Grammatik und Motivation -ein Widerspruch? Motivierungschancen und -Strategien im Grammatikunterricht VON WILFRIED KRENN Sehr vielen Lernern fällt es schwer, sich für die gängigen Aufgabenstellungen im Fremdsprachenunterricht zu motivieren. Jüngeren Lernern fällt dies vor allem dann schwer, wenn Aktivitäten und Aufgabenstellungen unter dem Stichwort „Grammatik" präsentiert werden. Andererseits besteht unter Lernern und Lehrern ein weitgehender Konsens darüber, dass Grammatik und Grammatikübungen für das Erlernen einer Fremdsprache wichtig sind. Auch begegnen wir immer wieder „hochmotivierten" Lernern, die mit Hilfe von Grammatik und Grammatikübungen gern und gut Fremdsprachen gelernt haben. Beschäftigung mit Grammatik wird von vielen Lehrern und Lernern als motivierend erlebt: Die Grammatik bringt Ordnung in das „Chaos" des Fremdsprachenunterrichts. Die Aufmerksamkeit und Konzentration beim wiederholten Üben einer Struktur ist größer, wenn dies im Rahmen eines „Spiels" geschieht. Die Beschäftigung mit Grammatik im Fremdsprachenunterricht weist durchaus Aspekte auf, die von vielen Lehrern und Lernern als motivierend erlebt werden. Im Fremdsprachenunterricht sind viele Lehr- und Lernziele schwer „operationalisierbar". Wenn wir Fertigkeiten im Unterricht trainieren, ist es oft schwierig, genau zu definieren, welche Teillernziele nun mit Hilfe einer bestimmten Aufgabenstellung erreicht werden können. Die Grammatik kann Ordnung in das „Chaos" des Fremdsprachenunterrichts bringen und suggeriert, dass es möglich ist, das Erlernen der Fremdsprache in übersichtliche Teillernschritte aufzugliedern. Wichtige Elemente des Grammatikunterrichts, wie die systematische Darstellung des Lehrstoffes, klar definierte Teillernziele, die damit verbundene Komplexitätsreduktion und das intensive Wiederholen und Einüben ausgewählter sprachlicher Strukturen, scheinen auf manche Lerner durchaus motivierende Wirkung zu haben. Wir sollten diese „bewährten" Motivationsfaktoren nicht aus den Augen lassen, wenn wir im Folgenden versuchen, zusätzliche potentielle Motivationsfaktoren für den Grammatikunterricht nutzbar zu machen. Da Motivation, wie auch im einleitenden Artikel von Gudula List ausgeführt, ein sehr komplexes und individuelles Phänomen darstellt, sollen diese Faktoren hier bescheiden als „Motivierungschancen" bezeichnet werden. Die Attraktivität der Aufgabenstellung erhöhen Die grundsätzliche Entscheidung, eine Fremdsprache lernen zu wollen, ist oft schnell getroffen. Für viele Lerner stellt diese Entscheidung aber noch keine ausreichende Motivationsbasis dar, um konkrete Aufgabenstellungen in konkreten Unterrichtssituationen als signifikant und in der Folge als motivie- Motivation rendzu erleben. Dies ist vor allem oft dann nicht der Fall, wenn das Üben formaler Teilaspekte der Sprache im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens steht und nicht mitteilungsbezogene Kommunikation. Um zu erreichen, dass Lerner sich trotzdem intensiv und motiviert mit den zu übenden sprachlichen Phänomenen auseinander setzen, ist es notwendig, Aufgabenstellungen im Grammatikunterricht für den Lerner „signifikanter" erscheinen zu lassen. