Das Donauweibchen Das Elefantenliaus Die beiden meinten geträumt zu haben. Dennoch verständigten sie alle Nachbarn und berichteten von dieser Erscheinung. Alle beschlossen, ihre Hütten binnen kurzer Frist zu räumen. Schon am Morgen des nächsten Tages gab es heftigen Südwind. Die Flussufer waren binnen kurzer Zeit überschwemmt, nur die Rauchfänge der ärmlichen Hütten ragten noch aus dem Wasser. Endlich zog der Frühling ins Land. Frühlingsblumen verzauberten die Uferwiesen. Die Sonne trocknete die feuchten Hütten aus und die Fischcrleute besiedelten wieder mit Freude ihr Heim. Alle waren glücklich, einzig der junge Fischersohn war nicht mehr der Gleiche. Er wurde immer stiller, seine Blicke schweiften immer wieder in die Ferne und er lauschte stundenlang dem Plätschern des Stromes. In den Nächten konnte er nicht schlafen und wurde immer unruhiger. Dem Vater wurde ganz weh ums Herz, er ahnte die Sehnsucht seines Sohnes nach dem wunderschönen Donauweibchen. Eines schönen Frühlingsabends fuhr der junge Fischer mit seinen Netzen hinaus auf den Strom und kehrte nicht mehr zurück. Am nächsten Morgen fanden die Nachbarsleute sein leeres Boot. Im Netz, welches im Boot lag, fand man ein Kränzlein mit Wasserrosen. Es war sein letzter Gruß. Seit diesem Tage sah man in Wien kein Donauweibchen mehr. Aber im Stadtpark, beim Kinderspielplatz, sieht man eine Wassernixe aus Stein, in deren Kleiderfalten einige Fischlein hängen. Das Elefantenhaus Das Elefantenhaus befand sich am dem Stephansdom zugewandten Ende des Grabens. Man musste damals an diesem Haus vorbeigehen, um zum Stock-im-Eisen-Platz zu gelangen. Das Haus erhielt seinen Namen von einem Steinrelief, welches im ersten Stock des Gebäudes angebracht war. Es zeigte einen mächtigen Elefanten, auf dem ein Mann ritt. Das Bildnis erinnerte an einen höchst bemerkenswerten Fall, der sich Mitte des 16. Jahrhunderts hier ereignete. Am 14. April 1552 kehrte Erzherzog Maximilian, der spätere Kaiser Maximilian IL, aus Spanien nach Wien zurück. Die Stadt war in höchster Aufregung, da verlautet wurde, der Erzherzog werde mit seiner Gemahlin, der schönen Marie, Tochter seines Oheims Kaiser Karl V., einen feierlichen Einzug halten. Schon am frühen Morgen wurden alle Straßen mit Blüten, grünen Zweigen, flatternden Fahnen und Teppichen geschmückt. Um zwei Uhr war es dann so weit, der kaum 25-jährige Erzherzog erschien mit seiner blühend schönen Gemahlin. Er brachte von seiner Reise aus Spanien seinen glänzenden Hofstaat mit und eine Fülle von Geschenken. Die 20 Wantenhaus befand sich nahe dem Stock-im-Eisen-Platz und wurde im Jahre 1866 abgetragen. 2] Das Elefantenhaus Pracht des Zuges mit den goldenen Kutschen, die geschmückten Pferde, die goldbestickten Gewänder der mitreisenden Adeligen waren überwältigend. Im prunkvollen Zug wurden auch viele exotische Tiere vorgeführt. Doch all dies wurde von einem den Wienern völlig unbekannten Wesen, einem überaus mächtigen Tier, welches im Tross initmarschierte, übertroffen. Es war ein schwarzes, kolossales Ungeheuer, das aussah, wie ein auf vier runzeligen Säulen langsam dahinwankender Berg mit großen Ohren, einer langen Nase und zwei furchteinflößenden weißen Zähnen! Erst als das Tier näher kam und man es vorsichtig betasten konnte, begann die Furcht allmählich zu schwinden. Der galante Prinz ließ den Zug manchmal anhalten, um den Wienern die Gelegenheit zu geben, dieses Wundertier besser betrachten zu können. So verlief der Umzug, der beim Kärntnertor begann, zur Freude der Menschen problemlos, man ging Richtung Graben, damals hieß er noch Grünmarkt. Unter den Zuschauern, welche am Straßenrand standen, war auch Marie Gnieger, die Gemahlin des Hausbesitzers „Zur goldenen Krone". Sie hatte ihr fünfjähriges Töchterchen im Arm, als sie, just als der Elefant vorbeikam, einen Stoß erhielt, worauf ihr das Kind entglitt und vor dem Riesentier auf die Straße fiel. Ein hundertstimmiger Aufschrei ertönte und alle blickten entsetzt auf das Kind vor dem Elefanten! Doch dieser nahm mit seinem Rüssel das Mädchen behutsam auf und reichte es der vor Schreck erstarrten Mutter. Die Menge sah dies und brach in Freudengeschrei aus. Mit Jubelrufen begleitete man das Tier auf seinem weiteren Zug durch die Straßen. Der Vater des Mädchens, der I Iausbesilzer, ließ daraufhin zur Erinnerung an diese Begebenheit an der Seite der Grabengasse, durch die der Dickhäuter gekommen war, ein kolossales Abbild des Elefanten aus Sandstein anbringen. Darunter wurde der Vers geschrieben: Dies Tier heißt Elephant, Welches ist weil und breit bekannt, Seine ganze Groß, also Gestalt, Ist hier gar fleißig abgemalt; Wie der Kaiser seinen