Dr. Vassilia Triarchi-Herrmann: Wie verläuft der Zweitspracherwerb? A) Interferenzhypothese: • Der Zweitspracherwerb verläuft anders als der Erstspracherwerb. • Die Erstsprache beeinflusst den Erwerb der Zweitsprache; identische Elemente und Regeln sind leicht und fehlerfrei zu erlernen, aber unterschiedliche Elemente und Regel führen zu Schwierigkeiten und Fehlern (Interferenzen). B) Identitätshypothese: • Der Erwerb von Erst- und Zweitsprache erfolgt im Wesentlichen gleich. • Strukturen und Elemente der Zweitsprache werden in gleicher Abfolge wie in der Erstsprache erworben. • Es gibt keinen Einfluss der Erstsprache auf den Erwerb der Zweitsprache. C) Interlanguage-Hypothese: • Beim Erwerb der Zweitsprache entsteht ein lernerspezifisches Sprachsystem, welches sowohl Züge von Erst- und Zweitsprache als auch eigenständige Merkmale aufweist. • Die Annäherung an die Zielsprache hat eine Systematik und einen vorübergehenden Charakter. D) Interdependenzhypothese: • Der Erwerb der Zweitsprache ist von den Kompetenzen der Erstsprache abhängig. • Ein niedriges Niveau in der Erstsprache führt zu Schwierigkeiten beim Zweitspracherwerb und zu negativen Einflüssen auf die Gesamtentwicklung eines zweisprachigen Kindes. Art der Zweisprachigkeit Auswirkungen auf die intellektuelle Entwicklung A „additive" positive Zweisprachigkeit hohe Kompetenz in beiden Sprachen oberes Schwellenniveau Zweisprachigkeit noch negative u. Kompetenz in einer Sprache, die der Kompetenz eines „native Speakers" nahe kommt S2 unteres Schwellenniveau C „doppelte" Halbsprachigkeit negative niedrige Kompetenz in beiden Sprachen (einseitig oder ausgeglichen) Abb. 5: vgl. Die Schwellenniveaus nach Toukomaa & Skutnabb-Kangas (1977) aus Cummins, 1984, S 193 Prof. Maria Petek Kirchliche Pädagogische Hochschule der Stiftung der Diözese Graz-Seckau Lange Gasse 2 8010 Graz Österreich Spracherwerb in Erst- und Zweitsprache Theoretische Aspekte und praktische Überlegungen zu Spracherwerb und Sprachkompetenz Gastvorträge an der Masaryk Universität in Brünn 04. bis 05. April 2013 im Rahmen des EU-Projekts Lebenslanges Lernen Erasmus 2012/2013 Spracherwerb in Erst- und Zweitsprache Spracherwerbstheorien 1.1 Nativismus (Chomsky, Lenneberg, Pinker): Sprache entwickelt sich aus angeborenen Kategorien, aus einem angeborenen Wissen um ihre Grundstruktur, eine Art Universalgrammatik. 1.2 Behaviorismus (Skinner): Erste sprachliche Strukturen sind eine Folge der Imitation der Sprache Erwachsener, sind also durch Anregungen aus der Umwelt in Gang gesetzte Lernprozesse. 1.3 Kognitivismus (Piaget): Die Sprachentwicklung ist ein Teil der kognitiven Entwicklung des Kindes („Sprache strukturiert Denken und Denken die Sprache." / Günther & Günther, 2007, S 90). 1.4 Konstruktivismus (Tomasello): Kinder lernen sprachliche Muster anfangs imitativ; aufgrund der Entwicklung allgemeiner kognitiver und sozialer Kompetenzen können sie schließlich generalisieren, schematisieren und kreativ kombinieren, sodass sich die sprachlichen Kompetenzen erweitern (vgl. Höhle, 2010, S 148). 1.5 Interaktionismus (Bruner): Erste sprachliche Strukturen entwickeln sich aus gemeinsamen Handlungsmustem zwischen Mutter und Kind. Überlegungen von Noam Chomsky: Das Kind hat ein angeborenes Wissen über eine „universelle Grammatik". Ein Spracherwerbsmechanismus - LAD (Language Acquisition Device) - ermögliche es dem Kind, auf der Basis von sprachlichen Universalien Hypothesen über die zu lernende Sprache aufzustellen und zu bewerten. Darauf aufbauend leite das Kind aus der gehörten Erwachsenensprache die Regeln der Grammatik ab. Vor-und nichtsprachliche Fähigkeiten des Kindes seien nicht notwendig. Überlegungen von