X. Sprachenlehren: Zielsetzungen und Methoden1052 117. Fachsprachenvermittlung6238 1. Fachsprachen und Fachkommunikation6239 2. Didaktik und Methodik der Fachsprachenvermittlung6240 3. Vermittlung von Wissenschaftssprache6241 4. Literatur in Auswahl6242 1. Fachsprachen und Fachkommunikation6243 Komplexe Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine Fülle von Praxen auf-6244 weisen, an denen nicht alle Mitglieder der Gesellschaft beteiligt sind. Diese Praxen sind6245 von der Elementarpraxis abgeleitet. Sie ruhen auf ihr auf, sind aber nicht von ihr unab-6246 hängig (Beispiel: Nicht jeder fährt Auto, aber die rote Ampel gilt für Autofahrer und6247 Fußgänger gleichermaßen). Die abgeleiteten Praxen haben spezifische sprachliche Erfor-6248 dernisse, so z. B. Begriffe von Gegenständen zu benennen, die nicht Teil der Elementar-6249 praxis sind (Thielmann 2004). Der Terminus „Fachsprache“ ist also eine Metapher:6250 „Fachsprachen“ sind Varietäten, die geeignet sind, die spezifischen sprachlichen Bedürf-6251 nisse abgeleiteter Praxen zu bedienen. Sie sind keine selbständigen Sprachsysteme (Fluck6252 1996; Buhlmann und Fearns 2000: 11Ϫ80). Fachkommunikation ereignet sich im Dis-6253 kurs, wenn die Kommunizierenden kopräsent sind (z. B. Laborkommunikation, vgl.6254 Chen 1995), oder durch Texte, wenn das sprachliche Handeln zur Überwindung einer6255 zerdehnten Sprechsituation verdauert werden muss (Ehlich 1983); vgl. auch Kap. VI6256 (Art. 45Ϫ51).6257 Diese Beobachtungen und Unterscheidungen sind für die Zielsetzungen und die In-6258 halte einer Fachsprachendidaktik und die Methodik der Fachsprachenvermittlung im6259 Zusammenhang von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache von grundlegender Bedeu-6260 tung.6261 2. Didaktik und Methodik der Fachsprachenvermittlung6262 Eine Didaktik der Fachsprachenvermittlung im Zusammenhang von Deutsch als Fremd-6263 und Zweitsprache ist nicht zielgruppenunabhängig zu entwerfen (2.1) und ist auf die6264 kommunikativen Bedürfnisse der Lerner zu beziehen (2.2). Die Methodenwahl ist insbe-6265 sondere davon abhängig, inwieweit spezifisch fachsprachliche Elemente in der Zielspra-6266 che bzw. in der Erstsprache der Lerner reflektiert werden können (2.3).6267 2.1. Zielgruppen6268 Für den fachsprachlichen Deutsch als Fremdsprache-Unterricht typische Situationen6269 sind z. B. die Vermittlung des Deutschen in schulischen (z. B. im Rahmen des „Fach- und6270 Sprachintegrierten Unterrichts“ (CLIL)) und universitären Zusammenhängen, u. U.6271 117. Fachsprachenvermittlung 1053 auch mit fachlicher Ausrichtung (z. B. Wirtschaftsdeutsch), oder im Rahmen der Erwach- 6272 senenbildung. Unterricht in Kleingruppen oder Einzelunterricht erfolgt z. B. dann, wenn 6273 Angehörige bestimmter Institutionen auf einen zeitweiligen Aufenthalt in Deutschland 6274 und dessen spezifische sprachliche Erfordernisse (z. B. Diplomatie, Militär, Nachrichten- 6275 dienst) vorzubereiten sind. Besondere Anforderungen entstehen im Zusammenhang der 6276 Vorbereitung ausländischer Studierender auf die deutsche Wissenschaftssprache (3). 