Sohn Maximilian Aus Hispanien hat bringen la'n Im Monat Aprilisfür wahr, Als man zählt 1552 Jahr. Der „brave" Elefant, sein spanischer Name war Beppo, wurde in den darauffolgenden Wochen zur Besichtigung in eine Scheune beim Wienfluss gebracht. Später, die Wiener gaben ihm inzwischen den Namen Peppi, in die Menagerie des kaiserlichen Lustschlosses Kaiser-Ebersdorf. Das Wiener Wetter vertrug Peppi aber offensichtlich nicht, er starb bereits nach einem Jahr! 22 Das Hasenhaus Es war die Zeitenwende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Es regierte Kaiser Maximilian I., der auch der letzte Ritter genannt wurde. Maximilian I. war ei ner der populärsten habsburgischen Kaiser. Er leitete den Aufstieg der Dynastie zur Weltmacht ein. Die geflügelten Worte aus dem späten 15. Jahrhundert „Bella gerant alii, tu felix Austria nube" („Andere mögen Kriege führen, du, glückliches Österreich, heirate") erfüllte Maximilian hinsichtlich seiner zahlreichen Kriege zwar nicht, sehr wohl aber hinsichtlich seiner Heiratspolitik. Er betrieb eine ungemein erfolgreiche Heirats- und Erbvertragspolitik. Als Ehestifter seiner zahlreichen Nachkommen sicherte er dem Hause Habsburg Spanien mitsamt den südamerikanischen Kolonien sowie die Länder Ungarn und Böhmen. Die Niederlande waren ihm bereits durch die Heirat mit Maria von Burgund in den Schoß gefallen. Mit berechtigtem Stolz durfte sein Enkel Karl V., der Maximilian 1520 als Kaiser nachfolgte, behaupten, in seinem Reich gehe die Sonne niemals unter. Im Jahre 1502 wurde Hanns Waldner, Kanzler von Kaiser Maximilian L, des Hochverrats bezichtigt und beging, um der Bestrafung zu entgehen, Selbstmord. Sein Haus auf der Kärntnerstraße wurde eingezogen und im Jahre 1509 bestimmte Kaiser Maximilian I. Friedrich Jäger zum landesfürstlichen Hasenbannmeister, dem Haspel-Meister, und übergab ihm dieses Stadthaus als Amtssitz. Dem Amt oblagen alle Belange der Niederjagd auf Hasen in den Feldern um Wien wie Netze, Windhunde, Beizvögel etc. Zugleich mit dem Bestellungsdekret als Jäger erhielt er den kaiserlichen Auftrag, „... er solle auch in dasselb haus artig malen lassen, nemblich Jäger, pawrn, hasen, hunt und ander tier, so Fridrich Jäger obgemelt zu verwaren hat, auch ein panker von hasen und hunden die miteinander tanzen, singen und ander spill treiben, und daz sie die fuchs und luchs todten, zerschratten, praten und in ander weg kochen und verpanketieren, und ein pheifer dabei der inen zu tanz spiell, damit des Waldners namen durch solh seltzman gemäll vergessen und furan daz Hasplhaus genannt werde." Der Kaiser war wohl durch die Taten seines ehemaligen Kanzlers in Wien so sehr erzürnt, dass er noch nach sieben Jahren, trotz seiner wichtigen Staatsgeschäfte - er regierte meist von Amsterdam aus und war höchst selten in Wien - diese detaillierte Anordnung traf! So entstand, von einem unbekannt gebliebenen Künstler gemalt, ein höchst eigenartiges Kunstwerk, der Triumph der Hasen über ihre Todfeinde. In 32 Bildern wurde gemäß kaiserlichem Auftrag der Krieg der Hasen gegen die Jäger, die Hunde und die Raubvögel in sarkastisch-satirischen Szenen dargestellt: 23 Das Hasenliaus Das Hasenhaus Ein Hase als König mit Krone und Zepter erteilt einen schriftlichen Befehl. Hasen als Herolde, hegleitet von Trompetern, verkünden die Kriegserklärung. Der Hasenkönig, umgehen von Leihwächtern, führt sein Gefolge zum Kampf. Zwei Hasen nehmen einen Jäger gefangen, zwei andere führen gefangene Hunde als Beute. Auf einem Wagen sitzen gefangene Jäger, bewacht von Hasen, ein Jäger wird, mit seinen Füßen an den Wagen gehunden, auf der Erde hinterher geschleift. Vor dem Hasenkönig fallen die Jäger und Hunde auf die Knie und hitten vergebens um Gnade. Jäger und Hunde werden in das Gefängnis geführt, welches ein Hase als Gerichtsbüttel öffnet. In der Folterkammer wird ein Jäger mittels eines Rades in die Höhe gezogen. Ein Hase bringt als Ankläger die Beschwerde vor, daneben steht ein Hase als Scharfrichter mit einem Schwert. Dann eine Szene auf dem Richtplatz: Zwei Hasen als Mönche sprechen dem Angeklagten Trost zu, abgeschlagene Köpfe liegen am Boden, im Hintergrund der Stephansdom. Ein wehrloser Jäger wird mit einem großen Tuch, welches von sechs Hasen gespannt gehalten wird, in die Luft geschleudert. Mehrere Jäger und Hunde hängen an Bäumen und Galgen. Ein Büttel führt einen Jäger zur Gerichtsstätte. Ein Jäger wird mit dem Rade hingerichtet. Hasen zerstückeln einen Jäger, weiden ihn aus wie das Wildbret. Andere tragen Hl ■ I w K -; 'r—u, •-. Das Hasenhaus in der Kärntnerstraße im Jahr 1748 auf einem Kupferstich von Salomon Kleiner. Hundeteile in