In der Not frisst der Teufel Fliegen Boden liegen. Hans schauderte es, er brüllte bis die Nachbarn herbeiliefen und ihn losbanden. Er fühlte sich elend und wurde bewusstlos. Als er wieder zu sich kam, hörte er, dass sein böses Weib inzwischen bereits begraben wurde. Nach einiger Zeit gesundete Hans wieder, er hatte viel Geld von Dorothea geerbt und konnte es sich fortan wieder gut gehen lassen, essen und trinken, was immer ihm schmeckte! Eines Tages trat der Teufel in Jägergestalt in seine Stube und sprach: „Ich habe mein Wort gehalten und Euch von Eurem bösen Weib befreit!", auch erzählte der Teufel, wie schlecht es ihm bei Dorothea ergangen war. Hans hielt sich seinen Bauch vor Lachen und sagte zum Teufel: „Ich bin richtig froh, dass ich das alles nicht erleben musste, schönen Dank! Aber jetzt haben wir wohl miteinander nichts mehr zu tun!" „Ihr vergesst den Pakt, mein Lieber!", sagte der Teufel. „Ihr habt mein holdes Weib ums Leben gebracht, somit gilt der Pakt nicht mehr, schert Euch zum Teufel!" Der Teufel Junker Abandon ärgerte sich, er sah, wie dumm er gewesen war! Er fuhr zornig, stinkend nach Schwefel, zur Hölle. Hans Tüftler wurde von da an ein rechtschaffener, ordentlicher Mensch. Er heiratete eine junge Frau, mit der er ein glückliches Leben führte. Oft noch erzählte er seinen Freunden, wie der Teufel so in arge Not kam, dass er Fliegen fressen musste! Auf einiges Zureden seiner Bekannten ließ er eine Wandtafel an seinem Hause anbringen, auf der die Geschichte beschrieben wurde. Auch heute kennen die Wiener noch das Sprichwort vom Teufel, der in der Not Fliegen frisst. T Küss den Pfennig! Vor mehreren hundert Jahren gab's in der Rotcnturmstraße ein Gasthaus „Zum schwarzen Adler". Der Besitzer war Hans Wangler. Es war eine einfache Schenke, die Frau des Wirtes kochte gutes, schmackhaftes Essen. Der etwa zwanzigjährige Sohn Josefund der Wirt bedienten im Schankraum die Gäste. Eine arme Verwandte des Wirtes, ein bildhübsches Mädchen mit dem Namen Marie, arbeitete ebenfalls fleißig mit. In dem Gasthaus verkehrten viele Leute und der Wirt machte gute Geschäfte. Er hatte schon einige Ersparnisse zurückgelegt, er war, konnte man sagen, ein reicher Mann. Doch durch den Reichtum wurde er immer gieriger und härter in seinem Wesen. So verfügte er, sein Sohn solle eine reiche Wirtstochter zur Frau nehmen, um noch reicher zu werden. Küss den Pfennig! Es war an einem Samstagabend, Hans Wangler, der WTirt, zählte gerade seine Tageseinnahmen zusammen. Sein Sohn ordnete die Krüge und stellte sie in das Regal. Marie kehrte die Stube auf und reinigte die Tische. Am Sonntag, wenn die Gäste nach dem Kirchgang ins Gasthaus kamen, sollte alles wieder ordentlich aussehen. Obwohl Marie so tüchtig war, war der Wirt auch diesmal sehr garstig und grob zu ihr und sprach: „Du wirst nicht mehr lange hier sein! Du bist nichts und hast nichts und ich muss dich auch noch durchfüttern. Mein Josef wird bald eine reiche Braut heimführen und die wird dann die Wirtschaft übernehmen. Für dich ist dann kein Platz mehr, du musst dir dein Brot woanders verdienen!" Das traf Maria wie ein Donnerschlag. Sie würde ja fortgehen und einen anderen Posten würde sie ja finden, doch sie liebte Josef! Josef war ein anständiger Bursche, hatte ein gutes Herz und war Marie auch sehr zugetan. Er hatte schon beobachtet, wie böse sein Vater oft zu Marie war und jetzt hörte er, was der Vater zu ihr sprach. Er nahm sich vor, dem Vater reinen Wein einzuschenken und ihm zu sagen, dass er keine reiche Wirtstochter heiraten, sondern Marie zur Frau nehmen wollte. Plötzlich schlug in der Wirtsstube jemand mit der Faust auf einen der Tische. Alle drehten sich erschrocken um, denn in der Stube stand ein kleiner buckeliger Mann mit zerlumpter Kleidung. Er war nicht sehr alt, hatte aber schütteres Haupthaar. Der Wirt sah abschätzig zu ihm hin und fragte: „Was willst du Lump in meinem Wirtshaus? Verschwinde, für Bettler habe ich kein Geld, außerdem wird gleich zugesperrt!" Der Fremde antwortete: „Ich bin Student der Medizin, ich komme von weit her, ich möchte etwas essen und schlafen, ich hoffe, Ihr habt ein schönes Zimmer für mich!" Der Wirt antwortete voller Spott: „Und wer bezahlt das alles?" „Macht Euch keine Sorgen, seid nur etwas freundlicher zu mir. Ich habe genug Geld, dies alles zu bezahlen. Ihr könnt ein gutes Geschäft mit mir machen." „Das Geld muss ich erst sehen, erst dann gibt es etwas zu essen." Da mischte sich Marie, die ja anwesend war, in das Gespräch und sagte: „Herr Wangler, bitte schickt den armen Herrn doch nicht mitten in der Nacht weg, ich werde, wenn er nicht zahlen kann, mit meinem ersparten Geld seine Zeche begleichen." „Dummes Ding", sagte der Wirt, „für so einen dahergelaufenen Studenten Geld auszugeben! Aber meinetwegen, Hauptsache, ich kriege mein Geld! So soll er halt bleiben! Bring ihm Essen und dann zeige ihm sein Zimmer. Denke daran, du musst für ihn bezahlen!" „Der Herr Student wird schon bezahlen und mich nicht betrügen", antwortete Marie. 