XI. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand II: Die Planung von Deutsch als Fremdsprache-Unterricht 82. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Fremdsprache 1. Einführung: Zum Stand der Lehrplanforschung 2. Zur Funktion von Lehrplänen 3. Kriterien der Lehrplangestaltung 4. Zur Begriffsbestimmung von: Lehrplan Ϫ Rahmenrichtlinien Ϫ Curriculum 5. Warum müssen Curricula immer wieder überarbeitet bzw. neu gestaltet werden? 6. Unterschiedliche Arten von Lehrplänen 7. Curriculumentwicklung als Prozess 8. Elemente von Curricula: Was gehört in ein Curriculum? 9. Curricula und Prüfungsbestimmungen 10. CurriculumϪLehrwerkϪUnterricht 11. Lehr- und Lernziele 12. Literatur in Auswahl 1. Einführung: Zum Stand der Lehrplanforschung In der Einführung zum Themenheft „Lehrplan und Prüfungsordnung“ der Zeitschrift Die Neueren Sprachen (1/1982, 2) wird angemerkt, dass der Bereich Lehrpläne/Richtlinien in der fremdsprachendidaktischen Literatur zu den am wenigsten behandelten Themen gehöre. Lehrplanforschung ist bis heute für die Fremdsprachendidaktik im allgemeinen und für das Fach Deutsch als Fremdsprache im besonderen ein Desiderat: in der Fachliteratur für Deutsch als Fremdsprache findet man Ϫ wenn man von den „Katwijker Empfehlungen zur Curriculumentwicklung“ (1993) absieht Ϫ kein nennenswertes Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem Thema „Lehrplan/Curriculum“. Wer sich in das Thema einarbeiten will, muss entweder englischsprachige Veröffentlichungen zu Rate ziehen (u. a. Clark/Hamilton 1984; Nunan 1988a und 1988b; van Ek 1976; White 1988; Wilkins 1976; Yalden 1983 und 1987) oder auf die spärlichen Aufsätze aus der Didaktik der neusprachlichen Unterrichtsfächer zurückgreifen Ϫ neben dem genannten Themenheft der Neueren Sprachen 1/1982, einem Themenschwerpunkt in Der fremdsprachliche Unterricht (H. 15, 1981) Einträgen zu „Rahmenrichtlinien“ (Brockmeyer) und „Curriculum“ (Heuer) im Reallexikon der englischen Fachdidaktik, hrsg. v. Schröder/Finkenstaedt (1977) und „Lehr- und Lernziele“ (Doye), „Lehr- und Lernziele, Curriculumforschung“ (Achtenhagen), „Das sprachliche Curriculum“ (Zimmermann) im Handbuch Fremdsprachenunterricht (hrsg. v. Bausch/ Christ/Krumm 1995) ist vor allem der Sammelband Forschungsgegenstand Richtlinien (hrsg. v. Bausch/Christ/Hüllen/Krumm 1985) zu nennen Ϫ bzw. auf allgemein gehaltene Ausführungen Ϫ oft älteren Datums Ϫ zum Thema zurückzugreifen (u. a. Hesse/ Manz 1972; Robinsohn Hrsg. 1972; Westphalen 1985). Dass im Bereich Deutsch als Fremdsprache die „Katwijker Empfehlungen zur Curriculumentwicklung“ (1993) keine intensive Beschäftigung mit dem Thema Lehrplanentwicklung ausgelöst haben, ist angesichts des praktischen Bedarfs an Handreichungen und Hilfestellungen, die sich aus der Entwicklung neuer Curricula zum Deutschunterricht in vielen Ländern Ϫ vor allem im Bereich der Länder Mittel- und Osteuropas und der GUS Ϫ seit dem Anfang der 90er Jahre ergibt, er- staunlich. Es lassen sich eine Reihe von Gründen anführen, die dafür verantwortlich sein könn- ten: „Im überkommenen Denken sind Lehrpläne behördliche Vorgaben, an denen man besser nicht herumkritisiert. Ein weitverbreitetes, wiederum traditionelles Argument ist auch, dass der Neusprachler angesichts der zu observierenden sprachinhärenten Progression zumindest im Unterricht der Sekundarstufe I ohnehin gebunden sei, dass letztlich das Lehrbuch als „stiller Lehrplan“ fungiere. Eine dritte Meinung ist schließlich die, dass 798 XI. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand II der gute, nämlich pädagogisch begabte und erfahrene Lehrer keinen Lehrplan brauche. Das letztgenannte Argument ist bis zu einem gewissen Grad stichhaltig. Denn zum einen spiegelt selbst der seriöseste Lehrplan die jeweiligen fachdidaktischen und fachmethodischen Diskussionsstände nur in verkürzter Form, zum anderen wirkt der jahrelange, mehr oder minder reflektierte Kontakt mit der Unterrichtswirklichkeit in einem Maße handlungsprägend, wie dies kein noch so feingliedriger Lehrplan vermag“ (Schröder 1982, 2). Dass die Forschung im Fach Deutsch als Fremdsprache sich mit dem Thema „Lehrplan/Richtlinien/Curriculum“ nicht eingehender beschäftigt hat, mag auch daran liegen, dass Lehrplanentwicklung als „Spezialistenwissen“ eingeschätzt wird, das nur für wenige Fachleute von Bedeutung ist. Dasselbe gilt übrigens auch für die Erforschung der Lehrwerkentwicklung (vgl. Art. 105). 2. Zur Funktion von Lehrplänen Lehrpläne sind Vorgaben der staatlichen Schulaufsichtsbehörden für den Fachunterricht. Sie sollen eine Reihe von Aufgaben er- füllen: a) die Vergleichbarkeit der Leistungen und Erträge des Unterrichts sicherstellen b) den Lehrkräften Handlungshilfen für eine zeitgemäße Gestaltung ihrer täglichen Arbeit vermitteln c) Grundlagen für die Erstellung von Lehrmaterialien bieten (Piepho 1985, 119). 3. Kriterien der Lehrplangestaltung Um diese Aufgaben zu erfüllen, müssen Lehrpläne eine Reihe von Kriterien erfüllen (Sauer 1985, 131f.): a) Vergleichbarkeit Sie betrifft die Einheitlichkeit der Anforderungen hinsichtlich der Unterrichtsziele und -inhalte, etwa im Hinblick auf bestimmte Schulformen bzw. Niveaustufen. b) Ausgewogenheit der Ansprüche Sie betrifft gesellschafts- und bildungspolitische Aspekte. In der Lehrplanerstellung wirken Schulaufsicht (einschließlich der Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Gruppen), Wissenschaftler und Lehrer zusammen, um gesellschaftliche, fachliche, pädagogische und personale Ansprüche zu sichern und auszu- gleichen. c) Wissenschaftlichkeit Lehrpläne müssen einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten. Lernziele, Lerninhalte und Vorschläge zur Durchführung des Unterrichts müssen im Einklang stehen mit fachlichen und didaktischen Erkenntnissen. d) Praktikabilität Lehrpläne müssen so verfasst sein, dass sie nicht nur eine gründliche theoretische Fundierung bieten, sondern auch auf konkrete, auf Unterricht bezogene Entscheidungen anwendbar sind. Sie müssen deshalb auch konkrete Hilfen zur Umsetzung im Unterricht geben. e) Verständlichkeit Lehrpläne müssen so angelegt und abgefasst sein, dass sie von den Lehrer/innen in der Praxis verstanden, angenommen und umgesetzt werden. „Das erfordert eine klare, jargonfreie und konkret auslegbare Sprache und eine anschauliche Verknüpfung verschiedener theoretischer und konzeptioneller Aspekte, etwa von linguistischen Auswahl- und Progressionsprinzipien mit übergeordneten sprachpädagogischen Wert- und Normenkomponenten, von methodischen Übungs- und Aufgabentypologien mit inhaltlich-thematischen Gesichtspunkten, von bindenden und freisetzenden Handlungsanweisungen“ (Piepho 1985, 119). 