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Motivierungschance: Spielformate Die Aufmerksamkeit und Konzentration vieler Lerner beim wiederholten Üben einer Struktur ist oft größer, wenn dies im Rahmen eines „Spiels" (= es gibt klare Regeln und Sieger) geschieht. Mit Hilfe des folgenden Spielformats ließe sich z. B. die Adjektivdeklination üben. L = Lehrer/Lehrerin Adjektivübung L schreibt der Reihe nach Nomen mit Adjektivattributen an die Tafel, die er zu einem bestimmten Thema assoziiert. (z.B.: harte Arbeit, schwer verdientes Geld, gefährliche Medikamente, ein begeistertes Publikum, eine kurze Karriere, ein sadistischer Trainer, usw.) Die Lerner versuchen, das Thema zu erraten. (Lösung: Spitzensport). Danach sammeln die Lerner in Dreiergruppen möglichst viele Nomen mit Adjektivattributen zu einem vorgegebenen Thema (mögliche Themen: Kino, Fliegen, Wasser, Sehen, Familie, usw.). Die Gruppen präsentieren ihre Assoziationen und ihre Kollegen versuchen, das Thema zu erraten, das der Gruppe vorgegeben wurde. Die Gruppe, die am meisten Wörter präsentieren kann, ohne dass ihr Thema erraten wird, hat gewonnen. Neben Ratespielen gibt es eine Vielzahl weiterer Spielformate, die das Üben grammatikalischer Struk- ermöglichen. (FREMDSPRACHE DEUTSCH Heft 25 „Spielen - Denken - Handeln" zeigt dazu ".elfältige Beispiele). Beim Einsatz von „Spielformaten" im Unterricht sollten wir allerdings darauf achten, (1) dass dabei ±e für die Lerner relevanten Strukturen auch wirk-_:h wiederholt verwendet, das heißt geübt werden, I dass der Schwierigkeitsgrad der Aufgabenstellung angemessen ist und (3) dass sinnvolles individuelles Feedback gegeben werden kann. Vielen, vor allem erwachsenen Lernern hilft es darüberhinaus, wenn (4) auch die Ziele der Aktivität in sprachlicher Hinsicht explizit gemacht werden. Übertreiben wir als Lehrer Interventionen in diesem Bereich, kann der motivierende Spielcharakter der Aktivitäten allerdings verloren gehen. Andererseits können Spielformate auf Lerner, die den wettbewerbsorientierten Vergleich mit anderen als Bedrohung erleben, einschüchternd und demotivierend wirken. Wettbewerbsspiele zwischen Gruppen austragen zu lassen, kann diesen Effekt oft nur teilweise kompensieren. Motivierungschance: Neugier wecken durch ungewohnte Formen der Wahrnehmung Gerade im Bereich der Grammatik ergibt sich für die Lerner die Notwendigkeit, auf sprachliche Details aufmerksam zu werden und diese Details wahrzunehmen. Eine stabilisierte Wahrnehmung dieser sprachlichen Details führt in der Folge zu „Sprachaufmerksamkeit", einer der Schlüsselbegriffe in der Grammatikdiskussion der letzten Jahre (vgl. z.B. Doughty und Williams, 1998). Um relevante sprachliche Phänomene intensiv wahrnehmen zu können, brauchen die Lerner (1) den entsprechenden nicht zu umfangreichen sprachlichen Input, (2) Zeit, um den Input zu verarbeiten und (3) Motivation, sich intensiv mit sprachlichen Details auseinander zu setzen. Mit Hilfe von Präsentationstechniken, die die Lerner dazu führen, Sprache auf für sie manchmal ungewohnte Weise wahrzunehmen, gelingt es oft, diese Motivation zu wecken. Die folgenden beiden Aktivitäten erfüllen diese Kriterien und eignen sich erfahrungsgemäß gut, um Lerner auf bestimmte Grammatikstrukturen aufmerksam zu machen. Sie können auf unterschiedlichste grammatikalische Phänomene angewandt werden. Aktivität 1: Komparation von Adjektiven . schreibt die Grundstufe verschiedener Adjektive auf Papierstreifen. Die Lerner arbeiten in Partnerarbeit. _erner A dreht sich zur Wand, Lerner ß blickt zum Lehrer. Der Lehrer zeigt das erste Adjektiv, Lerner B schreibt die Komparativform des Adjektivs mit dem r nger auf den Rücken von Lerner A, jeden Buchsta- ben einzeln. Lerner A schreibt die Superlativform auf ein Blatt Papier. Nach fünf Adjektiven werden die Resultate verglichen. Die Lerner tauschen die Rollen, es werden noch