54. Fachsprachen 533 54. Fachsprachen 1. Status und Definition(en) von Fachsprachen 2. Verwendungseigenschaften von Fachsprachen 3. Systemeigenschaften von Fachsprachen 4. Didaktisierung von Fachsprachen 5. Verweise 6. Literatur in Auswahl 1. Status und Definition(en) von Fachsprachen 1.1. Fachsprachen als Ergebnis und Ausdruck sprachlicher Differenzierung Sprachen leben nicht in Grammatiken und Wörterbüchern, sondern in ihrer ständigen Verwendung durch den Menschen. Sprachverwendung bei der Mitteilung von Empfindungen und Gedanken (kommunikative Funktion) wie auch beim Gewinn neuer Einsichten und Erkenntnisse (kognitive Funktion) führt zu Sprachwandel und Sprachdifferenzierung. Den Sprachwandel erfasst die Sprachwissenschaft in diachronischer Betrachtung als Sprachgeschichte sowohl sprachübergreifend als auch einzelsprachlich in Disziplinen wie historische Phonetik, historische Morphologie, historische Syntax oder historische Lexikologie. Die Sprachdifferenzierung ist in erster Linie Gegenstand der synchronischen Betrachtung von Einzelsprachen in Disziplinen wie Stilistik, Dialektologie und Soziolinguistik. In neuerer Zeit, deutlicher erkennbar seit den 60er Jahren des 20. Jh.s, hat sich auch die Fachsprachenforschung der Analyse sprachlicher Differenzierungsprozesse und ihrer Resultate angenommen. Die Untersuchung und Beschreibung sprachlicher Differenzierung hat ihren Ausgang von ganz unterschiedlichen Positionen genommen und auch ganz unterschiedliche Merkmale zu Differenzierungskriterien erhoben. Grob vereinfachend lässt sich sagen: Für die Stilistik sind Zweck und Wirkung ausschlaggebend; die Dialektologie geht von der räumlichen Verbreitung aus; die Soziolin-guistik interessiert sich für die Sprachverwendung in bestimmten gesellschaftlichen Schichten oder Gruppen; für die Fachsprachenforschung steht bzw. stand lange Zeit der Kommunikationsgegenstand im Vordergrund. Bei näherem Hinsehen und vor allem auch bei diachronischer Betrachtung ergeben sich allerdings z. T. beträchtliche Überschneidungen zwischen den sog. Diasystemen oder Sprachvarietäten, z. B. Soziolekt und Dialekt, Dialekt und Fachsprache, Fachsprache und Gruppensprache. In der Fachsprachenforschung werden neben dem Kommunikationsgegenstand zunehmend auch die Kommunikationspartner mit ihren Kommunikationsabsichten, die Kommunikationssituationen u. a. Faktoren berücksichtigt, z. B. das Kommunikationsmedium, die Kommunikationsgemeinschaft; die Statusfunktion, die internationale Rezeption usw. Da die Fachsprachenforschung sich relativ spät konstituiert hat und viele ihrer Vertreter sie zunächst neben oder im Rahmen der (Funktional-)Stilistik, der Soziolinguistik oder anderer linguistischer Disziplinen wie Lexikologie und Lexikographie, Terminologiearbeit, Übersetzungswissenschaft, ja sogar Rhetorik, Hermeneutik, Sprachkritik und Sprachdidaktik betrieben haben, sind recht unterschiedliche Vorstellungen vom Status der Fachsprachen entstanden, die ihren Ausdruck in unterschiedlichen Definitionen von Fachsprache und später Fachkommunikation gefunden haben. Die wichtigsten sollen im Folgenden knapp vorgestellt werden. 1.2. Fachsprachen als Funktionalstile bzw. Funktionalsprachen Sieht man von der „klassischen" Stilistik mit ihren Stilschichtmerkmalen (z. B. poetisch — gehoben — neutral — salopp — vulgär) ab, dann sind Differenzierungskriterien der Stilklassifikation vor allem Zweck und Wirkung der sprachlichen Äußerung; Untersuchungsund Beschreibungsgegenstand ist die Funktion bzw. Wirksamkeit der sprachlichen Mittel bei der Erfüllung des jeweiligen Zwecks. Die zweck- und wirkungsorientierte Funktionalstilistik wurde besonders deutlich von der Prager (z.B. Havränek 1932; 1942; Benes 1969; 1981) und der Moskauer (z.B. Riesel 1963; Kozina 1966; 1972) Schule repräsentiert; sie ist von der deutschen Fachsprachenforschung vor allem in der DDR rezipiert (z. B. Gläser 1979) und kritisch verarbeitet (vgl. Hoffmann 1987,31—44; Gläser 1998) worden. Gegenwärtig spielt sie nur noch eine geringe Rolle. Charakteristisch für die begriffliche Entwicklung in der funktionalstilistischen Konzeption ist die Triade Funktionalsprache — Funktionalstil — Fachstil. Die Vertreter der Prager Schule unterscheiden zunächst vier Funktionen der Literatursprache: 534 VII. Linguistische Gegenstände V: Sprachliche Varietäten des Deutschen (1) die kommunikative, (2) die praktisch spezielle, (3) die theoretisch spezielle, (4) die ästhetische. Den vier Funktionen sind vier funktionale Sprachen zugeordnet: (1) die Alltagssprache, (2) die Sachsprache, (3) die wissenschaftliche Sprache, (4) die poetische Sprache. Die Fachsprachen sind hier in (2) und (3) zu suchen. Die Weiterführung hin zu einer bestimmten Anzahl von funktionalen Stilen hat die Moskauer Schule am konsequentesten betrieben: (1) Stil des öffentlichen Verkehrs, (2) Stil der Wissenschaft, (3) Stil der Publizistik, (4) Stil des Alltagsverkehrs, (5) Stil der künstlerischen Literatur. Hier hat die Fachsprachenforschung an (2) angeknüpft und es war nur ein kleiner Schritt vom Funktionalstil der Wissenschaft (wissenschaftlichen Stil) zum Fachstil. Wie nahe beide beieinander liegen, zeigen zwei verbreitete Definitionen, nämlich die des Funktionalstils als „bestimmtes System sprachlicher