4. Zur Begriffsbestimmung von: Lehrplan Ϫ Rahmenrichtlinien Ϫ Curriculum In der Fachdiskussion werden viele Bezeichnungen nebeneinander und z. T. synonym gebraucht, deren Abgrenzung jedoch oft nicht deutlich ist, z. B. Bildungsplan, Lehrplan, Curriculum, curricularer Lehrplan, Richtlinien, Rahmenrichtlinien, etc. „Was Lehrpläne, Richtlinien und Curricula wesensmäßig unterscheidet, sind nicht ihre Inhalte, nicht die didaktischen Kategorien, nach denen sie geordnet sind (Lernziele, Lerninhalte, Lernorganisation, Erfolgskontrolle), auch nicht die didaktischen Prinzipien, nach denen die Strukturierung des Unterrichts erfolgen sollte (z. B. Anschaulichkeit, Exemplarität, Wissenschaftsorientierung), sondern vor allem Ϫ die Funktion die sie als Baupläne und Bausteine des Unterrichts erfüllen sollen, 79982. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Fremdsprache Ϫ die Entscheidungskriterien und Prozesse, nach denen sie entstanden und aus denen sie hervorgegangen sind, Ϫ der Grad der Verbindlichkeit, den sie beanspruchen“ (Westphalen 1985, 12). Nach diesen Kriterien Ϫ Funktion; Entscheidungskriterien und -prozesse der Entstehung; Verbindlichkeit Ϫ kann man eine Abgrenzung in der Begriffsbestimmung von Lehrplan/Richtlinien/Curricula vorzunehmen versuchen. Man muss sich jedoch vergegenwärtigen, dass die begriffliche Unterscheidung von den Verfassern solcher Dokumente nicht immer eingehalten wird und dass die Übergänge Ϫ insbesondere zwischen Richtlinien und Curricula Ϫ fließend sind. a) Lehrpläne „Lehrpläne sind generelle Planungsinstrumente von Unterricht. Sie werden in der Regel von staatlicherseits berufenen Kommissionen entworfen und von der staatlichen Schulaufsicht erlassen. Sie beanspruchen traditionell ein hohes Maß an Verbindlichkeit, was die Orientierung an den erklärten allgemeinen Bildungszielen und die Berücksichtigung der obligatorisch oder fakultativ verordneten Unterrichtsinhalte anbetrifft“ (Westphalen 1985, 13). In ihrer knappsten Form regeln Lehrpläne die Verteilung des Lehrstoffes über einen festen umrissenen Zeitraum (z. B. Festlegung der Lehrpensen der Grammatik nach dem Prinzip „vom Einfachen zum Schwierigeren/ Komplexen“ und Abstufung (Progression) nach Schuljahren). In ihrer erweiterten Form enthalten sie neben dem Stoffverteilungsplan Aussagen zu übergreifenden Bildungszielen, die auch für den Fachunterricht in der Fremdsprache gelten (oft in der Form von Präambeln vor den Hinweisen zu den einzelnen Unterrichtsfächern), d. h. sie formulieren die allgemeinen und fachspezifischen didaktischen Grundlagen des Unterrichts und sie geben Hinweise zu den Prinzipien und Verfahren der Unterrichtsgestaltung (Methodik). b) Richtlinien „Richtlinien unterliegen gleichen oder ähnlichen Entstehungsbedingungen wie Lehrpläne, erheben grundsätzlich gleichrangige Ansprüche auf Rechtsverbindlichkeit und Allgemeingültigkeit, sind ebenfalls globale Steuerungsinstrumente für das Schulwesen eines Landes. Der mehr graduelle Unterschied zu den Lehrplänen liegt vor allem darin, dass sie (…) weniger „dogmatische und dirigistische Festlegung“ intendieren, weniger „Verordnung von Inhalten“ vornehmen.“ (Westphalen 1985, 13) Richtlinien werden deshalb nicht für einzelne Jahrgangsstufen verfasst, sondern sie beziehen sich auf übergreifende Stufen im Schulsystem (z. B. Grundschule; Orientierungsstufe; Sekundarstufe I, Sekundarstufe II) bzw. auf Stufen der Sprachbeherrschung (vgl. die Einteilung der Sprachkurse des Goethe-Instituts in Grundstufe, Mittelstufe, Oberstufe, etc.). Lehrziele, Lehrstoffe und Inhalte werden dabei nicht auf die einzelnen Jahre verteilt (Progression), sondern in der Form von Anforderungen zum Erreichen des jeweiligen Niveaus angegeben. Häufig geschieht dies in Richtlinien in der Form von Listen zu den unterschiedlichen Qualifikationsbereichen (z. B. Liste der grammatischen Phänomene; Wortschatzliste; Liste der Themen; Situationen; Textsorten; Sprechintentionen; etc.) bzw. in einer genaueren Bestimmung der allgemeinen, fachbezogenen Lehrziele, die Ϫ etwa im Bereich der sprachlichen Fertigkeiten Ϫ mit dem bestimmten Niveau erreicht werden sollen. Im Vergleich zu Lehrplänen haben Richtlinien weniger eine Steuerungs- als eine Orientierungsfunktion für eine bestimmte Lehrstufe. Sie geben deshalb Lehrer/innen und Lehrwerkautor/innen mehr Freiräume bei der Entscheidung über die Didaktik und Methodik des Unterrichts. c) Curriculum Zu unterscheiden sind enger und weiter gefaßte Begriffsbestimmungen. Engere Begriffsbestimmung: „Das Curriculum als Planungsinstrument begegnet dem Lehrer in der Praxis nicht so sehr als Bauplan, sondern als konkretes Produkt, als Baustein also, insbesondere in Form von Planungsbeispielen, Reihen- und Stundenkonzepten, didaktisch aufbereiteten Unterrichtsmaterialien. Deren Produzenten können nicht nur staatlicherseits einberufene Kommissionen, sondern z. B. auch wissenschaftliche Institute, Verlage, Lehrerteams sein. Allgemein- und Rechtsverbindlichkeit kommt ihnen nur zu, soweit sie durch die staatliche Schulaufsicht verordnet oder zur Verwendung im Unterricht zugelassen sind.“ (Westphalen 1985, 13). Weiter gefasste Begriffsbestimmungen: Beispiel 1: „Als Curriculum wird heute in der pädagogischen Fachsprache das gesamte System von 800 XI. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand II Unterrichtsinhalten zu ihrer Aneignung und Einübung und Tests zu ihrer Kontrolle bezeichnet. Curricula unterscheiden sich von Lehr- und Bildungsplänen dadurch, dass sie von klar definierten und damit überprüfbaren Lernzielen ausgehen. Sie enthalten alles, was dem Erreichen des Lernziels und seiner Kontrolle dient.“ (Bildungsbericht ’70 der Bundesregierung, 130; zitiert nach Westphalen 1985, 14) Beispiel 2: „Das Curriculum ist die Darstellung des Unterrichts über einen bestimmten Zeitraum als konsistentes System mit mehreren Bereichen zum Zwecke der Planung, der optimalen Realisierung und Erfolgskontrolle des Unterrichts“. (Frey 1972 zitiert nach Westphalen 1985, 14) Als Merkmale von Curricula kann man festhalten: Ϫ Ausgangspunkt sind nicht Festlegungen im Bereich der Lehrstoffe oder der Organisation von Lehrprozessen sondern die Bestimmung und Begründung von Lehrzielen, sowohl der fächerübergreifenden als auch der fachspezifischen Zielsetzungen. Ϫ Sie machen den inneren Zusammenhang von Lehrzielen, Lehrmethoden und Lernkontrollen deutlich (Unterrichtsmethoden werden in Abhängigkeit von definierten Zielsetzungen entwickelt; Prüfungen spiegeln in ihrem Inhalt die Lehrziele und in ihren Formen die Lehrverfahren wieder. Sie geben aber auch Aufschluss darüber, wie klar und sinnvoll die Lehrziele formuliert sind). Ϫ Das Curriculum geht nicht nur theoretisch auf diese inneren Zusammenhänge ein, sondern macht auch an Modellen, Beispielen, Entwürfen von Unterrichtssequenzen deutlich, wie die Umsetzung erfolgen könnte. 