Internet-! Iandelsplattformen für Selbstgemachtes boomen, städtische Strick-Cafes und Nähkurse schießen wie Pilze aus dem Boden, I landwerkskurse haben regen Zulauf. Glaubt man Expertinnen, drückt sich in der neuen Selbermacher-Bewegung auch eine große gesellschaftliche Umwälzung aus. TEXT: Julia kospach Ein düsterer, feuchtnasser Sonntagnachmittag im Spätherbst, inmitten der Leopoldstadt, des zweiten Wiener Gemeindebezirks. Vor einem neu gebauten Hotel in der Rembrandtstraße wuselt es, als gäbe es drinnen irgendetwas gratis. Von der Straße aus sieht man durch die hell erleuchteten Fenster und Stiegenhäuser, wie sich sieben Stockwerke hoch Menschen in den Gängen und Zimmern drängen. Es handelt sich tatsächlich nicht um den ganz normalen Hotelbetrieb. Ganz im Gegenteil. An diesem Tag macht der „DaWanda Designmarkt" in Wien Station. Die Hotelzimmer sind umfunktioniert zu Verkaufsräumen, in denen Menschen Dinge verkaufen, die sie selber gemacht haben: handgeschöpftes Papier, bunte gefilzte Kappen, Lederetuis für Hefte und Bücher; Spielzeug aus Holz und Stoff, wattierte, aus gemusterten Stoffresten zusammengesetzte Babydecken, Schmuck, Kleinmöbel, Taschen, Accessoires. Das Angebot ist so überwältigend, dass es einem beinahe den Atem verschlägt - das Gedränge ebenfalls. Da wird begutachtet und beraten, probiert und gestaunt, verhandelt und eingepackt. Und doch ist das, was an diesem einen Tag mitten im Zentrum von Wien an Handgemachtem zu sehen ist, quasi nur die Spitze des „DaWanda"-Eisbergs. Denn „DaWanda" ist eigentlich eine Handelsplattform für Selbstgemachtes im Internet. Gegründet hat sie die frühere deutsche Internet-Tou-ristikerin Claudia Helming im Jahr 2006. Seither geht es steil bergauf. Von 25.000 Herstellerinnen und 350.000 handgemachten Produkten, die 2009 über „DaWanda" angeboten wurden, ist das Unternehmen bis 2012 sprunghaft auf über 150.000 Herstellerinnen und mehr als zwei Millionen Produkte angewachsen. Fünf Prozent kassiert „DaWanda" von jedem verkauften Stück. Pro Tag kommen 7.000 neue dazu. Derzeit wird mit Volldampf an einer Internationalisierung gearbeitet, und zwar, wie Gründerin Helming im letzten Frühjahr in einem Interview sagte, „weil es in allen europäischen Ländern bereits Nachahmerinnen gibt. Der Markt hat sich in den vergangenen ein, zwei Jahren stark entwickelt." EIN MILLIONENMARKT Dabei ist „DaWanda" selbst eine Art Nachahmer. Pate an der Wiege dieser deutschen Erfolgsgeschichte stand die im Jahr 2005 in einer Studentenbude im New Yorker Stadtteil Brooklyn ins Leben gerufene Onlineplattform für Selbstgemachtes namens „Etsy.com". „Etsy" ist die wichtigste Unternehmung ihrer Art weltweit. Allein im Jahr 2011 - nur sechs Jahre nach der Gründung - setzte „Etsy" 538 Millionen Dollar um und steigerte sein Handelsvolumen damit innerhalb von zwölf Monaten um 71 Prozent. „Etsy. com" hat mittlerweile 13 Millionen re- gistrierte Userinnen und 37 Millionen Einmal-Besucherlnnen pro Monat. Mit Fug und Recht kann man den US-amerikanischen Internet-Tausendsassa als den Leuchtturm einer ganzen Bewegung bezeichnen, die gemeinhin unter der Abkürzung DIY läuft. DIY steht für „Do it yourself" - „Mach es selbst". Das ist Aufruf und Botschaft in einem. Es geht dabei um die Rückbesinnung auf Selbstgemachtes, um individuellen Ausdruck und soziale Vernetzung, aber ebenso um Selbstbestimmung und umsichtigeres Konsumieren. Kurzum: Es geht um eine sanfte, aber nachhaltige Gegenbewegung zum Einheitsbrei der globalen Wirtschaft. ■ .■■■•! OMAS HOBBY NEU ERFUNDEN Sicher, die einen werden jetzt sagen: „Was soll denn das? Gebastelt, genäht und gestrickt ist doch immer schon worden. Was soll daran so neu sein?" Die anderen werden sagen: „Und selbst wenn das gerade boomt - in ein paar Jahren ist wieder etwas anderes modern." Nicht ganz. Natürlich ist das, was hier passiert, nicht die Neuerfindung des Rades. Aber es geschieht in ganz und gar anderen Umfeldern als bisher. Ausgegangen ist diese Bewegung nämlich nicht vom ländlichen Raum, wo Handarbeit und Handwerk traditionell immer noch einen größeren und selbstverständlicheren Stellenwert besitzen, sondern von Urbanen Zentren wie New York, London, Berlin oder San Francisco. Wie die Pilze sind dort in den letzten Jahren Strick-Cafes, Strickrunden in Bars oder hippe kleine Nähstuben aus dem Boden geschossen, und in künstlerischen Aktionen werden Brückengeländer, Zäune, Denkmäler oder Fahrzeuge eingestrickt - etwa im März 2011 anlässlich von „100 Jahre internationaler Frauentag", als am Wiener Ring Laternenmasten umstrickt wurden. Mit dabei: Die junge feministische Künstlerinnengruppe „Strickistinnen" (http://strickistinnen. blogspot.co.at/), die sich selbst als „eine Gruppe wollbegeisterter Aktivistinnen" bezeichnet und mit >> 0112013 47