einmal fünf Adjektive präsentiert. Aktivität 2: Partizipien Auf einer Folie werden Infinitive von Verben, die vor kurzem gelernt wurden und geübt werden sollen, gesammelt. Der Lehrer formt das Partizip II der Verben nur mit dem Mund, ohne Stimme. Die Lerner schreiben das Partizip II auf. Nach fünf Verben werden die Resultate verglichen. Motivierungschance: Aufgabenstellungen, die persönliche Relevanz für die Lerner haben Erfahrungsgemäß reagieren Lerner auf Aufgabenstellungen im Unterricht sehr oft dann besonders motiviert, wenn dabei persönliche Information, persönliche Meinungen, Erfahrungen und Erlebnisse ausgetauscht werden. Die meisten Übungen und Aufgaben in den Lehrwerken und Übungsbüchern nehmen auf diesen Aspekt wenig Rücksicht. Die Beschäftigung mit Lehrbuchcharakteren und ihren wenig originellen Alltagsaktivitäten (Robert, der seine Freundin anruft, Ulla, die ihre Kinder zur Schule bringt, usw.), nimmt meist soviel Unterrichtszeit in Anspruch, dass den Lernern kaum Zeit bleibt, über eigene Erfahrungen und Erlebnisse zu berichten. Auch in einem kommunikativ orientierten Unterricht besteht dadurch die Gefahr der „Entfremdung" des Lerners vom Lehrer, von den Unterrichtsmaterialien und von sich selbst als Lerner (Stevick, 1996). Der Versuch, im Unterricht Kommunikationssituationen zu schaffen, in denen authentische, persönliche Information ausgetauscht wird, kann dem entgegenwirken. Die folgenden drei Beispiele sollen die vielen Möglichkeiten andeuten, Unterrichtsaktivitäten für den Lerner persönlich relevanter zu machen, wodurch auch die dabei verwendete Sprache (Redemittel, Wortschatz, Strukturen, usw.) für den Lerner signifikanter wird. Kommunikationssituationen, in denen authentische, persönliche Information ausgetauscht wird, können der „Entfremdung" des Lerners vom Lehrer, von den Unterrichtsmaterialien und von sich selbst entgegenwirken. Der interessanteste Beispielsatz Die Lerner lösen eine Grammatikübung in einem Lehrbuch. Danach entscheiden sie, welcher Beispielssatz für sie persönlich am interessantesten, langweiligsten, skurrilsten, schönsten ... war. Diesen Satz lernen sie auswendig. Bei geschlossenen Büchern wiederholt jeder Lerner seinen Satz aus dem Gedächtnis. Wenn ... einen Wunsch frei hätte Die Lerner notieren die Namen von fünf Personen, die sie sehr gut kennen. L schreibt einen Beispielsatz an die Tafel, in dem die zu übende Grammatikstruktur vorkommt, z. B.: „Wenn ... einen Wunsch frei hätte, Die Lerner schreiben für jede Person einen Satz auf, der für diese Person zutrifft. In Dreiergruppen lesen die Lemer ihre Sätze vor und erzählen ihren Kollegen etwas über diese Personen. Lügendiktat L diktiert den Lernern mehrere Satze mit Informationen über sich selbst. Die Sätze beinhalten Grammatikstrukturen, die geübt werden sollen. Einige der Sätze sind inhaltlich richtig, einige sind falsch. In Partnerarbeit spekulieren die Lerner darüber, welche Sätze die Wahrheit sind. Nachdem L die richtige Lösung verdaten und eventuell mit den Lernern diskutiert hat, schreiben die Lerner richtige und falsche Sätze über sich selbst auf. In Dreiergruppen werden die Sätze vorgelesen und die anderen spekulieren darüber, welche Sätze gelogen sind. Lehrer müssen die richtige Balance finden zwischen klaren Vorgaben, die den Lernern Sicherheit geben und Aktivitäten, bei denen die Lerner selbstständig Entscheidungen treffen. Motivierungschance: Wahlmöglichkeiten geben, Struktur anbieten, mit Bedeutung füllen lassen Unterricht, der sich an den Vorgaben von Lehr- und