96 97 Küss den Pfennig! „Ich bin kein Betrüger, ich werde dich für dein Mitleid belohnen, du sollst glücklich werden", sagte der Student, „Wenn du einmal etwas brauchsl, frage ganz einfach nach Paracelsus und ich werde dir helfen." Nachdem der Student gegessen hatte, ging er auf sein Zimmer und es wurde ruhig im Hause. Die Tage vergingen, der Student aß und trank und schlief in seinem Zimmer. Vom Bezahlen hörte der Wirt nichts und er wurde immer unruhiger. Er ging zum Zimmer des Studenten, um ihm die Rechnung zu bringen. Auf dem Gang überraschte er seinen Sohn mit Marie im Gespräch. Da packte ihn der Zorn und er schrie: „Geh sofort in die Küche, Marie, tratschen statt zu arbeiten! Und du, Josef, du ziehst jetzt dein Sonntagsgewand an und gehst in die ,Grüne Weinrebe'. Dort bittest du den Rebenwirt um die Hand seiner Tochter! Ich habe schon alles besprochen, jetzt wird geheiratet! Nächste Woche ist Hochzeit!" Da sagte Josef zu seinem Vater: „Ich heirate nur Marie, oder ich heirate gar nicht!" Da wurde der Wirt rot vor Zorn und schrie: „Pack deine Sachen und verschwinde! Ab morgen wird jemand anderer als Marie die Wirtschaft führen und du kannst mit Marie am Neuen Markt betteln gehen." „Dann gehe ich eben mit Marie betteln, bevor ich die Tochter des Rebenwirtes heirate!" Der Wirt tobte und brüllte, vor Zorn wurde ihm ganz übel und er lehnte sich an die Wand. Da öffnete sich die Tür zum Zimmer des Gastes und Paracelsus trat heraus, er hatte die laute Unterredung mitgehört. Er sagte ruhig: „Herr Wirt, regt Euch doch nicht so sehr auf. Euer Josef und seine Marie sind tüchtige Menschen und wenn sie sich gern haben, da wird es schon gut werden!" Wangler wurde noch wütender: „Ihr kommt mir gerade rechl mil Eurem Spruch, Euretwegen bin ich heraufgegangen, da isl die Rechnung und wenn Ihr nicht sofort bezahlt, werfe ich Euch auf die Straße, dann könnt ihr zu dritt betteln gehen!" Paracelsus antwortete ruhig: „Ich bin Arzt und sehe, dass Ihr krank vor Geiz seid!" „Verspottet mich nicht, ich bin nicht krank, ich will nur, dass Ihr Eure Rechnung bezahlt." Da griff Paracelsus in seine Tasche und gab dem Wirt einen Pfennig aus Messing. „Da habt Ihr einstweilen eine Anzahlung, morgen zahle ich den Rest." Da wurde der Wirt noch zorniger, warf die Münze zu Boden und schrie: „Eure Rechnung macht fünf Gulden aus, Ihr seid ein Gauner, ein Schuldenmacher!" Er sah Marie an und sagte: „So einen schlechten Pfennig gibt er mir, aber ich schwöre, solange sich der Pfennig nicht in Gold verwandelt hat, kriegst du meinen Josef nicht zum Mann!" Das Küssdenpfennighaus in der ehemaligen Adlergasse. „Schwört Ihr das?", fragte Paracelsus. „So wahr ich hier stehe!", antwortete der Wirt. Daraufhin wieder Paracelsus: „Dann schaut den Pfennig doch genauer an!" 98 99 Küss den Pfennig! Der Wirt bückte sich und hob ein schweres Goldstück auf, viel wertvoller als die offene Rechnung. Da wurde der Wirt überschwänglich freundlich und bedankte sich. Paracelsus holte seinen Wanderstab und Mantel und sagte: „Ich hoffe, Ihr seid mit dieser Bezahlung gut entschädigt, aber vergesst nicht, was Ihr geschworen habt! Euer Sohn Josef und Marie müssen in einer Woche verheiratet sein, sonst verwandelt sich Euer ganzes Geld in Messing! Vergesst das nicht!" Sprach's, ging fort und ward in Wien nie mehr gesehen. Bald verbreitete sich in der Stadt die Nachricht vom goldenen Pfennig, die Leute kamen in Scharen, um ihn zu sehen. Der Wirt machte dadurch großen Gewinn, kein Gasthaus weit und breit war so gut besucht wie das seine. Das Goldstück aber hob er sorgfältig auf, jeden Tag küsste er es vor Freude. Seinen Schwur aber hatte er gehalten, Josef und Marie wurden ein glückliches Paar. Das Gasthaus hieß fortan „Zum Küss den Pfennig". Wangler ließ an seinem Haus ein Bild malen, auf dem man Paracelsus mit dem Pfennig sehen konnte, darunter befand sich folgende Inschrift: Der teure Theophrast, ein Alchimist vor allen, Kam einst in dieses Haus und konnte nicht bezahlen Die Zech, die er genoß. Er trauet seiner Kunst, Mit welcher er gewann viel großer Herren Gunst. Ein sicheres Gepräg von schlechtem Wert er nahm, Erklärte es als Gold. Der Wirt von ihm bekam Dies glänzende Metall. Er sagt: Nimm dieses hin; Ich zahl' ein Mehreres, als ich dir schuldig bin. Der Wirt ganz außer sich, bewundert solche Sach', Den Pfennig küss' ich, zu Theophrast er sprach. Von dieser Wundergeschicht, die in der Welt bekannt, Den Namen führt dies Haus, zum Küßdenpfennig genannt. Das Haus stand etwa bis zum Jahre 1880 in der Adlergasse 4. Auch dieser