67769. Zweitsprachenerwerb als Lernaktivität I 69. Zweitsprachenerwerb als Lernaktivität I: Lernersprache Ϫ Lernprozesse Ϫ Lernprobleme 1. Einleitung 2. Aneignungsprozesse 3. Lernersprachen 4. Lerneraktivitäten 5. Merkmale von Lernersprachen 6. Fehler 7. Wörter 8. Formeln 9. Entwicklungssequenzen 10. Literatur in Auswahl 1. Einleitung Im Folgenden werden wir uns auf Lerneraktivitäten bei der nachzeitigen Aneignung einer fremden Sprache konzentrieren und den Sonderfall des gleichzeitigen Zweitspracherwerbs vernachlässigen. Unter Aneignung verstehen wir dabei sowohl den Erwerb als auch das Lernen einer fremden Sprache. Im Bedarfsfalle werden wir zwischen Lernen (bzw. explizitem Lernen) und Erwerben (bzw. implizitem Lernen) unterscheiden (vgl. Ellis 1994, 391). Unter explizitem Lernen verstehen wir dabei bewusstseinspflichtige Informationsverarbeitung, d. h. also Verarbeitung, die Aufmerksamkeit sowie bestimmte kognitive Voraussetzungen erfordert, über die i. d. R. Jugendliche und Erwachsene, in Ausnahmefällen auch ältere Kinder verfügen. Implizites Lernen unterscheidet sich von dieser Form der Aneignung dadurch, dass es beiläufig erfolgt, sozusagen am Rande anderer Aktivitäten, etwa beim Spielen. Folglich muss implizites Lernen (oder Erwerben) auch mit beiläufiger Aufmerksamkeit auskommen. Die letztere Form der Aneignung ist älteren Lernern zwar nicht verschlossen. Sie haben aber im Laufe ihrer Entwicklung und Ausbildung gelernt, sich auf eine Sache zu konzentrieren, so dass implizites Lernen dadurch behindert werden kann. Zweifellos ist implizites Lernen die ursprünglichere (d. h. ältere) Form der Informationsverarbeitung, die vor allem von jüngeren und formal nicht geschulten Lernern bevorzugt wird. Dass aber auch ältere Lerner auf diese Weise Informationen verarbeiten, dafür liefert uns die Werbung täglich eindrucksvolle Beispiele. Auch wissen wir, dass durch methodische Kunstgriffe (z. B. Sprachlernspiele) ältere Lerner bei der Aneignung einer fremden Sprache wieder zu einem verstärkten Gebrauch impliziten Lernens angeregt werden können. Wir gehen deshalb davon aus, dass sich beide Formen der Aneignung Ϫ je nach Lernkontext und Lernervoraussetzungen Ϫ ergänzen, d. h. also komplementäre Funktionen übernehmen. 2. Aneignungsprozesse Betreuungspersonen und Lehrkräfte können Lerner anregen und motivieren, sie können sie ermutigen und ihnen Hilfen anbieten (z. B. durch die Anpassung ihrer Ausdrucksweise an den Sprachstand eines Lerners, durch Fragestellungen, Hinweise oder Rückmeldungen). Ausdrucksmöglichkeiten muss aber jeder Lerner selbst erschließen und erproben. Kurz: Die für die Aneignung der fremden Sprache erforderlichen Auswahlund Lernprozesse müssen von jedem Lerner selbst gesteuert werden. Im Allgemeinen wird unterschieden zwischen den Sprachdaten, mit denen ein Lerner konfrontiert wird, dem sog. input und dem, was davon aufgegriffen und verarbeitet werden kann, dem intake. Diskutiert werden gegenwärtig weitere denkbare Zwischenstufen. So hat Gass (1988) z. B. vorgeschlagen, dass vor einer Verarbeitung (intake) Sprachdaten bemerkt (bzw. wahrgenommen) und verstanden werden müssten. Ihrer Auffassung nach genügt es nicht, wenn Sprachdaten nur bemerkt werden. Da aber auch Verstehen eine Sache des Grades ist, müsste der Vorschlag von Gass weiter differenziert werden. Denn Anfänger verstehen Äußerungen häufig nur bruchstückhaft (sog. Verstehensinseln) oder nur in einem oberflächlichen Sinne, so dass weiter unterschieden werden müsste zwischen unvollständigem Verstehen (bzw. Teilverstehen), oberflächlichem (d. h. Verstehen der Grundbedeutung) und tieferem (bzw. angemessenem) Verstehen. Konkret bedeutet dies z. B., dass Äußerungen, die von einem Anfänger nur fragmentarisch oder oberflächlich verstanden werden, mit Hilfe von zusätzlichen Kenntnissen (Weltwissen und Wissen über die Erstsprache oder auch über weitere Sprachen) sowie Schlussfolgerungen ergänzt und angereichert werden müssen. Die für die Bedeutungsanreicherung erforderlichen Such- und Bearbeitungsprozesse sind zeitaufwendig, weshalb Anfänger zum Verstehen bzw. Er- 678 IX. Lernen als didaktisch-methodischer Gegenstand II schließen von Äußerungen erheblich mehr Zeit benötigen als Fortgeschrittene. Erst viel später, wenn nicht mehr nur fragmentarisch verstanden wird und zudem für die Bearbeitung Routinen