbst zu tätigen; deshalb bestellt er einen Angestellten als Einkäufer. Der Inhaber kann erst recht nicht alle Kunden selbst bedienen; deshalb beschäftigt er 100 Verkäuferinnen. Beispiel 2: Ein Geschäftsunfähiger, der ein Mietshaus geerbt hat, ist rechtlich nicht in der Lage, die Wohnungen selbst zu vermieten, da er keine gültige Willenserklärung abgeben kann. Für ihn handelt sein gesetzlicher Vertreter (Eltern, Betreuer). Die Rechtsfolgen des abgeschlossenen Rechtsgeschäfts treffen den Vertretenen. (vgl. Helm, Grundkurs, Systemübung 28 A.2, A.3) 2. Interessenlage Bei einem Rechtsgeschäft durch einen Stellvertreter stehen sich drei Personen (der Vertreter als der Handelnde, der Vertretene als der Betroffene und der Erklärungsempfänger als Dritter) gegenüber, deren Interessen geschützt werden müssen. Die Interessen des Dritten werden dadurch geschützt, daß der Vertreter seine Willenserklärung "im Namen des Vertretenen" abzugeben hat (§ 164 Abs. 1 BGB; Offenkundigkeitsprinzip). Wenn dies nicht der Fall ist, wird der Handelnde selbst zum Vertragspartner des Dritten. Schließt der Vertreter im Namen des Vertretenen, aber ohne Vertretungsmacht einen Vertrag, so gibt § 179 BGB dem Dritten einen Erfüllungs- oder Schadenersatzanspruch gegen den Vertreter. Den Vertretenen schützt § 164 Abs. 1 S. 1 BGB dadurch, daß der Vertreter "innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht" zu handeln hat. 3. Abgrenzung Die Stellvertretung ist von der Botenschaft und dem Handeln unter fremdem Namen abzugrenzen. a) Botenschaft Der Unterschied zwischen Stellvertreter und Bote wird bei der Abgabe einer Willenserklärung deutlich. Der Stellvertreter gibt eine eigene Willenserklärung ab. Der Bote übermittelt nur eine fremde Willenserklärung; statt des Boten könnte der Erklärende dem Empfänger auch einen Brief mit seiner Erklärung schicken. Die Abgrenzung hat nach dem äußeren Erscheinungsbild zu erfolgen, das heißt, wie das Verhalten des Dritten auf einen objektiven Empfänger wirken muß. So ist etwa bei der Übermittlung einer Erklärung durch eine Putzfrau oder ein 5-jähriges Kind von einer Botenstellung auszugehen. (zur Abgrenzung vgl. Michalski, Übungen, Fall 24, sowie Werner, Fälle mit Lösungen, Fall 6.) b) Handeln unter fremdem Namen Die Stellvertretung ist Handeln in fremdem Namen (Offenkundigkeit); im Falle von Handeln unter fremdem Namen benutzt der Handelnde einen fremden Namen als eigenen, um unter diesem fremden Namen einen Vertrag für sich selbst abzuschließen. Beispiel: H mietet unter fremdem Namen ein Hotelzimmer. Es kommt ein Mietvertrag zwischen dem Vermieter und H, nicht jedoch mit der Person, deren Namen H benutzt hat, zustande. (zur Abgrenzung vgl. Brox, Allgemeiner Teil. Rz. 485 f.) II. Voraussetzungen und Wirkungen 1. Voraussetzungen a) Zulässigkeit Grundsätzlich ist Stellvertretung bei jeder Willenserklärung zulässig. Eine Ausnahme bilden die gesetzlich vorgesehenen höchstpersönlichen Rechtsgeschäfte (z. B. Eheschließung nach § 1311 BGB, Testament nach § 2064 BGB). b) Willenserklärung des Vertreters Auf Seiten des Vertreters genügt beschränkte Geschäftsfähigkeit (§ 165 BGB), weil die Folgen der Willenserklärung nicht ihn, sondern den Vertretenen treffen, wenn die Erklärung vom Vertreter im Rahmen seiner Vertretungsmacht abgegeben oder empfangen wird. Es handelt sich somit um ein für den Vertreter neutrales Rechtsgeschäft, welches für ihn keine rechtlichen Nachteile mit sich bringt Hinweis: Zur Geschäftsfähigkeit vgl. Kap. 7. c) Offenkundigkeit Zum Schutze des Dritten muß die Erklärung, daß der Vertreter "im Namen des Vertretenen" handelt, ausdrücklich erfolgen oder sich aus den Umständen ergeben (§ 164 Abs. 1 BGB). Beispiel: Für den Kunden ist es aus den Umständen erkennbar, daß der Verkäufer im Warenhaus für den Inhaber handeln will. Demnach ist der Inhaber des Warenhauses der Vertragspartner des Kunden. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 9, Frage 3) Ausnahme: Geschäft für den, den es angeht. (1) Der Handelnde tritt im Namen eines Anderen auf, ohne daß für den Dritten erkennbar ist, wer der Vertretene ist. Der Dritte entscheidet selbst, ob er sich auf so ein Geschäft einläßt. Hier liegt keine Ausnahme vom Offenkundigkeitsprinzip vor, denn der Handelnde macht dem Partner deutlich, daß er für einen anderen tätig wird. Der Geschäftspartner ist nicht schutzbedürftig; denn er braucht sich nicht auf ein Geschäft einzulassen, wenn er nicht weiß, wer sein Geschäftspartner ist. (2) Bargeschäfte des täglichen Lebens. In diesen Fällen wird das Geschäft sofort abgewickelt und es besteht kein Interesse des Dritten daran zu wissen, wer sein Vertragspartner ist. Das Offenkundigkeitsprinzip wird durchbrochen. (Zum Geschäft für den, den es angeht, vgl. Michalski, Übungen, Fall 21.) d) Vertretungsmacht Die Vertretungsmacht kann auf Gesetz (z. B. § 1629 Abs. 1 BGB Eltern für Kinder) oder auf Rechtsgeschäft (§ 167 BGB) beruhen. Die durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsmacht bezeichnet § 166 Abs. 2 BGB als Vollmacht. (vgl. Diederichsen, Grundkurs, Kapitel 9, Frage 6) 2. Wirkungen Die Rechtsfolgen der Stellvertretung treffen allein den Vertretenen. Der Vertreter kann sich dem Dritten gegenüber jedoch aus culpa in contrahendo schadenersatzpflichtig machen, wenn er ein erhebliches unmittelbares Eigeninteresse am Vertragsschluß hat, oder wenn er in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch nimmt. Beispiel: Der Gebrauchtwagenhändler, der beim Verkauf des Pkw als Vertreter des bisherigen Eigentümers auftritt, haftet dem Käufer, wenn dieser wegen der besonderen Fachkenntnisse des Händlers auf dessen Angaben und Beratung vertraut. Den Vertretenen treffen keine Rechtswirkungen, wenn: * Der Vertreter geschäftsunfähig oder eine Stellvertretung unzulässig ist (Rechtsfolge: Das Geschäft ist nichtig) * Der Vertreter nicht in fremdem Namen handelt (Rechtsfolge: Eigengeschäft des Vertreters) * Dem Vertreter die für das Geschäft erforderliche Vertretungsmacht fehlt (Rechtsfolge: Haftung als Vertreter ohne Vertretungsmacht). III. Vollmacht 1. Erteilung Die Vollmacht wird durch empfangsbedürftige formfreie Willenserklärung erteilt (§ 167 BGB). Die Erklärung kann sowohl gegenüber dem zu Bevollmächtigenden (Innenvollmacht - § 167 Abs. 1, 1. Alt. BGB) wie auch gegenüber dem Dritten abgegeben werden (Außenvollmacht - § 167 Abs. 1, 2. Alt. BGB). 2. Vollmacht und Grundverhältnis Der Vollmachtserteilung liegt in der Regel ein Vertragsverhältnis zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem zugrunde (Grundverhältnis), z. B. Auftrag, Arbeits- oder Dienstvertrag. Die Bevollmächtigung ist von dem ihr zugrundeliegenden Grundverhältnis streng zu trennen (Abstraktionsprinzip). * Die Vollmacht betrifft das Außenverhältnis zwischen Vollmachtgeber und Drittem. Sie berechtigt den Bevollmächtigten lediglich und verpflichtet ihn nicht. * Das Vertragsverhältnis zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem betrifft das Innenverhältnis zwischen diesen beiden Personen. Der Bevollmächtigte verpflichtet sich gegenüber dem Vollmachtgeber, für ihn tätig zu werden. 