Körben weg. Szene in einer Küche: Zwei Hasen drehen Körperteile von Jägern und Hunden an Spießen. Aus der Speisekammer werden Gerichte in Begleitung von Hofbediensteten zur Tafel getragen. Hasen spielen mit Instrumenten Tafelmusik. Der König und seine Gemahlin sitzen unter einem Baldachin an der Tafel. Die Königin, eine weiße Häsin, ist mit einem spanischen Ilofkleid und goldenen Ketten geschmückt und unterhält sich mit dem Hofnarren, ebenfalls ein Hase. Im Nebenraum spielt ein Hase auf einer Orgel. Auf dem nächsten Bild bietet ein Hase der Königin einen Trinkbecher. Dann wieder sieht man auf einem Schlitten einen Jäger umgeben von Hasen, welche einem Raben (ebenfalls ein Feind der Hasen) die Flügelfedern ausrupfen. Hasen legen für Raubvögel Fallen aus. Ein Bär, welcher einen Hasen in seinen Fängen hält, wird von einem Hasen erstochen. Der Hasenkönig, zu Pferde sitzend, reitet einen Jäger nieder, ein zweiter Jäger wird gegen einen aufgespannten Zaun getrieben. Ein Hase zerstört Vogelnester auf einem Baum. Auf anderen Bäumen sind Schlingen für Raubvögel angebracht. Schließlich wird ein Fastnachtstest mit tanzenden Hasen dargestellt. Wahrlich, mit diesen Bildern gab es in Wien reichlich Gesprächsstoff, sodass die Erinnerung an den unehrenhaft verschiedenen Hanns Waldner gemäß des Kaisers Auftrag tatsächlich getilgt wurde. Das nur kurz in dieser Form existierende Haspel-Amt wurde im Hintertrakt (gegen die Seilergasse) eingerichtet, der Vordertrakt mit der bemalten Fassade auf der Kärntnerstraße 8 musste als kaiserliches Absteigequartier freigehalten werden. Das Haus wurde in der Folge über Jahrhunderte von den Wienern Hasenhaus genannt und im Jahre 1750 abgerissen, doch kurz vorher vom berühmten Salomon Kleiner in Form eines Kupferstichs verewigt. Die obige Beschreibung der schaurigen Szenen verfasste 1847 Karl Weiß in der „Wiener Zeitung". Das Lugeck D 24 b ie Sage vom Lugeck berichtet aus einer stürmischen, unruhigen Zeit. Albert, der Sohn eines armen Ehepaars musste auf Geheiß des Fürsten in den Krieg ziehen. Weit im Osten sollte der Feind gestellt werden. Der Abschied fiel den Eltern schwer, war doch Albert ihr einziges Kind. Jahrelang sahen die beiden abwechselnd in die vordere, dann wieder in die hintere Bäckerstraße, ob ihr Sohn nicht doch schon heimkomme. Alle seine Freunde, welche mit ihm aufgebrochen waren, waren schon heimgekehrt. Auch wurden Details von grausamen Schlachten in der Stadt bekannt. Auch von gefallenen Kämpfern wurde berichtet. Die beiden Eheleute, sie 25 Das Lugeck Das Lugeck - - / Die beiden Figuren am Erkergesimse des Regensburgerhofes am Lugeck. Der Mann blickt aus der Sonnenfelsgasse (früher Hintere Bäckerstraße), die Frau von der Bäckerstraße (früher Vordere) zum Lugeck. waren inzwischen alt geworden, gaben aber nicht auf, täglich nach ihrem Sohn Ausschau zu halten. Wie groß war endlich die Freude, als nach vielen bangen Jahren Albert durch die Bäckerstraße heranritt. Er war in der Fremde reich geworden und aus Dankbarkeit, dass er unversehrt zurückkommen konnte, baute er ein großes Haus und verewigte darin seine Eltern. Als Steinfigur lugte nun fortan sein Vater aus der hinteren, seine Mutter aus der vorderen Bäckerstraße ums Eck. Deshalb bürgerte sich der Name dieses Platzes ein: ums Eck schauen - ums Eck lugen - Lugeck! Das Lugeck ist ein uralter Platz im Herzen der Stadt. Zwei markante Gebäude, der Regensburgerhof mit den beiden steinernen ums Eck Schauenden gegen Osten zu und der Nachfolgcbau des Federlhofes gegen Süden zu, prägen den Platz. Eine stolze Tafel am Regensburgerhof, dem Hof der bayrischen Kaufleute, erzählt von einem denkwürdigen Ereignis: Im Jahr 1470 feierte der ungarische König Matthias Corvinus mit Kaiser Friedrich III. hier ein legendäres Fest. Der benachbarte Federlhof hatte einen hohen Turm, in dessen oberstem Stockwerk ein astronomisches Observatorium eingerichtet war. Ein interessanter Besucher war unter anderen im Jahr 1633 der Feldherr Wallenstein, dem der Astrologe Andreas Argol i dort ein Horoskop erstellte. 26 Eine alte Sage berichtet auch vom Aufenthalt des Doktor Faust im Federlhof. Ebenso wohnten hier der Arzt Theophrastus Paracelsus und später der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibnitz. Schon seit alters her war dieser Platz Treffpunkt vieler Händler aus aller Herren Länder und das war wohl auch schon 1548 so, was der berühmte Schottenprediger und Chronist Wolfgang Schmeltzl, auch der Wiener Hans Sachs genannt, in seiner Stadtbeschreibung so formulierte: An das Lugeck kam ich ongefer, Da trauen Kaufleut hin und her, Al Nation in ir daidung. Da wirt gehört manch sprach und zung, Ich dacht ich wer gen Babl khurnen, Wo alle sprach ein anfang gnomen, Und hört ein seltzams drasch unggschrey, Von schönen sprachen mancherlay. Hebreisch, Griechisch und Lateinisch, Teutsch, Französisch, Türkisch, Spanisch, Behaimisch, Windisch, Italianisch, Hungarisch, guet Niderlendisch, Natürlich Syrisch, Crabatisch, Rätzisch, Polnisch und Chaldeisch. Wer heute diesen Platz aufsucht, wird die Beobachtung des Wolfgang Schmeltzl wohJ ganz und gar bestätigen können! Der alte Federlhof am Lugeck. 