Mittel, die zu einem bestimmten Zweck unter bestimmten Bedingungen der sprachlichen Kommunikation verwendet werden" (Mitro-fanova 1973, 11), und die des Fachstils als „für die Gestaltung eines Fachtextes charakteristische Auswahl und Anordnung sprachlicher Mittel, die in einem Gesamtzusammenhang von Absicht, Inhalt, Form und Wirkung der Aussage fungieren" (Gläser 1979, 26). Eine Gleichsetzung von Funktionalstil (insbes. Wissenschaftsstil) bzw. Fachstil und Fachsprache ist expressis verbis nie erfolgt, wohl aber so lange praktiziert worden, wie wissenschaftliche Texte nur im Rahmen der Stilistik und im Vergleich mit künstlerischen Texten beschrieben worden sind. Der Hauptmangel dieser Vorgehensweise lag darin, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf allgemeine Merkmale und Gemeinsamkeiten von Fachsprachen konzentrierte, deren innere Diffe-renziertheit aber unbeachtet ließ. 1.3. Fachsprachen als Varietäten Wenn davon die Rede ist, dass einzelne Menschen, besonders aber größere oder kleinere Gemeinschaften ihre Nationalsprache (Einzelsprache) unterschiedlich gebrauchen, dann operiert die Sprachwissenschaft mit Begriffen wie Varietät, Lekt, Subsprache, Existenzform u. a. m. Der Terminus Varietät betont die Abweichung von einem bestimmten Standard, der Terminus Lekt die besondere Lesart oder Sprechweise, der Terminus Subsprache die Unterordnung unter ein größeres Ganzes, der Terminus Existenzform die relative Selbständigkeit einer speziellen Teilmenge der Ge- samtsprache. Voraussetzung für die Wahrnehmung von Varietäten ist das Auftreten einer hinreichenden Anzahl gemeinsamer Merkmale, durch die sich die eine Varietät von den anderen unterscheidet, ohne dass dabei völlig unterschiedliche Teilsprachen der Gesamtsprache entstehen müssen. Variation der Gesamtsprache ist vielmehr ein Kontinuum mit unterschiedlichen Variationsgraden. Dennoch tritt das Kontinuum als etwas Gegliedertes, Diskontinuierliches mit Verschiedenheiten in der sprachlichen Form und Struktur, eben in Gestalt von Varietäten auf. Die traditionelle Klassifizierung hat mit drei Arten von Varietäten gearbeitet: regionale (Dialekte), soziale (Soziolekte) und funktionale bzw. situative (Funktionalstile; Register) Varietäten. In der neueren Literatur werden diese als diatopische bzw. geographische, diastratische bzw. soziale und diaphasische bzw. funktional-kontextuelle Varietäten bezeichnet. Die Fachsprachen lassen sich am ehesten der dritten Klasse zurechnen, wenn man damit auch nicht allen ihren Besonderheiten gerecht wird. Vernachlässigt werden dabei vor allem die Spezifik des Kommunikationsgegenstandes und die innere Differenziertheit der Fachsprachen. In der Verallgemeinerung „zeichnet sich eine sprachliche Varietät dadurch aus, daß gewisse Realisierungsformen des Sprachsystems in vorhersehbarer Weise mit gewissen sozialen und funktionalen Merkmalen der Sprachgebrauchssituation kookkurieren. Wenn eine Menge von gewissen miteinander kongruierenden Werten für bestimmte sprachliche Variablen (d. h. gewisse Realisierungen gewisser Formen, die in der Gesamtheit der Sprache mehr Realisierungen zulassen) zusammen mit einer gewissen Menge von Merkmalen auftreten, die die Sprecher und/oder die Gebrauchssituationen kennzeichnen, dann können wir eine solche Menge von Werten als sprachliche Varietät bezeichnen" oder „eine Varietät als Subsystem eines Systems mit einer ihr eigenen Norm [...] verstehen" (Ber-ruto 1987, 264f.). Das träfe in einem sehr weiten Sinne auf die Produktion und Rezeption von Fachtexten durch Fachleute im Zusammenhang mit ihrer fachlichen Tätigkeit zu und käme der Auffassung von Fachsprachen als Subsprachen nahe. Die Fachsprachen wären in dieser Sicht Varietäten, die in der Summe mit allen anderen Varietäten die National- bzw. Gesamteinzelsprache ausmachen und in ihr einen gemeinsamen Kern haben. Näheres zu den Varietäten s. Halliday/McIn- 54. Fachsprachen 535 tosh/Strevens (1964,81-98); Baily (1973); Klein (1974); Nabrings (1981); zum Verhältnis von Varietäten und Fachsprachen s. Adamzik (1998); Ammon (1998). Varietätenorientiert sind die beiden folgenden, auf Sprachfunktionen und zweckorientierten Handlungen aufbauenden Fachsprachendefinitionen, auch wenn das nicht explizit erklärt wird und sie in ihrer Terminologiewahl unabhängig scheinen: „Wir verstehen unter Fachsprachen heute die Variante der Gesamtsprache, die der Erkenntnis und begrifflichen Bestimmung fachspezifischer Gegenstände sowie der Verständigung über sie dient und damit den spezifischen kommunikativen Bedürfnissen im Fach allgemein Rechnung trägt. [...] Entsprechend der Vielzahl der Fächer, die man mehr oder weniger exakt unterscheiden kann, ist die Variante ,Fachsprache' in zahlreichen mehr oder weniger exakt abgrenzbaren Erscheinungsformen realisiert, die als Fachsprachen bezeichnet sind" (Möhn/Pelka 1984, 26). Bei der Anwendung dieser Definition spielen fachliche Sprachverwendungssituationen mit ihren Fachtexten eine entscheidende Rolle. Und: „Fächer sind Arbeitskontexte, in denen Gruppen von fachlichen zweckrationalen Handlungen vollzogen werden. Fachsprachen sind demnach sprachliche Handlungen dieses Typs sowie sprachliche Äußerungen, die konstitutiv oder z. B. kommentierend mit solchen Handlungen in Verbindung stehen" (von Hahn 1983, 65). 