131. Projektorientierung 1171 131. Projektorientierung 828 1. Definition 829 2. Projektunterricht in der Fremdsprachendidaktik 830 3. Phasen der Projetkarbeit 831 4. Inhalte 832 5. Produkte 833 6. Rollenverteilung und Entscheidungsprozesse 834 7. Lerneffekte 835 8. Literatur in Auswahl 836 1. De inition 837 Die Idee, Unterricht in Form von Projekten zu organisieren, zeichnet sich durch eine 838 bemerkenswerte Langlebigkeit und Beharrlichkeit aus. Durch John Dewey und Wiliam 839 Heard Kilpatrick (1935) zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Project Method in den päda- 840 gogischen Diskurs eingeführt, überstand der Projektunterricht alle didaktischen Strö- 841 mungswechsel der vergangenen Jahrzehnte. Dass seine Attraktivität und Aktualität bis 842 heute ungebrochen erscheinen, muss zu einem Teil allerdings der Unbestimmtheit des 843 Begriffes zugeschrieben werden (Oelkers 1997: 22), denn zu keinem Zeitpunkt seiner 844 langen Geschichte gab es eine einheitliche Theorie des Projektunterrichts. 845 Ein weitgehender Konsens besteht jedoch darüber, Projekte als zeitlich begrenzte und 846 auf ein bestimmtes Ziel oder Produkt gerichtete Unternehmungen im Rahmen von insti- 847 tutionalisierten Lehr- und Lernprozessen zu verstehen, bei denen die selbständige Aktivi- 848 tät der Lernenden eine herausgehobene Rolle spielt. Grundlegend ist dabei die Annahme, 849 dass das Lernen durch eine handelnde, verschiedene Fertigkeiten integrierende Auseinan- 850 dersetzung mit komplexen Situationen begünstigt wird. Die praktische Erfahrung, ge- 851 wonnen in eigenverantwortlich gestalteten Problemlösungs- oder Aushandlungsprozes- 852 sen, bildet daher den Dreh- und Angelpunkt von Unterrichtsprojekten. 853 2. Projektunterricht in der Fremdsprachendidaktik 854 In der Fremdsprachendidaktik wurde der Projektunterricht deutlich später als in anderen 855 Fachdidaktiken rezipiert. Zwar gab es im deutschsprachigen Raum bereits in den 1980er 856 Jahren erste Bestrebungen, die Projektidee auch für das Lehren und Lernen von Fremd- 857 sprachen fruchtbar zu machen (vgl. Legutke 2006), aber erst die neuen Medien weckten 858 mit ihrem Potenzial für die neuartige Gestaltung von Unterrichtsprozessen in den letzten 859 Jahren ein nachhaltiges Interesse an diesem Thema. 860 Die theoretische Grundlage für den Einsatz von Projekten im Fremdsprachenunter- 861 richt findet sich bereits in der für die kommunikative Fremdsprachendidaktik der 1970er 862 Jahre zentralen Überzeugung, dass Lernende Ϫ sollen sie auf die fremdsprachliche 863 Handlungsfähigkeit außerhalb des Klassenraums vorbereitet werden Ϫ bereits während 864 des Unterrichts die Möglichkeit erhalten müssen, sich mit Hilfe der Fremdsprache über 865 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte1172 relevante Themen auszutauschen, eigene Intentionen, Gedanken und Gefühle auszudrü-866 cken oder in konkreten Situationen Handlungsabsichten zu realisieren. Eine von den867 Beteiligten als sinnvoll erlebte Interaktion und die Auseinandersetzung mit bedeutungs-868 vollen Inhalten stellen daher die zentralen Kriterien bei der Unterrichtsplanung dar (vgl.869 Kumaravadivelu 2006: 134).870 Eine nahe liegende Möglichkeit, diese Konzeption in Praxis zu übersetzen, besteht871 darin, den Unterricht als eine Abfolge von Aufgaben (Tasks) zu organisieren. Im Unter-872 schied zu Übungen (Exercises) handelt es sich hierbei um inhaltsbezogene und ergebni-873 soffene Lernaktivitäten, die ohne eine gewisse kreative Eigenleistung der Lernenden nicht874 bewältigt werden können. Vor diesem Hintergrund kann ein Projekt als Maxi-Task (Nu-875 nan 2004: 75) beschrieben werden: Einzelne Teilaufgaben werden in einem zeitlich be-876 grenzten Rahmen derart aneinander gekoppelt, dass sie die Lerngruppe sukzessive einem877 vorab formulierten, gemeinsamen Ziel näher bringen.878 Im Kontext der kommunikativen Fremdsprachendidaktik liegt die Besonderheit des879 Projektunterrichts somit darin, dass