27 Das rote Mandl auf der Freyung Der Käme Freyung stammt daher, dass der Herzog Heinrich Jasomirgott dem Schottenkloster das Asylrecht gab, das bis zu Kaiser Karl VI., dem Vater Maria Theresias, aufrecht blieb. Am Platzende der Freyung, zum Tiefen Graben hin, stand ein kleines Häuschen, in dem sich eine Kellerschenke befand. Hier versammelten sich hauptsächlich fahrende Schüler und Künstler, um sich bei einem Glas Wein zu unterhalten. Es saßen Studenten neben lustigen Komödianten, neben diesen wieder Maler, Kupferstecher, Architekten und der Kartograf Augustin Hirschvogel. Sie zechten meist bis tief in die Nacht hinein. Wieder einmal war die Stube voll mil lustig zusammengewürfelten Gästen aus den verschiedensten Gegenden. Da gesellte sich zu später Stunde ein sonderbar aussehender Mann dazu. Es war niemand anderer als der damals berühmte Doklor Faust, er selbst nannte sich Doklor der Magie. Er war bekannt ob seiner tollen Streiche und Kunststücke Nachdem die Zecher den neuen Gast erkannt hatten, bestürmten sie ihn, er möge doch eines seiner Kunststücke vorführen. Sämtliche Anwesenden waren sich sicher, dass es bei ihm nicht mit rechten Dingen zuging, so unerklärbar und verwirrend waren seine Zauberstücke. Doch gerade dies gefiel und reizte die leichtsinnigen Zechgenossen. Sie baten ihn, er möge doch etwas vorzaubern. Faust setzte sich, dankte für die Zurufe und bestellte Wein. Der Schankbursche schenkte den Becher randvoll ein, doch verschüttete er etwas von dem kostbaren Wein. Faust erzürnte so sehr, dass seine Adern an der Stirn anschwollen, er wurde feuerrot und schrie: „Wenn du noch einmal von diesem köstlichen Wein mir etwas verschüttest, fress' ich dich mit Haut und Haar!" Diese Ausdrucks weise ärgerte aber den Schankburschen so sehr, dass er abermals dem Doktor Faust das Glas überfüllte und der Wein wieder über den Tisch rann. Da riss Faust seinen Mund weit auf und verschwunden war der Bursche. Faust nahm einen Eimer voll Wasser, der in der Gaststube stand und trank ihn in einem Zug aus. Er sagte, auf so einen starken Bissen gehöre ein starker Trunk! Entsetzen ergriff die Zuschauer und der Wirt rang verzweifelt die Hände. Er flehte und bat um das Leben seines Helfers. Faust lachte und sagte: „Schau nach draußen, er sitzt schon auf der Stiege!" Da saß tatsächlich der arme Bursche, ganz verwirrt, tropfnass und zitternd vor Kälte. Das rote Mandl auf der Freyung Als der Bursche wieder in die Stube trat, sagte er im Zorn zum Doktor Faust: „Ich will mit Euch nichts mehr zu tun haben, Ihr seid mit dem Teufel im Bunde, sonst könntet Ihr keine solchen Kunststücke machen!" „Teufel hin, Teufel her", sagte einer der Gäste, „ich möchte gerne wissen, wie der wirklich aussieht! Er soll sehr hässlich sein." Da stand unter den Künstlern ein Maler auf und erbot sich, den Teufel an die Wand zu malen. Faust meinte: „Dann versuch es doch!" Der Maler nahm ein Stück Kohle und zeichnete mit gewaltigen Strichen eine Figur in Kleidung eines Edelmanns, umhüllt mit einem Mantel, der aussah wie Drachenflügel. Auf den Kopf zeichnete er ein schiefes Hütchen mit einer Hahnenfeder. Unter dem Hut sah ein höhnisch grinsendes Gesicht hervor. Beim Anblick verging allen Gästen das Lachen. Es lähmte alle Fröhlichkeit. Kaum war das Angst einflößende Bild fertig, stand Faust auf und sagte: „Jetzt seht ihr den Teufel an der Wand, ich will euch denselben lebendig machen!" In der Schenke wurde es plötzlich ganz dunkel und die Zeichnung fing an sich zu bewegen. Der Mantel wurde feuerrot, die Knöple färbten sich kohlrabenschwarz. Die Feder am Hut leuchtete schillernd grün. Die Augen im blassen Gesicht glühten und mit lautem Getöse sprang die schaurige Gestalt unter die Gäste. Denen wurde der Scherz zu viel und mit viel Geschrei liefen sie aus dem Keller. „Man soll den Teufel nicht an die Wand malen!", rief ihnen Doktor Faust mit donnernder Stimme nach. Am nächsten Morgen war Doktor Faust aus der Stadt verschwunden. Die Schenke erhielt zum Andenken an diese schreckliche Begebenheit den Namen „Zum roten Mandl". Der Basilisk in der Schönlaterngasse E: s wird erzählt, dass im Juni des Jahres 1212 im