Jerome Bruner: Wesentlich ist ein Zusammenspiel folgender drei Aspekte: formaler (Erfassen der Regeln der Grammatik -> Syntax), instrumenteller (Erfassen von Bedeutung -> Semantik) und kommunikativer Aspekt (Wirksamkeit und Effektivität von Sprache -> Pragmatik). In ständiger Wechselwirkung entwickeln sich diese Fähigkeiten in einem Interaktionsrahmen, der eine kommunikative Transaktion zwischen Kind und Kommunikationspartnern ermöglicht. Ausgehend von den einzigartigen Sprachlernfähigkeiten (LAD) wird dies durch eine Art Hilfssystem zum Spracherwerb (LASS = Language Acquisition Support System) in der Sprachgemeinschaft vorangetrieben (vgl. Günther & Günther, 2007, S 88ff). Überlegungen von Barbara Zollinger (2010): Spracherwerb ist ein komplexes Geschehen von Entwicklung, Wahrnehmung, Integration, Interaktion und Kommunikation. Dabei spielen neurolinguistische, kognitive, kommunikativ-interaktive Prozesse (tonischer Dialog, Triangulierung, Ich-Entwicklung) sowie das Sprachverständnis eine entscheidende Rolle. Modell der Sprachganzheit nach Günther & Günther (2007) und Konsequenzen: In diesem Modell werden die Schwerpunkte neben den linguistischen Kategorien (Laute, Wörter, Sätze, Text) und Kommunikationsstilen (Monolog, Dialog, Gespräche etc.) vor allem auf die kognitive Sprachverarbeitung (Sprachverständnis, Denken, semantischer Aspekt), die soziale Beachtung (Beziehungen, Sympathie/Antipathie etc.) und das Selbstkonzept (Selbstbewusstsein, Identität etc.) gelegt (vgl. S 52). Die normalen sprachlichen Entwicklungsphasen teilen Günther & Günther (2007) in acht Untergruppen: a) Schreien und differenziertes Schreien (erste Lebenstage und -wochen) b) Lallen und Produzieren erster Laute (2. bis 7. Monat) c) Erkennen von Sprachsignalen und Sprachverständnis (8. bis 12. Monat) d) Sprechen erster Wörter (um das 12. Monat) e) Sprechen von Mehrwortsätzen (2. und 3. Jahr) f) Führen von Dialogen und Erzählen (3. und 4. Jahr) g) Beherrschen aller Laute und Sich-Unterhalten mit anderen Personen (ca. 5. Jahr) h) Entwickeln eines persönlichen Sprechstils und Schlüpfen in eine individuelle Sprecherrolle (6./7. Jahr) (vgl. S 99ff). • Tracy (2008) geht in ihren Überlegungen zu einem natürlichen Erstspracherwerb von folgenden Wortarten aus: pragmatisch relevante „soziale" Wörter (baba, heia, guck-guck) Eigennamen und konkrete Substantive (Mama, Ulli, Ball, Hase) Verbpartikel (auf, zu ab) Adjektive (groß, heiß) Verben (essen, malen, tun) Partikel (nein, mehr, noch einmal). Zudem treten anfangs häufiger Wörter offener lexikalischer Klassen (Nomen, Verben etc., die prinzipiell erweiterbarer Art sind) auf als solche geschlossener lexikalischer Klassen (Artikel, Präpositionen, Konjunktionen, Modalverben). Sie verweist auch auf das topologische Modell der deutschen Sätze, das in Hauptsätzen aus Vorfeld - V2 finit (finites Verb an 2. Stelle) - Mittelfeld - Nachfeld (VE=Verbend-stellung für nicht-finite Verbbestandteile) besteht; im Nebensatz bzw. Gliedsatz kommt die Verbendstellung dem finiten Verb zu. Die sich ergebende Satzklammer ist mitunter verwirrend beim Sprachenlernen. Ähnlich wie Günther & Günther (2007) erwähnt Tracy (2007, S 72) Meilensteine der Sprachentwicklung in der Erstsprache mit recht frühen Altersangaben: Meilenstein I (12-18 Monate): Ein-Wort-Äußerungen (Mama), erste Wortkombinationen (Papa Ball); Meilenstein II (18-24 Monate). Mehrwort-Äußerungen mit nicht-finiten Verben am Ende (Oma auch Auto fahren.); Meilenstein III (24-36 Monate): zielsprachliche Wortstellung in einfachen vollständigen Sätzen (Opa kommt zu mir. Wann kommt er?); Meilenstein IV (36-48 Monate): komplexe Sätze und Nebensätze mit finitem Verb am Ende (Ich hole