er durch seine Zielorientierung bei gleichzeitiger880 Öffnung von Freiräumen für die Lernenden Bedingungen schafft, unter denen die Moti-881 vation zum sprachlichen Handeln von den Inhalten ausgeht. Solche kommunikativen882 Ernstfälle lassen sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise verwirklichen. So können883 mit Email- oder Interview-Projekten die Grenzen des Klassenraums durchlässiger gestal-884 tet bzw. überschritten werden. Aber auch eine situative Einbettung des Sprachgebrauchs885 innerhalb des Unterrichts ist realisierbar, etwa in Form von Simulationen oder im Rah-886 men inhaltsorientierter bzw. themenzentrierter Arbeitsphasen.887 Projekte sind ein sehr flexibles Instrument der Unterrichtsgestaltung und lassen sich888 mit einer Vielzahl von Zielen, Aufgabentypen oder Sozialformen vereinbaren. Dies macht889 es einerseits zwar sehr schwierig, den Projektunterricht eindeutig begrifflich zu fassen,890 doch bezieht er andererseits gerade aus seiner großen Anpassungsfähigkeit an lokale891 Bedingungen sein besonderes Potenzial (vgl. Schart 2003: 67).892 Die Veröffentlichungen zum Projektunterricht können zwei Kategorien zugeordnet893 werden: Auf der einen Seite findet sich eine äußerst umfangreiche Zahl erzählender Be-894 schreibungen von Unterrichtsprojekten, von denen zweifellos eine inspirierende Wirkung895 ausgeht. Zugleich sind diese Darstellungen aber auch problematisch, weil sie nicht auf896 systematisch reflektierten Beobachtungen beruhen, sich auf die Perspektive der Lehren-897 den beschränken und vor allem zum überwiegenden Teil nur den Erfolg, nicht aber das898 Scheitern thematisieren. Diesen Texten stehen auf der anderen Seite vielfältige Versuche899 gegenüber, den Projektunterricht in Form von Modellen und Typologien theoretisch zu900 fassen, was der folgende Überblick verdeutlichen soll.901 3. Phasen der Projektarbeit902 Freys (2007) Modell einer „Projektmethode“ stellt zweifellos den bekanntesten Versuch903 im deutschsprachigen Raum dar, den Projektunterricht in einzelne Phasen aufzugliedern904 und damit Lehrenden ein Planungswerkzeug an die Hand zu geben. Der Projektunter-905 richt wird bei Frey zu einem Algorithmus, der sich scheinbar losgelöst von Zielen und906 Inhalten anwenden lässt. Speziell für den Fremdsprachenunterricht entwickelte Stoller907 (2002: 112) ein sehr ähnliches Modell in 10 Stufen: 1. Thema verabreden; 2. Zielsetzung908 131. Projektorientierung 1173 verabreden; 3. Projekt strukturieren; 4. Schritt 5 sprachlich vorbereiten; 5. Informationen 909 einholen; 6. Schritt 7 sprachlich vorbereiten; 7. Informationen analysieren und aufberei- 910 ten; 8. Schritt 9 sprachlich vorbereiten; 9. Ergebnisse präsentieren; 10. Evaluieren. Sofern 911 sie nicht als Rezeptologie missverstanden werden, bieten Modelle dieser Art Lehrenden 912 und Lernenden eine hilfreiche Grundlage für die Konzeption eines eigenen, den jeweili- 913 gen Gegebenheiten angepassten Ablaufplans. Sie bergen jedoch zugleich die Gefahr, den 914 Projektunterricht auf eine Technik zu verengen und die Phasenfolgen überzubetonen, 915 was leicht zu routinenhaftem und monotonem Unterricht führen kann. 916 4. Inhalte 917 Einen weiteren wichtigen Ansatzpunkt für eine Systematisierung bietet die Frage nach 918 der inhaltlichen Gestaltung eines Projekts. Anhand dieses Kriteriums werden zum Bei- 919 spiel Textprojekte (Erstellen einer Kurs-Homepage, globale Simulationen, u. ä.), Korres- 920 pondenzprojekte (z. B. E-Mail-Partnerschaften), Umfrageprojekte oder Begegnungspro- 921 jekte (z. B. das „Airport-Projekt“ von Legutke 2006, bei dem Schülerinnen und Schüler 922 auf dem Flughafen in Frankfurt Interviews auf Englisch mit Passagieren führen) vonei- 923 nander unterschieden. Eine Typologie, die allerdings nur bedingt überzeugen kann, denn 924 die gebildeten Kategorien sind keineswegs trennscharf. Je nach Thema und Zielsetzung 925 bringt die Praxis eher diverse Mischformen dieser Projekttypen hervor. 