1.4. Fachsprachen als Subsprachen Werden Fachsprachen als Subsprachen interpretiert, dann tritt gegenüber Kommunikationsabsicht und Kommunikationshandlung, gegenüber Funktion und Situation der Kommunikationsgegenstand in den Vordergrund. Mit Hilfe dieses Kriteriums lässt sich jeder Text einem bestimmten Sachgebiet oder Kommunikationsbereich und damit einer bestimmten Subsprache zuweisen. Auch die Abgrenzung der Subsprachen gegeneinander auf Grund des Kommunikationsgegenstandes bzw. der in den Texten behandelten Themen ist einfacher als bei den Varietäten. Die Vielzahl der Gegenstände bzw. Themen lässt eine weitreichende Differenzierung zu. Allerdings verlaufen die Grenzen auch hier nicht ganz scharf; denn ein und derselbe Gegenstand oder Vorgang, z. B. ein Fahrzeug, ein Gemälde, eine chemische Reaktion, eine Erkrankung, können in unterschiedlichen Kom- munikationsbereichen und (Fach-)Texten von unterschiedlichen Standpunkten oder von einem interdisziplinären Ansatz aus behandelt werden. Subsprachen sind Teil- bzw. Subsysteme des gesamten Sprachsystems, die in den Texten bestimmter, z. T. sehr spezieller Kommunikationsbereiche aktualisiert werden. Man kann auch sagen: Subsprachen sind ausgewählte Mengen sprachlicher Elemente und ihrer Relationen in Texten mit eingeschränkter Thematik (vgl. Hoffmann 1998a, 190). In den englischsprachigen Arbeiten über diese Problematik ist oft die Rede von einem reduzierten Sprachgebrauch. Als Beispiel dafür sei eine von vielen Definitionen angeführt: „Factors which help to characterize a sublanguage include (i) limited subject matter, (ii) lexikal, syntactic and semantic restrictions, (iii) „deviant" rules of grammar, (iv) high frequency of certain constructions, (v) text structure, (vi) use of special symbols. [.] This notion of sublanguage is like that of subsystem in mathematics" (Lehrberger 1982, 102f.). Diese und ähnliche Aussagen über das Wesen und die Eigenschaften von Subsprachen enthalten drei Hauptbestandteile: (a) einen pragmatischen (organized part of the real world; science subfield); (b) einen semantischen (lexical, semantic restrictions), (c) einen syntaktischen (restricted grammar), wobei der erste die beiden anderen determiniert. Mit science subfield wird jener Kommunikationsbereich hervorgehoben, der auch im Mittelpunkt des Interesses der Fachsprachenforschung steht. Das Konzept der Subsprachen ist in modifizierter Form auch in die deutsche Fachsprachenforschung eingegangen, was an der folgenden Definition zu erkennen ist: „Fachsprache - das ist die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten" (Hoffmann 1987, 53). Näheres zu den Subsprachen s. bei Kittredge/Lehr-berger (1982); Hoffmann (1987, 47-71); zum Verhältnis von Fachsprachen und Subsprachen s. Hoffmann (1998a). 1.5. Fachsprachen als Gruppensprachen Korreliert man Varietäten oder Subsprachen mit sozialen Schichten oder Gruppen, dann rücken die Fachsprachen in die Nähe von So-ziolekten; denn diese werden u. a. definiert als Subsysteme oder Varietäten, deren Spre- 536 VII. Linguistische Gegenstände V: Sprachliche Varietäten des Deutschen chergruppen mit bestimmten von der Soziologie ermittelten Sozialschichten identisch sind. Die Besonderheiten der Fachsprachen werden dann vorwiegend danach bewertet, inwiefern sie wegen ihrer Gruppentypik bzw. soziolektalen Markiertheit ihre Benutzer als Vertreter eines bestimmten Faches und gleichzeitig als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe erkennen lassen (vgl. Kub-czak 1987,269ff.). Mit anderen Worten: Fachsprachen erhalten den Status von Gruppensprachen. Zu ihrer Symbolfunktion kommt die Symptomfunktion hinzu. Sie trägt dazu bei, Gruppen von Fachleuten gegen Laien, aber auch untereinander, abzugrenzen und gleichzeitig die Mitglieder der Gruppen enger aneinander zu binden. So entsteht sprachliche Gruppenidentität auf mehreren Ebenen: vom streng wissenschaftlichen Sprachgebrauch in fachinternen Publikationen bis hin zum Fachjargon in der mündlichen Fachkommunikation. Fachextern, d. h. gegenüber Laien, ist die Verwendung von Fachsprache, ja schon der Gebrauch von Fachtermini, dazu angetan, Autorität, Sozialprestige oder auch soziale Dominanz zu schaffen, z. B. bei Ärzten, Juristen oder hoch spezialisierten Handwerkern. Für extreme Formen der Abgrenzung steht der Begriff der Sprachbarrieren, mit dem Kommunikationskonflikte oder einfach Verstehens- und Verständigungsschwierigkeiten bezeichnet werden (vgl. Fluck 1991, 198ff.). Auf den Punkt gebracht wird die gruppensprachliche Position in Formulierungen wie: „Das Fach ist personal gesehen die Gruppe der Experten". „Eine Fachsprache ist das sprachliche System der Experten oder kurz das Expertensystem" (Wichter 1994,42f.). Ihre Bekräftigung findet sie in der folgenden Feststellung: „Die relative Isolierbarkeit der Expertengruppe und des zugehörigen Sprachausschnittes rechtfertigt in vielerlei Hinsicht eine gesonderte Betrachtung des Wechselverhältnisses von Fachsprache und Gruppe. Primär ist dabei die sprachliche Manifestation von für die Expertengruppe einschlägigen Wirklichkeitsausschnitten, welche die Gruppenmitglieder bindet und orientiert. Versprachli-chungen im Verlauf der Gruppengeschichte belegen, dass mit der Entwicklung der Eigenperspektive einer Expertengruppe zugleich ein hohes Innovationspotential für die Sprachgeschichte gegeben ist. Folge dieses in der fortschreitenden Arbeitsteilung begründeten Resultats und Geschehens ist zugleich eine ausgeprägte Exklusivität, Hermetik, zu deren Überwindung es erheblicher mentaler und sprachlicher Aufwendungen bedarf, um eine die Grenzen der Expertengruppe erweiternde, d. h. fachexterne Kommunikation [...] gelingen zu lassen" (Möhn 1998, 151). Näheres zur Gruppe s. Fisch (1987); zum Verhältnis von Fachsprache und Gruppensprache s. Möhn (1998). 