unteren Tempelhof, so hieß Jdamals die heutige Schönlalerngasse, ein Bäckermeister namens Petraim Gar-hibl lebte. Eines Tages, am frühen Morgen, es war ein sehr heißer Tag, die engen Gassen Wiens waren schon von schlechter Luft erfüllt, da hörte man aus dem Hause des Bäckermeisters furchtbares Geschrei. Bald versammelte sich vor dem Haustor eine große Menschenmenge. Alle wollten wissen, was sich hinter dem verschlossenen Tor zutrug. Es kamen immer mehr Menschen hinzu, einige entschlossene Männer wollten sogar die Türe einschlagen. Andere wieder liefen zum Statthalter Jakob von 28 29 Der Basilisk in der Schönlaterngasse der Hülben und erzählten vom Menschenauflauf. Dieser kam sogleich mit einer Schar von Wachebeamten. Ehrfurchtsvoll wichen die Leute zur Seite. Der Statthalter schlug einige Male an die verschlossene Türe. Endlich öffnete, totenbleich im Gesicht, der Bäckermeister. Er berichtete, dass eine seiner Mägde aus dem Brunnen Wasser schöpfen wollte. Als sie sich zum Brunnen hinab beugte, stieß sie plötzlich einen gellenden Schrei aus und fiel vor Schreck in Ohnmacht. Offenbar hatte sie im Brunnen etwas Fürchterliches gesehen! Aus dem Brunnen quoll beißender Schwefelgeruch. Einer der Bäckergesellen verhöhnte die Magd ob ihrer Furchtsamkeit und ließ sich, an ein Seil gebunden, mit einer brennenden Fackel in den Brunnenschacht hinab. Kaum war der Geselle drei Meter tief in den Brunnen geglitten, schrie auch er plötzlich fürchterlich. Dabei verlor er vor Schreck seine Fackel. Man zog ihn rasch empor, auch er war besinnungslos geworden. Als er wieder bei sich war, beschrieb er ein schreckliches Ungeheuer. Es hatte den Kopf eines Hahnes, einen i I GGSTOKEEN'jNll-VIÜDaBnEN _____llA'Ji>&' -- I ii i.r.-.-i :.\NV-: -.1 .-i|..-:r=[NC EUCllHAMDLtR >^"S aber:-im '-. i■)"■;.( vnx.:.*. ir;32 henov. I9O5 — Das Basiliskenhaus in der Schönlaterngasse. schuppenbedeckten Körper mit einem langen geringelten Schwanz, plumpe Füße, glühende Augen und riesige Fleischlappen unter dem Schnabel. Während der Bäckermeister all dies dem Stadtrichter erzählte und das versammelte Volk staunend mithörte, trat ein gelehrter Mann, ein erfahrener Arzt, hervor. Er erklärte den Anwesenden, in dem Brunnen dieses Hauses sei wohl ein Basilisk entdeckt worden. Das sei ein wunderbares Wesen, das ein Hahn gelegt und eine Kröte ausgebrütet habe. Der berühmte Naturforscher Plinius hätte ein solches Tier beschrieben und gesagt, es sei keine Zeit zu verlieren, dieses Wesen müsse gleich getötet werden, da jeder Mensch, der in diese unheilvollen Augen blicke, sterben müsse. Als die Leute dies hörten, wurden sie von großem Schrecken erfasst und liefen weg. Nun wendete sich der Stadtrichter an den gelehrten Doktor und fragte, wie man das Untier am leichtesten töten könne. Dieser antwortete, man müsse eine glänzende Metallscheibe über dem Brunnen befestigen. Das Tier würde sich dann darin sehen und am Schreck vor seinem eigenen Antlitz zugrunde gehen. Aber er glaube, dies sei doch zu gefährlich. Besser wäre es, man holte schnell große Steine und viel Erde und schütte den Brunnen damit zu. So werde dieses Ungeheuer am sichersten getötet. Nun wurde in kürzester Zeit der Brunnen zugeschüttet. Doch der Bäckergeselle, der in den Brunnen hinabgestiegen war, verstarb noch am selben Tag. Zur ewigen Erinnerung an dieses schreckliche Geschehen wurde am Hause sieben in der Schönlatcrngasse ein steinerner Basilisk angebracht. Das Haus heißt seither Basiliskenhaus. Der dreizehnte Glockenschlag Nachdem die Türken im Herbst des Jahres 1529 nach der grausamen Belagerung endlich abgezogen waren, erholte Wien sich langsam von den Schrecken und der Not. Die Wiener gingen wieder fort und trafen einander an den Abenden in den Wirtsstuben, um sich fröhlich zu unterhalten. So auch der kaiserliche Kapellmeister Arnold de Bruck, der Stammgast eines bekannten Weinkellers der Stadt war. Es war schon sehr spät, fast Mitternacht, der Wirt im Weinkeller wollte schon schließen, aber keiner der Gäste erhob sich, alle waren in bester Feierlaune. Da betrat eine alte Frau, in ärmliche Kleider gehüllt, die Wirtsstube und bot ihre Dienste als Handleserin an. Sie ging von Tisch zu Tisch, docli sie stieß durchwegs auf Ablehnung, denn die Anwesenden hatten Angst und wollten sich ihre Fröhlichkeit nicht durch eine schlechte Prophezeiung verderben lassen. Der dreizehnte Glockenschlag Nur der Kapellmeister de Bruck bat die Alte, ihm die Zukunft aus der Hand vorauszusagen. Die Alte nahm seine Hand, studierte die Linien und sprach: „Ihr habt eine große Herzenslinie, Ihr kennt viele vornehme Leute und habt sogar Zugang zum Kaiser! Eure Lebenslinie