13 Literatur zwischen 1968 und 1990 13.1 1968: Das Ende der Nachkriegszeit in Deutschland Im Jahr 1968 war die unmittelbare Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland zu Ende. Die Kriegswirren waren vorbei, die Menschen hatten sich in ihrem Staat wieder eingerichtet, manche hatten Karriere gemacht, viele lebten in Wohlstand, die Wirtschaft florierte - und dass sich das alles jemals wieder ändern könnte, daran dachte damals niemand. Für die Jungen war dies alles eine Selbstverständlichkeit, auf die sie nicht stolz waren; ganz im Gegenteil: Sie lehnten den äußerlichen Luxus ab, kritisierten das Karrierestreben der Elterngeneration und fragten nach den „dunklen Seiten", den unbewältigten Problemen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Diese Anhänger der sog. 68er-Bewegung, meist linksgerichtete Studenten, Professoren und Künstler, äußerten sich in Abgrenzung zur Elterngeneration politisch und schufen politisch-engagierte Werke. Ausgehend von den USA, wo es 1968 politische Umbrüche (Anti-Kriegs-Demonstrationen, Ermordung Martin iuther Kings) gab, war die jugendliche Protestbewegung nach Frankreich und Deutschland gekommen. In Deutschland kritisierten die 68er die Bindung Westdeutschlands an die USA, die in Vietnam Krieg führten, die Verdrängung der deutschen Schuld der Nazi-Zeit sowie die politische und gesellschaftliche Restauration der Adenauer-Zeit; sie sagten alten Autoritäten in Staat, Kirche und Gesellschaft den Kampf an und traten für demokratische Prozesse im Bereich der Bildung (Schule, Universität), Gleichstellung von Minderheiten und sexuelle Freiheiten (Frauenbewegung, sexuelle Revolution) ein. Das Jahr 1968 bedeutet einen Einschnitt in. der Geschichte und der Literatur der Bundesrepublik: Neue Themen wurden diskutiert, neue gesellschaftliche Kräfte gewannen Bedeutung - dies wirkte sich auf alle Lebensbereiche aus, auf die Politik, die Künste, die Literatur, aber auch auf den täglichen Umgang miteinander. In Österreich und der Schweiz verlief diese Entwicklung weniger radikal, fand nur selten ihren Niederschlag in öffentlichen Ereignissen, beeinflusste aber dennoch die Literatur. Anders verhielt es sich in der DDR: Im sozialistischen Machtbereich spielten die Themen der 68er keine Rolle, da man sich - so die offizielle Politik - frühzeitig von der kapitalistischen Gesellschaft und ihren Problemen abgekoppelt hatte. 212 / Literatur zwischen 1968 und 1990 Literatur zwischen 1968 und 13,1.1 Die politische Situation nach 1968 Die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD untei Bundeskanzler Kiesinger und das Fehlen einer wirksamen Opposition im Parlament trieb viele politisch Interessierte auf die Straße; eine außerparlamentarische Opposition, kurz APO genannt, entstand. .Studentenunruhen und Straßenschlachten, Proteste gegen den Schah-Besuch in Deutschland und den Krieg in Vietnam prägten das Bild der 68er-Zeit. Die neue sozialliberale Koalition unter Willy Brandt gab ab 1969 der Bevölkerung wieder das Gefühl, doch politische Veränderungen herbeiführen zu können. Und wirklich war der Stillstand überwunden, die Politik von SPD und FDP, die Brandt unter dem Slogan „Mehr Demokratie wagen" zusammenfasste, brachte nicht nur Bewegung in die deutsche Innenpolitik (Senkung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre, neues Scheidungsrecht), sondern auch in die deutsch-deutschen Beziehungen. Mit dem „Grundlagenvertrag" von 1972 begann eine neue Ära im deutschen Ost-West-Verhältnis, die bis zur Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989 andauerte. flHHHHBilHHIll Demonstranten in Berlin (1968) In den 70er- und 80er-Jahren gab es eine Reihe von Krisen, die aber die Bundesrepublik nicht emsthaft erschütterten. Zwar zwangen die Ölkrisen zum Umdenken im Bereich der Nutzung von Energien, auch hatten die Menschen unter den unkalkulierbaren Anschlägen der RAF-Terroristen zu leiden - insgesamt blieb aber die wirtschaftliche und politische Lage in der Bundesrepublik stabil. Auch der Machtwechsel von der SPD/FDP-Regierung unter Helmut Schmidt zur Koalition aus CDU/CSU/FDP unter Helmut Kohl 1982 stand lediglich unter dem zum Schlagwort gewordenen Zeichen einer „geistig-moralischen Wende". Weit reichenden Veränderungen konnte diese „bürgerliche Koalitionsregierung" letztlich nicht initiieren. 