Märtyrer ■ Personen Willy Batzier (Direktor) Erika Roth (Biologie, Chemie, Erdkunde) Markus Dörflinger (Geschichte, Sport) Pfarrer Dieter Menrath (Religion) Benjamin Südel (Schüler) Inge Südel (seine Mutter) Georg Hansen (Schüler) Lydia Weber (Schülerin) i. Entschuldigung Südel Deine Lehrerin hat angerufen. Nichts, Willst du mir was sagen? Benjamin Nein. Südel Warum können wir nicht mehr reden, so wie früher? Benjamin Wir konnten nie reden. Ich hab dich angelogen, damit du nicht traurig bist. Südel Deine Lehrerin sagt, du bist die letzten Wochen nicht zum Unterricht erschienen. Benjamin Das stimmt nicht. Nur zum Schwimmen nicht. Südel Warum? Benjamin zuckt die Schultern. Du hast anscheinend gesagt, du hast Nebenhöhlenentzündung. Benjamin Ich weiß. Südel Hast du Nebenhöhlenentzündung ? Benjamin zuckt die Schultern. Warum erzählst du so was? Benjamin zuckt die Schultern. Sind es Drogen? Benjamin schaut. Nimmst du Drogen, Benjamin? Benjamin lacht kurz. Ich hab deiner Lehrerin versprechen müssen, dass du nächste Woche wieder hingehst. Benjamin Ich geh nie wieder hin. Südel Warum ? Was ist passiert ? Benjamin Nichts. Södel Ärgern dich die andern Kinder? Benjamin Das sind keine Kinder. Schreibst du mir eine Entschuldigung? Südel Wahrscheinlich. Aber ich muss wissen, warum. Benjamin zuckt die Schultern. Was soll ich reinschreiben? Nebenhöhlen sinds nicht. Benjamin Ich finds halt eklig, warum muss ich das erklären? Südel Weil du willst, dass ich dir eine Entschuldigung schreibe. Benjamin Du verstehst mich eh nicht. Südel Hast du Angst zu ertrinken? Ich red mit dem Lehrer, vielleicht lässt er dich am Rand schwimmen, dass du dich festhalten kannst, wenn du untergehst. Benjamin Ich geh nicht unter. Südel Oder, dass dir dein Körper nicht gefällt. Benjamin starrt sie an. Das ist normal in deinem Alter. Du bist tatsächlich ziemlich bleich. Benjamin Ich bin nicht bleich. Südel Ich geb dir Geld, du gehst zur Höhensonne, nur klein wenig, dass du nicht so käsig bist. Benjamin Mein Körper macht mir nichts. Südel Oder ist es sexuell? Schau, wir können drüber reden. Benjamin Sexuell? Südel In deinem Alter kriegen Jungen manchmal unkontrollierbare Erektionen, ich kann mir vorstellen, dass das unangenehm ist vor den andern. Benjamin Ich hab keine unkontrollierbaren Erektionen. Südel Du kannst mir so was sagen, ich hoffe, das weißt du. Benjamin Und dann schreibst du in die Entschuldigung: Mein Sohn kann wegen unkontrollierbarer Erektionen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen. Südel Nein. Natürlich nicht. Ich schreib dann Nebenhöhlen. Benjamin Schreib rein: Aus religiösen Gründen. Südel Was? Benjamin Dass der Schwimmunterricht meine religiösen Gefühle verletzt. Fertig. Südel Aber, Benjamin -Benjamin Dann ist das ein für alle Mal geklärt. Südel Benjamin, du hast keine religiösen Gefühle. Benjamín Wie willst du das wissen? Südel Es muss halbwegs wahrscheinlich sein, sonst mach ich mich lächerlich. Benjamin Was ist daran lächerlich? Südel Ich schreib Nebenhöhle. Benjamin Religiöse Gefühle, sonst geb ichs nicht ab. Südel Du hast das irgendwo gelesen. Benjamin Na und? "Wenn sie verletzt sind - Südel Nein. Benjamin - meine religiösen Gefühle ? Südel Nein, im Ernst. Man baut dir goldne Brücken, und du sagst solchen Unsinn. Benjamin Andre Menschen sind auch religiös, Südel Ich schreib das nicht. Benjamin Da kannst du auch mal Respekt vor haben. Südel Wie auch immer. Benjamin Nein. Südel Du gehst dann nächste Woche schwimmen. Benjamin Wie ich gesagt habe. Südel Was? Benjamin Du verstehst mich nicht, a. Eisessen Benjamin Ich hab heut keine Zeit. Lydia Ich hab dich nicht gefragt. Benjamin Ich wollts dir trotzdem sagen. Lydia Interessiert mich nicht. Benjamin Nur, weil du gestern gemeint hast, vielleicht hast Lydia Das hab ich nur gesagt, damit du mich in Ruhe lässt. Benjamin Ich hab heut keine Zeit. Und morgen auch nicht. Lydia Macht nichts. Ich geh nachher Eis essen und dann ins Kino. Benjamin Mit wem? Lydia Und zwar mit Christian. Und morgen schwänzen wir und fahren zum See im Steinbruch. Benjamin Ich kann morgen nicht, hab ich schon gesagt, ich muss das lesen. Lydia Ich hab dich nicht gefragt, ich geh mit Christian. Letztes Mal sind wir ohne Schwimmzeug los, aber Christian hatte Sonnenöl, und mehr braucht man nicht. Benjamin Ich muss das lesen hier und war froh, wenn du mich nicht störst. Lydia Ich stör dich nicht, ich red gar nicht mit dir. Benjamin Du redest die ganze Zeit. Lydia Jetzt nicht mehr. Benjamin Und ich muss mich konzentrieren, das ist hier kein Buch mit Pferden und Mädchen aus dem Internat. Lydia Dann konzentrier dich halt. Benjamin liest. Und? Steht was Gutes drin, in deinem Buch? Benjamin liest vor Samaria wird wüst werden; denn es ist seinem Gott ungehorsam. Sie sollen durchs Schwert fallen und ihre kleinen Kinder zerschmettert und ihre Schwangeren aufgeschlitzt werden. Lydia Schön - wenn du das lesen musst. Mein Bruder schaut anrti crprn <;nlrhe Filme an. wenn meine Eltern abends wep sind, und dann weckt er mich, weil er nicht schlafen kann. Ich ess jetzt Eis. Benjamin liest vor Denn der Herr ist zornig über alle Heiden und ergrimmt über alle ihre Scharen. Er wird an ihnen den Bann vollstrecken und sie zur Schlachtung dahingehen. Und ihre Erschlagenen werden hingeworfen werden, dass der Gestank von ihren Leichnamen aufsteigen wird und die Berge von ihrem Blut fließen. Und ihr Land wird trunken werden von Blut, und die Etde wird triefen von Fett. Denn es kommt der Tag der Rache des Herrn und das Jahr der Vergeltung. 3. Schwimmunterricht Benjamin ist klitschnass. Südel Benjamin. DöRFLINGER Da steht Ihr nasser Sohn. Südel Junge, was machst du bloß? DöRFLINGER Er sagt nichts. Südel Sind es Drogen? Sagens Sies lieber gleich, ich mags nicht, wenn man mich schont. DöRFLINGER Ihr Sohn steigt voll bekleidet auf den Startblock und springt so wie er ist, mit Schuhen und allem, in die Wasserbahn. Südel zu Benjamin Hab ich nicht genug Ärger? Kannst du nicht einfach die Badehose anziehen und schwimmen wie ein Mensch? Was denkst du dir nur? 108 Roth Darf ich Sie was fragen? Südel Nein. Sagen Sies einfach. Sind es Drogen? Roth Hat Ihr Sohn traumatische Erfahrungen mit Wasser? Südel Mit Wasser? Roth Oder physische Merkmale, die er vor anderen nicht zeigen will, dass er deshalb die Kleidung anbehalten hat? Südel Was für Merkmale ? Roth Ich meine Narben, fehlende Fußzehen, einen Buckel -Südel Mein Sohn hat keinen Buckel. Roth Wir sind auf Ihre Hilfe angewiesen. Vielleicht, dass er in früher Kindheir -Südel Ich hab gehofft, Sie könnten mir was sagen. Wenn ich ehrlich bin - Roth Ja? Südel Ich hab gehofft, Sie sagen: Drogen. Dann hätt man wenigstens gewusst, was ist, aber Sie haben keine Ahnung. Ich bin seine Mutter, es ist normal, dass er zu mir nichts sagt. Aber Sie, Sie haben eine Ausbildung, sind Pädagogin, Sie heißen - was steht draußen auf dem Schild? Roth Vertrauenslehrerin - Südel Vertrauen, genau, dann bauen Sie das auf, Vertrauen, dafür werden Sie bezahlt. Ich hab keine Ahnung, ob er genug Zehen hat und ob ihm das Wasser zu kalt ist und er deshalb mit Anziehsachen reinspringt. Ich bin alleinerziehend, mit Nachtschichten, aber Sie stellen Fragen und wollen meine Hilfe. Roth Nein, ich dachte nur - Südel Im Ernst. Sie können nicht immer nach einer Mut- Märcyrer 109 ter scHreien. Der Bub will seine Badehose nicht anziehen? Dann zwingen Sie ihn irgendwie, das ist Ihre Schule, nicht meine. Er will nicht schwimmen? Bringen Sies ihm bei, dazu sind Sie da, oder?- R.oth Wir können nur zusammen - ich greife Sie nicht an. Südel Das war auch noch schöner, machen Sie Ihre Hausaufgaben, Frau Lehrerin, ich sag das ohne Ironie. Benjamin Ich hab es satt. Sudel Bitte? Benjamin Mirlangts. SOdel Was langt dir, Benjamin? Mir langts, nicht dir, mit Klamotten ins Becken wie ein Irrer. Benjamin Heute, am Tag des heiligen Polykarp, bekenne ich vor Gott und der Welt: Ich hab es satt. Ich hab es satt, mich zu verstecken und krank zu spielen, wo ich der einzige Gesunde bin. Ich hab es satt, dass die nackten Schultern von Lydia im Sprühregen der Dusche glänzen wie glasierte Krapfen. Ich hab es satt, mit benebelter Schwimmbrille zwischen die sich öffnenden Schenkel von Melanie zu starren, wenn sie vor mir schwimmt. Ich habe es satt, auf der Bahn neben mir vom weißen, wippenden Fleisch geblendet zu werden, das aus Stefanies Bikini rutscht. Ich hab es lange hingenommen, obgleich der Herr befiehlt, dass die Frauen in schicklicher Kleidung sich schmücken mit Anstand und Zucht, und eben nicht im Bikini, sondern, wie sichs ziemt für Frauen, die ihre Frömmigkeit bekunden wollen. Ich habs hingenommen, ich habs vielleicht auch nicht bemerkt, aber jetzt merke ichs, ich spür es deutlich, und es wird sicht- bar an meinem Fleisch, und deshalb erkläre ich heute, am Tag des heiligen Polykarp, der Sittenlosigkeit den Krieg, denn der Herr spricht: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit iht die Ehe gebrochen in seinem Herzen. Und deshalb, weil es eine Sünde ist, protestiere ich gegen die schamlose Vermischung der Geschlechter unter der Wasseroberfläche, ich werde diese hemmungslose Entblößung nicht mehr mitmachen, die nichts als Unzucht ist, denn der Herr sagt: Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht an, der hat schon seinen Richter: Das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am Jüngsten Tage. 4. Erster Besuch beim Direktor: Badebekleidung Batzler Was soll das sein, „Polykarp"? SüDEL Provokation, sonst nichts. Dörflinger Ich kenn das auch von ihm, Herr Direktor: Zu spät zum Unterricht, Entschuldigung, ich war beim Gynäkologen. Schwer, da ernst zu bleiben. Roth Provokation ist manchmal auch ein Hilfeschrei. Batzler Brauchst du Hilfe, mein Junge? Südel Der braucht keine Hilfe. Dörflinger Er soll sich entschuldigen, schwimmt nachmittags paar Bahnen extra, in Badehose, logisch, und die Sache hat sich. Hat ja keinem wehgetan. Benjamin Ich werd mich nicht entschuldigen. HO Märtyrer In SüDEL Wieso nicht? Natürlich wirst du das. Benjamin Weil ich nichts falsch gemacht habe. Ihr macht alles falsch, nicht ich. Der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein: denn ich tue allezeit, was ihm gefällt. Südel Wer hat denn dich gesandt, du Spinner? Wem gefällt denn dieser Schwachsinn, den du machst? Batzler Langsam. Ist das normal, dass die Mädchen im Bikini schwimmen? DöRFLINGER Nicht alle, aber klar, ja, das kommt vor. Roth In dem Alter sind sie sich ihrer Reize nicht bewusst. DöRFLINGER Naja - Batzler Ja? DöRFLINGER Sie spielen damit -Batzler Spielen? Roth In aller Unschuld, wie ein Kind mit einer Waffe spielt -Batzler Und? Wollen wir das? Roth Das ist nicht die Frage. Batzler Ich stell sie trotzdem. Roth