Straßenzug ist inzwischen verschwunden. Er ist in den Schwedenplatz einbezogen worden. T Martin Mur, der Teufelsschlosser oder der Stock im Eisen Um die Mitte des 15. Jahrhunderts gab es in Wien, in der lieutigen Seitenstetten-gasse, eine Werkstätte Zum Roten Turm, die ein ehrsamer Schlossermeister namens Erhard Marbacher führte. Meister Erhard hatte einen Lehrling, Martin Mur, der war ein anständiger und artiger Bursche. Er war ein tüchtiger Arbeiter und fleißig wie eine Biene. Deshalb mochte ihn auch jeder gut leiden. Nur der Altgeselle Kurt war ihm neidig, weil Martin geschickter und beim Meister beliebter war als er. Deshalb sann er Tag und Nacht darauf, dem Jungen ein Bein zu stellen. Bald sollte sich eine Gelegenheit dazu ergeben. Ein Geselle, der schon länger im Geschäft war, wurde freigesprochen, er hatte seine Lehrzeit beendet. So lud Kurt alle Gesellen zu einer fröhlichen Runde ein. Sie suchten eine Schenke im unteren Werth, der heutigen Leopoldstadt, auf. Es gab dort den besten Wein zu trinken. Beim Weggehen wurde Martin noch vom Meister dringend gewarnt, nicht zuviel von dem süffigen Wein zu trinken, trank er doch sonst keinen Tropfen. Auch gab er ihm den Auftrag, bei dem Gastwirt für gelieferte Schlosserarbeiten Geld einzuheben. Alle Gesellen hörten dies. Bald herrschte in der Schenke fröhliche Stimmung. Der Altgeselle prostete Martin immer wieder zu, sodass der junge Mann, der anfangs nur nippte, immer mehr Wein zu sich nahm. Bald begannen die Gesellen frohgemut mit einem Würfelspiel. Zunächst sah Martin beim Spielen zu, aber allmählich ließ er sich verleiten, auch mitzuspielen. Da betrat, von den Spielern unbemerkt, ein eigenartiger Gast den Raum. Er war bekleidet mit einem giftgrünen Oberteil, darüber einem kurzen schwarzen Seidenmantel mit einer roten Bordüre. Seine dünnen Beine steckten in gelben Halbstiefeln. Sein Gesicht war fahl, er hatte stechende Augen und eine krumme Nase. Das schief aufgesetzte Hütchen mit langer roter Feder machte ihn noch unheimlicher. Der seltsame Fremde stellte sich hinter Martin und forderte ihn immer wieder zu neuen Spielen auf. Verwirrt vom Weingenuss und vom ungewohnten Spiel, verlor Martin von Mal zu Mal mehr. Zuerst sein Gewonnenes, dann sein weniges Erspartes. Da dachte er, vom Teufel besessen, auch das ihm vom Meister anvertraute Geld, welches er eben vom Wirt eingenommen hatte, einzusetzen. Rascher, als er denken konnte, war auch dieses Geld verloren. Jetzt erst kam der arme Junge zur Besinnung und unter dröhnendem Gelächter des Altgesellen Kurt und der anderen Betrunkenen verließ er das Gasthaus. Es war inzwischen Nacht geworden und so irrte er zunächst orientierungslos durch die Donauauen und kam endlich vor das 100 101 Martin Mur, der Teufelsschlosser oder der Stock im Eisen Brückentor, welches in die Stadt führte. Nicht einmal für den Torwärter war ein Hellerlein geblieben, alles war vertrunken und verspielt. In seiner Not fing Martin an zu weinen. Plötzlich stand der seltsame Gast aus der Schenke neben ihm. „Ich will dir helfen", sagte dieser, „doch eines musst du mir versprechen, nach dem Tode musst du mir gehören!" Martin wusste sofort, dass dies der Teufel war. Nach kurzer Überlegung sagte er: „Ich nehme deine Hilfe an. Doch sollst du nur dann meine Seele haben, wenn ich in meinem weiteren Leben aus eigener Schuld eine Sonntagsmesse versäume!" Der Fremde war mit dem Handel einverstanden und gab Martin einen Beutel, darin war das verspielte Geld. Am nächsten Morgen erzählte der Altgeselle Kurt dem Meister, dass Martin das ganze Geld verspielt hatte. Bald daraufkam Martin in die Werkstatt und überreichte wortlos dem Meister das Geld. Erbost kündigte daraufhin der Meister dem Altgesellen die Arbeit und schalt ihn einen Lügner. Plötzlich kam der Fremde in den Raum. Er fragte, ob der Meister folgenden Auftrag erfüllen könne: Er müsse einem umgekehrten Baumstamm, welcher am Rossmarkt stehe, ein mächtiges Eisenband anlegen, das ihn über ein Schloss für immer an das dahinterliegende Haus ketten solle. Das Schloss müsse so gemacht werden, dass nur ein einziger Schlüssel passe. Meister Marbacher verneinte, auch die anderen Gesellen waren nicht bereit, diese Arbeit zu übernehmen. Einzig Martin sagte, ermutigt durch das Lächeln des Auffragsgebers, er wolle noch am selben Tag solch ein Schloss anfertigen. Noch vor dem Abend hatte Martin Mur das Eisenhand und das Schloss fertig und den Baumstamm an das Haus geschmiedet. Martin war mächtig stolz, keiner seiner Zunft hatte ja den schwierigen Auftrag annehmen wollen. Den einzigen passenden Schlüssel übergab er dem Fremden. Der warf ihn in die Lufl - doch der Schlüssel fiel nicht zu Boden! Bald verließ der eigenartige Fremde die Stadt. Aufgrund dieses meisterhaften Schlosses wurde Martin zum