5. Warum müssen Curricula immer wieder überarbeitet bzw. neu gestaltet werden? Lehrpläne sind Ϫ ähnlich wie Lehrwerke Ϫ „Kinder ihrer Zeit“. Sie entstehen aus einem Bedingungsgefüge heraus, das sich verändern kann. Man kann mehrere, hierarchisch gestufte Ebenen unterscheiden, auf denen sich Entscheidungsprozesse vollziehen bzw. Faktoren verändern können, die auf die Lehrplanarbeit Einfluss nehmen: a) die übergreifende gesellschaftliche Ebene b) die institutionelle Ebene c) die fachliche Ebene d) die unterrichtliche Ebene zu a) Übergreifende gesellschaftliche Ebene Lehrpläne als Vorgaben staatlicher Behörden spiegeln die „jeweils herrschenden“ bildungspolitischen Vorstellungen zu den Aufgaben und Zielen der Schule bei der Vorbereitung der nachkommenden Generation auf das Leben. Sie können als Konsens und Kompromiß divergierender gesellschaftlicher Gruppierungen in einer pluralistisch verfaßten Gesellschaft entstehen oder als Manifestation der Macht einer Gruppe, die ihre „Weltanschauung“ formuliert. Lehrpläne werden deshalb nach jedem gesellschaftlichspolitischen „Machtwechsel“ besonders rasch revidiert. Das ist nicht verwunderlich. „Die wesentlichste und gemeinsame Aufgabe von Lehrplänen, Richtlinien und Curricula ist, dass sie Entscheidungen über die Ziele und Inhalte von Unterricht mitteilen. Was eine Gesellschaft für wertvoll, wichtig, unverzichtbar und relevant hält, um ihre Kultur zu tradieren und gesellschaftliche Regeneration zu ermöglichen, fasst sie zu einem Kanon von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zusammen, die in ihren Schulen vermittelt werden sollen … Offensichtlich muss hierfür eine Auswahl aus dem gesamten Erfahrungssatz getroffen werden. Und es erheben sich Fragen wie: Ϫ worin besteht das Rohmaterial, das als Bausubstanz dieses Kanons gelten kann? Ϫ Nach welchen Kriterien und zu welchen spezifisch schulischen Zwecken wird daraus ausgewählt? Ϫ Wie stellt sich der didaktische Begründungszusammenhang für die Auswahl der Struktur dieses Kanons und für die Organisation der Lehr- und Lernprozesse dar?“ (Westphalen 1985, 14) Anstöße zur Neugestaltung von Lehrplänen, Richtlinien und Curricula für den Fremdsprachenunterricht können aber nicht nur von innerstaatlichen Veränderungen der gesellschaftlichen Machtverhältnisse ausgehen, sondern auch von der Veränderung der zwischenstaatlichen Beziehungen. Besonders deutlich lassen sich die Auswirkungen dieser innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Veränderungen seit dem Ende der 80er Jahre für den fremdsprachlichen Deutschunterricht in den ehemaligen „Ostblockländern“ verfol- gen. 80182. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Fremdsprache Anstöße zu Veränderungen der curricularen Grundlagen des Fremdsprachenunterrichts gehen aber auch von der Entfaltung der technischen Medien (etwa: Entwicklung der Möglichkeiten der Sprachspeicherung und -wiedergabe; Rundfunk; Fernsehen; Computertechnologie) aus, die eine immer enger werdende globale Vernetzung von Information und Kommunikation über Länder- und Sprachgrenzen hinweg mit sich bringen. Sie beeinflussen nicht nur die Inhalte des Fremdsprachenunterrichts (etwa im schnellen Zugriff auf aktuelle landeskundliche Information, die in den Lehrbüchern nicht enthalten ist), sondern können auch die Lehrmethoden nachhaltig verändern (z. B. im Einsatz auditiver und visueller Medien in der audiolingualen/audiovisuellen Methode). zu b) Institutionelle Ebene Gesellschaftspolitische Konstellationen wirken sich nachhaltig auf die institutionelle Ebene der Schule aus. Sie beeinflussen etwa die Stellung und das Gewicht, das das Schulfach Deutsch im Fächerkanon der Schule einnimmt und die Wertschätzung, die es bei Lehrenden und Lernenden erfährt. Sie wirken sich aber auch auf die Formulierung allgemeiner, fächerübergreifender Leitvorstellungen zu Bildung und Erziehung, auf die Auswahl und Perspektivierung der Inhalte des Fachunterrichts und auf die Vorstellungen, wie man „richtig“ unterrichten soll, aus. Traditionelle Lehrpläne formulieren die gesellschaftlichen und institutionellen Grundlagen nicht explizit, sie setzen den Konsens zu den Fragen von Bildungszielen und Erziehungsnormen vielmehr voraus bzw. formulieren diesen Konsens in der Form von bildungspolitischen Setzungen. Sie konzentrieren sich vielmehr auf die Formulierung von Hinweisen zur fachlichen Ebene (Lehrstoffe) und unterrichtlichen Ebene (Unterrichtsmethoden). Curriculare Lehrpläne versuchen dagegen, eine Begründung für die Formulierung fachübergreifender und fachspezifischer Ziele aus der Diskussion der gesellschafts- und bildungspolitischen Grundlagen zu geben und dadurch die Voraussetzungen für curriculare Entscheidungen offenzulegen. Zu c) Fachliche Ebene Anstöße zur Revision der Lehrpläne können sich auch aus dem Erkenntniszuwachs der unmittelbaren Bezugswissenschaften des Faches Deutsch als Fremdsprache ergeben: Ϫ der Literaturwissenschaft Ϫ der Sprachwissenschaft Ϫ der Landeskunde. Eine systematische Erforschung der historischen Entwicklung der Lehrpläne für den fremdsprachlichen Deutschunterricht im Schulbereich steht noch aus. Aber schon ein oberflächlicher Blick in die Lehrpläne verschiedener Epochen lässt erkennen, dass sie insbesondere in der Auswahl und Formulierung ihrer Inhalte im Bereich von Literatur und Landeskunde Ϫ wenngleich immer mit einer gewissen Zeitverzögerung Ϫ die Trends und Befunde der jeweiligen fachwissenschaftlichen Diskussion widerspiegeln, und dass Neuansätze in der Sprachbeschreibung des Deutschen Ϫ zu verweisen ist etwa auf Strukturalismus, Pragmalinguistik und DependenzValenz-Grammatik Ϫ nicht nur zu einer Neuorientierung im Bereich des „Wissens über die deutsche Sprache“, sondern auch zur Formulierung neuer übergreifender didaktischmethodischer Konzepte des Deutschunterrichts geführt haben (etwa in der Ausformulierung der audiolingualen Methode oder in der Entwicklung der Kommunikativen Didaktik, vgl. Neuner/Hunfeld 1993). Kennzeichnend für die fachliche Ebene der Lehrplangestaltung sind deshalb in traditionellen Lehrplänen die Aussagen über den sprachlichen und landeskundlichen Lehrstoff und seine Abstufung bzw. in Curricula die Formulierung fachbezogener Lehrziele im kognitiven, affektiven und pragmatischen Bereich (vgl. Kap. 11). Ein weiteres Merkmal von Curricula ist auch die Ausarbeitung von Vorschlägen einer Zuordnung von (verbindlichen) Lehrzielen, zu Lehrinhalten, Unterrichtsverfahren und Lernzielkontrollen. Zu d) Unterrichtliche Ebene Zu den festen Bestandteilen von Lehrplänen, Richtlinien und Curricula gehören nicht nur Aussagen zu Lernzielen und -inhalten, sondern auch Hinweise zur Unterrichtsgestaltung. Diese können in der Form von allgemeinen Prinzipien zur Unterrichtsmethodik formuliert sein (z. B. Ausführungen zum Prinzip der Anschaulichkeit), sie können die Unterrichtsplanung betreffen (z. B. Eingehen auf Sozialformen des Unterrichts) oder die unterrichtliche Umsetzung einzelner Aspekte betreffen (z. B. Entfaltung der sprachlichen Fertigkeiten Ϫ etwa: Methoden der Entwicklung des Hörverstehens Ϫ oder der Sprachsysteme Ϫ etwa: Grammatik-, Wortschatz-, Ausspracheschulung; Einsatz von technischen Medien; Verfahren der Textarbeit; etc.). Gelegentlich werden nicht nur theoretische Empfehlungen formuliert, sondern es werden Unterrichtsverfahren an konkreten 802 XI. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand II Zum Themenbereich Umwelt, Natur und Technik Themenbereich Thematische Aspekte Jahrgangsstufe 1 Jahrgangsstufe 2 Jahrgangsstufe 3 Jahrgangsstufe 4 Umwelt, Natur, • Lieblingsplatz, • Forschung, • Ökologie, • Erfindungen Technik -gegenstand Technik, alternative Ener- und Erfinder „Jugend forscht“ gien, globale • Tiere, Haustiere • Science-fiction: Probleme • Ökologie, Vision und • Wetter, JahresNaturschutz • Wohnen, Archi- Wirklichkeit zeiten tektur (z. B. • Bedrohte Tier- • Mensch, Tech- Hundertwasser) arten, Tier- nik, Fortschritt quälerei, Tier- (Verführungen schutzvereine und Gefahren des Fortschritts) Abb. 82.1: A2: Beispiele längerfristiger Unterrichtsplanung. Themenbereich: Umwelt, Natur, Technik Jahrgangsstufe 1 Themenaspekte Kommunikative Tätigkeiten Sprachliche Schwerpunkte Materialien/ u. Aufgaben Medien • Lieblingsplatz, • Schüler beschreiben Bilder • Bild beschreiben, berichten • OHP-gegenstand. verschiedener beliebter Plätze • Lesen Farbfolie • Sie Lesen Text Ϫ Aussagen • Wortschatz zum Thema • JUMAϪ über Lieblingsplätze. • Erzählen Magazin • Schüler berichten über ihre • Schreiben • Fotos oder Lieblingsplätze/-gegenstände. • Interview, Bericht Zeichnungen • Schüler nennen Lieblings- • Nebensätze • Pinnwand plätze und raten, welche(r) • Sprachmittel: Mitschüler(in), Politiker, Ich weiß, daß … Schauspieler usw. am Ich erfuhr, daß … ehesten dazu paßt (Rate-/ Ich stellte fest, daß … Zuordnungsspiel). Ich wußte nicht, daß … • Sie befragen ihre Mitschüler Mir war nicht bekannt, daß Ϫ machen ein Klassen-/ ihr/sein Lieblingsplatz …, weil. Jahrgangs-/Stufeninterview; erstellen eine Hitliste der beliebtesten Plätze. • Sie berichten, evtl. mit Kommentar, vor dem Plenum, teilen die Ergebnisse der Intervies mit. Quelle: Plucinski, Grzegorz; u. a. (1995): Curriculum Deutsch als Fremdsprache für fortgeschrittene Lerner der Gymnasialstufen 1Ϫ4, Warschau, S. 15 Abb. 82.2: Beispiele von Planungsskizzen für die Jahrgangsstufen 1 und 2. Beispielen Ϫ z. B. der Entwicklung von Arbeitsblättern, der Vorstellung von Übungen und Aufgaben Ϫ vorgestellt. 6. Unterschiedliche Arten von Lehrplänen In der Strukturierung von Lehrplänen lassen sich zwei grundsätzlich voneinander verschiedene Vorgehensweisen unterscheiden (Wilkins 1976, 2f.), die auf unterschiedlichen Vorstellungen von ihrer Funktion beruhen: a) Analytisches Verfahren Dieses Verfahren konzentriert sich auf die Darstellung der einzelnen Bereiche von Lerninhalten (etwa zu den Grammatikpensen; zum Wortschatz; zu den Themen; etc.). Es überläßt ihre Integration den Lehrbuchauto- 80382. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Fremdsprache ren bzw. der konkreten Unterrichtsplanung und -gestaltung durch den Lehrer. In dieser Art sind die traditionellen Lehrpläne angelegt, deren fachliches Ziel in der Entfaltung einer „Sprachlehre des Deutschen“ besteht. b) Synthetisches Verfahren Es ist lernzielorientiert, d. h. es integriert die verschiedenen Aspekte der Lerninhalte unter übergreifende Lernzielkategorien, etwa die Entwicklung fremdsprachlichen Könnens Ϫ in der Entfaltung der sprachlichen Fertigkeiten oder Ϫ in der Angabe von abgestufen Aufgaben- stellungen. So sind häufig Curricula angelegt, die von einer Analyse der fremdsprachlichen Bedürfnisse ausgehen und als übergreifendes fachliches Ziel „Befähigung zur Kommunikation in der Fremdsprache“ haben (vgl. Kap. 11). 7. Curriculumentwicklung als Prozess Begreift man Schule und Fachunterricht als integrale Teile von gesellschaftlich-politischen, institutionellen und fachspezifischen Systemen, die sich beständig verändern (weil die Menschen die Welt, in der sie leben, verändern), dann wird verständlich, warum auch Curricula immer wieder neu verfasst werden müssen. In den Ausführungen von Kap. 4 wurde deutlich, dass es a) unterschiedliche Legitimationen zur Veränderung gibt und b) dass die Faktoren, die eine Veränderung bewirken, unterschiedlich weit reichende Auswirkungen zeitigen. Zur Entwicklung von Curricula müssen eine Reihe von Arbeitsschritten durchlaufen wer- den: „1. Aufstellung von Hypothesen über sinnvolle und nötige Lernziele der Schule, 2. Bestimmung der Ziele (aims and objectives) durch Konsens, 3. Wahl der Mittel und Verfahren auf diese Ziele hin, 4. Entwicklung und Erprobung der konkreten Unterrichtsvorgänge, -situationen und -materialien, 5. Rückkoppelung der Erfolge an die Zielbestimmung und deren Korrektur“ (v. Hentig 1970, 24). Curriculumentwicklung hat ihren Ausgangspunkt also in der Erkundung der „Lebenspraxis“. Auf die Frage, was die nachkommende Generation „fürs Leben“ lernen soll, gibt es unterschiedlich begründete Antworten. Sie können etwa in der Tradierung bestehender Wertvorstellungen wurzeln (Wie soll man die Welt sehen und sich in ihr orientieren lernen) oder sich auf pragmatische Erwägungen beziehen (Wozu braucht man das, was man lernt?). Daraus ergeben sich unterschiedliche Hypothesen zum Sinn, zur Schwerpunktsetzung und zur Gestaltung des Lernens in der Schule. Curriculumentwicklung besteht vor allem bei einem Ansatz, der von der Analyse pragmatischer Bedürfnisse ausgeht, nicht nur in der Formulierung und Festsetzung von Lehrzielen, sondern auch in der Überprüfung dieser Vorgaben an der Praxis, die ihrerseits wieder zu einer Veränderung der Zielsetzungen führen kann. Dieses Verständnis von Curriculumentwicklung als Prozess, der in den jeweils vorgegebenen übergreifenden Rahmenbedingungen als Regelkreislauf von Zielen, Methoden und Kontrollen und als Wechselspiel von Theorie und Praxis permanent weitergeführt werden muß, unterscheidet Curricula von Lehrplänen, die Setzungen vornehmen, und einen „Sollzustand“ beschreiben, auf den sich die Unterrichtspraxis hin entwickeln soll. In diesen Entwicklungsprozess sind auch Lehrmethoden und Lehrwerke einbezogen: sie verändern sich im selben Maß wie sich die Rahmenbedingungen und die Zielsetzungen verändern. So wird verständlich, warum auch die Entwicklung von Lehrmethoden und Lehrmaterialien kein linearer Prozess ist, an dessen Ende eines Tages die „perfekte Lehrmethode“ und das „optimale Lehrwerk“ stehen, sondern dass die Entwicklung von Lehrmethoden und Lehrwerken eher als Prozess der Anpassung an die sich verändernden Bedingungen des Lehrens und Lernens zu sehen ist. 8. Elemente von Curricula: Was gehört in ein Curriculum? Als charakteristisch für einen Lehrplan wurden die folgenden Elemente herausgestellt: a) Festlegung übergreifender Bildungsziele b) Festlegung und Abstufung der Lehrstoffe c) Hinweise zur Unterrichtsmethodik. 804 XI. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand II Für Curricula lassen sich die folgenden Elemente angeben: a) Benennung der Zielgruppe und des Lernbereichs bzw. der Lernstufe, für die das Curriculum erstellt wird b) Benennung der Arbeitsgruppe (Personen und Institutionen, die sie vertreten), die das Curriculum erstellt hat c) Verdeutlichung der fachübergreifenden und fachspezifischen Hintergründe, die Anlaß und Auslöser für die Curriculumarbeit sind d) Formulierung der übergreifenden und fachspezifischen Zielsetzungen und Aufgaben des Unterrichts im Fach Deutsch als Fremdsprache im Rahmen der veränderten Bedingungen e) Formulierung der Inhalte Inhalte werden in Curricula oft in der Form von Katalogen bzw. Listen für den betreffenden Lernbereich bzw. die Lernstufe verfasst. Sie können sich u. a. beziehen auf: Ϫ Rollen, die sprachlich gemeistert werden sollen Ϫ Gesprächssituationen Ϫ Sprechakte (Intentionen für mündliche und schriftliche Mitteilung) Ϫ Themen Ϫ Textsorten (z. B. relevante Hör- und Lesetexte; Textsorten für schriftliche Mittei- lungen) Ϫ Inventare von Sprachmitteln z. B. Ϫ Wortschatzliste Ϫ Übersicht zur Grammatik Ϫ Hinweise zu Aussprache und Rechtschreibung Für den Bereich des elementaren Deutschunterrichts mit Erwachsenen bietet etwa die von Baldegger/Müller/Schneider verfasste Kontaktschwelle Deutsch als Fremdsprache (1980), die im Rahmen der threshold-level-Auftragsarbeiten des Europarats entwickelt wurde, ein gutes Modell zur Beschreibung inhaltlicher Kategorien. f) Hinweise zur Unterrichtsgestaltung Sie können als methodische Prinzipien formuliert sein. Sie können sich aber auch auf konkrete Arbeitsbereiche des Unterrichts beziehen (z. B. Entfaltung der sprachlichen Fertigkeiten des Hörens/Lesens/Sprechens/ Schreibens oder der Sprachsysteme (Grammatik, Wortschatz-, Aussprache- und Rechtschreibschulung), Einsatz der verschiedenen technischen Medien; Umgang mit dem Lehrwerk; Sozialformen des Unterrichts; Gestaltung der Einführungs-, Übungs- und Anwendungsphase; Übungsformen; Entfaltung von Lerntechniken und -strategien etc.). g) Lernkontrollen Hinweise können sich beziehen u. a. auf die Funktion von Lernkontrollen; Testerstellung; Leistungsbeurteilung, Testdurchführung. h) Planungs- und Gestaltungshilfen An konkreten Beispielen wird z. B. gezeigt Ϫ wie Unterrichtsplanung entwickelt wird (längerfristig, etwa auf eine ganze Schulstufe oder eine Jahrgangsstufe bezogen, oder auf einen kürzeren Abschnitt, etwa eine Unterrichtssequenz oder Unterrichtsstunde bezogen). Ϫ wie methodische Prinzipien bzw. Einzelaspekte der Unterrichtsgestaltung (z. B. Ausspracheschulung; Textarbeit; Entwicklung von Arbeitsblättern; Projektarbeit; etc.) verwirklicht werden können. 9. Curricula und Prüfungsbestimmungen In der Festlegung der fachlichen Lernziele und der inhaltlichen Anforderungen ergeben sich Überschneidungen von Curricula und Prüfungsbestimmungen, die sich auf ein bestimmtes Abschlussniveau beziehen, etwa zum Abschluss der Grundstufe durch das Zertifikat Deutsch als Fremdsprache (Deutscher Volkshochschulverband/Goethe-Institut) oder zum Abschluss der Mittel- oder Oberstufe (Goethe-Institut) oder weiterführender Niveaustufen (etwa: Kleines und Großes Deutsches Sprachdiplom). Es liegt auf der Hand, dass die Anforderungen zu solchen Abschlussprüfungen Ϫ sie sind oft in der Form von Handreichungen ausführlich beschrieben Ϫ für die Phase der Prüfungsvorbereitung eine Art Lehrplan-Ersatzfunktion haben und auf die Gestaltung der Unterrichtspraxis nachhaltiger einwirken können als es Curricula vermögen. 10. Curriculum Ϫ Lehrwerk Ϫ Unterricht Es ist kritisch angemerkt worden, dass „… Lehrpläne in der Regel keinen direkten Einfluß auf das konkrete Unterrichtsgeschehen ausüben …“ (Freudenstein 1985, 47) und daß es eigentlich die Lehrwerke sind, die das 80582. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Fremdsprache Unterrichtsgeschehen nachhaltig beeinflus- sen. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass über die Lehrplanung auch eine ridige Kontrolle über die Lehrmaterialien ausgeübt werden kann. „Nur jene Materialien werden zugelassen, die mit den teilweise außerordentlich detaillierten Kanonisierungen der Lehrpläne übereinstimmen. Gerade damit aber wird der Lehrplan in einem bisher ungekannten Maße zum politischen Steuerungsinstrument“ (Schröder 1982, 2). Nicht selten ist in der Praxis auch eine Konstellation anzutreffen, bei der die Autoren der Curricula auch diejenigen sind, die die zu diesen Curricula passenden Lehrwerke erstellen, da in einem Land der Personenkreis fachlich versierter Experten begrenzt ist bzw. nur ein „Einheitslehrwerk zum Einheitslehrplan“ konzipiert werden soll (Neuner 1979, 34f.). Während das Curriculum den didaktischmethodischen Rahmen des Fachunterrichts absteckt, ist es die Aufgabe der Lehrwerke, diese Rahmenkonzeption für den Unterricht handhabbar zu machen. Sie müssen Ϫ unter Beachtung der übergreifenden und fachspezifischen Zielsetzungen Ϫ eine Auswahl, Abstufung (Progression) und Verschränkung der Lehrinhalte vornehmen und sie unter Berücksichtigung der für die Unterrichtspraxis konstitutiven Aspekte von Unterrichtsgliederung (Phasen, Unterrichtsformen (Sozialformen), Unterrichtsmedien und Unterrichtsorganisation unter Beachtung der im Lehrplan angegebenen Prinzipien der Unterrichtsmethodik aufbereiten (Neuner 1994b, 8; vgl. auch Art. 107). Das Lehrwerk macht also ein Angebot zur Gestaltung des Unterrichts Ϫ im Hinblick auf die Lehrstoffe Ϫ im Hinblick auf grundlegende Lehrmetho- den. Es gibt Lehrwerke, die nicht mehr sind als eine strukturierte Lehrstoffsammlung und die dem Lehrer weitgehend Freiheit in der konkreten Umsetzung des Lehrstoffs in ein Unterrichtskonzept lassen, es gibt aber auch Lehrwerke, die das Vorgehen im Unterricht in sehr genau festgelegten „kleinen Schritten“ vorschreiben und dem Lehrer kaum noch einen Handlungsspielraum lassen. Wenn das Lehrwerk genau auf den Lehrplan und die Lehrbedingungen für eine bestimmte Schulform, Schulstufe bzw. Lerngruppe abgestimmt ist, kann der Lehrer sich bei der Unterrichtsplanung und -gestaltung weitgehend „an das Buch halten“. Wenn dies nicht der Fall ist, muss er das Angebot des Lehrbuchs und die Lehrmethoden verändern, ergänzen oder er muss den Unterricht ohne das Lehrbuch ganz neu gestalten. Das Lehrbuch ist also nicht gleichzusetzen mit dem Unterricht! Jede Lehrerin/jeder Lehrer hat schon die Erfahrung gemacht, dass eine Lektion, die in einer Klasse „gut geht“, im Parallelkurs „ganz anders laufen“ kann. Das Lehrwerk ist nur ein Faktor, der das konkrete Unterrichtsgeschehen bestimmt. Weitere wesentliche Faktoren sind Ϫ die Lehrperson selbst jeder Lehrer macht aus denselben Vorgaben im Lehrbuch einen anderen Unter- richt Ϫ die Lerngruppe Faktoren: Alter; Zusammensetzung der Gruppe/Dynamik innerhalb der Gruppe; Lernstand; Interesse am Fach bzw. am Lernstoff; Verhältnis zum Lehrer; momentane Befindlichkeit einzelnen Gruppenmitglieder; etc. Festzuhalten bleibt, dass die Lehrwerke in der alltäglichen Unterrichtspraxis weit mehr und unmittelbarer das Unterrichtsgeschehen beeinflussen als die Curricula, die nur indirekt wirksam werden können. Man hat sie deshalb auch als die „heimlichen“ oder „stillen Lehrpläne“ bezeichnet (Schröder 1982, 2). 