Der junge Kaiser Franz Joseph Der junge Regent übernahm eine schwere Bürde, zeigte sich aber keineswegs untätig - eher wenig gut beraten. Seine Maßnahmen zur Neuordnung der Gerichtsbarkeit und zur Grundentlastung waren ebenso positiv wie die Gemeindeordnung und die Errichtung der Gendarmerie. Hingegen hatte seine zentralistische Märzverfassung von 1849 keine lange Lebensdauer. Franz Joseph I. strebte einen neoabsolutistischen Staat an. besaß allerdings mit dem Reichsrat, in dem sich die nationalen Interessen immer stärker artikulierten, einen ständigen Problemhcrd. Zudem spitzten sich die außenpolitischen Schwierigkeiten zu: Preußen strebte nach einer Vormachtstellung in Mitteleuropa, in Italien verstärkten sich (von Frankreich geschürt) die Einigungsbestrebungen immer mehr.und in Ungarn forderte man unmißverständlich eine Neuordnung. So ging in der Folge der Einfluß Österreichs in Italien verloren, während Preußen die Entscheidung auf dem Schlachtfeld suchte. Die österreichische Niederlage im sog. Deutschen Krieg (Schlacht von Königgrätz am 5. Juli 1866) veränderte die politische Gesamtsituation des Kaiserreichs Österreichs grundlegend. Der Sieg der Preußen nahm Österreich jeglichen Einfluß auf die von Berlin geförderte Neuordnung Deutschlands: sollte die Großmachtstellung Österreichs nicht gefährdet werden, so mußten wenigstens die Verhandlungen mit Ungarn zu einem -gemeinsamen Ende* kommen, was mit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 auch gelang. Gründerzeit und Ringstraßen-Ära Im Gegensatz zu der wenigerfreulichen Entwicklungauf dem politischen Sektor wurden die Jahre nach der gescheiterten Revolution von 1848 im wirtschaftlichen Bereich zu einer Phase des Aufschwungsundderlndustrialisierung,dieden Namen Gründerzeit erhielt. Die Einführungdes Freihandels sowie liberale Ansätze in der Verwaltung und Gesetzgebung förderten den Ausbau der Eisenbahnstrecken, wodurch nicht nur der Verkehr revolutioniert, sondern auch die Grundlage für die Entwicklung beinahe aller Wirtschaftszweige gelegt wurde. In zunehmendem Maße entstanden Industrie-, Banken- und Aktiengesellschaften, und eine große Anzahl von neuen Arbeitsplätzen sicherte dem zuvor oft hungernden Proletariat ein - wenn auch bescheidenes - Einkommen. »Es ist Mein Wille« hatte Franz Joseph seinen Entschluß vom 20. Dezember 1857 eingeleitet, die Basteien. Festungsmauern und Tore, die Wiens sog. Innere Stadt umgaben, gegen den massiven Einspruch der Militärs niederreißen zu lassen, um alle Hemmnisse einer notwendigen Stadterweiterung zu beseitigen. So entstand die Ringstraße. Mit ihr entwickelte sich ein Bau- und Lebensstil, den man nie ht als eigene Ku nst richtu ng a nsprechen kann, der aber der Auffassungder Gründerzeitentsprach: Künstlerisch gesehen wurde viel »nachempfunden« und in Repräsentation umgemünzt. Die neue Lebenshaltung war der Ausdruck einer Kombination von Rationalismus und Romantizismus - trotzdem, als Gesamtes gesehen, woirde die Ringstraße ein Kunstwerk, das die Welt bestaunte. Wieder einmal waren es das Theater und dieMusik. die triumphierend Einzug hielten - bei den Reichen und auch bei den weniger Begüterten: die Literatur »entdeckte« den Realismus, und es war ein Österreicher, Ferdinand von Saar, der 1874 die erste Arbeitcr-novelle der deutschen Literatur schrieb: »Die Steinklopfer«. Die militärischen Niederlagen Österreichs im