13.1.2 Kulturelle und gesellschaftliche Voraussetzungen Nach 1968 bekamen zahlreiche neue Themen gesellschaftspolitische Bedeutung und beeinflussten die literarische Entwicklung. Hier seien nur Stichworte genannt: Generationenkonflikt, Autoritätenkonflikt, Emanzipation der Frau, Ölkrise, Umweltschutz, „Die Grünen", Nachrüstungsdebatte, Tschernobyl-Katastrophe, Anti-Atomkraft-Bewegung, Rationalisierung, Computerisierung, Abbau von Arbeitsplätzen, Dritte Welt, Nord-Süd-Konflikt. 13.2 Die Literatur der BRD nach 1968 13.2.1 Sozialkritische Literatur Die Stimmungslage von 1968 führte zu einer Blüte der gesellschaftskriüschen Literatur. Vor allem in der Prosa stößt man auf Autoren, die schon in der Nachkriegszeit populär geworden sind: Günter Grass (Örtlich betäubt, 1969), Max von der Grün (Stellenweise Glatteis, 1973), Martin Walser (Seelenarbeit, 1979) und vor allem Heinrich Boll, der im Roman Gruppenbild mit Dame (1971) und in der Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1974) den sittlich-moralischen Zustand der Republik kritisch darstellt. Auch auf dem Theater musste sich der Bildungsbürger den sozialkritischen Spiegel vorhalten lassen. Schon die Dokumentarstücke der 60er-Jahre mit Rolf Hochhuths (geb. 1931) Stellvertreter (1963), Heinar Kipphardts (1922-1982) In der Sache Oppenheimer (1964) und Peter Weiss' (1916-1982) Marat/Sade-Stück (1964/65) und Die Ermittlung (1965) hatten die Zielrichtung vorgegeben. Davon profitierten die jungen Autoren der 70er-Jahre: Sie schufen das sozialkritisch ausgerichtete „neue Volksstück". Ein Beispiel ist Rainer Werner Faßbinders (1946-1982) Katzeimacher (1969). Martin Sperrs (1944-2002) Bayerische Trilogie mit den Stücken Jagdszenen aus Niederbayern (1966), Landshater Erzählungen (1967) und Münchner Freiheit (1971) richtet den Blick auf die Andersartigkeit Einzelner, die in einer dörflichen Gesellschaft zum Spießrutenlauf führen kann. Franz Xaver Kroetz (geb. 1946) zeigt die Menschen in ihrer Entfremdung, die sich am deutlichsten in ihrer Sprachlosigkeit äußert. Stücke wie Stallerhof (1972), Oberösterreich (1972) und Mensch Meier (1978) sind dafür beispielhaft. Dominierten in den 6Oer-Jahren die Sprachspiele der „konkreten Poesie" (Eugen Gomringer, geb. 1925, und Ernst Jandl, 1925-2000), so setzte mit den Bemühungen Hans Magnus Enzensbergers um eine neue Lyrik eine Phase der ideologiekritischen Lyrik ein: Franz Josef Degenhardt (1931-2011), Rolf Dieter Brinkmann (1940-1975) und Erich Fried (1921-1988) sind hier zu nennen. ,f~ < * *? ^ vt ' ■ 214 / Literatur zwischen 1968 und 1990 13.2.2 „Neue Subjektivität" Seit Mitte der 70er-Jahre ist ein verstärkter Trend zu einer Entpalitisierang der Literatur zu bemerken. Die in der APO Aktiven und ihre Sympathisanten hatten die Lust am Protest bald verloren, hatten sie doch feststellen müssen, dass die Demonstrationen und Hausbesetzungen das tägliche Leben nur wenig und die politische Praxis noch weniger verändern konnten. Ernüchterung, ja Resignation machte sich auch angesichts des Radikalenerlasses der Regierung Brandt/Scheel breit, demzufolge jeder Anwärter für den öffentlichen Dienst (Lehrer, Richter, Staatsanwälte) auf seine Verfassungstreue überprüft wurde. Die Autoren gaben sich auch nicht mehr mit Stoffen zufrieden, die die Befindlichkeiten des Individuums vernachlässigten. So stellten sie nun wieder verstärkt subjektive Erfahrungen und persönliche Probleme in den Mittelpunkt ihrer Texte. Nur vereinzelt führte dies zu einer „neuen Innerlichkeit", also zu einer Nabelschau, die die gesellschaftliche Dimension der eigenen Befindlichkeit ausblendete. Meist ging es in den Werken der „neuen Subjektivität" um Probleme der Gesellschaft - dargestellt jedoch am konkreten Beispiel einer Figur, häufig in biografischer Form oder im Zusammenhang mit der jetzt einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werdenden „Frauenliteratur". Autoren dieser Stilrichtung sind: Peter Schneider (Lenz, 1973), Karin Struck (Klassenliebe, 1973), Nicolas Born (Die erdabgewandte Seite der Geschichte, 1976), Bernward Vesper (DieReise, 1977), Botho Strauß (Die Widmung. 