ausgebildet wurden, kann schneller und angemessener reagiert werden. Bei der Analyse der zu lernenden Sprache orientieren sich Lernende anfangs an ihrer Erstsprache (bzw. an den bereits erlernten Sprachen) sowie an ihrem Weltwissen und versuchen darauf aufbauend ein System zu entwickeln, das auch als Lernersprache (Interlanguage [Selinker 1972], Interimsprache [Raabe 1974], Übergangssystem [Corder 1967]) bezeichnet wird. Dieses System entsteht jedoch nicht nur durch Orientierung an der Erstsprache und durch Nachahmung von Gehörtem, sondern auch durch eigenständige Manipulationen des verarbeiteten Sprachmaterials. Dabei werden z. T. völlig neue Formen kreiert, und es werden Formen entdeckt, die zwar im Zielsprachsystem als Möglichkeiten existieren, von der Sprachgemeinschaft jedoch nicht gebraucht (d. h. konventionalisiert) wurden, z. B. *uunhäufig. Man spricht deshalb auch von kreativer (Re-)Konstruktion des Zielsprachsystems. Wodurch unterscheidet sich nun eine Lernersprache von konventionalisierten Sprachen einer Sprach- gemeinschaft? 3. Lernersprachen Es besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass Lernersprachen Ϫ eigenständige, dynamische Systeme sind, die Ϫ zielgerichtet entwickelt werden, wenn Lerner mit ausreichend Sprachdaten versorgt werden Ϫ auf einzelnen Entwicklungsstufen eine große Variationsbreite aufweisen und Ϫ leicht störbar sind, d. h. Tendenzen zur Verfestigung (Fossilierung) oder gar zur Zurückbildung (back sliding) aufweisen. Eine Lernersprache ist also ein individuelles sprachliches System, das jeder Lerner entwickelt und das (im Idealfalle) nach einiger Zeit die Komplexität des Zielsprachsystems aufweist. Doch in der Alltagswirklichkeit verliert es meist vorher seine Dynamik, weil viele Lerner ihre Bemühungen aufgeben, wenn sie sich einmal in einer fremden Sprache verständigen können. Dieser Zeitpunkt wird etwa nach drei, zuweilen auch erst nach fünf Lernjahren erreicht. Es kommt dann häufig zur Ausbildung eines Lernplateaus, das einen Endpunkt in der Entwicklung markieren kann. Manche Lerner überwinden diesen Punkt jedoch und erreichen später in ihrer Fremdsprache eine nahezu muttersprachähnliche Kompetenz. Andere begnügen sich mit dem einmal erreichten Sprachstand, wenn sie damit ihre Bedürfnisse befriedigen können. Zusammenfassend kann man sagen, dass am Anfang ein Lerner über keine Ausdrucksfähigkeiten in der fremden Sprache verfügt, im Laufe der Aneignung seine Verstehens- und Ausdrucksmöglichkeiten jedoch beständig erweitert, bis er sich schließlich Ϫ für seine Zwecke ausreichend Ϫ verständigen kann. Die Entwicklung der dabei herausgebildeten Lernersprache verläuft jedoch nicht linear von einem Ausgangs- zu einem Zielpunkt. Vielmehr können wir ein wellenförmiges Aufschaukeln beobachten, bei dem zeitweise ein (oder einige wenige) Phänomene vom Lerner fokussiert und andere vernachlässigt werden. Während die Entwicklung in dem fokussierten Bereich vorangetrieben wird, kann sie in den anderen stagnieren. Ja es kann sogar zur Rückbildung von Fertigkeiten kommen. Gibt es jedoch genügend Anreize zum Weiterlernen, so werden Stagnation oder Rückbildung schon bald überwunden. Welche Aktivitäten müssen vom Lerner zum Aufbau eines Lernersprachsystems entfaltet werden? 4. Lerneraktivitäten Wer eine fremde Sprache zu lernen beginnt, wird sich plötzlich wieder in seine frühe Kindheit zurückversetzt fühlen. Wie ein kleines Kind nach Hilfen sucht, wenn es sich aufrichtet und zu gehen beginnt, so wird der Lerner einer fremden Sprache nach Orientierungshilfen und Kompensationsmöglichkeiten suchen, um den angstbesetzten Zustand einer Sprach- und Hilflosigkeit möglichst rasch zu überwinden. Gegenüber dem kleinen Kind hat er allerdings Vorteile, weil er bereits weiß, wie Sprache funktioniert, dass sie lernbar ist und dass man sich notfalls auch mit Händen und Füßen verständigen kann. Da letzteres bekanntlich aufwendig und missverständlich ist, werden Lerner, die sich in einem Lande aufhalten, in dem die Zielsprache gesprochen wird, i. d. R. große Anstrengungen unternehmen, um in möglichst kurzer Zeit Grundfertigkeiten in der fremden Sprache zu entwickeln. Fremdsprachenlerner sind nicht 67969. Zweitsprachenerwerb als Lernaktivität I dem gleichen psychosozialen Druck ausgesetzt. Ihre Aneignungsprozesse beanspruchen daher gewöhnlich mehr