den Roller, wenn der Martin kommt.). Inwieweit sich solche Modelle auf den Zweitspracherwerb übertragen lassen, wird unterschiedlich gesehen, da es vor allem vom Alter des Kindes abhängt, mit dem es mit einer Zweitsprache in Kontakt kommt. Neben dem simultanen Zweitspracherwerb unterscheidet man den frühen sukzessiven (im Alter von 3 bis 5 Jahren) und den späten sukzessiven Zweitspracherwerb (im Alter von 6 bis 10 Jahren). L1, 2L1 und L2 werden grundsätzlich positiv gesehen; Code-Switching, Code-Mixing und Borrowing stellen normale Prozessaspekte dar. Am wichtigsten ist laut Tracy (2007) ein kontinuierliches, intensives und vielfältiges Sprachangebot (S 87). 2. Hypothesen zum Zweitspracherwerb • Interferenz-Hypothese (Transfer-Hypothese): Der Zweitspracherwerb verläuft anders als der Erstspracherwerb. Die Erstsprache beeinflusst den Erwerb der Zweitsprache; identische Elemente und Regeln sind leicht und fehlerfrei zu erlernen, aber unterschiedliche Elemente und Regeln führen zu Schwierigkeiten und Fehlern. • Identitäts-Hypothese: Der Erwerb von Erst- und Zweitsprache erfolgt im Wesentlichen gleich; Strukturen und Elemente der Zweitsprache werden in gleicher Abfolge wie in der Erstsprache erlernt. • Interianguage-Hypothese: Beim Erwerb der Zweitsprache entsteht ein lernerspezifisches Sprachsystem („Interimssprache"), welches sowohl Aspekte der Erst- und der Zweitsprache als auch eigenständige Merkmale aufweist. Die Annäherung an die Zielsprache hat eine Systematik und einen vorübergehenden Charakter. • Interdependenz-Hypothese: Der Erwerb der Zweitsprache ist von den Kompetenzen der Erstsprache abhängig; ein niedriges Niveau in der Erstsprache führt zu Schwierigkeiten beim Zweitspracherwerb und kann negative Einflüsse auf die Gesamtentwicklung eines Kindes haben. • Monitor-Hypothese: Die Zweitsprache wird anhand konkreter Handlungen und Situationen systematisch erlernt und faktisch über einen „inneren Bildschirm" (Monitor) des Kindes als Regelsystem erfasst. • Pidgin-Hypothese: Die Zweitsprache wird als „Handelssprache" erworben; als Mischform aus Elementen beider Sprachen dient sie der eingeschränkten Kommunikation in Handel, Wirtschaft und Industrie (vgl. Triarchi-Herrmann, Internet-Download o. A.; vgl. Günther & Günther, 2007, S 146ff). 3. EFSZ Graz (Europäisches Fremdsprachenzentrum): Für die Lehrenden bedeutet ein Arbeiten mit dem Pluri- oder Multilingualismus vor allem ein Bedenken verschiedener Aspekte und ein Erarbeiten von zusätzlichen Kompetenzen: 3.1 Kenntnisse über Erst- und Zweitspracherwerbsprozesse, linguistische Basiskenntnisse, didaktische Kenntnisse im Bereich des Erst- und Zweisprachunterrichts; 3.2 inkludierende und differenzierende Unterrichtspraxis, ein Aufbauen auf den sprachlichen Erfahrungen und Fertigkeiten des Lernenden. Für die Lernenden stehen ebenfalls besondere Schwerpunkte im Fokus: 3.3 Entwickeln eines Bewusstseins für die unterschiedlichen Sprachen und deren Funktionen (zB auch Dialekt), Erfassen von linguistischen Aspekten (Metalinguistik und Metakognition, je nach Alter), Verstehen von unterschiedlichen Zugängen (zB über Literatur), soziales und kulturelles Verständnis; 3.4 Entwickeln von strategischen Fähigkeiten im Zusammenhang mit Sprachbetrachtung und Sprachverwendung sowie von Interpretationsfertigkeiten; selbstgesteuertes Lernen und Interagieren, Sich-Vernetzen und Diskutieren. 