1.6. Andere Statusbestimmungen Neben den skizzierten vier Auffassungen vom Status der Fachsprachen gibt es eine Reihe anderer, die diese variieren oder auch auf bestimmte Kommunikationsbereiche und Sprechergruppen einengen. Fachsprachen als Register sind - im klassischen angelsächsischen Verständnis - funktionale Varianten des Sprachgebrauchs in der Fachkommunikation, die primär durch fachliche Situationen determiniert sind. Sie liegen zwischen Funktionalstilen und Varietäten. Näheres s. Hess-Lüttich (1998). Fachsprachen als Wissenschaftssprachen zu betrachten bedeutet, dass der Gegenstand der Betrachtung einerseits auf die Kommunikation und damit auf die Funktion von Sprache in der Wissenschaft allgemein und in einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen eingeschränkt wird. Andererseits erfolgt eine Erweiterung von der kommunikativen auf die kognitive Funktion, d. h. auf die Rolle der Sprache als Erkenntnisinstrument bzw. auf das Verhältnis von Denken und Sprache. Näheres s. Kretzenbacher (1992; 1998). Fachsprachen als Techniksprachen verdienen insofern eine besondere Würdigung, als sie eine wesentliche Komponente in der Menschheitsentwicklung und in der Geschichte der Zivilisation darstellen. Schon im Fachwortschatz lassen sich einzelne Reflexe und ganze Innovationsschübe aus dem Bereich der Technik erkennen, die bis in die Ur- und Frühgeschichte zurückreichen. In neuerer Zeit interessiert vor allem die Stellung zwischen Theorie und Praxis, z. B. die Wechselwirkungen von Naturwissenschafts-, Handwerks- und All-tagssprache(n). Näheres s. Jakob (1998). Fachsprachen als Institutionensprachen können als institutionell verfestigte Gruppensprachen interpretiert werden. Berufssprachen schließlich tragen Merkmale von Funktionalstilen, Varietäten und Gruppensprachen in unterschiedlicher Mischung. So unterschiedlich die Versuche zur Bestimmung des Status von Fachsprachen und 54. Fachsprachen 537 die damit verbundenen Beschreibungen ihrer Spezifik ausgefallen sein mögen, gemeinsam ist ihnen die Zuweisung eines ausgeprägten Sonderstatus. Besonderes aber ergibt sich gewöhnlich aus Vergleichen. Verglichen wurden Fachsprachen von Anfang an mit der Gemeinsprache, was immer man darunter verstanden haben mag: Umgangssprache, Literatursprache, allgemeinen bzw. durchschnittlichen Sprachbesitz, „Nichtfachsprache" usw. Die Dichotomie Fachsprache/Gemeinsprache war lange Zeit ein zentrales Thema der Fachsprachenforschung. Konkrete Vergleiche scheiterten jedoch am Fehlen einer einheitlichen Definition des Phänomens Gemeinsprache' und den damit verbundenen Abgrenzungsproblemen (vgl. Hoffmann 1987, 48ff.; 1998d; Fluck 1991, 196ff.). Von gewissem sprachhistorischem Interesse mag — nach der Erforschung der Prozesse der Ter-minologisierung und Entterminologisierung — die Bereicherung der Lexik durch Fachwortschätze sein. Mit der Schwerpunktverlagerung vom Terminus zum Text hat das Thema jedoch an Attraktivität verloren. Eine neue Dimension könnte sich eröffnen, wenn es gelänge, dem relativ klar definierten Fachtext mit seinen leicht fassbaren Fachtextsorten einen eben solchen gemeinsprachlichen Text und die dazugehörigen Textsorten gegenüberzustellen. 2. Verwendungseigenschaften von Fachsprachen Sieht man von der überholten, z. T. puristischen Denunziation der Fachsprachen als verderbter, fremdbestimmter, sinnverdunkelnder Sprachgebrauch, als „schlechter Stil", „Fachchinesisch", „Babuismus", „Jargon" usw. ab, dann werden ihnen überwiegend positive Eigenschaften zugeschrieben und es wird der Versuch unternommen, diese mit konkreten sprachlichen Phänomenen zu belegen. So hat schon die Funktionalstilistik den wissenschaftlichen Stil in Begriffen beschrieben wie Sachlichkeit, Objektivität, Logik; Exaktheit, Klarheit, Fasslichkeit; Kürze, Informationsdichte u. ä. (vgl. Hoffmann 1987, 42). Aus der Terminologiearbeit stammen Gütemerkmale wie Fachbezogenheit, Begrifflichkeit, Exaktheit, Eindeutigkeit, Eineindeutigkeit, Selbst-deutigkeit, Knappheit, stilistische Neutralität: „Unter Fachbezogenheit ist sowohl die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Fachsprache und ihrem terminologischen System als auch die besondere kommunikative Funktion bei der Lösung spezifischer Aufgaben mit spezifischen Methoden des jeweiligen Fachgebietes zu verstehen. Begrifflichkeit bedeutet, dass der Terminus sprachliches Zeichen für einen Begriff, also für ein Grundelement rationalen Denkens, ist. Die Exaktheit des Terminus ergibt sich aus seiner Definition oder Beschreibung, die die Abgrenzung gegenüber anderen Termini gewährleistet. Eindeutigkeit heißt, dass der Terminus als Element der Terminologie einer