1978), Max Frisch (Der Mensch erscheint im Holozän, 1979) sowie die Lyriker Wolf Wondratschek, Rolf Dieter Brinkmann, Ursula Krechel und Karin Kiwus. Volker Schlöndorff, Günter Grass und Alfred Mechtersheimer bei einer Friedenskette Literatur zwischen 1968 und 1990 / 215 13.2.3 Autobiografisches Schreiben Im Zusammenhang mit der „Neuen Subjektivität" kam es zu einer Renaissance des autobiografischen Schreibens. Viele Autoren wollten sich (und den Lesern) Klarheit über die eigene Situation verschaffen, ihren Standort bestimmen und das Verhältnis zu den Eltern, meist dem Vater, das nach Kriegsende oft problematisch war, neu ausloten. Beispielhaft sind: Max Frisch (Tagebuch 1966-71, 1972; Montauk, 1975), Günter Grass (Aus dem Tagebuch einer Schnecke, 1972), WolfgangKoeppen (Jugend, 1976), Peter Härtimg (NachgetrageneLiebe, 1986). 13.2.4 Frauenliteratur Im Zuge der Studentenbewegung Ende der 60er-Jahre und ihrer Kritik an erstarrten gesellschaftlichen und politischen Strukturen und Institutionen sowie im Zusammenhang mit der darauf folgenden subjektiven Weltsicht entstand ein gewissermaßen neues Genre: die feministische Literatur. Zwei Hauptströmungen lassen sich in der überwiegend erzählenden Literatur von Frauen in den 70er-und 80er-Jahren ausmachen: zum einen die Suche nach der eigenen Identität und Selbstverwirklichung und zum anderen die Kritik an den bestehenden autoritären und patriarchalischen Verhältnissen. Auf der Suche nach dem eigenen Ich gehen die Schriftstellerinnen in ihren vielfach autobiografischen Texten in die eigene Kindheit zurück, wie Helga Novak in ihrem 1979 erschienenen Roman Die Eisheiligen, Luise Rinser in Den Wolf umarmen (1981) oder Katja Behrens, die in ihrem Roman Die dreizehnte Fee (1983) die Geschichte eines Mädchens erzählt, das im Zweiten Weltkrieg geboren wurde. Die Auseinandersetzung mit der Elterngeneration, insbesondere mit den Vätern, ist auch Thema vieler Erzählungen und Berichte von Frauen (Brigitte Schwaiger: Lange Abwesenheit, 1980; Ruth Rehmann: Der Mann auf der Kanzel, 1979), Das Verhältnis der Geschlechter zueinander beschreiben u. a. Brigitte Schwaiger (Wie kommt das Satz ins Meer, 1977), Christa Reinig (Entmannung, 1976) und Ulla Hahn (Ein Mann im Haus, 1991). Bedeutende Autorinnen sind auch Gabriele Wohmann und die Österreicherin Elfriede Jelinek. Gabriele Wohmann (geb. 1932 in Darmstadt) ist in einer protestantischen Pfarrersfamilie aufgewachsen. Nach dem Studium der Germanistik, Romanistik, Musikwissenschaft und Philosophie in Frankfurt war sie für kurze Zeit Lehrerin in Langeoog und Darmstadt. Seit 1956 ist sie freie Schriftstellerin und hat zahlreiche Preise und Ehrungen erhalten, z.B. das Villa Massimo-Stipendium 1967/68, den Bremer Literaturpreis 1971, das Bundesverdienst- i 216 é Literatur zwischen 1968 und 1990 Literatur zwischen 1968 und ■.rruLttiiiD masa jihij í ^. Huppi-n b_b1l fäirünlul ivlitjsnsel u.t Klavierspielerin kreuz 1980 und den Hessischen Kulturpreis 1988. Ihr Werk, bestehend aus Erzählungen, Romanen (Frühherbst in Badenweiler, 1978) und Gedichten, thematisiert Lebens- und Beziehungskrisen, wobei die Beschreibung der persönlichen Sphäre gesellschaftliche Mechanismen und Repressionen aufdeckt, die für die individuellen Probleme verantwortlich sind. Die österreichische Autorin Elfriede Jelimek (geb. 1946 in Mürzzuschlag/Steiermark) erhielt 2004 den Nobelpreis für Literatur. In ihren Werken beschäftigt sich Jelinek kritisch mit der kapitalistischen Lebensform und zeigt auf, wie diese das Verhalten der Menschen prägt. Sie setzt sich für .... ,_; _ die unterprivilegierten Schichten ein und ver- _ t — sucht, deren Bewusstsein für die Manipulation, der sie