3. Arten der Vollmacht Man unterscheidet zwischen Spezialvollmacht (für ein bestimmtes Rechtsgeschäft), Gattungsvollmacht (für eine Gattung von Rechtsgeschäften) und Generalvollmacht (für alle Geschäfte, bei denen eine Vertretung zulässig ist). Eine besondere Art der Vollmacht ist die Prokura, die sich auf Geschäfte jeglicher Art, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt, erstreckt. In diesem Falle bestimmt das Gesetz den Umfang der Vollmacht (§ 49 HGB). Für die Prokura sieht der Gesetzgeber auch den Fall vor, daß nur mehrere Vertreter gemeinsam den Vollmachtgeber vertreten können (Gesamtprokura - § 48 Abs. 2 HGB). 4. Erlöschen der Vollmacht Die Vollmacht erlischt mit dem Eintritt eines gewissen Zeitpunkts (die befristete Vollmacht) oder einer gewissen Bedingung (auflösend bedingte Vollmacht) oder mit der Abwicklung des bestimmten Rechtsgeschäfts (Spezialvollmacht). Die Vollmacht erlischt auch durch deren Widerruf. 5. Duldungs- und Anscheinsvollmacht Darf der Dritte auf Grund des äußeren Erscheinungsbildes annehmen, daß der Vertreter bevollmächtigt ist, so ist der Dritte schutzwürdig. Dazu hat die Rechtsprechung die Institute der Duldungs- und Anscheinsvollmacht entwickelt. Vor allem aus §§ 170 ff. BGB ist der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, daß derjenige, der den Rechtsschein einer Vollmacht veranlaßt hat, das vom Vertreter abgeschlossene Rechtsgeschäft gegen sich gelten lassen muß. Gemeinsam ist Duldungs- und Anscheinsvollmacht, daß * keine Vollmacht vorliegt * der Dritte nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) mit Rücksicht auf die Verkehrssitte aus dem äußeren Geschehen auf eine Bevollmächtigung schließen (Rechtsschein) kann. Der Unterschied zwischen beiden Instituten beruht auf dem Grund, aus dem dieser Rechtsschein dem Vertretenen zuzurechnen ist. a) Duldungsvollmacht Die Duldungsvollmacht verlangt, daß der Vertretene das Verhalten des für ihn Handelnden kennt und es duldet (vgl. BGH 10. 3. 1953, I ZR 75/52). Beispiel: Der bei B beschäftigte Pförtner und Telefonist H hat sich seit längerer Zeit angewöhnt, Bestellungen der Kunden selbst anzunehmen, statt diese mit dem dazu bevollmächtigten Angestellten A zu verbinden. Dem B ist das Verhalten des H zu Ohren gekommen, er ist aber aus Nachlässigkeit nicht eingeschritten. Der Dauerkunde D verlangt von B Erfüllung des mit H abgeschlossenen Vertrages. Da D das Verhalten von H gekannt und geduldet hat, handelt H mit Duldungsvollmacht; dabei handelt es sich im Ergebnis um eine konkludent (stillschweigend) erteilte Vollmacht. Zwischen D und B ist ein Vertrag zustande gekommen, den B erfüllen muß. Rechtsfolge: Die Erklärung des als Vertreter Handelnden wirkt für und gegen den Vertretenen. b) Anscheinsvollmacht Der Vertretene kennt das Verhalten des für ihn Handelnden nicht, könnte es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen und verhindern (vgl. BGH 20. 