Zeit. Lerner müssen zur Aneignung einer fremden Sprache im Wesentlichen vier Aufgaben bewältigen (vgl. Klein 1984, 70ff.): Sie müssen fremde Äußerungen analysieren (Analyseproblem), sie wieder zusammensetzen und selbst Äußerungen bilden (Syntheseproblem), herausfinden, welche Äußerungen sich wo einpassen lassen (Einbettungsproblem) und schließlich ihre Äußerungen mit gehörten zielsprachlichen Äußerungen vergleichen (Vergleichsproblem). Am Anfang steht das Analyseproblem. Äußerungen werden zunächst nur als Begleitgeräusche zu Handlungen und Gesten wahrgenommen. Erst wenn bestimmte Situationen mehrmals durchlebt wurden und dabei wiederkehrende Handlungen beobachtet werden konnten, wird es möglich, aus dem Geräuschebrei bestimmte Höreindrücke herauszufiltern und sie zu Gestalten (d. h. Elementen mit Rhythmus, Melodie, Akzent und Begrenzungen) zu verdichten. Das genaue Erfassen der Höreindrücke (Hör-Gestalten) kann durch Vorinformationen (in der Ausgangssprache), durch Vorstrukturierungen des Sprachmaterials und durch Verlangsamungen bei der Artikulation beschleunigt werden. Ob dadurch auch eine Automatisierung der Verarbeitungsprozesse vorbereitet und begünstigt werden kann, ist unklar. Nachdem „Gestalten“ erfasst wurden, können auch Vermutungen über mögliche Bedeutungen angestellt und so Geräusche in Informationen verwandelt werden. M. a. W.: Eine Folge von Schallwellen muss mit einem Komplex von Parallelinformationen verknüpft und sinnvoll interpretiert werden. Wann Äußerungen in einzelne Komponenten zerlegt werden, hängt vom Lernertyp ab. Es gibt Lerner, die Wörter sammeln, andere sammeln Fertigbauteile (Wendungen) und wieder andere konzentrieren sich vor allem auf grammatische Phänomene (d. h. auf die morphologische und syntaktische Ebene) oder auf Interaktionen. Dementsprechend werden sich auch die jeweiligen Lernersprachen im einen Bereich rascher, in anderen dagegen langsamer entwickeln. Wenn Äußerungen erfasst und analysiert wurden, muss das zweite Problem bewältigt werden: Äußerungen bzw. Bestandteile von Äußerungen müssen kombiniert und zu sinnvollen Sequenzen zusammengesetzt werden (Syntheseproblem). Dabei können Wendungen eine besondere Funktion übernehmen. Denn mit ihrer Hilfe lassen sich sprachliche Zusammenhänge und neue Ausdrucksmöglichkeiten systematisch erschließen, wie folgendes Beispiel zeigt. (1) ich will Ball Zunächst wird diese Formel nur aufgegriffen, d. h. als Ganzheit gespeichert und gebraucht. Doch schon bald können wir beobachten, wie sie manipuliert wird. An Stelle von Ball werden dann andere Nomen, später auch Adverbien oder Pronomen eingesetzt. (2) ich will Auto (3) ich will Löwe (4) ich will da [gemeint: das da] So lassen sich z. B. Wortklassen oder Kollokationen ermitteln. Das Beispiel zeigt, dass zur Bildung von Äußerungen nicht nur Elemente zusammengesetzt werden, sondern bereits an dieser Stelle auch Vergleichs- und Einbettungsprobleme gelöst werden müssen. Aus Gründen der Darstellung soll aber so verfahren werden, als ob sich diese Aufgaben eine nach der anderen abarbeiten lassen wür- den. Die dritte Aufgabe besteht darin, selbstgebildete Äußerungsformen in Kontexte einzupassen (Einbettungsproblem). Dazu muss sich ein Sprecher an einem Thema, an vorausgehenden Äußerungen eines Gesprächspartners sowie am jeweiligen Situationstyp orientieren. Je geringer dabei die sprachlichen Fertigkeiten eines Lerners sind, desto stärker wird er auf Parallelinformationen und sein Weltwissen angewiesen sein, je differenzierter seine Fertigkeiten werden, desto weniger Zusatzinformationen wird er benötigen. Bevor jedoch ein sehr hoher Sprachstand erreicht wird, können sich bei Einbettungsversuchen viele Missverständnisse einschleichen, sei es, weil kulturspezifische Interaktionsmuster vom Lerner noch nicht richtig erfasst wurden (wenn z. B. beim Ansprechen die Einleitungsfloskel Entschuldigung oder entschuldigen Sie bitte vergessen wird), sei es, weil durch Lerneräußerungen ungewollt Irritationen beim Gesprächspartner ausgelöst werden (vgl. z. B. den Gebrauch von du statt sie bei der Anrede). Ähnliches gilt für die Verwendung von kulturspezifischen Lexemen (man denke etwa an gemütlich), insbesondere für Konnotationen oder übertragene Bedeutungen. Erst nach längeren und differenzierten Interaktionserfahrungen wird ein ange- 680 IX. Lernen als