ausgesetzt sind, zu schärfen. Ein Schwerpunkt ihres literarischen Werks liegt auf der Darstellung der Unterdrückung der Frau. In ihrem Roman Die Klavierspielerin (1983) versucht die Protagonistin Erika Kohout, die unter ständiger Beobachtung ihrer Mutter lebt, durch masochistische Sexualpraktiken zu ihrem eigenen Ich zu finden. Die Kritik Jelineks an den gesellschaftlichen Verhältnissen wurde besonders in Österreich oft als Provokation verstanden und trug ihr zeitweilig ein Aufführungsverbot für ihre Stücke ein. 13,2.5 Lyrik nach 1968 In der Lyrik werden in den 1970er- und 1980er-Jahren vielfältige Themenbereiche aufgegriffen: - Liebeslyrik: Auffallend ist das gebrochene Verhältnis bzw. die kritische Sicht auf die Liebe, die mit der neuen Subjektivität einhergeht. Oft in gewollt einfacher Sprache, aber mit den Mitteln der modernen Lyrik (Reim-losigkeit, kein festes Metrum, starke Rhythmik, symmetrischer Aufbau, sinntragende Verben oder Nomen) beschreibt Ulla Hahn die Geschlechter-problematik, z.B. im Gedichtband Herz über Kopf (1981). Auch Karin Kiwus bediente in den Jahren nach 1968 dieses Genre. - In ihren polirischen Gedichten setzten sich Hilde Domin und Rose Ausländer mit den Folgen des Nazi-Regimes auseinander. Beide Autorinnen nehmen in der Literatur des 20. Jahrhunderts eine Sonderstellung ein. Die aus Czernowitz (im rumänisch-ukrainischen Grenzgebiet) stammende Rose Ausländer (1901-1988) siedelte in jungen Jahren in die USA über und wurde amerikanische Staatsbürgerin. Nach der Trennung von ihrem Ehepartner und um ihre kranke Mutter zu pflegen, kehrte sie 1931 in ihre Geburtsstadt zurück. Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernahmen, und vor allem 1941, als deutsche Truppen Czernowitz besetzten, befand sie sich als Jüdin in akuter Lebensgefahr. Sie wurde ins Getto deportiert und überlebte. Nach 1945 lebte Rose Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland. In ihren Gedichten (z.B. Mutterland, 1977, Daheim, 1980 und Heimatlos, 1985) thematisierte sie häufig ihre Heimatlosigkeit. Hilde Domin (1909-2006), die als Jüdin ebenfalls um ihr Leben furchten musste, emigrierte kurz vor der „Machtergreifung" nach Italien. Über England flüchtete sie dann in die Dominikanische Republik, wo sie bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1954 lebte. Auch sie verstand ihr Schreiben stets als Flucht vor den Schrecknissen des Zeitgeschehens, obwohl sie gerade diese immer wieder aufgriff. Zur Tagespolitik äußerte sich Alfred Andersen (1914-1980) in seinem Gedicht Artikel 3 (3) (1976), in dem er die Berufsverbote, die aufgrund der Studentenunruhen in Westdeutschland für Anhänger linker Gruppierungen verhängt wurden, mit den Repressionen des NS-Staates verglich. Die Umweltlyrik versuchte eine Synthese von Naturlyrik und gesellschaftspolitischem Engagement. Themen, die Autoren wie Christoph Meckel (geb. 1935) behandelten, waren: Zerstörung der Natur, Gegensatz von Natur und Technik, Weltuntergang. Poetologische Lyrik, also Gedichte, die das Dichten selbst zum Inhalt haben, wurden von Karl Krolow, Günter Kunert, Ingeborg Bachmann und Rose Ausländer geschaffen. 13.2.6 Postmoderne Schreibweisen Schon in den späten 60er-Jahren wurde in den USA die Theorie von der „Postmoderne" entwickelt; seit den 80er-Jahren findet man auch im deutschen Sprachraum mehr und mehr Prosawerke, die der postmodernen Schreibweise verpflichtet sind. Was versteht man unter „Postmoderne"? Gemeint ist im wörtlichen Sinn die Zeit nach der literarischen „Moderne", die man mit dem Expressionismus und der Weimarer Zeit gleichsetzt. Die Postmoderne hebt sich also explizit von der Moderne ab, sie will die Diskrepanz zwischen Unterhaltungsliteratur und „ernster", „hoher" Literatur überwinden und prinzipiell jede Leserschaft ansprechen. 