Ich kam mit einem Kindertransport im Juli 1939 nach England. In Wien war ich bei einer jüdischen Organisation, der Hakoah. Dort war ein Bub, er hieß Eugene, der gab uns eine Adresse und sagte, schreibt an die Synagoge Westlondon, nach England. Auch meiner Freundin Erika sagte er das. Ich zeigte die Adresse meiner Mutter, und sie kannte jemanden, der Englisch sprach. Sie schrieb also einen Brief und der Rest ist Geschichte. So kamen wir beide, Erika und ich, nach England. Nach dem Krieg, 1946, traf ich meinen Mann Elaij. Er war amerikanischer Soldat, und er war in einer Band. Es war so um die Ferienzeit, wir trafen uns in einem jüdischen Zentrum in Oxford. Im März 1946 heirateten wir, und im Mai 1946 kam ich in die Staaten, als Kriegsbraut. Am Ende des Jahres kam Erika nach. Zu dieser Zeit erst hörte ich auch von meiner Mutter. Sie lebte. Sie hatte 7 Jahre in Wien als U-Boot überlebt. 2001 fuhr ich das erste Mal nach Wien. Ich nahm meinen Sohn mit, es war wunderbar, eine wunderbare Erfahrung. Mein Sohn war der Beste. Er spazierte herum, als wär er da geboren. Beim Heurigen hat er gesungen. Rosalie Berezow, geb. Weizberg, wohnte bis 1939 in der Springergasse 19/24, in Wien, Leopoldstadt. 1939 entkam sie mit einem Kindertransport nach England. 1946 ging sie mit ihrem Mann nach New York. Heute lebt Ms. Berezow in Queens/New York. Sie ist Mutter von 2 Söhnen. Am 13.03.1939 habe ich den Zug des Kindertransportes bestiegen, exakt ein Jahr, nachdem Hitler in Österreich einmarschiert ist. Ich hatte das Gefühl, sie senden mich weg, sie wollen mich nicht mehr. Ich erinnere mich deshalb an das Datum, ich meinte die Bevölkerung feiert eine Party, weil ich Österreich verlasse. Zu diesem Zeitpunkt war ich 15 Jahre alt. Meine Schwester, die 3 Jahre älter war, konnte nicht mehr auf den Kindertransport. Ich kam nach England und blieb dort bis zum Jahre 1947. Mein erster Job in New York war Schneiderin, ich hatte es in England gelernt. Meine Eltern überlebten, doch sie gingen durch die Hölle, mein Vater war im KZ Dachau. Nach dem Krieg habe ich so viele getroffen, die ins KZ gekommen waren, und ich fühlte mich schuldig, überlebt zu haben. Warum habe ich überlebt, und 1,5 Millionen Kinder haben nicht überlebt. Als meine Tochter 15 Jahre alt war, dachte ich: du hast keine Ahnung wie glücklich du bist. Meine Mutter hat mir zweimal das Leben gegeben: Bei der Geburt und als sie mich in den Zug gesetzt hat. Ich hatte eine Tante mit 4 Kindern. Meine Tante nannte meine Mutter eine Rabenmutter. Sie fragte: „Wie kannst du die Kinder weg schicken?“ Meine Tante und ihre 4 Kinder haben nicht überlebt. Ich nenne es immer die „Schuld zu Überleben“, denn ich fühlte mich schuldig. Anita Weisbord geb. Nagel lebte bis 1939 in der Großen Mohrengasse 38/8, in Wien, Leopoldstadt. Mit einem Kindertransport entkam sie nach England. 1947 kam sie mit ihrem Ehemann nach New York. Sie arbeitete als Schneiderin für große Modehäuser. Ms. Weisbord ist Vizepräsidentin der Kindertransport Association (KTA). Sie engagiert sich unermüdlich im Bereich der Oral History und lebt in Queens, New York. Mein Vater war Arzt. Hitler kam im März 1938 und es wurde alles umgestaltet. Ich war im Frauen-Erwerbsverein in der Schule. Als Hitler kam, mussten wir weg, wir mussten in die Stumpergasse, in die jüdische Hauptschule gehen. Sie sind in die Wohnung gekommen, wollten meinen Vater mitnehmen, haben gestohlen... Nach dem haben meine Eltern gesagt: Raus! Ich weiß nicht, wie es meine Eltern gemacht haben, denn sie waren sehr familiär, sie wollten ihre Kinder nicht weg geben. Aber sie haben uns weg geschickt. Im März 1939 - mein Bruder, er war 8 Jahre alt, ich war beinahe 14. Wir sind mit dem Kindertransport nach England. Mein Vater durfte nicht mehr praktizieren, die Wohnung mussten sie aufgeben, das Auto wurde ihnen weg genommen. Dann hat mein Vater einen nicht jüdischen Patienten getroffen. Der sagte: „Wissen sie, ich habe eine Cousine in NY...