Übungsbüchern orientiert, lässt dem Lerner oft wenig Möglichkeiten, eigene Entscheidungen zu treffen, den eigenen Lernprozess zu steuern und zu beeinflussen. Gerade im Bereich der Grammatik geben Aufgabenstellungen bis ins Detail vor, was von den Lernern wie zu tun ist. Manche Lerner fühlen sich in der Geborgenheit des durchorganisierten Unterrichts wohl. Sehr viele Lerner würden es allerdings als motivierende Herausforderung sehen, die manchmal allzu perfekt organisierte „Reisegruppe" verlassen zu können. Wiederum geht es für den Lehrer darum, die richtige Balance zu finden zwischen klaren Vorgaben, die den Lernern Sicherheit geben und Aktivitäten, bei denen Lemer selbstständig Entscheidungen treffen. Die Möglichkeit, selbst Entscheidungen treffen zu können, wird wahrscheinlich umso motivierender erlebt, je besser Lerner darauf vorbereitet werden. Die Vorbereitung sollte in sprachlicher Hinsicht (Bereitstellung nötiger Redemittel, klare Anweisungen in Form von Beispielen oder eines Modells) aber auch und vor allem in lernstrategischer Hinsicht erfolgen. Wie schon die oben beschriebenen Beispiele zeigen, gibt es viele Möglichkeiten, den Lemern im Rahmen bestimmter Aufgabenstellungen Wahlmöglichkeiten einzuräumen. Gerade Grammatikübungen bieten den Vorteil, Lernern die zu übende Struktur Infinitivgeschichten L präsentiert einen der folgenden „Infinitivtexte" an der Tafel: Heimkommen Ausziehen Einschalten Hinsetzen Einschlafen Aufwachen Ausschalten Ins Bett gehen Motivation Eine Nummer wählen Warten Verbunden werden Warten Verbunder werden Warten Schimpfen Auflegen modellhaft vorzugeben, sie aber selbst den vorgegebenen Rahmen mit Bedeutung füllen zu lassen. Die Infinitivgeschichten (links unten) demonstrieren mögliche Vorgangsweisen im Unterricht. Die Lerner finden Titel für die Texte. In Gruppenarbeit schreiben die Lerner eigene Infinitivtexte, wobei sie eigene Alltagserfahrungen verarbeiten. Die Texte können ausgetauscht und in Prosatexte umgewandelt werden. Dabei kann das Präsens, Perfekt oder Futur geübt werden. Die Erfahrungen und Ideen der Lemer bilden bei dieser Aktivität den Ausgangspunkt für grammatikorientierte Aufgaben im Unterricht. Arbeit mit Texten Texte werden im Grammatikunterricht meist eingesetzt, um die Funktion bestimmter grammatikalischer Strukturen in bestimmten Situationen beispielhaft zu verdeutlichen. Die sprachlichen Strukturen, die bewusst gemacht werden sollen, werden im Text hervorgehoben, sie werden gesammelt, geordnet und systematisiert. In der Übungsphase spielt der präsentierte Text meist eine untergeordnete Rolle. Geübt wird die erarbeitete Grammatikstruktur in der Folge meist an Hand von Einzelsätzen mit Hilfe von Einsetz-, Ergänzungs- oder Umformungsübungen. Texte, die für das Üben von Grammatik eingesetzt werden, müssen allerdings zwei wichtige Eigenschaften aufweisen: Sie müssen kurz sein und sie müssen die zu übende Struktur in möglichst großer Häufigkeit enthalten. Darüber hinaus sollte der Wortschatz im WesenÜichen bekannt sein. Solche Texte sind darüber hinaus für Lerner dann besonders motivierend, wenn sie ein interessantes Kommunikationsangebot an den Lerner darstellen, wenn sie zu Reaktionen herausfordern, indem sie thematisch an wichtige Alltagserfalirungen der Lerner anknüpfen, wenn sie für die Lerner signifikante Themen transportieren, mysteriöse, groteske Situationen beschreiben, interessante Meinungen wiedergeben, provozieren oder unterhalten. Im Tdealfall ist der Text Ausgangspunkt für eigene Schreibversuche der