Čestmír Lang Der deutsche Jahrhundertjournalist Gerade ist die erste Biografie des SPIEGEL-Gründers Rudolf Augstein erschienen (aus: Lidové noviny, Wochenendbeilage Orientace, 26.3.2005, S. 15) Er war nicht mit gewöhnlichen Maßstäben zu messen: Auf die Ansichten von anderen nahm er keine Rücksicht, Political Correctness hielt er für amerikanischen Unfug. Das Wichtigste war für ihn die Unabhängigkeit des eigenen Denkens. So wurde Rudolf Augstein von seinen Mitarbeitern charakterisiert. Anfang 2000 wurde er von hundert renommierten deutschen Journalisten zum Journalisten des Jahrhunderts gewählt. Zwei Jahre später, am 7. 11. 2002, starb die Legende des deutschen Journalismus im Alter von 79 Jahren. Die journalistische Karriere von Rudolf Augstein war ein Zufallsprodukt. Als junger Mann wollte er Psychologe oder Schriftsteller werden. Aus dem familiären Umfeld nahm er die Verachtung für den Nationalsozialismus mit. Trotzdem meldete er sich 1942 als Freiwilliger zur Wehrmacht. Später kommentierte er seine damalige Entscheidung mit den Worten: "Ich wollte nicht an vorderster Front fürs Vaterland fallen". Als Freiwilliger und Anwärter auf eine Offiziersstelle rechnete er sich bessere Überlebenschancen aus. Schließlich musste er als Telefonist an die Ostfront, kam aber ohne Verwundung davon und gelangte sechs Wochen nach der deutschen Kapitulation ins heimische Hannover zurück. Die Hauptstadt von Niedersachsen gehörte zur englisch besetzten Zone. Der britische Presseattaché, Major Chalonel, wählte sich Augstein als Redakteur eines unabhängigen Wochenblattes aus. Nach der Probezeit entschloss sich der 23-Jährige Anfang 1947, das Wochenblatt DER SPIEGEL herauszugeben. Schon in einer der ersten Nummern gelang es ihm, mit der scharfen Ironie seiner Feuilletons die liberalen Briten zu provozieren: "Der Krieg ist zu Ende. Den Alliierten ist es gelungen, die entscheidenden Zentren der Rüstungsindustrie zu liquidieren, wie z. B. die Marienkirche in Lübeck oder den Dresdner Zwinger. Was soll man machen? Einst gaben die Briten dem Königreich Hannover entscheidende Impulse. Jeder war froh, dass Hannover zur britischen Besatzungszone gehörte, und zwar nur deshalb, weil es dadurch nicht zur russischen Zone gehörte". Obwohl das britische Oberkommando ein Verbot des Spiegels forderte, hielt der liberale Chalonel seine schützende Hand über Augstein. Der revanchierte sich dafür mit dem Bonmot: "Mein Schreiben ist das Ergebnis der britischen liberalen Umerziehung". Die legendäre Affäre In den Jahren 1949 - 1965 entstand das, was man als "die Spiegel-Legende" bezeichnen könnte. Augstein zog damals mit Verve in den Kampf gegen zwei Spitzenpolitiker: den ersten Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, und seinen späteren Minister, Franz Josef Strauß. Bei dem Konflikt mit Adenauer ging es vor allem um den Widerstand gegen die Wiederbewaffnung und den Beitritt Deutschlands zur NATO. Hier stand Augstein zusammen mit den linken Kräften gegen die Logik der Nachkriegsentwicklung, und hatte somit keinerlei Aussicht auf Erfolg. Anders war das im Falle Strauß, der seit Beginn seiner politischen Karriere immer wieder in verschiedene Bestechungsaffären verwickelt war und sich der ständigen Angriffe des Spiegels erwehren musste. Augstein war sich der Gefährlichkeit dieses extrem konservativen Politikers für die Innenpolitik bewusst. Der Konflikt zog sich über Jahre hinweg hin und fand seinen Höhepunkt in der Kritik der NATO-Manöver, die die Bezeichnung Fallex 62 trugen und nur wenige Tage vor dem Ausbruch der Kubakrise stattfanden. Der Spiegel brachte damals in einem umfangreichen Text eine Bewertung dieser Manöver mit folgendem Tenor: "Mit Raketen statt mit Brigaden und mit Atomsprengköpfen statt mit Soldaten wird die Bundeswehr keine effektive Verteidigungsstrategie realisieren können". Der wütende Strauß alarmierte die Bundesanwaltschaft, die Anklage gegen das Magazin wegen Verdacht auf Verrat von Staatsgeheimnissen in 41 Fällen erhob. Am 26. Oktober 1962, in den späten Abendstunden, wurde das Redaktionsgebäude des Spiegels von Sondereinheiten der Polizei umzingelt, die Redaktionsräume wurden durchsucht und zwei leitende Redakteure festgenommen. Der Chefredakteur Augstein wurde zwei Tage später in Haft genommen, wo er 105 Tage verbrachte. Die legendäre "Spiegel-Affäre", begleitet von Massendemonstrationen für die Pressefreiheit, endete mit dem Sieg Augsteins: Strauß musste als Minister zurücktreten, die FDP, der Koaltitionspartner der regierenden Christdemokraten, erreichte, dass Adenauer innerhalb der nächsten 12 Monate als Kanzler abtrat, und - last but not least- die Auflage des Spiegels stieg von einer halben Mio. auf eine Mio. Exemplare. Als der von der Öffentlichkeit gefeierte Augstein aus dem Gefängnis zurückkehrte, war er ein anderer Mensch. In der unangenehmen Klausur hatte er genügend Zeit gehabt, seine bisherige Tätigkeit zu rekapitulieren. Der Autodidakt ohne Hochschulbildung mit dem enormen Interesse an Geschichte und und der unbestechlichen Logik wandte sich vom Tagesjournalismus ab und widmete sich von nun an seinen großen Lebensaufgaben: Er schrieb das Buch "Der geschichtliche Jesus", das ein Bestseller wurde, beschäftigte sich mit dem preußischen König Friedrich dem Großen, über den er eine Biografie schrieb. In langen Gesprächen mit den Philosophen Karl Jaspers, Martin Heidegger und Hannah Arendt suchte er Orientierung für sein eigenes Leben. 1972 entschied er sich sogar für die aktive Politik: Für die FDP wurde er in den Bundestag gewählt. Seine politische Karriere dauerte aber - nachdem er rasch alle Illusionen über die Berufspolitik verloren hatte - gerade einmal drei Monate. Übersetzung: Roland Wagner