“. Er hat dieser Cousine geschrieben, sie hat das Affidavit geschickt, und so konnten meine Eltern auswandern. Mein Bruder und ich waren in England. Im November 1940, sind wir von Liverpool nach Amerika gekommen, mit dem Schiff. Mein Mann David war 18, er ist illegal nach Frankreich, knapp vor dem Krieg ist er nach Amerika gekommen. Ich habe ihn hier durch den Österreicher Club kennen gelernt. Auf der 100sten Straße, in einem alten Gebäude, man hat sich jeden Freitag dort getroffen. Es zieht uns immer wieder zurück zu unseren Leuten, zu unseren europäischen Wurzeln. Hennie Edelman, geb. Mandler, wohnte bis 1939 in der Schönbrunnerstr. 219, in Wien, Meidling. Gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder, Otto, entkam Sie 1939 mit einem Kindertransport nach England. Seit 1940 lebt sie in New York. Ms. Edelman hat als Lehrerin gearbeitet und ihren Mann in seiner Firma unterstützt. Ich erinnere mich noch, als Hitler mit seinen Truppen im März 1938 in Österreich einmarschierte. Die Leute in Wien jubelten und empfingen sie singend und mit großer Begeisterung. Ich führte mit meiner Familie – wir waren vier, mein Vater Max, Elsa, meine Mutter, mein älterer Bruder Julius und ich – in Wien ein behütetes und sorgenfreies Leben. Das hatte sehr schnell ein Ende. Unser angenehmes Leben wurde zerstört und für immer auf sehr drastische Weise verändert. Ich konnte nicht mehr in die Schule. Frühere Freunde und Klassenkollegen ignorierten uns. Mein Bruder wurde von der Universität Wien verwiesen und ging nach Palästina. Wir wurden gezwungen, unser Haus zu verlassen. Mein Vater wurde verhaftet, freigelassen und ging sofort illegal über die Grenze und nach Belgien. Ich hatte das Glück, nach Schottland gehen zu können,und meine Mutter in die USA. In weniger als einem Jahr waren wir in alle Winde zerstreut. Meine schon gebrechlichen Großeltern wurden nach Theresienstadt gebracht, wo sie beide umkamen. Geliebte Tanten und Onkel wurden genauso aus Wien deportiert und dann umgebracht. Es gibt drei sehr wichtige Personen, denen ich zu großem Dank verpflichtet bin wegen ihrer Selbstlosigkeit, ihrer Opferbereitschaft und ihrer Güte. Sie haben mich davor gerettet, ins Konzentrationslager und damit in den sicheren Tod geschickt zu werden. Da ist zuerst meine Mutter, Elsa Schimmel Spritzer, die den Mut hatte, mich allein zu Unbekannten zu schicken, ohne zu wissen, wie es mir dort gehen würde. Erst als ich selbst Mutter wurde, begann ich zu verstehen, wieviel Schmerz und Angst sie durchgemacht haben muß, um mich gehen zu lassen. Dann ist es Ms. Helen M. Blair, die in Schottland als Freiwillige für den Scottish Christian Council gearbeitet und Kindern geholfen hat, mit dem Kindertransport dem Nazi-besetzten Europa nach Großbritannien zu entkommen. Sie lebte in Edinburgh und nahm mich, eine vollkommen Unbekannte, bei sich zuhause auf, als ich auf mein Visum für Amerika wartete. Und dann ist das meine Tante, Lottie Spritzer Cohen, die mir und meiner Familie Affidavits für die Vereinigten Staaten schickte und uns auch nach unserer Ankunft half. In der Zeit, in der Hitler an der Macht war, bin ich schnell erwachsen geworden und habe immer gehofft, daß die Zukunft besser sein würde. Ich hatte das Glück, den Holocaust und Krebszu überleben. Seit 63 Jahren bin ich mit meinem wunderbaren Mann Otto verheiratet, der auch ein Überlebender des Holocaust ist. Wir haben drei Kinder und ihre Partner und fünf Enkelkinder. Wenn ich heute zurückschaue und über meine Jugend spreche, gehen mir einige Jahre ab, und ich begreife, wie kostbar Freiheit ist. Es ist wichtig, unseren Kindern und Enkeln Toleranz für andere beizubringen, und daß man keine Vorurteile haben darf gegen die, die anders sind als wir. Daß man Menschen als Menschen respektieren und in Frieden zusammen leben muß. Susanne "Susi" Perl geb. Spritzer wohnte bis 1939 in der Jägerstraße 2, in Wien, Brigittenau. Mit einem Kindertransport entkam sie 1939 den Nationalsozialisten. Erste Station war Schottland, 1941 immigrierte Ms. Perl nach New York. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Otto Perl, betrieb sie eines der gefragtesten Schneiderateliers in New York. Ich war 15 als ich in den Zug des Kindertransports gestiegen bin und einer meiner ersten Gedanken war: Gott sei Dank bin ich noch nicht alt genug, um Kinder zu haben. Ich erinnere mich an 3-jährige Kinder, welche die Eltern schlafend in den Zug gegeben haben, und in der Früh sind sie aufgewacht, und haben nach den Eltern gerufen. Meine Mutter hätte die Möglichkeit gehabt, Österreich zu verlassen und als Köchin nach England zu gehen. Sie hat diese nicht genutzt, weil ich Wien nicht verlassen konnte und sie mich nicht zurücklassen wollte. Meine Mutter war allein, denn mein Vater war tot. Sie war vollkommen allein. Sie hat gesehen, dass es für mich in Wien keine Zukunft gibt. Sie hat gewartet, bis ich draußen war, und dann war es zu spät. Ich kann mich erinnern, dass wir am Bahnhof waren und sie mich in den Zug gesetzt hat, und sie mir gesagt hat, wir werden uns bald wieder sehen. Meine Mutter wurde nach Theresienstadt geschickt, 1942, und war dort bis zum Oktober 1944. Dann kam sie nach Auschwitz, ich habe meine Mutter nie mehr gesehen. Ich war bis 1946 in London, und dann bin ich nach Amerika, denn meine Tante aus Portugal war hier in New York. Ich hatte niemanden in England, keinen Menschen. Alice „Lizzy“ Winkler geb. Freund lebte bis 1938 in der Blumauergasse 23, in Wien, Leopoldstadt. Mit einem Kindertransport entkam sie nach England. 1946 immigrierte sie alleine nach New York, wo sie als Modistin arbeitete. Sie gründete eine Familie, ist Mutter von zwei Töchtern und lebt in Queens/New York. Es war nicht einfach, ich war noch ein Kind und bin in die Schule gegangen. Als ich nach NY kam, war ich 14. Ich bin sehr rasch erwachsen geworden. Ich musste mich schneller emanzipieren und erwachsen werden. Ich weiß nicht, wie es in Wien geworden wäre. Mein Vater hat in der Länderbank gearbeitet, Ecke Taborstraße/ Gredlerstraße und wir haben gleich gegenüber gewohnt. In Wien ist es uns allen gut gegangen. Mein Vater war der Vorstand der Länderbank. Es war sehr rasch klar, dass meine Eltern Wien verlassen mussten. Meine Eltern wollten nach New York. Wir haben damals unsere Möbel in einen Transport gegeben, aber sie sind nie angekommen. Also sind wir im Krieg, es war Ende Dezember 1939 hierher gekommen. Meine Großmutter aus Wien ist auch hergekommen. Im März 1941 über Polen und Russland nach Japan, und von Japan nach Seattle, und dann hierher. Sie war 2 Monate unterwegs, war schon eine 70erin, aber sehr rüstig. Mit einigen älteren Leuten war sie unterwegs. Mein Vater war leider nicht sehr gesund, 1943 ist er gestorben. Was mir leid getan hat, was wir nicht mitgenommen haben, sind Fotografien. Mit 18 habe ich geheiratet. Wir sind im September 63 Jahre verheiratet. Es hat sich nie die Frage gestellt, zurück zu gehen. Meine Kinder sind alle Amerikaner, ich habe sie nach Wien mitgenommen, doch für sie ist es wie Hong Kong. Susy Orne geb. Fantl wohnte bis 1939 in der Gredlerstraße 5, in Wien, Leopoldstadt. 1939 entkam sie gemeinsam mit ihren Eltern den Nationalsozialisten. Ehemann Peter stammt ebenfalls aus Wien, auch er konnte sich vor den Nationalsozialisten retten. Heute lebt das Ehepaar in Queens/New York. Ich wurde 1932 in Wien geboren und verließ Österreich mit dem Kindertransport im Dezember 1938. Meine Mutter war schon in England und arbeitete als Hausangestellte. Mein Vater war mit einigen Freunden illegal nach Frankreich gegangen. Meine Großmutter, die Mutter meiner Mutter, war diejenige, die herausfand, daß es den Kindertransport gab und dafür sorgte, daß ich einen Platz bekam. Da meine Mutter auch in dem Haus wohnen mußte, wo sie arbeitete, gab sie mich ins Internat. Ich erinnere mich daran, als die Deutschen kamen und sagten, hier können sie nicht mehr wohnen. Ich hatte entsetzliche Angst. Ich fühlte mich immer schuldig, denn meine Großmutter konnte die Türglocke nicht hören und ich sagte ihr immer „Oma, da ist jemand an der Tür!