Lerner. Der Text wird zu einem Modell, das von den Lernern variiert und verändert wird, indem sie eigene Ideen umsetzen, dabei aber die zu übende Struktur verwenden (siehe Abschnitt „Kreatives Schreiben"). Da es relativ schwierig ist, authentische Texte zu finden, die alle diese Kriterien erfüllen, ist es oft notwendig, kurze authenüsche Texte (Anekdoten, Witze, Fabeln, Gedichte, Zeitungsnotizen usw.) für den Einsatz im Unterricht zu bearbeiten oder auch Texte ganz neu zu schreiben. Aus: Grammatik kreativ, S.73 Motivierungschance: Üben mit Hilfe geeigneter Techniken zur Textrekonstruktion Üben im Grammatikunterricht bedeutet, ein bestimmtes grammatikalisches Phänomen immer wieder aufmerksam und konzentriert sowohl hörend und lesend wahrnehmen, als auch schreibend und sprechend verwenden. Auch die Präsentation eines Textes im Unterricht kann Üben bedeuten. Wenn die Lerner Texte erarbeiten, indem sie diese rekonstruieren, machen sie sich mit der zu übenden Struktur vertraut. Das wiederholte Rekonstruieren eines Textes mit Hilfe unterschiedlicher Rekonstruktionsübungen kann Üben bedeutungsvoller, abwechslungsreicher und motivierender machen. Es gibt viele Möglichkeiten, Texte im Unterricht von den Lernern rekonstruieren zu lassen. Einige davon werden im Folgenden beschrieben: Gedächtnisdiktat L liest den Text mehrmals laut vor, die Lerner schreiben den Text Wort für Wort aus dem Gedächtnis auf. Texte verschwinden lassen L schreibt den Text an die Tafel. Die Lerner lesen den Text abwechselnd laut vor. L löscht nach jedem Vorlesen einige Wörter des Textes, bis der Text ganz von der Tafel gelöscht ist und die Lerner den kompletten Text aus dem Gedächtnis rekonstruieren. Skelett-Text L schreibt den Text in Form eines Skelett-Textes an die Tafel, das heißt, dass nur die Anfangsbuchstaben jedes Wortes aufgeschrieben werden. Die Lerner erraten oder rekonstruieren den Text. Bilderrätsel Der Text wird als „Bilderrätsel" präsentiert, das heißt von einigen Wörtern werden nur die Anfangsbuchstaben vorgegeben, einige Wörter sind als Bild dargestellt. „Blitzpräsentation" von Textzeilen L präsentiert die Zeilen des Textes einzeln auf dem Tageslichtprojektor, die Lerner sollen die Zeilen aus dem Gedächtnis aufschreiben. Die Präsentation geschieht so rasch, dass es den Lernern nicht immer gelingt, die Textzeile vollständig im Gedächtnis zu behalten. Nach der Textpräsentation versuchen die Lerner in Partnerarbeit mit Hilfe ihrer Notizen den präsentierten Text zu rekonstruieren. Die beschriebenen Aufgabenstellungen können sich mehrfach positiv auf die Motivation der Lerner auswirken: Zum einen wird durch die unvollständige Präsentation des Textes bei vielen Lernern die Neugier auf den Textinhalt geweckt. Darüber hinaus erlauben die Aktivitäten eine differenzierte Vorgangsweise im Unterricht. So kann der Text Lernern, die bei der Rekonstruktion Probleme haben, als Unterstützung öfter vorgelesen oder kurz zum Durchlesen zur Verfügung gestellt werden. Dadurch kann eher gewährleistet werden, dass die Aufgabenstellungen den für die Lerner optimalen Schwierigkeitsgrad aufweisen. Die Aufgaben haben klar definierte Ziele und erlauben klares aussagekräftiges Feedback. Die wiederholte Verwendung der zu übenden Struktur gibt den Lernern Selbstvertrauen und bereitet auf freiere Aktivitäten vor. Da die Aufmerksamkeit der Lerner bei der Rekonstruktion der Texte sehr stark auf die Wort- und Satzebene gerichtet ist, ist es wichtig, nach der Textrekonstruktion die Aufmerksamkeit wieder auf die Textebene zu