Der Gespensterwurf in der kaiserlichen Burg ans W 11 v N SCHWEZERTHORinder I $/tff^J*fi*s KAISERLICHEN BURG- ? o****^^^^-f *f 4*+. ^U^. ^w, £j&>2v Das Schweizertor ist das Haupttor des ältesten Teils der Wiener Hofburg. 5S Der Gespensterentwurf in der kaiserlichen Burg Diese Geschichte machte natürlich die Runde in der Stadt. Joseph wurde noch beliebter und, als sein Vater starb, er war gerade 27 Jahre alt, wurde er in Wien zum deutschen Kaiser gekrönt. Am 22. September 1705 fand die feierliche Krbhuldigung statt, wobei am Graben Triumphpforten errichtet wurden und aus Brunnen roter und weißer Wein floss. Silberne Krönungsmünzen wurden unters Volk geworfen und Brot, Früchte und gebratenes Fleisch wurden jedermann angeboten. Der Hahn auf dem Stephansdom Im 15. Jahrhundert leble in Wien ein junger Ritter Namens Kaspar von Schlezer mit seiner wunderhübschen Frau. Er wohnte glücklich und zufrieden in einem schönen Haus, bis er eines Tages vom Landesfürsten, Maximilian I., den Auftrag erhielt, mit einer geheimen Botschaft in die Türkei zu reisen, um diese dem Sultan zu überbringen. Sein junges Weib war sehr traurig und voller Sorge wegen der gefährlich langen Reise. Sie nahm ihr goldenes Kreuz vom Halse und sagte: „Dieses Kreuz soll dich immer beschützen, egal wo immer du bist!" Kaspar wiederum bat seine Gattin, ihm treu zu bleiben, bis er wiederkäme. Der junge Ritter machte sich mit seinem Gefolge auf den Weg. Nach wochenlanger Reise gut in der Türkei angekommen, übergab er dem Sultan die geheime Botschaft seines Fürsten. Nach kurzem Aufenthalt trat Kaspar von Schlezer die Heimreise an. Auf hoher See wurde sein Schiff von Seeräubern geentert. Den Ritter nahm man gefangen und er wurde im nächsten Hafen als Sklave verkauft. Viele Jahre musste er nun als Gefangener harte Arbeit verrichten. Nur das goldene Kreuz an seiner Brust ließ ihn nichL ganz verzweifeln, so war seine geliebte Gattin in Gedanken immer bei ihm. Inzwischen waren seine Begleiter, sie konnten den Seeräubern entkommen, in Wien angekommen. Sie berichteten von der gefährlichen Überfahrt und gaben an, dass Ritter Kaspar gestorben sei, sie hätten ihn auch begraben. Sie erzählten die Unwahrheit aus Angst vor Bestrafung, da sie ihrem Herrn nicht helfend zur Seite gestanden waren, als er von den Piraten gefangen genommen wurde. Die schlimme Nachricht vom vermeintlichen Tod ihres Mannes erfuhr auch die junge Frau. Sie trauerte vier Jahre um den verschollenen Ehemann. Sie wies viele Heiratsanträge ab und widerstand den Versuchungen, sich neu zu vermählen. Doch eines Tages verlobte sie sich doch mit dem besten Freund ihres Ehemannes und man begann, die Hochzeit vorzubereiten. 31) Der Hahn auf dem Stephansdom T Ii weiter Ferne hatte der junge Ritter einen fürchterlichen Albtraum: Er sah seine geliebte Gattin am Traualtar des Stephansdomes mit seinem besten Jugendfreund, dem Ritter von Merkenstein, stehen. Schweißgebadet erwachte er und schrie in seiner großen Verzweiflung: „Ich muss schnell nach Wien, ich gäbe meine Seele dem Teufel, wenn er dies zustande brächte!" Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da flog der Teufel auf dem Rücken eines großen Hahnes daher. Er sprach: „Dieser Vogel wird uns auf schnellstem Wege nach Wien bringen, aber vergiss nicht, ich bekomme dafür deine Seele!" Kaspar uberlegte kurz und sagte zum Teufel: „Ich möchte während des Fluges schlafen. Nur, wenn ich während des Fluges nicht aufwache, bekommst du meine Seele, sonst nicht!" Höhnisch lachend sagte der Teufel: „Das kann ich dir erfüllen!" Der Teufel und der Ritter setzten sich auf den Rücken des Hahnes und flugs ging es in Richtung Heimat. Heimlich ergriff Ritter Kaspar sein kleines Kreuz und schlief ein. Mit großer Geschwindigkeit flog der Gockel über das Meer, über Wälder, Felder und Städte. Als der Morgen graute und Wien schon in Sicht war, vernahm der Hahn Morgenluft und freute sich so sehr, dass er aus voller Kehle ein lautes „Kikeriki" von sich gab, worauf der junge Ritter erwachte. Der Teufel erzürnte, denn er hatte die Wette und die Macht über sein Opfer verloren. Aus Zorn schleuderte er den Hahn mit dem Edelmann in die Tiefe. Doch der geschickte Hahn landete mit dem Ritter