11. Lehr- und Lernziele In der Fachdiskussion wird häufig keine Unterscheidung zwischen Lehrzielen (durch die Bildungsinstanzen festgelegte Vorstellungen und Vorschriften zu der Frage, was im Unterricht gelehrt werden soll) und Lernzielen (Vorstellungen, die von einer Analyse pragmatischer Bedürfnisse der Fremdsprachenverwendung ausgehen bzw. die die Lernenden selbst von dem entwickeln, was sie als sinnvoll ansehen und erreichen wollen) getroffen. Dass auch heute noch der Ausdruck „Lernziel“ für den gesamten Komplex der Beschreibung der Zielsetzungen gebräuchlich ist, ist im traditionellen Verständnis von institutionalisiertem Unterricht begründet, der auf normativen Vorgaben beruht und in erster Linie die Lehr- und Lernstoffperspektiven berücksichtigt: Lernziele sind das, was Schüler lernen sollen. 806 XI. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand II „Lernende können jeweils ganz andere Ziele vor Augen haben als diejenigen, die sie etwas lehren wollen, und Lehrende verstellen sich durch die Verwendung des Ausdrucks „Lernziele“ für ihre eigenen Intentionen den Blick dafür, dass die von ihnen gesetzten Ziele durchaus nicht im Sinne der Lernenden zu sein brauchen (Doye 1995, 161). Die Beschäftigung mit Fragen der „Lernorientierung“ und den Möglichkeiten einer lernerorientierten Curriculumentwicklung (vgl. Nunan 1986) ist in der Fachforschung noch relativ neu. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Entfaltung der Kommunikativen Fremdsprachendidaktik seit der Mitte der 70er Jahre, die von einer Bestimmung der fremdsprachlichen Bedürfnisse der Lernenden her konzipiert und begründet wird, und der Ausweitung des Angebots an Fremdsprachenunterricht über den Bereich des gymnasialen Fremdsprachenunterrichts hinaus, z. B. im Bereich der Erwachsenenbildung und der beruflichen Bildung, für die andere übergreifende Bildungsziele formuliert werden müs- sen. Eine lernerorientierte Bestimmung der Unterrichtsziele setzt an bei einer Untersuchung der pragmatischen Bedürfnisse, die eine bestimmte Gruppe von Lernenden hinsichtlich des Gebrauchs der Fremdsprache hat und ihren Interessen hinsichtlich des Fremdsprachenlernens (Motivation). Sie leitet aus der Analyse der sozialen Domänen, der fremdsprachlich zu meisternden Rollen und Situationen (Kommunikationsräume) etc. Hinweise zum Aufbau und zur Gewichtung der sprachlichen Fertigkeiten und Systeme ab (vgl. Baldegger/Müller/Schneider 1980). 11.1. Taxonomie der Lernziele Aus der Fachliteratur der Erziehungswissenschaften (u. a. Bloom 1956; Mager 1965) sind wir mit einem Ansatz vertraut, der Lehrziele in der Form von Taxonomien beschreibt. So lassen sich gemäß den in Kap. 5 erwähnten Ebenen Ϫ der gesellschaftlichen, der institutionellen, der fachlichen oder der unterrichtlichen Ebene Ϫ Lehrziele unterschiedlicher Reichweite formulieren, die einander hierarchisch zugeordnet sind: Ebenen 1 und 2: gesellschaftliche und institutionelle Ebene Formulierung allgemeiner, fachübergreifender Lehrziele zu den für Schule als Institution geltenden allgemeinpädagogischen und -didaktischen Leitlinien von Bildung und Erziehung. Dazu gehören etwa Aussagen zu den Wertvorstellungen, auf die sich Erziehung insgesamt bezieht. Ebene 3: fachliche Ebene Formulierung von allgemeinen, fachbezogenen Lernzielen (Richtzielen), die für den Unterricht des Faches Deutsch als Fremdsprache als Leitlinien gelten. Dazu gehören etwa generelle Aussagen Ϫ zur Bedeutung von Literatur oder Lan- deskunde Ϫ zur Entfaltung sprachlicher Fertigkeiten Ϫ zur Entwicklung von Haltungen gegenüber der fremden Welt (vgl. Kap. 11.2.). Ebene 4: Unterrichtliche Ebene Auf dieser Ebene ist zu unterscheiden zwi- schen Ϫ speziellen fachbezogenen Lehrzielen (Grobzielen). Dazu gehören etwa Aussagen zur mittelfristigen Planung des Unterrichts Ϫ z. B. zur Auswahl und Abstufung von Lehrpensen der Grammatik für bestimmte Jahrgangsstufen, genauere Angaben zur Entwicklung und Abstufung der sprachlichen Fertigkeiten und Systeme; zur Auswahl landeskundlicher Inhalte bzw. zur Textauswahl etc. Ϫ Lehrzielen, die sich auf einzelne Unterrichtsabschnitte und -sequenzen beziehen (Feinziele). Dazu gehören etwa Lehrzielangaben zu einer Unterrichtsstunde oder zu einem bestimmten Stundenabschnitt Ϫ z. B. Angaben zu einem bestimmten Wortschatzbereich, der eingeführt werden soll; zu einem bestimmten Aspekt der Ausspracheschulung; zum Einsatz eines ganz bestimmten Textes, anhand dessen bestimmte Fähigkeiten im Bereich des Leseverstehens entwickelt werden sollen. 11.2. Die Bestimmung und Hierarchisierung fachspezifischer Lehrziele Gemäß der in 11.1. skizzierten Taxonomie kann man die Lehrziele für die einzelnen Ebenen zu präzisieren versuchen. Ebenen 1 und 2: Allgemeine, fachübergreifende Zielsetzungen Die Formulierung von Leitvorstellungen, die für Bildung und Erziehung insgesamt als verbindlich angesehen werden, ist geprägt von den Vorstellungen derjenigen gesellschaftlichen Gruppen, die in Curriculumkommissionen dominieren. 80782. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Fremdsprache Die Formulierung übergreifender Leitvorstellung bezieht sich im allgemeinen auf zwei Bereiche: a) Aussagen zu pädagogischen Zielen Sie betreffen einerseits die Entwicklung der personalen Identität des Lernenden (Förderung der kognitiven, kreativen, ästhetischen, sozialaffektiven und sprachlichen Fähigkeiten), andererseits die Entwicklung seiner sozialen Identität (Förderung der Fähigkeit zu verantwortlichem Handeln im Umgang mit anderen Menschen in der eigenen Gesellschaft und international). b) Aussagen zu pragmatischen Zielen Sie beziehen sich auf allgemeine Qualifikationen zu privater oder beruflicher Lebensgestaltung (Robinsohn 1971). Sie können als sog. „Schlüsselqualifikationen“ wie Kooperationsfähigkeit (Teamfähigkeit), Kommunikationsfähigkeit; Eigeninitiative und Selbständigkeit; Verantwortungsfähigkeit; Einsatzbereitschaft und Ausdauer; etc. formuliert wer- den. Ebene 3: allgemeine fachliche Richtziele Sie sind je nach ihrer Orientierung stärker an den übergreifenden pädagogischen bzw. pragmatischen Vorgaben ausgerichtet. So war die Fomulierung des übergreifenden Lernziels der „Kommunikativen Kompetenz“ für den Fremdsprachenunterricht in den 70er Jahren (vgl. Piepho 1974) deutlich geprägt von der Frage, welchen Beitrag der Fremdsprachenunterricht zur Gesellschaftserziehung (Achtenhagen 1995, 464) leisten kann, während sich die Diskussion des vergleichbaren übergreifenden Zieles Ϫ „communicative competence“ im angelsächsischen Bereich eher auf pragmatische Zielsetzungen bezog. In der gegenwärtigen Diskussion gilt als Richtziel für den Fremdsprachenunterricht „Interkulturelle Kommunikationsfähigkeit“, die beide Aspekte zu integrieren versucht. Es umfasst drei grundlegende Dimensionen (Bloom 1976): Ϫ die pragmatische Dimension (Entwicklung von sprachlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten) Ϫ die kognitive Dimension (Vermittlung von Kenntnissen) Ϫ die emotionale Dimension (Entfaltung von Haltungen und Einstellungen) 11.2.1. Pragmatische Dimension Sie erstreckt sich auf die Fähigkeit zum aktiven Gebrauch und zum Verstehen der Fremdsprache (Lernziel: Kommunikationsfähigkeit) und erfüllt sich im Vollzug sprachlichen Handelns in der Entfaltung und im Wechselspiel der vier sprachlichen Fertigkeiten (Teilkompetenzen der Kommunikations- fähigkeit): Ϫ Hörverstehen Ϫ Leseverstehen Ϫ Sprechen Ϫ Schreiben. Man gruppiert sie in Fertigkeiten, die dem Verstehen dienen (Hören/Lesen) und Fertigkeiten, die der sprachlichen Äußerung dienen (Sprechen/Schreiben) bzw. in Fertigkeiten, die sich auf mündliche (Hören/Sprechen) oder schriftliche (Lesen/Schreiben) Kommunikation beziehen. Sprachliche Fertigkeiten entfalten sich im Zusammenspiel und im Aufbau der Sprach- systeme: Ϫ des Wortschatzes (lexikalisch-semantisches System) Ϫ der Grammatik (grammatisch-strukturales System) Ϫ der Aussprache und Intonation (phonetisch-phonologisches System) Ϫ der Rechtschreibung (orthographisches System). Es ist strittig, ob man die Sprachsysteme zu separaten untergeordneten Lehrzielen machen soll, d. h. etwa Wortschatz- oder Grammatikarbeit, Aussprache- oder Rechtschreibschulung als eigenständige Ziele des Fremdsprachenunterrichts ausweisen soll. Die Konzentration auf diese Teilbereiche als zeitweilige Maßnahme des Unterrichts wird jedoch als sinnvoll angesehen (Feinziele), wenn sichergestellt ist, dass sich diese Arbeit an den sprachlichen Systemen nicht verselbständigt, sondern durch entsprechende Lehrverfahren in die Ganzheit einer kommunikativen Kompetenz integriert wird (Doye´ 1995, 162). Pragmatische Lehrziele können unterschiedlich formuliert werden: a) Lehrziele als sprachliche Differenzierung der einzelnen Fertigkeitsbereiche Dabei wird der Grad der Komplexität der zum Einsatz kommenden Sprachsysteme genauer beschrieben. Beispiel: „Sprechfertigkeit Ausbildung einer Sprechfertigkeit, die dazu befähigt, sich zu kürzeren, nicht fachspezi- 808 XI. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand II fischen, alltäglichen Mitteilungen möglichst regelgerecht und im Ausdruck angemessen spontan auszudrücken, und zwar in einer das Verständnis sichernden Aussprache“ (Zertifikat Deutsch als Fremdsprache 1972, 8) b) Lehrziele als Beschreibung sprachlicher Handlungen Lehrziele wurden auf diese Weise insbesondere im Rahmen der Kommunikativen Didaktik in der Rezeption der Sprechakttheorie formuliert, u. z. für alle Fertigkeitsbereiche (vgl. Baldegger/Müller/Schneider 1981, 24f.). Der unter a) zitierte Bereich der Sprachfähigkeit wurde deshalb bei der Überarbeitung des Zertifikats Deutsch als Fremdsprache in seinen Formulierungen entsprechend ange- paßt: „Lernziel Mündlicher Ausdruck Erreicht werden soll eine mündliche Ausdrucksfähigkeit, die den Lernenden befähigt, Ϫ seine Bedürfnisse, Wünsche, Meinungen und Gefühle in Situationen aus dem alltäglichen Bereich, einschließlich seines persönlichen Lebens- und Erfahrungsbereichs, verständlich und im Ausdruck angemessen zu äußern. Ϫ auf Aufforderungen, Bitten und Fragen in Situationen aus dem alltäglichen Bereich durch Erklärungen, Mitteilungen, Beschreibungen sprachlich angemessen zu reagieren und Ϫ sich an Gesprächen zu Themen aus dem alltäglichen Bereich mit Erklärungen, Mitteilungen, Beschreibungen der Meinungsäußerungen zu beteiligen“ (Zertifikat Deutsch als Fremdsprache 1992, 13) c) Lehrziele als Beschreibung von Aufgabenstellungen (vgl. Nunan 1988a, 44ff.; Candlin/ Murphy 1987; Legutke 1989). Lehrziele, die als Aufgaben formuliert sind, gehen von einer Analyse pragmatischer Betätigung bei der Fremdsprachenverwendung aus (vgl. Kap. 11) und formulieren diese als Arbeitsvorhaben für den Unterricht. Beispiel: Einkaufen im fremden Land Ϫ herausfinden, wo man in einer Stadt bestimmte Waren bekommt Ϫ Angebot und Preise vergleichen Ϫ etc. Aufgabenorientierter Unterricht verfolgt jedoch nicht nur ein pragmatisches Ziel, er will auch die Lernenden zu geistiger Aktivität und zu kooperativem Handeln anleiten. Aufgaben sollten deshalb so formuliert werden, daß Ϫ ein klares Ziel angegeben wird (Was ist zu tun?) Ϫ ein vorzeigbares Lernergebnis definiert wird (Was soll dabei herauskommen?) Ϫ Materialien (Texte; Bilder) eingesetzt werden (Was brauchen wir dazu?) Ϫ die Lernenden den Prozess der Erarbeitung der Aufgabe absprechen (Wie gehen wir vor?) Ϫ die Lernenden die Sozialformen des Lernens selbst bestimmen (Wie arbeiten wir zusammen?) Ϫ die Lerngruppe abschließend Verlauf und Ergebnis der Bearbeitung der Aufgabe bespricht (Was haben wir gemacht? Wie sind wir vorgegangen?) (vgl. Neuner 1994c). 11.2.2. Die kognitive Dimension In der historischen Entwicklung der Fremdsprachendidaktik und -methodik konzentrierte sich die Diskussion kognitiver Zielsetzungen auf die Bereiche „Sprachwissen“ und „landeskundliches Wissen“. Die neuere Fachliteratur fasst beide Dimensionen unter dem Begriff „deklaratives Wissen“ zusammen und erweitert die kognitive Dimension um den Bereich „prozedurales Wissen“ (Wolff 1990), das sich auf das Wissen um die effiziente Organisation des Lernprozesses (Zugriff auf Information; Lehrtechniken und -strategien) bezieht (vgl. Bimmel 1993; Rampillon 1995; Bimmel/Rampillon 1996). Bei der näheren Bestimmung des „Sprachwissens“ stehen in den älteren Konzepten zur Unterrichtsmethodik (etwa: GrammatikÜbersetzungs-Methode) unter der Zielsetzung der Vermittlung einer „Sprachlehre“ Kenntnisse der Baugesetze und Regeln der deutschen Sprache im Vordergrund. Unter dem Einfluß pragmatisch orientierter Entwürfe treten Kenntnisse von Sprachfunktion und Sprachgebrauch dazu (etwa: Kommunikative Didaktik). Bis heute wird die Frage nach dem Verhältnis von „Sprachkönnen“ und „Sprachwissen“ kontrovers diskutiert. Auch die Frage nach der Bedeutung landeskundlicher Kenntnisse beim Fremdsprachenerwerb wurde in der historischen Entwicklung der Fremdsprachendidaktik ganz unterschiedlich beantwortet. Landeskundliches Wissen kann als eigenständiges Ziel definiert sein (etwa in der Grammatik-Übersetzungs-Methode; ansatzweise auch im Interkulturellen Ansatz neuester Prägung), sie kann aber auch unter sprachpraktische Ziele subsummiert erscheinen (etwa im Konzept 80982. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Fremdsprache der Audiolingualen Methode und in den ersten Entwürfen zur Kommunikativen Didaktik; vgl. Pauldrach 1987; Neuner 1994b). 11.2.3. Die affektive Dimension Dass die für den Fremdsprachenunterricht charakteristische Begegnung mit fremden Ländern, Kulturen und Menschen, die Lernenden auch emotional berührt, ist selbstverständlich. Auch ist aus der Vorurteilsforschung bekannt, dass vorgeprägte Haltungen und Einstellungen das Verhalten der Menschen im Umgang miteinander nachhaltiger beeinflussen können als „abstraktes“ Wissen. Als besonders wichtige Ziele werden deshalb Offenheit, Toleranz und Kommunikationsbereitschaft genannt (Doye´ 1995). Sie bleiben allerdings in ihrer näheren Bestimmung ziemlich vage. Kognitives und affektives Lernen sind im Fremdsprachenunterricht untrennbar miteinander verbunden (Hermann 1981): wie Wissen ausgewählt, perspektiviert und wie es den Lernenden angeboten wird, hat Auswirkungen auf ihre Haltung der fremden Welt gegenüber. Von dieser Erkenntnis her versucht die Interkulturelle Fremdsprachendidaktik die Begegnung mit der fremden Welt im Fremdsprachenunterricht als offenen Prozess von Wahrnehmung und Bedeutungshandlung bewußt zu gestalten (Rollendistanz; Empathie; Ambiguitätstoleranz als Qualifikationen des Umgangs mit dem Fremden) (Neuner 1994a). 