5.2 – Kommunikative Sprachkompetenzen Zur Umsetzung ihrer kommunikativen Absichten setzen Sprachverwendende/Lernende sowohl – wie oben genauer dargestellt – ihre allgemeinen Fähigkeiten als auch eine spezifisch sprachbezogene kommunikative Kompetenz ein. Kommunikative Kompetenz in diesem engeren Sinn besteht aus folgenden Komponenten:
- linguistische Kompetenzen;
- soziolinguistische Kompetenzen;
- pragmatische Kompetenzen.
5.2.1 – Linguistische Kompetenzen Es gibt bis heute noch keine vollständige, erschöpfende Beschreibung einer Sprache als einem formalen System, das dem Ausdruck von Inhalten dient. Sprachsysteme zeichnen sich durch eine hohe Komplexität aus, und die Sprache einer großen, vielschichtigen, hoch entwickelten Gesellschaft wird von keinem ihrer Sprecher vollkommen beherrscht. Das wäre auch nicht möglich, da sich die alltägliche Sprache aufgrund der Erfordernisse des kommunikativen Gebrauchs in ständiger Entwicklung befindet. Die meisten Nationalstaaten haben versucht, eine Standardform ihrer jeweiligen Sprache festzulegen, doch nie bis ins letzte Detail. Für die Darstellung von Standardsprachen wurde früher das linguistische Modell herangezogen, das bei der Vermittlung des Kanons der überlieferten literarischen Werke in längst ausgestorbenen klassischen Sprachen benutzt wurde. Vor über 100 Jahren jedoch wurde dieses traditionelle Modell von den meisten Linguisten mit der Begründung zurückgewiesen, eine Sprache sollte so beschrieben werden, wie sie wirklich benutzt wird, und nicht so, wie sie nach Meinung irgendeiner Autorität zu sein habe. Ferner sei dieses traditionelle Modell – da es für Sprachen eines bestimmten Typs entwickelt wurde – zur Beschreibung ganz anders organisierter sprachlicher Systeme ungeeignet. Doch keines der vielen mittlerweile entwickelten alternativen Modelle ist allgemein akzeptiert worden. Man hat sogar bezweifelt, dass es nur ein einziges universales Modell zur Beschreibung aller Sprachen geben kann. Aus neueren Studien zu linguistischen Universalien sind auch noch kaum Ergebnisse hervorgegangen, die direkt für die Verbesserung des Sprachenlernens und -lehrens oder für die Beurteilung nutzbar gemacht werden könnten. Die meisten deskriptiven Linguisten geben sich deshalb heute damit zufrieden zu erfassen, was in der Praxis üblich ist, indem sie Form und Bedeutung aufeinander beziehen und dabei eine Terminologie benutzen, die nur dort von der traditionellen abweicht, wo man es mit sprachlichen Erscheinungen zu tun hat, die das traditionelle Beschreibungsmodell nicht erfassen kann. Dieser Ansatz wird in Abschnitt 5.2 übernommen. Dort wird versucht, die Hauptkomponenten linguistischer Kompetenz zu identifizieren und zu klassifizieren. Linguistische Kompetenz wird definiert als Kenntnis der formalen Mittel, aus denen wohlgeformte, sinnvolle Mitteilungen zusammengesetzt und formuliert werden können, und als die Fähigkeit, diese Mittel auch zu verwenden. Ziel der folgenden Systematisierung ist es, einige Parameter und Kategorien als Klassifikationsinstrumente vorzuschlagen, die zur Beschreibung sprachlicher Inhalte, oder auch als Basis der Reflexion, hilfreich sein können. Praktikern, die ein anderes Bezugsmodell bevorzugen, steht es selbstverständlich – hier wie überall – frei, dies zu tun. Sie sollten jedoch ihre Theorien und Verfahren sowie die Traditionen, in denen sie arbeiten, offen legen. In diesem Referenzrahmen unterscheiden wir: - lexikalische Kompetenz; - grammatische Kompetenz; - semantische Kompetenz - phonologische Kompetenz. Fortschritte, die Lernende bei der Nutzung sprachlicher Mittel machen, lassen sich in Skalen fassen; sie werden im Folgenden in dieser Form dargestellt:
Spektrum sprachlicher Mittel (allgemein) C2 Kann aufgrund einer umfassenden und zuverlässigen Beherrschung eines sehr großen Spektrums sprachlicher Mittel Gedanken präzise formulieren, Sachverhalte hervorheben, Unterscheidungen treffen und Unklarheiten beseitigen. Erweckt nicht den Eindruck, sich in dem, was er/sie sagen möchte, einschränken zu müssen. C1 Kann aus seinen/ihren umfangreichen Sprachkenntnissen Formulierungen auswählen, mit deren Hilfe er/sie sich klar ausdrücken kann, ohne sich in dem, was er/sie sagen möchte, einschränken zu müssen. Kann sich klar ausdrücken, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, sich in dem, was er/sie sagen möchte, einschränken zu müssen. B2 Verfügt über ein hinreichend breites Spektrum sprachlicher Mittel, um klare Beschreibungen, Standpunkte auszudrücken und etwas zu erörtern; sucht dabei nicht auffällig nach Worten und verwendet einige komplexe Satzstrukturen. 111 Verfügt über ein hinreichend breites Spektrum sprachlicher Mittel, um unvorhersehbare Situationen zu beschreiben, die wichtigsten Aspekte eines Gedankens oder eines Problems mit hinreichender Genauigkeit zu erklären und eigene Überlegungen zu kulturellen Themen (wie Musik und Filme) auszudrücken. B1 Verfügt über genügend sprachliche Mittel, um zurechtzukommen; der Wortschatz reicht aus, um sich, manchmal zögernd und mit Hilfe von einigen Umschreibungen, über Themen äußern zu können wie Familie, Hobbys, Interessen, Arbeit, Reisen, aktuelle Ereignisse, aber der begrenzte Wortschatz führt zu Wiederholungen und manchmal auch zu Formulierungsschwierigkeiten. Verfügt über ein Repertoire an elementaren sprachlichen Mitteln, die es ihm/ihr ermöglichen, Alltagssituationen mit voraussagbaren Inhalten zu bewältigen; muss allerdings in der Regel Kompromisse in Bezug auf die Realisierung der Sprechabsicht machen und nach Worten suchen. A2 Kann kurze, gebräuchliche Ausdrücke verwenden, um einfache, konkrete Bedürfnisse zu erfüllen und beispielsweise Informationen zur Person, Alltagsroutinen, Wünsche, Bedürfnisse auszudrü- cken und um Auskunft zu bitten. Kann einfache Satzmuster verwenden und sich mit Hilfe von memorierten Sätzen, kurzen Wortgruppen und Redeformeln über sich selbst und andere Menschen und was sie tun und besitzen sowie über Orte usw. verständigen. Verfügt über ein begrenztes Repertoire kurzer memorierter Wendungen, das für einfachste Grundsituationen ausreicht; in nicht-routinemässigen Situationen kommt es häufig zu Abbrüchen und Missverständnissen. A1 Verfügt über ein sehr elementares Spektrum einfacher Wendungen in Bezug auf persönliche Dinge und Bedürfnisse konkreter Art.