Gesellen ernannt und musste nach damaligem Brauch auf Wanderschaft gehen. Wohin er auch kam, eilte ihm der Ruf eines besonders tüchtigen und geschickten Schlossers voraus. Nur manch alter Meister fragte sich, wie ein so junges Bürschchen so klug und tüchtig sein konnte, und meinte, das ginge nicht mit rechten Dingen zu. Jahre vergingen und der Stadtrat in Wien ärgerte sich seit langem darüber, dass niemand das Schloss des fremden Bestellers öffnen konnte. Man versprach demjenigen, welcher einen passenden Schlüssel anfertigen könne, den Meisterbrief seiner Zunft. Just in diesen Tagen kehrte Martin Mur von seiner Wanderschaft in seine Heimatstadt zurück und erfuhr von der Sache. Noch am selben Tag beschloss er, die Arbeit zu beginnen. Doch bei jedem Versuch, den Schlüssel im Feuer zu schmieden, war der Bart daran verdreht. Er erkannte, der Böse steckte dahinter. Schlau, wie er war, setzte er nun den Bart verkehrt ins Feuer. Aus der Glut entnommen, war der Bart an der richtigen Martin Mur, der Teufelsschlosser oder der Stock im Eisen In der Ecknische des Palais Equitable zur Kärnlnerstraße ist der „Stock im Eisen" zu sehen. Hier auf einer Ansichtskarte um 1900, noch ohne Glasschutz. Stelle - er hatte den Teufel überlistet! Jetzt steckte Martin im Beisein der Stadlräte den Schlüssel rasch ins Schloss und im Handumdrehen war es offen! 102 103 Martin Mur, der Teufelsschlosser oder der Stock im Bisen T Meister Puchsbaum, der Turmbauer von St. Stephan Zum Andenken an dieses Ereignis schlug Marlin den ersten Nagel in den Baumstamm. Der Stadtrat verlieh ihm den Meisterbrief und sein ehemaliger Lehrmeister Marbacher gab ihm seine hübsche Tochter zur Frau. Auch weiterhin war der junge Schlossermeister sehr fleißig und geschickt. Unter anderem soll nach der Sage das prächtige Gittertor am Hochaltar vom Stephansdom von ihm geschmiedet worden sein. Martin Mur war ein braver Ehemann, hielt sich fern von Spiel und Wein und versäumte niemals die heilige Messe. Doch eines Tages, an einem Sonntag, hatte er sich von seinen Zunftgenossen zu einem Umtrunk im Wirtshaus „Zum steinernen Kleeblatt" in der Tuchlauben verleiten lassen. Der Wein stieg ihm zu Kopfe und er begann wieder mit dem Würfelspiel. Er vergaß darüber die Zeit und plötzlich hörte er die Turmuhr zwölf Uhr schlagen. Martin ließ Becher und Würfel fallen und rannte zum Dom. Hinter ihm, wie ein feuerroter Schatten, folgte der Böse. Als Martin bei der Kirche ankam, hatte der Priester gerade die letzten Worte der Messe gesprochen. Wie vom Blitz getroffen sank Martin vor dem Dom in sich zusammen. Am späten Nachmittag fand man auf dem Friedhof von St. Stephan den in Stücke gerissenen Leichnam. Zur Sühne dieses Schlossers besuchte in den späteren Jahren jeder Schlossergeselle, der nach Wien kam, eine Messe im Stephansdom und schlug einen Nagel in den umgekehrten Baumstrunk, der auf dem Rossmarkt ans Haus geschmiedet war. Noch heute ist der Stock im Eisen mit seinen vielen Nägeln in einer Nische am Hause Kärntnerstraße 2 zu sehen und erinnert uns an die Sage von Martin Mur, dem Teufelsschlosser. Der Platz, von dem der Graben, die Kärntner- und die Singcrslraße abgehen, heißt heute noch Stock-im-Eisen-Platz. Meister Puchsbaum, der Turmbauer von St. Stephan Es war um die Mitte des 15. Jahrhunderts. Hans Puchsbaum leitete unter zwei Dombaumeistern, zuerst unter Peter und später unter Hans von Prachatitz, den Bau als erster Werkmeister. Er war den beiden ein treuer Diener, ein rastlos tätiger Mann, der seine schwere Arbeit vorzüglich erledigte. Nun hatte sein zweiter Herr, Hans von Prachatitz, eine sehr schöne Tochter, die tugendhafte Marie. Um diese warb nun Hans Puchsbaum bei ihrem Vater. Doch dem Meister war dies gar nicht recht. Er wollte für seine Tochter nicht so einen einfachen Bewerber. Er wollte ihn aber, da er ihn als fleißigen und geschickten Arbeiter doch sehr schätzte, nicht brüsk abweisen und ersann eine neue Arbeit für ihn, wohl wissend, dass diese unlösbar sein würde: Er würde ihm seine Tochter zur Frau geben, wenn er binnen Jahresfrist den Nordturm errichtete. Wie vom Blitz getroffen ging der junge Mann von dannen, denn auch er erkannte die Unlösbarkeit des Auftrages. Tief betrübt ging er zu seiner Arbeitsstätte, zum Dom zurück. Er starrte entmutigt auf die gespensterhaft aufgestapelten Steinblöcke im Mondeslicht, es war inzwischen Nacht geworden. Er fühlte sich wie in einen bösen Traum versetzt. Doch plötzlich stand eine sonderbare Gestalt vor ihm. Ein düster grinsender Mann sprach ihn an: „Warum so traurig, junger Geselle?" Erschreckt antwortete Puchsbaum: „Was wollt Ihr von mir und wer seid Ihr?" „Was ich will? Die Tochter deines Meisters will ich dir zur Frau geben und, wer ich bin, fragst du? Nun ich bin, so sagt man bei euch Erdenmenschen, der