Wir sind erwachsen, und die Kinder sind frei. Sie dürfen anziehen, was sie wollen. Benjamin Anscheinend ja nicht. Batzler Offenbar liegt das Problem gerade darin, dass es sich nicht mehr um Kinder handelt. Roth Das ist kein Problem, sondern eine normale Entwicklung. Batzler Wir können nicht wünschen, dass in dieser Weise mit dem männlichen Lehrkörper „gespielt" wird. Dörflinger Hier gehts nicht um den Lehrkörper. Wohlgemerkt. Sondern um einen Schüler. BATZLER Ich hab Sie grinsen sehen. DöRFLINGER Was? Batzler Grade eben. Als vom Spiel mit den Reizen die Rede war. Ein Grinsen, das mir nicht gefällt. DöRFLINGER Ich habe nicht gegrinst. BATZLER Angemessene Schwimmkleidung. Das ist die Formulierung. Und in Zukunft fällt ein Bikini nicht mehr darunter. Es gibt Alternativen, und die werden ab sofort im Unterricht getragen. Sie unterrichten schließlich auch nicht im BH. Roth Unpassender Vergleich. Batzler Hochgeschlossner Badeanzug. Roth Auch für die Jungen? Batzler Bitte? Roth Sollen die Jungen auch im hochgeschlossnen Badeanzug schwimmen? Batzler Unsinn. Roth Kann sein, dass eins der Mädchen clever ist und darauf kommt, dann fehlen mir die Argumente. Batzler Ach was, Sie sind selbst ein cleveres Mädchen, Ihnen fehlt nie ein Argument. Roth Ich weiß nicht, wie ich das durchsetzen soll. Batzler Sie spalten Haare. Apropos: Haben Sie eine neue Frisur? Roth Was für eine Frisur? Batzler Die Haare. Haben Sie die neu? Roth Meine?Nein. 112 Märtyrer 113 Batzler Irgendwie geschminkt ? Roth Nicht, dass ich wüsste. Batzler Parfüm? Roth Stört Sie irgendwas ? Batzler Ich weiß nicht, was Sie heut gemacht haben, aber machen Sie das ruhig öfter. 5. Haß Georg Die Mädchen hassen dich dafür. Benjamin Die Jungen auch, ich weiß, jetzt starren sie sich gegenseitig auf den Nabel, weils sonst nix mehr zu sehen gibt. Georg Macht dir das nichts aus ? Benjamin Dich hassen sie auch. Georg Die lachen nur, weil ich das kurze Bein hab. Benjamin Ich find da nichts lustig dran, an deinem kurzen Bein. Georg Du lachst halt eh nicht Yiel. Benjamin Sie stecken dich in den Mülleimer und rollen dich über den Pausenhof. Georg Das ist nur, weil ich mich nicht wehren kann. Eigentlich mögen sie mich. Benjamin Dann wüsst ich gern, wies aussieht, wenn sie einen hassen. . Georg Das wirst du sehen, da fallen denen ganz andre Sachen ein. Benjamin Sie werden büßen, für alles, was sie dir angetan haben: Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum: Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. 6. Geisteskrankheit Roth Er ist sich selbst fremd. Er macht eine neue Erfahrung mit seinem Körper und ist überfordert. DöRFLINGER Ich mach auch eine neue Erfahrung mit meinem Körper, ich werde fett. Roth Stattdessen sucht er religiöse Ekstase. DöRFLINGER In zwei Wochen hat er das vergessen und lässt sich was Neues einfallen, dann seift er die Tafel ein oder steckt Nägel in die Kreide. Roth Dafür ist er zu alt. Der will uns tiefer treffen. Den haben wir tiefer verletzt. Dörflinger Ich hab ihn nicht verletzt. Roth Unbewusst vielleicht. DöRFLINGER Stört dich das eigentlich? Roth Was? DöRFLINGER Ich hatte mal mehr Muskeln. Roth Wo? DöRFLINGER Hier, Erika. Fass meinen Pectoralis an. Roth Ich war nie wegen deiner Muskeln scharf auf dich. DöRFLINGER Sondern? Roth Vielleicht hast du ihn aus Versehen vor den andern bloßgestellt. 114 Märtyrer 115 dörflinger Nein. Roth Ihn. hilflos am Barren schaukeln lassen, zehn Liegestütze extra, mit Medizinball dauerlaufen, weil er im Zirkeltraining versagt hat? dörflinger Seh ich so aus? Die spielen Wasserball und die Sache hat sich. Roth Irgendwas hat ihn gekränkt. Und jetzt schlägt er zurück. dörflinger Vielleicht schlägt er nicht zurück, sondern schlägt selber vorsichtshalber präventiv als Erster. Roth Ich schau nicht zu, ich nehm ihn mir vor. Pubertät ist eine vorübergehende Geisteskrankheit. Den lass ich nicht in der Routine untergehen. dörflinger Du hattest auch mehr Muskeln. Roth Aber ich bin immer noch stärker als du. Wollen wir ins Bett? 7. Ehebruch Benjamin liest. södel Willst du dir nicht was Trockenes anziehen? Benjamin Jesus sagt: Sorgt nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Südel Schau, du hast erreicht, was du wolltest, deine ganze Schule schwimmt jetzt christlich. Magst du nicht aufhören mit dem religiösen Getue und dir was Trocknes überziehen? Benjamin Mir tuts weh, wenn du so redest. Du bist meine Mutter, und du gehst mir auf die Nerven, aber ich hab dich trotzdem gern und mach mir Sorgen. Südel Du machst dir Sorgen? Benjamin Ja, ich mach mir Sorgen um dich. Südel Um mich? Benjamin Lies mal hier. Er hält ihr sein aufgeschlagenes Buch hin. Sie überfliegt die Stelle. Südel Was hat das mit irgendwas zu tun? Benjamin liest vor Die Ehe soll in Ehten gehalten werden bei allen und das Ehebett unbefleckt; denn die Unzüchtigen und die Ehebrecher wird Gott richten. Gott wird dich richten, Mama. Südel Hör zu. Ich weiß, du hattest eine harte Zeit -Benjamin Es geht hier nicht um mich, ich hab mich nicht scheiden lassen. Hier steht: Den Verheirateten aber gebiete nicht ich, sondern der Herr, dass die Frau sich nicht von ihrem Manne scheiden soll. Südel Kein Mensch kann mit deinem Vater verheiratet sein, trorzdem sind wir keine Ehebrecher. Benjamin blättert. Benjamin Lies mal das. Südel Hör auf damit. Benjamin liest vor Wer sich von seinet Frau scheidet, der macht, dass sie die Ehe bricht. Südel Da ist nichts mehr zu brechen, auch wenn du das schlecht aushältst. 116 Märtyrer 117 Benjamin Aber du schläfst mit deinem Therapeuten -Süd el Das ist nicht mein Therapeut und geht dich gar nichts an. Benjamin Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. SüDEL Benni- Benjamin Mama, Gott wird dich richten. Du kannst dir das nicht vorstellen. Du denkst an Teufelchen mit Gabeln und Kochtöpfen. Aber weißt du, was Folter ist? SüDEL Was ich tue, ist gut für mich und schadet keinem. Benjamin Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alles, was zum Abfall verfuhrt, und die da Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein. So steht das da. SÖDEL Einstweilen bist du der Einzige, der mit den Zähnen klappert. Geh, zieh dir was Trockenes an. Benjamin Sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre. Bitte. Jesus hat einen großen, schönen Plan mit dir. 8. Segen Menrath Von mir hat er das nichc. SüDEL Aber Sie sind sein Religionslehrer. Menrath Wissen Sie, wie das heute aussieht ? In den unteren Klassen verteilt man Bonbons und Blätter zum Ausmalen, in den oberen Klassen machen sie im Unterricht die Hausaufgaben, weil alles andere in Chaos, Anarchie und Vandalismus mündet. södel Mein Junge spricht nur noch in Bibelzitaten. Menrath Ich kann daran nichts Schlechtes finden, wenn sich ein junger Mensch der Heiligen Schrift zuwendet. SÖDEL Der wendet sich nicht zu, die Heilige Schrift interessiert ihn einen Dreck, der will mir auf die Nerven gehen, sonst nichts. Menrath Manches Mal führt uns der Herr auf verschlungenen Pfaden an sein Ziel. SüDEL Hören Sie auf mit dem Kitsch, ich hatte einen normalen schwer erziehbaren Jungen, und plötzlich predigt der am Esstisch und droht mir wie ein durchgeknallter Guru mit der Hölle, und dass das gottgewollte Folter ist. Menrath Das hat er gesagt? SüDEL Weil ich mich von seinem Vater getrennt habe. Menrath Die Hölle ist kein schöner Ort. SüDEL Mag sein, aber mir wärs lieber, er würde Fußballbilder sammeln und sich mehrmals täglich einen runterholen wie die anderen Jungen in seinem Alter. Menrath Ich furchte, da kann ich nicht helfen. Aber wenn Ihnen etwas auf der Seele brennt, eine Schuld, über die Sie gern reden wollen -Sudel Was für eine Schuld? Menrath Das müssen Sie mir sagen. Sind Sie glücklich? södel Glücklich? Nein, natürlich nicht. Menrath Das hab ich mir gedacht. n8 Märtyrer 119 södel Wieso? Menrath Sie machen einen gejagten, unerlösten Eindruck. Südel Das ist Ihnen aufgefallen? Menrath Man entwickelt ein Auge dafür. Die meisten Menschen kommen zu mir, weil sie einsam sind. Südel Und was machen Sie ? Menrath Ich bete mit ihnen. Ich öffne eine kleine Tür, und Gott tritt in iht Leben. Südel Irgend so was müssen Sie wahrscheinlich sagen. Aber ich hab keinen Glauben. Das sagt mir Benjamin jeden Tag. Menrath Sie haben mehr Glauben, als Sie ahnen. Es ist ein gutes Gefühl, in Gottes Hand zu sein. Sie tragen die Last Ihres Lebens nicht mehr allein, er nimmt sie Ihnen ab. Sie müssen sich nicht sorgen, denn Sie sind in Gottes Hand. Menschen, die beten, leben länger. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Südel Ist das so? Menrath Mögen Sie mit mir beten? Für Ihren Sohn? Südel Es war mir schrecklich peinlich. Menrath Sie können die Augen schließen, dann sehen Sie mich und dieses Zimmer gar nicht mehr. Südel Ich werd mich nicht hinknien. Menrath Machen Sie die Augen zu. Ich lege jetzt meine Hand auf Ihren Scheitel und segne Sie. Erschrecken Sie nicht. Nehmen Sie einfach an, die Wärme meiner Hand ist die Warme Gottes. 9. Helm Roth Ich hab dich gesehen. Georg Mich? Roth Gestern. Ihr habt mich auf der Waldstraße überholt. Ohne Helm. Georg Mein Vater hat einen aufgehabt. Roth Und das versteh ich nicht. Weil dein Vater - war das dein Vater? Georg Ja, mein Vater, das ist sein Motorrad. Roth Warum der einen Helm aufhat und du nicht. Georg Weil ich sonst zu spät komm. Roth Wenn du einen Helm aufhast ? Georg Wenn ich zu Fuß geh. Deshalb nimmt er mich hinten aufs Motorrad. Roth Das ist lieb von deinem Vater. Aber stell dir vor, du kommst unter einen Laster. Ohne Helm. Da kann man sterben. Georg Das macht nichts. Roth Sagt das dein Vater? Georg Ich hab gar keinen Helm. Roth Ich werd mit deinem Vater reden. Georg Nein, bitte, er sagt ja immer, er kauft mir einen. Roth Dann soll er das tun. Georg Aber ich setz keinen Helm auf. Roth Wieso? Georg Weil man aussieht wie ein Behinderter mit Helm. Roth Wer sagt das? 20 Märtyrer 121 Georg Ich. Mein Vater sieht aus, als war er behindert. Roth Und ich ? Wenn ich den Helm aufhab ? Georg Sie? Roth Schau. Sie setzt ihren Helm auf. Wie seh ich aus? Georg zuckt die Schultern Gut. Irgendwie. Roth Bitte? Georg Sie sehen gut aus. Roth Ich kann dich ganz schlecht hören in dem Helm. Georg Sie sehen gut aus, ja, klar, aber ich, ich seh halt aus wie ein Idiot. Roth nimmt ihren Helm ab. Roth Da. Georg Was? Roth Setz ihn auf. Georg Ihren Helm? Roth Du hast gesagt, ich sehe gut aus. Georg Ja, aber -Roth Mach. Georg setzt den Helm auf. Warte. Ich helf dir. Sie macht den Verschluss unter Georgs Kinn zu. Du siehst aus wie ein Pilot. Georg meint sich Idiot. Roth Nein, Pilot. Du fliegst einen Bomber. Georg zu laut Mein Vater will, dass die andern beeindruckt sind, wenn ich von der Maschine steig. Deshalb fährt er 122 mich. Aber