4. Was ist in der Kommunikation grundsätzlich wichtig? • Anbieten von Sprache • Zuhören und Anschauen • Ausreden-Lassen • Ermutigen • Sich-Zurücknehmen • Loben • gemeinsames Tun / Handeln • Modellieren (Anbieten von Verbesserungsvorschlägen) • Fragen (entweder - oder / W-Fragen) (vgl. Montanari, 2010, S 89ff). Wir leben in einer vielfältigen, multikulturellen und plurilinguistischen Gesellschaft Den Weg dorthin müssen wir noch besser gestalten, damit er von Neugier, Respekt, Freude und Wertschätzung gekennzeichnet ist! Sprachkompetenz unter dem Aspekt der Mehrsprachigkeit (unter Berücksichtigung des Zusammenhangs von Wahrnehmung und Sprache) 1. Basisinformationen zum Begriff SPRACHE Sprachkompetenz ergibt sich aus dem Zusammenspiel von ICH-Kompetenz, SACH-Kompetenz und SOZIAL-Kompetenz. Die kindliche Sprachentwicklung baut auf der Entwicklung der Wahrnehmung (taktil-kinästhetisch, vestibulär, propriozeptiv, visuell, auditiv, gusta-torisch, olfaktorisch) und der sensomotorischen Entwicklung (Grob- und Feinmotorik) auf. Somit führt - kurz gesagt - das Begreifen zum BEGRIFF. Im Miteinander schulen die Kinder auf handelnder und sprachlicher Ebene ihre sozio-emotionalen Fähigkeiten; es entsteht eine Handlungskompetenz, die in Kommunikation und Interaktion zum Tragen kommt. Grundsätzlich werden bei dem Phänomen Sprache die rezeptiven Anteile (HÖREN, LESEN) und die produktiven Anteile (SPRECHEN, SCHREIBEN) unterschieden. Die Neugierde führt Kinder normalerweise zur Schrift, wenn sie erlebt haben, dass das Vorlesen, das Erzählen und das Miteinander-Reden wertvoll sind. Sie erwerben auf den vier linguistischen Sprachebenen (phonetisch-phonologische, semantisch-lexikalische, morphologisch-syntaktische, pragmatisch-kommunikative Ebene) die in ihrer Muttersprache nötige (Grund-)Kompetenz bis ins 5./6. Lebensjahr. 2. „DaZ" (Deutsch als Zweitsprache) - „DaF" (Deutsch als Fremdsprache) Aus vielen Gründen werden Kinder mit anderen Sprachen konfrontiert. Daher ist es notwendig, die Unterschiede zwischen Fremdsprache, dem eher gesteuerten Sprachenlernen, und Zweitsprache (L2), dem eher ungesteuerten Sprachenlernen, zu erklären. Fremdsprachen werden häufig im Unterricht (oder in Kursen) erlernt. Eine Zweitsprache wird „erlebt", weil die Familie in ein anderes Land zieht (aufgrund verschiedenster Ursachen) und daher ein Hineinfinden in die neue Umgebungssprache unumgänglich ist (Stichworte: „first and second generation immigrants"). Je nach Alter des Kindes und der damit verbundenen Sprachkompetenz in der Erstsprache (L1) sowie abhängig vom sozio-kulturellen Hintergrund sowie den in der Familie gepflegten Traditionen wird die Zweitsprache in unterschiedlichen Zeitspannen und auf unterschiedlichem Niveau erlernt. Ausschlaggebend dafür ist zudem die in der Familie hauptsächlich verwendete Sprache sowie die Wertschätzung der beiden Sprachen und auch die Wertschätzung der beiden Kulturen („home culture"). Die Alphabetisierung sollte nach neueren Erkenntnissen eigentlich in der Muttersprache („home language") erfolgen; dies klingt zwar logisch und nachvollziehbar, ist aber in der schulischen Realität nicht ohne weiteres umzusetzen. Es müssten teilweise zahlreiche Lehrpersonen zur Verfügung stehen. 3. Gesetzliche Aspekte in der Volksschule in Österreich In Österreich herrscht eine allgemeine Schulpflicht, d.h., Kinder ab dem vollendeten 6, Lebensjahr besuchen eine Schule, wenn sie sich dauernd in Österreich aufhalten (auch als Flüchtlings- oder Migrantenkinder). Wenn die sprachlichen Fähigkeiten zu gering sind, um dem Unterricht folgen zu können, werden diese Kinder als „außerordentliche Schüler/ Schülerinnen" geführt. Dieser Status steht ihnen 12 Monate zu und kann durch die Schulleitung um weitere 12 Monate verlängert werden. Es sind „Sprachförderkurse" („Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache") in unterschiedlichem Zeitausmaß einzurichten: für außerordentliche Schüler/Schülerinnen bis zu 12 Wochenstunden, für ordentliche