5.2.1.1 – Lexikalische Kompetenz Sie umfasst die Kenntnis des Vokabulars einer Sprache, das aus lexikalischen und aus grammatischen Elementen besteht, sowie die Fähigkeit, es zu verwenden. 1. Lexikalische Elemente sind: a) feste Wendungen, die aus mehreren Wörtern bestehen und jeweils als ein Ganzes gelernt und verwendet werden. Solche festen Wendungen sind z. B.: - Satzformeln: - direkte Exponenten von Sprachfunktionen (vgl. Abschnitt 5.2.3.2), wie Begrüßungen wie Guten Morgen! – Nett, Sie kennenzulernen. usw. - Sprichwörter usw. (vgl. Abschnitt 5.2.2.3); - archaische Ausdrücke wie z. B. Hebe dich hinweg von mir! - idiomatische Wendungen, oft semantisch undurchsichtige, erstarrte Metaphern, z. B.: - Er hat den Löffel abgegeben/fallen lassen. (= er ist gestorben) - jmdm. einen Bären aufbinden (d. h. eine Lüge erzählen, flunkern) - Ich denk, mich tritt ein Pferd (als Ausdruck der Verblüffung/Verärgerung) - Verstärker: Ihr Gebrauch ist oft stilistisch oder durch den Kontext eingeschränkt, z. B. schneeweiß (d. h. 'rein') gegenüber weiß wie eine (gekalkte) Wand (d. h. 'blass') - feststehende Muster (Sprachbausteine, Schablonen), die unzerlegt als Ganzes gelernt und verwendet werden und in die Wörter oder Phrasen eingefügt werden, um sinnvolle Sätze zu bilden, z. B. Könnte ich bitte … haben? – Ich möchte gerne zahlen! 112 - andere feststehende Phrasen, wie z. B.: - Funktionsverbgefüge, z. B. zu Ende gehen, in Betrieb nehmen - präpositionale Gefüge z. B. in Hinblick auf, in Bezug auf - feste Kollokationen, die aus Wörtern bestehen, die normalerweise zusammenstehen, z. B. eine Rede/einen Vortrag halten; Fehler machen. b) Einzelwörter, d. h. frei stehende einzelne Wörter. Manche Lexeme können verschiedene Bedeutungen haben (Polysemie), z. B. Bank, ein Geldinstitut oder eine Bank zum Sitzen. Lexeme können offenen Wortklassen angehören und Nomen, Verb, Adjektiv, Adverb sein; diese können aber auch ihrerseits geschlossene lexikalische Gruppen bilden (z. B. die Wochentage, die Monate eines Jahres, Gewichte, Maße usw.). Andere lexikalische Gruppen gibt es für bestimmte grammatische oder semantische Sachverhalte (vgl. unten). 2. Grammatische Elemente gehören zu den geschlossen Wortklassen, z. B. (im Deutschen): Artikel (ein, einer, eine, der, die, das) Indefinitpronomen (einige, alle, viele usw.) Demonstrativpronomen (dieser, diese, dieses; jener …) Personalpronomen (ich, du, er, sie, es, wir …; mir, dir usw.) Interrogativ- und Relativpronomen (wer, was, welche, wo, wie usw.) Possessivpronomen (mein, dein, sein, ihr usw.) Präpositionen (in, an, bei, mit, von usw.) Hilfsverben / Modalverben (sein, haben, werden / können, sollen usw.) Konjunktionen (und, aber, wenn, obwohl) Modalpartikeln (ja, wohl, aber, doch usw.) Skalen sind vorhanden für das Spektrum des gewussten Wortschatzes und für die Wortschatzbeherrschung. Wortschatzspektrum C2 Beherrscht einen sehr reichen Wortschatz einschließlich umgangssprachlicher und idiomatischer Wendungen und ist sich der jeweiligen Konnotationen bewusst. C1 Beherrscht einen großen Wortschatz und kann bei Wortschatzlücken problemlos Umschreibungen gebrauchen; offensichtliches Suchen nach Worten oder der Rückgriff auf Vermeidungsstrategien sind selten. Gute Beherrschung idiomatischer Ausdrücke und umgangssprachlicher Wendungen. B2 Verfügt über einen großen Wortschatz in seinem Sachgebiet und in den meisten allgemeinen Themenbereichen. Kann Formulierungen variieren, um häufige Wiederholungen zu vermeiden; Lücken im Wortschatz können dennoch zu Zögern und Umschreibungen führen. B1 Verfügt über einen ausreichend großen Wortschatz, um sich mit Hilfe von einigen Umschreibungen über die meisten Themen des eigenen Alltagslebens äußern zu können wie beispielsweise Familie, Hobbys, Interessen, Arbeit, Reisen, aktuelle Ereignisse. Verfügt über einen ausreichenden Wortschatz, um in vertrauten Situationen und in Bezug auf A2 vertraute Themen routinemäßige, alltägliche Angelegenheiten zu erledigen. Verfügt über genügend Wortschatz, um elementaren Kommunikationsbedürfnissen gerecht werden zu können. Verfügt über genügend Wortschatz, um einfache Grundbedürfnisse befriedigen zu können. A1 Verfügt über einen elementaren Vorrat an einzelnen Wörtern und Wendungen, die sich auf bestimmte konkrete Situationen beziehen. 113 Wortschatzbeherrschung C2 Durchgängig korrekte und angemessene Verwendung des Wortschatzes. C1 Gelegentliche kleinere Schnitzer, aber keine größeren Fehler im Wortgebrauch. B2 Die Genauigkeit in der Verwendung des Wortschatzes ist im Allgemeinen groß, obgleich einige Verwechslungen und falsche Wortwahl vorkommen, ohne jedoch die Kommunikation zu behindern. B1 Zeigt eine gute Beherrschung des Grundwortschatzes, macht aber noch elementare Fehler, wenn es darum geht, komplexere Sachverhalte auszudrücken oder wenig vertraute Themen und Situationen zu bewältigen. A2 Beherrscht einen begrenzten Wortschatz in Zusammenhang mit konkreten Alltagsbedürfnissen. A1 Keine Deskriptoren verfügbar Die Benutzer dieses Referenzrahmens sollten bedenken und, soweit sinnvoll, angeben, - welche lexikalischen Elemente (feste Wendungen und einzelne Wörter) die Lernenden erkennen und/oder verwenden müssen, auf welche lexikalischen Elemente sie vorbereitet werden sollen und welche Anforderungen in dieser Hinsicht an sie gestellt werden; - wie lexikalische Elemente ausgewählt und angeordnet werden. 5.2.1.2 – Grammatische Kompetenz Grammatische Kompetenz kann man definieren als Kenntnis der grammatischen Mittel einer Sprache und die Fähigkeit, diese zu verwenden. Formal kann man die Grammatik einer Sprache als eine Menge von Prinzipien sehen, die das Zusammensetzen von Elementen zu Sätzen regeln. Grammatische Kompetenz ist die Fähigkeit, in Übereinstimmung mit diesen Prinzipien wohlgeformte Ausdrücke und Sätze zu produzieren und zu erkennen (im Unterschied zum Auswendiglernen feststehender Formeln). Die Grammatik einer jeden Sprache ist in diesem Sinn hochkomplex und widersetzt sich einer definitiven oder erschöpfenden Beschreibung. Es gibt eine Reihe konkurrierender Theorien und Modelle zur Organisation der Wörter zu Sätzen. Es ist jedoch nicht die Aufgabe dieses Referenzrahmens, diese Theorien zu berurteilen oder für die eine oder andere zu plädieren, sondern vielmehr, die Benutzer zu ermutigen zu sagen, welche sie selbst gewählt haben und welche Folgen diese Wahl für ihre praktische Arbeit hat. Hier beschränken wir uns darauf, einige in der grammatischen Beschreibung häufig benutzte Parameter und Kategorien darzulegen. Bei einer Beschreibung der grammatischen Organisation muss man spezifizieren: - Elemente, z. B.: - Morphe; - Morpheme – Stämme und Affixe; - Wörter. - Kategorien, z. B.: - Numerus, Kasus, Genus; - konkret/abstrakt, zählbar/unzählbar; - (in)transitiv, Aktiv/Passiv; - Tempus; - Aspekt. 