926 5. Produkte 927 Zu den umstrittenen Punkten in den Debatten um den Projektunterricht zählt die Frage, 928 ob als Ergebnis ein materielles Produkt angestrebt werden sollte. Das betrifft insbeson- 929 dere den Fremdsprachenunterricht, vollzieht sich das Lernen dort doch vor allem über 930 kommunikative Prozesse, in denen Situationen gemeinsam gedeutet und ausgehandelt 931 werden. Die daraus resultierenden Einsichten oder Verhaltensänderungen lassen sich 932 aber weit schwieriger dokumentieren als handwerkliche Tätigkeiten. Es erscheint somit 933 folgerichtig, dass Stoller (2002: 111) auch Aufführungen (z. B. Theaterstücke), Veranstal- 934 tungen (z. B. Diskussionsrunden) oder organisatorische Strukturen (z. B. den Aufbau ei- 935 nes Austauschprogramms) als mögliche „Produkte“ der Projektarbeit im Fremdspra- 936 chenunterricht betrachtet. 937 6. Rollenverteilung und Entscheidungsprozesse 938 Die Rollenverteilung gehört zu jenen Gesichtspunkten, denen in den Beschreibungen 939 des Projektunterrichts eine zentrale Bedeutung zukommt, denn um Freiräume für die 940 Selbsttätigkeit der Lernenden zu öffnen, müssen Lehrende ihr Planungsmonopol aufge- 941 ben. Häufig werden die daraus resultierenden neuen Rollen in Metaphern beschrieben, 942 so etwa werden Lehrende zu Moderatoren oder Lernbetreuern. Das sind jedoch eher 943 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte1174 pädagogische Leitbilder als Planungshilfen. Beispielsweise kann das häufig thematisierte944 Problem der Leistungsbewertung auf dieser Ebene nicht geklärt werden.945 Für ein besseres Verständnis des Projektunterrichts erscheint deshalb ein deskriptiver946 Zugang weitaus zweckdienlicher zu sein als ein normativer. Stollers (2002) Unterschei-947 dung in strukturierte, halbstrukturierte und unstrukturierte Projekte wirkt allerdings zu948 ungenau. Verständlicher lässt sich das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden949 beschreiben, wenn man die für ein Projekt notwendigen Entscheidungsprozesse in den950 Blick nimmt (vgl. Hackl 1994; Schart 2003). Dabei wird deutlich, dass sich bei jedem951 einzelnen Schritt in einem Projektverlauf die Rollenverteilung neu gestalten kann. Wich-952 tig bei diesem Ansatz ist die Überlegung, dass alle den Projektunterricht betreffenden953 Entscheidungen zwei Domänen zugeordnet werden können. Da sind zum einen die nor-954 mativen Entscheidungen. Sie regeln die grundlegenden Fragen von Macht und Mitbe-955 stimmung im Klassenraum (z. B. die Orte, Zeiten und Ziele für das Lernen, die Gruppen-956 größe, die Arbeitsformen oder die Bewertungsmaßstäbe). Diese normativen Entscheidun-957 gen lassen sich von den operativen abgrenzen, bei denen es darum geht, innerhalb bereits958 gesetzter Grenzen einzelne Lernprozesse zu gestalten (z. B. die Gliederung einer Aufgabe959 und die Verteilung von Teilaufgaben in einer Gruppe, die Zeitplanung, die Koordination960 oder das Konfliktmanagement innerhalb von Gruppen). Auf der Grundlage dieser Zwei-961 teilung können die unterschiedlichen Facetten von Mitbestimmung und Autonomie für962 ein konkretes Projekt beschrieben bzw. geplant werden (vgl. Schart 2003: 81Ϫ88).963 7. Lerne ekte964 Dieser Aspekt führt zum neuralgischen Punkt des Projektunterrichts, denn der Vielzahl965 an theoretischen Überlegungen und Erfahrungsberichten steht nur eine verschwindend966 geringe Zahl empirischer Untersuchungen gegenüber. Die mit dieser Unterrichtsform967 verknüpften positiven Lerneffekte tragen daher häufig hypothetischen Charakter.968 Mit ihrem Project Framework unternehmen Beckett und Slater (2005) den Versuch,969 die potenziellen Lerneffekte von Projektunterricht aus der Perspektive der Beteiligten970 mit Hilfe eines Evaluationsbogens systematisch darzustellen. Und in einer Fallstudie ma-971 chen sie deutlich, dass dieses Modell ein sehr hilfreiches Werkzeug bei der Planung und972 Reflexion von Projekten darstellen kann. Um zu umfassenden Aussagen über die Lern-973 