Fachsprache eine ganz bestimmte Erscheinung, einen ganz bestimmten Begriff bezeichnet. Eineindeutigkeit ist die umkehrbare Zuordnung von Bezeichnendem und Bezeichnetem, d. h., der Terminus bezeichnet nur eine Erscheinung und diese Erscheinung hat nur diesen einen Terminus als Benennung. Mit Selbstdeutigkeit ist gemeint, dass der Terminus keinen Kontext braucht, um verstanden zu werden. Seine Bedeutung ergibt sich aus dem Platz des Terminus im System und seinen Relationen zu den anderen Termini [...] Die Forderung nach Knappheit ist gleichbedeutend mit dem Streben nach Kürze auf der Ausdrucksebene, nach Sprachökonomie" (Hoffmann 1987, 163 f.). In der neueren Fachsprachenforschung sind Charakterisierungen wie Anonymität, Explizität u. a. hinzugekommen (vgl. von Hahn 1983, 113 ff.), die sich eher auf die Syntax beziehen. Es wird aber auch immer häufiger angemerkt, dass es sich bei all diesen Verwendungseigenschaften weniger um existente als vielmehr um zu postulierende Qualitäten handelt. Insbesondere wird die früher verpönte Vagheit (als Gegenpol zur Exaktheit) nicht nur toleriert, sondern als Voraussetzung für den Fortschritt des wissenschaftlichen Denkens geradezu gefordert. Ähnliches gilt für die besonders von der Terminologienormung bekämpfte Polysemie, Synonymie und Homonymie. (Näheres zum gesamten Problemkomplex s. Hoffmann/Kalverkämper/ Wiegand 1998, Kap. V). Der entscheidende Mangel an den älteren Auffassungen über Sprachverwendung waren ihre unzulässigen Verallgemeinerungen in Bezug auf Funktionalstile, Varietäten, Register und Subsprachen, bei denen die innere Differenziertheit der Fachsprachen nach vertikalen Schichten, Textsorten, Sprachverwendungssituatio-nen u. a. funktionalen und strukturellen As- 538 VII. Linguistische Gegenstände V: Sprachliche Varietäten des Deutschen pekten übersehen oder zumindest vernachlässigt wurde. Explizität z. B. mag in wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen und vor allem in Lehrbüchern am Platze sein; in Lexikonartikeln, Abstracts oder Fachgesprächen am Arbeitsplatz ist sie es nicht. 3. Systemeigenschaften von Fachsprachen 3.1. Textuelle Eigenschaften Nachdem sich das Interesse der Fachsprachenforschung lange Zeit auf den Fachwortschatz bzw. die Terminologie und auf einige andere grammatische und stilistische Besonderheiten der Fachsprachen konzentriert hatte, setzte sich im Laufe der 80er Jahre endgültig die Erkenntnis durch, das sich Wesen und Spezifik der Fachsprachen nur durch eine ganzheitliche, komplexe und differenzierte Analyse von Fachtexten unterschiedlichster Art ergründen lassen (vgl. z. B. Kalverkämper 1983; 1987; Hoffmann 1988). In der Folge etablierten sich Begriffe wie strukturell-funktionale Einheit, (Fach-)Text-in-Funktion, kommunikativ-pragmatische Einbettung, Handlungsorientiertheit und die strengere Unterscheidung und gleichzeitige Beziehungsstiftung zwischen Textexterna und Textinterna. Fachtexte werden zudem in drei große situative Zusammenhänge eingeordnet: die fachinterne, die interfachliche und die fachexterne Kommunikation. Die fachtextlinguistische Sicht ist - mit unterschiedlichen Akzentsetzungen — in die folgenden Definitionen eingegangen: „Der Fachtext ist Instrument und Resultat der im Zusammenhang mit einer spezialisierten gesellschaftlich-produktiven Tätigkeit ausgeübten sprachlich-kommunikativen Tätigkeit. Er bildet eine strukturell-funktionale Einheit (Ganzheit) und besteht aus einer endlichen und geordneten Menge pragmatisch, semantisch und syntaktisch kohärenter Sätze (Texteme) oder satzwertiger Einheiten, die als komplexe sprachliche Zeichen komplexen Aussagen im Bewusstsein des Menschen und komplexen Sachverhalten in der objektiven Realität entsprechen" (Hoffmann 1988, 119, 126). „Als Ergebnis einer kommunikativen Handlung ist der Fachtext eine zusammenhängende, sachlogisch gegliederte und abgeschlossene komplexe sprachliche Äußerung, die einen tätigkeitsspezifischen Sachverhalt widerspiegelt, situativ adäquate sprachliche Mittel verwendet und durch visuelle Mittel, wie Symbole, Formeln, Gleichungen, Gra-phika und Abbildungen ergänzt sein kann" (Gläser 1990, 18). „Wir betrachten Fachtexte als ,Fachtexte-in-Funktion'. Darunter wollen wir komplexe Einheiten verstehen, die sich einerseits aus sozialen, situativen und thematischen Faktoren und andererseits aus den dadurch bedingten textstrukturellen, stilistischen und formalen Merkmalen zusammensetzen. Diese Fach-texte-in-Funktion sind folglich das Ergebnis des funktionalen Zusammenspiels von Textinterna und Textexterna. Dabei werden die Interaktionsbeziehungen zwischen den Kommunikationspartnern sowie der Fachlich-keitsgrad der Darstellung auf sprachlich spezifische Weise im Fachtext zum Ausdruck gebracht" (Baumann 1992, 9). Fachlichkeit und Fachlichkeitsgrad der Texte sowie Fachsprachlichkeit sind mittlerweile zu zentralen Kategorien der Fachtextlinguistik geworden. Dabei wurden im Rahmen eines hoch komplexen Ansatzes acht Dimensionen der Fachlichkeit von Texten beschrieben: eine interkulturelle, eine soziale, eine kognitive, eine inhaltlich-gegenständliche, eine funktionale, eine textuelle, eine stilistische und eine semantische (vgl. Baumann, 1994, 67-135). Die textuellen Eigenschaften von Fachsprachen werden vor allem