Schüler/Schülerinnen der Volks- oder Sonderschule bis zu fünf Wochenstunden sowie für Schüler/Schülerinnen der Hauptschule und des Polytechnikums bis zu sechs Wochenstunden), wobei die Förderung unterrichtsparallel, integrativ oder zusätzlich am Nachmittag stattfinden kann. Seit dem Schuljahr 2005/2006 werden meist früh (oft schon zwischen November und Jänner) Schuleinschreibungen vorgenommen, um Kindern mit anderen Erstsprachen als Deutsch über Sprachförderkurse im Kindergarten einen besseren Start zu ermöglichen. Seit dem Schuljahr 2006/2007 kann in der Vorschulstufe sowie in den vier Schulstufen der VS ab acht Kindern ein solcher Kurs ein Jahr lang angeboten werden (schulstufenübergreifend oder sogar schulübergreifend). Zudem bietet das österreichische Schulsystem den sogenannten „Muttersprachlichen Unterricht" an, der die Entfaltung der Bikulturalität und die Entwicklung bzw. die Festigung der Zweisprachigkeit zum Ziel hat. Das Zeitausmaß variiert von Schulart zu Schulart (durchschnittlich zwei bis sechs Stunden pro Woche). In Österreich werden derzeit 20 verschiedene Sprachen angeboten, allerdings eher in Ballungszentren. Eine Differenzierung ist gegenüber dem Begriff bzw. dem Fach „Interkulturelles Lernen" vorzunehmen, das als Unterrichtsprinzip Verständnis für und Kenntnisse über andere Kulturen vermitteln soll. 4. Zwei- und Mehrsprachigkeit Zwei- oder gar Mehrsprachigkeit innerhalb einer Familie bietet nochmals eine andere Variante des Sprachenlernens. „One person - one language" sollte dabei im Vordergrund stehen; d. h., die jeweilige Erstsprache sollte durchgehend gesprochen werden. Als wichtigster Aspekt sollte bedacht werden, dass JEDE SPRACHE EIN GEWINN ist! • „Sprache ist Bildung und Schlüssel für gesellschaftliche Partizipation." (Holler-Zittlau, 2010, S 30) • „Interdisziplinarität und Vernetzung sind Gelingensbedingungen für eine wirksame Sprachstandserfassung und Sprachförderung." (Holler-Zittlau, 2010, S 43) • „Sprachwissen und Sprachkönnen sind die Grundlagen zum Umgang mit Sprache für Kinder im Vorschulalter und somit auch Grundlagen für den Schriftspracherwerb." (Grammel, 2010, S 56) • Zellerhoff (2010) hält implizites (Zweit-)Sprachenlernen in Handlungszusammenhängen - mit Spiel, Bewegung und Anregungen für alle Sinnesbereiche - für Kinder im Vorschulalter für wesentlich; im Schulalter sieht sie explizites Lernen von sprachlichen Gegebenheiten und Regeln der Zielsprache als adäquater an (vgl. S 22). 5. Praktische Überlegungen 5.1 Sprachhandeln (am Beispiel „Verkehr") Jede Handlung hat ein oft wenig bewusstes Motiv, immer aber ein Ziel, das bewusst ist. Wie dieses Ziel nun in seinen Teilzielen bzw. Teilhandlungen umgesetzt wird, hängt mit den operativen Fähigkeiten zusammen, die ihrerseits wiederum auf bereits gemachten Erfahrungen beruhen. Eine ganzheitliche Sprachförderung wird immer wieder die Handlung mit der sie begleitenden Sprache im Fokus haben, sodass das kommunikative Geschehen von der Intention des Handelns und dem entsprechenden Gegenstandsbezug geleitet wird. Die Fähigkeit zur Antizipation (Vorstellung und innere Planung von Handlungen bzw. von Handlungssequenzen in der entsprechenden Reihenfolge) entwickelt sich nach und nach, sie stellt einen nicht zu unterschätzenden Teil der Handlungsfähigkeit dar. Die Handlungsplanung hat ihren Ausgangspunkt in dem großen Aufforderungscharakter, den jegliches Ding der Umwelt für ein Kind hat. Die Neugierde motiviert das Kind, treibt es voran, alles und jedes zu erforschen, auszuprobieren und durch das Hantieren zu erkunden. So ergeben sich im spielerischen Agieren erste Abfolgen von Handlungen, die später durch die Fähigkeit der Serialität von großer