Fürst der Hölle, andere nennen mich nur Teufel!" „Schrecklicher! Geh weg von mir und lass mich in Frieden, was hast du hier zu schaffen?", rief entsetzt der junge Mann. „Du hast schon recht, zu schaffen habe ich hier nichts, nur kann ich den zweiten Turm aufbauen, und wenn es sein muss, auch binnen Jahresfrist. Du musst nur wollen, dann helfe ich dir und du kannst deine geliebte Frau nach einem Jahr heimführen." Das Herz schnürte es dem jungen Mann zusammen, er konnte kaum einen vernünftigen Gedanken fassen. Aber die Versuchung war zu stark und der Unglückliche konnte nicht widerstehen: „Was verlangst du von mir, wenn ich es will, um meine Braut zu bekommen?" „Nicht allzu viel", erwiderte der Teufel, „Du musst mir nur versprechen, nie wieder den Namen Gottes auszusprechen, noch den der Heiligen Jungfrau, noch den irgendwelcher Heiligen! In eine Kirche darfst du auch nicht gehen, ebenso nie wieder beten, sonst verlange ich nichts!" „Und, wenn ich es dir verspreche?" „Dann baue ich den Turm!" „Gut, so sei es!", rief Puchsbaum und verschrieb sich damit der Hölle. Von dieser Stunde an wuchs der zweite Turm stetig in die Höhe. Giebel für Giebel entstand, Türmchen um Türmchen schmiegte sich an den Turmrumpf in Windeseile. Die Wiener wunderten sich sehr, hatte doch der Südturm viele Jahrzehnte gebraucht, bis er vollendet war. Viele Leute sagten, das ginge nicht mit rechten Dingen zu! Alleine Puchsbaum sah voller Hoffnung dem unheimlichen Treiben zu. Doch ganz wohl war ihm in seiner Haut nicht. Es blieb die Reue nicht aus, sein Gemüt 104 105 Meister Puchsbaum, der Turmbauer von St. Stephan verdüsterte sich von Tag zu Tag mehr, er vernachlässigte seine Freunde und zog sich immer mehr zurück. Manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlte, weinte er. Er hatte Gott verlassen und war ein Diener des Bösen geworden! Eines Abends stieg er noch spät auf das Baugerüst empor, um nach dem Rechten zu sehen. Es war so finster, wie in jener Nacht, in der er den Pakt geschlossen hatte. Da war ihm plötzlich, als sähe er eine weiße Gestalt bei einem Pfeiler stehen, war sie es wirklich, seine Braut? Unwillkürlich rief er mit lauter Stimme: „Maria, bist du es?" Er hatte in seiner Überraschung sein Versprechen, nie mehr den Namen der Jungfrau Maria oder sonstiger Heiligen auszusprechen, vergessen. Im selben Augenblick hatte ihn schon der Böse ergriffen und unter schauerlichem Gelächter vom Gerüst in den Abgrund gestoßen. Der Teufel hatte ihm die liebliche Gestalt seiner Braut nur vorgetäuscht und so eine Falle gestellt. Der Bau des zweiten Turmes wurde von dieser Stunde an eingestellt und blieb unvollendet bis zum heutigen Tag. Soweit die schöne Sage. Die Geschichte weiß es anders. Hans Puchsbaum starb nach einem erfüllten Leben, reich an Ehren, um 1454 eines ganz natürlichen Todes. Der Bau des Nordturmes wurde im Jahre 151t aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt. Am Fuße der Kanzel im Stephansdom befindet sich, in Stein gemeißelt, das Bild des Domhaumeisters Anton Pilgram, der sogenannte Fenstergucker. Ludwig Bechslein meinte noch um 1850, dieses Bildnis zeige Hans Puchsbaum. Die Sage von der gespenstigen Katze Wo heute der Seitenstettenhof sein Gemäuer erhebt, stand einst ein niedriges Klosterhaus und ihm gegenüber stand ein bürgerliches dreistöckiges Gebäude, mit einem Turm versehen, auf dessen Spitze eine Wetterfahne angebracht war. Diese Wetterfahne war, besonders in stürmischen Nächten, für die Bewohner ein großes Ärgernis. Das laute Klappern und Quietschen raubte allen Bewohnern in weitem Umkreis den Schlaf. Wenn dann auch noch das heisere Krächzen und Miauen herumstreunender Katzen hinzukam, war das Höllenkonzert unerträglich. Dieses Haus mit dem Turm war vor langer Zeit Sitz eines Fürsten und von diesem Hause erzählt man sich eine schaurige Sage: Der edle Besitzer war wegen seiner lockeren Sitten, er war dem Trunk, aber auch dem weiblichen Geschlecht ergeben, bekannt. Er hatte ein ihm treu ergebenes Weib, das natürlich sehr unglücklich war. Der üble Mann hatte eines Tages die Bekanntschaft eines zweifelhaften Weibes gemacht. Er und diese ruchlose Dirne fassten den schändlichen Plan, das Eheweib, welches von alledem nichts ahnte, heimlich aus dem Weg zu schaffen. Das Weib übernahm die Ausführung der Schandtat. Sie wollte die Frau vergiften. Sie bereitete eine tödliche Speise, wozu sie zusätzlich zu verschiedensten Giften auch Katzenmark nahm. In der Vorzeit galt dies als besonders todbringend. Diese Speise sollte der Edelfrau bei Gelegenheit verabreicht werden. Doch die Vorsehung vereitelte das Vorhaben, indem sie die Speisen vertauschte, sodass das giftgeschwängerte Mal der Mörderin vorgesetzt wurde. Mit Schrecken, aber zu spät, bemerkte der Edelmann die Verwechslung. Das