Hermann die auf die, Visitenkarte geschriebenen ungarischen Wort« auch mündlich erschallen, und fischt« dabei au« der oberen Tasche seines Haus-rockes (lau inhaltsreiche Couvert hervor. Der Schüler der Weisheit, der gewohnt war mehr zu fasten als zu essen und den vielversprechenden Bewegungen Hermanns mit seiigen Augen gefolgt war, hielt es dennoch für schicklieh, sich zu sträuben: „Ich habe nur meine Pflicht getan, ich erwarte keine Belohnung." Während der Lehrer so bescheiden tat, warf Hermann Mama Regine einen strengen Blick zu, dessen mißmutiger Kälte der Vorwurf zu entnehmen war: „Hab' ich dir nicht gesagt? Der hat gar keine Belohnung erwartet. Warum sollte er auch?" — und schon klappte er die Brieftasche, aus der die Ecken des Couverts hervorlugten, zu. Er hätte sie gewiß wieder im Hausrock verschwinden lassen, wenn Kegine nicht die Verblüffung des Herrn Dominik bemerkt und in ihrem Mitgefühl voll heldenhafter Entschlossenheit im letzten Augenblick den Umschlag aus der Brieftasche ihres Mannes gezogen hätte. Sie selbst reichte das Couvert dem Pädagogen, der sich an dankbaren Verbeugungen nicht genug tun konnte. Dieses Geschenk und diese unverhoffte große Güte gaben dem schmalbrüstigen aber langbärtigen Dominik den Mut, als Dank für so viel Freundlichkeit, Papa Hermann seine Erziehungsgrundsätze vorzutragen: „Gerade bin ich dabei, dem Sigi zu erklären .. In seinem scharfen Fistelton und äußerst um-122 ländlich iülirte er nun aus, daß einzig und allein die Lateinschule gute Staatsbürger hervorbringen könne. Die Real- oder gar die Handelsschule erziele ein für das ungarische Vaterland verlorenes, weil dem Materialismus" — sagte Herr von Szal-kiiy — „verfallenes Geschlecht." Der kleine Sigi hatte zwar keine Ahnung, wes Baumes Frucht der Materialismus sein mochte, jedenfalls aber war er entschlossen, auf keinen Fall Materialist zu werden. In Hermann aber begann der bis mm kaltgestellte Zorn zu brodeln, doch er beherrschte sich rasch. Wozu sich ärgern V dachte er, — der ist gekündigt, der IniI iu gi'hn ... und dann: Gott befohlen! Er ii'ili-l jn du- li'ly.li'iiml. Meinetwegen soll er i liaft. Dann sH/.l er fort: ,,\Vi rn Sil-, wo die Freiheit zuerst Breschen < ciliaren hat Ins Kenstur von meinem Laden in der Wai/nergasse. Lassen Sie mich mit solchen Heilen warten. Selbst dem Börne und dem Heine hat man nicht glauben wollen, daß sie gute I h'iil sehe waren, und die haben doch gut deutsch gokonntl Warum sollte jemand meinem Sohn glauben, daß er ein Ungar ist, und wenn er noch .....il ungarisch spricht? Schauen Sie sich einmal seine Nase an! Und seine Augen! Eine jüdische Nase. Und jüdische Augen. Mein lieber I lerr Szalkay, den muß man so lassen, wie er ge- I.....Ii ist, ein Jud soll er bleiben, ein Jud! und «■•im Sie ihm durchaus, mit aller Gewalt etwas I" iliiingeii wollen, so bringen Sie ihm halt bei, • lull er hier jedes Geschäft machen soll, wenn es Iii i i I 'ml daß ihm zahlen soll, wer ihm schul-A\y i.i Und daß er hier sehr gut leben soll, wie .......Ken in einer Kolonie sehr gut leben kann, Irr Mensch sein Geld macht. Wissen Sie, 125 9» Hltllllyilllllini «iis C Ii u w is il ist? Das ist. auf jüdisch eine liolie Stellung, ein vornehmes Amt, ein Orden, e' Rang oder so was, wo gar kein Gehalt ist.. Nu' also: irh brauch' in der Familie weder einen Abgeordneten, noch einen Richter, noch einen Professor. Mein Sohn soll hier nehmen und geben, aber sich selbst soll er nicht geben, denn was nimmt er dafür ein? Nichts! Gamichts! Haben Sie schon so einen Juden gesehen, der in diesem Lande Choweds statt Geschäften nachgelaufen ist und es zu was gebracht, hat?" Herr Szalkay scheint nachzudenken, ob er „so einen" schon gesehen hat. Er scheint aber noch keinen gesehen zu haben, denn er schweigt, anstatt jetzt seiner Rede Strom zu ergießen, wie Sigi von ihm erwartet. Also spricht Hermann für ihn: „Mein Sohn muß Geld hier machen. Viel Geld. Und dazu ist es besser, er fülilt sich hier fremd. Fremden nimmt man das Geld mit leichterem Herzen ab, als guten Bekannten oder Verwandten. Darum gibt es einen Rothschild in Wien und dort ist er der gute Österreicher, — einen in Paris, und dort ist er der beste Franzose, und einen in London, wo er der allerbeste Engländer ist. Mit einem Wort: Wenn mein Sohn viel-viel Geld haben wird in Ungarn, so wird er der aller-allerbeste Ungar in Ungarn sein!" Vor der Wirkung dieser Rede weicht Herr Szalkay einen Schritt zurück und preßt den kleinen Sigi, der sich an ihn schmiegt, mit schützender Hand an sich. Aus Hermann aber sprudelt das Wort hervor, so daß sein stürmischer Atem den sonst starren Bart erflattern läßt. „Glauben Sie, ich kann keine Poesie auswendig ? 126 \iii-h ich kann meinen Schiller: Sire, geben Sie i iiilaiikenfreiheit! Daß ich nicht lach'! Ich deklamier' umsonst! Er gibt mir keine. Wenn er mir also sowieso keine gibt, so tu' ich ihn auch dicht bitten... Ich verlang' von keinem Sire nun... Was ich brauch', verdiene ich mir... Wissen Sie, was das heißt?! Ver-die-nen! Ver-die nen! Wie ich's eben kann! Wie es grad j-clil !... Leicht ist das nicht! sag' ich Ihnen... Im Gegenteil. Sehr schwer. Auch mein Sohn wird's nicht leicht haben auf dieser Welt. Sire!" schlug der schöne Hermann wiederum eine wilde Lache an — „geben Sie mir so viel zu verdienen, daß ich mir meine Freiheit kaufen kann!" In S/.alkays schlichter Seele rühren die Aufwallungen des Herrn Hermann Unmut, aber auch Mitleid zugleich. Er spricht davon, wie sehr er Sigi liebe und ihm nicht um die Welt das Leben er schweren, im Gegenteil, es dem lieben Kinde DOOh viel leichter machen möchte. „Der Bursch wird ja hier leben. Er wird ein Ibigur! Er muß sein Ungartum lieben." „Ja. glauben Sie denn" — fragte Herr Hermann, nicht mehr zornig, schon gerührt und sehr I rnurig — „Sie, was glauben Sie denn ... daß ich blind bin, daß ich das da nicht sehe" — und Hermann weist mit erhobener Hand auf die Ketten-I irücke, die wie des toten Virtuosen erstarrter und M'liliinlcer Bogen auf stummer Geige sich über den silborbeschuppten Donaustrom spannt und weiler auf die gelbe, zierliche Festung, — dem in Menden Hügel, ein Kranz aus Teerosen ums llini|il gewunden — „meinen Sie, ich liebe das iIn nicht? Und daß ich nicht gerne sagen möchte: 127 09332338 