didaktisch-methodischer Gegenstand II messenes Erfassen solcher Zusammenhänge möglich. Schließlich muss noch das Vergleichsproblem gelöst werden. Da jeder Lerner Ϫ wie oben ausgeführt Ϫ seine Aneignungsprozesse selbst steuert, muss er auch beständig eigene Äußerungen mit Gehörtem vergleichen. Dieses Scannen, das entweder ein sorgfältiges Überprüfen oder (häufiger) ein oberflächliches Überfliegen ist, in dessen Verlauf Äußerungen mit internalisierten Mustern verglichen oder diese Muster erweitert oder modifiziert und an gehörte Äußerungsformen angepasst werden, dürfte zum Schwierigsten gehören, was Lerner bei der Aneignung bewältigen müssen, weil gesprochene Sprache komplex und flüchtig ist. Hinzu kommt, dass die „geistigen Instrumente“ zur Bearbeitung modifiziert, z. T. sogar neu konzipiert werden müssen. Zwar beginnen Lerner ihre Aufgaben (d. h. Analyse, Synthese, Einbettung und Vergleich) mit vertrauten Instrumenten (Begriffen, Bedeutungen, Gefühlen etc.). Sie müssen diese aber im Verlaufe der Aneignung verändern, was etwa dem Bau eines Floßes aus einem Schiff während einer Überfahrt auf hoher See entspricht. M. a. W.: Es müssen nicht nur Höreindrücken Bedeutungen zugeordnet werden, es müssen auch neue (oder zumindest modifizierte) Bedeutungen, Begriffe, Konnotationen, Kollokationen sowie Gesprächs- und Interaktionsmuster erarbeitet werden. Darum reicht es letztlich nicht aus, wenn Situationen und Äußerungen aufeinander bezogen und Schallwellen in kleinere Einheiten zerlegt und mit Parallelinformationen verknüpft werden. Vielmehr muss auch gelernt werden, dass zur fremden Sprache andere Lebensformen, Erwartungen, Präferenzen, Stereotype, kurz: andere Interpretationsrahmen gehören. Selbst vertraute Auslöser für Emotionen müssen zuweilen modifiziert werden, damit die Aneignung der fremden Sprache nicht emotionsbedingt erschwert oder gar blockiert wird. So haben bsw. deutsche Studierende oft große Schwierigkeiten, wenn sie beim Türkischlernen die typischen Routineformeln gebrauchen sollen, weil ihnen diese „unehrlich“ erscheinen. Umgekehrt lässt sich unschwer vorstellen, mit welchen Unsicherheiten Lerner aus Kulturen zu kämpfen haben, in denen ausführlichere und blumigere Begrüßungsformeln gebräuchlich sind und die nun im Deutschen mit knappen Formen in unvertrauten Interaktionszusammenhängen improvisieren müssen. Jeder weiß, dass Gefühle das Verarbeiten und Speichern von Informationen sowohl erleichtern als auch erschweren können. Im positiven Falle können Emotionen Such- und Reaktionsprozesse durch vielfältige Vor- und Rückblenden beschleunigen, weshalb ihnen, insbesondere bei Vergleichs-Prozessen, eine besondere Bedeutung zukommen dürfte. Nicht umsonst spricht der Volksmund vom Sprachgefühl, das man für eine fremde Sprache entwicklen müsse. Leider wissen wir gegenwärtig noch viel zu wenig über die lenkende Funktion von Emotionen (vgl. Battacchi u. a. 1996, 45) oder das Ineinandergreifen von Kognition und Emotion bei der Aneignung fremder Sprachen. Analyse, Synthese, Einbettung und Vergleiche werden manchmal besser und manchmal schlechter gelingen, je nach dem, ob die Zielsprache mit der Ausgangssprache (bzw. Erstsprache) verwandt ist oder nicht, ob ein Lerner über eine Sprachlernbegabung verfügt oder bereits auf Sprachlernerfahrungen mit mehreren Sprachen zurückgreifen kann. Allgemein gilt: Das sprachliche System, das ein Lerner während der Aneignung entwickelt, wird anfangs in Anlehnung an die Erstsprache konzipiert, ehe mit zunehmender Differenzierung auch Begriffe, Kollokationen und Konnotationen, Gesprächs- und Interaktionsmuster so verändert werden, dass sich die Lernersprache immer deutlicher von der Erstsprache unterscheidet. Da sie sich über lange Zeit (in den meisten Fällen sogar immer) auch von der Zielsprache unterscheidet, kann man sagen, dass sich das Lernersprachsystem sowohl von der Erst- als auch von der Zweitsprache unterscheidet. M. a. W.: Lernersprachen entstehen durch die Konfrontation von (mindestens) zwei Sprachsystemen, einer Ausgangs- und einer Zielsprache. Sie sind jedoch von den beteiligten Sprachen relativ unabhängig. Vor allem sind sie rascheren Veränderungen unterworfen als konventionalisierte Sprachen. Man spricht deshalb auch von Übergangsstadien, die sich je nach Häufigkeit und Intensität des Sprachkontakts auf der Grundlage älterer Sprachstandsstadien entwickeln. Um eine Lernersprache erfassen, beschreiben und sie in ihrer Dynamik verstehen zu können, müssten also Ϫ genau genommen Ϫ drei Sprachsysteme in ihrem wechselseitigen Zusammenspiel erfasst und beschrieben werden: Ausgangs- und Zielsprache sowie das sich beständig verändernde Lernersprachsystem. 