218 / Literatur zwischen 1968 und 1990 Literatur zwischen 1968 und 1990 ./ 219 Häufige Kennzeichen sind: - Aufhebung von realen Zeitmustern und Ortsvorstellungen, dabei aber häufig Entrückung des Dargestellten an exotische Orte und in historische Ferne, - Darstellung der Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigern, - Spiel mit Anachronismen, - Intertextualität, also Spiel mit der literarischen Tradition {Figuren, Handlungsmuster, Orte usw.), - Ablehnung vordergründiger Rationalität, - „Dekonstruktion des Subjekts", d. h. Abkehr von einem klar charakterisierten Helden, Betonung der Wandelbarkeit des Menschen. Der Leser von Unterhaltsingsliteratur wird durch die spannende Handlungs-führung sowie die Verlagerung des Romangeschehens an ungewöhnliche Orte und in vergangene Zeiten bedient, der literarisch Interessierte soll aufgrund seiner Textkenntnis die Beziehung zu anderen literarischen Werken herstellen. Diese mehrfache Rezept ionsmöglichkeit trägt auch zur großen Verbreitung postmoderner Romane bei. Der erste Erfolg mit einem postmodernen Roman gelang im deutschsprachigen Raum dem Italiener Umberto Eco mit Der Name der Rose (1982), der als Klostergeschichte, als Kriminalroman oder als mittelalterliches Sittengemälde gelesen werden kann - je nach Leseerwartung. Folgende deutschsprachige Romane werden der Postmoderne zugerechnet: Patrick Süskind Das Parfüm (1985), Christoph Ransmayr Die letzte Welt (1988), Peter Handke Mein Jahr in derNiemandsbucht (1994), Michael Köhlmeier Telemach (1995). Auch Sten Nadolnys Die Entdeckung der Langsamkeit (1983) und Christa Wolfs Kassandra (1983) und Medea. Stimmen (1996) zeigen postmoderne Merkmale. Als Vorläufer gelten: Max Frisch Stiller (1954) und Mein Name sei Gantenbein (1964) sowie Wolfgang Hildesheimer Masante (1973). 13.2.7 Kinder-und Jugendliteratur Mit dem Neuansatz in der Beurteilung von Literatur 1968 beginnt auch eine neuartige Kinder- und Jugendliteratur zu entstehen. Kinder werden mit ihren Bedürfnissen ernst genommen, die für sie bestimmte Literatur wird nicht länger als inhaltliche Hinfuhrung zur Erwachsenenwelt verstanden. Die neue Kinder- und Jugendliteratur zeichnet sich dadurch aus, dass sie sprachlich anspruchsvoll ist und Themen und Probleme behandelt, die für die jungen Leserinnen und Leser authentisch sind. Bekannt Jugendbuchautoren (und ihre Werke) sind neben anderen Michael Ende (Momo; Die unendliche Geschichte), Orfried Preußler (Krabat), Gudrun Pausewang (Die Not der Familie Caldera; Die Wolke), Paul Maar (Lippeis Traum), Astrid Lindgren (Ronja Räubertochter), Hans Peter Richter (Damals war es Friedrich), Tilman Röhrig (Robin Hood. Solange es Unrecht gibt), Miriam Pressler (Bitterschokolade), Peter Härtling (Das war der Hirbel), Christine Nöstlinger (Maikäfer flieg*), Rudolf Herfurtner (Mensch Karnickel), Mats Wahl (Winterbucht) und Jostein Gaarder (Sophies Welt; Das Kartengeheimnis). 13.2.8 Literarisches Leben: Konzentration und Nischen In den 70er- und 80er-Jahren setzt sich eine Entwicklung fort, die das literarische Leben schon seit Kriegsende bestimmt: Das Buch ist eine Ware, der Buchmarkt eben auch nur ein „Markt", der florieren will und muss. Die Konsequenz daraus heißt Rationalisierung und Fusion: Immer mehr kleine und mittelständische Verlage werden von einigen wenigen international operierenden Verlagskonzernen übernommen; Manuskripte werden danach ausgewählt, wie effizient sie sich in möglichst kurzer Zeit vermarkten lassen -Nebenrechte aus Verfilmung, Videoproduktionen u. Ä. eingeschlossen. Die Autoren müssen sich den Gesetzen des Marktes unterwerfen, wenn sie ihre Existenz sichern wollen. Manche reagieren auf diese Zwänge aber auch mit Verweigerung und suchen Nischen, in denen sie ihre Unabhängigkeit bewahren können. In den Jahren 1998/99 schrieb der Münchner Rainald Goetz ein Online-Tagebuch mit dem Titel Abfall für Alle, das 1999 als Buch erschienen ist. Seit 2007 verfasst er ein Weblog mit dem Titel Klage auf den Internetseiten der Illustrierten „Vanity Fair". Helmut Seethaler schreibt seine Texte auf kleine Zettel, die er in Wien verteilt, auf Schaufenster und Straßenschilder klebt oder zu Girlanden gebunden an Bäumen anbringt. 