Gift entzündete zunächst das Gehirn der nun unabsichtlich zur Selbstmörderin Gewordenen und zwar in der Weise, dass sie glaubte, sie sei eine Katze. Sie lief auf allen Vieren durchs Haus, und nicht nur im Haus lief sie, Katzengeschrei nachahmend, umher, sondern kletterte auch auf das Dach des Hauses und weiter von Giebel zu Giebel. Sie machte sogar einen Salto mortale über die schmale Gasse vor dem Haus. Vergebens wandte der, sein ganzes Unrecht nun erkennende, Edelmann alle erdenklichen Mittel an, den Wahnsinn zu beenden. Die Tollheit wurde von Tag zu Tag ärger und endete erst, als die Giftmischerin von der höchsten Turmspitze des Hauses in den Hof des Gebäudes stürzte und sich dabei das Genick brach. Die Gasse, in der sich dieses Haus befand und sich alles ereignete, hieß fortan Katzensteig. Mit dem Tod des bösen Weibes endet übrigens die Sage nicht. Sie lässt die Gestalt der Katze noch weiterhin im Hause erscheinen, was solange geschehen soll, bis kein Stein des Gebäudes mehr auf dem anderen steht. 106 107 Die Sage von der gespenstigen Katze T Das Katzensteigtor um 1842, Aquarell. Nach einer weiteren Version hatte der Katzensteig seinen Namen von der sogenannten Beißkatze. Es wurden nämlich im Mittelalter, sogar bis ins 17. Jahrhundert, jene Weiber, die sich gezankt und geschlagen hatten, zur Strafe auf einem öffentlichen Markte mit den Köpfen auf Nasenlänge zueinander in einen Kasten gesteckt, nur die Köpfe waren zu sehen. Wenn sich diese Frauen dann endlich müde geschimpft hatten und ruhig wurden, ließ man sie wieder heraus. Der Spott war ihnen bis zum Ende ihrer Tage sicher. Diese Strafe nannte man Beißkatze und der Büttel, welcher damit beauftragt wurde, den Katzenbeißer. Diese Exekutionen sollen in der Nähe des Kienmarktes, der in unmittelbarer Nähe des Katzensteigs lag, vollzogen worden sein. [An der Stelle dieses Hauses stand Aaslt1 Thor am Katzensteig, ein Thell der II; j ürawallung zur Zeit der Babenber£er. |J Abgebrochen im Jahre 1825. J\ I Eine Erinnerungstafel in der Seitenstettengasse. Schab den Rüssel Es ereignete sich wohl vor Hunderten von Jahren. In der Stadt lebte mehr recht als [schlecht ein Bettler. Tagein, tagaus bat er um Almosen, einmal vor dieser Kirche, dann wieder vor einer anderen, dann an einer belebten Straßenecke, dann vor einer Gastschenke. Als er vor dem Eingangstor zur Peterskirchc wieder erfolglos bettelte, keiner der Kirchgänger würdigte ihn eines Blickes, niemand gab ihm auch nur eine Kupfermünze, es waren wohl zu viele Bettler in der Stadt unterwegs, die Leute waren schon zu abgestumpft, wollte er missmutig zum Riesentor des Stephansdomes wechseln. Ein kleines, hinkendes Männlein folgte ihm und sprach: „Du bist wohl unzufrieden mit der Freigiebigkeit der Wiener, aber ich will dir helfen!" Misstrauisch betrachtete der Bettler den kleinen Mann. Der war eigenartig gekleidet, er trug einen grünen Samtumhang und eine blutrote Feder zierte seinen spitzen Hut. Das Männlein zog eine kleine Raspel aus seinem Wams hervor und sagte: „Sieh dieses Wunderding, wenn du es an deine Lippen führst und sagst .Schab den Rüssel!', so bekommst du jedes Mal ein Goldstück. Ich zeig es Dir!" Der Kleine machte es dem Bettler vor und tatsächlich fiel ein Goldstück zu Boden, welches der Bettler gierig aufnahm und prüfte. „Willst du es nicht selbst probieren?" So nahm der Bettler die Raspel zur Hand, sprach den Spruch und schob die Raspel über seine Lippen. Die schmerzten ein wenig, doch der Lohn in Form des Goldstückes ließ ihn die Schmerzen vergessen. „Wie lange funktioniert das?", fragte der Bettler. „So oft und so lange du willst. Auch hat das Ding noch eine zweite Zauberkraft. Wenn dich jemand ärgert, so brauchst du nur den Spruch zu sagen und dieser Person werden die Lippen geschabt! Willst du die Raspel haben?" „Ja sicher, aber was verlangst du dafür, ich habe ja keinen Besitz!" „Du gibst mir nach sieben Jahren deine Seele, mehr will ich nicht." Da erkannte der Bettler, mit wem er es da zu tun hatte, doch sieben Jahre in Reichtum zu leben, waren ihm eine zu große Verlockung. „Der Handel gilt", sprach der Bettler, der Fremde verschwand augenblicklich so unbemerkt, wie er zuvor gekommen war. Nun begann für den Mann eine unbeschreibliche Zeit des Genießens, Prassens, und Völlerns. Er wurde von Tag zu Tag reicher und hatte plötzlich eine immer größere Zahl an Freunden, die er natürlich aufs Beste bewirtete. Er bezog ein schönes Haus am Rabensteig und lebte fortan unbeschwert. Aus dem einstigen Bettler war ein vornehmer Herr geworden und ob seiner Freigiebigkeit war er sehr beliebt. 