1 1983, VII ZR 32/82). Beispiel: (Variante zu oben) B hat von dem Verhalten des H nichts erfahren, weil er sich zu wenig um seinen Betrieb kümmerte. Hätte er sich aber um seinen Betrieb gekümmert oder hätte er einen zuverlässigen Mitarbeiter damit betraut, hätte er das Verhalten von H abstellen können. Aufgrund des fahrlässigen Verhaltens des B durfte D auf eine Bevollmächtigung des H schließen. Anders als bei der Duldungsvollmacht kommt es hier nicht zum Vertragsschluß. D wird dadurch geschützt, daß ihm ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens gegeben wird. Hinweis: Zum Begriff des Vertrauensschaden vgl. Kap. 8. Rechtsfolge: Das schuldhafte Verhalten des vermeintlich Vertretenen stellt keine Willenserklärung dar, löst aber eine Schadenersatzpflicht aus. (Zur Duldungs- und Anscheinsvollmacht vgl. BGH v. 10. 3. 1953 und BGH v. 20. 1. 1983 sowie Werner, Fälle mit Lösungen, Fall 7. Zur Anscheinsvollmacht vgl. Michalski, Übungen, Fall 22) IV. Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht Das rechtsgeschäftliche Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht wirkt nicht für und gegen den Vertretenen. Der Vertretene kann jedoch ein Interesse daran haben, das vom Vertreter ohne Vertretungsmacht abgeschlossene Geschäft "an sich zu ziehen", d. h. nach § 177 BGB zu genehmigen, wenn er es für günstig hält. Das Gesetz schützt den Dritten, wenn dieser ein Geschäft mit dem Vertreter ohne Vertretungsmacht geschlossen hat (§ 179 BGB). 1. Voraussetzungen und Haftungsumfang Die Voraussetzungen für einen Anspruch gegen den Vertreter ergeben sich aus § 179 Abs. 1 BGB: Der Vertreter handelt in fremdem Namen, aber ohne Vertretungsmacht; der Vertretene verweigert die (nachträgliche) Genehmigung. Rechtsfolge: Der Dritte kann vom Vertreter entweder Erfüllung oder Schadenersatz wegen Nichterfüllung wählen. Wählt der Dritte Erfüllung, so entsteht zwischen ihm und dem Vertreter kraft Gesetzes ein Schuldverhältnis, wie es mit dem Vertretenen zustande gekommen wäre, wenn der Vertreter Vertretungsmacht gehabt hätte. Wählt der Dritte Schadensersatz, so ist der Vertreter verpflichtet, dem Dritten den Schaden in Geld zu ersetzen, der dadurch entstanden ist, daß das Geschäft nicht abgeschlossen wurde (Erfüllungsschaden; vgl. hierzu Kap. 8, 13). (Zur Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht vgl. Michalski, Übungen, Fall 23.) Achtung: Kannte der "Vertreter den Mangel der Vertretungsmacht nicht, so haftet er nach § 179 Abs. 2 BGB nur für den Vertrauensschaden, zusätzlich begrenzt durch die Höhe des Erfüllungsschadens (vgl. hierzu Kap. 8). Ein Erfüllungsanspruch des Dritten besteht für diesen Fall nicht. 2. Ausschluß der Ansprüche Der Dritte hat gegen den Vertreter keine Ansprüche aus § 179 BGB, wenn sein Vertrauen auf die Wirksamkeit des Geschäfts keinen Schutz verdient. Das Gesetz sieht folgende Fälle des Ausschlusses der Ansprüche vor: * Dem Dritten war bei Vertragsschluß bekannt oder er hätte erkennen müssen, daß der Vertreter keine Vertretungsmacht hat; der Dritte ist hier nicht schutzwürdig. * Der Vertreter ist nur beschränkt geschäftsfähig. Der Schutz beschränkt Geschäftsfähiger geht dem des Dritten vor; das gilt jedoch nicht, wenn der beschränkt Geschäftsfähige mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters gehandelt hat. * Der Dritte macht von seinem Widerrufsrecht nach § 178 BGB Gebrauch; er hat es sich hier selbst zuzuschreiben, daß der Vertretene den Vertrag nicht noch durch seine Genehmigung gültig machen konnte. * Im Falle eines Haustürgeschäfts (vgl. hierzu Kap. 4) kann der Vertreter sein Widerrufsrecht nach § 312 BGB ausüben und dadurch einen Anspruch des Dritten aus § 179 BGB ausschließen. (Zu den Ansprüchen des Dritten gegen den Vertreter ohne Vertretungsmacht bzw. den Vertretenen vgl. Werner, Fälle mit Lösungen, Fall 7.)