4. THEORIEN UND HYPOTHESEN ZUM SPRACHERWERB Spracherwerb x Sprachlernen (Krashen, 1986) Spracherwerb: - beiläufig - ungeplant - ungesteuert - im natürlichen Kommunikations-prozess (Muttersprache bei Kindern) Sprachlernen: - geplant - gesteuert - unterrichtsgestützt - in einem schulischen Niveau (in Form einer linguistischen Beschreibung) Sehr oft wird für beide Begriffe ein zusammenfassender Begriff – Spracherwerb benutzt. Erst- , Zweit-, Mehrspracherwerb Erstspracherwerb - Erwerb von der Muttersprache (L1) Zweitspracherwerb – Erwerb von der ersten Fremdsprache (L2) Mehrspracherwerb – Erwerb von der zweiten und anderen Fremdsprachen (L3,L4 ...) Erstspracherwerb (Erwerb von der Muttersprache) Theorien /Erklärungsmodelle (vgl. Janíková 2010: 18-20): Behaviorismus - eine besondere Form des menschl. Handelns (Skinner, 1957) - Sprachenlernen als Prozess der Imitation und Verstärkung (Kinder ahmen das Sprechen der Erwachsenen besonders dann nach, wenn sie belohnt werden und Erfolg gewinnen) - Sprache nur als Verhaltensgewohnheiten, die der Mensch entwickelt, es gibt keine grammatische Regeln, Strategien - Kind wird als passives Wesen betrachtet, es nimmt die Sprache über die Außenwelt auf und hat/braucht keine Prädispositionen für das Sprachenlernen - Sprache wird gelernt (ist nicht angeboren) Nativismus - Sprache ist angeboren (Chomsky, 1958) - Erwerb der Sprache als Reifungsprozess betrachtet (biologisch bestimmt) - Sprache ist eine humanspezifische Fähigkeit, genetisch vorprogrammiert (Chomsky, 1977) - untergeordnete Rolle des Lernens beim Sprachenlernen - im Fokus steht die Struktur des sprachlichen Systems: § Sprache hat eine hierarchische Struktur § Sprache weist eine Oberflächen- und Tiefenstruktur § Sprache trägt eine eigene Dynamik und Kreativität in sich - Kind verarbeitet und nimmt die Sprache nach einem vorgegebenen Sprachprogramm an. Nach Chomsky ist die Kreativität so zu verstehen, dass jeder, wer spricht fähig ist, eine unendliche Anzahl von Sätzen zu produzieren und zu verstehen. Kognitivismus - Sprache als Teil der allgemeinen kognitiven Entwicklung und logische Folge der sensomotorischen Entwicklung. Es gibt wechselseitige Verknüpfung zwischen Sprache und Denken (Piaget, 1896 –1980) - Sprache und Denken beeinflussen sich gegenseitig - Kind erwirbt die Sprache durch die ständige Auseinandersetzung mit seiner Umwelt, Menschen und Dingen - zwei Prozesse bei der kognitiven Entwicklung in der Interaktion mit der Umwelt: § Assimilation (Anwendung schon vorhandener schematischer Konzepte auf Neues) § Akkommodation (Veränderung von schon vorhandenen Konzepten aufgrund nicht assimilisierbarer Umweltreize) Interaktionismus - Sprachentwicklung verläuft sozial – Interaktion und Wechselbeziehungen mit Bezugspersonen - Sprache wird nicht erworben oder gelernt sondern als ein Mittel zur Herstellung sozialer Beziehungen betrachtet - die sprachlichen Regeln und Strukturen schon existieren - Mutterspracherwerb des Kindes in einer sehr engen und aktiven Wechselbeziehung zwischen Kind und seinem Umfeld, wobei Mutter von Anfang an zu seiner Sprachlehrerin wird (Kind agiert und reagiert zuerst durch Mimik, Gestik später auch sprachlich.) - signifikant ist Hypothese das Erreichen des nächsten