“ Und als Kind dachte ich, wenn ich die Glocke nicht gehört hätte, wären die Deutschen wieder gegangen und Großmutter hätte überlebt. Erst sehr viel später habe ich realisiert, daß sie nicht weggegangen wären, daß meine Großmutter auf keinen Fall überlebt hätte. Aber ich dachte wirklich, ich sei an ihrem Tod schuld. Mein Vater hatte einen Onkel in Amerika, der es sich leisten konnte, uns herüber zu bringen. Er brachte meine Großeltern väterlicherseits herüber, meinen Vater und meine Mutter, mich und sogar den jüngeren Bruder meines Vaters mit seiner Frau. Ich kam mit acht nach New York und bin hier aufgewachsen. Als Kind war ich eine begeisterte Malerin und Zeichnerin und wollte Künstlerin werden. Ich ging auf eine spezielle Schule für Gebrauchsgraphik, aber nach dem Abschluß wurde ich an der Kunstuni, die ich besuchen wollte, nicht angenommen. Ich dachte also, ich hätte kein Talent, und gab die Kunst auf. Ich ging aufs College und studierte Soziologie und Psychologie. Während des Studiums heiratete ich und bekam einen Sohn. Mein Mann starb im Alter von 25 Jahren, als unser Sohn vier war. Ich mußte schnell einen Job finden, und ging ins Chemielabor einesgroßen Krankenhauses. Ich konnte später noch Elektronik, ein Zweig der Elektrotechnik, studieren und wurde im selben Spital als Elektronikerin angestellt. Ich bin jetzt in Pension. Ich studiere, schreibe und zeichne (obwohl ich immer noch mein Talent bezweifle), und ich mache Fotografien. Zweimal die Woche gehe ich üben, eine Art Yoga. Ich engagiere mich sehr in der New Yorker Society for Ethical Culture, wo ich am Sonntag die Treffen besuche und ehrenamtlich im Büro mitarbeite. Eva Franzi Yachnes geb. Steiner lebte in der Favoritenstraße 70/20, in Wien, Wieden. Sie entkam 1938 mit einem der ersten Kindertransporte nach England. 1940 immigrierte sie nach New York. Sie lebt in der Bronx. Ich wurde in Wien geboren und alle meine Lebensumstände waren so, als wären sie extra für mich gemacht worden. Es war auch so, daß ich einfach mit meinen Eltern auf derselben Wellenläge war, schon von Kind an. Mein Vater war Arzt, interessierte sich aber auch für Lyrik und Philosophie. Meine Mutter hatte einen Doktortitel in Chemie. Sie leitete ein bekanntes Mädcheninternat, das in seiner Ausrichtung psychologisch und auch akademisch seiner Zeit weit voraus war. Die Gespräche zuhause waren fast immer voll von Anspielungen auf Bücher und historische Ereignisse. Die freie Zeit verbrachten wir beim Wandern und mit Freunden und gingen ins Theater. Da meine Mutter Klavier spielte und sich gut in Kunstgeschichte auskannte, waren Konzert- und Museumsbesuche immer wichtig. Wien war ein guter Hintergrund, um alle diese Interessen zu verfolgen. Diese Atmosphäre, in der ich aufgewachsen bin, legte eigentlich den Grund für alles, was ich auch heute noch gern tue. Mein Beruf ist der einer Psychologin. Aber privat liebe ich das Reisen, das Lesen, ich liebe die Beschäftigung mit Kunst und Geschichte, die Natur, ich mag besonders Tennis und Schwimmen und verbringe gern viel Zeit mit Freunden. Als Kind war für mich das alles selbstverständlich und ich dachte, alle Familien würden so leben. Und dann kamen Hitler und seine Truppen nach Wien und das veränderte alles. Wie ging mein Leben nach diesem Erdbeben weiter? Ich kann Ihnen zwei verschiedene Fassungen davon geben. Version Nr. 1 zeigt mein Leben als überaus glückliches. Meine Familie konnte entkommen, ungefähr sieben Monate nachdem Hitler kam. Wir kamen nach England, ein englisches Internat gab mir ein Stipendium, weil ich ein Flüchtlingskind war