114 - Klassen, z. B.: - Konjugationen; - Deklinationen; - offene Wortklassen: Substantive, Verben, Adjektive, Adverben; - geschlossene Wortklassen (grammatische Elemente, vgl. Abschnitt 5.2.1.1). - Strukturen, z. B.: - zusammengesetzte Wörter und komplexe Ausdrücke - Phrasen: Nominalphrase, Verbalphrase usw. - Teilsätze: Hauptsatz, Nebensatz, selbstständiger Teilsatz - Sätze: einfacher Satz, Satzverbindung, Satzgefüge - Prozesse (deskriptiv), z. B.: - Nominalisierung - Affigierung - Suppletion - Ablaut - Transposition - Transformation - Beziehungen, z. B.: - Rektion - Kongruenz - Valenz Es gibt eine Skala zur grammatischen Korrektheit. Diese sollte in Verbindung zur Skala 'Spektrum sprachlicher Mittel (allgemein)' am Anfang dieses Abschnitts gesehen werden. Eine Skala zur Progression in Bezug auf die grammatische Struktur zu erstellen, die auf alle Sprachen anwendbar wäre, halten wir für unmöglich. Grammatische Korrektheit C2 Zeigt auch bei der Verwendung komplexer Sprachmittel eine durchgehende Beherrschung der Grammatik, selbst wenn die Aufmerksamkeit anderweitig beansprucht wird (z. B. durch vorausblickendes Planen oder Konzentration auf die Reaktionen anderer). C1 Kann beständig ein hohes Maß an grammatischer Korrektheit beibehalten; Fehler sind selten und fallen kaum auf. Gute Beherrschung der Grammatik; gelegentliche Ausrutscher oder nicht-systematische Fehler und kleinere Mängel im Satzbau können vorkommen, sind aber selten und können oft rückblickend korrigiert werden. B2 Gute Beherrschung der Grammatik; macht keine Fehler, die zu Missverständnissen führen. Kann sich in vertrauten Situationen ausreichend korrekt verständigen; im Allgemeinen gute Beherrschung der grammatischen Strukturen trotz deutlicher Einflüsse der Muttersprache. Zwar kommen Fehler vor, aber es bleibt klar, was ausgedrückt werden soll. B1 Kann ein Repertoire von häufig verwendeten Redefloskeln und von Wendungen, die an eher vorhersehbare Situationen gebunden sind, ausreichend korrekt verwenden. A2 Kann einige einfache Strukturen korrekt verwenden, macht aber noch systematisch elementare Fehler, hat z. B. die Tendenz, Zeitformen zu vermischen oder zu vergessen, die SubjektVerb-Kongruenz zu markieren; trotzdem wird in der Regel klar, was er/sie ausdrücken möchte. A1 Zeigt nur eine begrenzte Beherrschung einiger weniger einfacher grammatischer Strukturen und Satzmuster in einem auswendig gelernten Repertoire. 115 Die Benutzer des Referenzrahmens sollten bedenken und, soweit sinnvoll, angeben, - welche Grammatiktheorie ihrer Arbeit zugrunde liegt; - auf die Beherrschung welcher grammatischen Elemente, Kategorien, Klassen, Strukturen, Prozesse und Beziehungen Lernende vorbereitet werden sollen und was von ihnen in dieser Hinsicht erwartet wird. Traditionell unterscheidet man Morphologie und Syntax. Die Morphologie behandelt die interne Struktur von Wörtern. Wörter können in Morpheme unterteilt werden, die ihrerseits Klassen bilden, wie: - Stämme - Affixe (Präfixe, Suffixe, Infixe), einschließlich: - Wortbildungsaffixe (z. B. un-, ver-, -bar, -heit, -keit) - Flexionsaffixe (z. B. -st, -en, -end) Wortbildung: Wörter können klassifiziert werden als: - einfache Wörter (nur Stamm, z. B. sechs, Baum, brechen) - abgeleitete Wörter (Stamm + Affixe, z. B. abbrechen, sechsfach) - zusammengesetzte Wörter (mehr als ein Stamm, z. B. Zusammenbruch, Weihnachtsbaum, Sechserpack) Die Morphologie behandelt auch andere Arten der Veränderungen von Wortformen, z. B.: - Ablaut/Vokalalternation (singen/sang/gesungen, Maus/Mäuse); - Konsonantenveränderung (schneiden/schnitt); - unregelmäßige Formen (gehen/ging, stehen/stand); - Suppletion (gut/besser); - Nullformen (Pudel/Pudel). Die Morphophonologie behandelt die phonetisch bedingte Variation von Morphemen (z. B. lieben, lieb, liebt, d. h. Wechsel von /b/ zu /p/; auch: sie geht vs. sie betet) und die morphologisch bedingte phonetische Variation (z. B. brennen/brannte, kennen/kannte). Die Benutzer des Referenzrahmens sollten bedenken und, soweit sinnvoll, angeben, - welche morphologischen Elemente und Prozesse die Lernenden beherrschen müssen, auf welche sie vorbereitet werden sollen und welche Anforderungen an sie gestellt werden. Die Syntax behandelt die Anordnung von Wörtern zu Sätzen gemäß den beteiligten Kategorien, Elementen, Klassen, Strukturen, Prozessen und Beziehungen, die oft als Regelmenge repräsentiert werden. Die Syntax der Sprache eines erwachsenen Muttersprachlers ist sehr komplex und weitgehend unbewusst. Die Fähigkeit, Sätze zu bilden, um einen Sinn zu vermitteln, stellt einen zentralen Aspekt der kommunikativen Kompetenz dar. Die Benutzer des Referenzrahmens sollten bedenken und, soweit sinnvoll, angeben, - welche grammatischen Elemente, Kategorien, Klassen, Strukturen, Prozesse und Beziehungen die Lernenden beherrschen müssen, worauf sie vorbereitet werden sollen und was von ihnen in dieser Hinsicht erwartet wird. 116 5.2.1.3 – Semantische Kompetenz Sie umfasst die Fähigkeit Lernender, sich der Organisation von Bedeutung bewusst zu sein und diese zu kontrollieren. Lexikalische Semantik behandelt Fragen der Wortbedeutung, z. B.: - die Beziehung zwischen Wörtern und allgemeinem Kontext: - Referenz; - Konnotation; - Repräsentation allgemeiner spezifischer Begriffe. - interlexikalische Beziehungen, wie: - Synonymie/Antonymie; - Hyponymie; - Kollokation; - Teil-Ganzes-Beziehungen; - Komponentenanalyse; - Übersetzungsäquivalenz. Grammatische Semantik behandelt die Bedeutung grammatischer Elemente, Kategorien, Strukturen und Prozesse (vgl. Abschnitt 5.2.1.2). Pragmatische Semantik behandelt logische Beziehungen wie Folgerung, Präsupposition, Implikation usw. Die Benutzer des Referenzrahmens sollten bedenken und, soweit sinnvoll, angeben, - welche Arten von semantischen Beziehungen Lernende aufbauen bzw. beherrschen sollen, auf welche sie vorbereitet werden sollen und welche Anforderungen an sie gestellt werden. Fragen der Bedeutung sind natürlich zentrale Fragen für die Kommunikation und werden in diesem Referenzrahmen an verschiedenen Stellen behandelt (vgl. besonders Abschnitt 5.1.1.1). Linguistische Kompetenz wird hier in einem formalen Sinn behandelt. Aus der Sicht der theoretischen oder deskriptiven Linguistik stellt die Sprache ein hochkomplexes symbolisches System dar. Wenn, wie hier, versucht wird, die vielen verschiedenen Komponenten der kommunikativen Kompetenz getrennt darzustellen, ist es legitim, die (überwiegend unbewusste) Kenntnis formaler Strukturen sowie die Fähigkeit, mit diesen umzugehen, als eine dieser Komponenten zu identifizieren. In welchem Maß eine solche formale Analyse in das Sprachenlernen