Entwicklungsstadiums (Zone of proximal development, Vygotskij 1970) Fremdsprachenerwerb - das Lernen/der Erwerb einer Sprache, die nicht zur Muttersprache gehört - erste Fremdsprache - im deutlichen zeitlichen Abstand zum Beginn des Erstspracherwerbs, ab etwa 3. Lebensjahr /bis 3. Lebensjahr - doppelter Erstspracherwerb, sog. Bilingualismus/ - zweite und andere Fremdsprachen - Mehrspracherwerb - ungesteuert /in der alltäglichen Kommunikation im natürlichen soziokulturellen Kontext/ oder gesteuert /im schulischen Bereich, Sprachkurse, usw./ - mehrere Theorien und Hypothesen zum Fremdsprachenerwerb - Fossili(si)erung: auffällige Eigenschaft des Zweitspracherwerbs in bestimmten Bereichen – kann man keine Fortschritte mehr machen, der Lerner ist nicht für neuen Input bestimmter Art aufnahmebereit Theorien und Hypothesen zum Erwerb der Zweitsprache im schulischen Bereich (vgl. Janíková 2010: 20-22) 1. Identitätshypothese (Wode 1981) - L1 keinen wesentlichen Einfluss auf L2 - Fremdsprachenerwerb abläuft nach universalen kognitiven Prinzipien - L2 verläuft nach gleichen sprachlichen Prinzipien zum Erwerb L1 - basiert auf Chomskys Annahme von der Angeborenheit: der Lerner aktiviert bei L2-Erwerb angeborene Potenziale und kognitive Prozesse in der gleichen Abfolge wie bei L1-Erwerb. - die Fremdsprache wird in bestimmten chronologisch festgelegten Sequenzen erworben wie ein Kind beim Lernen der Muttersprache - Fremdsprachenerwerb als ein aktiver, kreativer und kognitiver Prozess mit Fehlern als notwendigen Entwicklungsstadien 2. Kontrastivitätshypothese (Fries 1945/Lado 1957) - stellt die beiden Sprachsysteme L1 und L2 vergleichend gegenüber und geht auf den Vergleich ähnlicher Sprachmuster zurück - der Fremdsprachenerwerb wird von der Muttersprache in der Weise beeinflusst - identische Strukturen und Regeln sind leicht zu erlernen (positiver Transfer), dagegen unterschiedliche Elemente und Regeln führen zu sog. Interferenzfehlern (negativer Transfer) und verursachen Lernschwierigkeiten - typische Übungen: Analyse von Ausgangs- und Zielsprache, Übungen zu Differenzen in beiden Sprachen 3. Die Interlanguage-Hypothese - beim Fremdsprachenerwerb durchläuft der Lerner verschiedene sprachliche Zwischenstadien (Interimsprachen/Zwischensprachen/interlanguages/ - Begriff „interlanguage“ von Reinecke (1935) und Selinker (1969) eingeführt, bedeutet ein spezifisches Sprachsystem beim Fremdsprachenerwerb mit Merkmalen der Muttersprache, der Zielsprache sowie mit Merkmalen, die von beiden Sprachsystemen unabhängig sind. - Interimsprache (Lewandowski 1990) ist eine Zwischensprache, stellt eine Lernphase im Fremdsprachenerwerb dar und verändert sich ständig in Richtung Zielsprache. - Spracherwerbsprozess als ein rekonstruktiver und zugleich kreativer Prozess begriffen 4. Die Monitor-Hypothese (Krashen 1981) - Fremdsprachenlernen als bewusster Prozess. - der Lerner erlernt das Regelsystem systematisch, zielorientiert und sprachreflexiv. - dieses System überwacht fortan die sprachlichen Äußerungen des Lerners – es bildet im Gedächtnis den sog. Monitor (eine Kontrollinstanz). - dieses System als Fähigkeit des Lernenden, eigene Sprachproduktion und –Rezeption bewusst zu überwachen. 