68169. Zweitsprachenerwerb als Lernaktivität I 5. Merkmale von Lernersprachen Lernersprachen sind fragile Gebilde, die zunächst aus einfachen Elementen und Strukturen (einer Art Basissystem, vgl. Perdue/Klein 1992) bestehen. Im Laufe der Zeit entwickeln sich daraus Ϫ durch fortlaufende Differenzierungen und Restrukturierungen Ϫ komplexe Systeme, die eine größere Nähe zur Zielsprache aufweisen. Anfangs wirken Lerneräußerungen oft wie extreme Vereinfachungen oder Verkürzungen (Telegrammstil). Ein Beobachter kann dabei den Eindruck gewinnen, dass Funktionsworte oder Endungen ausgelassen werden. In Wirklichkeit sind Anfänger jedoch mit der Verarbeitung komplexer Sprachdaten überfordert. Sie konzentrieren sich deshalb auf Kernbestandteile (z. B. betonte Inhaltswörter). Erst später berücksichtigen sie auch Endungen und Funktionswörter und noch später Vorsilben und diskontinuierliche Elemente (z. B. getrennt gebrauchte Vorsilben bei Verben). Die Annäherungsversuche an zielsprachliche Äußerungsformen werden auch als inkorrekte Äußerungen oder Fehler bezeichnet. 6. Fehler Betrachtet man Fehler (vgl. Art. 101) von oben, d. h. von der angestrebten zielsprachlichen Norm aus, so handelt es sich immer um sprachliche Mängel, z. B. Verkürzungen oder Abweichungen. Betrachtet man sie hingegen von unten, d. h. vom System der Lernersprache aus, so wird deutlich, dass die meisten Fehler dadurch entstehen, dass Lerner versuchen, Gehörtes nachzubilden oder neue Ausdrucksmöglichkeiten zu erschließen oder zu erproben. Für Lehrkräfte ist dabei oft ärgerlich, dass Fehler oder Vereinfachungen auch in Bereichen auftreten können, die bereits relativ sicher beherrscht wurden. Doch solche Fehler sind meist ein Zeichen dafür, dass gleichzeitig in anderen Bereichen neue Konstruktionen erprobt und dadurch Verarbeitungskapazität absorbiert wird. Man unterscheidet darum auch zwischen kommunikativ bedingten Vereinfachungen (Vereinfachungen, die aus Gründen der Verständigung vorgenommen werden) und elaborativen Vereinfachungen. Letztere sind immer mit Entwicklungen (d. h. Elaborationen) in anderen Bereichen der Lernersprache verbunden. Man geht heute davon aus, dass Fehler notwendige Zwischenschritte auf dem Weg zu einer zielsprachlichen Norm sind. Wer Fehler macht, zeigt, dass er mit seinem Sprachsystem arbeitet und experimentiert. Wer sich hingegen in extremer Weise um Fehlervermeidung bemüht, hindert sich selbst am Weiterlernen. Lehrkräfte sollten deshalb darauf achten, dass möglichst nur in formbezogenen Phasen korrigiert wird. Sie sollten Lerner zu Selbstkorrekturen anregen und darauf achten, zu welchem Typ ein Lerner gehört, über welches Selbstvertrauen er verfügt und über welche Motivation, weil in Abhängigkeit davon Fremdkorrekturen leichter oder schwerer verkraftet werden. Fehler lassen sich grob in fünf Kategorien einteilen: Ϫ Interferenzfehler (vgl. auch Art. 66), d. h. sprachliche Abweichungen, die durch Transfer von der Ausgangs- in die Zielsprache entstehen, z. B. Er ging mit dem Zug. in Analogie zum türkischen trenle gitti Ϫ Vereinfachungen z. B. im Bereich der Wortbildung: Man darf nicht gegen die Sitte *stoßen. (statt verstoßen) Ϫ Übergeneralisierungen: Er *singte. (statt sang) Ϫ entwicklungsbedingte (intralinguale) Fehler: Der Junge hat geschmeißt runter. (statt runtergeschmissen) Neben solchen Fehlern treten (insbesondere im Unterricht) auch induzierte Fehler auf, d. h. Fehler, zu deren Produktion durch Lehrmaterial, Übungsformen oder Äußerungen der Kontaktperson (bzw. Lehrkraft) angeregt wird. Solche Abweichungen (auch transfer of training) sind kein Zeichen für Entwicklung, sondern eher eines für Anpassung. Leider gibt es viele Fehler, die sich solchen klaren Zuordnungsversuchen entziehen. Nehmen wir bsw. die Schreibweise *shön. Sie könnte als Interferenzfehler klassifiziert werden, wenn Englisch die Erstsprache des Lerners wäre. Was aber, wenn ein Lerner nie Kontakt mit Englisch gehabt hat? Bsw. wird diese Schreibweise auch von türkischen Schülern produziert, in