und -lehren einfließen sollte, wenn überhaupt, ist eine andere Frage. Der funktional-notionale Ansatz, der in den Publikationen des Europarats, Waystage 1990, Threshold Level 1990 und Vantage Level, vertreten wird, ist eine Alternative zur Behandlung der linguistischen Kompetenz in Abschnitt 5.2.1.3. Dort geht man nicht von Sprachformen und deren Bedeutungen aus, sondern von einer systematischen Klassifizierung kommunikativer Funktionen und semantischer Konzepte, die in allgemeine und in spezifische unterteilt werden, und befasst sich nur sekundär mit lexikalischen und grammatischen Formen als deren Exponenten. Beide Ansätze sind komplementäre Darstellungen der 'doppelten Artikulation' von Sprache. Sprachen beruhen bekanntlich auf einer Organisation der Form und einer Organisation der Bedeutung. Die Kategorien beider Organisationsformen stehen in meist zufälliger Beziehung zueinander. Eine auf der Organisation der Ausdrucksformen basierende Sprachbeschreibung zersplittert die Bedeutung, und umgekehrt zersplittert die auf der Organisation der Bedeutung basierende Sprachbeschreibung die Form. Welches der Modelle nun von den Benutzern dieses Referenzrahmens bevorzugt wird, hängt davon ab, zu welchem Zweck die jeweilige Beschreibung erstellt wird. Der Erfolg des Ansatzes von Threshold Level deutet darauf hin, dass vielen Praktikern der Weg von der Bedeutung zur Form vorteilhafter erscheint als die traditionellere Praxis, Lernprogressionen ausschließlich in formalen Kategorien zu organisieren. Andererseits mögen manche auch eine 'kommunikative Grammatik' vorziehen, wie etwa die in Un niveau-seuil. Fest steht allerdings, dass Sprachenlernende sowohl Formen als auch Bedeutungen erwerben müssen. 117 5.2.1.4 – Phonologische Kompetenz Sie involviert Kenntnisse und Fertigkeiten der Wahrnehmung und der Produktion in Bezug auf: - die lautlichen Einheiten (Phoneme) der Sprache und ihre Realisierung in bestimmten Kontexten (Allophone); - die phonetischen Merkmale, die Phoneme voneinander unterscheiden (distinktive Merkmale, z. B. stimmhaft, gerundet, nasal, plosiv); - die phonetische Zusammensetzung von Wörtern (Silbenstruktur, Phonemfolge, Wortakzent, Wortton); - Satzphonetik (Prosodie): - Satzakzent und Satzrhythmus; - Intonation; - phonetische Reduktion: - Vokalabschwächung; - starke und schwache Formen; - Assimilation; - Elision. Beherrschung der Aussprache und Intonation C2 Wie C1 C1 Kann die Intonation variieren und so betonen, dass Bedeutungsnuancen zum Ausdruck kommen. B2 Hat eine klare, natürliche Aussprache und Intonation erworben. Die Aussprache ist gut verständlich, auch wenn ein fremder Akzent teilweise offensichtlich ist und manchmal etwas falsch ausgesprochen wird. B1 A2 Die Aussprache ist im Allgemeinen klar genug, um trotz eines merklichen Akzents verstanden zu werden; manchmal wird aber der Gesprächspartner um Wiederholung bitten müssen. A1 Die Aussprache eines sehr begrenzten Repertoires auswendig gelernter Wörter und Redewendungen kann mit einiger Mühe von Muttersprachlern verstanden werden, die den Umgang mit Sprechern aus der Sprachengruppe des Nicht-Muttersprachlers gewöhnt sind. Die Benutzer des Referenzrahmens sollten bedenken und, soweit sinnvoll, angeben, - welche neuen phonologischen Fertigkeiten von Lernenden erwartet werden; - wie wichtig Laute und Prosodie sind; - ob phonetische Genauigkeit und Flüssigkeit ein frühes Lernziel sind oder ob sie längerfristig entwickelt werden sollen. 5.2.1.5 – Orthographische Kompetenz Sie involviert die Kenntnis der Symbole, aus denen geschriebene Texte bestehen, sowie die Fertigkeit, diese wahrzunehmen und zu produzieren. Die Schreibsysteme aller europäischen Sprachen beruhen auf dem alphabetischen Prinzip, auch wenn manche anderen Sprachen anderen Prinzipien folgen, wie etwa dem ideographischen (logographischen) Prinzip (z. B. Chinesisch) oder dem konsonantischen Prinzip (z. B. Arabisch). Für die alphabetischen Systeme sollten Lernende Folgendes wissen, erkennen und produzieren können: - Buchstaben in gedruckter und handschriftlicher Form, groß und klein; - die richtige Schreibweise der Wörter, einschließlich Abkürzungen; - Satzzeichen und Regeln der Zeichensetzung; - typographische Konventionen und verschiedene Schriftarten usw.; - gebräuchliche logographische Zeichen (z. B. @, &, $ usw.). 118 5.2.1.6 – Orthoepische Kompetenz Sprachverwendende müssen, wenn sie einen vorbereiteten Text laut lesen sollen oder beim Sprechen Wörter benutzen sollen, die ihnen zuerst in geschriebener Form begegnet sind, diese geschriebene Form korrekt aussprechen können. Dazu gehört: - Kenntnis der Rechtschreibung; - die Fähigkeit, ein Wörterbuch heranzuziehen, und Kenntnis der dort benutzten Konventionen, Aussprache darzustellen; - Kenntnis der Bedeutung geschriebener Formen, insbesondere die der Satzzeichen für Satzgliederung und Intonation; - die Fähigkeit, Mehrdeutigkeit (Homonyme, syntaktische Ambiguitäten usw.) aus dem Kontext aufzulö- sen. Beherrschung der Orthographie C2 Die schriftlichen Texte sind frei von orthographischen Fehlern. C1 Die Gestaltung, die Gliederung in Absätze und die Zeichensetzung sind konsistent und hilfreich. Die Rechtschreibung ist, abgesehen von gelegentlichem Verschreiben, richtig. B2 Kann zusammenhängend und klar verständlich schreiben und dabei die üblichen Konventionen der Gestaltung und der Gliederung in Absätze einhalten. Rechtschreibung und Zeichensetzung sind hinreichend korrekt, können aber Einflüsse der Muttersprache zeigen. B1 Kann zusammenhängend schreiben; die Texte sind durchgängig verständlich. Rechtschreibung, Zeichensetzung und Gestaltung sind exakt genug, so dass man sie meistens verstehen kann. A2 Kann kurze Sätze über alltägliche Themen abschreiben – z. B. Wegbeschreibungen. Kann kurze Wörter aus seinem mündlichen Wortschatz 'phonetisch' einigermaßen akkurat schriftlich wiedergeben (benutzt dabei aber nicht notwendigerweise die übliche Rechtschreibung). A1 Kann vertraute Wörter und kurze Redewendungen, z. B. einfache Schilder oder Anweisungen, Namen alltäglicher Gegenstände, Namen von Geschäften oder regelmäßig benutzte Wendungen abschreiben. Kann seine Adresse, seine Nationalität und andere Angaben zur Person buchstabieren. Anmerkung: Diese Deskriptoren sind nicht empirisch skaliert worden. Die Skalierung entspricht der Intention der Autoren der Skalen, auf denen diese Deskriptoren basieren. Die Benutzer des Referenzrahmens sollten Folgendes bedenken und, soweit sinnvoll, angeben: - die orthographischen und orthoepischen Bedürfnisse der Lernenden in Bezug auf die gesprochenen und geschriebenen Sprachvarietäten, die sie verwenden, und in Hinblick auf die Anforderung, gesprochene Texte in geschriebene umzuwandeln und umgekehrt.