an der Makrostruktur, d. h. der Hierarchie oder zumindest der Abfolge von Teiltexten, und an der Kohärenz bzw. Kohäsion abgelesen, pragmatisch am Referenzbezug auf Gegenstände des Faches, semantisch an Isotopieketten, Isotopie-strängen und semantischen Feldern, syntaktisch an der Thema-Rhema-Gliederung (vgl. Hoffmann 1990, 10; 1998b). Durch den Vergleich von Fachtexten im Rahmen repräsentativer Korpusanalysen, in dem weitere Merkmale berücksichtigt werden, gelangt man zu einer relativ sicheren Klassifikation von Fachtextsorten, die in vielem praktische Erfahrungen mit verschiedenen Arten von Fachpublikationen bestätigt, z. B. Monographien, Zeitschriftenaufsätze, Lexikonartikel, Rezensionen, Abstracts, Patentschriften, Standards, Bedienungsanleitungen, Beipackzettel u. a., gleichzeitig aber zu einer weiteren Differenzierung und zu einer Korrelation mit der vertikalen Schichtung der Fachsprachen führen kann (vgl. Möhn/Pelka 1984; Gläser 1990; Hoffmann 1990a; Baumann 1992). Ein wichtiger Ausgangspunkt ist hier die Unterscheidung von 54. Fachsprachen 539 dominanten Textfunktionen, wie deskriptive, instruktive und direktivě Funktion, und ihren Kombinationen. Zur Definition von Fachtextsorten s. Gläser (1990,29); Hoffmann (1990a, 11); zu ihrer Typologie s. Göpferich (1995). 3.2. Lexikalisch-semantische Eigenschaften Ergeben sich Makrostruktur und Kohärenz in erster Linie aus der kommunikativen Funktion von Fachtexten, so steht die Fachlexik, insb. die Terminologie, für die Gegenstände des Faches sowie für die Fachlichkeit seiner Texte und mit ihr wird ein wesentlicher Teil der kognitiven Funktion der Fachsprachen realisiert. Deshalb wurden an ihr des Öfteren der Fachlichkeitsgrad und die Fach-sprachlichkeit überhaupt beschrieben (vgl. Baumann 1994, 42f., 131 ff.). In älteren Untersuchungen überwog das Bestreben, Fachwortschätze aus Fachtexten zu isolieren und nach unterschiedlichen Gesichtspunkten zu ordnen. Solche Gesichtspunkte waren z. B. die Produktivität der Wortbildung (Derivation, Komposition, Konfigierung), die Verwendungshäufigkeit von Einzelwörtern und ganzen Wortklassen, die Gruppierung zu semantischen Feldern, die Zuordnung von Benennungssystemen zu Begriffssystemen und nicht zuletzt die Aufnahme in Fachwörterbücher. Sie entsprachen den Interessen einzelner wissenschaftlicher Disziplinen wie Lexikologie und Morphologie, Sprachstatistik, lexikalische Semantik, Terminologiearbeit, Lexikographie und wurden später in der Fachsprachenforschung zusammengeführt. Angewandt wurden sowohl das semasiologische als auch das onomasiologische Prinzip. Neben der Analyse der formalen Konstituenten stand gelegentlich die Segmentierung in semantische Komponenten. Als Ergebnisse lexikalisch-semantischer Untersuchungen liegen vor: Übersichten über die in den Fachsprachen besonders produktiven Suffixe und Wortbildungsmodelle; Häufigkeitswörterbücher und -listen für einzelne Fächer und ganze Fächerkomplexe; thematische Wortlisten und teilweise hierarchisie-rende Darstellungen semantischer Felder; Fachthesauri; Fachwörterbücher usw. Fachwortschätze bzw. Fachterminologien und ihre Eigenschaften sind zusammenfassend und verallgemeinernd in allen einzelsprachlichen und übereinzelsprachlichen Fachsprachenmonographien beschrieben worden (Drozd/Sei-bicke 1973,129-167; Reinhardt 1978,18178; von Hahn 1983,83-111; Möhn/Pelka 1984, 14-19; Buhlmann/Fearns 1987, 24-49; Hoffmann 1987, 124-182; Fluck 1991,4755). Dabei stehen neben der Wortbildung folgende Aspekte im Vordergrund: Terminolo-gisierung/Entterminologisierung, Verhältnis zum Wortschatz der Gemeinsprache, Internationalisierung; Wortlänge, Häufigkeit der Wortarten, Umfang der Fachwortschätze; Herkunft der Fachwortschätze; Gütemerkmale, Probleme der Polysemie, Synonymie und Vagheit; Auswahl für Zwecke der Ausbildung. Im Laufe der Zeit wurde die isolierte Betrachtung der Fachlexik überwunden. Das kommt in der folgenden Formulierung zum Ausdruck: „Zum Fachwortschatz im weiteren Sinne gehören alle lexikalischen Einheiten in Fachtexten, da sie direkt oder indirekt zur fachbezogenen Kommunikation beitragen. Der Fachwortschatz im engeren Sinne bildet ein Subsystem des lexikalischen Gesamtsystems bzw. eine Teilmenge des Gesamtwortschatzes einer Sprache. Er wird gewöhnlich dem allgemeinen Wortschatz gegenübergestellt oder in bezug auf seine Austauschbeziehungen mit ihm untersucht. Im Vordergrund stehen dabei Prozesse der semantischen Einengung bzw. Erweiterung, Erscheinungen der Polysemie, Homonymie und Synonymie, Strukturen und Mittel der Wortbildung u. ä. Bei einer sehr engen Grenzziehung fallen Fachwortschatz und Terminologie zusammen. Es gibt aber auch Versuche, innerhalb des Fachwortschatzes zwischen (a) Fachterminologie und (b) nichtterminologischem fachlichem Wortschatz oder zwischen (a) Termini, (b) Halbtermini und (c) Fachjargonismen zu unterscheiden. Dabei werden als Termini nur die Wörter anerkannt, deren Inhalt durch eine Festsetzungsdefinition bestimmt ist. Daneben stehen nicht definierte Halbtermini, die aber das Denotat ausreichend genau bezeichnen, und Fachjargonismen, die keinen Anspruch auf Genauigkeit erheben. Von den im Fachtext enthaltenen lexikalischen Einheiten geht die Dreiteilung in (a) allgemeinen, (b) allgemeinwissenschaftlichen