aber sie unterbrach sich augenblicklich und wollte plötzlich weggehen, ohne weitere Auskünfte. Schnell fasste de Bruck sie am Rockzipfel und hielt sie fest. Alle Gäste verstummten und beobachteten gespannt die Situation. „Ich möchte jetzt von dir wissen, was in meiner Lebenslinie steht!" Die Alte schaute ihn mitleidig an und sagte: „Willst du es wirklich wissen? Nun denn: Ihr werdet nicht weit von hier sterben, sobald die Turmuhr vom Stephansturm dreizehn Mal geschlagen hat!" Kaum hatte die alte Handleserin ausgesprochen, fingen die übrigen Gäste in der Weinstube an laut zu lachen. Sie machten sich über das Gesagte lustig und scherzten weiter. Der Kapellmeister schenkte der Alten noch ein Goldstück, für ihn war diese Prophezeiung ob ihrer Unmöglichkeit keine schlechte Nachricht. Niemand hatte je zur Mitternacht, noch danach, die Turmuhr dreizehn Mal schlagen gehört. Die Alte verschwand still und leise. Nach einiger Zeit war der Spruch der Wahrsagerin vergessen und gut gelaunt gingen die Gäste nach diesem fröhlichen Abend nach Hause. De Bruck machte noch einen Besuch beim Glöckner von St. Stephan. Zusammen stiegen sie die vielen Stiegen zum Turm hinauf. Arnold de Bruck sah, wie so oft, auf die vielen Dächer Wiens herab. Er genoss es, aus der schwindelnden Höhe der Türmerstube auf die Lichter der Stadt herabzuschauen. Überwältigt von dem schönen Erlebnis ging er die Wendeltreppe wieder abwärts. Auf dem Weg nach unten kam er an der großen Glocke vorbei. In diesem Augenblick begann diese die Mitternacht einzuläuten. Wegen des enorm lauten Glockenklanges aus nächster Nähe hielt er sich seine empfindlichen Musikerohren zu. Durch eine jähe Bewegung schlug er mit seinem Säbel ungeschickt am Glockenmetall an, gerade nachdem der zwölfte Schlag verhallt war. Plötzlich durchfuhr es ihn wie ein Blitz, er erinnerte sich an das Vorausgesagte der alten Frau. Er hatte soeben selbst einen weiteren Glockenschlag, den dreizehnten, verursacht! In Panik versuchte er den Schall aufzuhalten indem er die Glocke umarmte. Dabei stolperte er, verlor das Gleichgewicht und stürzte in die Tiefe. Kr war sofort tot. In den nächsten Tagen erfuhr man vom Tod des Kapellmeisters. Seine Zechbrüder erinnerten sich an die eigenartige Weissagung der alten Frau und jedem einzelnen schauderte es. Die Weissagerin blieb fortan verschwunden und wurde in der Wienerstadt nie wieder gesehen. Der Fahnenschwinger vom Stephansturm Seit den Tagen der Vollendung des gewaltigen Stephansturmes wurde immer wieder zu besonderen Ereignissen ein mutiger Mann gesucht, welcher in der schwindelnden Höhe der Turmspitze, auf der steinernen Rose stehend, zur Feier des Tages oder zur Begrüßung eines besonderen Gastes eine mächtige Fahne zu schwingen hatte. In alten Dokumenten wird zum Beispiel von solch einem Empfang für Erzherzog Matthias im Jahre 1608 berichtet. Damals hatte der Kirchenbaudirektor Georg Pehringer dieses gefährliche Unterfangen gewagt. Jahrzehnte später, im Jahre 1635, beim Einzug des Kurfürsten Maximilian von Bayern, der Kaiser Ferdinand II. in Wien besuchte, führte Kirchenbaumeister Hum-peller diesen gefährlichen Auftrag aus. Im Jahre 1658 erwarteten die Wiener die Rückkehr des jungen Kaisers Leopold I. von der Kaiserkrönung in Frankfurt am Main. Man bereitete ein großes Fest mit einem festlichen Einzug vor. Die Stadt wurde prächtig geschmückt, es gab Triumphbögen, Girlanden aus Tannenreisig und Blumen und fahnengeschmückte Fassaden. Am Graben floss aus einem Brunnen weißer, aus einem anderen roter Wein, frei für alle feiernden Wiener. Am Stock-im-Eisen-Platz hatte sich eine riesige Menschenmenge eingefunden. Es sollte, sobald der Kaiser auf dem Weg in den Stephansdom aufdiesem Platz ankam, an der Spitze des Turmes eine riesige Fahne geschwungen werden. Gabriel Salzberger, ein Gärtnerbursche, hatte sich gemeldet, gegen einen Lohn von zwölf Reichstalern diesen gefährlichen Auftrag auszuführen. Schon am frühen Nachmittag kletterte er auf die Turmspitze,, der Kaiser sollte später am Nachmittag eintreffen. Zunächst noch frohen Mutes, genoss er die wunderschöne Aussicht auf die Dächer der Stadt, selbst zum weit entfernten Schneeberg sah er hinüber, über die weiten Wälder und Hügel hinweg. Unten auf den Straßen sah er das bunte Gewimmel der vielen Tausend neugierigen Wiener, die wie Ameisen emsig hin und her liefen. Er war richtig stolz, durfte er doch von seinem hohen Ansitz aus dem Kaiser seine Grüße darbringen. Doch der Kaiser war noch immer nicht angekommen. Der Jüngling war bereits unruhig geworden, war doch die Sonne bereits hinter dem Wienerwald untergegangen und dunkler Nebel am Himmel aufgezogen. Die umliegenden Berge konnte man kaum noch erkennen. Würde der Kaiser noch länger brauchen, so würde die schwarze Nacht die Turmspitze verhüllen. 