Sardinisch-Französisch-Österreichischen Krieg (1859/60), bezahlt mit dem Verlust der Lombardei, Modenas und der Toskana, hatten Österreich nicht nur außenpolitisch isoliert, sondern auch innenpolitisch dem Absolutismus und Wiener Zentralismus den Todesstoß versetzt. Vor allem Ungarn forderte mehr Selbständigkeit innerhalb Österreichs. Mit verfassungsrechtlichen »Diplomen« versuchte der junge Kaiser Franz Joseph I., diesen Bestrebungen zu begegnen. Der kaiserliche Einheitsstaat sollte eine Art bundesstaatlichen Charakter erhalten. Die innenpolitische Lage beruhigte sich jedoch nicht, bei den einzelnen Nationen wuchsen Skepsis und Unzufriedenheit. Besonders die Ungarn pochten auf das historische Recht ihrer Nation auf Eigenstaatlichkeit. Die Notwendigkeit eines Ausgleichs mit Ungarn wurde durch die unerwartete Niederlage Österreichs im Deutschen Krieg gegen Preußen (1866) noch verstärkt. Der Ausgleich - die Doppelmonarchie Durch den »Ausgleich mit Ungarn«.deram 15. März 1867 in Kraft trat, wurde der Einheitsstaat des Kaiserreichs Österreich in eine Doppelmonarchie umgewandelt, die nur durch die Person des österreichischen Kaisers, der auch apostolischer König von Ungarn war, verbunden blieb. Außerdem wurden die Außenpolitik, das Finanzwesen und die Verteidigung weiterhin gemeinsam geregelt. Jede Reichshälfte war ein selbständiges, gleichberechtigtes Staatsgebilde. Cisleithanien. das waren die Länder diesseits der Lei -tha, die im »Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder« -Transleithanien, also jenseits der Leitha, das waren die Länder der »heiligen ungarischen Stephanskrone«. Nach Rußland war die österreichisch-ungarische Monarchie der zweitgrößte Staat in Europa und eine nicht zu unterschätzende Großmacht. Durch eine vielfältig gestaltete Industrie und den Reichtum an Bodenschätzen war die Doppelmonarchie ein fast ideales Wirtschaftsgebiet, das von günstigen Verkehrswegen durchzogen war und über Adriahäfen verfügte. Knapp 52 799 000 Menschen lebten 1914 auf 676615 Quadratkilometer.fast ein halbes Jahrhunden lang ohne kriegerische Auseinandersetzung, wenn auch nicht immer untereinander friedlich. Auch der Staatshaushalt war bis zum Ausbruch des Weltkrieges in Ordnung 1880 waren die Ausgaben des Staates um 10 Millionen Gulden höher als die Einnahmen - etwa 2,5%, doch zehn Jahre später betrug das Budgetplus bereits knapp 3,8%. Erst die enormen Ausgaben zur Finanzierung des Ersten Weltkrieges verschlangen alle Reserven und zwangen den Staat, die Bevölkerung mit gewaltigen Steuern zu belasten. Am Beginn der österreichisch-ungarischen Monarchie, die erstmals offiziell am 14. November 1868 so genannt wurde, steht auch das »Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder«. Es legte u. a. die rechtliche Gleichstellung aller Staatsbürger vor dem Gesetz, die Freizügigkeit, die Unverletzlichkeit des Eigentums, Presse- und Glaubensfreiheit fest. Dieses Staatsgrundgesetz war ein im wahrsten Sinne des Wortes grundlegendes Gesetz, das in die Bundesverfassungsgesetze der Ersten sowie der Zweiten Republik aufgenommen wurde. Das Narjonalitätenproblem Das große Problem der Monarchie war die Nationalitätenfrage, schon bei der Revolution von 1848 und den daraus resultierenden Unabhängigkeitsbestrebungen der einzelnen Völker war sie deutlich geworden. In der Doppelmonarchie wurde die Nationalitätenfrage zum Dauerproblem. Der durch den