5.2.2 – Soziolinguistische Kompetenzen Soziolinguistische Kompetenz betrifft die Kenntnisse und Fertigkeiten, die zur Bewältigung der sozialen Dimension des Sprachgebrauchs erforderlich sind. Sprache ist, wie bereits im Zusammenhang mit der soziokulturellen Kompetenz erwähnt, ein soziokulturelles Phänomen. Daher ist vieles in diesem Referenzrahmen, besonders die Diskussion der soziokulturellen Kompetenz, auch für die soziolinguistische Kompetenz relevant. Hier werden Fragen behandelt, die sich speziell auf den Sprachgebrauch beziehen und an anderer Stelle nicht behandelt werden: sprachliche Kennzeichnung sozialer Beziehungen; Höflichkeitskonventionen; Redewendungen, Aussprüche, Zitate und sprichwörtliche Redensarten; Registerunterschiede; Dialekt und Akzent. 119 5.2.2.1 – Sprachliche Kennzeichnung sozialer Beziehungen Diese erfolgt natürlich in verschiedenen Sprachen und Kulturen höchst unterschiedlich, abhängig von Faktoren wie (a) relativer gesellschaftlicher Status, (b) Nähe in der Beziehung, (c) Diskursregister usw. Die folgenden Beispiele für Deutsch sind nicht universell übertragbar; sie können Entsprechungen in anderen Sprachen haben, müssen dies aber nicht: - Auswahl und Verwendung von Begrüßungsformeln: - bei der Ankunft, z. B. Hallo! Guten Morgen! - bei Vorstellungen, z. B. Angenehm, Müller! - Verabschiedung, z. B. Auf Wiedersehen/Tschüs . Bis bald. - Verwendung und Auswahl von Anredeformen: - formelhaft, z. B. Exzellenz, Hoheit; - formell, z. B. Dr., Professor (+ Nachname) – mein Herr, gnädige Frau; Frau, Herr; Herr Dr. (+ Nachname), Herr Professor (+ Nachname); - informell, z. B. nur Vorname: Peter! Susi! - vertraulich, z. B. Liebling, Kumpel; gebieterisch: Sie da! - formelhafte Beleidigung, z. B. Du Idiot! Du Depp! (oft liebevoll gemeint) - Konventionen des Sprecherwechsels (turntaking) - Ausrufe und Flüche, z. B. O Gott! So'n Mist! Verdammt nochmal! 5.2.2.2 – Höflichkeitskonventionen Höflichkeitskonventionen sind ein wichtiger Grund dafür, dass von einer direkten Anwendung des 'Kooperationsprinzips' (vgl. Abschnitt 5.2.3.1) abgewichen wird. Sie variieren von einer Kultur zur anderen und sind häufig die Quelle interkultureller Missverständnisse, besonders wenn höfliche Ausdrucksformen wörtlich interpretiert werden. 1. 'Positive' Höflichkeit, z. B.: - Interesse zeigen am Wohlergehen einer Person usw.; - Erfahrungen und Sorgen (mit)teilen usw.; - Bewunderung, Zuneigung, Dankbarkeit usw. ausdrücken; - Geschenke anbieten, einen zukünftigen Gefallen versprechen, Gastfreundschaft anbieten usw. 2. 'Negative' Höflichkeit, z. B.: - zu Gesichtsverlust führendes Verhalten vermeiden (Rechthaberei, direkte Befehle usw.); - Bedauern ausdrücken, sich für gesichtsbedrohendes Verhalten entschuldigen (Berichtigung, Widerspruch, Verbote usw.); - abmildernde Formulierungen benutzen (hedging) z. B. Ich würde sagen … ). 3. Angemessene Verwendung von bitte, danke usw. 4. Unhöflichkeit (absichtlicher Verstoß gegen Höflichkeitskonventionen), z. B.: - unverblümte Offenheit, Direktheit; - Verachtung, Abneigung ausdrücken; - starke Beschwerde und Tadel; - seinem Ärger, seiner Ungeduld Luft machen; - Überlegenheit zur Schau stellen. 120 5.2.2.3 – Redewendungen, Aussprüche, Zitate und sprichwörtliche Redensarten Diese festen Wendungen, in denen sich einerseits allgemeine Einstellungen niederschlagen und die andererseits solche Einstellungen verstärken, sind ein wichtiger Beitrag zur Alltagskultur. Man verwendet sie häufig, vielleicht noch häufiger aber bezieht man sich auf sie oder spielt, z. B. in Zeitungsschlagzeilen, auf sie an. Die Kenntnis dieses akkumulierten Volkswissens, ausgedrückt in Redewendungen, die als bekannt vorausgesetzt werden, ist eine bedeutsame Komponente des sprachlichen Aspekts der soziokulturellen Kompetenz. - Sprichwörter, z. B. Gleich getan, ist viel gespart. - Feste Redewendungen, z. B. mit der Wurst nach der Speckseite werfen - Bekannte Zitate, z. B. Dieses war der erste Streich! - Ausdrücke von - Überzeugungen, wie Wettersprüche, z. B. Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie's ist. - Einstellungen, wie Klischees, z. B. Auf Regen folgt Sonnenschein! - Werten, z. B. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Graffiti, T-Shirt- oder Fernsehslogans, Sprüche am Arbeitsplatz und Poster haben heute oft die gleiche Funktion. 5.2.2.4 – Registerunterschiede Der Begriff 'Register' bezieht sich auf systematische Unterschiede zwischen Varietäten einer Sprache, die in verschiedenen Kontexten verwendet werden. Dies ist ein sehr weit gefasstes Konzept, das auch abdecken könnte, was unter 'Aufgabe' (Abschnitt 4.3), 'Textsorte' (Abschnitt 4.6.3) und 'Makrofunktionen' (Abschnitt 5.2.3.2) behandelt wird. In diesem Abschnitt werden unterschiedliche Grade der Formalität behandelt: - formelhaft, z. B. Die Verhandlung ist eröffnet. - formell, z. B. Ich erkläre das Büfett für eröffnet. - neutral, z. B. Können wir anfangen? - informell, z. B. Wie wär's, wenn wir anfangen? - freundschaftlich, z. B. Na gut, fangen wir an. - sehr vertraut, z. B. Los geht's! / Ab geht die Post! Für die ersten Lernjahre (etwa bis zu B1) ist ein relativ neutrales Register angemessen, es sei denn, zwingende Gründe sprechen dagegen. Dies ist das Register, das Muttersprachler im Allgemeinen am ehesten von Ausländern und Fremden erwarten. Nach und nach wird man auch die eher formellen oder freundschaftlichen Register kennen lernen, zunächst vielleicht rezeptiv durch die Lektüre verschiedener Textsorten, insbesondere von Romanen. Mit der Anwendung dieser beiden Register sollte man vorsichtig sein, da eine unangemessene Verwendung leicht zu Missverständnissen oder Lächerlichkeit führen kann. 5.2.2.5 – Varietäten (sozial, regional, ethnisch usw.) Zur soziolinguistischen Kompetenz gehört auch die Fähigkeit, sprachliche Variation aufgrund folgender Faktoren zu erkennen: - soziale Schicht; - regionale Herkunft; - nationale Herkunft; - ethnische Zugehörigkeit; - Berufszugehörigkeit. 121 Sprachliche Realisierungen solcher Unterschiede finden sich in folgenden Bereichen: - Lexikon, z. B. westmitteldt., süddt., schweiz. Metzger vs. norddt. Fleischer vs. österr. Fleischhauer; österr. fesch, schweiz. chick, dt. schick; - Grammatik, z. B. schweiz. ich habe kalt vs. dt./österr. mir ist kalt; österr. er ist (an der Bar) gestanden vs. norddt./schweiz. er hat (an der Bar) gestanden; - Phonologie, z. B. hochdt. Durst vs. hessisch /dorscht/; 'Stein' norddt. /st/ein vs. süddt. /sch/tein; - stimmliche Charakteristika (Rhythmus, Lautstärke usw.); - Paralinguistik; - Körpersprache. Keine europäische Sprachgemeinschaft ist vollkommen homogen.5 Neben den standardsprachlichen Varietäten haben die verschiedene Regionen zusätzlich noch ihre Eigenheiten in Sprache und Kultur, die am deutlichsten bei solchen Menschen hervortreten, die ein völlig ortsgebundenes Leben führen, und sie korrelieren mit der sozialen Schicht, dem Beruf und der Bildungsstufe. Dabei kann ein Dialekt wichtige Hinweise auf Charakteristika des jeweiligen Gesprächspartners geben. In diesem Prozess spielen Stereotypen eine große Rolle, die jedoch durch die Entwicklung interkultureller Fertigkeiten (vgl. Abschnitt 5.1.2.2) abgebaut werden können. Im Laufe der Zeit werden Lernende auch Sprechern verschiedener Herkunft begegnen. Bevor sie sich selbst entsprechende Varianten und Dialektformen aneignen, sollten sie deren soziale Konnotationen