und (c) speziellen Fachwortschatz aus; zum speziellen Fachwortschatz gehört dann auch die Terminologie" (Hoffmann 1988, 118). Im Fachwortschatz dominieren die Substantive und Adjektive (Verben und andere Wortarten sind weniger zahlreich vertreten), weil sie die ganze Vielfalt der Gegenstände und Prozesse zu benennen haben, auf die die fachliche Tätigkeit gerichtet ist. Sie machen 540 VII. Linguistische Gegenstände V: Sprachliche Varietäten des Deutschen im Durchschnitt 60% der Lexik eines Fachtextes aus. Zur Terminologie werden oft nur Substantive, gegebenenfalls determiniert durch Adjektive, gezählt, obwohl auch an fachsprachlichen Verben eine Tendenz zur Terminologisierung zu beobachten ist. Wie für die Terminologie, so gilt auch für den Fachwortschatz insgesamt, dass er sich vor allem durch (a) Entlehnung, (b) Lehnübersetzung, (c) Metaphorik und Metonymie, (d) definitorische Einengung oder Erweiterung und (e) Verfahren der Wortbildung ständig auffüllt. Er ist stark von Internationalismen durchsetzt und enthält eine große Zahl von Komposita und komplexen Wortgruppenbenennungen, aber auch Abbreviaturen. Die für den Terminus gültigen Gütemerkmale werden hier weniger streng gehandhabt. In der neueren Fachsprachenforschung sind vor allem drei Tendenzen zu erkennen: (a) die Ablösung hierarchischer terminologischer Systeme durch semantische Netze (Fraas 1988), (b) die Analyse der Exteriorisie-rung von Fachthesauren in Fachtexten (z. B. Hoffmann 1990b; 1993) und die Untersuchung der vertikalen Wortschatzvariation (z. B. Wichter 1994). Sie bereichern die Fachlexikologie durch kognitive, textuelle und kommunikative Betrachtungsweisen. Näheres s. Fraas (1998). 3.3. Syntaktische Eigenschaften In der Grammatik gibt es keine Teil- oder Subsysteme und auch keine allgemeine Erweiterung durch die Fachkommunikation. Zu beobachten ist eher eine Einschränkung im Gebrauch der syntaktischen und morphologischen Mittel bei grundsätzlicher Beachtung des normativen Regelwerkes. In der Fachsprachenforschung begegnet man dafür Bezeichnungen wie Selektion/Selektivität, Funktionswandel, aber auch Absonderung, Isolierung. Ist von Selektion die Rede, dann denkt man nicht nur an die Auswahl bestimmter Konstruktionen und Formen aus einer größeren Menge im Sprachsystem angelegter Möglichkeiten bei der Abfassung von Fachtexten, sondern zugleich an auffällige Häufigkeiten in der Fachkommunikation. Es handelt sich also um ein überwiegend quantitatives Merkmal, das allerdings oft funktional zu interpretieren ist, z. B. als Ausdruck der unter 2. dargestellten Gütemerkmale. Beim Gebrauch des Terminus Funktionswandel steht die qualitative Veränderung der (grammatischen) Bedeutung oder ein Kate- gorienwechsel im Vordergrund. Absonderung oder Isolierung deuten auf sprachliches Gruppenverhalten hin. Ins Auge springen folgende Eigenschaften von Sätzen und ihren Konstituenten: (a) die durch starke Attribuierung und Adverbiali-sierung gedehnte Satzlänge; (b) die hohe Komplexität der einfachen stark erweiterten Sätze und Satzgefüge; (c) die Expandierung der Subjekt- und Prädikatgruppe; (d) die Häufigkeit von attributiven und adverbialen Nebensätzen; (e) die Dominanz von Aussagesätzen; (f) die Textsortenabhängigkeit der Thema-Rhema-Gliederung mit Auswirkungen auf die Satzgliedfolge und die thematische Progression; (g) die gezielte Ausschöpfung der Fügungspotenzen (Valenz); (h) die Tendenz zur syntaktischen Kompression mit unterschiedlichen Kompressionsstufen; (i) die Deagentivierung sowie die Verwendung allgemein persönlicher und unpersönlicher Konstruktionen; (k) die Bevorzugung von Funktionsverbgefügen. Näheres s. Hoffmann (1998c). Bei alledem ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese Eigenschaften je nach Fachtextsorte und Funktion variieren. So kennzeichnet der komplexe hypotaktische Aussagesatz zwar wissenschaftliche und technische Texte mit deskriptiver oder instruktiver Funktion, z. B. Zeitschriftenaufsätze; in direktiven Texten, z. B. Bedienungsanleitungen, sind hingegen auch Aufforderungssätze stark vertreten. Explizität durch Expandierung des Satzes und seiner Glieder ist nicht typisch für Standards, Beipackzettel oder Abstracts. An-onymisierung durch unpersönliche Konstruktionen passt nicht zu Forschungsberichten und Gutachten. Eventuelle morphologische Besonderheiten der Fachsprachen, die stark einzelsprachlich geprägt sind, wenn sie bestimmte grammatische Kategorien repräsentieren, lassen sich mittelbar aus den syntaktischen Eigenschaften von Fachtexten ableiten; andere ergeben sich aus der Textsortenfunktion, z. B. die Häufigkeit von Modus, Tempus und Person. 