6277 Für Deutsch als Zweitsprache typische Situationen sind z. B. berufsvorbereitender 6278 sowie berufsbegleitender Deutschunterricht (vgl. Art. 126) für Migranten, wobei auch in 6279 den nicht fachspezifisch ausgerichteten Integrationskursen fachliche Anteile vorgesehen 6280 sind (z. B. Verwaltungssprache). Eine besondere Herausforderung für die Schulsituation 6281 ist die Tatsache, dass der deutschsprachige Fachunterricht für nicht deutschsprachige 6282 Kinder immer per se auch Sprachunterricht ist. 6283 2.2. Didaktik der Fachsprachenvermittlung 6284 Die Tatsache, dass Fachsprachen Varietäten sind, führt sofort auf die Einsicht, dass für 6285 eine Didaktik der Fachsprachenvermittlung keine allgemeine Zielstellung Ϫ und damit 6286 auch keine allgemein verbindlichen Inhalte Ϫ zu formulieren sind. Im Gegensatz zur 6287 gemeinsprachlichen Kompetenz, die darin zu sehen ist, dass Lerner die sprachlichen An- 6288 forderungen der gesellschaftlichen Elementarpraxis bewältigen können, führt jede auf 6289 solcher Kompetenz aufbauende Einführung in fachsprachliche Kommunikation in 6290 sprachliche Bereiche, die nur noch für bestimmte gesellschaftliche Gruppen relevant sind. 6291 So lässt sich allgemein nur folgendes sagen: Da Fachsprachen Varietäten sind, also be- 6292 stimmte gemeinsprachliche Mittel auf besondere Weise und mit besonderer Häufigkeit 6293 nutzen, ist es wohl i. d. R. nicht sinnvoll, bereits auf eine fachkommunikative Kompetenz 6294 hinzuarbeiten, wenn die gemeinsprachliche Kompetenz noch nicht erreicht ist (s. hierzu 6295 auch Funk 2001, 964). Darüber hinaus gilt: „Die Formulierung konkreter Lernziele ist, 6296 wenn sie sinnvoll sein soll, das Ergebnis einer möglichst genauen Bedarfsanalyse“ (Buhl- 6297 mann und Fearns 2000: 88). 6298 Worum es zielgruppenspezifisch gehen könnte, sei an einem kleinen Beispieltext de- 6299 monstriert. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einem Text, der Bürgern die Ausfül- 6300 lung ihres Einkommensteuerformulares erleichtern soll: 6301 In dieser Zeile sind solche Einkommensersatzleistungen anzugeben, die zwar steu- 6302 erfrei sind, aber die Höhe der Steuer auf die steuerpflichtigen Einkünfte beeinflus- 6303 sen und nicht in den Zeilen 25 bis 27 der Anlage N einzutragen sind. Derartige 6304 Einkommensersatzleistungen sind z. B. das aus der gesetzlichen Krankenversiche- 6305 rung gezahlte Krankengeld, das Eltern- und das Mutterschaftsgeld, das Gewerbe- 6306 treibende, Freiberufler oder Landwirte erhalten. 6307 (Anleitung zur Einkommensteuererklärung 2007) 6308 Man erkennt in diesem Ϫ keineswegs gemeinsprachlichen Ϫ Textstück typisch fach- 6309 sprachliche Nutzungen deutscher syntaktischer Mittel und Wortbildungsverfahren, so 6310 z. B. die mit den Konnektoren zwar … aber sowie und gleichgeordneten Attributsätze, 6311 die häufig als Passiversatzform bezeichnete ist zu-Konstruktion, das Partizipialattribut 6312 (aus der gesetzlichen Krankenversicherung gezahlte), Komposition (Mutterschaftsgeld) 6313 X. Sprachenlehren: Zielsetzungen und Methoden1054 und deverbale Ableitung (Anlage, Leistung). Wenn solche Strukturen auch häufiger in6314 fachsprachlichen Texten anzutreffen sind, so sind sie dennoch auch in der Gemeinsprache6315 üblich (vgl. das Auto, das zwar alt, aber noch gut in Schuss war; dieses Auto ist nicht zu6316 verkaufen; unser kürzlich renoviertes Haus; Wohnzimmer; Wohnung). Bei Kurskonzeptio-6317 nen, die auf die Möglichkeit späterer fachsprachlicher