13.3 Autoren und Werke 13.3.1 Die BRD in den 70er-Jahren: Strauß' „Groß und klein" Kurzbiografie: Botho Strauß 1944 geboren in Naumburg an der Saale Studium der Theatergeschichte und Soziologie in Köln und München 1967-1970 Redakteur der Zeitschrift Theater heute 1970-1975 Dramaturg an der Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer 1975 Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle (Schauspiel) 1976 Trilogie des Wiedersehens (Theaterstück) 220 / Literatur zwischen 1968 und 1990 1978 1980 1981 1981 1993 2006 Groß und klein (Szenen) Rumor (Roman) Paare, Passanten (Prosastück) Kaildewey Farce (Theaterstück) Anschwellender Bocksgesang (Essay) Mikado (Erzählungen) Botho Strauß lebt in Berlin Strauß ist einer der wichtigsten Theaterautoren der 70er-und 80er- Jahre. Sein Grundthema ist die Entfremdung. In seinen Szenen und Stücken beschreibt er die Alltagskultur und die psychische Lage der Bundesrepublik. Das Stationendrama Groß und Hein gibt einen Tag im Leben verschiedener Menschen wieder. Die Schlüsselfigur, die die Szenen verbindet, ist eine gewisse Lotte, eine Frau, von der man nichts weiter erfährt, als dass sie einsam ist, Kontakt zu den Mitmenschen wünscht, den sie aber nicht herzustellen in der Lage ist. In der Szene „Falsch verbunden" sagt sie: „Die Dinge, die zusammenpassen, haben sich satt und fliegen auseinander". Dies ist der Grundgedanke des Stücks, den auch die folgende Szene veranschaulicht: Auseinander - jedeT ist für sich isoliert, Einsamkeit ist die alles bestimmende Grundhaltung, die Individuen brauchen scheinbar den Kontakt zu ihrem Gegenüber nicht mehr, Kommunikation findet nicht statt. Das Zimmer. Leerer Raum. In der Ruckwand rechts eine Tür, links ein Fenster. Helles Licht. Fenster, Tür, die Raumproportion insgesamt so vergrößert, dass erwachsene Menschen darin überraschend klein erscheinen. In der Mitte des Zimmers liegt ein zusammengekrümmter, verschmutzter Gummimantel auf dem 5 Boden. Man hört Lotte durch ein Treppenhaus laufen, einen Flur entlang. Es klopft an der Tür. Lotte drückt die Klinke herunter. Ein großer, im Schloss lose hängender Schlüssel fällt ins Zimmer. Die Tür bleibt ungeöffnet. Lotte von draußen. He, Alter! Mach auf! io Sie hört. Ich bin's: Lotte... Sie klopft schwächer; leise. Liebling...? Das Licht nimmt ab. 15 Liebling? Langsam, dann schneller sich entfernende Schritte im Treppenhaus. Dunkel Aus.ß. Strauß, Groß und klein. Hanser. Wien /München 1978, 5.153 Literatur zwischen 1968 und 1990 / 221 13.3.2 Parodie des Bildungsromans: Süskinds „Das Parfu Kurzbiografie: Patrick Süskind m 1949 1968-1974 ab 1974 1984 1985 1987 1991 1995 2006 geboren in Ambach (am Starnberger See) als Sohn des Journalisten Wilhelm Emanuel Süskind Studium der Geschichte in München und Aix-en-Provence als Drehbuchautor tätig Der Kontrabaß (Theaterstück) Das Parfüm (Roman) Die Taube (Erzählung) Die Geschichte von Herrn Sommer (Erzählung) Drei Geschichten (Erzählungen) Über Liebe und Tod (Essay) Patrick Süskind lebt in München und Paris In seinem Roman Das Parfüm beschreibt Patrick Süskind die Lebensgeschichte Jean-Baptiste Grenouilles von der Geburt bis zum Tod. Allein schon dieser umfassende Entwurf verweist auf die Tradition des Bildungsromans, einer Gattung des 18. und 19. Jahrhunderts, die die Entwicklung eines jungen Menschen zu einem nützlichen Mitglied der Gesellschaft schildert, in der Hoffnung seiner Autoren, möglichst viele Nachahmer zu finden und so einen Beitrag zur allgemeinen Volkserziehung geleistet zu haben. Dies ist aber nicht die Intention Süskinds; im Gegenteil: Im Sinne postmoderner Theorie fuhrt er gerade diesen umfassenden Ansatz ad absurdum. Grenouille ist kein Mensch mit besten Anlagen (dies wäre eine aufklärerische Position des 18. Jahrhunderts), er wird vielmehr von Anfang an als ein Schmarotzer, ein „Zeck", als Mörder seiner Mutter vorgestellt. Er, der keinen Eigengeruch hat, kann lediglich gut riechen - diese Eigenschaft ist es, die er dann vervollkommnet, wobei er zum Massenmörder wird. Seine erworbenen Fähigkeiten stellt er nicht in den Dienst der Menschheit, sie sollen ihm nur dazu dienen, dass die