4. Didaktisierung von Fachsprachen Die Ergebnisse der Fachsprachenforschung werden auf ganz unterschiedlichen Gebieten genutzt (vgl. Hoffmann 1988, 178-216). Eines davon ist die Aus- und Weiterbildung in Muttersprache und Fremdsprachen. Für 54. Fachsprachen 541 Deutsch als Fremdsprache ist — im Gegensatz zu Deutsch als Muttersprache — die Di-daktisierung der Fachsprachen in Theorie und Praxis schon weit fortgeschritten. Das erklärte Ziel ist die sprachliche Handlungsfähigkeit im Fach (Buhlmann/Fearns 1987, 9, 87— 97), d. h. die Fähigkeit, in seinem Fach der Berufs- oder Ausbildungssituation entsprechend angemessen zu kommunizieren (kommunikative Kompetenz). Der Zugang zu dieser Fähigkeit führt über die Aneignung fachlicher Begriffs- und Benennungssysteme in Verbindung mit fachlichen Denk- und Mitteilungsstrukturen, ergänzt durch den Erwerb fachübergreifender sprachlicher Mittel, ohne die Fachkommunikation nicht auskommen kann. Die Fachsprachenausbildung steht also der Fachausbildung sehr nahe oder wird mit ihr kombiniert. Doch während der Fachunterricht als erfahrungsbezogen, system-, problem-, prozess- und verfahrensorientiert sowie einem beträchtlichen Stoffzwang unterworfen charakterisiert wird, ist der Fachsprachenunterricht element- und textstrukturbe-zogen, auf die Entwicklung von Arbeitsstrategien abgestellt; er bildet eine Art Brücke zwischen allgemeinsprachlichem Unterricht und Fachunterricht (vgl. Buhlmann/Fearns 1987, 83 ff.). Im Rahmen der Ziel-Stoff-Methoden-Relation hat der Bezug zum Fach in der Fachsprachenausbildung zunächst zu einer Überbetonung der Terminologien als Benennungssysteme für Begriffssysteme geführt. Mit der kommunikativ-pragmatischen Wende in der Linguistik der 70er Jahre, der Weitung des Blickes vom Systemaspekt auf den Tätigkeitsaspekt, der Hinwendung der Fachsprachenforschung zu komplexeren Einheiten wie Satz und besonders Text, der stärkeren Berücksichtigung der inneren Differenziertheit der Fachsprachen (vertikale Schichtung; Fachtextsorten), insbesondere aber auch der Neuorientierung des Fremdsprachenunterrichts vom (linguistischen) Wissen über Sprache zum (kommunikativen) Umgang mit Sprache hat sich dann eine deutliche Schwerpunktverlagerung zur Rezeption und Produktion von Fachtexten vollzogen. „Einig sind sich die Fachsprachenlinguisten und -didaktiker inzwischen darin, daß sich diese komplexen Fachsprachen in ebenso komplexen Fachtexten realisieren, so daß der Fachtext zunehmend Gegenstand der Forschung und Vermittlung wurde" (Fluck 1992,9, 114—125). Dabei werden nicht nur die Textinterna (Makrostruktur, Kohärenz; Syntax, Lexik u. a.), sondern zunehmend auch die Textexterna (Kommunikationspartner, -situation, -gegenstand) berücksichtigt. Darüber hinaus tritt neben den Vergleich von Ausgangs- und Zielsprache der Vergleich der soziokulturel-len Umfelder von Fachkommunikation (In-terkulturalität). Bei den Fächern verlagert sich das Interesse allmählich von den Naturwissenschaften und der Technik auf die Geistes- und Sozialwissenschaften, noch mehr aber zur Wirtschaft und hier zur Unternehmenskommunikation. Dort gewinnen neben schriftlichen Fachtexten die mündlichen Fachtexte (z. B. Verkaufsgespräche, Vertragsverhandlungen) an Bedeutung. Das Spektrum der Fachsprachenausbildung wird also immer breiter und in diesem Zusammenhang auch die Forderung nach einer theoretisch fundierten Fachsprachendidaktik lauter. Sie wird in eine interdisziplinäre Konzeption neben der Fachsprachenlinguistik Erkenntnisse der Soziolin-guistik, Pädagogik, Psychologie, Linguodi-daktik und Methodik einzubeziehen haben. Vielversprechende Ansätze dazu liegen vor. Näheres s. Buhlmann/Fearns (1987); Schröder (1988); Monteiro (1990); Fluck (1992); Hoff-mann/Kalverkämper/Wiegand (1998, Kap. XIII). Der wichtigste Partner für die Fachsprachendidaktik wird aber immer die Fachsprachenlinguistik bleiben, weil sie den Stoff, d. h. die Substanz der Fachsprachenausbildung von der Fachlexik bis hin zu den Verwen-dungs- und Systemeigenschaften von Fachtexten zu Tage fördert. 5. Verweise Da in diesem Artikel mit dem Blick auf die Gesamtthematik des Bandes nur ausgewählte Aspekte der Analyse und Beschreibung von Fachsprachen behandelt werden konnten, sollen am Schluss einige Hinweise auf weitere Informationsmöglichkeiten stehen. Den gegenwärtig umfassendsten Überblick über Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft mit dem Anspruch auf die Weiterentwicklung der Fachsprachentheorie bieten Hoffmann/Kalverkämper/Wiegand (1998); durch Vielseitigkeit und Interdisziplinarität zeichnet sich Kalverkämper (1985 ff.) aus; interessante Beiträge sind auch in Bungarten (1992ff.; 1993) enthalten; das Schwergewicht auf das Englische legen Gläser (1991 ff.) und Sager/Dungworth/McDonald (1980), auf das Französische Kocourek (1992); zur Termino- 542 VII. Linguistische Gegenstände V: Sprachliche Varietäten des Deutschen logiewissenschaft empfiehlt sich Felber/Budin (1989); fortlaufend den aktuellen Stand verfolgt die Zeitschrift Fachsprache (Wien 1979ff.), in der auch regelmäßig Fortsetzungen einer Leipziger kleinen Bibliographie fachsprachlicher Untersuchungen erscheinen; eine wichtige Bibliographie zum fachsprachlichen Fremdsprachenunterricht stammt von Yzer-mann/Beier (1989); eine Bibliographie der Bibliographien zur Fachsprachenforschung findet sich in Hoffmann/Kalverkämper/Wiegand (1998). Objektsprachliche Beispiele für die Verwendungs- und besonders für die Systemeigenschaften von Fachsprachen, für die hier leider kein Platz war, finden sich in den Artikeln 55-59, bei Drozd/Seibicke (1973), Reinhardt (1978), von Hahn (1983), Möhn/Pelka (1984), Buhlmann/Fearns (1987), Fluck (1991) sowie in zahlreichen Lehrmaterialien für Deutsch als Fremdsprache. 6. Literatur in Auswahl Adamzik, Kirsten (1998): 14. Fachsprachen als Varietäten. 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