deren Erstsprache die Graphemkombination nicht existiert. Folglich kann es sich bei ihrer Schreibweise um keinen Interferenzfehler, sondern nur um einen entwicklungsbedingten (bzw. intralingualen) Fehler handeln. Ein solcher kann natürlich auch bei einem Lerner mit Englisch als Erstsprache nicht ausgeschlossen werden. Normalerweise beziehen wir Fehler auf bestimmte Entwicklungsstufen, d. h. wir gehen davon aus, dass es sich um Abweichungen handelt, die typisch für eine Lernersprache bzw. einen Sprachstand sind (sog. Kompe- 682 IX. Lernen als didaktisch-methodischer Gegenstand II tenzfehler). Fehler könnten aber auch bedingt sein durch bestimmte sprachliche oder situative Kontexte. Sie könnten auch auf Grund von persönlichen Eigenheiten produziert worden sein oder durch Unachtsamkeit, Müdigkeit oder Stress. In letzterem Falle würde es sich um Performanzfehler handeln. Um das feststellen zu können, müssten mehrere Lerneräußerungen verglichen werden oder ein Lerner nachträglich befragt werden. Beides dürfte aus organisatorischen Gründen nicht immer möglich sein. Schließlich gibt es noch die sog. verdeckten Fehler, d. h. Äußerungen, die auf den ersten Blick korrekt erscheinen wie (1) (1) Habakuk springt auf den Tisch. Erst wenn wir mehrere Äußerungen eines Lerners vergleichen, können wir feststellen, daß er den als eine Art Einheitsform gebraucht, was z. B. an Äußerungen wie (2) erkennbar wird. (2) *Habakuk sitzt auf den Tisch. (2) könnte allerdings auch durch Lehreräußerung wie (3) Habakuk, sitz auf den Tisch! induziert worden sein. Die Präpositionalphrase auf den Tisch könnte zudem ein „Baustein“ der Lernersprache sein. Aus all dem folgt: 1. Fehler sollten eher als Anzeichen für Entwicklung angesehen werden denn als Zeichen für einen Mangel. 2. Fehler sollten nicht isoliert betrachtet wer- den. 3. Auch eine systematische Fehleranalyse kann nur begrenzten Aufschluss über einen erreichten sprachlichen Entwicklungsstand (eine Lernersprache) geben. Bei der Beurteilung sollten darum immer auch bereits erreichte Ausdrucksmöglichkeiten eines Lerners berücksichtigt werden. 7. Wörter Neben Fehlern fällt an Lernersprachen oft ein stereotyper Gebrauch von Lexemen auf. Daneben werden während einer längeren Phase vor allem Allerweltswörter verwendet, d. h. Wörter, die im Hinblick auf Gebrauchskontexte oder Stilebenen keine Spezifizierungen aufweisen und die darum fast unbegrenzt einsetzbar sind. Man nennt sie auch unmarkierte Wörter. Dazu gehören etwa Ding, machen oder springen. Solange ein Lerner über keinen großen Wortschatz verfügt, wird er Ϫ zur Überbrückung von Wortschatzlücken Ϫ auch Umschreibungen verwenden, z. B. macht so für stehen oder schnell gehen für laufen. Manche dieser Paraphrasen werden automatisiert und halten sich auch noch nach Überwindung dieser Phase. Unter ungünstigen Bedingungen (z. B. Kommunikationszwang oder zu wenig Sprachkontakt) können sich solche Formen auch verfestigen (fossilieren). Je weiter die Lernersprache entwickelt wird, desto mehr markierte Wörter wie Rute (statt Ding) oder drüberspringen (statt springen) werden in die Lernersprache übernommen. Doch der Gebrauch solcher Wörter kann täuschen, weil sie oft über längere Zeit nur in einem eingeschränkten Sinne verwendet werden. Es kann z. B. nur eine (Grund-)Bedeutung eines Lexems bekannt sein. Es können Kenntnisse der übertragenen Bedeutung des Lexems oder der damit verbundenen Konnotationen fehlen. Häufig arbeiten Lerner auch mit „Näherungswerten“ (d. h. ähnlichen, aber ungenauen Bedeutungen). Dann wird gemütlich z. B. im Sinne von bequem oder angenehm verstanden und gebraucht. Es genügt also nicht, wenn man zur Beurteilung einer Lernersprache die Anzahl gebrauchter Wörter ermittelt oder das Verhältnis von Worttyp (type) zur Häufigkeit des Vorkommens (token) in einem Text. Man muss auch wissen, welche Arten von Wörtern wie gebraucht werden (vgl. dazu auch Gass 1987; Nation/Carter 1989). 8. Formeln Neben Paraphrasen gibt es auch Äußerungen, die auf Grund von Sprechgeschwindigkeit und Intonation als Ganzheiten erkennbar sind. Nehmen wir z. B. (1) mach mal das Grundschüler verwenden diesen Ausdruck auch zur Realisierung globaler Anweisungen, da er sich durch nonverbale Mittel unschwer präzisieren lässt. Formeln werden von den Lernern zunächst wie Ganzheiten (d. h. Einzellexeme) behandelt. Doch bald schon werden sie auch verändert, z. B. verlängert. Aus (1) werden dann Varianten wie: (2) mach mal das so [gemeint > so wie ich] (3) mach mal das zwei [> entzwei] (4) mach mal das da [> stell das dort hin] Während sich Kinder mit solchen sprachlichen Versatzstücken behelfen, um Interaktionen zu eröffnen oder sie aufrecht zu erhalten, tendieren ältere Lerner auf Grund ihrer Le- 68369. Zweitsprachenerwerb als Lernaktivität I benserfahrungen und ihrer spezifischeren Kommunikationsbedürfnisse schon früh zur Aneignung von Routineformeln, sei es, um Kontakt aufzunehmen, sei es, um zu Wort zu kommen, das Wort zu behalten oder um Kontakte zu beenden (vgl. dazu z. B. Coulmas 1981; Zöfgen 1992). Natürlich lässt sich formelhafter Sprachgebrauch auch bei Fortgeschrittenen nachweisen, u. a. auch in schriftsprachlichen Produktionen. Neben Routineformeln finden wir bei Fortgeschrittenen Redewendungen und Sprichwörter. Gerade ihr Gebrauch kann den Eindruck vermitteln, dass bereits ein hoher Sprachstand erreicht wurde. Man sollte allerdings wissen, dass sich der Gebrauch von Redewendungen und Sprichwörtern von Sprache zu Sprache und von Kultur zu Kultur unterscheidet. So verwendet man im Englischen z. B. mehr Routineformeln als im Deutschen (vgl. House 1979) und im Türkischen und Arabischen mehr Sprichwörter. Es muss also damit gerechnet werden, dass englische Lerner des Deutschen Routineformeln häufiger gebrauchen als üblich und Lerner mit Türkisch oder Arabisch als Erstsprache zu einem vermehrten Einsatz von Sprichwörtern tendieren. Daher sollte nicht nur darauf geachtet werden, ob Wendungen oder Sprichwörter in der Lernersprache schon vorhanden sind, sondern auch, ob ihr Gebrauch mit den zielsprachlichen Konventionen und den üblichen Gebrauchshäufigkeiten übereinstimmt. 9. Entwicklungssequenzen So wie sich Fehlerschwerpunkte im Laufe der Entwicklung verlagern, der Wortbestand ausgebaut und der Gebrauch einzelner Wörter sich ändert, verändern sich auch Elemente und Strukturen im Bereich von Morphologie und Syntax. Die meisten Untersuchungen zu Lernersprachen wurden in den letzten beiden Bereichen durchgeführt, so dass heute relativ genaue Beschreibungen über einzelne Entwicklungsstufen vorliegen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Abfolgen, Erwerbssequenzen oder Erwerbsabfolgen. Da mit Erwerb aber eine bestimmte Form der Aneignung assoziiert wird, wollen wir hier von Abfolgen oder Entwicklungsstufen sprechen. Eine solche Abfolge soll exemplarisch am Beispiel der Negation erläutert werden. Wie sehen die einzelnen Entwicklungsschritte bei der Aneignung von Negationswörtern des Deutschen aus? In der Literatur wurden vier (bzw. fünf) Stufen herausgearbeitet, die sowohl in formellen als auch in informellen Lernkontexten beobachtbar sind (vgl. dazu Felix 1982; Weinert 1987; Eubank 1990; Sadownik/Vogel 1991). 1. Stufe: Holophrastische Negation mit nein, das sich auf eine vorausgehende Äußerung eines Gesprächspartners bezieht. Daher auch die Bezeichnung anaphorische Negation. 2. Stufe: satzexterne Negation. Das Negationselement wird vor der Äußerung plaziert, die negiert werden soll: Neg-X. Beispiel: nein helfen gemeint du sollst nicht helfen 3. Stufe: satzinterne Negation, d. h. X-NegV-(Y). Beispiel: ich nein schlafen 4. Stufe: postverbale Negation mit nein und nicht, d. h. X-V-Neg-Y. Beispiel: du kannst nicht das 5. Stufe: Korrekte Form. Beispiel: du kannst das nicht. Für Lehrkräfte dürfte das Wissen um solche Abfolgen nützlich sein, können sie doch durch die Beachtung der jeweiligen Entwicklungsstufe eine Unter- oder Überforderung ihrer Lerner vermeiden. Ob man aus den Ergebnissen allerdings weitergehende Schlüsse ziehen kann, wie dies Felix tut, der von einer „rigide(n) Ordnung“ spricht, die „quer durch alle Sprachen, Erwerber und Erwerbstypen“ (Felix 1982, 21) geht, erscheint eher fraglich (vgl. kritisch dazu Klein 1984, 107ff.). Bezogen auf die Negation wissen wir z. B., dass es Sprachen wie das Polnische gibt, die keine postverbale Negation kennen und dass nichteuropäische Sprachen wie das Türkische im Bereich der Negation eine völlig andere Erwerbsabfolge aufweisen. Es wäre daher zu erwarten, daß Lerner mit Polnisch oder Türkisch als Ausgangssprache länger zum Durchlaufen der genannten Stufen brauchen als Lerner mit Englisch als Ausgangssprache. Vergleichende Untersuchungen dazu liegen bislang nicht vor. Gegenwärtig wissen wir auch nicht, ob es bei der Entwicklung Interdependenzen zwischen unterschiedlichen Phänomenen (z. B. Fragen und Negation) gibt. Die Kenntnis solcher Zusammenhänge wäre für die Beurteilung von Lernersprachen zweifellos von Nutzen. 