wenn mein Kopf in so einer Kugel steckt, da kann ich gleich zu Fuß gehn. Roth Ich finde, du siehst toll aus. Nichts. Georg? Hörst du mich? Georg Ja? Roth Ich bin beeindruckt. Georg Aha? Roth Keiner wird sich über dich lustig machen. Georg Weil das Ihr Helm ist. Roth Du kannst ihn haben. Georg Was? Roth Du kannst meinen Helm haben. Georg Wie-haben? Roth Ich hab noch einen andern. Georg Aber das ist Ihrer. Roth Der ist von meinem Exfreund. Wird Zeit, dass ich ihn wegtu. Nimm ihn ruhig. Georg Mein Vater - wenn ich damit heimkomm -, der wird das nie erlauben. Roth Gib ihn mir irgendwann zurück, wenn du deinen eigenen hast. Georg Wenn ich-gut. Roth Gut. Nichts. Georg Jetzt seh ich aus wie Ihr Exfreund. Märtyrer 123 io. Karotten Benjamin Was soll das Gemüse? Roth Letzte "Woche sprachen wir über Schwierigkeiten und Chancen der sexuellen Orientierung. Benjamin Wir sprachen gar nicht. Sie sprachen über Männer, die sich gegenseitig den Penis in den Po tun, und keiner weiß, warum, wir hatten nichts dazu zu sagen. Roth Heute gehts um Verhütungund Schutz vor Geschlechtskrankheiten. Jeder nimmt sich eine Karotte und ein Kondom. Benjamin Ich nicht. Lydia Das wird nur peinlich, Frau Roth, die kindischen Jungs blasen sie auf, und die andern wissen eh Bescheid. Benjamin Gott sagt: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde. Er sagt nicht: Füllt die Kondome. Roth Wir üben das jetzt, damit ihr das im Ernstfall wisst. Benjamin Gut. Er jungt an, sich auszuziehen. Roth Man reißt das Päckchen an der gezackten Seite auf. Nicht die Zähne, sonsr beschädigt man das Kondom. Benjamin, was machst du da? Benjamin Sie haben Sexualkunde gesagt, nicht ich. Roth Wir üben das an der Karotte. Benjamin Die nichts damit zu tun hat. Lydia Ich habe Sie gewarnt, Frau Roth, das wird peinlich. Benjamin Machen Karotten schwanger? Übertragen Karotten Geschlechtskrankheiten? Sie unterrichten Schwachsinn, Frau Roth. Roth Du ziehst dich sofort wieder an. Benjamin Im Gegenteil. Karotten haben nichts mit Sex zu tun. Lydia Das kommt drauf an. Benjamin Mein Penis ist kein Gemüse. Georg der gebastelt hat Ferrig. Das Ding ist drin. Und j etzt ? Roth Wir wollen an einem geeigneten Modell die Handhabung üben - Benjamin Sie wissen gar nicht, was wir wollen, wir können nämlich nichts dafür, dass Ihnen an der Gemüsetheke im Supermarkt versaute Phantasien kommen. Lydia Vielleicht hält er sich selbst für ein geeignetes Modell. Benjamin Die Bibel sagt: Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren. Roth Im Gegenteil, es ist sehr gut für den Mann, eine Frau zu berühren, aber er sollte dabei ein Kondom benutzen. Benjamin Dann meinen Sie, die Bibel lügt ? Roth Die Bibel ist mir gleich, ich unterrichte Biologie. Benjamin Sie unterrichten Schwachsinn, sonst nichts. Georg Benni, warum hast du nichts an? Lydia Er wird gleich ein Kondom vorführen. Benjamin Die Bibel sagt- Roth Es ist mir gleich, was die Bibel sagt. Benjamin Eine Frau lerne in der Stille mit aller Unterordnung. Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei stilL Denn Adam wurde zuerst gemacht, danach Eva. Und Adam wurde nicht verfuhrt, die Frau aber hat sich zur 124 Märtyrer ia; Übertretung verfuhren lassen. Sie wird aber selig werden dadurch, dass sie Kinder zur Welt bringt. Roth Und wie soll sie das, wenn Icein Mann sie berührt ? Benjamin Und wie soll sie das, wenn der Mann dabei ein Kondom benutzt ? Sie wollen uns SexuaLkunde beibringen, aber Sie haben keine Ahnung. 11. Zweiter Besuch beim Direktor: Kondome Batzler Die theologischen Fragen lassen wir bewusst außen vor. Roth Ans gegebenem Anlass hielt ich es für eine gute Idee, dieses Jahr die Einheit Sexualkunde vorzuziehen. Benjamin "Was für ein Anlass? Für SexuaLkunde gibts keinen Anlass, keiner von uns ist verheiratet. Batzler Können Sie erklären, warum der Junge nichts anhat? Roth Fragen Sie ihnselbst. Benjamin Diese Frau sagt, wir sollen unseren Gefühlen vertrauen. . Batzler Gut. Vertrauen Sie Ihren Gefühlen, Frau Roth? Roth Ich? Benjamin Sie tut, als könnten wir alles selbst entscheiden, als gäbskeine Regeln und Gesetze, undjeder soll fummeln und sich reinstecken, was er will, mit Männern, Frauen, alles egal,.solang nur die Gefühle stimmen, da stimmt aber überhaupt nichts dran, weil die Bibel sagt, dass das schänd- liche Leidenschaften sind, dass homosexueller Verkehr widernatürlich ist, und dass, die solches tun, nach Gottes Recht den Tod verdienen. Von Gefühlen ist da keine Rede, sondern alles ist klar geregelt: Schwule verdienen den Tod, und zwar wörtlich. Roth Das ist zweitausend Jahre her, Benjamin, wir leben aber heute, und da gelten andere Regeln. Benjamin Was sollen das für Regeln sein» wenn jeder macht, was er will? Wie sollen irgendwelche Regeln besser sein als die Regeln Gottes? Batzler Was mich interessiert, Benjamin: Warum hast du nichts an? Benjamin Um die Kondome auszuprobieren, die Frau Roth verteilt hat. Batzler Sie haben Kondome verteilt ? Benjamin Zum Üben. Ich weiß nicht, was als Nächstes kommt. Unterricht in korrektem Beischlaf? Wie sieht da eine Prüfung aus? Schwänze raus, Klassenarbeit? Roth Pubertäre Auswüchse. Sie sehen hoffentlich, dass das Problem nicht mein Unterricht ist, sondern die gestörte Persönlichkeitsstruktur dieses Schülers. Batzler Was ich sehe, überlassen Sie mir. Meinen Sie wirklich, das Hantieren mit Sexspielzeug gehört in den Unterricht? Roth Das ist kein Sexspielzeug. Batzler Was Sie für Ansichten über gleichgeschlechtliche sexuelle Praktiken haben, geht mich nichts an, zu Hause können Sie tun und lassen, was Sie wollen, aber Sie haben 125 Märtyrer 127 kein Recht, den Unterricht als Sprachrohr für Ihre 'Weltanschauung zu missbrauchen. Roth Ich missbrauche niemanden, Homosexualität ist ein ganz normaler Teil unserer Realität. Batzler Wie normal, darüber streiten die Gelehtten, und dieser Streir wird nicht im Klassenzimmer ausgetragen. Roth Die Gelehrten streiten schon lang nicht mehr, es ist längst erwiesen, dass selbst im Tierreich homosexuelles Verhalten existiert. Batzler Das berühmte Tierargument, wir sind aber keine Tiere. Roth Biologisch gehören wir zur Gattung der Säugetiere, und meine Aufgabe ist die Vetmitdung der Wirklichkeit, wie sie sich aus wissenschaftlicher Perspektive darstellt, sonst nichts. Batzler Das Befüllen von Kondomen mit gelben Rüben hat aber nichts mit Wissenschaft zu tun, das ist eine obszöne Schweinerei und insofern völlig fehl am Platze in einem pädagogischen Institut. Sie unterrichten Biologie, bringen Sie den Kindern von mir aus bei, wie der Apparat funktioniert. Roth Welcher Apparat? Batzler Der Geschlechts-, der, ahm, das Organ. Roth Organ? Batzler Das Organ, natürlich, der Apparat, der Sex-, der Sexualapparat, wie das alles funktioniert, anatomisch, meine ich, das hat alles lateinische Namen, das kann man wunder-bar auf Arbeitsblättern eintragen und abprüfen, was ist los, ich muss Ihnen sonst nicht sagen, wie das geht. 13.8 Roth Und dann? Batzler Was dann? Roth Dann kann der Junge wunderbar auf Lateinisch seine minderjährige Freundin schwängern, oder sich oder sie mit unheilbaren Krankheiten infizieren, alles herrlich auf Lateinisch, klar, weil die einzige Gelegenheit vertan wurde - Batzler Karotten, meine Güte, was haben Sie sich bloß gedacht? Kein Wunder, dass der Junge verwirrt ist, zieh dir was an, Benjamin, ich schätze Ihre unkonventionellen Methoden, aber diesmal sind Sie zu weit gegangen, betrachten Sie sich als verwarnt. Roth Ich? Batzler Wer sonst? Roth Schließlich zieh ich mich nicht nackt aus und predige wirres Zeug. Batzler Obwohl das durchaus reizvoll wäre. Roth Was? Batzler Sie reißen sich in Zukunft zusammen, nicht wahr? Zu Benjamin Und dir ist kalt, zieh dir was an. Zu aüen Sprechstunde ist beendet. Zu sieb Karotten. ix. Bekehrung Georg Das war schön, wie du dagestanden hast, so nackt, und keinem ist mehr irgendwas eingefallen. Benjamin Bist du so einsam, dass du mit mir reden musst? Märtyrer 129 Georg Sonst red ich immer mit mir selbst. Benjamin Mit mir spricht keiner mehr. Du solltest es auch lassen. Dir spucken sie bislang nur in die Stifte und "werfen dich zum Müll, mir werden sie bald Schlimmeres tun. Georg Aber Angst hast du nicht. Benjamin Weil der Herr mit mir ist. Ich denk mir nichts aus. Alles, was ich sage, kommt direkt von ihm. Georg Ich hätte das auch gern so, aber bei mir kommt nichts. Benjamin Du überlegst nicht, was du tust. Georg Nein. Ich denk nicht nach. Meine Finger stinken immer noch von dem Kondom. Benjamin Dji musst dich nicht kümmern, ob deine Finger stinken, sondern ob deine Seele stinkt. Georg Mein Vater sagt, ich stink bis auf die Knochen. Aber das ist, weil sie mich jede Pause in den Müll stopfen. Benjamin Wegen deinem Bein. Aber mich werden sie von der Treppe stoßen, weil ich nach Gottes Regeln lebe, und sie werden den Mülleimer aufheben und über mein Haupt schlagen, weil ich mich nicht ihren Götzen beuge. Aber der Herr hat gesagt: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und danach nichts mehr tun können. Ich will euch zeigen, vor wem ihr euch fürchten sollt: Fürchtet euch vor dem, der, nachdem er getötet hat, auch Macht hat, in die Hölle zu werfen. Ja, ich sage euch, vor dem fürchtet euch. Du wirst mit kurzem Bein durchs Leben humpeln und stinken, bis du stirbst, und stinken noch in deinem Grab, wenn du nicht nachdenkst und die Hand ergreifst, die Gott dir hinhält. Hält ihm die Hand hin, Georg nimmt sie. Sie werden dich schlimmer jagen jetzt, wenn du mit mir bist, als bislang wegen deines Beins. Aber der Herr spricht: Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. 13. Kirche Menrath Schön, dass du da bist, Benjamin. Benjamin Was wollen Sie? Was soll ich hier? Menrath Ich wollte dir sagen: Ich kann dich gut verstehen. Benjamin Was können Sie verstehen? Menrath Dass du protestierst. Dass du nicht einverstanden bist mit der Schule, und wie man unterrichtet. Benjamin Sie sind ein Teil davon. Menrath Nicht wirklich. Ich bin zu Besuch. Mein Zuhause ist die Kirche. Benjamin Das ist Ihr Problem. Kann ich wieder gehn? Menrath Benjamin, die Kirche braucht Menschen wie dich. Benjamin Sie wissen gar nicht, was für ein Mensch ich bin. Menrath Menschen, die für ihren Glauben leben. Benjamin Ich lebe nicht für meinen Glauben, ich werde für ihn sterben. Menrath Große Worte. Benjamin Ich muss nicht reden. Sie wollten mich sprechen. 