7. Wortschatzvermittlung 1. Gliederung des Wortschatzes Der Wortschatz ist der wichtigste Teil jeder Sprache und ist stark strukturiert und gegliedert und für jeden Mensch ist auch wichtig die Struktur des Wortschatzes kennenzulernen. Wörter und Wendungen sind die Grundlage sprachlicher Kommunikation und damit Ausgangspunkt des gesteuerten Fremdspracherwerbs. Der Wortbestand einer Sprache lässt sich grob in zwei Klassen unterteilen: ● die offene Klasse der Inhaltswörter (Substantive, Adjektive, Verben) - neue Bedeutungen und neue Wörter entstehen ● die geschlossene Klasse der Strukturwörter (Pronomen, Artikel, Konjunktionen, Präpositionen etc.) - die Zahl ist begrenzt Für Unterrichtszwecke muss diese Einteilung noch weiter differenziert werden in: ● produktiven / aktiven Wortschatz ● rezeptiven / passiven Wortschatz ● potenziellen Wortschatz Zum potenziellen Wortschatz gehören alle abgeleiteten und zusammengesetzten Wörter, die dem Lerner zwar vollkommen neu sind, die er aber aufgrund unter Bildungsweise erschlieβen kann. Zur Wortschatzarbeit gehört also nicht nur die Vermittlung einzelner Wörter und ihrer Bedeutungen, sondern auch und besonders die Sichtbarmachung von Wortbildungs- und Ableitungsregeln. Gerade für die rezeptiven Fertigkeiten (Hören und Lesen) ist der Wortschatz des Lernenden von ausschlaggebender Bedeutung. potenzielle.[1] Man muss unterscheiden 1. Wortschatz (für Lehrwerkautoren): * Primär * Sekundär * Abgeleitet 2. Wortschatz (für Unterrichtszwecke) * produktiven/aktiven * rezeptiven/passiven (Fertigkeit Hören und Lesen) * potenziellen (alle abgeleitete Wörter) Muttersprachler verwenden max. 15.000 Wörter Mit den ersten 1000 W. kann man mehr als 80% des Wortschatzes aller Normaltexte erfassen. Lerntheoretische Gesichtspunkte Lern- und gedächtnispsychologische Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte weisen darauf hin, dass auch dem Prozess der Aneignung und Festigung lexikalischer Einheiten zunehmende Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Dies bezieht sich sowohl auf die Verfahren der Bedeutungsvermittlung wie auch auf die Systematik des Übungsprozesses. Dabei nehmen drei Grundprinzipien der Wortschatzarbeit eine zentrale Stellung ein: ● kontextualisiertes Lernen ● vernetztes Lernen ● mehrkanaliges Lernen Kontextualisiertes und vernetztes Lernen Neue Wörter sollten nicht isoliert, sondern vernetzt, d.h. in Verbindung mit anderen lexikalischen Einheiten, gelernt werden, wobei es sich als besonders effektiv erwiesen hat, neuen Wortschatz mit bekannten zu verknüpfen. Die Gedächtnispsychlogie ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die „riesige Informationszentrale Gedächtnis“[2] verschiedene Typen von Verbindungen zwischen den Einzelelementen aufweist. Die verschiedenen Assoziationen zu einem Einzelwort lassen sich nach drei Ordnungsprinzipien wie folgt klassifizieren: ●semantische Gesichtspunkte KOORDINATIONEN (Salz, Pfeffer, Senf) KOLLOKATIONEN (Salz strefen) SUBORDINATIONEN (Vogel – Spart, Ente, Adler, Eule) SYNONYME (berichtigen, korrigieren) ANTONYME (gut, böse) ●grammatische Gesichtspunkte WORTARTEN ●thematisch-situative Gesichtspunkte[3] Die beschriebenen Verbindungen können jedoch nicht nur zwischen zwei oder mehreren Wörtern entstehen, sondern auch nicht-sprachlicher Natur sein. So kann sich ein Wort zum Beispiel mit bestimmten Emotionen, Erlebnissen und visuellen oder akustischen Eindrücken im Gedächtnis verbinden. Die Einbettung von Wortschatz nicht nur in einen Text, sondern auch in einen situativen Kontext ist daher eine wichtige Gedächtnisstütze.