bedenken und dass Kohärenz und Konsistenz auch hier wichtig sind. Das Skalieren von Elementen der soziolingustischen Kompetenz hat sich als schwierig erwiesen (vgl. Anhang B). Elemente, die skaliert werden konnten, werden in der folgenden Skala angeführt. Wie dort zu sehen ist, betrifft der untere Teil der Skala nur sprachliche Realisierungen sozialer Beziehungen und Höflichkeitskonventionen. Ab Stufe B2 sind die Sprachverwendenden dann in der Lage, sich adäquat in einer Sprache zu artikulieren, die der jeweiligen Situation und den Beteiligten soziolinguistisch angemessen ist. Sie beginnen dann, sich die Fähigkeit anzueignen, Variationen im Reden zu bewältigen und Varietäten wie auch Register besser zu beherrschen. Soziolinguistische Angemessenheit C2 Verfügt über gute Kenntnisse idiomatischer und umgangssprachlicher Wendungen und ist sich der jeweiligen Konnotationen bewusst. Kann die soziolinguistischen und soziokulturellen Implikationen der sprachlichen Äußerungen von Muttersprachlern richtig einschätzen und entsprechend darauf reagieren. Kann als kompetenter Mittler zwischen Sprechern der Zielsprache und Sprechern aus seiner eigenen Sprachgemeinschaft wirken und dabei soziokulturelle und soziolinguistische Unterschiede berücksichtigen. C1 Kann ein großes Spektrum an idiomatischen und alltagssprachlichen Redewendungen wieder erkennen und dabei Wechsel im Register richtig einschätzen; er/sie muss sich aber gelegentlich Details bestätigen lassen, besonders wenn der Akzent des Sprechers ihm/ihr nicht vertraut ist. Kann Filmen folgen, in denen viel saloppe Umgangssprache oder Gruppensprache und viel idiomatischer Sprachgebrauch vorkommt. Kann die Sprache zu geselligen Zwecken flexibel und effektiv einsetzen und dabei Emotionen ausdrücken, Anspielungen und Scherze machen. 5 Anmerkung für Benutzer der deutschen Übersetzung: So existieren z. B. für die 'plurizentrische' deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz sprachliche Standardvarietäten. Diese Unterschiede findet man nicht nur im Wortschatz, in der Grammatik und der Aussprache, sondern auch im soziolinguistischen Bereich, z. B. in der Verwendung von angemessenen Begrüßungs- und Anredeformeln. 122 Kann sich in formellem und informellem Stil überzeugend, klar und höflich ausdrücken, wie es für die jeweilige Situation und die betreffenden Personen angemessen ist. B2 Kann mit einiger Anstrengung in Gruppendiskussionen mithalten und eigene Beiträge liefern, auch wenn schnell und umgangssprachlich gesprochen wird. Kann Beziehungen zu Muttersprachlern aufrechterhalten, ohne sie unfreiwillig zu belustigen, zu irritieren oder sie zu veranlassen, sich anders zu verhalten als bei Muttersprachlern. Kann sich situationsangemessen ausdrücken und krasse Formulierungsfehler vermeiden. B1 Kann ein breites Spektrum von Sprachfunktionen realisieren und auf sie reagieren, indem er/sie die dafür gebräuchlichsten Redemittel und ein neutrales Register benutzt. Ist sich der wichtigsten Höflichkeitskonventionen bewusst und handelt entsprechend. Ist sich der wichtigsten Unterschiede zwischen den Sitten und Gebräuchen, den Einstellungen, Werten und Überzeugungen in der betreffenden Gesellschaft und in seiner eigenen bewusst und achtet auf entsprechende Signale. Kann elementare Sprachfunktionen ausführen und auf sie reagieren, z. B. auf einfache Art Informationen austauschen, Bitten vorbringen, Meinungen und Einstellungen ausdrücken. Kann auf einfache, aber effektive Weise an Kontaktgesprächen teilnehmen, indem er/sie die einfachsten und gebräuchlichsten Redewendungen benutzt und elementaren Routinen folgt. A2 Kann sehr kurze Kontaktgespräche bewältigen, indem er/sie gebräuchliche Höflichkeitsformeln der Begrüßung und der Anrede benutzt. Kann Einladungen oder Entschuldigu
123 5.2.3 – Pragmatische Kompetenzen Pragmatische Kompetenzen betreffen das Wissen der Sprachverwendenden/Lernenden um die Prinzipien, nach denen Mitteilungen a) organisiert, strukturiert und arrangiert sind (Diskurskompetenz); b) verwendet werden, um kommunikative Funktionen zu erfüllen (funktionale Kompetenz); c) nach interaktionalen und transaktionalen Schemata angeordnet sind (Schemakompetenz). 5.2.3.1 (Diskurskompetenz) Die Diskurskompetenz besteht in der Fähigkeit der Sprachverwendenden/Lernenden, eine Satzsequenz so zu arrangieren, dass kohärente sprachliche Textpassagen entstehen. Sie schließt Wissen um die folgenden Aspekte ein sowie die Fähigkeit, die Abfolge von Sätzen zu kontrollieren in Hinblick auf: - Thema/Fokus; - bekannt/neu; - 'natürliche' Reihenfolge: z. B.: zeitlich: Er fiel hin und ich schlug ihn. aber: Ich schlug ihn und er fiel hin. - Ursache/Wirkung (umkehrbar): Die Preise steigen – die Leute wollen höhere Löhne. - die Fähigkeit, Diskurs zu strukturieren und zu steuern in Hinblick auf: - thematische Organisation; - Kohärenz und Kohäsion; - logische Anordnung; - Stil und Register; - rhetorische Effektivität; - das Kooperationsprinzip nach Grice: "Mache deinen Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst, gerade verlangt wird, indem du die folgenden Maximen beachtest: - Maxime der Qualität (versuche, deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist); - Maxime der Quantität (gib so viele Informationen wie nötig, aber nicht mehr); - Maxime der Relevanz (sage nichts Irrelevantes); - Maxime der Art und Weise (drücke dich kurz und gut strukturiert aus und vermeide Unklarheit und Mehrdeutigkeit)". Von diesen Kriterien für ein direktes und effizientes Kommunizieren sollte man nur aus besonderen Gründen abweichen, nicht jedoch weil man unfähig ist, sie zu beachten. - Textgestaltung: Kenntnis der Gestaltungskonventionen der Sprachgemeinschaft z. B. im Hinblick darauf, - wie Informationen bei der Realisierung der verschiedenen Makrofunktionen (Beschreibung, Erzählung, Erläuterung usw.) strukturiert werden; - wie Geschichten, Anekdoten, Witze usw. erzählt werden; - wie ein Argumentationsstrang aufgebaut wird (juristisch, bei Debatten usw.); - wie ein geschriebener Text (Aufsätze, offizielle Briefe usw.) hinsichtlich seiner äußeren Form, weiterführender Hinweise und der Reihenfolge gestaltet wird. Ein guter Teil der muttersprachlichen Erziehung ist der Ausbildung diskursiver Fertigkeiten junger Menschen gewidmet. Im Fremdsprachenlernen fangen die Lernenden wahrscheinlich mit kurzen Redebeiträgen an, die gewöhnlich nur Satzlänge haben. Auf höheren Stufen der Sprachbeherrschung wird die Entwicklung der Diskurskompetenz, deren Komponenten in diesem Abschnitt angeführt werden, immer wichtiger. Skalen stehen für folgende Aspekte der Diskurskompetenz zur Verfügung: - Flexibilität in Bezug auf die Umstände der Kommunikationssituation; - Sprecherwechsel (turntaking), (wird auch unter Interaktionsstrategien angeführt); - Themenentwicklung; - Kohärenz und Kohäsion. 