lenken. Dies kann in Form von einfachen Fragestellungen zum Text (z.B. W-Fragen: Wer? 4 Wo? Wann? Wie? Warum? usw.) geschehen. Nur dann können die oben beschriebenen potentiell motiva-tionsfördernden Effekte des Texteinsatzes während des Übens von Grammatik zum Tragen kommen. Schreiben wird dann zu einer motivierenden Lernerfahrung, wenn es gut vorbereitet wird: Gemeinsames Sammeln von Ideen, die Präsentation von Modelltexten können Blockaden abbauen. Kreatives Schreiben Motivierungschance: Grammatik üben beim kreativen Schreiben Auch im Rahmen traditioneller Grammatikübungen wird geschrieben. Wörter werden in Lücken eingesetzt, Sätze werden ergänzt oder umgeformt. Es kommt aber nur sehr selten zur Produktion von Texten, in denen Lerner eigene Ideen kreativ zum Ausdruck bringen können. Mitteilungsbezogenes oder kreatives Schreiben findet meist außerhalb des „eigentlichen" Grammatikunterrichts statt. Wenn allerdings Grammatik, wie im vorangegangenen Abschnitt dargestellt, an Hand von Texten geübt wird, können diese Texte Ausgangspunkt für eigene, mitteilungsbezogene Textproduktionen der Lerner sein. Wenn die verwendeten Texte darüber hinaus ein Modell darstellen, das die Lerner in Form eigener Schreibversuche imitieren können, lässt sich das Üben von Grammatik mit kreativem Schreiben im Unterricht verknüpfen. Die Vorteile des Schreibens für den Fremdsprachenlernprozess wurden in den letzten Jahren ausführlich diskutiert (vgl. zum Beispiel Portmann 1991 und Kast 1999). In Hinblick auf die Motivation der Lernenden hat das Schreiben von Texten mehrere Vorteile: Die Lerner stehen nicht unter so starkem Produktionsdruck wie beim Sprechen. Sie haben Zeit, zu planen, Ideen zu sammeln, verschiedene Ressourcen für die Textproduktion heranzuziehen und ihre Texte zu überarbeiten. Der Lehrer kann sinnvolles Feedback geben, indem er Fragen stellt, Vorschläge zur Überarbeitung macht, Hinweise auf Fehler gibt (z.B. durch Unterstreichen der fehlerhaften Textstellen). Am Ende des Schreibprozesses ver- Ausgangstext (Grammatikschwerpunkt Adjektivdeklmation) Es gibt eine ausgeraubte Postkutsche, eine kleine Stadt, eine staubige Straße, einen tollkühnen Sheriff und zwei tote Gangster in dem Film, den ich drehen möchte. ■ <* 0 V / 14- fügen die Lerner über ein Produkt, das Aufschluss über den eigenen Lernerfolg und Selbstvertrauen für den weiteren Lernprozess geben kann. Schreiben ist aber auch anstrengend und kann quälend und demotivierend für die Lerner sein. Wenn das Blatt Papier auch nach zehn Minuten noch leer ist oder die Rückmeldung durch den Lehrer vor allem Aufschluss darüber gibt, was falsch gelaufen ist, löst Schreiben wohl eher Frustrationserlebnisse aus. Dem kann im Unterricht vorgebeugt werden, indem das Schreiben intensiv vorbereitet wird. Das gemeinsame Sammeln von Ideen und die Präsentation von Modelltexten können helfen, in dieser Beziehung Blockaden abzubauen. Durch bewusste Phasen der Stille oder durch das Spielen von Meditationsmusik während der Schreibphase kann die Lernumgebung positiv beeinflusst werden. Sensible, ermunternde Rückmeldungen des Lehrers können ein Weiteres dazu beitragen, dass Schreiben als motivierende Lernerfahrung erlebt wird. Zu dem unten abgedruckten Ausgangstext hat eine Studentin vom Vorstudienlehrgang Graz einen neuen Text geschrieben. Motivierungschance: Lerner produzieren eigenes Übungsmaterial Alle bisher beschriebenen Aktivitäten sehen den Lerner im Zentrum des Unterrichtsgeschehens. Es sind seine Erfahrungen, seine Ideen, seine Äußerungen, die