130 Märtyrer 13t Menrath In deinem Alter nimmt man sich viel vor. Benjamin In Ihrem Alter nicht mehr, ich weiß. Das müssen Sie dann vor dem Herrn verantworten. Menrath Man muss nicht gleich sterben. Es gibt viele "Wege, Gott zu dienen. Benjamin Sie wissen, dass das falsch ist, und dass wirs uns bequem gemacht haben. Sie wissen, dass andere Religionen lachen über uns deshalb. Dass andere Religionen Glaubenskriegerhaben, Selbstmordattentäter, Märtyrer, die ihr Leben für ihren falschen Glauben hinschmeißen. So etwas macht heute kein Christ mehr. Alle meinen, man muss reden und einen Kompromiss finden, und dass die Bergpredigt nur von Toleranz handelt, und dass man gar nicht genug Backen hat, um sie hinzuhalten. Das ist, weil ihr das Buch nicht lest, und euch einen Hippiegott gebastelt habt, mit dem ihr euch wolilfuhlt, der alles verzeiht und irgendwie für den Frieden ist und Haschisch raucht. Aber das ist alles Dreck, weil der Herr sagt: Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein, Und er gibt klare Anweisung und sagt: Wer einen Geldbeutel hat, der nehme ihn, desgleichen auch die Tasche, und wers nicht hat, verkaufe seihen Mantel und kaufe ein Schwert. Und diese meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde, bringt her und macht sie vor mir nieder. Und deshalb gehts nicht darum, irgendwie nett zu sein, und irgendwie für irgendeinen Glauben zu leben. Der Herr hat etwas anderes mit uns vor, wenn er sagt: Ich bin gekommen, ein Feuer anziizünden auf Erden; was wollte ich lieber, als dass es schon brennte! Menrath Da hast du völlig recht. Und grade deshalb bist du genau der Richtige - Benjamin Wofür? Menrath Ich würde dir gern diese Broschüre ans Herz legen. Benjamin Ich geh in keinen Bibelkreis. Die Bibel bildet keine Kreise, sie ist ein Schwert, das durch die Menschen geht, die einen bleiben stehn, die andern fallen. Menrath Und genau das sollst du den jungen Menschen in unserem Pfingstlager erklären. Ich wünsche mir, dass du ihnen von deiner besonderen Beziehung zu Gott erzählst. Um sie zu ermutigen und in ihrem Glauben zu festigen. Du wärst ein Anführer, ein Missionar. Benjamin Wenn ich missioniere, dann in Afghanistan oder im Sudan. Menrath Wo man dich am ersten Tag töten würde. Benjamin Das macht nichts: Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wirds erhalten. Menrath Wie viele Seelen hättest du erreicht? Eine? Zwei? Vielleicht drei, höchstens vier. Bei uns erreichst du täglich Dutzende. Benjamin Das ist nicht die Rechnung, und Seelen nicht die Wahrung. Es wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, 132 Märtyrer 133 die der Buße nicht bedürfen. Wer ins Pfingsdager fährt und von Gott nichts weiß, ist selber schuld. Man muss nur das Buch aufschlagen und lesen. Menrath Denk drüber nach. Du bist ein ungeschliffner Diamant. Die ganze Wut, die dich jetzt noch verdunkelt, kann sich in Sinn wandeln, wenn dein Eifer dem bewährten Pfad der Kirche folgt. Ich nehm dich bei der Hand. Die Kirche braucht Menschen wie dich. Benjamin Aber Menschen wie ich brauchen die Kirche nicht. Wozu soll das gut sein, so ein großes leeres Haus ? Menrath Es ist das Gotteshaus. Benjamin Braucht Gott den ganzen Platz, weil er so groß ist ? Wie groß ist er denn? Ist der Raum nicht eigendich viel zu klein tur ihn? Menrath Abends, wenn ich die oberen Lampen gelöscht habe, setze ich mich manchmal in eine der Bänke, als war ich ein gewöhnlicher Christ. Ich seh, wie die Nacht sinkt, und die Dunkelheit umfängt mich. Dann spür ich seine Gegenwart in diesem Raum. Er füllt ihn aus wie ein klarer Gedanke deinen Kopf vollständig ausfüllen kann. Benjamin Wissen Sie nicht, was die Bibel sagt: Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. So spricht der Herr: Der Himmel ist mein Thron und die Etde der Schemel meiner Füße! Was ist denn das für ein Haus, das ihr mir bauen konntet, oder welches ist die Stätte, da ich ruhen sollte ? Meine Hand hat alles gemacht, was da ist. Menrath Wir das so schlimm, ein Ort - weniger für Gott als für die Menschen? Gerade groß genug für alle, um sich zu versammeln zum Gottesdienst? Benjamin Ich weiß nicht, was das sein soll, Gottesdienst, wo doch in der Bibel steht, Gott lässt sich nicht von Menschenhänden dienen, wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele. Menrath Wir bitten ihn um diese Erlösung. Wir kommen hier zusammen zu gemeinsamen Gebeten, dafür sind wir eine Gemeinde. Benjamin Den Herrn interessiert keine Gemeinde, im Gegenteil, er sagt: Wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dirs vergelten. Ich weiß nicht, was ihr tut, und wie ihr sagen könnt, ihr meint den gleichen Gott wie ich, wo ihr sein Buch ganz offensichtlich selbst nicht lest. Sonst müsstet ihr diese Häuser verlassen und niederreißen, ihr müsstet eure Priester verjagen und heimgehn in euer Kämmerlein und beten zum Vater, der im Verborgenen ist. 134 Märtyrer 135 14* Krüppel SüDEL Und wer ist das? Benjamin Das ist Georg, der heute mit uns essen wird. södel Ich finds schön, dass du Freunde hast, aber sag Bescheid, eh du wen zum Essen heimbringst. Benjamin Das ist kein Freund. Das ist ein Krüppel. Südel Ein was ? Georg Mein Bein ist zu kurz. SüDEL Aber Benni, das musst du nicht so sagen: Krüppel. Benjamin Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade weder deine Freunde noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird. Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein, dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten. SüDEL Wunderbar, aber wir haben nur zwei Schlemmerfilets. Und nicht genug Kartoffeln für drei. Georg Ich muss nicht - ich kann auch, wenns nicht passt - Benjamin Hör nicht auf meine Mutter. Der Herr hat mit zwei Fischen fünftausend Leute versorgt, wir sind zu dritt, das reicht. SüDEL Es reicht nicht. Benjamin Wenns nicht reicht, dann nur, weil du keinen Glauben hast. Südel Ich hab mehr Glauben, als du ahnst, den lass ich mir von dir nicht runterputzen. Aber ich verlange, dass du nicht einfach beliebig Menschen an unsern Tisch bringsr, die dann meinen, ich bin geizig, weil ich nur zwei panierte Fertigfische aus dem Kühlfach ziehe. Georg Das mein ich gar nicht, Frau Südel. Benjamin Was gehts dich an, Frau, was ich tue? Südel Ich bin immer noch deine Mutter. Benjamin Der Herr sagt: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Südel Du musst mich ja nicht mehr lieben als Jesus, aber ein bisschen Respekt war schön. Benjamin Der Herr sagt: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. Tut mir leid. Südel Gut, ich werd versuchen, dich zu hassen, wenn der Herr das wünscht, wenn du so weitermachst, dann dauerts nicht mehr lang. Benjamin Komm, Georg, sprich das Tischgebet. Georg Was ? Wie macht man das ? Südel Dann kann ich auch mal Bibel lesen und dich nerven mit dem Herrn und was er alles sagt, du. Benjamin Ein Dankgebet. Man dankt dem Herrn für die Speise, und dass er einen Tag für Tag ernährt. Georg Ich weiß nicht. Mach du. Benjamin Schäm dich nicht. Sei stark und zeige Demut, dass dir bewusst ist, wie jede Mahlzeit ein Geschenk ist. Georg Also: Danke füt die Speise, die ein großzügiges Geschenk ist, und dass Sie diese Mahlzeit so schön gekocht Märtyrer 137 haben, Frau Südel, es riecht sehr gut, ich bin sicher, die Schlemmerfilets sind köstlich, vielen Dank. Benjamin Georg- Georg Und vielen Dank, dass ich mitessen darf, nächstes Mal sagen wir vorher Bescheid, dass Sie Bescheid wissen, ich hatte auch schon Schokolade auf dem Weg, es reicht bestimmt - Benjamin Georg, hör auf. Georg Vielen Dank - Benjamin Hör auf. Georg Was denn? Benjamin Alles.falsch. Georg Aber ich mag deine Mutter. Südel Gern geschehen, Georg, lieb von dir. ij. Munition Die Lehrerin liest, DöRflinger Kommst du essen? Roth Sofort. dörflinger Das Sofort, das zehn Minuten dauert, oder das, wo du erst Stunden später wieder dran denkst ? Roth Wenn du anfängst zu diskutieren, gehts bestimmt nicht schneller. dörflinger Was ich nicht verstehe: Kriegsr du nie Hunger? Ich hab hier diesen Fisch gemacht. Mit Lauch und Pilzen, saurer Sahne - Roth Du. Ich lese. dörflinger Ich weiß. Seit Stunden. Und ich finds nicht mehr lustig. Roth Lustig? dörflinger Warum liest du das ? Roth Ich habs dir schon erklärt. dörflinger Ich weiß. Aber kannst dus mir noch mal erklären, Erika, ich verstehs nicht. Roth Was gibts da nicht zu verstehen? dörflinger Irgendein Schüler wird zum Jesus-Spinner, gut, ist nicht schön, aber wird das besser, wenn du jetzt auch spinnst ? Roth Ich spinne nicht. dörflinger Ich schau dich an und seh: Du driftest ab. Roth Ich muss versuchen, mich in ihn hineinzuversetzen. DöRflinger Musst du das? Roth Weil ich wissen will, womit ichs zu tun habe. DöRflinger Mit einem Jesus- Spinner, fertig. Roth Ich muss ihn erst versrehen, eh ich ihn ändern kann. dörflinger Du musst ihn überhaupt nicht verstehen. Er muss sich ändern, das ist alles. Roth Das ist arrogant. Ich kann ihm nicht Intoleranz vorwerfen und selbst intolerant sein. DöRflinger Aber du kannst auch nicht mit Intoleranz tolerant sein, das war absurd. Roth Grade deshalb hab ich die Verpflichtung, mich zu informieren. dörflinger Du hast im Gegenteil das Recht, uninformiert 138 Märtyrer 139 zu sein. Du hast das Recht, die Bibel nicht gelesen zu haben und trotzdem in Ruhe gelassen zu werden mit seiner Spinnerei. Roth Hier steht zum Beispiel: „Es war aber einer unter seinen Jüngern, den Jesus Üeb hatte, der lag bei Tisch an der Brust Jesu." Dörflinger Ja. Und? Roth „Lag an seiner Brust". „Ein Jünger, den er lieb hatte". Dörflinger Ich versteh nicht - Roth Oder hier: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habr." Dörflinger Erika, warum liest du mir das vor? Roth „Liebe untereinander". Begreifst dus nicht ? Jesus ist nicht intolerant. Jesus ist schwul. Und seine Jünger sind eine schwule Kommune, und alle haben Liebe untereinander. Dörflinger Na und? Warum interessiert dich das? Von mir aus kann Jesus die Heiligen Drei Könige ficken und Ochs und Esel dazu. Es isr komplett egal. Roth Ich schlag ihn mit den eignen Waffen. Dörflinger Versteh ich nicht, warum du das machst. Du bist im Recht. Roth Ich bin offiziell verwarnt. Dörflinger Du kannst auch einfach die Gabel nehmen und essen. Im Sommer bleibt Benjamin Südel sowieso sitzen, und du bist ihn los. Roth liest weiter Ich brauche Munition. Dörflinger Der Fisch wird kalt. I I 16. Berührung I Lydia Weißt du, was ich glaube? Benjamin Ich glaub, ich weiß es: Du glaubst nichts. Lydia Ich glaube, du hast das nur gemacht, weil du dich nackt ausziehen wolltest vor min Benjamin Vor dir. Ausgerechnet. Lydia Ja, um mich irgendwie auf die Idee zu bringen, dass es dich auch nackt gibt, was man sonst nicht denken würde,, und dass theoretisch sexuelle Dinge mit dir möglich wären. Benjamin Theoretisch. Lydia Theoretisch, ja, genau, weil praktisch sagst du, Männer sollen keine Frau berühren. Und so viel hab ich gesehn, dass du eher ein Mann bist. Benjamin Eher ein Mann - Lydia Ja, ich hab speziell darauf geachtet. Ist das schlimm? Benjamin Vergeblich. Lydia Weil dein Gesicht, das kenn ich schon. Benjamin Ich hab keine Sekunde an dich gedacht. Lydia Es isc auch gleich, was die Männer sollen, für mich ist wichtig, was sie wollen. Benjamin Weil du glaubst, sie wollen dich. Lydia Ja. Manchmal frag ich. Und ich hab noch keinen getroffen, der mich nicht berühren wollte, Benjamin Doch, mich. Lydia Du von allen am meisten. Benjamin Ihr seid von unten her, ich bin von oben her; ihr seid von dieser Welt, ich hin nicht von dieser Welt. Darum 140 Märtyrer 141 habe ich euch gesagt, dass ihr sterben werdet in euren Sünden; denn wenn- ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr sterben in euren Sünden. Lydia Ich mags, wenn du so redest. Du darfst mich hier berühren. Hält ihm die Unterseite ihres Arms hin. Benjamin Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Seht, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione» und Macht über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch schaden. Lydia Oder hier. Macht eine Schulterfrei Benjamin "Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist. Lydia Ich hab keine Angst vor dem Mühlstein und dem Meer, ich kann einen Bikini anziehen oder keinen. Sie zieht ihr Oberteil hoch. Benjamin Hör auf. Bitte. Du sollst nicht - Lydia "Was ist, Benni? Fällt dir nichts mehr ein? Willst du? Es tut nicht weh. Benjamin berührt sie. Du musst keine Angst haben, ich lauf nicht rum und sag, dass es passiert ist. Braucht keiner zu wissen. Mir ist genug, dass ich es weiß. Dass ich dich anschau, wenn du wieder . redest, und weiß, woran du denkst und wer du bist, oben und unten. 