und ich lernte schnell Englisch. Als der Krieg begann, wurden wir nach Wiltshire evakuiert, wo ich bei einer ganz wunderbaren englischen Familie wohnte, mit der ich noch heute im Kontakt bin. Als wir endlich indie USA kommen konnten, konnte mein Vater wieder als Arzt arbeiten, und meine Mutter gab Klavierunterricht. Wieder bekam ich Stipendien, um zu studieren, und in einem späteren Semester traf ich dann meinen Mann, der auch Psychologe ist. Ich habe immer gearbeitet, auch als die Kinder klein waren, und ich arbeite immer noch und genieße es sehr. Version Nr. 2 meines Lebens hat ihren Ursprung an dem Tag, an dem der Einfall der Nazi-Truppen unser ganzes Leben wie ein Tsunami von einem Augenblick zum anderen auslöschte. Nichts war mehr wie vorher, nie mehr. Wir lebten in ständiger, täglicher Angst, meine Eltern suchten verzweifelt und unaufhörlich nach einem Ausweg. Jeder Tag brachte eine neue Bedrohung, ein neues Hindernis, einen neuen Grund zum Verzweifeln. Jedesmal, wenn es an der Tür läutete, dachten wir, der Tod könnte vor der Tür stehen. Jedesmal, wenn mein Vater das Haus verließ, um seine Arztvisiten zu machen, kam die Wahrscheinlichkeit näher, daß er einfach auf der Straße verhaftet würde. Jedesmal, wenn wieder ein anderes Land ein Visum verweigerte, war das wie das Ende des Weges. Diese Angst war so tief und der Abgrund immer so nahe, daß meine Eltern sich nicht darum kümmerten, ob wir etwas mitnehmen konnten, als wir schließlich Österreich verließen. In England arbeitete meine Mutter als Hausmädchen und mein Vater illegal in einem Chemielabor. Das Stipendium für Flüchtlingskinder machte es mir möglich, ins Internat zu gehen. Ich war sehr dankbar, aber ich sah natürlich auch, daß die Kinder dort lieber mit ihren Freunden spielten und mich verständlicherweise als Neuankömmling, der nicht Englisch sprach, kaum eines Blickes würdigten. Nach Amerika zu kommen bedeutete dann noch mal ein großes Zittern. Als wir es endlich geschafft hatten, ging mein Vater wieder zur Uni, um seine Akkreditierung als Arzt zu erreichen – nicht einfach in einer anderen Sprache. Obwohl meine Muttereinen Doktortitel hatte, arbeitete sie als Assistentin in einem Internat, als Buchhalterin, als Klavierlehrerin und als Krankenschwester. Meine Schwester nahm einen Hilfsarbeiterjob in einer Fabrik an. Ich arbeitete neben der Schule als Babysitterin, mußte aber bei der Familie wohnen. Dann ging ich aufs College in Georgia. Es dauerte lange, bis wir Fuß gefaßt hatten. Von dem Zeitpunkt an, wo wir Österreich verlassen hatten, lebten wir als Familie nie mehr richtig zusammen. Mit der Zeit paßten wir uns in dem neuen Land an. Gleichzeitig blieben wir aber Outsider, und zwar für immer. Schließlich war das, was wir durchlebt und gesehen hatten, so viel anders als das Leben unserer Nachbarn. Man könnte sagen, wir sind „assimilierte Outsider“. Wie einmal eine Dame zu mir sagte: „Äußerlich hab ich mich sofort assimiliert, innerlich nie.“ Es ist nicht nur der Unterschied der anderen Sprache oder von kulturellen Gewohnheiten. Das kann man überwinden. Es ist die quälende Erinnerung an den Horror, an den Schrecken, die man nicht auslöschen kann. Als der Krieg aus war, kam die entsetzliche Wahrheit über die Ermordung von Verwandten, von Freunden heraus. Die emotionale Belastung war ungeheuer. Das sind Erinnerungen, die einen verfolgen. Sie können und dürfen nicht vergessen werden. Sie binden uns an die, die ermordet wurden. Und egal, wie integriert man ist, werden sie zu unerwartetem Zeitpunkt und an unerwartetem Ort auf uns warten und nach uns rufen. Unser Leben ist für immer von ihnen geprägt. Und ihnen – und allem was war – widme ich daher auch die drei Bücher, die ich geschrieben habe: The Uprooted, Escape via Siberia und Lonek’s Journey. Sie alle handeln von Flüchtlingen des Zweiten Weltkriegs. Ich habe Ihnen zwei Versionen meines Lebens gegeben. Beide sind wahr.