Qualifizierung abzielen, wären6318 solche sprachlichen Mittel und Strukturen verstärkt zu berücksichtigen und Ϫ im Sinne6319 der Konzeption des autonomen Lernens Ϫ als Instrumentarium der Sinnerschließung6320 zu vermitteln.6321 Abgesehen von diesen Mitteln und Strukturen dürfte eine der Hauptschwierigkeiten6322 dieses Textstücks für Lerner jedoch darin bestehen, sich das begriffliche Wissen anzueig-6323 nen, das durch Termini wie Einkommensersatzleistung oder Gewerbetreibender benannt6324 wird. Mit anderen Worten: Die didaktischen Entscheidungen bei der Fachsprachenver-6325 mittlung werden auch davon beeinflusst, ob im Wesentlichen „nur“ sprachliche Struktu-6326 ren oder auch Konzepte zu vermitteln sind. Bezogen auf die Zielgruppen gilt:6327 a) In der DaF-Situation erfolgt auf den höheren Stufen typischerweise eine Einfüh-6328 rung in die Erfordernisse des sprachlichen Handelns in Institutionen, wo DaF-Lehrer6329 auch (u. U. interkulturell sensibilisiert und landeskundlich hochinformiert) als Vermittler6330 von Konzepten zu agieren haben. An Universitäten kann darüber hinaus auch eine Ein-6331 führung in die Wissenschaftssprache notwendig werden (s. Abschnitt 3). Im fachspezifi-6332 schen Kleingruppen- oder Einzelunterricht ist neben dem begrifflichen Wissen auch häu-6333 fig eine sehr gute Kenntnis (und u. U. auch produktive Beherrschung) fachlicher Textar-6334 ten zu vermitteln.6335 b) In der DaZ-Situation gilt für allgemeine Sprachkurse, dass ebenfalls vor allem6336 institutionelle Konzepte, und zwar i. d. R. interkulturell, zu vermitteln sind. Dies gilt6337 auch für berufsvorbereitende Sprachkurse, die vor allem eine berufsfeldübergreifende6338 institutionelle sprachliche Handlungskompetenz herzustellen haben. Bei berufsbegleiten-6339 den Sprachkursen ist zu differenzieren zwischen einer Situation, in der eine einschlägige6340 fachliche Vorqualifikation vorhanden ist (Schmidt 2000), und einer Vermittlungssitua-6341 tion, in der die konzeptuelle Kompetenz zusammen mit der fachsprachlichen aufzubauen6342 ist. Zu den Lernzielen besonders im Rahmen der DaZ-Situation gehört darüber hinaus6343 die Fähigkeit, die sprachlichen Anforderungen der arbeitsplatzbezogenen Kommunika-6344 tion (z. B. mit Kollegen, mit Vorgesetzten, mit der Personalabteilung, mit dem Betriebsrat6345 etc.) und der berufsbezogenen Kommunikation (z. B. Material anfordern, einen Auftrag6346 erteilen, eine Reklamation bearbeiten) mündlich und schriftlich bewältigen zu können (s.6347 IQ- Arbeitspapier „Berufsbezogener Deutschunterricht Ϫ Qualitätskriterien“).6348 2.3. Methodik der Fachsprachenvermittlung6349 Da Fachsprachenvermittlung immer zugleich Sprachvermittlung ist, kann die Methodik6350 der Fachsprachenvermittlung im Prinzip auf die Fülle der im Zusammenhang von DaF6351 und DaZ ausgearbeiteten Verfahren zurückgreifen. Die starke Zielgruppenabhängigkeit6352 der Inhalte hat schon vor einiger Zeit vor allem für DaZ-Zusammenhänge sehr spezifi-6353 sche Konzeptionen und Materialien entstehen lassen, so z. B. die „Handreichung Fach-6354 sprache in der Berufsausbildung ausländischer Jugendlicher“ (Albers et al. 1987), das für6355 ausländische Pflegekräfte konzipierte „Deutsch im Krankenhaus“ (Firnhaber-Sensen6356 und Schmidt 1994) oder das einen authentischen Geschäftsfall