17. Industrialisierung Benjamin Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Gütet und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Denn der Herr sagt: Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat. Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe. Fragt nicht danach, was ihr essen oder was ihr trinken sollt, und macht euch keine Unruhe. Euer "Vater weiß, dass ihr dessen bedürft, Trachtet vielmehr nach seinem Reich, so wird euch das alles zufallen. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Weh euch Reichen! Denn ihr habt euren Trost schon gehabt. Weh euch, die ihr jetzt satt seid! Denn Ihr werdet hungern. Dörflinger Danke, Benjamin, es langt. BENJAMIN Weh euch, die ihr jetzt lacht! Denn ihr werdet weinen und klagen. DöRELiNGER Ich unterbrech nicht gern, aber: Was hat das mit der Industriahsierung zu tun? Benjamin Sehr viel. Dörflinger Das ist kein Referat, das ist eine Predigt. 142 Märtyrer 143 Benjamin Ich erkläre, inwiefern die Industrialisierung völlig überflüssig isr. Dörflinger Die Industrialisietung ist nicht überflüssig, sondern eine historische Tatsache, und die ist Thema, James Watt, die Dampfmaschine, England und so weitet. Benjamin Wozu soll ich das aufsagen, wenns völlig unetheb-lich ist ? Dörfeinger Du beeindruckst mich nicht. Kommunistisch war ich, als ich jung war. Irgendwann muss man Geld verdienen, dann verwächst sich das. Benjamin Sie sind alt und verkommen, deshalb glauben Sie an nichts mehr. Dörflinger Kann sein, aber du glaubst auch nicht dran, und du bist jung. Du bläst dich auf und meinst, wir werden nervös. Wir werden nicht nervös. Wir hageln dich mit schlechten Noten zu, dann hast du dich von selbst erledigt. Und wir tun das ganz gelassen, und du hilfst dabei, zum Beispiel mit diesem schwachsinnigen Referat. Das war Thema verfehlt. Ihr andern braucht nicht so verschreckt zu schaun. iS. Heilung Benjamin Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue, und er wird noch größere als diese tun. Georg Schon, aber ich hab schon so viel hinter mir. Benjamin Ich glaube an den Herrn. Ich werde dich heilen. Georg Aber ich hab das von Geburt. Die haben das Fruchtwasser untersucht und mein Bein gestochen, das ist von vornherein verpfuscht. Weil sie wissen wollten, ob ich behindett bin, ob man mich abtreiben muss, da haben sie mich aus Versehen gestochen, und da war ich dann behindert. Benjamin Weils eine Sünde ist. Aber du sollst nicht büßen für die Sünden deinet Eltern. Ich werde zu deinem Bein sagen : Wachse. Und es wird wachsen. Du musst nur glauben. Georg Gut. Benjamin Was machst du? Georg Ich zieh die Hose aus. Du musst sicher eine Hand auflegen. Benjamin Ach so. Gut. Zieh sie aus. Georg Soll ich mich hinlegen? Benjamin Ich weiß nicht. Doch. Ja. Leg dich hin. Georg Es ist ein bisschen komisch. Benjamin Nichts. Du musst es glauben. Hetr, schau auf dieses Bein. Er legt die Hand auf Georgs Bein. Georg Das andere. Benjamin Abet - Georg Das hier ist das kutze. Glaub mir. Benjamin Gut. Schau auf dieses Bein. Nicht das hier, sondern dieses. Hat die Hand jetzt auf dem andern Bein. Schau auf dieses Bein, und wie es kurz ist im Vergleich. 144 Märtyrer t4J Schau, wie dieser Mensch geschlagen ist durch die Sünden seiner Väter. Georg Und der Mutter. Benjamin Das sagt man so: Sünden der Väter. Aber jetzt richtet er das Wort an dich, weil er an dich glaubt und spricht: Hilf mir, Herr. Nichts. Du musst das jetzt sagen: Hilf mir, Herr. Georg Hilf mir, Herr. Benjamin Und ich spreche zu seinem Bein: Wachse! Im Namen unseres Herrn Jesus Christus, wachse! Wachse, Bein, und werde wie das andere Bein hier, das unversehrt ist und gerade und schön. Wachse! Im Namen unseres Herrn Jesus Christus. Wachse! Wachse! Im Namen Jesu Christi! Wachse! Georg Ich spür nichts. Benjamin Du musst dran glauben. Georg Tu ich. Benjamin Wachse! Georg Vielleicht dauerts ein bisschen. Das andere hat ja auch gebraucht. Benjamin Ja. Vielleicht. Georg Nicht traurig sein. Er legt ihm die Hand auf die Schuher. Benjamin Wachse! Georg Komm. Wir versuchen es morgen wieder. Hm? Er hat immer noch die Hand auf seiner Schulter und tätschelt 146 Benjamin Georg? Georg Ja. Benjamin Was machst du da? Georg Wo? Benjamin meint die Schulter Da. Georg Nichts. Benjamin Nimm das weg. Georg Gut. Georg nimmt die Hand weg. Benjamin Im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe auf und geh umher! Georg Bittewas? Benjamin Und ich greif dich bei der rechten Hand und richte dich auf. Sogleich werden deine Füße und Knöchel fest, du springst auf, kannst gehen und stehen. Georg Aber- Benjamin Du gehst und stehst. Nun sollst du laufen und umherspringen und Gott loben. 19. Dritter Besuch beim Direktor: Evolution Benjamin trägt eine Schimpansen-Maske. Batzler Ist das wieder Benjamin Südel unter dieser Maske? Roth Wer sonst? Er hockt wie ein Affe auf der Bank und kreischt. Und er hat andere angestiftet, die das Gleiche tun. Batzler Werden Sie mal fertig mit diesem Schüler. Es kann Märtyrer 147 nicht sein, dass ich mich ständig neu mit ihm befassen muss. Was hat et diesmal? Roth Die Evolution. Die will ihm nicht einleuchten, weil Gott die Welt in sieben Tagen hergestellt hat. Benjamin In sechs. Roth Und die Fossilien der Dinosaurier, die in der Bibel nicht vorkommen, sind natürlich Fälschungen. Und rudimentäre Organe haben unbekannte Funktionen, und Atavismen sind kein Rückfall in frühere Entwicklungsstadien, sondern eine Strafe Gottes, wie übrigens auch alle Krankheiten, weil das so in der Bibel steht, die wird aber leider -nicht unterrichtet, sondern Darwins Evolutionstheorie. Benjamin Und das ist ein Fehler. Wir stammen nicht vom Affen ab. Batzler Warum gestalten Sie diese Unterrichtseinheit nicht gemeinsam mit Pfarrer Menrath? Roth Warum sollte ich das? Batzler Um den Kindern beide Erklärungsversuche der Schöpfung nahezubringen. Roth Die.Evolutionstheorie ist kein Erklärungsversuch, sondern wissenschaftlich bewiesen. Batzler Warum heißt sie dann „Theorie"? Eine Theorie ist etwas, was man mal so in den Raum stellt, eine Hypothese, eine Spekulation. Roth Eine Theorie ist ein Modell, das einen komplexen Sachverhalt begreifbar macht. Batzler Was spricht dagegen, den Kindern beide Versionen der Schöpfungsgeschichte nahezubringen? Roth Und die Kinder suchen sich dann aus, was ihnen besser gefällt? Es gibt nur eine wissenschaftliche Version. Und über die kann Pfarrer Menrath nicht kompetent Auskunft geben. Und überhaupt gehts nicht um Schöpfung, wie Sie ständig wiederholen. Da wurde nichts geschöpft. Batzler Aber wenn man will, kann man sagen, der Urknall ist so was wie ein Schöpfungsakt. Roth Man kann alles Mögliche sagen, wenn man will. Fakt ist: Die Welt ist kein in sich abgeschlossenes Werk, die befindet sich in stetiger Entwicklung und war nicht sieben Tage nach dem Urknall fertig mit allen Arten und so weiter. Benjamin Sechs. Sechs Tage später. Am siebten ruhte Gott. Roth Ich denke, er hat die ganze Woche geruht. Zumal es da noch gar keine Tage gab, weil sich dafür die Erde erst mal um die Sonne drehen musste. Das hat aber noch neun Milliarden Jahre gedauert. Batzler Und vor dem Urknall? Was war da? Roth Ein anderes Universum. Wahrscheinlich. Wir wissen es nicht. Batzler Aha: Wir wissen es nicht. Roth Noch nicht. Halten wir das aus ? Halten wir es aus, dass wir nicht alles wissen, oder müssen wir dieses Vakuum sofort mit irgendeinem Märchen füllen, wie Kinder, die Angst vor der Dunkelheit haben? Und muss das unbedingt etwas sein, was sich irgendwer vor über zweitausend Jahren ausgedacht hat? Nur weil es so schöne, wohlvertraute Bil- 14S Märtyrer 143 der sind? Was hat denn Gocc vor der Schöpfung gemache? Geschlafen? Verreist? Und wer hat Gott erschaffen? Steht das in der Bibel? Nein. Batzler Setzen Sie sich mit Pfarrer Menrath zusammen. Das ist interdisziplinär. Das find ich gut. Roth Interdisziplinär arbeitet man, wenn man ein gemeinsames Thema hat. Wenn Cäsar Gallien überfällt, dann macht man das auf Latein und in Geschichte, um das schöne Ereignis zu vertiefen. Ich hab mit Menrath nichts gemeinsam. Batzler Schauen Sie mal über Ihren Tellerrand. Roth Das mach ich täglich. Da ist ein Abgrund, da schaut man direkt zurück ins Mittelalter, das ist genau der Abgrund, den sich die Leute am Rand der Erde vorgestellt haben, als sie noch dachten, die Erde ist eine Scheibe. Soll ich das auch unterrichten, weil das irgendwann mal Menschen geglaubt haben? Batzler Suchen Sie nach Gemeinsamkeiten, statt dem Jungen hier zu sagen, dass falsch ist, was in der Bibel steht. Roth In der Bibel steht auch, dass Fledermäuse Vogel sind. Ich kann nicht so tun, als hätte solcher Schwachsinn irgendeine Berechtigung. Das ist falsch, sonst nichts. Batzler Maň muss nicht drauf rumreiten, Fledermäuse fliegen halt, also sind das im weitesten Sinne Vjgel, so ist das gemeint. Roth Und der "Wal ist ein Fisch, weil der halt schwimmt, und die Sonne dreht sich um die Erde, weil das ja auch irgendwie so aussieht. Wo wollen Sie mit uns hin? Zurück auf die Bäume? Benjamin Wir waren nie auf den Bäumen, Sie denken immer noch, wir sind Affen. Roth Du siehst ja auch wie einer aus, du Affe. Batzler Jetzt gehen Sie zu