12. Literatur in Auswahl Achtenhagen, Frank (1995): Lehr- und Lernziele. Curriculumforschung. In: Bausch/Christ/Krumm (Hg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht, 3. Aufl., 461Ϫ466. Baldegger, Markus; Martin Müller; Günther Schneider (1981): Kontaktschwelle Deutsch als Fremdsprache. München (Strassburg: Europarat 1980). Bausch, Karl-Richard; Herbert Christ; Werner Hüllen (Hg.) (1985): Forschungsgegenstand Richtlinien, Tübingen (Arbeitspapiere der 5. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunter- richt). Ϫ; Herbert Christ; Hans-Jürgen Krumm (Hg.) (1995): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen/Basel (3. Aufl.). Bimmel, Peter (1993): Lernstrategien im Deutschunterricht. In: Fremdsprache Deutsch 8, 4Ϫ11. Ϫ; Ute Rampillon (1996): Lernerautonomie und Lernstrategien. München (Fernstudieneinheit). Bloom, Benjamin S. (Hg.) (1976): Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich. Weinheim (5. Aufl.). Breen, Michael (1987): Contemporary paradigms in syllabus design, parts 1 and 2. In: Language Teaching. 20, nos 2 and 3, 81Ϫ92, 147Ϫ174. Brockmeyer, Richard (1977): Rahmenrichtlinien. In: Konrad Schröder; Thomas Finkenstaedt (Hg.): Reallexikon der englischen Fachdidaktik. Darmstadt, 196Ϫ199. Candlin, Christopher N.; Derek F. Murphy (1987): Tasks in language learning. Englewood Cliffs. Clark, John L.; John Hamilton (1984): Syllabus guidelines 1: communication. London. Deutscher Volkshochschulverband; Goethe-Institut (Hg.) (1972): Das Zertifikat Deutsch als Fremdsprache. Bonn (Neubearbeitung 1992). Der fremdsprachliche Unterricht, 15 (1981): Themenheft „Richtlinien“. Doye´, Peter (1995): Lehr- und Lernziele. In: Bausch/Christ/Krumm (Hg.), 161Ϫ166. Freudenstein, Reinhold (1985): Richtlinien „berichten“ Ϫ sonst nichts? In: Bausch/Christ/Hüllen/ Krumm (Hg.), 45Ϫ49. Frey, Karl (1972): Theorien des Curriculums. Weinheim (2. Aufl.). Hentig, Hartmut v. (1970): Curriculumreform als Gegenstand der Schule. In: Wirtschaft und Wissenschaft 16, 23Ϫ28. Hermann, Gisela (1981): Affektives Lernen im landeskundlichen Unterricht. Ein sozialpsychologischer Ansatz. In: Dieter Buttjes (Hg.): Landeskundliches Lernen im Englischunterricht. Paderborn, 50Ϫ62. Hesse, Hans A.; Wolfgang Manz (1972): Einführung in die Curriculumforschung. Stuttgart. Heuer, Helmut (1977): Lehrplan. In: Schröder/Finkenstaedt (Hg.), 126Ϫ130. Katwijker Empfehlungen zur Curriculumentwicklung. Ergebnisse eines Kolloquiums vom 20. 3.Ϫ4. 4. 1992 in Katwijk/Niederlande. Unveröffentlichtes Manuskript. Goethe-Institut/München. (Breitung, Horst: Redaktion) Legutke, Michael (1989): Lebendiger Englischunterricht. Kommunikative Aufgaben und Projekte für schüleraktiven Fremdsprachenunterricht. Bochum. Mager, Robert F. (1965): Lernziele und programmierter Unterricht. Weinheim. Neuner, Gerhard (Hg.) (1979): Zur Analyse fremdsprachlicher Lehrwerke. Frankfurt/M. Ϫ (1988): Towards universals of content in the foreign language curriculum: a cognitive-anthropological appraoch. In: Language, Culture, and Curriculum 1, 33Ϫ52. Ϫ (1994a): Fremde Welt und eigene Wahrnehmung. Konzepte von Landeskunde im fremdsprachlichen Deutschunterricht. Kassel. 810 XI. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand II Ϫ (1994b): LehrwerkforschungϪLehrwerkkritik. In: Bernd Kast, Gerhard Neuner (Hg.): Zur Analyse, Begutachtung und Entwicklung von Lehrwerken für den fremdsprachlichen Deutschunterricht. München, 8Ϫ22. Ϫ (1994c): Aufgaben und Übungsgeschehen im Deutschunterricht. In: FD 10, 6Ϫ13. Ϫ; Hans Hunfeld (1993): Methoden des fremdsprachlichen Deutschunterrichts. Eine Einführung. München (Fernstudieneinheit). Nunan, David (1988a): Syllabus Design. Oxford. Ϫ (1988b): The Learner-Centred Curriculum. Cam- bridge. Pauldrach, Andreas (1987): Eine unendliche Geschichte: Anmerkungen zur Situation der Landeskunde in den 90er Jahren. In: DF 6, 4Ϫ15. Piepho, Hans-Eberhard (1974): Kommunikative Kompetenz als übergeordnetes Lernziel im Englischunterricht der Sekundarstufe I. Dornburg-Frickhofen. Ϫ (1985): Zur Bedeutung von Richtlinien für den Deutsch- als Fremdspracheunterricht als generatives Modell für die Entwicklung von Lehrmaterialien und als Grundlage der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften. In: Bausch/Christ/Hüllen/ Krumm (Hg.), 119Ϫ123. Plucinski, Grzegorz; u. a. (1995): Curriculum Deutsch als Fremdsprache für fortgeschrittene Lerner der Gymnasialstufen. 1Ϫ4, Warschau. Rampillon, Ute (1995): Lernen leichter machen. Deutsch als Fremdsprache. München. 83. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache 1. Deutsch als Zweitsprache: zur Sprachregelung 2. Die historische und soziale Dimension des Themas: eine Einleitung 3. Deutsch als Zweitsprache/Erwachsene 4. Kinder und Jugendliche 5. Kontakte 6. Literatur in Auswahl 1. Deutsch als Zweitsprache: zur Sprachregelung Der Begriff Deutsch als Zweitsprache wird bekanntlich in unterschiedlichen Kontexten und Konnotationen verwendet und kann dann so unterschiedliches bedeuten wie: (1) das konkrete Deutsch von Zweitsprachen- lernern; Robinsohn, Saul B. (1971): Bildungsreform als Revision des Curriculum. 3. Aufl. NeuwiedϪBerlin. Sauer, H. (1985): Anmerkungen zum Thema Richtlinien als Forschungsgegenstand der Fremdsprachendidaktik. In: Bausch/Christ/Hüllen/Krumm (Hg.), 130Ϫ134. Schröder, Konrad (1982): Vorwort. In: Die Neueren Sprachen 81, 1, 2Ϫ4 (Themenheft: Lehrplan und Prüfungsordnung). van Ek, Jan A. (1977): The Threshold Level For Modern Language Learning In Schools. London (Straßburg: Europarat, 1976). Westphalen, Klaus (1985): Lehrplan Ϫ Richtlinien Ϫ Curriculum. Stuttgart. White, Ronald V. (1988): The ELT Curriculum. Ox- ford. Wilkins, David A. (1976): Notional Syllabuses. Ox- ford. Wolff, Dieter (1990): Zur Bedeutung des prozeduralen Wissens bei Verstehens- und Lernprozessen im schulischen Fremdsprachenunterricht. In: DNS 6, 22Ϫ38. Yalden, Janice (1983): The Communicative Syllabus. Oxford. Ϫ (1987): Principles of Course Design for Language Teaching. Cambridge. Zimmermann, Günther (1995): Das sprachliche Curriculum. In: Bausch/Christ/Krumm (Hg.), 135Ϫ142. Gerhard Neuner, Kassel (Deutschland) (2) das Unterrichtsfach, das die Vermittlung des Deutschen an Zweitsprachenlerner zum Gegenstand hat (vgl. Art. 5); (3) die (Teil-)Disziplin der Wissenschaften vom Lehren und Lernen der Sprachen, die sich mit dem Erwerb des Deutschen durch Zweitsprachenlerner sowie mit dessen unterrichtlicher Vermittlung beschäftigt. Gelegentlich wird dabei Deutsch als Zweitsprache zudem in allen drei Kontexten synonym mit Deutsch als Fremdsprache gebraucht, analog zum Verständnis des Terminus German as a Second Language im englischsprachigen Raum. Im folgenden Text wird Deutsch als Zweitsprache v. a. in der Bedeutung (3) gebraucht; die Verwendungen (1) und (2) werden ggf. explizit gemacht. Andere als die in (1)Ϫ(3) formulierten Varianten entsprechen dagegen