nachvollziehende, auf6357 117. Fachsprachenvermittlung 1055 Zertifikatsniveau aufbauende „Dialog Beruf 3“ (Becker und Braunert 1998). Dennoch 6358 werden Lehrende gerade im Bereich der „berufsorientierten Deutschkurse“ auch in Zu- 6359 kunft nicht umhinkommen, „einen Großteil der Materialien im und für den Unterricht 6360 zu erstellen“ (IQ-Arbeitspapier „Berufsbezogener Deutschunterricht Ϫ Qualitätskrite- 6361 rien“), da die Anforderungen gerade im Bereich der beruflichen Weiterqualifikation sehr 6362 spezifisch sein können: Lerner, deren Ziel es ist, zunächst einmal eine berufsqualifizie- 6363 rende Prüfung zu bestehen, werden sich u. U. ausführlich mit der Textart Textaufgabe 6364 auseinandersetzen müssen, was für Lerner, deren Ziel die Beherrschung branchenüblicher 6365 Kommunikationsformen ist, Zeitverschwendung wäre. 6366 Während die Funktionalität fachsprachlich relevanter Mittel und Strukturen in Tex- 6367 ten bereits seit langem untersucht wird und recht gut verstanden ist, um methodisch 6368 vermittelt werden zu können, mangelt es immer noch an einschlägigen Untersuchungen 6369 zu sprachlichen Strukturen im fachlichen Diskurs. Hierzu ein Beispiel aus der Labor- 6370 kommunikation: 6371 F: 208) Jetzt hört man nichts mehr, 209) Jetzt ist die Vakuum- 6372 A: 6373 F: pumpe belüftet. 6374 A: 210) So, 211) jetzt stelle ich hier das Ölbad 6375 212) dreht die 6376 F: 6377 A: runter 6378 Hebebühne herunter 6379 Abb. 117.1: Das „Zustandspassiv“ in der Laborkommunikation (aus Chen 1995: 67) 6380 Nach der Analyse von Chen (1995: 67; vgl. dazu auch Redder 1995) wird durch die 6381 Struktur ist …belüftet in Segment 209 der Abschluss einer Handlungsphase kommuni- 6382 ziert, der die Möglichkeit für Anschlusshandlungen eröffnet Ϫ eine Bestimmung, die, 6383 zunächst auf den Diskurs bezogen, weiter führt als die traditionelle Unterscheidung in 6384 Vorgangs- und Zustandspassiv (z. B. Buhlmann und Fearns 2000: 19). Hier müssen die 6385 empirischen Grundlagen der Methodik der Fachsprachenvermittlung noch weiter ausge- 6386 baut werden. 6387 Der Konsens in der Fachsprachendidaktik, Lerner zum eigenständigen Umgang mit 6388 Fachkommunikation anzuleiten, hat zur Konsequenz, dass sprachliche Mittel und Struk- 6389 turen sowie Wissen über fachspezifische Textarten und Kommunikationszusammenhänge 6390 nicht als Regeln, sondern als Instrumente der selbstgesteuerten Aneignung fachlichen 6391 Wissens und fachlicher Kommunikation vermittelt werden. Hierbei ist zu berücksichti- 6392 gen, dass Lerner hinsichtlich des Umgangs mit Wissen verschieden sozialisiert sein kön- 6393 nen und an eine solche, auch zu den beruflichen Schlüsselqualifikationen zählende Selb- 6394 ständigkeit erst interkulturell sensibilisiert heranzuführen sind (Buhlmann und Fearns 6395 2000: 103Ϫ114). 