weit. Roth Ich wende nur Ihre Regel an. Batzler Sie steigern sich in einen Dogmatismus, der Ihnen gar nicht gut steht. Roth Wie meinen Sie das? Batzler Diese Verbissenheit entstellt. Sie sind sonst eine attraktive Frau. ROTH Ich versteh nicht, was Sie sagen wollen. Batzler Es gibt Frauen, die werden reizend, wenn sie sich aufregen, aber Sie nicht, Sie kriegen einen harten, unweiblichen Zug. Roth Um Himmels willen, unweiblich, das war ja schrecklich! Da muss ich mich ja sofort beruhigen und den Schnabel halten, weil das ja das Einzige ist, was zählt. Wissen Sie, wie Sie aussehen, wenn Sie mit Ihrer faulen Großzügigkeit alles weglächeln? Wie ein verschwitzter, alter Käse, der vom Teller trieft. Batzler Alter Käse, ach, Frau Roth. Nicht böse werden, war nur ein gutgemeinter Rat. Was den Affen betrifft - Benjamin, tu das alberne Ding runter, du kriegst ja keine Luft -Benjamin setzt die Maske ab. Wir machen einen runden Tisch mit Pfarrer Menrath und allen Beteiligten. Danach will ich den Jungen und Sie nicht noch mal in diesem Büro sehen. Irgendwann muss gut sein. Märtyrer 151 20. Gebet Benjamin Mein Vater, ists möglich, so gib mir Kraft. Ich brauche Kraft jetzt, weil ich Menschen wehtun muss um deinetwillen. Und die Menschen werden sich entsetzen über mich, und ich mich auch, und meine Mutter wird weinen. Und deshalb muss ich stark sein, dass ich nicht schwach werde und tue, was alle wollen, sondern das, was ihnen wehtut, dass ich - nein. Ich fang noch mal an -Nichts. Herr? Nein. Herr? Herr? Nichts. .. Mein Vater? Nichts. Ich sitz in meinem Zimmer auf dem Teppich und rede laut. Ich hab das jetzt yetsucht. Ich rede laut. Ich bin jetzt still. Nichts. Hörst du mich? zi. Juden Benjamin Ich wiird gern sterben für den Herrn. Georg Ich auch. Ich würde alles tun für dich. Benjamin Das ist gut. Ich habe nämlich nachgedacht. Georg Worüber? Benjamin Ich hab nachgedacht, wer stört. Georg Und? Wer stört? 15z Benjamin Was meinst du? Denk nach. Georg Frau Roth? Benjamin Ganz klar Frau Roth, sehr gut, Georg. Georg Ich habs sofort gewusst. Wer stört ? Frau Roth. Benjamin Und warum tut sie das? Georg Wegen der Biologie ? Benjamin Weißt du, was das für ein Name ist, Roth? Georg Wie, was für ein Name ? Benjamin Das ist ein jüdischer Name. Georg Aber so heißt fast jeder. Benjamin Umso schlimmer. Und deshalb hasst sie uns. Weil sie eine Jüdin ist. Georg Vielleicht heißt sie ja nur Roth, so wie andere Blau oder Gelb heißen. Benjamin So heißt kein Mensch, denk nach. Es ergibt alles einen großen, schrecklichen Sinn. Wie sie von Anfang an gegen mich und mein Christentum gewesen ist. Denn es gibt viele Freche, unnütze Schwätzer und Verführer, besonders die aus den Juden, denen man das Maul stopfen muss, weil sie ganze Häuser verwirren und lehren, was nicht sein darf, um schändlichen Gewinns willen. Georg Steht das auch so in der Bibel? Benjamin Und genau das ist sie, eine Schwätzerin und Verführerin, die uns verwirrt und lehrt, was nicht sein darf. Und deshalb muss man ihr das Maul stopfen. Georg Aber Benjamin, das klingt nicht gut. Benjamin Aber es ist nötig. Denn der Herr spricht: Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr Märtyrer 153 Land und Meer durchzieht, damit ihr einen Judengenossen gewinnt; und wenn ers geworden ist, macht ihr aus ihm ein Kind der Hölle, doppelt so schlimm wie ihr. Georg Benni, du klingst, als wärst du ein Nazi. Benjamin Was ich sage, ist Gottes Wort. Georg Aber Gott ist kein Nazi. Oder? Benjamin Erzürnt den Juden. Die Bibel sagt, sie haben den Herrn Jesus getötet und die Propheten und haben uns verfolgt und gefallen Gott nicht und sind allen Menschen feind. Und um das Maß ihrer Sünden allewege vollzumachen, wehren sie uns, den Heiden zu predigen zu ihrem Heil. Aber der Zorn Gottes ist schon in vollem Maß über sie gekommen. Und genau so ist es auch. Frau Roth versucht uns zu behindern, wo sie kann. Und deshalb müssen wir ihr das Maul stopfen. Georg Wenn sie so schlimm ist, wird Gott sie dann nicht selbst strafen, irgendwann? Benjamin Wir sind die Strafe Gottes. Wir müssen sie zum Schweigen bringen. Georg Das klingt überhaupt nicht gut. Benjamin: .Was sie gesagt hat, dass in der Steinzeit Behinderte nicht überlebt haben, weil sie von wilden Tieren gefressen wurden. Da hat sie über dich geredet. Georg Über mich? Benjamin Weil du behindert bist. Und dass die Natur dich früher aussortiert hätte. Georg Da hat sie mich gemeint? Benjamin Wer sonst ist behindert in der Klasse ? Georg Ich dachte immer, sie ist nett. Benjamin Ist sie nicht. Wie sie dich gefragt hat, ob du überhaupt mitkannst ins Skilager mit dem Bein, und ob du spezielle Ausrüstung brauchst. Nichts. Da wollte sie dich aussortieren. Nichts. Ist das jetzt hart für dich? Georg Wie hast du das gemeint, wir müssen sie zum Schweigen bringen? Benjamin Sie erschrecken, dass sie den Mund nie wieder so weit aufkriegt. Georg Wie denn? Benjamin Denk nach. Wenn ihr was Großes, Schlimmes widerfahrt, dass sie dann begreift, dass Gott sich nicht verarschen lässt. Georg Was Großes. Benjamin Ein gottgewollter Unfall. Georg Mit ihrem Moped. Benjamin Sehr gut. Georg Wenn die Bremsen versagen. Benjamin Kriegt man das hin? Georg Schon. Die Bremsflüssigkeit mit Wasser verdünnen, das läuft heiß -Benjamin Dann machst du das. Schrecklich ists, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Georg Ja. Nichts. 154 Märtyrer 155 Benjamin Was ? Du wirst alles tun für mich, hast du gesagt. Georg Nee, ist richtig. Benjamin Ich will Wunder tun oben am Himmel und Zeichen unten auf Erden, Blut und Feuer und Rauchdampf; die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe der große Tag der Offenbarung des Herrn kommt. Und es soll geschehen; wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden. Ihr Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus von Nazareth, von Gott unter euch ausgewiesen durch Taten und Wunder und Zeichen - diesen Mann habt ihr durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und umgebracht. 22. Religionsjunkie Lehrerin liest. Dörelinger Du. Roth Hm? Dörflinger Ich hab jetzt meine Zahnbürste aus dem Bad geholt. Roth Mhm. DöRFLINGER Ich tu sie hier zu meinen andern Sachen. Roth Mach das. Nichts. Was für andere Sachen? DöRFLINGER Ich hab mein Zeug gepackt. Roth Aber-wieso eigentlich? 15s DöRFLINGER Du hast es noch nicht mal gemerkt. Roth Entschuldigung. Was ist jetzt auf einmal ? DöRFLINGER Nicht auf einmal. Du liest nur noch das Buch. Roth Ich legs weg. Schau. Ich habs weggelegt. Was ist ? Wolltest du wirklich gehen? Dörflinger Es macht keinen Spaß mehr. Roth Komm. Setz dich zu mir. Steh da nicht so. Dörflinger Doch. Ich steh da jetzt so. Roth Ich hör für heute auf. Ich versprechs. DöRFLINGER Es ist ja nicht nur, dass du ständig liest. Du redest auch nichts andres mehr: Hier steht, dass es keine Auferstehung gibt, da täuscht sich Jesus, weil er meint, die Welt geht demnächst unter, und so weiter. Roth Es tut mir leid, wenns dich nicht interessiert, was ich erzähle. Dörflinger Es ist nicht so, dass mich das nicht interessiert. Es macht mir Angst. Roth Du musst keine Angst haben. Komm her zu mir. Dörflinger Nein. Du bist ein Jesus-Spinner. Roth Das bin ich nicht. Dörflinger Du bist besessen. Du denkst, du bist aufgeklärt, und Religion ist dir fremd und kann dir nichts anhaben, aber ich muss dir sagen, Erika, du bist ihr völlig verfallen. Roth Im Gegenteil. Dörflinger Du bist süchtig nach dem Zeug und merkst es nicht. Wie ein Arzt, der ständig Kokain schnupft und meint, er will nur die Wirkung resten. Du bist ein Religionsjunkie. Märtyrer 157 Roth Jetzt stell erst mal die Zahnbürste wieder zurück ins Bad. Es ist schrecklich, wie du da stehst mit diesem Ding. Dörflinger Die Zahnbürste nehm ich mit. Du kannst dich melden, wenn du wieder vernünftig atheistisch bist. 23. Schwuchtel Benjamin Das Bein ist nicht gewachsen. Georg Ich weiß nicht. Doch, vielleicht ein kleines Stück. Benjamin Du musst nicht jedes Mal die Hose ausziehen. Georg Vielleicht hat letztes Mal was nicht gesummt. Benjamin Das Einzige, was nicht stimmt, ist dein Glaube. Georg Mein Glaube stimmt. Benjamin Dann war das Bein gewachsen. Georg. Was ist das ? Hast du Zweifel? Georg Nein. Um Himmels willen. Benni, sag das nicht so. Man kriegt ja Angst. Benjamin Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt ? Haben wir nicht in deinem Namen böse Geister ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Wunder getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie gekannt; weicht von mir, ihr Übeltäter! Georg Ich bin kein Übeltäter. Bitte, Versuchs noch mal. Benjamin Es hat keinen Sinn, wenn du nicht an mich glaubst. Georg Ich glaub an dich. Bitte. Leg deine Hand hier hin und sprich mit meinem Bein. Benjamin Im Namen des Herrn, wachse, Bein, wachse! Es hat keinen Zweck, ich spür das, wie du mich anschaust, du bist woanders, nicht bei Gott. Georg Ich bin komplett bei dir. Lydia Ich stör anscheinend. Benjamin Was? Nein. Ja. Was willst du hier? Lydia Ich wollte fragen, ob du mit mir ein Eis - aber: Was genau macht ihr da ? Georg Mein Bein. Weil es zu kurz ist. Benni macht es wieder lang. Lydia Der macht nicht nur dein Bein lang. Jetzt versteh ich. Benjamin Was verstehst du? Lydia Das ganze Getue, und dass alles so kompliziert ist. Benjamin Wieso kompliziert? Nichts ist kompliziert. Lydia Nee. Du bist einfach schwul, Benjamin Ich? Lydia Schwul. Deshalb fummelst du hier am Krüppel. Und Männer sollen keine Frau berühren. Und im Bikini ist zu viel und nicht mal Eis essen. Benjamin Red keinen Dreck. Lydia Und ich hab gedacht, mit mir srimmt was nicht, dass du so klemmst. Benjamin Ich klemm nicht. Halt den Mund. Lydia Wieso? Solidein Geliebter das nicht wissen? Benjamin Das ist kein - wasch dein dreckiges Maul. 158 Märtyrer 159 Lydia Zum Küssen aber sauber genug, findest du nicht? Heute nicht? Benjamin Ich warne dich - Lydia Du tust mir leid. Es gibt auch schönere Jungs als deinen Krüppel. Ihr tut mir beide leid. Aber macht euch Kondome auf die Karotten, ihr wisst j a, was passiert. Benjamin Du miese - Benjamin schlägt ihr ins Gesicht. Lydia schlägt sofort zurück. Lydia Du Pisser. Sie schlägt ihn noch mal. Bild dir bloß nicht ein, das funktioniert. Schlägt ihn noch mal Das funktioniert nämlich nicht. Schwuchtel. 