Welt nicht gibt. Meeresaugen, - wie sie der Ungar nennt, — dann haben wir ja auch noch den Plattensee, vor dem sich der Möllensee verstecken kann, ■ es (lauert einen ganzen Tag, bis das I >ainpfschiff die Länge dieses ungarischen Meeres durchmißt. Auch den edelgerundeten Halbkreis der „Länder der ungarischen Krone", wie er auf den Karten zu sehen war, hatte Sigi ins Herz geschlossen. „Es gibt kein Land von einer so anheimelnd runden, leicht zu zeichnenden Form." Und da oben die Karpathen finster dröhnen, unten die Tiefebene fröhlich grünt, nieint wahrlich mit Recht Herr von Szalkay, daß in diesem von Honig und Milch überfließenden Kanaan majestätische Strenge und sanfte Anmut sich harmonisch paaren. Man könne folglich dem Dichter nicht widersprechen, der jedem Magyaren den Rat gibt: „Sei's zum Heile, sei's zum Verderben — Hier mußt du leben, hier mußt du sterben!" Und man mußte es Herrn von Szalkay nachfühlen, daß er nicht nur Liebe kamite, sondern auch Haß. Und welch' einen Haß! Herr von Szalkay hatte nur Haß und Verachtung für Österreichs „tyrannisches Gezücht". Während die Rippen des Bondy'schen Sprößlings sich so von hehren Gefühlen der Liebe und des Hasses spannten und in seinen Ohren die erhabenen Gedichte und Lehren brausten, meisterte der Mund des deutsch erzogenen kleinen Patrioten nur schwer das Ungarische. So strebsam der Schüler auch war, so sehr er sich in allen Gegenständen auszeichnete, mußte ihn doch Herr von Szalkay zuweilen rügen — „Ich will dich gewiß nicht beleidigen, lieber Sigi, aber das ist eine häßliche, jüdische Unart, die letzten Silben der 104 Worte so in die Höhe zu ziehen, — der echte Ungar betont immer die erste Silbe!" Mit übermäßiger Vorsicht miichte nun Sigi zwischen allen Worten ängstliche Pausen, um die ersten Silben lest betonend, jedem das Seine zu geben. Die sorgfältig betonten Worte folgten einander denn auch, wie der Soldaten rhythmischer Stechschritt, eines nach dem andern, jedes für sich, — jedoch wie beim Militär, wenn nur ein Tolpatsch strauchelt, die ganze Ordnung umfällt, stolperte auch in Sigis Rede die Betonung eines Wortes zuweilen etwas nach vorne und damit war es um den Klang des ganzen Satzes geschehen. Da konnte der gute Lehrer mit dem Tadel nicht zurückhalten: „Ich mach' dich aufmerksam, mein guter Junge, daß unser Volk in seiner Sprache lebt. Und du kannst kein Glied dieser Nation werden, solange du im ere edle Sprache nicht vollkommen beherrschst ..." Sijii brachte es in einigen Monaten fertig, ge-liiufig und fehlerlos ungarisch zu sprechen, allerdings Leider — so sehr es ihm auch der gute und geduldige Lehrer abzugewöhnen suchte — stets mit etwas fremdartig Singendem in der Betonung. Trotzdem ist er schon so ein guter Ma-gyare, daß er die ganze Familie Bondy zum Ungarischen bekehren möchte. Die schwere und peinliche Operation der Magyarisierung hätte da uber natürlich zu allererst an Papa Hermann vollzogen werden müssen. Sigi fühlte instinktiv, daß liei Papa die schönsten Lehren des Herrn von Szalkay nicht verfangen würden. Denn was ficht den bärtigen Chef der Firma Bondy, Stephan der Heilige an? Was die schönsten Eigenheiten dw leiblichen Zeitwörter auf „ik"? Hin begei- 105 stert die Loinnitzer Spitze nicht, er ist auf den Plattensee gar nicht stolz. Audi die heilige, herz-bezwingende Malbkreisfonn der Liüuler der ungarischen Krone rührt ihn nicht im geringsten. Da niiiUfľ jemand kommen, irgendein großer Herr und dem Alten den Befehl erteilen: „Sprich imgarisch!" Man müßte ihn bestrafen, weil er nicht imgarisch spricht. Aber wer hat Papa Hermann zu befehlen ? Wo gibt es einen großen Herrn, der es sich erlauben dürfte, den Düsteren und Gewaltigen zu bestrafen? All die kühne Entrüstung und aller Mut des Szalkay'schen Zöglings verzog sich in die Knie, wenn ihn unter den dichten Brauen Vater Hermanns ein schwarzer Blick traf. Einmal jedoch entschloß er sich doch, auf eine Präge, die der Vater deutsch an ihn gestellt hatte, mit besonderer Betonung, ungarisch zu antworten. „Was ist das? Bist du verrückt? Kannst du denn nicht sprechen?" — brummte kopfschüttelnd Hermann, der das Ungarische keineswegs als Sprache anerkennen wollte. Diese Schmähung erboste den kleinen Sigi noch mehr. Er wartete nur noch auf den Tag, an dem seine Erbitterung sich Luft machen könne. Auch dieser Sommertag sollte kommen, in Strahlen und Staub. Sigi saß auf dem Fensterbrett, blinzelte, um die schlechten Augen zu schonen, durch ein schwarze« Augenglas in die sprühende Hitze. Mama Regine aber, die hinter ihrem Sohn stand, hielt den Jungen mit beiden Händen an den Hüften fest. „Gib acht, mein Kind, daß du mir nicht liinunterfällst." 100 Auf der Straße unten kommen Reiter in Pelzmützen mit Reiherfedern, in Schaftstiefeln, in weißen, schwarzen, grünen, gelben, roten, blauen, edelsteinbesäten Seidengewändern, mit lautem Hufenklang und Säbelgeklirr. An der Spitze reitet, mit der Krone auf dem Haupt, der König, um, die Szalkay'schen Lehren befolgend, den zwei Jahrzehnte währenden Groll der rebellischen Nation durch den Akt der Krönung zu versöhnen. Der blonde Mann mit der Krone, — so hatte sich Sigi schon immer die Könige vorgestellt, — in gesticktem Krönungsmantel, der, am Halse geschlossen, Rücken, Roß und Reiter beinahe ganz bedeckte, näherte sich den Fenstern der Bondy'sohen Wohnung. Geschrei wälzt sich vor ihm her. Wie von Wahnsinn befallen, schwenken die. Leute ihre Hüte in hocherhobenen Händen. Da winkte Franz Joseph den hinter ihm einher-reil enden seh warzbärtigen, lockenköpf igen Recken zu sich heran. „Das ist der Andrassy, weißt du, ein großer Herr, ein Graf, der ist jetzt geworden der Präses vom ganzen Ministerium..." — flüsterte Heri' Hermann erklärend seiner Frau zu, als der König anhielt und sich dem Nahenden zuwandte. Er scheint ihm etwas sagen zu wollen. Die tobende Menge hält einen Augenblick inne. „Wieviel Uhr ist's?" fragt der eben zum ungari-rhen König gekrönte Kaiser von Österreich, einer neuen Majestät uneingedenk, in deutscher Sprache, und seine Worte sind oben im Stockwerk vernehmbar. „Was sagt der König?" — fragen die beim linderen Fenster zusammengedrängt stehenden ungarischen Herren, denen Hermann, in richtiger lind kluger Berechnung, von den zwei Fenstern II iivi.iiv. Boody. 107 «