Ausgleich mit Ungarn entstandene Dualismus war für die anderen Nationen Anlaß, ebenfalls die Gleichberechtigung zu fordern. In der Doppelmonarchie lebten 47% Slawen, 24% Deutschsprachige und 20% Ungarn. Der immer wieder überlegte Trialismus - die Einbeziehung der slawischen Bevölkerung - wäre vielleicht eine zufriedenstellende Lösung gewesen, wurde aber nicht verwirklicht. Der Tschechenführer František Palacký sprach es 1867 deutlich aus:» Der Tag der Ausruf ung des Dualismus wird zugleich auchder Geburtstag des Panslawismus in seiner am wenigsten wünschenswerten Form sein. Wir waren vor Österreich und werden auch nach ihm sein.« In der Nationalitätenfrage waren aber die Ungarn zu keinem Kompromiß bereit, denn in den Ländern der ungarischen Krone dominierten sie mit 43 % und konnten sich zusätzlich auf den 12% igen Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung stützen. Die andere Reichshälfte hatte aber ganz andere Verhältnisse. So etwa betrug der deutschsprachige Anteil der Bevölkerung 36% gegenüber 23 % tschechischen und 16 % polnischen Einwohnern. Schon vor dem Ausgleich mit Ungarn hatte der Neoabsolutismus den Föderalismusgedanken verdrängt, nun aber war der Nationalitätengedanke zum leidenschaftlichen Anliegen, ja zum Kampf geworden. Innenpolitik und Parteienbildung Seit 1860 war die österreichische Innenpolitik durch einen permanenten Kampf um die Nationalitätenfrage und die Verfassung gekennzeichnet. 24 Regierungen wechselten sich vom Oktoberpatent (1860) bis zum Tod Kaiser Franz Josephs I. (1916) ab. Zu viele Interessen und Auffassungen standen einander gegenüber. Zusehends wurde der Staatsbürger mündig und begann sich für Die militärischen Niederlagen Österreichs im Sardinisch-Französisch-Österreichischen Krieg (1859/60). bezahlt mit dem Verlust der Lombardei. Modenas und der Toskana, hatten Österreich nicht nur außenpolitisch isoliert, sondern auch innenpolitisch dem Absolutismus und Wiener Zentralismus den Todesstoß versetzt. Vor allem Ungarn forderte mehr Selbständigkeit innerhalb Österreichs. Mit verfassungsrechtlichen »Diplomen« versuchte der junge Kaiser Franz Joseph [., diesen Bestrebungen zu begegnen. Der kaiserliche Einheitsstaat sollteeine Art bundesstaatlichen Charakter erhalten. Die innenpolitische Lage beruhigte sich jedoch nicht, bei den einzelnen Nationen wuchsen Skepsis und Unzufriedenheit. Besonders die Ungarn pochten auf das historische Recht ihrer Nation auf Eigenstaatlichkeit. Die Notwendigkeit eines Ausgleichs mit Ungarn wurde durch die unerwartete Niederlage Österreichs im Deutschen Krieg gegen Preußen (1866) noch verstärkt. Der Ausgleich - die Doppelmonarchie Durch den »Ausgleichmit Ungarn«,der am 15. März 1867 in Kraft trat, wurde der Einheitsstaat des Kaiserreichs Österreich in eine Doppelmonarchie umgewandelt, die nur durch die Person des österreichischen Kaisers, der auch apostolischer König von Ungarn war. verbunden blieb. Außerdem wurden die Außenpolitik, das Finanzwesen und die Verteidigung weiterhin gemeinsam geregelt. Jede Reichshälfte war ein selbständiges, gleichberechtigtes Staatsgebilde. Cisleithanien. das waren die Länder diesseits der Lei-tha, die im »Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder« -Transleithanien, also jenseits der Leitha, das waren die Länder der »heiligen ungarischen Stephanskrone«. Nach Rußland war die österreichisch-ungarische Monarchie der