prozesse im Projektunterricht zu kommen, sind jedoch weitaus komplexere Untersu-974 chungsdesigns notwendig, an denen nach wie vor Mangel besteht.975 Die Erkenntnisse, die aus den wenigen empirische Forschungen zu diesem Thema976 bisher hervorgegangen sind, lassen es angebracht erscheinen, den Projektunterricht nicht977 mit überhöhten Erwartungen zu belasten. Mit Blick auf die Lehrenden zeigen diese978 Studien (Schart 2003, vgl. auch Beckett 2006), dass sich Projekte aus gegensätzlichen979 Perspektiven sinnvoll arrangieren und mit vielen Zielen und Aktivitäten zweckmäßig980 verknüpfen lassen. Lehrende interpretieren die Projektidee auf der Grundlage ihres be-981 ruflichen Selbstverständnisses. Sie formen sich ihre eigene, für sie praktikable Projekt-982 konzeption, indem sie diese weitestgehend widerspruchsfrei mit ihren Vorstellungen eines983 effektiven Fremdsprachenunterrichts verschmelzen. Dabei erfahren einzelne Aspekte be-984 sondere Aufmerksamkeit, während andere vernachlässigt oder weitgehend ausgeblendet985 werden. Entsprechend vielfältig fallen die Lehrziele aus, die mit dieser Unterrichtsform986 131. Projektorientierung 1175 verbunden werden und die sich auch sehr stark von den Erwartungen unterscheiden 987 können, mit denen die Lernenden in den Unterricht kommen. Hoffmann (2008) zeigt in 988 ihrer Studie, wie schwierig es ist, Lerneffekte zu planen, da einzelne Lernende die kom- 989 plexen Aktivitäten der Projektarbeit sehr unterschiedlich als Lernmöglichkeit auslegen 990 und nutzen. 991 Vor dem Hintergrund solcher Ergebnisse erscheinen longitudinale Studien notwendig, 992 die auf das individuelle Lernen im Projektunterricht ebenso fokussieren wie auf die sozia- 993 len und kommunikativen Prozesse. Nur so wird sich klären lassen, in welcher Form 994 Projekte tatsächlich einen Beitrag für das Erlernen einer Fremdsprache in unterschiedli- 995 chen institutionellen Kontexten leisten können. 996 8. Literatur in Auswahl 997 Beckett, Gulbahar H. 998 2006 999Project-based and foreign language education: theory, research, and practice. In: Gulbahar H. Beckett und Paul Chamness Miller (Hg.), Projct-Based Second and Foreign Lan- 1000 guage Education, 3Ϫ18. Greenwich: Information Age Publishing. 1001 Beckett, Gulbahar H. und Tammy Slater 1002 2005 1003The project framework: a tool for language, content, and skills integration. English Language Teaching Journal 59(2): 108Ϫ116. 1004 Dewey, John und William H. Kilpatrick (Hg.) 1005 1935 1006Der Projekt-Plan. Grundlegung und Praxis. Weimar: Böhlau. Frey, Karl 1007 2007 1008Die Projektmethode. Der Weg zum bildenden Tun. 9. überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz Verlag. 1009 Hackl, Bernd 1010 1994 1011Forschung für die pädagogische Praxis. Wien: Österreichischer Studienverlag. Hoffmann, Sabine 1012 2008 1013Fremdsprachenlernprozesse in der Projektarbeit. Tübingen: Gunter Narr. Kumaravadivelu, B. 1014 2006 1015Understanding Language Teaching. From Method to Postmethod. Mahwah, NJ: Lawrence Earlbaum. 1016 Legutke, Michael 1017 2006 1018„Projekt Airport Ϫ Revisited: Von der Aufgabe zum Szenario.“ In: Almut Küppers und Jürgen Quetz (Hg.), Motivation Revisited. Festschrift für Gert Solmecke, 71Ϫ80. Berlin: 1019 LIT Verlag. 1020 Nunan, David 1021 2004 1022Task-Based Language Teaching. Cambridge: Cambridge University Press. Oelkers, Jürgen 1023 1999 1024Geschichte und Nutzen der Projektmethode. In: Dagmar Hänsel (Hg.), Handbuch Projektunterricht, 13Ϫ30. Weinheim: Beltz. 1025 Schart, Michael 1026 2003 1027Projektunterricht Ϫ subjektiv betrachtet. Eine qualitative Studie mit Lehrenden für Deutsch als Fremdsprache. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren. 1028 Stoller, Fredricka L. 1029 2002 1030Project work: a means to promote language and content. In: Jack C. Richards und Willy A. Renandya (Hg.), Methodology in language teaching, 107Ϫ120. Cambridge: Cambridge 1031 University Press. 1032 Michael Schart, Tokyo (Japan) 1033