Bedeutung für die Strategiebildung und für das Problemlösen sind (vgl. Weigl; Reddemann-Tschaikner, 2002, S 50ff). Im Ansatz von HOT, der handlungsorientierten Therapie für Kinder mit Sprachentwick-lungsstörungen, entspricht die sich ergebende Handlungsgrammatik der Sprachgrammatik. „Wichtig ist die Tatsache, dass sich durch die Entwicklung und die täglichen Erfahrungen hinsichtlich der Planung und Serialität der Handlungssequenzen kognitive Prozesse entwickeln, die der Strukturierung und der hierarchischen Ordnung der Sprache entsprechen. Dadurch unterstützen und fördern sich Handlung und Sprache gegenseitig." (ebda, S 54) 5.2 „Total Physical Response" / TPR (am Beispiel „Kleidung") Diese multisensorische Methode des Sprachenlernens auf der Basis der Koordination von Sprache und Handeln wurde von Prof. James Asher, einem Psychologen in Kalifornien, entwickelt. Sie zielt auf ein intensives Training der Wahrnehmungs- und Aufnahmefähigkeiten der Lernenden. Die Bedeutung und die Auswirkungen der affektiven/emotionalen Faktoren beim Lernen sowie die der spielerischen Bewegungen werden genützt, um Kindern Sprache (bzw. eine Fremdsprache) näher zu bringen. Kurze Sequenzen mit Instruktionen, Fragen oder Beschreibungen werden dargeboten. Die Kinder führen die geforderten Aktivitäten aus, ohne anfangs dabei zu sprechen. So gewinnen sie Einblick in die Schlüsselelemente der Sprache. Zu Beginn müssen die Instruktionen natürlich oftmals gegeben und die entsprechenden Aktivitäten durch die Lehrperson veranschaulicht werden. Durch des Erfahren und Ausprobieren von Sprache mit dem Körper und über Bewegungen wird es möglich, Sprache ohne Belastung bald aktiv und korrekt zu verwenden. Mit Hilfe von Aktionsspielen kann das Interesse der Kinder geweckt und aufrechterhalten werden; Kinder geben in Partnerübungen die geforderten Aktivitäten wider, sie spiegeln sie oder agieren mit Hilfe von „Flash-cards". Das lustbetonte und anregende Miteinander macht neugierig - und abermals führt „das Begreifen zum Begriff'! 6. Literaturliste Ahrenholz, B. (Hrsg.) (2006): Kinder mit Migrationshintergrund. Freiburg i.B.: Fillibach. Anstatt, T. (Hrsg.) (2007): Mehrsprachigkeit bei Kindern und Erwachsenen. Tübingen: Attempto. Babbe, K.; Kraatz, R.; Peper, S.; Loeppke, M.; Rost, K. (2003): Werkstatt Deutsch als Zweitsprache A. 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Bern: Haupt. www.edition-bilibri.com www.buch-mehrsprachiq.at www.lesenetzwerk.at Halyna Schweizer Zwei Sprachen Ich möchte wissen, wie viele Sprachen es in dieser Welt gibt. Ich möchte das gern wissen. Aber leider weiß ich es nicht. Ich möchte wissen: Wie viele Sprachen kann ein Mensch lernen? Und wieder, leider... Aber eines weiß ich ganz genau: Zwei Sprachen leben in mir. Und ich lebe in zwei Sprachen. Die erste ist wie eine starke Eiche, das ist die Muttersprache. Wie eine junge Birke ist die zweite. Aber ich pflege beide. Wie ein „Mutterwiegenlied" ist die eine und die andere wie eine neue, unbekannte Melodie. Ich höre beide gerne. Zwei Sprachen leben in mir, und ich lebe in zwei Sprachen. Die erste ist bei mir, wenn ich an meine Heimat denke. Die zweite brauche ich, damit andere mich verstehen können. Die eine steht für meine Eltern, meine Kindheit und Jugendzeit. Die andere ist meine Gegenwart und meine Zukunft. Ich lebe in zwei Sprachen, und zwei Sprachen leben in mir. Nein, sie streiten nicht, sie kommen miteinander aus. Ich freue mich darüber. Ich brauche diese zwei Sprachen, weil sie meine Gedanken, meine Seele und mein Leben sind. Ich habe schon gelernt, in der zweiten Sprache zu lachen. Aber mir fehlt doch immer wieder meine Muttersprache, um zu beten und zu weinen ...