zweitgrößte Staat in Europa und eine nicht zu unterschätzende Großmacht. Durch eine vielfältig gestaltete Industrie und den Reichtum an Bodenschätzen war die Doppelmonarchie ein fast ideales Wirtschaftsgebiet, das von günstigen Verkehrswegen durchzogen war und über Adriahäf en verfügte. Knapp 52 799 000 Menschen lebten 1914 auf 676 615 Quadratkilometer, fast ein halbes Jahrhundert lang ohne kriegerische Auseinandersetzung, wenn auch nicht immer untereinander friedlich. Auch der Staatshaushalt war bis zum Ausbruch des Weltkrieges in Ordnung. 1880 waren die Ausgaben des Staates um 10 Millionen Gulden höher als die Einnahmen - etwa 2,5%, doch zehn Jahre später betrug das Budgetplus bereits knapp 3,8%. Erst die enormen Ausgaben zur Finanzierung des Ersten Weltkrieges verschlangen alle Reserven und zwangen den Staat, die Bevölkerung mit gewaltigen Steuern zu belasten. Am "Beginn der österreichisch-ungarischen Monarchie, die erstmals offiziell am 14. November 1868 so genannt wurde, steht auch das »Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder«. Es legte u. a, die rechtliche Gleichstellung alter Staatsbürger vor dem Gesetz, die Freizügigkeit, die Unverletzlichkeit des Eigentums, Presse- und Glaubensfreiheit fest. Dieses Staatsgrundgesetz war ein im wahrsten Sinne des Wortes grundlegendes Gesetz, das in die Bundesverfassungsgesetze der Ersten sowie der Zweiten Republik aufgenommen wurde. Das Nationalitätenproblem Das große Problem der Monarchie war die Nationalitätenfrage, schon bei der Revolution von 1848 und den daraus resultierenden Unabhängigkeitsbestrebungen der einzelnen Völker war sie deutlich geworden. In der Doppelmonarchie wurde die Nationalitätenfrage zum Dauerproblem. Der durch den Ausgleich mit Ungarn entstandene Dualismus war für die anderen Nationen Anlaß, ebenfalls die Gleichberechtigung zu fordern. In der Doppelmonarchie lebten 47% Slawen, 24% Deutschsprachige und 20% Ungarn. Der immer wieder überlegte Trialismus - die Einbeziehung der slawischen Bevölkerung - wäre vielleicht eine zufriedenstellende Lösung gewesen, wurde aber nicht verwirklicht. Der Tschechenführer František Palacký sprach es 1867 deutlich aus:» Der Tag der Ausrufungdes Dualismus wird zugleich auch der Geburtstag des Panslawismus in seiner am wenigsten wünschenswerten Form sein. Wir waren vor Österreich und a erden auch nach ihm sein.« In der Nationalitätenfrage waren aber die Ungarn zu keinem Kompromiß bereit, denn in den Ländern der ungarischen Krone dominierten siemit43% und konnten sich zusätzlich auf den 12% igen Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung stützen. Die andere Reichshälfte hatte aber ganz andere Verhältnisse. So etwa betrug der deutschsprachige Anteil der Bevölkerung 36% gegenüber 23 % tschechischen und 16 % polnischen Einwohnern. Schon vor dem Ausgleichmit Ungarn hatte der Neoabsolutismusden Föderalismusgedanken verdrängt, nun aber war der Nationalitätengedanke zum leidenschaftlichen Anliegen, ja zum Kampf geworden. Innenpolitik und Parteienbildung Seit 1860 war die österreichische Innenpolitik durch einen permanenten Kampf um die Nationalitätenfrage und die Verfassung gekennzeichnet. 24 Regierungen wechselten sich vom Oktoberpatent (1860) bis zum Tod Kaiser Franz Josephs I. (1916) ab. Zu viele Interessen und Auffassungen standen einander gegenüber. Zusehends wurde der Staatsbürger mündig und begann sich für