10. Literatur in Auswahl Apeltauer, Ernst (1997): Grundlagen des Erst- und Fremdsprachenerwerbs. Kassel u. a. Battacchi, Marco W.; Thomas Suslow; Margarita Renna (1996): Emotion und Sprache. Zur Definition der Emotion und ihren Beziehungen zu kognitiven Prozessen, dem Gedächtnis und der Sprache. Frankfurt/M. u. a. 684 IX. Lernen als didaktisch-methodischer Gegenstand II Corder, Pit S. (1967): The significance of learners’ errors. In: IRAL 5/4, 161Ϫ170. Coulmas, Florian (1981): Conversational routines: Explorations in standardized communication situations and prepatterned speech. The Hague. Ellis, Rod (1994): The study of second language acquisition. Oxford. Eubank, Lynn (1990): Linguistic Theory and the acquisition of German Negation. In: Bill VanPatten; James F. Lee (Hg.): Second language acquisition Ϫ foreign language learning. Clevedon u. a., 73Ϫ95. Felix, Sascha W. (1982): Psycholinguistische Aspekte des Zweitsprachenerwerbs. Tübingen. Gass, Susan M. (Hg.) (1987): The use and acquisition of the second language lexicon. In: SSLA 9/2. Ϫ (1988): Integration research areas: a framework for second language studies. In: Applied Linguistics 9, 198Ϫ217. House, Juliane (1979): Interaktionsnormen in deutschen und englischen Alltagsdialogen. In: Ling. Ber. 59, 76Ϫ90. Klein, Wolfgang (1984): Zweitspracherwerb, Eine Einführung. Königstein/Ts. 70. Zweitsprachenerwerb als Lernaktivität II: Lernstrategien Ϫ Kommunikationsstrategien Ϫ Lerntechniken 1. Einleitung 2. Kategorisierungen 3. Konzepte und Definitionen 4. Strategien und Techniken und ihre Effektivität 5. Das Unterrichten von Strategien und Techniken 6. Literatur in Auswahl 1. Einleitung Über das Thema Lernstragien und Lerntechniken ist im letzten Jahrzehnt sehr viel publiziert worden. Trotzdem zeigen die Ergebnisse viele Merkmale eines Wissenschaftsbereichs in den Kinderschuhen. So herrscht Unklarheit und Uneinheitlichkeit in den Konzepten und Definitionen (vgl. 3.), und eine (gemeinsame) theoretische Basis fehlt. Dies zeigt sich auch in den verwendeten Forschungsmethoden und entsprechenden Typen von Ergebnissen. In der Mehrheit geht es um ,Black-Box‘Forschung. In der Regel wird durch crossNation, Paul; Ron Carter (Hg.) (1989): Vocabulary acquisition. AILA REVIEW-REVUE DE L’AILA 6. Perdue, Clive; Wolfgang Klein (1992): Why does the production of some learners not grammaticalize? In: SSLA 14/3, 259Ϫ272. Raabe, Horst (1974): Interimsprache und kontrastive Analyse. In: Ders. (Hg.): Trends in kontrastiver Linguistik. Bd. I, Tübingen, 1Ϫ50. Sadownik, Barbara; Thomas Vogel (1991): Natürliche Erwerbsprozesse im Fremdsprachenunterricht: Der Erwerb der deutschen Negation durch polnische Schüler. In: Info DaF 2/18, 159Ϫ169. Selinker, Larry (1972): Interlanguage. In: IRAL 10, 209Ϫ231. Ϫ (1992): Rediscovering Interlanguage. London u. a. Vogel, Klaus (1990): Lernersprache, linguistische und psycholinguistische Grundfragen zu ihrer Erforschung. Tübingen. Zöfgen, Ekkehard (Hg.) (1992): Idiomatik und Phraseologie. Fremdsprache Lehren und Lernen 21. Ernst Apeltauer, Flensburg (Deutschland) sektionelle Designs z. B. festgestellt, was gute Lerner gemeinsam haben und worin gute Lerner sich von schwachen unterscheiden. Ob das für gute Lerner kennzeichnende Verhalten auch tatsächlich für die besseren Lernergebnisse verantwortlich ist, bleibt ungeklärt, ebenso wie die Frage, in welcher Weise dieses Verhalten dazu beiträgt, was dabei der ,wirksame Bestandteil‘ wäre und, wie sich das erklären ließe. Die Validität der Datenerhebungsmethoden kann oft in Frage gestellt werden. Um das Verhalten der Lerner wahrnehmbar zu machen, werden Verfahren angewandt, die so unterschiedlich sind (wie z. B. ,Fragebogen ausfüllen lassen‘ vs. ,observieren‘), dass die Ergebnisse eigentlich nicht miteinander verglichen werden dürfen. Dabei ist bei den meisten Methoden unklar, inwieweit das wahrgenommene Verhalten dem zugrundeliegenden Prozess entspricht. Hinzu kommt noch, dass viele der dazu angewandten Methoden, wie ,laut denken lassen‘, oder Interviews, durch