108 109 Schab den Rüssel Lediglich seine Lippen wurden immer mehr strapaziert, oft bluteten sie und sein Mund glich mit der Zeit immer mehr einem Rüssel, geschwollen war sein ganzes Gesicht. Spottete ihn aber jemand wegen seines Aussehens aus, so sprach er den Zauberspruch und dem Spötter verging augenblicklich das Lästern, so schmerzhaft war die Strafe durch die Raspel. Diesen Spruch machten die Wiener zu seinem Namen, er hieß fortan bei allen der Schabdenrüssel. Als er eines Abends in seinem Hause wieder ein lukullisches Mahl einnahm, stand plötzlich jenes kleine Männchen mit der roten Feder am Hut in seinem Zimmer. „Guter Freund, erinnerst du dich an unsere Abmachung? Sieben Jahre sind nun vorüber, jetzt bist du mein, deine Seele gehört ab heute mir! Du folgst mir auf der Stelle in die Hölle!" Dazu hatte der Mann aber absolut keine Lust, zu schön war es jetzt auf der Welt. Schnell holte er die Raspel hervor und sprach: „Schab den Rüssel!" Schon glitt die Raspel über die Lippen des Teufels und der wand sich vor Schmerzen. Es gelang ihm nicht, das Zauberstück von seinem Mund zu reißen. Voll Pein hüpfte er im Zimmer hin und her! Schadenfroh beobachtete der Mann das Schauspiel, schließlich sagte er zum Teufel: „Wenn du mir meine Seele lässt, befreie ich dich von der Raspel, du musst Schab den Rüssel aber augenblicklich zur Hölle fahren! Schwörst du es?" „Ja, ja, ja ich schwör's!" Der Mann nahm daraufhin die Raspel zu sich und der Teufel verschwand auf der Stelle, hinterließ nur eine mächtig stinkende Schwefelwolke. Der einstige Bettler lebte noch viele Jahre und genoss seinen Reichtum als angesehener Bürger. Er konnte stolz behaupten, den Teufel mit seiner eigenen Waffe geschlagen und überlistet zu haben. Stoß im Himmel Ein Ausschnitt aus dem Stadtplan von Augustin Hirschvogel aus dem Jahre 155/. Rechts vom Rotenturmtor ist das Anwesen Schabenrüsl zu erkennen. Vor vielen Jahren lebte in Wien eine hochmütige und überaus eitle Frau. Sie trieb einen unerhörten Luxus, saß den ganzen Tag vor dem Spiegel, um sich stets in neue Kleider aus schönsten Stoffen zu hüllen. Sie vernachlässigte darüber ihre Haushaltspflichtcn und versäumte vor allem den Kirchgang. Stets versuchte sie, ihre Mitbürgerinnen an Putz und Flitter zu überbieten. Eines Tages ging sie an einem Bildnis der Mutter Gottes vorüber und - welch ungeheurer Frevel! - spottete über deren einfaches Gewand. Ja, sie meinle sogar, sie könnte die Himmelskönigin zu einem Wettstreit in Kleiderpracht herausfordern. Dieser entsetzliche Hochmut schrie zum Himmel und die Heilige Jungfrau wendete ihr Antlitz von der Tiefgefallenen ab. In der folgenden Nacht erreichte die Gottlose die Strafe für ihren Hochmut: Es klopfte um die zwölfte Stunde ein später Gast an ihre Zimmertürc. Sie öffnete und eine in Lumpen gehüllte Bettlerin stand vor ihr. Die eitle Frau wollte sie augenblicklich von ihrer Schwelle stoßen. Doch diese ließ sich nicht abweisen, erhob ihren Krückstock wie ein Zepter und sprach mit der Würde einer Königin: „Armselige, was bist du denn für eine Bettlerin! Was sollen denn diese Lumpen sagen, die du da in deinen Schränken angehäuft hast? Die sind doch absolut wertlos! Ich bin hier, um dir ein wirklich kostbares Gewand anzubieten, ein so schönes, wie keine Königin es jemals getragen hat. Willst du es haben?" Die eitle Frau wurde böse, als sie die Bettlerin so sprechen hörte. „Unverschämte!", rief sie, „so wie du aussiehst, kannst du gar kein edles Gewand besitzen, fort aus meinem Hause, Lügnerin!" Die Alte lächelte und entnahm ihrem Korb ein in Gold und Samt schimmerndes Kleid und einen Schleier, in dessen Gewebe die Sterne des Himmels eingeschlossen schienen. Auch lagen ein güldener Gürtel und glänzende Schuhe im Korb. Keine Fürstin hat solchen Prunk je gesehen! Stoß im Himmel An der Außenfassade des Alten Rathauses, Ecke Wipplingerstraße/Stoß im Himmel, befindet sich ein Wappenengel aus dem Jahre 1440, mit den Wappen Österreichs und Wiens. Als die eitle Frau das sah, fiel sie der Alten zu Füßen und beschwor sie, sie möge ihr das Gewand überlassen, sie gebe ihr dafür alles, was sie habe! Stoß im Himmel Die Alte richtete einen finsteren Blick auf die Kniende und sagte nur; „Sieh doch, du hast ja nichts mehr, du hast alles bereits für deine Putzsucht ausgegeben, du hast doch schon alles vergeudet!" „Leider stimmt das", gestand die Eitle, „doch ich will alles, was ich noch besitze, veräußern und zu Gold machen, dieses Gewand muss ich unbedingt haben!" „Ich will dir einen Vorschlag machen, mir liegt an deinem Gold nichts, ich habe selbst genug davon. Ich will dir das Gewand borgen, drei Tage und drei Nächte lang. Du gibst mir als Lohn das, was in der dritten Mitternacht von dem Kleide bedeckt sein wird!" Die eitle Frau verstand zwar die Worte der Bettlerin nicht so richtig, aber sie willigte ein und versprach alles, was verlangt wurde. Die folgenden Tage und Nächte war sie in ihrem Prunkkleid Mittelpunkt der ganzen Stadt. Alle Damen