wichtig und ernst genommen werden. Dies alles allerdings im Rahmen von Grammatikübungen. Die Äußerungen der Lerner enthalten nicht nur relevante Information, sondern auch relevante sprachliche Strukturen, die von den Mit-schüler(inne)n gelesen, gehört, gesprochen und geschrieben werden. Die Äußerungen der Lerner werden somit zum sprachlichen „Rohmaterial" für weitere Unterrichts aktivitäten. Produzieren Lerner, wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, eigene Texte, die wichtige grammatikalische Strukturen enthalten, so können diese Texte Ausgangspunkt für weitere Gramma-tikübungen werden. Die Möglichkeiten dafür sind vielfältig: Die Texte können in einer schön geschriebenen Version gesammelt und „publiziert" werden, indem sie z. B. als „Kursportfolio" zusammengefasst oder einfach im Klassenzimmer an einer Wand aufgehängt werden. Dort können die Lerner die Texte ihrer Mitschüler(innen) lesen und positives Feedback geben. Die Texte können aber auch Ausgangspunkt für weitere Textrekonstruktionsübungen im Unterricht sein. Bei allen diesen Aktivitäten werden die Lerner wieder mit wichtigen grammatikalischen Strukturen konfrontiert, die Beispielsätze oder Texte stammen aber von eigenen Beiträgen oder ) ■■■■ Motivation Beiträgen der Mitschüler(innen), und haben dadurch potentiell mehr Relevanz für die Lerner. Motivierungschance: Unterrichtssequenzen modellieren Mit Hilfe der hier beschriebenen Ideen lassen sich rund um ein zu übendes grammatikalisches Phänomen Unterrichtssequenzen entwickeln, die sehr viele der hier als potentiell motivationsfördernd beschriebenen Elemente beinhalten: Mit Hilfe einleitender kommunikativer Aufgabenstellungen können Lerner sich an die Verwendung der zu übenden Struktur gewöhnen, bei der Rekonstruktion eines kurzen Textes wird diese Struktur weiter geübt, der Text dient in der Folge als Modell eigener Schreibversuche und die so entstandenen Texte sind die Basis weiterer grammatikorientierter Aktivitäten im Unterricht. Der Zusammenhang zwischen diesen Unterrichtsphasen und das Ineinandergreifen der unterschiedlichen Aktivitäten werden von manchen Lernern zusätzlich als motivierendes Element erlebt (siehe dazu Gerngroß, Krenn & Puchta, 1999). Systematik Motivierungschance: Bewusstmachung, Terminologie und Regeln Für viele Lerner vermitteln eine gute Systematik, eine klare Terminologie und einfache, anwendbare Regeln das Gefühl von Sicherheit. Die Sprache wird durchschaubar, erklärbar und zumindest in Teilaspekten beherrschbar. Die Möglichkeit, schon erworbenes Wissen aus der Muttersprache oder einer anderen Fremdsprache anwenden zu können, die Chance auf schon Bekanntes zu stoßen und vergleichen zu können, hat für viele Lerner motivierende Effekte. Obwohl noch immer umstritten ist, ob und in welchem Ausmaß das Wissen um Terminologie und Grammatikregeln den Sprachlernprozess unterstützt und beschleunigt, ist es aus motivationstheoretischen Gründen zumindest für manche Lemer sinnvoll, diese Aspekte im Unterricht zu thematisieren. Terminologie und Regeln sollten dabei allerdings nicht Selbstzweck werden, sondern den Sprachlernprozess unterstützen. Im Rahmen der oben beschriebenen Aufgabenstellungen kann z.B. durch Unterstreichungen oder Hervorhebungen immer wieder auf relevante sprachliche Erscheinungen hingewiesen werden, einfache, anwendbare Regeln können präsentiert oder mit den Lernern gemeinsam erarbeitet, und hilfreiche Terminologie kann bewusst gemacht werden. Dies alles muss allerdings vorsichtig in die Unterrichtsal