Menschheit ihm zu Willen ist und ihn liebt. Der Textauszug beschreibt den Gang des Mörders Grenouille zur Hinrich-tungsstätte, der jedoch ganz anders endet, als der Leser erwartet. Grenouille hat sich nämlich mit dem Parfüm, das er als sein Lebenswerk ansieht, einen Duft gegeben, der ihn für jedermann anziehend werden lässt. So kommt es anstatt zur Hinrichtung zu einer Massenorgie, die Grenouille beobachtet: 222 / Literatur zwischen 1968 und 1990 Literatur zwischen 1968 un Grenouille stand und lächelte. Vielmehr erschien es den Menschen, die ihn sahen, als lächle er mit dem unschuldigsten, liebevollsten, bezauberndsten und zugleich verführerischsten Lächeln der Welt. Aber es war in Wirklichkeit kein Lächeln, sondern ein häßliches, zynisches Grinsen, das auf seinen Lippen kg 5 und das seinen ganzen Triumph und seine ganze Verachtung widerspiegelte. Er, Jean-Baptiste Grenouille, geboren ohne Geruch am stinkendsten Ort der Welt, stammend aus Abfall, Kot und Verwesung, aufgewachsen ohne Liebe, lebend ohne warme menschliche Seele, einzig aus Widerborstigkeit und der Kraft des Ekels, klein, gebuckelt, hinkend, häßlich, gemieden, ein Scheusal innen wie io außen - er hatte es erreicht, sich vor der Welt beliebt zu machen. Was heißt beliebt! Geliebt! Verehrt! Vergöttert! Er hatte die prometbeische Tat vollbracht. Den göttlichen Funken, den andre Menschen mir nichts, dir nichts in die Wiege gelegt bekommen und der ihm als einzigem vorenthalten worden war, hatte er sich durch unendliches Raffinement ertrotzt. Mehr noch! Er hatte ihn sich recht 15 eigentlich selbst in seinem Innern geschlagen. Er war noch größer als Prometheus. Er hatte sich eine Aura erschaffen, strahlender und wirkungsvoller, als sie je ein Mensch vor ihm besaß. Und er verdankte sie niemandem - keinem Vater, keiner Mutter und am allerwenigsten einem gnädigen Gott - als einzig sich selbst Er war in der Tat sein eigener Gott, und ein herrlicherer Gott als jener 20 weihrauchstinkende Gott, der in den Kirchen hauste. Vor ihm lag ein leibhaftiger Bischof auf den Knien und winselte vor Vergnügen. Die Reichen und Mächtigen, die stolzen Herren und Damen erstarben in Bewunderung, indes das Volk im weiten Rund, darunter Väter, Mütter, Brüder, Schwestern seiner Opfer, ihm zu Ehren und in seinem Namen Orgien feierten. Ein Wink von ihm, und 25 alle würden ihrem Gott abschwören und ihn, den Großen Grenouille anbeten. Ja, er war der Große Grenouille! Aus: P. Süstand, Das Parfüm. Die Geschichte eines Mörders. Diogenes: Zürich 1985, 5. 304 f. Ben Whishaw (r.) als Grenouille und Dustin Hoffman als sein Lehrmeister Baldini in Tom Tykwers 2006 entstandener Verfilmung von Das Parfüm 13.3.3 Ransmayrs „Letzte Welt" als postmoderner Rc Kurzbiografie: Christoph Ransmayr 1954 1972-1978 1978-1982 seit 1982 1982 1984 1988 1995 1997 2006 2010 geboren in Wels/Oberösterreich Studium der Philosophie und Ethnologie in Wien Kulturredakteur der Wiener Zeitschrift Extrablatt, freier Mitarbeiter verschiedener anderer Zeitschriften freier Schriftsteller Strahlender Untergang. Ein Entioässe-rungsprojekt oder die Entdeckung des Wesentlichen (rhythmische Prosa) Die Schrecken des Eises und der Finsternis (Roman) Die letzte Welt (Roman) Morbus Kitahara (Roman) Der Weg nach Swabaya (Prosa) Der fliegende Berg (Roman) Odysseus, Verbrecher. Schauspiel einer Heimkehr Christoph Ransmayr lebt in Irland. Einen postmodernen Roman ganz anderer Art als Süskind schuf Ransmayr mit Die letzte Welt. Zwar spielt auch dieser Roman in räumlicher und geschichtlicher Ferne, nämlich in Rom und Tomi/Trachila am Schwarzen Meer zur Zeit des Augustus; zwar gibt es auch hier eine Hauptfigur, nämlich den Römer Cotta, der sich auf die Suche nach dem verbannten Dichter Publius Ovidius Naso und seinem verschollen geglaubten Hauptwerk, den Metamorphosen, macht. Doch wenn der Leser Süskinds Parfüm (ebenso wie Ecos Der Name der Rose) als historischen Roman lesen könnte, ist ihm das bei Die letzte Welt nicht möglich: Zu deutlich sind die vom Autor verwendeten Anachronismen, die die