unbeschadet am Stephansplatz. Der Teufel aber fuhr fuchsteufelswild, glühend vor Zorn, in die Hölle hinab. Nur beißender Schwefelgeruch verbreitete sich am Stephansplatz. Ritter Kaspar aber eilte so schnell er konnte zu seinem geliebten Weibe. Die feigen Begleiter, die so gemein den Tod des Ritters berichtet hatten, empfingen ihre gerechte Strafe. Das Ehepaar aber lebte noch viele glückliche Jahre. Zum Andenken an den Hahn, der ihn aus der Sklaverei befreit und gesund nach Wien gebracht hatte, ließ der Ritter einen eisernen Hahn anfertigen. Noch heute kann man diesen, auf dem steilen Chordach von St. Stephan sitzend, sehen. Er erinnert an den Teufelsritt nach Wien! 41 Der Heidenschuß und warum die Wiener Bäcker Kipferl backen Es war im August des Jahres 1529, als eine Schreckensnachricht die Wiener in Panik versetzte. Man berichtete, dass Sultan Süleyman mit einem mächtigen Heer von Ungarn aus aufgebrochen war, um Wien zu erobern. Die Stadt wurde vollkommen unvorbereitet getroffen. Der Zustand der Verteidigungsanlagen war erbärmlich, man hatte die drohende Gefahr in den vergangenen Jahren leider nicht ernst genommen. Die Mauern waren zum Teil verfallen, die Türme standen schief. Es bedurfte fast übermenschlicher Anstrengungen, um in der kurzen Zeit die Stadtmauern auszubessern. Man musste Proviant anlegen, man trieb Vieh in die Stadt, große Vorräte an Wasser, Wein und Getreide wurden angelegt. Alle Gebäude, welche sich außerhalb der Stadt, nahe den Mauern befanden, wurden abgerissen. Große Mengen an Holz wurden eingelagert, um Baumaterial zur Errichtung von Palisaden sowie zur Reparatur der alten Mauern zu erhalten. Dies alles geschah unter dem weisen Kommando des Grafen Niklas von Salm. Viele Bewohner flüchteten in Karawanen in weit entfernte Länder, oft wurden sie aber von den feindlichen Reitern aufgegriffen und zu Tausenden erbarmungslos niedergemacht. Anfang September erreichte die Vorhut der Türken die Umgebung von Wien, fürchterliche Nachrichten von der unbeschreiblichen Grausamkeit der Reiterhorden wurden bekannt. Eine Woche später kamen auch die gefürchteten Janitscharen an und am 27. September hatte das riesige Heer mit 30.000 Soldaten die Stadt vollkommen eingeschlossen. Die Türken begannen nun, mit ihren Geschützen die Stadtmauern zu beschießen. Doch die mitgeführten Kanonen waren nicht stark genug und die Verteidiger konnten die beschädigten Mauerteile mit großem Einsatz immer wieder reparieren. So versuchte Sultan Süleyman, die Stadt im Sturm über die Mauern zu erobern. Die tapferen Wiener konnten aber allen Versuchen, über die Stadtmauern einzudringen, trotzen. Mehr als ein Dutzend Stürme hatten die tapferen Verteidiger bereits abgewehrt. In den Kampfpausen wurden in Windeseile und mit großem Geschick die angeschlagenen Palisaden der Stadtmauern wieder geflickt. Die Stimmung unter den Wienern war sehr betrübt, man lebte in steter Angst und auch begannen die Lebensmittel in der eingeschlossenen Stadt knapp zu werden. Der Heidenschuß und warum die Wiener Bäcker Kipferl backen Eine Figur an der Fassade der Hausecke Heidenschuß/Strauchga 42 43 Der Heidenschuß und warum die Wiener Bäcker Kipferl backen Nun versuchte der Sultan eine neue Taktik. Nachdem er die Mauern nicht sturmreif schießen konnte und die Erstürmung der hohen Mauer nicht gelang, versuchte er mittels langer Tunnel, welche seine Mineure unter der Stadtmauer anlegten, in die Sladt zu gelangen. Der Wiener Stadtkommandant, Graf Niklas von Salm, war sehr besorgt. Wie sollte man denn dem Feind entgegentreten, wenn man nicht wusste, wo er auftauchen würde! Man schickte Boten aus, um die Wiener von der neuen Gefahr zu informieren. Da entdeckte der junge Bäckergeselle Michael Albrechter eines Nachts etwas Seltsames, das, wie sich später herausstellte, für das Schicksal der Stadt von enormer Wichtigkeit war. Er hatte, wie es seine Aufgabe war, Mehl aus dem Vorratskeller der Bäckerei seines Meisters nach oben getragen, als er auf ein seltsames Geräusch aufmerksam wurde. Im untersten Kellergeschoss sprangen auf einem Blechteller einige getrocknete Erbsen immer wieder in die Höhe, sodass ein eigenartiger Klang entstand. Zunächst nur verwundert, wollte Josef wieder