32 33 Der Fahnenschwinger vom Stephansturm Da ertönten von der Burgbastei aus dumpf die Salutböllerschüsse, der Kaiser war in Wien eingetroffen! Jetzt würde er vom Bürgermeister beglückwünscht und in der Stadt willkommen geheißen. Es würde nicht mehr lange dauern und der Kaiser seinen Einzug im Dom halten, um einem feierlichen Te Deum beizuwohnen. Endlich erschien der Festzug. Jubel tönte zu den Uhren des Fahnenschwingers hinauf. Er entrollte die riesige Fahne und schwenkte sie flatternd und stolz in den Abendhimmel. Aus "lausenden Kehlen brandeten nun Hochrufe empor. Der Kaiser schritt in den Dom. Nach der heiligen Handlung strebte der ermüdete Kaiser der Hofburg zu. Die Menge in der Stadt verlief sich allmählich, es war Nacht geworden. In den Häusern wurden die Lichter angezündet, auf den Straßen wurde es ruhig. Am Himmel erglänzten schon die Sterne und in den Trinkstuben wurde es immer lauter und lebendiger, man feierte den jungen Kaiser. Nur einer nahm nicht an der allgemeinen Freude teil. Den Fahnenschwinger hatte man im Trubel der Ereignisse ganz vergessen. Keiner dachte an ihn, keiner half ihm beim gefährlichen Abstieg von der Turmrose in schwindelnder Höhe. Inzwischen war der Herbstwind angeschwollen, dem Jüngling wurde immer kälter. Ängstlich klammerte er sich an der Turmrose fest, er wagte nicht einzuschlafen, da er befürchtete, in die Tiefe zu stürzen. Der immer kräftiger werdende Wind pfiff um die gespenstigen Steingebilde am Dom und erzeugte dabei unheimliche Melodien, selbst die Turmspitze schien sich im Winde zu bewegen. Obendrein krachte und polterte es im Dachstuhl des Kirchenschiffs weit unter ihm. Zitternd vor Angst und Kälte dachte der Jüngling, er werde diese Schrcckensnachl nicht überleben. Stunde um Stunde verging, ohne dem Ärmsten Erlösung zu bringen. Der Kirchenmeister hatte, verursacht durch das verspätete Erscheinen des Kaisers, auch den armen Gärtnerburschen vergessen. Erst um Mitternacht erinnerte er sich an den Fahnenschwinger! Schnell eilte er mit einigen Helfern auf den Turm, um im Schein von mitgenommenen Fackeln zur Turmspitze emporzuklettern. Es gelang ihnen, den völlig verängstigten, halbtot gefrorenen Jüngling zu bergen. Als er nun endlich in der Stube des Kirchenmeisters war, sahen die Retter zu ihrem Entsetzen anstelle eines jungen frischen Burschen einen Greis vor sich. Die große Angst hatte das Haar des Fahnenschwingers schneeweiß gefärbt und seine Gesichtszüge waren gealtert. Der Ärmste zitterte immer noch und war sichtlich schwer krank. Erst nach vielen Wochen, in denen er zwischen Leben und Tod schwebte, erholte er sich. Doch seine Jugendfrische und Lebensfreude erlangte er nie wieder. Aufgrund dieses Schicksals des vergessenen Junkers, das beinahe zu einem noch schlimmeren Ende geführt hätte, wurde das Fahnenschwingen daraufhin für immer eingestellt. 31 Der geheimnisvolle Fremde in Wien Im Jahre 1485 schloss der Ungarkönig Matthias Corvinus mit einer großen Zahl an Soldaten seiner Schwarzen Armee, unter ihnen berittene Husaren, die Stadt Wien ein. Die Bewohner waren von jeder Versorgung mit Nahrungsmitteln abgeschnitten. In der Folge wurden alle Waren stark verteuert und es entstand große Not in der Bevölkerung. Die Leute begannen schon, das Fleisch von Pferden zu essen, ja selbst Katzen und Hundelleisch wurde verzehrt. Die Bewohner hofften auf Hilfe von außen, aber Friedrich IV. war in Innsbruck und Kaiser Maximilian I. kämpfte in den Niederlanden gegen Aufständische. Unter diesen Umständen machte sich in der Stadt große Mutlosigkeit breit. Der Unmut in der Bürgerschaft wurde immer größer und allmählich fanden in manchen Häusern Versammlungen statt, bei welchen sich nicht selten auch Abgeordnete aus dem Lager der Belagerer einfanden, man bereitete wohl eine Übergabe der Stadt an den Ungarkönig vor. Solche Sammelplätze von Unzufriedenen waren die Schenke „Zu den drei Raben" im Rothgässchen und das Einkehrwirtshaus „Zur Sonne" unter den Seilern (heute Seilerstätte 5). Man stellte Wachen auf, um die Fremden vor dem Eintreffen von uneingeweihten Besuchern zu warnen. Die Wache rief dann als geheime Parole das ungarische Grußwort „ma czak", worauf die Fremden schnell das Lokal verließen. Am 11. April war eine kurze Waffenruhe geschlossen worden und in der Dämmerung näherten sich zwei vermummte Gestalten dem Wirtshause „Zu den drei Raben". Einer der beiden war von kräftiger Statur, hatte gekräuseltes Haar und seine Augen blitzten lebhaft und neugierig. Er trug einfaches bäuerliches