Zeitlosigkeit und Allgemeingültigkeit des Textes betonen sollen. „Keinem bleibt seine Gestalt" - dieser Satz Ovids, zugleich eine der Kernaussagen von Ransmayrs Roman, umschreibt die Untergangsstimmung in der „letzten Welt", die der pessimistischen Weltsicht des Autors entspringt. Den Wahrheitsgehalt, der diesem Satz innewohnt, muss auch Cotta am Ende der Geschichte erkennen, als er die letzte Inschrift aus den Metamorphosen sucht: Die einzige Inschrift, die noch z.u entdecken blieb, lockte Cotta ins Gebirge: Er würde sie auf einem im Silberglanz Trachilas begrabenen Fähnchen finden oder im Schutt der Flanken des neuen Berges; gewiß aber würde es ein schmales 224 é Literatur zwischen 1968 und 1990 Fähnchen sein - hatte es doch nur zwei Silben zu tragen. Wenn er innehielt und 5 Atem schöpfte und dann winzig vor den Felsiiberhängen stand, schleuderte Cotta diese Silben manchmal gegen den Stein und antwortete hier1., wenn ihn der Widerhall des Schreies erreichte; denn was so gebrochen und so vertraut von den Wänden zurückschlug, war sein eigener Name. Aus: C. Ransrnayr, Die letzte Weit Greno: NörcfUngen 7988 f LITERATUR ZWISCHEN 1968 UND 1990 Generationenkonfäikt, Tschernobyl-Katastrophe. Ölkrise, Anti-Atomlfraftbewegung, Michail Gorbatschow, Rudi Dutschke, Helmut Kohl, DOR, Stasi, Richard von Weizsäcker, APO, Willy Brandt, Die Grünen, Nord-SCkJ-Konfitkt, Umweltschutz,Computerisierung, Emanzipation,... „Hohe Literatur" Friedrich Dürrenrnatt Max Frisch Günter Grass Erich Hackl Peter Handke Elfriede Jelinek Franz Xaver Kroetz Sten Nadolny Christoph Ransmayr Bernhard Schlink Robert Schneider Arnold Stadler Botho Strauß Patrick Süskind Martin Walser Christa Wolf Jugendliteratur Kirsten Boie Dagmar Chidolue Michael Ende Max von der Grün Peter Härtling Wolfgang Hohlbein Paul Maar Christine Nöstllnger Gudrun Pausewang Jo Pesturn Otfrled PreulSler Unterhaltungsliteratur Amelie Fried Gaby Hauptmann Elke Heidenreich Willi Heinrich Walter Kempowski Donna Leon Hera Lind Johannes M.Simmel Literatur des Auslands (Ubersetzt) Paul Auster Astrid Lindgren Antonio L. Antunes Mario Vargas Uosa Umberto Eco Javier Marias jostein Gaarder Gabriel G. Marquez Peter H0eg Agota Kristof Harry Mulisch Mats Wahl 14 Literatur nach der Wiedervereinigung 14.1 Das Jahr 1990 als epochaler Einschnitt in der deutschen Geschichte Im Jahr 1990 traten nach der Auflösung der DDR die neuen Bundesländer der alten Bundesrepublik Deutschland bei. Dieser politische Einschnitt veränderte auch die Rahmenbedingungen und Themen der Literatur. Hinzu kommt, dass das wiedervereinigte Deutschland ein enormes wirtschaftliches und politisches Gewicht hatte, was von manchen europäischen Nachbarn nicht ohne Sorge gesehen wurde und dazu fährte, dass die Politik den Standort der Bundesrepublik neu bestimmen musste; dies wurde von der Literatur kritisch begleitet. Die Teilung der deutschsprachigen Literatur in die der Bundesrepublik Deutschland und die der DDR ist mit dem Fall der Mauer und mit der Herstellung der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 zu Ende gegangen. Dies ist eine Folge der politischen Veränderungen: Der Ost-West-Gegensatz besteht nicht mehr, der Kalte Krieg ist zu Ende. Es gibt jedoch neue Bedrohungen für Europa (z.B. Rechtsextremismus, Balkankonflikt) und die Welt (z.B. Nord-Süd-Konflikt, ökologische Frage, Globalisierung, islamistischer Terrorismus). Alle diese Themen finden Eingang in die Literatur. Zugleich rückt auch das Individuum mit seinen Sorgen, Nöten und Schwächen (z. B. Hedonismus, politisches Desinteresse bzw. politische Radikalisierung, Angst vor Statusverlust, Hinwendung zur Sexualität als Kompensation für verlorene Identität, Suche nach Identifikationsmustern) in den Mittelpunkt der Literatur. 14.1.1 Die politische Situation nach 1990 Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow hatte mit Glas-nost (Politik der Offenheit) und Perestroika (wirtschaftliche Umgestaltung) neue Prinzipien in seinem Land eingeführt, die mittelbar zum Ende der SED-Herrschaft in der DDR führten.