nach oben steigen, da hörte er plötzlich andere dumpfe Geräusche, sie schienen aus dem Erdreich unter ihm zu kommen! Er legte sich, ein Ohr auf die Steine gepresst, auf den Boden und hörte Klopfgeräusche. Zwischendurch vermeinte er, sogar raue Stimmen in einer fremden Sprache zu erlauschen! Da erinnerte sich Josef an die Warnungen, welche die Sladfboten bezüglich der neuen Taktik des Heindes verkündet hatten. Ihm wurde klar, der Feind hatte sich unter der Stadtmauer bereits bis unter das Haus des Bäckers durchgegraben! Er lief, so schnell ihn seine Beine tragen konnten, zur Stadtwache und berichtete von der großen Gefahr. Sofort wurde Alarm geschlagen und schwer bewaffnete Soldaten eilten zur Bäckerei. Die ersten Osmanen waren bereits in die Kellerräume eingedrungen, sie wurden überwältigt und gefangen genommen. Dann leiteten die Bürger das Wrasser des vorbeifließenden Alserbaches in den Keller. Der Tunnel wurde geflutet und für die Angreifer unwirksam gemacht. Die Stadt war gerettet! Die Wiener richteten daraufhin in tiefen Kellern der Bürgerhäuser Wachen ein. Mit ähnlichen Instrumenten, wie es der einfache Blechleller mit den Erbsen war, wurden Spielwürfel auf Trommeln gelegt oder man beobachtete den Wasserspiegel an vollgefüllten Bottichen, welcher sich im Falle von Erschütterungen kräuselte. Am Tag darauf versuchten die Türken mit einer weiteren Mine beim Kärntnertor einzudringen, auch dieser Versuch konnte wirksam abgewehrt werden. Nachdem der Tunnel geortet wurde, gruben die Bürger einen eigenen Gang den Angreifern entgegen und sprengten diesen mit Schwarzpulver. So konnte dieser neuen Taktik des Sultans bei jedem neuerlichen Versuch von den Verteidigern der Stadt wirksam entgegengetreten werden. Schließlich zwangen die plötzlich verschlechterten Witterungsbedingungen die Osmanen, die Belagerung am 15. Oktober erfolglos abzubrechen. Die Heldentat des Bäckergesellen Michael Albrechter wurde in ganz Wien gefeiert. Zur ewigen Erinnerung an den Vorfall errichtete man am Hause der Bäckerei Der Heidenschuß und warum die Wiener Bäcker Kipferl backen Das Kipferlhaus in der Grünangergasse. eine steinerne Statue, welche einen fliehenden türkischen Reiter darstellt. Da, wie damals üblich, alle NichtChristen als Heiden bezeichnet wurden, nannte man das Haus seitdem Zum Heiden schuß, die Straße selbst trägt auch heute noch diesen Namen. Die Bäckerzunft erhielt als Dank vom Kaiser die Erlaubnis, alljährlich an Osterdienstagen einen Umzug, den Bäcker-Aufzug, zu veranstalten. Doch die Geschichte der Bäcker, die sich bei der Verteidigung der Stadt so eingesetzt hatten, ging weiter. Etwa 150 Jahre später, im Jahre 1683 zog neuerlich ein gefürchteter und grausamer türkischer Anführer, Kara Mustafa, mit einem riesigen Heer gegen Wien. Es wiederholte sich alles. Wieder dominierte die Angst unter den Bürgern und, obwohl die Stadtmauern inzwischen auf den neuesten technischen Stand gebracht worden waren, herrschte nach der zermürbend langen Belagerungszeit mit permanentem Beschuss und andauernden Angriffen wieder Nahrungsknappheit in der Stadt. In allerhöchster Not vertrieb endlich das hcißersehnle Entsatzheer die Türken, die Erleichterung war riesengroß. Die Stadt und das Land blühten auf. In diesem Jahr war Eva, die Urenkelin des einst sehr wackeren Bäckermeisters Michael Albrechter, die Frau des Bäckermeisters Wendler, der seine Backstube in der Grünangergasse hatte. Da hatte die Bäckermeisterin die Idee, den Halbmond, der gemeinsam mit dem Sonnenstern seit der ersten Türkenbelagerung auf der Kreuzblume der Turmspitze des Stephansdomes angebracht war, als Gebäck nachzuformen - das Wiener Kipferl war geboren. Als dann 1686 dieser „Mondschein" abmontiert und durch ein Kreuz ersetzt wurde, konnten die Bürger so fortan zum Frühstück in Erinnerung an die endgültig vertriebenen Eroberer einen Bissen vom halbmondförmigen Gebäck zu sich nehmen. Das Haus des Bäckermeisters in der Grünangergasse heißt seither Kipferlhaus. 