Gewand, aber bei einigen Bewegungen blitzte der funkelnde Griff eines cdelsteinbesetzten Schwertes unter seinem Wapis hervor. Er beachtete kaum die vorsichtigen Ratschläge der Wächter des Versammlungslokalcs. Er soll angeblich zu seinem Begleiter gesagt haben: „Was haben wir denn zu befürchten. Zwei ansässige Bürger sind mit uns einverstanden und werden uns bald die Stadt übergeben." Auf den Einwand seines Begleiters, ja nicht Verrätern Vertrauen zu schenken, lachte der Erstere: „Sorge dich nicht, diese zwei betrügen uns nicht, die heißen Hunger und Zwietracht!" Am nächsten Morgen verbreitete sich das Gerücht, der Ungarkönig wäre als einlacher Bauer verkleidet in der Stadt gewesen und hätte bei den „Drei Raben" an einer geheimen Versammlung teilgenommen. Dort hätten ihn schließlich kaiserlich Gesinnte erkannt und er sei nur mit Mühe entkommen. So berichtet uns die Sage. Man wusste von Corvinus, dass er sich oft verkleidet unter das Volk mischte, um so unerkannt die Probleme seiner Untertanen zu 35 Der geheimnisvolle Fremde in Wien Das Haus „Zu den drei Raben" in der Roteniurmstraße. erfahren. So könnte er im Falle der Belagerung Wiens die verzweifelte Lage der Wiener erfahren haben. Schon kurze Zeit später konnte er die geschwächte Stadt nahezu widerstandslos erobern. Matthias Corvinus nahm zunächst in einem vornehmen Bürgerhaus in der Kärntnerstraße Quartier. Später übersiedelte er in die Wiener Hofburg, in der er auch 1490 starb. Das Haus in der Kärntnerstraße wurde zunächst Königsburg genannt, 15 Jahre später wurde es in merkwürdiger Art bemalt und erhielt den Namen Hasenhaus. In der Stunde seines Todes im Jahre 1490, so erzählt die Sage, trat die Donau aus ihren Ufern, die Löwen im königlichen Schlossgarten starben und große Scharen von Raben flogen mit schauderhaftem Gekrächze nach Osten, gen Stuhlweißenburg, dem Begräbnisort der ungarischen Könige. Corvinus entstammte dem Adelsgeschlecht der Hunyadi, diese hatten Raben und Löwen als Wappentiere. Auch der Name Corvinus stammt von lateinisch corvus, der Rabe. Nach Corvinus' Tod übernahm wieder der Habsburger Maximilian L, der 1493 deutscher König und 1508 Kaiser wurde, die Stadt. Der oben genannte Gasthof „Zur Sonne" wurde später, angeblich in Erinnerung an die geheimen Treffen „Matschakerhof" genannt, hergeleitet von der damaligen 36 Der geheimnisvolle Fremde in Wien ominösen Warnung „ma czak". Schließlich erhielt auch das an dieser Stelle errichtete berühmte Hotel diesen Namen. Am Nachfolgehaus bei dem Rothgässchen, in welchem einst die Schenke „Zu den drei Raben" untergebracht war, ist heute noch auf der der Rotenturmstraße zugewandten Hausrückscitc ein Schild mit den drei Raben zu sehen. Der Gespensterwurf in der kaiserlichen Burg Kaiser Leopold des I. ältester Sohn, Joseph, war bereits zum König von Böhmen und Ungarn ernannt worden. Joseph war wegen seiner Leutseligkeit und Offenheit beim Volk sehr beliebt. F.r lud seinen Freund Friedrich August, den Kurfürsten von Sachsen, in die Wiener Hofburg ein, dort zu wohnen. Die innige Freundschaft dieser beiden Fürsten war den Jesuiten jedoch ein Gräuel, denn sie fürchteten um Josephs katholischen Glauben, war doch Friedrich August Protestant. Es wurden daher alle Mittel angewandt, um die Freunde zu trennen. So versuchte man, den Aberglauben, der in dieser Zeit noch weit verbreitet war, zu nützen. Diese Methode wollte man auch bei Joseph anwenden. Allnächtlich zeigte sich nun an der Wand von Josephs Schlafgemach in einer riesigen, feurigen Schrift eine Warnung: er möge der Freundschaft zu Friedrich August entsagen und ihn wieder in seine Heimat schicken. Wenn nicht, so würde der Zorn des Himmels ihn und sein Reich treffen! Verstärkt wurde diese Drohung durch ein in weißes Leinen gehülltes Gespenst, das allnächtlich unter schauerlichem Geheule und Kettenrasseln durch das Schlafgemach des Prinzen tobte. Ein paar Tage hörte Joseph, ängstlich und in Schweiß gebadet, diesen Tumult an, dann sprach er darüber mit dem Kurfürsten. August überredete nun Joseph, mit ihm sein Schlafgemach zu tauschen und wartete in der darauffolgenden Nacht auf den Geisterspuk. Der erschien tatsächlich wieder, wie die Tage zuvor. Um Mitternacht erschien plötzlich die Phosphorschrift an der Wand und das Gespenst betrat mit Rasseln den Raum. Sofort sprang August aus dem Bette und stürzte sich auf das Gespenst, packte es am Genick und warf das Ungetüm durch das zuvor geöffnete Fenster in den Stadtgraben. Am nächsten Morgen fand man das Gespenst mit gebrochenen Gliedern. Als die Leinenhülle entfernt wurde, zeigte es sich, dass es der Burgpfarrer war, der den Geist gespielt hatte. 37