und selbst die Fürstinnen bewunderten sie. Niemand hatte je ein solch kostbares Kleid gesehen, solch kunstvolle Stickereien, solch wertvollen Samt. Als die dritte Mitternachtsstunde herankam, saß die Hrau und dachte über die eigenartige Forderung der alten Bettlerin nach. Je länger sie nachsann, desto klarer wurde ihr die versteckte Forderung, auf die sie eingegangen war. Jetzt, da die Mitternacht herannahte, begriff sie und voll Entsetzen wollte sie das Kleid ausziehen. Aber das Kleid saß wie angegossen an ihrem Körper, sie konnte es nicht ausziehen, auch nicht in Stücke reißen! Vergeblich! Das Kleid konnte nicht von der Welt sein, es war wohl höllischen Ursprungs! Die Unglückliche rannte in ihrem Zimmer auf und ab, die Stunde der Mitternacht kam heran. Da saß sie nun, aufgeputzt wie eine Königin, aber jammernd wie eine Bettlerin. Die zwölfte Stunde schlug und schon stand die Alte in der Tür. „Mein Schätzchen, du hast mir zum Lohne versprochen, was um diese Stunde von meinem Kleid bedeckt sein wird, gehört mir. Das bist du, mein Kind, du bist somit mein!" Die Alte verwandelte sich augenblicklich in den Teufel, der Samt des Kleides wurde zu Blut, die Goldstickerei zu Feuer. Schon streckte der Teufel die Hand nach der Verlorenen aus, als ein plötzlicher Stoß sie ihm entriss! Das brennende Kleid fiel ab und in einem weißen Gewand wurde die Sünderin in den Himmel gehoben. Die heilige Barbara rettete sie. Das Kreuzchen und das Bild ihrer Schutzheiligen ruhten unter dem höllischen Gewände auf der Brust der Sünderin, sie hätten demnach auch dem Fürsten der Finsternis gehören müssen. Das Bild der Schutzheiligen rettete die eitle Frau. Die heilige Barbara gab der Schutzbefohlenen gleichsam einen „Stoß in den Himmel". Die eitle Frau tat nun Buße, ging in ein Kloster und wurde, nachdem sie fortan ein mustergültiges Leben führte und aller Eitelkeit entsagte, in Frieden zu den Geretteten aufgenommen. 112 113 Wo der Teufel mit der Bognerin rauft Im 16. Jahrhundert wohnte in Wien in der Bognergasse 3 ein friedlicher, stiller Handwerker namens Kaspar Pergauer mit seinem zänkischen Weibe Ursula. Er hatte sie wegen ihrer Schönheit und vor allem wegen ihrer guten Mitgift geheiratet. Es dauerte aber nicht lange, schon kurz nach der Hochzeit wurde Ursula immer launischer und bösartiger, sie beschimpfte Kaspar schon morgens und es endete erst mit dem Schlafengehen. Kam er manchmal ein wenig später aus der Schenke, gab es sogar Prügel. Es wurde von Tag zu Tag schlimmer. Kaspar verrichtete nur mehr missmutig und schweigsam seine Bognerarbeiten. Er mied aus Scham seine Freunde, die damals versucht hatten, ihn abzuhalten, Ursula zu heiraten. Er verlor auch noch seine Gesellen, die das Gestreite in seiner Werkstatt nicht mehr aushielten. Eines Tages saß Pergauer auf dem Petersfriedhof und dachte nach, wie er seines zänkischen Weibes wieder Herr werden könnte. Händeringend rief er: „Wäre ich zu verdammen, wenn ich die Macht des Bösen anriefe? Bleibt mir ein anderer Ausweg?" Da zerriss ein gellendes, unheimliches Lachen die Stille des Friedhofs und plötzlich stand der Höllenfürst vor dem armen Bogner. Dem stockte fast der Atem vor Angst und beißendem Schwefelgestank. „Hier bin ich", sagte der Teufel, „ich kann dir sicher helfen! Es ist wohl dein Weiblein, das dir zu schaffen macht! Ich verspreche dir, ich werde das Problem für dich lösen. Du musst mir dafür nur deine Seele verschreiben." Schnell waren Pergament und Feder zur Stelle. Der Bognermeister unterschrieb den Vertrag mit einem Blutstropfen anstelle von Tinte. Der Teufel würde nun in Gestalt des Bogners die Frau geradebiegen, so lautete der Vertrag. Kaum war am nächsten Morgen die Sonne aufgegangen, schlich sich der so veränderte Teufel in Pergauers Haus. Er begab sich zu der noch schlummernden Ursula, beugte sich über sie und wollte sie küssen. Blitzschnell fuhr die Bognerin in die Höhe und verpasste dem Teufel unter lauten Schreien und Flüchen einige feste Schläge ins Gesicht. Das wurde selbst dem Teufel zu viel und er schrie: „Halt ein, du furchtbares Weib, wie redest du denn mit mir? So kann es nicht weitergehen, schweig, ich bin der Herr in diesem Hause!" Kaum hatte der Teufel die letzten Worte gesprochen, schnappte die zornige Bognerin die Bettflasche und goss dem Teufel das heiße Wasser über den Kopf. Einige Schläge mit der harten Flasche folgten obendrein. Das war selbst dem Teufel zu viel! Er verwandelte sich vor den Augen der Tobenden in seine fürchterlichste Gestalt. Seine Augen glühten und sein Atem hüllte den ganzen Raum mit Schwefelgestank ein. Davon wenig beeindruckt, packte die Furie von Bognerin Wo der Teufel mit der Bognerin rauft Die Bognerstraße ist die Verbindungsgasse vom Platz Am Hof zum Graben, eine Ansichtskarte von etwa 1920. 114 115