6396 Die konzeptuellen Benennungserfordernisse fachlicher Praxen übersteigen bei weitem 6397 den Nennwortanteil gemeinsprachlicher Wortschätze. Neben den Grundstrategien der 6398 Entlehnung und der Wortbildung wird diesem Sachverhalt durch das Verfahren der Ter- 6399 minologisierung entsprochen, was dazu führt, dass ein gemeinsprachlicher Ausdruck in 6400 verschiedenen Fachsprachen verschiedene Fachbegriffe benennen kann (vgl. Arbeit in der 6401 X. Sprachenlehren: Zielsetzungen und Methoden1056 Physik und in der Volkswirtschaft oder Gruppe in der Soziologie und in der Mathematik).6402 Diese Phänomene verstellen tendenziell den Blick auf die Komplexität der begrifflichen6403 Seite von Fachterminologie: Kraft in der Physik ist ein mathematischer Zusammenhang6404 zwischen Messgrößen; Appendix in der Medizin ein in allen nicht operierten Menschen6405 gleichermaßen anzutreffender Organbestandteil; Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine Or-6406 ganisationsform, die bestimmte rechtliche Handlungsmöglichkeiten eröffnet und andere6407 ausschließt (Thielmann 2004). Sind bei den Lernern bereits fachbegriffliche Kenntnisse6408 vorhanden, so kann das Hauptaugenmerk auf die terminologische Arbeit gerichtet wer-6409 den. Sind aber die begrifflichen Voraussetzungen auch in der Erstsprache nicht da, müs-6410 sen sie im fachsprachlichen Unterricht tendenziell mitgeliefert werden, was vor allem in6411 der DaZ-Situation ein großes Problem darstellt, da hier komplexe Begriffe mit einfachs-6412 ten Mitteln zu thematisieren sind. Hierzu wären einige der von Wierzbicka (1985) vorge-6413 stellten Strategien zur lexikalischen Vereinfachung der Explikationen komplexer Kon-6414 zepte noch methodisch fruchtbar zu machen.6415 3. Vermittlung von Wissenscha tssprache6416 Ein erheblicher Teil der akademischen Sozialisation Studierender ist Sozialisation in Wis-6417 senschaftskommunikation. Wissenschaftskommunikation ist zwar auch Fachkommuni-6418 kation, aber sie hat gegenüber reiner Fachkommunikation noch einige spezifische Züge,6419 denen gerade bei der Vermittlung des Deutschen als fremder Wissenschaftssprache be-6420 sonders Rechnung getragen werden muss (vgl. Art. 47Ϫ49). Die Autoren wissenschaftli-6421 cher Texte teilen i. d. R. nicht einfach ein Wissen zu Informationszwecken mit, sondern6422 versuchen, über ihre Texte ein neues Wissen gegen den vorhandenen Kenntnisstand durch-6423 zusetzen. In der Wissenschaft ist Wissen grundsätzlich strittig, und dieses streitende Ver-6424 hältnis zum Wissen ist in die Texte als eristische Struktur (Ehlich 1993) eingeschrieben.6425 Diese eristischen Strukturen stellen für Lerner aus zwei Gründen besondere Schwierig-6426 keiten dar: Eine interkulturelle, falls sie aus einer anderen Wissens- und Wissenschafts-6427 tradition kommen, und eine sprachliche, da gerade die eristischen Strukturen als solche6428 nur schwer erkennbar sind (vgl. Thielmann 2006). Hierzu ein Beispiel: In einem Aufsatz6429 zum Zweitspracherwerb schreibt Grießhaber:6430 Schließlich ist ein Ansatz erforderlich, der sowohl die Ausgangssprache(n) wie6431 auch die Zielsprache so analysiert, dass die Resultate vergleichbar sind.6432 (Grießhaber 2001: 20)6433 Wer um die lange Tradition der Kontrastiven Linguistik weiß (s. Kapitel VII), kann nicht6434 umhinkommen, diesen Satz so zu lesen, dass Grießhaber hier der kontrastiven Linguistik6435 vorwirft, sie sei ihrem Geschäft nicht nachgekommen. Die illokutive Qualität des Vor-6436 wurfs erschließt sich dem Leser aber nicht aufgrund illokutiver Indikatoren, sondern6437 daraus, dass Grießhaber ein komplexes Vorwissen unterstellt: Wenn trotz der Bemühun-6438 gen der kontrastiven Linguistik immer noch „ein Ansatz erforderlich ist“, der bei der6439 Analyse verschiedener