124 Flexibilität C2 Zeigt viel Flexibilität, indem er/sie Gedanken mit verschiedenen sprachlichen Mitteln umformuliert, um etwas hervorzuheben, zu differenzieren oder um Mehrdeutigkeit zu beseitigen. C1 Wie B2+ Kann Inhalt und Form seiner Aussagen der Situation und dem Kommunikationspartner anpassen und sich dabei so förmlich ausdrücken, wie es unter den jeweiligen Umständen angemessen ist. B2 Kann sich den in der Konversation üblichen Wechseln der Gesprächsrichtung, des Stils oder des Tons anpassen. Kann die Formulierungen für das, was er/sie sagen möchte, variieren. Kann seine Ausdrucksweise auch weniger routinemäßigen, sogar schwierigeren Situationen B1 anpassen. Kann ein breites Spektrum einfacher sprachlicher Mittel flexibel einsetzen, um viel von dem, was er/sie sagen möchte, auszudrücken. Kann einfache, gut memorierte Wendungen durch den Austausch einzelner Wörter den jeweiliA2 gen Umständen anpassen. Kann die einzelnen Elemente von gelernten Wendungen neu kombinieren und so deren Anwendungsmöglichkeiten erweitern. A1 Keine Deskriptoren verfügbar Sprecherwechsel C2 Wie C1 C1 Kann aus einem geläufigen Repertoire von Diskursmitteln eine geeignete Wendung auswählen und die eigene Äußerung angemessen einleiten, wenn er/sie das Wort ergreift oder beim Sprechen Zeit zum Nachdenken gewinnen und das Wort behalten will. B2 Kann in Gesprächen auf angemessene Weise das Wort ergreifen und dazu verschiedene, geeignete sprachliche Mittel verwenden. Kann Gespräche auf natürliche Art beginnen, in Gang halten und beenden und wirksam zwischen Sprecher- und Hörerrolle wechseln. Kann ein Gespräch beginnen, im Gespräch die Sprecherrolle übernehmen, wenn es angemessen ist, und das Gespräch, wenn er/sie möchte, beenden, auch wenn das möglicherweise nicht immer elegant gelingt. Kann Floskeln wie Das ist eine schwierige Frage verwenden, um beim Formulieren Zeit zu gewinnen und das Wort zu behalten. Kann in ein Gespräch über ein vertrautes Thema eingreifen und dabei eine angemessene ReB1 dewendung benutzen, um zu Wort zu kommen. Kann ein einfaches, direktes Gespräch über vertraute oder persönlich interessierende Themen beginnen, in Gang halten und beenden. Kann einfache Mittel anwenden, um ein kurzes Gespräch zu beginnen, in Gang zu halten und zu beenden. A2 Kann im direkten Kontakt ein einfaches Gespräch beginnen, in Gang halten und beenden. Kann jemanden ansprechen. A1 Keine Deskriptoren verfügbar 125 Themenentwicklung C2 Wie C1 C1 Kann etwas ausführlich beschreiben oder berichten und dabei Themenpunkte miteinander verbinden, einzelne Aspekte besonders ausführen und mit einer geeigneten Schlussfolgerung abschließen. B2 Kann etwas klar beschreiben oder erzählen und dabei wichtige Aspekte ausführen und mit relevanten Details und Beispielen stützen. B1 Kann recht flüssig unkomplizierte Geschichten oder Beschreibungen wiedergeben, indem er/sie die einzelnen Punkte linear aneinander reiht. Kann eine Geschichte erzählen oder etwas beschreiben, indem er/sie die einzelnen Punkte in A2 Form einer einfachen Aufzählung aneinander reiht. A1 Keine Deskriptoren verfügbar Kohärenz und Kohäsion C2 Kann einen gut gegliederten und zusammenhängenden Text erstellen und dabei eine Vielfalt an Mitteln für die Gliederung und Verknüpfung angemessen einsetzen. C1 Kann klar, sehr fließend und gut strukturiert sprechen und zeigt, dass er/sie die Mittel der Gliederung sowie der inhaltlichen und sprachlichen Verknüpfung beherrscht. Kann verschiedene Verknüpfungswörter sinnvoll verwenden, um inhaltliche Beziehungen deutlich zu machen. B2 Kann eine begrenzte Anzahl von Verknüpfungsmitteln verwenden, um seine/ihre Äußerungen zu einem klaren, zusammenhängenden Text zu verbinden; längere Beiträge sind möglicherweise etwas sprunghaft. B1 Kann eine Reihe kurzer und einfacher Einzelelemente zu einer linearen, zusammenhängenden Äußerung verbinden. Kann die häufigsten Konnektoren benutzen, um einfache Sätze miteinander zu verbinden, um A2 eine Geschichte zu erzählen oder etwas in Form einer einfachen Aufzählung zu beschreiben. Kann Wortgruppen durch einfache Konnektoren wie und, aber und weil verknüpfen. A1 Kann Wörter oder Wortgruppen durch sehr einfache Konnektoren wie und oder dann verbinden.
5.2.3.2 – Funktionale Kompetenz Diese Komponente betrifft die Verwendung gesprochenen Diskurses und geschriebener Texte bei der Kommunikation mit bestimmten funktionalen Zwecken (vgl. Abschnitt 4.2). Bei der konversationellen Kompetenz geht es nicht um das Wissen, welche bestimmten Funktionen (Mikrofunktionen) mit welchen sprachlichen Formen ausgedrückt werden. Gesprächsbeteiligte nehmen an einer Interaktion teil, in der jede Initiative zu einer Entgegnung führt und die Interaktion in einer Abfolge einzelner Schritte von der Eröffnung bis zum Abschluss ihrem Ziel entsprechend voran bringt. Kompetente Sprecher verstehen diesen Prozess und verfügen über Fertigkeiten, ihn auszuführen. Eine Makrofunktion ist durch ihre interaktionale Struktur charakterisiert. Komplexere Situationen können durchaus eine interne Struktur haben, die Abfolgen von Makrofunktionen umfasst, die in vielen Fällen gemäß den formellen oder informellen Mustern sozialer Interaktion (Schemata) angeordnet sind. 1. Mikrofunktionen sind Kategorien für die funktionale Verwendung einzelner (gewöhnlich kurzer) Äußerungen, die normalerweise Redebeiträge (turns) in einer Interaktion sind. Mikrofunktionen werden im Threshold Level 1990, Kapitel 5, relativ detailliert (aber nicht erschöpfend) kategorisiert: 126 1.1 Sachinformationen mitteilen und erfragen - identifizieren - berichten - berichtigen - fragen - antworten 1.2 Einstellungen zum Ausdruck bringen und erfragen in Bezug auf: - Fakten (Zustimmung/Ablehnung) - Wissen (Wissen/Unwissen, Erinnern/Vergessen, Wahrscheinlichkeit/Sicherheit) - Modalität (Verpflichtung, Notwendigkeit, Fähigkeit, Erlaubnis) - Willensbekundungen (Wünsche, Verlangen, Absichten, Präferenzen) - Gefühle (Freude/Missfallen, Vorlieben/Abneigungen, Zufriedenheit, Interesse, Überraschung, Hoffnung, Enttäuschung, Angst, Sorge, Dankbarkeit) - Moralisches Verhalten (Entschuldigungen, Billigungen, Bedauern, Mitgefühl) 1.3 Überreden, Überzeugen - Vorschläge, Bitte, Warnung, Rat, Ermutigung, um Hilfe bitten, Einladungen, Angebote 1.4 Soziale Routinen - Aufmerksamkeit erregen, jemanden anreden und (be)grüßen, jemanden vorstellen, einen Trinkspruch ausbringen, sich verabschieden 1.5 Diskursstrukturierung - (28 Mikrofunktionen, Eröffnen, Sprecherwechsel, Abschließen usw.) 1.6 Reparaturen, Selbstkorrektur - (16 Mikrofunktionen) 3. Makrofunktionen sind Kategorien für die funktionale Verwendung gesprochener Rede oder geschriebener Texte, die aus einer (manchmal längeren) Reihe von Sätzen bestehen, z. B.: Beschreibung Erzählung Kommentar Erläuterung Auslegung Erklärung Demonstration Anweisung Argumentation Überredung usw. 3. Interaktionsschemata Funktionale Kompetenz umfasst die Kenntnis der Schemata (soziale Interaktionsmuster), die der Kommunikation zugrunde liegen, wie etwa Muster des verbalen Austauschs sowie die Fähigkeit, diese anzuwenden. Die in Abschnitt 4.4.3 dargestellten interaktiven Kommunikationsaktivitäten involvieren strukturierte Folgen von wechselseitigen Handlungen der Beteiligten. Im einfachsten Fall bilden sie Paare wie: Frage: Antwort Aussage: Zustimmung/Ablehnung Bitte/Angebot/Entschuldigung: Annahme/Ablehnung Gruß/Trinkspruch: Reaktion 127 Üblich sind Abfolgen dreier Äußerungen, in denen der erste Sprecher die Antwort des Gesprächspartners quittiert oder auf sie reagiert. Zweier- und Dreierfolgen von Äußerungen sind normalerweise in längere Transaktionen und Interaktionen eingebettet. In komplexeren, zielgerichteten kooperativen Transaktionen zum Beispiel ist Sprache zum Erreichen folgender Ziele unverzichtbar: - eine Arbeitsgruppe bilden und Beziehungen zwischen den Teilnehmenden etablieren; - einen gemeinsamen Kenntnisstand in Bezug auf die relevanten Merkmale der aktuellen Situation herstellen und zu einer gemeinsamen