5. Die Konkurrenztheorie - dem Fremdsprachenerwerb werden zwei angeborenen Verarbeitungsmechanismen zugeschrieben: § sprachspezifischen Verarbeitungsmechanismus, bei dem natürliche Spracherwerbsprozesse wie beim Muttersprachenerwerb getragen werden und § Problemlösungsmechanismus, verstanden als Konkurrenz und hemmender Faktor beim Fremdsprachenerwerb gegenüber dem sprachspezifischen Verarbeitungsmechanismus. 6. Die Input-Hypothese (Krashen 1977) - Mensch erwirbt Sprache nur durch das Verstehen von Mitteilungen oder die Aufnahme von "verständlichem Input" /I/. - wir lernen durch das Verstehen von Sprache, die Strukturen enthält, die minimal über unserem gegenwärtigen Kompetenzgrad (I+1) liegen. Dies geschieht mit Hilfe des Kontextes oder mit Hilfe von außersprachlichen Informationen. - zunächst muss der Lerner, der sich auf der Kompetenzstufe K befindet, K+1 verstehen, um die nächste Stufe erreichen zu können. - der neue Input muss mehr als K+1 enthalten, wobei K+1 das ist, was der Lerner versteht. - Kommunikation verläuft erfolgreich, wenn der Input verstanden wird und wenn er in ausreichender Menge vorhanden ist, wird I+1 automatisch bereitgestellt. - die Fähigkeit zur Sprachproduktion entwickelt sich der Input-Hypothese nach von sich selbst. Sie wird nicht direkt gelehrt. 7. Die Hypothese des affektiven Filters (Krashen 1982) - der affektive Filter umfasst Motive, Bedürfnisse, Emotionen, Selbstvertrauen, Integration, Ängste oder Gewohnheiten. - stellt eine Art Barriere für den Lerner dar. - ist dafür verantwortlich, was gelernt/erworben wird. - Ziel: diesen Filter so niedrig wie möglich halten, um möglichst beste Ergebnisse zu erzielen. - je weniger Druck auf den Lernenden ausgeübt wird, desto niedriger ist der affektive Filter. Quelle: http://home.edo.uni-dortmund.de/~hoffmann/ABC/Krashen.htm Praktische Aufgabe: Versuchen Sie zu konfrontieren, welche Theorie mit Ihrem Erwerb der deutschen Sprache am meisten im Einklang ist. Mein Erwerb der deutschen Sprache wurde als Zweitspracherwerb – Erwerb von der ersten Fremdsprache (L2) im schulischen Bereich (Mittelschule) gesteuert realisiert. Ich würde sagen, dass während meines Deutschstudiums die Merkmale von der Kontrastivitätshypothese, Interlanguage-Hypothese und teilweise der Input-Hypothese auftraten, am meisten aber von der Kontrastivitätshypothese. Literaturverzeichnis: Barkowski, Hans / Krumm, Hans-Jürgen (2010): Fachlexikon Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Tübingen und Basel, Francke. HÄUSERMANN ULRICH, PIEPHO HANS-EBERHARD: Aufgaben-Handbuch. Deutsch als Fremdsprache, Abriss einer Aufgaben- und Übungstypologie. München: Iudicium, 1996. Helbig, Gerhard / Götze, Lutz / Henrici, Gert / Krumm, Hans-Jürgen (2001): Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch. Berlin, New York. JANÍKOVÁ, V., Didaktik des Unterrichts Deutsch als Fremdsprache: eine Einführung. 1. vyd. Brno: Masarykova univerzita v Brně, pedagogická fakulta, 2010. 175 s. ISBN 978-80-210-5035-8. Links: Krashens Input-Hypothese [online]. 19.5.2014 [zit. 2014-5-19]. Zugänglich in http://www.slm.uni-hamburg.de/iaas_slf/Materialien/016.pdf Stephen Krashen: Monitortheorie [online]. 19.5.2014 [zit. 2014-5-19]. Zugänglich in http://home.edo.uni-dortmund.de/~hoffmann/ABC/Krashen.htm