[4] Mehrkanaliges Lernen Informationen finden über verschiedene Wahrnehmungskanäle Eingang in unser Gedächtnis: Auge, Ohr, Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn. Die Empfehlung, Wortschatz (und auch andere Lernstoff) mehrkanalig zu lernen, leitet sich aus der lernpsychologischen Erkenntnis her, dass diese Kanäle einerseits unterschiedlich effektiv sind und sich anderseits gegenseitig verstärken. Beim Lernen mit behalten wir und vergessen Ohr: Hören 20 Prozent 80 Prozent Auge: Sehen 30 Prozent 70 Prozent Mund: Sprechen 70 Prozent 30 Prozent Hände: eigenes Tun 90 Prozent 10 Prozent Mehrkanaliges Lernen ist also eine Kombination von Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben. Beim mehrkanaligen Lernen aktivieren wir „unsere Vorstellungen von Klängen, Rhythmen, Melodie, Farben, Formen, Gerüchen, Geschmacks- und Tastempfindungen, Mimik und Gestik“.[5] Mehrkanaliges Lernen entspricht auch der Funktionsweise unseres Gehirns, indem es dessen Lateralisierung in linke und rechte Hemisphäre berücksichtigt.[6] 2. Phasen der Wortschatz und Bedeutungsvermittlung Für jede Unterrichtseinheit gelten verschiedene Phasen und auch für den Wortschatz gibt es verschiedene Phasen, die man verwenden sollte. In jeder Phase sollten man typische Übungen vorstellen. Das Lehren und Lernen von Wortschatz vollzieht sich in mehreren Phasen: Präsentations- oder Vermittlungsphase Festigungs- oder Übungsphase Anwendungphase[7] Vermittlungsphase Wortschatz wird in Abhängigkeit von der: a) Art des Lehrbuchs b) Von der Methode, die es widerspiegelt c) Von dem Sprachniveau der Lerner unterschiedlich präsentiert[8] Man unterscheidet fünf Klassen von Vermittlungsverfahren: ● Demonstration (z.B. Zeigen und Benennen, Vorführen) ● Verwendung in einem typischen Kontext ● Herstellung eines logischen Bezugs (z.B. Definition, Gleichung, Analogieschluss) ● Erklärung durch einzelne bereits bekannte Wörter (z.B. Antonyme, Synonyme) ● Übersetzungen Festigungsphase Wiederholen ist ein unerlässliches Mittel, Lerninhalte fester im Gedächtnis zu verankern und schneller abrufbar zu machen. Dabei stellt sich sowohl die Frage nach dem WANN als auch dem WIE des Wiederholens. Die didaktischen Prinzipien der Wortschatzfestigung ergeben sich aus den lernpsychologischen Voraussetzungen. Relevant sind zunächst Häufigkeit und zeitliche Einteilung des Wiederholungsprozesses. Diese richtet sich nach gedächtnispsychologischen Prozessen. Verstrichene Zeit Vergessen wird 20 Minuten 30 - 45 Prozent 1 Tag 50 - 65 Prozent 1 Woche 70 - 75 Prozent 1 Monat 80 Prozent Daraus ergibt sich als Faustregel der folgende Wiederholungsplan: 1. Wiederholung nach ein paar Stunden 2. Wiederholung nach einem Tag 3. Wiederholung nach einer Woche 4. Wiederholung nach einem Monat 5.Wiederholung nach einem halben Jahr[9] Anwendungsphase Leider kommt die Anwendungsphase in der Unterrichtspraxis oft zu kurz, unter anderem, weil sie mit einem relativ hohen Zeitaufwand verbunden sein kann. Trotzdem ist es für den Verstehens- und Erinnerungsprozess unerlässlich, dass der gelernte Stoff in seiner natürlichen, also kommunikativen Funktion angewandt und erfasst wird.[10] 3. Lerntypen Aus dem Prinzip des mehrkanaligen Lernens leitet sich in gewisser Weise auch das Bestreben nach einer Individualisierung des Unterrichtsprozesses her. Jeder Lehrer wird sich selbstverständlich bemühen, Schüler mit klar erkennbaren Lernstörungen individuell zu behandeln und entsprechend ihren Fähigkeit und Problemen zu fördern. Dieses Prinzip sollte sich jedoch nicht nur auf Problemfälle beschränken. Jeder Lerner ist in seiner Aufnahmefähigkeit über die einzelnen Kanäle unterschiedlich vorgeprägt. Man unterscheidet dementsprechend verschiedene Lerntypen, die jedoch nie in reiner Form, sondern in individuellen Mischtypen auftreten, also auch ausgeprägte Fähigkeiten und Schwächen in bestimmten Bereichen aufweisen. Hierbei spielen auch Lerngewohnheiten eine wichtige Rolle. Nach Vester kann zwischen den folgenden Lerntypen unterschieden werden: ● dem visuellen (durch Sehen lernenden) Typ ● dem auditiven (durch Hören lernenden) Typ ● dem haptischen (durch den Tastsinn lernenden) Typ ● dem verbalen (durch sprachlich-abstrakte Erklärung lernenden) Typ ● dem interaktionsorientierten (im sozialen Kontakt und Gespräch lernenden) Typ. Im Ideafall sollte der Unterrichtprozess jedem Lerntyp gerecht werden, also unterschiedliche Lernwege anbieten. Voraussetzung dafür ist, dass jeder einzelne Lerner sich seiner spezifischen Stärken und Schwächen bewusst wird und aus dem vom Lehrer bereitgestellten Angebot an Lernaktivitäten bewusst auswählt. Einerseits ist daher die Selbstevaluierung als Teil des Fremdsprachenunterrichts (im Sinne einer Reflexion über das eigene Lernverhalten und dessen Effektivität) in der Fachliteratur der vergangenen Jahre zunehmend thematisiert worden. Anderseits geht damit die Erprobung offener Lernmethoden (wie z. B. des projektorientierten und autonomen Lernens) einher.[11] 4. Übungstypologie Rezeptive, reproduktive, und produktive Übungen dienen der Festigung und Aneignung des Wortschatzes. Erkennungsübungen: Lexikalische Einheiten müssen im Text identifiziert werden. Erschließungsübungen: Die Semantik von lexikalischen Einheiten wird mit Hilfe verschiedener Verfahren erschlossen. Differenzierungsübungen: Bedeutung (Bedeutungsumgang, Bedeutungsunterschiede) einer lexikalischen Einheit wird von der einer anderen unterscheiden. Ordungs- / Zuordnungsübungen Bezeichnungs- (= Bennenungs-)übungen Erklärungs- (= Definitions-)übungen Substitutionsübungen: Ein sprachliches Mittel wird durch ein anderes ersetzt. Komplementationsübungen: Sprachliche Einheiten (Wörter, Reihen, Sätze, Texte) werden ergänzt. Eine häufige Form sind Einsetzübungen (Lückentext). Expansionsübungen: Sprachliche Einheiten (Wörter, Reihen, Sätze, Texte) werden erweitert. Transformationsübungen: Sprachliche Einheiten werden von einer Form in eine andere überführt.[12] Praktische Aufgabe: Ergänzen Sie: Ap - barn - Dach - de - Er - fort - gel- haus- Hoch - Hof - Kom - Krach - Lärm - laub - ment - Mi - Mie - Mie - Nach - nis - nu - par - Platz - Streit - te - te - ten - ter - Ver - Vö - Wän Es ist nicht verboten, wir haben die Erlaubnis. Auf dem Haus ist das... Eine Stunde hat 60... Dort kann man wohnen: ... und... Hier spielen die Kinder manchmal: ... Auch ein Ehepaar hat manchmal: ... Die Miete bekommt der... Beide Familien wohnen im zweiten Stock, sie sind... Morgens singen die... Ein Zimmer hat vier... Beide Kinder haben ein Zimmer, wir haben viel... Eine Wohnung mit... ist teuer. Die Wohnung kostet 570 Mark ... pro Monat. Das ist sehr laut und stört die Nachbarn: ... und... * In dieser Aufgabe wird verlangt, dass Wörter im Kontext ergänzt werden. Deshalb wird der Wortschatz vernetzt vermittelt. Dazu muss die Wortbedeutung zugeordnet werden, wobei die einzelnen Wörter zuvor erst noch aus den Silben zusammengesetzt werden müssen. Es handelt sich hier um die Arbeit mit dem passiven Wortschatz. Die Übung ist zugleich reproduktiv und produktiv. Sie ist eine Wortbildungsübung und betrifft die Satzebene. Literaturverzeichnis: BOHN, Reiner: Probleme der Worschatzarbeit, Fernstudienheit 22, Berlin, München: Langenscheidt, 1999. HENRICI, Gert/ RIEMER, Claudie: Einführung in die Didaktik des Unterrichts Deutsch als Fremdsprache, 2. Aufl., Schneider Verlag Hohengehren GmbH., Baltmannsweiler, 1996. JANÍKOVÁ, Věra: Didaktik des Deutschen als Fremdsprache, Anmerkungen zu aktuellen Themen mit Aufgaben zum reflektierten Selbstsudium, 1. vyd., Brno : Masarykova univerzita, 2005. MÜLLER, Bernd-Dietrich: Wortschatzarbeit und Bedeutungsvermittlung, Deutsches Institut für Fernstudium an der Universität Tübingen (DIFF), 1994. ________________________________ [1] Janíková, 2005, 27 [2] Rohrer, 1984, 13 [3] Müller, 1994, 13 [4] Janíková, 2005, 29 [5] Bohn, 1999, 198 [6] Janíková, 2005, 29 [7] ebd. 32 [8] Henrici/Riemer, 1996, 170 [9] Bohn, 1999, 200 [10] Janíková, 2005, 33 [11] ebd. 30 [12] Henrici/Riemer,1996, 182