Interpretation gelangen; - feststellen, was geändert werden könnte und sollte; - Übereinstimmung über die Ziele erzielen und über die Handlungen, die zum Erreichen dieser Ziele notwendig sind; - sich über die Rollenverteilung während des Ausführens der Handlungen einigen; - die nötigen praktischen Handlungen durchführen, indem z. B. - aufkommende Probleme identifiziert und behandelt werden; - Beiträge koordiniert und sequenziert werden; - die Teilnehmenden einander ermutigen; - das Erreichen von Teilzielen festgestellt wird; - den endgültigen Abschluss der Aufgabe feststellen; - die Transaktion bewerten; - die Transaktion vollenden und beenden. Dieser ganze Prozess kann schematisch dargestellt werden. Ein Beispiel ist das allgemeine Schema für den Einkauf von Gütern und Dienstleistungen aus dem Threshold Level 1990, Kapitel 8: Allgemeines Schema für den Einkauf von Waren oder Dienstleistungen 1. Sich zum Ort der Transaktion begeben 1.1 Den Weg zum Geschäft, Kaufhaus, Supermarkt, Restaurant, Bahnhof, Hotel usw. finden 1.2 Den Weg zum Tresen, zur Abteilung, zum Tisch, zum Schalter, zur Rezeption usw. finden 2. Kontakt herstellen 2.1 Begrüßung austauschen mit dem Verkäufer, dem Kellner, dem Empfangspersonal usw. 2.1.1 Angestellter grüßt 2.1.2 Kunde grüßt 3. Ware/Dienstleistung auswählen 3.1 Identifizieren der gesuchten Art von Ware/Dienstleistung 3.1.1 Information erfragen 3.1.2 Information geben 3.2 Wahlmöglichkeiten identifizieren 3.3 Vor- und Nachteile von Wahlmöglichkeiten diskutieren (z. B. Qualität, Preis, Farbe, Größe der Waren) 3.3.1 Information erfragen 3.3.2 Information geben 3.3.3 Rat erfragen 3.3.4 Rat geben 3.3.5 nach Vorlieben fragen 3.3.6 Vorlieben nennen usw. 128 3.4 Bestimmte gesuchte Waren identifizieren 3.5 Ware prüfen 3.6 Kaufentscheidung 4. Austausch der Ware gegen Bezahlung 4.1 Preis der einzelnen Teile vereinbaren 4.2 Gesamtsumme vereinbaren 4.3 Bezahlung überreichen/in Empfang nehmen 4.4 Ware (und Quittung) überreichen/in Empfang nehmen 4.5 Dank austauschen 4.5.1 Angestellter dankt 4.5.2 Kunde dankt 5. Sich verabschieden 5.1 (gegenseitige) Zufriedenheit zum Ausdruck bringen 5.1.1 Verkäufer bringt Zufriedenheit zum Ausdruck 5.1.2 Kunde bringt Zufriedenheit zum Ausdruck 5.2 Über Alltägliches reden (z. B. Wetter, Klatsch) 5.3 Sich gegenseitig verabschieden 5.3.1 Angestellter grüßt zum Abschied 5.3.2 Kunde grüßt zum Abschied Anmerkung: Bitte beachten Sie – auch bei ähnlichen Schemata – dass die Verfügbarkeit eines Schemas für Käufer und Verkäufer noch nicht bedeutet, dass diese Form auch bei jeder Gelegenheit benutzt wird. Gerade unter den heutigen Bedingungen wird Sprache eher spärlich benutzt, außer in besonderen Fällen, wenn nämlich Probleme in einer an sich entpersonalisierten und halbautomatisierten Transaktion auftreten oder wenn diese menschlicher gestaltet werden soll (vgl. Abschnitt 2.1.1). Es ist nicht möglich, Beispielskalen für alle Kompetenzbereiche zu entwickeln, die mitgedacht werden müssen, wenn von funktionaler Kompetenz die Rede ist. Bestimmte mikrofunktionale Tätigkeiten sind aber in den Beispielskalen zu den interaktiven und produktiven kommunikativen Tätigkeiten erfasst. Zwei allgemeine qualitative Faktoren, die den funktionalen Erfolg der Sprachverwendenden/Lernenden bestimmen, sind a) Flüssigkeit, die Fähigkeit zu artikulieren, weiterzusprechen und damit zurechtzukommen, wenn man an einen toten Punkt gelangt; b) Genauigkeit des Ausdrucks, die Fähigkeit, Gedanken und Inhalte so zu formulieren, dass das Gemeinte klar wird. 129 Zu diesen beiden qualitativen Aspekten gibt es Beispielskalen: Flüssigkeit (mündlich) C2 Kann sich auch in längeren Äußerungen natürlich, mühelos und ohne Zögern fließend ausdrü- cken. Macht nur Pausen, um einen präzisen Ausdruck für seine/ihre Gedanken zu finden oder ein geeignetes Beispiel oder eine Erklärung. C1 Kann sich beinahe mühelos spontan und fließend ausdrücken; nur begrifflich schwierige Themen können den natürlichen Sprachfluss beeinträchtigen. Kann sich spontan verständigen und drückt sich auch in längeren und komplexeren Redebeiträ- gen oft mit bemerkenswerter Leichtigkeit und Flüssigkeit aus. B2 Kann in recht gleichmäßigem Tempo sprechen. Auch wenn er/sie eventuell zögert, um nach Strukturen oder Wörtern zu suchen, entstehen kaum auffällig lange Pausen. Kann sich so spontan und fließend verständigen, dass ein normales Gespräch mit einem Muttersprachler ohne Belastung für eine der beiden Seiten möglich ist. Kann sich relativ mühelos ausdrücken und trotz einiger Formulierungsprobleme, die zu Pausen B1 oder in Sackgassen führen, ohne Hilfe erfolgreich weitersprechen. Kann sich ohne viel Stocken verständlich ausdrücken, obwohl er/sie deutliche Pausen macht, um die Äußerungen grammatisch und in der Wortwahl zu planen oder zu korrigieren, vor allem, wenn er/sie länger frei spricht. Kann sich in kurzen Redebeiträgen verständlich machen, obwohl er/sie offensichtlich häufig A2 stockt und neu ansetzen oder umformulieren muss. Kann ohne große Mühe Redewendungen über ein vertrautes Thema zusammenstellen, um kurze Gespräche zu meistern, obwohl er/sie ganz offensichtlich häufig stockt und neu ansetzen muss. A1 Kann sehr kurze, isolierte und meist vorgefertigte Äußerungen benutzen, macht dabei aber viele Pausen, um nach Ausdrücken zu suchen, weniger vertraute Wörter zu artikulieren und Abbrü- che in der Kommunikation zu reparieren. Genauigkeit C2 Kann ein großes Repertoire an Graduierungs- und Abtönungsmitteln (z. B. Modaladverbien und Abtönungspartikel) weitgehend korrekt verwenden und damit feinere Bedeutungsnuancen deutlich machen. Kann Betonungen und Differenzierungen deutlich machen und Missverständnisse ausräumen. C1 Kann Meinungen und Aussagen genau abstufen und dabei z. B. den Grad an Sicherheit/Unsicherheit, Vermutung/Zweifel, Wahrscheinlichkeit deutlich machen. B2 Kann eine detaillierte Information korrekt weitergeben. Kann die Hauptaspekte eines Gedankens oder eines Problems ausreichend genau erklären. B1 Kann einfache Informationen von unmittelbarer Bedeutung weitergeben und deutlich machen, welcher Punkt für ihn/sie am wichtigsten ist. Kann das Wesentliche von dem, was er/sie sagen möchte, verständlich ausdrücken. A2 Kann bei einem einfachen, direkten Austausch begrenzter Informationen über vertraute Routineangelegenheiten mitteilen, was er/sie sagen will, muss aber in anderen Situationen normalerweise Kompromisse beim Umfang der Mitteilung eingehen. A1 Keine Deskriptoren verfügbar 130 Die Benutzer des Referenzrahmens sollten bedenken und, soweit sinnvoll, angeben, - welche Diskursmerkmale die Lernenden beherrschen sollen, auf welche sie vorbereitet werden sollen und welche Anforderungen an sie gestellt werden; - welche Makrofunktionen die Lernenden produzieren können sollen, auf welche sie vorbereitet werden sollen und was in dieser Hinsicht von ihnen verlangt wird; - welche Mikrofunktionen die Lernenden produzieren können sollen, auf welche sie vorbereitet werden sollen und was in dieser Hinsicht von ihnen verlangt wird; - welche Interaktionsschemata die Lernenden benötigen und was von ihnen in dieser Hinsicht erwartet wird; - welchen Interaktionsschemata als bekannt vorausgesetzt werden und welche gelehrt werden sollten; - nach welchen Prinzipien Makro- und Mikrofunktionen ausgewählt und angeordnet werden; - wie qualitativer Fortschritt im pragmatischen Bereich charakterisiert werden kann.