44 45 Der heilige Christophorus in der Salvatorgasse Noch vor etwa 70 Jahren war am damaligen Hause Salvatorgasse 10 in der Wiener Innenstadt ein großes Standbild des heiligen Christophorus angebracht. Diese Figur schaute in die Einfahrt des Alten Rathauses auf der anderen Straßenseite. Einst war dort eine Herberge gestanden und so war wohl Christophorus als Patron für Reisende und Pilger dort angebracht worden, aber er war auch der Schutzpatron der Flößer. Die Flößer brachten jahrhundertelang das Salz aus dem Salzkammcrgut nach Wien, wo es am nah gelegenen Salzgries verkauft wurde. 1441 wohnte sogar Königin Elisabeth von Ungarn in dieser Herberge. Diesem Haus gegenüber lag im ersten Stockwerk die alle Ratsstube, in welcher die Ratsherren ihre Sitzungen abhielten. Einmal lärmten die Gäste in der Herberge so laut, dass auf höchsten Befehl eine Einquartierung von Fremden bis auf weiteres untersagt wurde. Das laute Geschrei störe nicht nur, es ginge davon auch die Gefahr eines Brandes aus, hieß es. Aber nun zur Sage. Warum stand denn Christophorus genau an dieser Stelle? Man muss da schon sehr weit zurückblicken. Wie jeder Wiener, der je das Schottenkloster besichtigt hat, weiß, kamen dereinst Maria und Joseph mit dem Jesuskind auf ihrer Flucht nach Ägypten direkt an Wien vorbei. Maria rilt damals auf einer Eselin. Diese Eselin machte sich nach ihrem Dienst auf die Reise, erforschte auf eigene Faust die Welt und ging noch einmal die Strecke zurück, um Wien zu besichtigen. Der Zufall wollte es, dass der heilige Christophorus, der einsl Christus über einen breiten Fluss getragen hatte, ebenso nach getaner Arbeit die Welt ergründen wollte und just zur selben Zeit nach Wien kam. Beide, der Heilige und die Eselin, trafen sich im Gasthause „Bey dem rothen Apfel" in der Singerstraße. Beide erkannten einander und freuten sich sehr. Sie plauderten über die aufregenden Tage im Heiligen Land und erzählten von den vielen Abenteuern auf ihren bisherigen Wegen. Sie waren gut gelaunt, bis zu dem Moment, als sie die Frage aufwarfen, wer denn von ihnen der Menschheit den größeren Dienst erwiesen hätte. Im Streit meinte Christophorus, er sei es gewesen, ohne ihn hätte das Jesuskind nicht den breiten Fluss überqueren können, die Geschichte wäre ganz anders verlaufen! Die Eselin hingegen meinte, da sie damals, in jenen gefährlichen Tagen, das Reittier für die heilige Maria und das Jesuskind gewesen wäre, wäre sie wohl die viel Wichtigere gewesen, nicht auszudenken, hätte sie damals versagt! Der heilige Christophorus in der Salvatorgasse So stritten sie immer heftiger, bis letzten Endes dem heiligen Christophorus der Geduldsfaden riss und er der Eselin einen Stoß versetzte. Der war so heftig, dass die Eselin unter den Tisch fiel. Sie kroch schnell nach oben und rief erbost: „So, jetzt verklage ich dich beim Stadtrat!" Sofort machte sie sich auf den Weg ins Alte Wiener Rathaus. Christophorus folgte ihr prompt nach. Als die Eselin in das Rathaus in der Salvatorgasse hineinlief, blieb der Heilige an dem Haus gegenüber der Rathauseinfahrt stehen und wollte warten, bis sie wieder herauskäme. Und so stand der Heilige wohl zweihundert Jahre, inzwischen zu Stein geworden, bis das Haus hinter ihm abgerissen wurde, alleine die Eselin war immer noch nicht aus dem Rathaus herausgekommen! Heute hat man den hl. Christophorus in die dem Amtshaus benachbarte Salvator-kirche gebracht. Er lehnt dort an der Wand der Orgelempore - wartet er immer noch? Das Christophorus-Relief in der Kirche St. Salvátor. 46 47 Der Meister Die Darstellung der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten von einem Wiener Schottenmeister um 1470. (Wien, Schottenstift, Museum) Man schrieb das Jahr 1433, es war Winter. Stadtrat Konrad Rotinger war sehr schwer erkrankt, eigentlich todkrank. Seine liebevoll sorgende Tochter, Brait, saß in ihrem Zimmer und weinte. Der Arzt Doktor Tichtel war schon am Morgen da gewesen, um nach dem schwerkranken Mann zu schauen. Da der Doktor zum Zustand ihres Vaters nichts sagte, fühlte Brait, wie ernst es um ihn stand. Es war ein sehr strenger Winter, Schneeflocken fielen und Eisblumen bildeten sich an den Fensterscheiben. Sogar in die wohlgeheizten Zimmer drang die Kälte. Brait wusste sich keinen Rat, wie sie ihrem Vater helfen konnte. Sie ging in das große, holzgetäfelte Zimmer, hier hatte sie so oft mit dem Vater gesessen und seinen Erzählungen gelauscht. Hier hatte sie sich