das da ist mein Heim, meine Stadt, mein Land oder was ?... Wie Sie sagen: meine Heimat, mein Vaterland. Aber sehen Sie, wenn es nun einmal verboten ist, wenn es unmöglich ist, weil man mit nur hier umgeht, wie mit einem Hund und mir nicht erlaubt, daß ich liebe, was ich, sehen Sie," — hier wurde Herrn Hermanns Stimme vor Ergriffenheit ganz dünn — „so gerne lieben möchte..." Papa Hermann greift sich unter den Bart, an den Kehlkopf, als Avolle er dort die nachlassende Feder der Rede in Gang bringen. Er räuspert sich, indes über den groß-loderaden Augen sich die flatternden Lider schnell heben und senken. Bald sieht er seinen Sohn an, bald den Lehrer, schließlich sich wiederfindend, ergießt er voll bitterer Erregung die letzten Reste von Zorn und Schmerz: „Schauen Sie, wenn Sie meinen Sohn lehren: ehre und liebe Vater und Mutter, so ist das eine gute Lehre, denn ich liebe ihn wieder und erst seine Mutter, die betet ihn an. Das ist eine Lehre, die dem Jungen das Lehen leichter machen hilft. Wenn Sie ihn aber lehren, liebe und ehre den, der dich nicht ehrt noch liebt, das ist, ich muß es Ihnen schon sagen, eine schlechte Lehre, weil sie dem Sigi das Leben erschweren wird. Ich bitte Sie also, lassen Sic meinen Sohn mit den vielen Petöfis und Rakoczys in Ruh!" Am Fl iegenpapier des schmächtigen Philo-sophenhirnchens klebend, zappeln und surren die fertig aus Büchern bezogenen Lehren und Verse ohnmächtig umher. Vergebens sucht er auch nur eine von ihnen wieder flügge zu machen. Und obzwar vaterländischer Phrasenklang durch 128 Herrn Szalkays reine Seele als echtes Gefühl ohwingt, steht der gute Lehrer doch entwaffnet und entgeistert da, angesichts des eitrigen und blutigen Ausbruchs von Schmerz, Injurie und Demut igung aus der Seele dieses Juden, der vom Ghetto befreit, dennoch in keine Heimat aufgenommen wird. Herr von Szalkay weiß nicht ein noch aus, er wickelt das Ende seines dünnen Sclinurrbärtleins um den Zeigefinger, wickelt es wieder ab, bis er endlich, wie zum Abschied, einem Zögling ein beherzigenswertes, grünes Meines Heft übergibt, das den vielsagenden Titel führt: „Zum Gedenktag der Märzrevolu-linit. Rede geschrieben und gehalten von Dominik von Szalkay, stellvertretender z weiter Vorsitzender der Stammt isehgesellscha l'l ,Oale weißer Schwan', am 15. März 18(57." Dann zieht er noch ein Büchlein aus der Tasche, das, rot gebunden, in golde-ueii Leitern die Aufschrift (ragt: „Alexander IVlöfis vaterländische und freiheitliche Gedichte. Ausgewählt von Dominik von Szalkay. Verlegt bei Em. Diamant & Co., Pest-Ofen." (Em. Diamant & Co. honorierten die vaterländisches Keuer entfachende Arbeit Dominik von Szalkays mit fünfundzwanzig Kreuzer den Bogen.) I )er Herr Lehrer erbat sich nur noch Tinte und Feder, um in die Bücher eine Widmung setzen zu können. In den „15. März" schrieb er den Wahl-prinfi des Dichters und Türkensch l-ecks Nikolaus Zrinyi: „Hände weg vom Magyaren-I a Ii d! Der Verfasser." In den Petöfi aber, /weifellos, um das Rebellische der ersten Widmung zu mildern und auch, um Vater und Sohn 11 versöhnen, Hermanns 129 Bibelzitat: „Ehre o os > E-1 < a