Sprachen zu vergleichbaren Resultaten führt, dann ist die kontras-6440 tive Linguistik ihrem Geschäft nicht nachgekommen, dann besteht ein Forschungsdeside-6441 rat. Die gemeinsprachliche Struktur ist … erforderlich wird in Verbindung mit dem Rede-6442 hintergrund einer strittigen Wissensentwicklung zu einer eristischen. Die Schwierigkeiten6443 117. Fachsprachenvermittlung 1057 bei der Vermittlung des Deutschen als fremder Wissenschaftssprache rühren, wie ein- 6444 schlägige Untersuchungen z. B. zum wissenschaftlichen Protokoll (Moll 2001) und zur 6445 studentischen Seminararbeit (Stezano-Cotelo 2006) gezeigt haben, daher, dass ausländi- 6446 sche Studierende in noch wesentlich stärkerem Maße als ihre muttersprachlichen Kom- 6447 militonen an diese eristische Qualität wissenschaftlicher Kommunikation herangeführt 6448 werden müssen, da sie sonst Gefahr laufen, wissenschaftliche Texte als informative Texte 6449 zu lesen und ihnen so der Dreh- und Angelpunkt wissenschaftlicher Kommunikation 6450 entgeht. Eine produktive Beherrschung dieser gemeinsprachlichen Ressourcen, der fach- 6451 übergreifenden alltäglichen Wissenschaftssprache (Ehlich 1995), erfordert, wie das fol- 6452 gende Beispiel zeigt, neben einer komplexen semantischen auch eine nicht unerhebliche 6453 syntaktische Kompetenz: 6454 Während sich die deutschsprachige Heidegger-Forschung bislang vor allem der 6455 Wissenschaftskritik zuwandte, wird besonders unter amerikanischen Philosophen seit 6456 den 60er Jahren eine intensive Debatte um Heideggers ,philosophy of science‘ als 6457 Konzept post-metaphysischer/-positivistischer Wissenschaftstheorie geführt. 6458 (Wolf 2003: 95; Hvg. d. Verf.) 6459 Die Didaktik und Methodik der Wissenschaftssprachvermittlung bedarf demnach dring- 6460 ender Information durch weitere linguistische Untersuchungen, die sprachliche Mittel im 6461 Zusammenhang der Verfolgung genuin wissenschaftlicher Zwecke charakterisieren und 6462 unter dieser Fragestellung auch komparativ vorgehen (s. Ehlich 1993: 34). 6463 4. Literatur in Auswahl 6464 Albers, Hans-Georg, Hermann Funk, Reimer Grundmann, Gerhard Neuner und Andrea Zielke 6465 1987 6466Handreichung Fachsprache in der Berufsausbildung ausländischer Jugendlicher. Bonn: Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft. 6467 Anleitung zur Einkommensteuererklärung 2007. 6468 6469http://www.steuer.bayern.de/vordrucke/01_est/2007/print/anltg_est1a_07.pdf [16. 6. 2008]. Becker, Norbert und Jörg Braunert 6470 1998 6471Dialog Beruf 3. Ismaning: Hueber. Berufsbezogener Deutschunterricht Ϫ Qualitätskriterien 6472 6473(formuliert im Zusammenhang des Themenschwerpunktes „Berufsbezogenes Deutsch“ des IQ-Netzwerks): http://www.teil4.de/intqua/pdf/qualitaetskriterien_deutsch.pdf [12. 6. 6474 08]. 6475 Buhlmann, Rosemarie und Anneliese Fearns 6476 2000 6477Handbuch des Fachsprachenunterrichts. 6. überarb. u. erw. Aufl. Tübingen: Narr. Chen, Shing-Lung 6478 1995 6479Pragmatik des Passivs in chemischer Fachkommunikation. Empirische Analyse von Labordiskursen, Versuchsanleitungen, Vorlesungen und Lehrwerken (ϭ Arbeiten zur Sprachana- 6480 lyse 23). Frankfurt a. M.: Lang. 6481 Ehlich, Konrad 6482 1983 6483Text und sprachliches Handeln. Die Entstehung von Texten aus dem Bedürfnis nach Überlieferung. In: Aleida Assmann, Jan Assmann und Christof Hardmeier (Hg.), Schrift 6484 und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation, 24Ϫ43. Mün- 6485 chen: Fink. 6486 Ehlich, Konrad 6487 1993 6488Deutsch als fremde Wissenschaftssprache. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache Bd. 19, 13Ϫ42. München: iudicium. 6489 X. Sprachenlehren: Zielsetzungen und Methoden1058 Ehlich, Konrad6490 19956491 Die Lehre der deutschen Wissenschaftssprache: sprachliche Strukturen, didaktische Desiderate. In: Heinz L. Kretzenbacher und Harald Weinrich (Hg.), Linguistik der Wissen-6492 schaftssprache, 325Ϫ352 (ϭ Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Forschungsbericht6493 10). Berlin: de Gruyter.6494 Firnhaber-Sensen, Ulrike und Gabriele Schmidt6495 19946496 Deutsch im Krankenhaus: Berufssprache für ausländische Pflegekräfte. Berlin/München: Langenscheidt.6497 Fluck, Hans-Rüdiger6498 19966499 Fachsprachen. Tübingen: Francke. Funk, Hermann6500 20016501 Berufsbezogener Deutschunterricht. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache: ein internationales Handbuch,6502 962Ϫ973. Bd. 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19.1Ϫ2).6503 Berlin/New York: de Gruyter.6504 Grießhaber, Wilhelm6505 20016506 Erwerb und Vermittlung des Deutschen als Zweitsprache. In: Deutsch in Armenien. Teil 1: 1/2001, 17Ϫ24; Teil 2: 2/2001, 5Ϫ15. Jerewan: Armenischer Deutschlehrerverband.6507 Auch online: http://spzwww.uni-muenster.de/~griesha/pub/tdaz-eri.pdf [19. 6. 2008]6508 IQ-Arbeitspapier „Berufsbezogener Deutschunterricht Ϫ Qualitätskriterien“6509 6510 http://www.kumulus-plus.de/fileadmin/pdf/lesetipps/qualitatskriterien_deutschunterricht_ passage.pdf [15. 9. 2009]6511 Kügelgen, Rainer v.6512 19926513 Diskurs Mathematik. Kommunikationsanalysen zum reflektierenden Lernen (ϭ Arbeiten zur Sprachanalyse 17). Frankfurt a. M.: Lang.6514 Moll, Melanie6515 20016516 Das wissenschaftliche Protokoll. Vom Seminardiskurs zur Textart: empirische Rekonstruktionen und Erfordernisse für die Praxis. München: iudicium.6517 Redder, Angelika6518 19956519 Handlungstheoretische Grammatik für DaF Ϫ am Beispiel des sogenannten “Zustandspassivs”. In: Norbert Dittmar und Martina Rost-Roth (Hg.), Deutsch als Zweit-und6520 Fremdsprache, 53Ϫ74. Frankfurt a. M.: Lang.6521 Schmidt, Gabriele6522 20006523 Teaching culture and language for specific purposes. In: Anthony Liddicoat and Chantal Crozet (Hg.): Teaching Languages, Teaching Cultures, 131Ϫ140. Canberra: Applied Lin-6524 guistics Association of Australia.6525 Stezano-Cotelo, Kristin6526 20066527 Die studentische Seminararbeit Ϫ studentische Wissensverarbeitung zwischen Alltagswissen und wissenschaftlichem Wissen. In: Konrad Ehlich und Dorothee Heller (Hg.), Die6528 Wissenschaft und ihre Sprachen, 87Ϫ114 (ϭLinguistic insights 52). Frankfurt a. M.: Lang.6529 Thielmann, Winfried6530 20046531 Begriffe als Handlungspotentiale. Linguistische Berichte 199: 287Ϫ311. Thielmann, Winfried6532 20066533 „… it seems that light is propagated in time …“ Ϫ zur Befreiung des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses durch die Vernakulärsprache Englisch. In: Konrad Ehlich und Do-6534 rothee Heller (Hg.), Die Wissenschaft und ihre Sprachen, 297Ϫ320. Frankfurt a. 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