immer wohl und geborgen gefühlt. Traurig und weinend stand sie am Fenster und blickte über die Dächer der Häuser hin zum Stephansdom. Der Turm war immer noch nicht fertig gebaut, an der Turmspitze war noch nicht die krönende Turmrosette aufgesetzt worden. Da hörte sie Schritte auf der Treppe. In Gedanken vertieft, öffnete sie die Türe und herein kam die alte Muhme Ofemia Hölzler. Diese sah die Tränen im Gesicht des jungen Mädchens und fragte, warum sie denn so traurig sei. Brait erzählte der alten Frau, dass der Zustand ihres Vaters so ernst sei und sie nicht wisse, wie sie ihn vom nahen Tod erretten könne. Schluchzend sagte das Mädchen, sie würde sogar ihr Leben hingeben, um das seine zu retten. Da sagte Ofemia: „Drei Menschen musst du finden, die sich bereit erklären, einige Jahre ihres Lebens für deinen Vater zu geben. Findet sich einer von ihnen nicht bereit, so musst auch du dein Leben opfern. Dann wird dein Vater gesund werden. Dies alles muss vor dem Riesentor des Stephansdomes geschehen, vor der Stätte für verzweifelte Menschen!" Brait zog sich schnell an und eilte aus dem Hause, hin zum Dom. Die Muhme sah ihr schweigend nach, wie sie voll Hoffnung durch den Schnee dahineilte. Sic war stolz auf das Mädchen, dass so selbstlos ihren geliebten Vater retten wollte. Sie, Ofemia, hatte sie ja seit Kindheitstagen anstelle der Mutter, die schon früh verstorben war, großgezogen. Brait war inzwischen durch die Singerstraße zum Stephansplatz gelaufen. In der Vorhalle des Domes sah sie viele kniende, um Vergebung betende Menschen. Sie lehnte sich an eine der Säulen und wartete ab, es überkam sie eine wohltuende Ruhe. Plötzlich kam eiligen Schritts ein junger Student schnurgerade auf sie zu. Sie hörte gar nicht auf seine Worte, sie fragte ihn nur mit ganz leiser Stimme, ob er nicht ihrem Vater zehn Jahre seines Lebens schenken wolle. Mit Begeisterung rief der junge Mann: „Ich finde es wunderbar, wenn ich von meinen vielen künftigen 4S 49 Der Meister Jahren deinem kranken Vater zehn Jahre schenken darf! Ich spende dir, was du begehrst!" Er verbeugte sich und ging seines Weges. Tränen der Freude liefen Brait über ihr kleines Gesicht und sie konnte sich für so viel Edelmut nichl einmal bedanken. In Gedanken vertieft und gerührt stand sie einige Zeit vor dem Dom, als eine sehr elegant gekleidete Dame auf sie zutrat. Das Mädchen sank ehrfurchtsvoll auf die Knie, die Dame aber sprach zu ihr: „Steh doch auf und erzähle mir, was dich so unglücklich macht!" Da schilderte Brait, dass ihr Vater schwer krank sei und sterben müsse, wenn sie nicht drei Menschen fände, die einige ihrer Jahre dem Vater geben würden. Da sprach die vornehme Dame: „Du bist noch so jung und würdest dich für deinen Vater selbst opfern. Warum soll ich weniger tun, als du selbst, da mir das Leben schon vieles gegeben hat, was dir versagt geblieben ist. Ich gebe dir einige Jahre für deinen Vater", lächelte vor sich hin, bestieg ihre Droschke und verschwand. Brait überkam wieder ein Gefühl des Dankes und sie spürte, wie ihr Herz jubelte und sogleich auch traurig wurde: Denn nun war ihr Vater gerettet, aber auch sie musste einen Teil ihres Lebens verschenken, wenn sie nicht einen dritten Menschen fand. Sie schwankte zwischen Bangigkeit um das Wohl des Vaters und der Sehnsucht nach dem noch nicht gelebten eigenen Leben. Sie wankte und taumelte auf dem Weg vom Dom nach Hause hin und her. Der Dombaumeister zu St. Stephan, Hans von Prachatitz, kam gerade aus seiner Wohnung in der Rauhensteingasse des Weges. Er wollte den Arbeitern am Turm Anweisungen erteilen, wie sie die Kreuzblume auf der Spitze befestigen sollten. Als er auf die taumelnde Brait stieß, fing er sie gerade noch mit seinen Armen auf. Er sah ihr verweintes Gesicht, den schmerzverzerrten Mund und ihre blassen Wangen. In diesem Augenblick wusste er, er müsse dieser Unglücklichen helfen. Da flüsterte Brait wieder mit leiser, dünner Stimme: „Bitte hilf meinem Vater, gib ihm nur ein Jahr deines Lebens!" Der Baumeister erkannte Braits Verzweiflung. Er nahm sie an der Hand und brachte sie nach Hause, er kannte ihren Vater, den Stadtrat, doch schon seit Jahren. Im großen, vertäfelten Zimmer nahm Brait im Lehnstuhl ihres Vaters zitternd Platz und der Baumeister sprach zu ihr: „Liebe Brait, du weißt ja, dass ich den Dom fertig bauen muss. Seit Jahrhunderten wird schon an diesem gearbeitet. Die Vollendung lastet auf mir. Ich darf den Bau nicht einstellen, ich muss auf alles verzichten, nur um das Werk zu vollenden! Ich sehe, dass du dein Leben aufopfern willst, um deinen Vater zu retten. So wird dein Vater leben. Ich weiß aber auch, was man freiwillig gibt, wird einem nicht genommen. Ich gehe jetzt zu deinem Vater ins Nebenzimmer und werde mit ihm sprechen." Brait sank müde und matt in einen tiefen Schlaf. Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte, als sie durch den Ruf ihres Vaters geweckt wurde. Schnell eilte sie an Der Meister Dieses Bild ziert den Eingang zur Bauinnung in der Wolfengasse. Diese Innung ist die Nachfolgeorganisation der im Jahre 163J gegründeten Bau-, Steinmetz- und Maurermeister-Vereinigung. das Krankenbett, er streckte seine Hand nach ihr aus. Sie kniete sich nieder und der Alte streichelte ihr liebevoll den Kopf. Keiner sprach etwas, aber Brait wusste, dass ihr geliebter Vater gerettet war. Nach vielen Wochen, es war inzwischen Oktober geworden, sah Brait von ihrem Fenster zum Dom. Sie sah, dass die Arbeiter die Kreuzblume an der Turmspitze schon befestigt hatten und das Gerüst abgebaut wurde. Die Dom-Bauarbeiten waren somit beendet. Der vollendete Turm in seiner unübertroffenen Schönheit war gekrönt! Bald danach verstarb Hans von Prachatitz, der Dombaumeister. 50 Der schmeckende Wurm r7s war in der Karfreitagnacht des Jahres 1403. Die Tochter von Hans Purckhauser -L-Jwartete auf ihren Vater. Dieser war, einer geheimen Einladung folgend, in das Haus des Bürgermeisters Holzer auf den Hohen Markt gegangen und seither nicht mehr zurückgekehrt. Immer wieder sah Salome aus dem Fenster, um auf der Kärnt-nerstraße vielleicht ihren Vater zu erhlicken. Viele Menschen eilten zur Ostermesse in den Dom, darunter auch der Bürgermeister Holzer. Nur ihren Vater sah sie nicht. Die verschiedensten Gerüchte waren im Umlauf, man sprach von fremden Söldnern, die plötzlich in der Stadt waren, man hörte von Kämpfen beim Stubentor. Salome wurde immer unruhiger. Nach einigen Tagen verließ sie ihre Wohnung, sie musste ihren Vater finden! Von ferne kam ein Fuhrwerk an ihr vorbei. Auf der hölzernen Bank saßen einige verurteilte Männer und mitten unter ihnen erkannte sie ihren Vater. Sie schrie auf und eilte zu ihm. Ein grober Söldner stieß sie zu Boden. Mühselig kam sie auf die Beine, nun versuchte sie den Wagen einzuholen. So taumelte sie durch die Kärntnerstraße dem Graben zu. Mathias Schmiedhuber, ein Krämer aus der Bäckerstraße, erkannte die verängstigt umherirrende Salome, die Tochter seines Freundes, und bot ihr Hilfe an. Doch der Strom der Menschen riss sie beide mit, über den Graben, bis zum Platz am Hof. Plötzlich gellende Schreie. Auf dem Hinrichtungsgerüst fixierte der Scharfrichter den Bürgermeister Holzer, er sollte als gerechte Strafe geviertcilt werden. Trotz der Menschenmenge war es am Platz totenstill. Da erhob der angeklagte Bürgermeister seine Stimme: „Vor acht Tagen, am Karfreitag, starb unschuldig Gott der Herr, ich will ebenfalls sterben, wenn es sein Wille ist!" Der Scharfrichter waltete seines Amtes und hieb auf ihn mit dem Richtschwert ein. Dann wurden auch die anderen Mitangeklagten gerichtet. Ihnen wurde aber die ehrenvollere Strafe, die Enthauptung gewährt. Unter diesen Gerichteten war auch Salomes Vater, der, durch die Hinterlist des Bürgermeisters getäuscht, in dessen Rebellion gegen Erzherzog Albrecht mit hineingezogen wurde. Salome blickte leblos und zitternd ins Leere. Schmiedhuber führte sie vom Platz weg, für sie war die Welt, die sie so liebte, zusammengebrochen. Der Krämer brachte sie in sein Haus und bot ihr ein Zimmer über seinem Laden an. Als Hauszeichen war vor Jahren ein lindwurmartiges Tier aus Eisenblech über dem Eingangsporlal seines Geschäfts angebracht worden. Diese Figur befand sich nun genau unter dem Fenster der Unterkunft des Mädchens. Georg Stainpacher, ein junger Student, kam gerade von einer Vorlesung von der Universität, welche sich in der Bäckerstraße befand, in Gedanken über die Unruhen in der Stadt und über die Hinrichtungen vertieft. Er sah die Häuser auf Der schmeckende Wurm dem kleinen Platz vor dem Federlhof und sah die Körbe voller Waren vor dem Geschäftseingang des Krämerladens des Herrn Schmiedhuber. Zufällig blickte er nach oben und bemerkte den eisernen Drachen. Plötzlich entdeckte er das bleiche Gesicht eines Mädchens. Salome saß am Fenster, sie sah sehr traurig aus. Der Student blieb wie angewurzelt stehen, doch nach kurzer Zeit verschwand Salome wieder. Der Student ging weiter, er begegnete Doktoren von der Universität und einigen bekannten Studienkollegen, aber er grüßte sie kaum, er hatte immer noch das Bild von Salome vor seinen Augen. Ihr trauriges, blasses Gesicht ging ihm nicht aus dem Sinn. Er fühlte sich zu diesem Mädchen hingezogen, es wuchs ein Gefühl der zarten Liebe. Mathias Schmidhuber stand in seinem Laden und bediente seine Kunden. Eine Bürgerin sprach ihn wegen Salome an, welcher er in seiner Wohnung Zuflucht gegeben hatte. Es sei nicht ungefährlich für ihn, wenn man Verwandte von Verurteilten beherberge, meinte sie. Der Krämer hörte die gut gemeinten Worte und das Gerede der anderen im Laden wartenden Kundinnen, da kam Salome über die Treppe in den Laden. Sofort verstummten die tratschenden Frauen. Sie grüßte freundlich und meinte zum Krämer, sie gehe ein wenig nach draußen, sie möchte die blühenden Blumen sehen. Im gleichen Augenblick kam der Student Georg herein, kaufte schnell einige unwichtige Sachen und eilte aus dem Laden, um Salome einzuholen. Aber er sah sie nicht mehr. So eilte er in den engen Gässchen umher, bis er sie doch noch im Grashof entdeckte. Sie lächelte ihn an und ging an ihm vorbei. Georg war sehr glücklich. Er ging heim in die Studentenburse und saß in seinem Zimmer, seine Gedanken kreisten nur um Salome. Auch Salome dachte an den Studenten. So verging einige Zeit, der Frühling zog ins Land. Salome und Georg trafen sich immer öfter im Krämerladen, er begleitete sie auf den Markt und überall hin. Er war glücklich, an ihrer Seite zu sein, auch sie genoss das Beisammensein immer mehr. Sie vergaß langsam, was ihr in ihrem jungen Leben bereits widerfahren war. Sie träumte von einer glücklichen Zeit, die für sie nun zu kommen schien. An einem wunderschönen Maitag trafen sich Salome und Georg in der Nähe der Universität, sie gingen Hand in Hand am Hafnerturm vorbei, weiter durch das Rotenturmtor in Richtung Uferplatz. Auf der Schlagbrücke, über der Donau, beugte sich Salome über das Geländer, um faszinier! das fließende Wasser zu beobachten. Georg hielt sie schützend am Arm und zog sie weg. Sic war über seine Fürsorge höchst beglückt. Fröhlich und singend lief sie voran. Nach einiger Zeit ergriff Salome Georgs Hand und sie kehrten beim Wirtshaus „Zum Fischtrühel" ein. Dort aßen sie gebratenen Fisch und tranken etwas Wein, den der Wirt aus den nahen Rieden des Bisambcrgs anbot. Als die Sonne unterging, waren sie wieder beim Krämerlade angekommen. Beim Abschied, Georg wollte sie an sich ziehen, flüsterte Salome ihr .len im 52 53 Der schmeckende Wurm verlegen ins Ohr, er möge recht gut schlafen. Sie sah ihn noch liebevoll an und verschwand im Hausflur. Ein leichter Lichtschein drang aus dem Fenster und beleuchtete die Schuppen des Blechwurms. Salome lief die finsteren Stiegen hinauf und traf Schmiedhuber, im schaukelnden Lehnstuhl sitzend, an. Der Student Georg stand noch lange in der Dunkelheit beim alten Regensbur-gerhof, schaute zu Salomes Fenster hinauf und war schon glücklich, wenn er den Schatten des Mädchens am Vorhang vorbeihuschen sah. Immerzu musste er in den folgenden Tagen an sie denken, ja er begann sogar sein Studium zu vernachlässigen. Nachts konnte er vor Sehnsucht nicht mehr schlafen, stundenlang blickte er ins Leere und flüsterte liebevoll ihren Namen. Er liebte zum ersten Mal in seinem jungen Leben. So verging der Frühling, der Sommer kam. Die Tage in der Stadt wurden durch die Hitze immer unerträglicher. Salome und Georg trafen sich wieder und wanderten aus der Stadt ins Grüne. Georg war sehr schweigsam, Salome schaute in sein müdes Gesicht und fragte ihn, ob ihn etwas bedrücke. Er sagte nichts, nahm nur ihre Hand und führte sie zu seiner Wange. Salome unterdrückte ihre plötzlich aufkeimende Angst, indem sie ununterbrochen plauderte und Tausende Dinge erzählte. Als Georg aber trotzdem schwieg und kein bisschen fröhlich wurde, warf Salome sich an seine Brust, umschlang ihn liebevoll und küsste ihn zärtlich. Sie kamen zu einer Wiese, Schmetterlinge flogen und Bienen tummelten sich von Blume zu Blume. Salome nahm Brot, Käse und Wein aus ihrem Korb, sie aßen und tranken. Sie legten sich ins Gras und betrachteten den tiefblauen Himmel, die zwitschernden Vögel. Doch plötzlich hatten sie all dies vergessen und umarmten sich stürmisch. Sie spürte seine Leidenschaft, es ergriff sie maßlose Angst, sie stieß ihn von sich, sprang auf und lief davon. Als Georg begriff, was passiert war, war Salome verschwunden. Schließlich fand er sie still sitzend auf einem Wiesenfleck. Sie lächelte ihn an und bat ihn um Verzeihung. Hand in Hand traten sie schweigend den Heimweg an. Er fühlte sich schuldig, er hatte Angst, sie für immer verloren zu haben. Als sie sich verabschiedeten, war Salomes Kuss auf Georgs Wange etwas kühl. Sie vereinbarten ein neuerliches Treffen, doch Salome erschien nicht. Es wurde schon finster und Georg wartete noch immer, aber sie kam nicht. Er sah noch in der Dunkelheit zum hässlichen Drachen unter Salomes Fenster hinauf und ging zornig nach Hause, es war inzwischen Mitternacht geworden. In seinem Zimmer angekommen, verspürte er Traurigkeit, Enttäuschung und Verzweiflung. Da hörte er plötzlich ein leises Klopfen an seiner Türe. Er sprang auf und öffnete - da stand Salome, an die kalte Steinmauer gelehnt im finsteren Flur, blass und zitternd. Georg nahm sie an der Hand und führte das weinende Mädchen in sein Zimmer. Der schmeckende Wurm Als sie neben ihm saß, sprach sie: „Ich hatte plötzlich solche Angst vor dir, ich wollte dich nie wiedersehen, damit ich dich nicht unglücklich mache. Ich bin so allein, ich hab' nur dich und ich hab' dich so lieb!" Tränen rannen über ihre Wangen, Georg küsste sie weg und zog sie an sich. Sie ließ es geschehen. Sie fühlte sich geborgen und verstanden. Er aber verstand sie nicht, er griff gierig nach ihrem Körper. Erschrocken erkannte Salome sein egoistisches ■Verlangen. Sie entwand sich seiner Umarmung, stieß ihn von sich, Seil merz und Verachtung traten auf ihre Lippen. Georg erkannte den Zustand Salomes nicht. Seine Züge wurden plötzlich hart und eisig und er bal sie zu gehen. Salome stand sofort auf und ging. Sie taumelte die Stufen hinab und ging wie eine Verirrte durch die dunkle Nacht. Sie setzte sich ermattet auf den Steinboden in einer dunklen Straßenecke und sprach: „Wenn es dein Wille ist, so geschehe mit mir, was sein soll!" Der Sommer zog vorüber. Georg musste seinen Platz in der Burse räumen und zog zu einem Verwandten auf den Salzgries. Kr konnte Salome nicht vergessen, er liebte sie noch immer. Er konnte nicht begreifen, warum sich Salome nicht mehr zeigte. An ihrem Geburtstag, am 15. September, besorgte er einen riesigen Strauß Blumen. Er ging die Fischerstiege empor, überquerte den Hohen Markt und ging in die Bäckerstraße mm Laden Schmiedhubers. Er fragte nach Salome. „Die ist schon lange fort", sagte der Krämer, „eines Abends ist sie außer Haus gegangen und nicht mehr heimgekommen. Ich weiß nicht, wo sie ist!" Er drehte sich um und arbeitete weiter in seinem Laden. Da erkannte Georg plötzlich, was er angerichtet hatte, als er Salome von sich gewiesen hatte. Er lief auf die Straße und blickte zu Salomes Fenster hinauf, wo er so oft ihr liebliches Gesichtchen gesehen hatte. Aber da war nur der blecherne Drache mit seinem grässlichen Blick, den Rachen weit aufgerissen. Georg kletterte zu dem Untier empor und steckte den Blumenstrauß in dessen Maul. Wieder alleine in seinem Zimmer, überkam ihn tiefer Schmerz. Er warf sich auf den Boden und hämmerte gegen seine Brust. Die Menschen, die am Laden Schmiedhubers vorbeikamen, sahen, wie der Drache zufrieden an den Blumen fraß. Sie blieben stehen und lachten. Keiner ahnte, welche Tragödie sich dahinter verbarg. Sic riefen: „Seht doch den Drachenwurm, es schmeckt ihm der Strauß!" Von dieser Zeit an hieß das Krämerladenhaus, das Haus Bäckerstraße 2, Zum schmeckenden Wurm. 54 55