24. Basteln Benjamin bastelt ein Holzkreuz. Südel Du liest gar nicht. Benjamin Nein. södel Wird das ein Kreuz ? Nichts. Ist wer gestorben? Benjamin schaut sie an. Weißt du noch? Als dein Hase tot war - Benjamin Das war ein Kaninchen. Hansi. Südel Genau. Da hat dein Vater auch so ein Holzkreuz gebastelt. Und dann haben wir ihn im Garten eingegraben. Den Hasen. Das Kaninchen. Wo ist das eigentlich hingekommen, dieses Kreuz? Benjamin schaut sie an. Du machst das sehr geschickt. Willst du das in dein Zimmer hängen? Ich hab nichts dagegen. Benjamin Nein. SüDEL Oder gehst du Vampire jagen? Nichts. Ein Scherz. Benjamin lacht nicht. Benjamin Vielleicht geh ich Vampire jagen. Genau. SüDEL Dein Religionslehrer sagt, du bist begabt, Benjamin Hat er dich angefasst? Südel Pfarrer Menrath? Benjamin Nicht? Südel Nein. Doch. Wieso? Benjamin Brauchst dir nichts drauf einbilden. Das macht er mit allen. Seine Hände, die Wärme Gottes, und so weiter. SüDEL Pfarrer Menrath hat ein paar sehr gute Sachen gesagt. Benjamin Weh auch euch Schriftgelehrten! Denn ihr beladet die Menschen mit unerträglichen Lasten, und ihr selbst rührt sie nicht mit einem Finger an. Südel Er hält viel von dir. Benjamin Und ich nichts von ihm. Nimm dich in Acht. Bald werd ich nicht mehr hier sein, um auf dich aufzupassen. Südel Du auf mich - wo willst du denn hin? Benjamin Zu meinem Vater. Märtyrer 161 m Süd el Zu deinem Vater? Was willst du bei dem, der hat sich nie für dich interessiert. Benjamin Er hat mich gerufen. Südel Er hat dich-was hat er? Benjamin Er ruft mich zu sich. Südel Und du lässt alles fallen und springst ? Benjamin Hättest du mich lieb, dann wütdest du dich freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich. Südel Ich freu mich, dass er sich an dich erinnerr, aber er wird dich enttäuschen und sitzenlassen, so wie mich, du passt nicht in sein Leben, keiner passt da rein, er winkt dich durch, und dann wirst du ihn hassen. Benjamin Mama- Südel So hat er das gesagt: Ich pass nicht in sein Leben, obwohl da so viel vorkommt, aber immer wieder fliegt was raus, weil das ein Puff ist, jeder darf mal, rein, raus, Quittung, danke, Nächster bitte. Benjamin Mama, wovon redest du? 15. Kreuz Benjamin steht auf einem Tisch und nagelt sein Holzkreuz an die Wand. Roth Komm da runter. Benjamin Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still. Der Mann ist Gottes Bild und Abglanz; die Frau aber ist des Mannes Abglanz. Denn der Mann ist nicht von der Frau, sondern die Frau von dem Mann. Und der Mann ist nicht geschaffen um der Frau willen, sondern die Frau um des Mannes willen. Die Frauen sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. Wollen sie aber etwas lernen, so sollen sie daheim ihre Männer fragen. Roth Damit wirst du weit kommen. Die Hälfte der Weltbevölkerung hast du schon gegen dich. Benjamin Ich muss nicht mehr weit kommen. Ich bin schon da. Wenn euch die Welt hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat. Roth Kein Mensch hasst dich. Aber nimm dein Gebastel da runter. Benjamin Warum? Roth Weil das eine Schule ist und keine Kirche. Wir wollen keine Folterwerkzeuge an der Wand hängen haben. Benjamin Sie halten das Kreuz nicht aus, weil Sie eine Jüdin sind. Roth Weil ich eine Jüdin bin? Benjamin Sie sind eine Jüdin, deshalb können Sie nicht anders. Das Herz dieses Volkes ist verstockt, und ihre Ohren hören schwer, und ihre Augen sind geschlossen, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren, und ich ihnen helfe. Und deshalb können Sie nicht anders als zu lügen. Roth Wie kommst du drauf, dass ich Jüdin bin? Benjamin Ich hab mich immer gefragt, was Sie davon haben, Märtyrer 163 wenn wir denken, dass die Welt ein Zufall ist und ohne Gott. Sie wollen uns verwirren, weil Sie die Jüdin sind und Jesus hassen. Roth Weißt du, was über die Juden in der Bibel steht? Benjamin Wissen Sies denn? Roth In der Bibel steht: Das Heil kommt von den Juden. Benjamin Eine Lüge. Schon wieder eine Lüge. Roth Johannesevangelium, viertes Kapitel: Das Heil kommt von den Juden. Benjamin Aus Ihnen spricht der Satan. Roth Dann spricht der Satan aus der Bibel. Benjamin Gott wird Sie strafen. Er wird seine Engel senden und Sie hinabstoßen, wenn Sie am schnellsten fliehen, und Sie werden an mich denken, wenn Schatten über Ihre Augen kommt, und wie ich dieses Kreuz über Ihr Haupt gehängt habe, als ein Zeichen, dass Gott Sie richten wird. Roth Komm runter, und wir reden wie vernünftige Menschen. Benjamin Vertrauenslehrerin. Halten Sie das Kreuz aus, das über Ihrem Kopf hängt? Roth Ich nehm es nachher ab, wenn du den Raum verlässt. Benjamin Ich verlasse den Raum nicht. Sie verlassen den Raum, und Sie werden nicht mehr zurückkehren, bis Gott die Lebenden und die Toten ruft am Jüngsten Tag. Roth Benjamin, du bist sehr weit gegangen, und wenn du nicht so unerträglich dummes Zeug reden würdest, hätte ich sogar Respekt deshalb. Aber irgendwann musst du zur 164 Besinnung kommen. Irgendwann musst du aufwachen und zutück ins Leben, aus dem du dich verabschiedet hast. Komm. Benjamin Ich muss nichts. Roth Gib mir deine Hand und komm da runter. Benjamin Geh weg von mir, Satan! Du bist mir ein Ärgernis; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. Roth Du hast ja Angst. Ich helfe dir. Benjamin Weg mit dir, Satan! denn es steht geschrieben: Du sollst anbecen den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen. Roth Komm. Ich tu dir nichts. Komm runter. Benjamin Fassen Sie mich nicht an! Sie haben mich angefasst. Sie werden brennen. Sie hat mich angefasst. Sie hat mich angefasst. z6. Verrat Benjamin und Georg auf zwei Handtüchern. Georg Willst du noch ein Bier? Benjamin Ja. Erzähl weiter. Beide trinken. Georg Es ist so schön am Wasser. Ich bin hier nie gewesen. Benjamin Alle kommen hierher. Aber jetzt sind sie im Unter- richt. Erzähl weiter. Georg Sie setzt sich einen Helm auf. Märtyrer 165 Benjamin Der ihr nichts nützen wird. Georg Und dann startet sie den Roller. Benjamin Aber da merkt sie noch nichts, oder? Georg Gar nichts. Alles wie gewohnt. Blinker setzen. Los gehts. Benjamin Wo fährt sie hin? Georg Sie ist auf dem Weg zur Schule. Benjamin Sie denkt an mich. Und was ich ihr heute entgegenschleudern werde. Georg Vielleicht denkt sie auch an mich. Benjamin Aber sie ahnt nichts. Georg Sie fährt die Waldstraße runter. Und dann passierts. Benjamin Genau. Erzähl, wie. Georg Hab ich vorhin schon. Benjamin Erzähl noch mal. Georg Aus einer Seitenstraße kommt ein Laster. Nicht schnell, aber sie muss bremsen. Benjamin Vollbremsung. Georg Die Bremsen laufen heiß, das Wasser in der Bremsflüssigkeit verdampft, die Bremsen greifen ins Leere, der Roller rauscht auf den Laster zu. Benjamin Weiter. Georg Kann ich einen Schluck? Benjamin gibt, ihm aus seiner Flasche. Georg trinkt. Benjamin Weiter. Erzähl weiter. Georg Sie versucht auszuweichen. Benjamin Schreit sie? Georg Sie schreit. Der Laster erwischt sie mit der vorderen Stoßstange, sie schleudert, stürzt und rutscht noch auf die Gegenfahrbahn, wo sie von einem Taxi überrollt wird. Benjamin Das hast du letztes Mal nicht gesagt. Georg Nicht ? Ist aber ziemlich wahrscheinlich. Fertig. Benjamin Gut. Sehr gut. Trinken. Nichts. Warum ist es noch nicht passiert ? Georg Man muss warten, vielleicht hat sie noch nicht so scharf bremsen müssen. Benjamin Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt. Warren wir. Nichts. Du hast das gut gemacht. Ich segne dich. Legt ihm die Hand auf den Kopf. Georg Ja. Ich bin dann jetzt so was wie ein Jünger. Benjamin Ja. Mein Jünger. Georg Dein Lieblingsjünger. Benjamin Ja. Mein einziger Lieblingsjünger. Nichts. Vielleicht ist Benjamin eingeschlafen. Georg küsst ihn. Es dauert einen Moment, ehe Benjamin sich wehrt. Benjamin Bist du wahnsinnig? Georg Ich dachte - nein, es tut mir leid. Benjamin Was dachtest du? Dass Gott es nicht sieht? Georg Ich hab nicht viel gedacht. Benjamin Kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes. Und vor meinen Augen auch. Dich hat der Satan in den Klauen. Georg Ich dachte, du willst das. 166 Märtyrer 167 Benjamin Wie kann ich das wollen? Du sollst nicht bei einem Mann, liegen wie bei einer Frau; es ist ein Greuel. Georg Ich weiß. Benjamin Und alle, die solche Greuel tun, werden ausgerottet werden aus ihrem Volk. Georg Ich weiß, aber wie du da gelegen hast, und deine Lippen haben noch geglänzt vom Bier - Benjamin Bleib weg. Komm nicht näher. Du wirst ausgerottet. Georg Du hast gesagt, ich bin dein Lieblingsjünger. Benjamin Ich hab dich in meine Nähe gelassen wie sonst keinen. Und du hast mich enttäuscht. Georg Ich hab.dich nicht enttäuscht, ich hab alles getan, was du gesagt hast. Benjamin Ich hab nicht gesagt, du sollst mich küssen. Georg Das war dann eben ein Missverständnis. Benjamin Ich hätts wissen müssen. Georg Was? Benjamin Dass dein Bein nicht gewachsen ist, da hätt ichs wissen müssen. Du hast mich angelogen. Georg Nein. Benjamin Du hast keinen Glauben und bist ein Heuchler, und die Bibel, die du so wichtig gekauft hast, mit dem Reißverschluss, die hast du nie gelesen. Georg Ich hab drin gelesen. Benjamin Aber nichts verstanden. Ich hab an dich hingeredet wie an eine Wand, und alles umsonst. Geh weg. Ich mag dich nicht meht sehn. Georg Schick mich nicht weg. Ich sag, wies war. Mi Benjamin Ich wills nicht hören. Georg Dass ich nichts verstanden habe, ja, na und, ein bisschen ist das Bein vielleicht sogar gewachsen, schau, es hat so gutgetan. Weil wir Freunde sind, oder ist das nicht mehr wichtig ? Benjamin Ich hab mit dir gebetet, und du hattest nichts als Unzucht im Herzen. Georg Ich hab dich gern angeschaut dabei, ja, und ich bin sicher, Gott hat auch nichts anderes getan. Benjamin Ich habe meine Zeit an dich verschwendet, an einen ungläubigen Krüppel, kein Wunder, dass dein Bein nicht wächst, es ist die Strafe Gottes für deine widernatürlichen Begierden. Bleib weg, du ekelst mich an. Georg Ich mach ja nichts mehr. Benjamin Weg. Georg Du musst es dann alleine schaffen. Benjamin Was? Was muss ich schaffen? Georg Ich bin dann nicht mehr bei dir. Benjamin Umso besser. Kein Mensch braucht dich. Georg Dann kannst du der Roth das Wasser selber in die Bremsen schütten. Benjamin Das hast du längst gemacht. Georg Da kann man sterben. Benjamin Und? Georg Das ist kein Spiel mehr. Benjamin Nie gewesen. Hast dus nicht gemacht ? Georg Wenn die Bremsen versagen und sie unter einen Lastet schlittert, da ist sie tot. Märtyrer 169 mmm Benjamin Du hast es nicht gemacht, Verräter. Georg Tot, das willst du nicht. Benjamin Du weißt nicht, was ich will, das hast du grad bewiesen. Georg Ich hab nur Angst, wie immer. Benjamin Bleib, wo du bist, Judas. Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut. Georg Es tut mir leid - Benjamin Mir tut es weh. Es wird fast alles mit Blut gereinigt nach dem Gesetz, und ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung. Et hebt einen Stein auf. 2.7. Vierter Besuch beim Direktor: Kreuzigung Batzler Im Verlauf der letzten Wochen bist du immer wieder durch sonderbare Aktionen aufgefallen, Benjamin. Einige der hier Anwesenden waren dadurch stark beunruhigt. Ich muss gestehen, mich beunruhigen vor allem deine schulischen Leistungen, die nie besonders waren, aber jetzt muss man sagen, du bist drastisch abgerutscht. Sudel Wenn ich hier gleich was einwerfen darf -Batzler Moment. Ich möchte ihn gern selbst hören. Nichts. Benjamin? Was sagst du dazu? SüDEL Wenn er so ein Gesicht zieht, sagt er nichts. Vergessen Sies. Batzler Benjamin, hier sind lauter wohlwollende Menschen. Alle wegen dir. Um dir zu helfen. Südel Er will keine Hilfe. Er spricht nur noch vom Untergang. Er macht sich bereit für den Jüngsten Tag, sagt er, und Sie sind schuld. Batzler Ich? Südel Ja, Sie. Ich mache Sie dafür verantwordich -Batzler Wieso denn mich? SüDEL An mir kanns nicht liegen, mich sieht er ja kaum. Batzler Bestechende Logik. Menrath Wenn ich kurz - Batzler Bitte, vielleicht treffen Sie den richtigen Ton. Menrath Du kennst das Gleichnis vom Diener, der das Talent vergräbt, das der Herr ihm anvertraut, statt damit zu arbeiten, und wie er am Ende bestraft wird. Auch dir sind Talente anvertraut. Und es gefällt dem Herrn nicht, wenn du sie verkommen lässt. Südel Jetzt kommen Sie und reden von Talent. Und jahrelang hat keiner nachgefragt. Roth Talent ist nicht das Thema, Ihr Junge ist auf einem Kreuzzug. Hier, Benjamin, du hast dein Werkzeug liegen lassen. Sie legt Hämmer und Nägel hin. Batzler Sie kriegen sicher noch Gelegenheit, aber wenn es drum geht, das Schweigen zu brechen - Roth Das Schweigen brechen, dass er uns seine antisemitischen Perlen auftischen kann - Batzler Antisemitisch, ach was, jetzt bleiben Sie mal auf dem Teppich. Märtyrer i/r 1 y5£ Roth Antisemitisch, genau. Aber gut, ich bleibe auf dem Teppich, wenn das auch schöngeredet werden soll. SUDEL Mein Sohn ist kein Antisemit. Dörflinger Du musst wirklich aufpassen, Erika, mit solchen Begriffen. Roth Was muss ich? Denkst du, ich bin bescheuerr? Ich weiß, was ich sage. Dörflinger Du darfst dich nicht provozieren lassen, das ist ein Kind, du bist erwachsen. Roth Was willst du jetzt? Bist du auf einmal mein Erziehungsberechtigter? DöRELINGER Ich seh hur, wie du dich blamierst. Roth Wenn mich wer blamiert, dann du. Was machst du übethaupt hier? Dich hat die ganze Zeit nichts interessiert und jetzt machst du die intelligente Grimasse und quatschst von oben auf mich runter. Dörflinger Ich quatsche nicht. Roth Mach einfach, was du die ganze Zeit gemacht hast: Zieh den Schwanz ein, halt dich raus und die Fresse. Batzler Private Konflikte bitte anderswo. Hier gehts um diesen Schüler. Südel Vielleicht schaun Sie erst mal bei sich selbst, eh mein Sohn an allem schuld ist. Wenn sich die Lehrer hier so angiften. Wie wollen Sie ein Vorbild sein ? Roth Sie sollten nicht das Maul aufreißen. Wir arbeiten mit den Kindern, so wie sie aus den Familien kommen. Was erwarten Sie? Dass wir aus Scheiße Gold machen? Südel Mein Sohn ist keine Scheiße. Was bilden Sie sich ein? Mein Sohn ist Gold, da braucht er Sie nicht dazu. Roth Ihr Goldjunge ist mit antisemitischen Beschimpfungen über mich hergefallen. Dörflinger Ein Kind, ich bitte dich. Roth Du bittest mich überhaupt nicht. Batzler Was Antisemitismus betrifft - haben Sie da nicht Ihre eigene Agenda, Frau Roth? Roth Was soll ich für eine Agenda haben? Batzler Dass Sie aufgrund Ihrer Herkunft ein wenig dünnhäutig sind? Ein wenig überempfindlich? Roth Was soll das für eine Herkunft sein? Batzler Weil Sie - vermutlich - ich vermute - jüdisch sind? Roth Jüdin. Sagen Sie doch Jüdin. Warum sagen Sie nicht Jüdin? Jüdisch klingt besser, oder? Weniger rassistisch. Batzler Ja, sind Sie denn nun - Roth Ich weigere mich, mit Ihnen meinen Familienstammbaum zu diskutieren. Batzler Na, wie auch immer, Frau Roth. Roth Ich hab keine Agenda, und Sie werden von mir auch keinen Ariernachweis sehen. Ich weiß trotzdem, was Antisemitismus ist. Batzler Jetzt atmen Sie mal durch. Roth Was? Batzler Machen Sie sich nicht zum Problem. Es geht hier nicht um Sie. Roth Soll ich den Mund halten? Wie der durchgeknallte Spinner da? Ich kann auch den Mund halten. 172 Märtyrer 173 Batzler Ja, tun Sie uns bitte den Gefallen, und halten Sie vorübergehend den Mund. Menrath Wenn ich dann noch mal - Roth Bitte, gern, versuchen Sie Ihren Hokuspokus. Exorzieren Sie ihn, erkanns gebrauchen. Menrath Du bist ein sehr entschlossener junger Mensch. Die Welt steht dir offen. Aber jetzt bist du in einer Sackgasse. Ich habe dir angeboten, zu uns zu kommen. Das Angebot steht noch immer. Schließ dich uns an. Südel Nun sag was zum Herrn Pfarrer. Benjamin Sie hat mich angefasst. Batzler Bitte?. Benjamin Sie hat mich angefasst. Frau Roth. Sie hat mich angefasst. Roth Washabich? Südel Sie hat dich angefasst? Benjamin Ja. Angefasst. Südel Was soll das heißen, „angefasst", wie „angefasst"? Batzler Sie hat ihn angefasst. Benjamin Am Bein. Mehrfach. Und hinten. Die Hand. Das Bein. Ich mag nichts weiter sagen. Südel Ist das wahr? Batzler Haben Sie ihn angefasst? Roth Ich habe keine Ahnung -Batzler Warum, um Himmels willen -Roth Keine Ahnung, wovon er redet. Batzler Benjamin, du musst uns sagen, was passiert ist. Südel Das ist doch offensichdich. Der Junge mag nichts weiter sagen. Mein Junge - Sie nimmt ihn in den Arm, was er geschehen lässt. Batzler Können Sie das erklären? Roth Nein. Sie wissen, dass der Schüler gestört ist. Was soll das, Benjamin? Was erzählst du solchen Mist? Südel Muss er sich von Ihnen anfahren lassen? Herr Direktor, ich erwarte, dass Sie Frau Roth zur Vernunft bringen. Roth Zur Vernunft ? Ich bin die Einzige, die hier vernünftig ist, ich bin die Letzte, die noch steht, ihr seid schon alle gefallen, ihr seid vernebelt und vetblödet, der Junge hat euch infiziert mit seinem pseudoprophetischen Geraune. Dorflinger Das hätt ich nicht gedacht von dir. Roth Was gedacht? Dorflinger Abet dass du so besessen warst die letzten Wochen, das hat jetzt einen Sinn. Batzler Besessen? Das müssen Sie erklären, Herr Dorflinger. Dorflinger Besessen, weil sie nichts andres mehr gedach*-har, besessen von dem Schüler, ich habs nicht verstanden weil sie nie so gewesen ist davor, aber jetzt, wo ich das höre hat alles einen tiefen, schlimmen Sinn. Roth Was schwafelst du? Was hat Sinn? Du bist so sinnlos Dorflinger, ich verachte dich. Batzler Frau Roth - Roth Nein, was soll das überhaupt, dass alle immer nicken dass alle sich einig sind, Respekt vor Religion, warum über haupt, ich hab das auch immer gesagt ohne nachzudenken Respekt vor Religion, aber wieso? Was soll das sein, das; 174 Märtyrer 17- einer der Hirte ist, und alle anderen sind Schafe? Was ist das denn, dass da oben einer sitzt, und der ist Chef? Wer har ihn denn gewählt ? DöRFLlNGER Ganz ruhig, Erika. Roth Nein, den hat nämlich keiner gewählt, wir sollen ihn Vater nennen, wir sind alle seine Kinder, und das ist ein schönet Gedanke, dass es da einen großen Papa gibt, der auf uns achtgibt. Schöner Gedanke, solang wir Kinder sind, solang wir nicht erwachsen werden. Ein Vater, der alles sieht, der urlkontrolliert straft, der irrational und grausam ist, kapiert ihrs nicht, das ist totalitäre Diktatur. Batzler Frau Roth, bitte rasten Sie nicht aus - Roth Nein, Monotheismus ist Diktatur, und ich sage, wenn es einen Gott gibt, muss man ihn bekämpfen. Benjamin Sie hat mich angefasst, in ihrem Büro, wir waren allein, sie hat gesagt, wir müssen reden, sie ist näher gekommen, ich bin auf einen Tisch gestiegen, weg von ihr, sie hat mich angefasst, am Bein, ich hab mich weggedreht, sie hat nicht losgelassen, sie hat mich hier angefasst, und hier, und hier, ich hab geschrien, ich soll nicht Schrein, hat sie gesagt, ich hab die Augen zugekniffen und gewartet, dass es vorbeigeht, und zu Gott gebetet, dass er ihr verzeiht, Gott, vergib ihr, sie weiß nicht, was sie tut, vergib ihr, Vater im Himmel, und erbarme dich meines armen Leibs, vergib ihr, dass sie nicht in den Feuerofen geworfen wird. Roth Dann soll er sich erbarmen, deines armen Leibs. Sie schlägt ihn. Dreckschleuder, was hab ich dir getan? Benjamin Sie schlägt mich, sie schlägt mich. Südel Mein Kind - Roth Ich schlag dich. Hältst du die andre Wange hin? Die schlag ich auch. Batzuer Frau Roth -Dorflinger Erika -Benjamin Sie hat mich geschlagen. Roth Genau. Jetzt hab ich dich angefasst. So. Nichts. Batzler Frau Roth, das wars dann wohl. Dorflinger Davon wird sich deine Karriere nie mehr erholen. SÖDEL Sie haben es alle gesehen, sie hat ihn hier - ist alles gut, mein Junge? Benjamin Ja, alles gut, sehr gut. Danke, Mama. Dorflinger Was ist nur in dich gefahren? Roth In der Bibel steht: Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er, und er schlägt jeden Sohn, den er annimmt. Lass nicht ab, den Knaben zu züchtigen; denn wenn du ihn mit der Rute schlägst, so wird er sein Leben behalten. Ich habs gesagt, ich schlag ihn mit den eignen Waffen. Batzler Sie schlagen niemanden mehr. Sie sind endassen. Fristlos. Roth Nein. Batzler Grad hab ich noch gemeint, Sie sollen sich nicht zum Problem machen. Sie sind längst das Problem. Ich sags, wies ist: Sie sind eine Schande für unsern Berufsstand. Packen Sie Ihre Sachen und gehen Sie. Roth Herr Direktor- Märtyrer 177 Batzler Nein, Wir haben es alle gesehn. SüDEL Und nur, weil sein Glaube es verbietet, hat mein Sohn nicht zurückgeschlagen. Lydia Darf ich stören? Batzler Nein. Lydia Ein Notfall. Georg hat ein Loch im Kopf. DöRFLINGER EinLoch? Lydia In seinem Kopf. Genau. Georg Jetzt ist es doch passiert, Frau Roth. Ich hab den Helm nicht aufgehabt. Lydia Wir haben ihn gefunden, wie er die Treppe vorm Haupteingang hinaufgekrochen ist. Batzler Das auch noch, ein Loch. Georg Sie werden sterben. Frau Roth. Bewegen Sie sich nicht. Er macht sie tot. Roth Die Drohungen, das kenn ich schon. Georg Wenn er Sie heut nicht kriegt, erwischt er Sie morgen, bleiben Sie srehn oder gehn Sie zu Fuß, ich bin nur hier, weil ich sie warnen muss, eigentlich sitze ich schon vor Gericht, mir ist so kalt in meinem Kopf, da pfeift der Wind. Benjamin Gehirn erschüttert. Georg, mein Freund - Lydia So redet der die ganze Zeit. ■ Batzler Gut..Also jetzt ein Loch. Benjamin Was haben sie mit dir gemache? Batzler Ins Krankenhaus. Wir bringen ihn ins Kartenzimmer, bis der Notarzt kommt. Hat er gesagt, was ihm passiert ist ? Lydia Er sagt nur wirres Zeug, und dass Frau Roth damit zu tun hat. 178 Batzler Das klärt sich, wenn er wieder klar ist. Zu Roth Vor Ihnen muss man sich enrsetzen. Ich hätte das trotz allem nicht gedacht. Georg Du musst mir schon verzeihen, Benni, mir ist jetzt selbst die Flüssigkeit verdünnt, und langsam leert sich alles aus. Dörflinger Auch wenns mich grause, wir können reden, jederzeit. Roth Du bist das Letzte, was ich brauch. Menrath Ich werde für Sie beten. Roth Vergessen Sies, ich komm ja doch ins Konzentrationslager, das Ihr Diktatorgott betreiben lässt. Batzler Es reicht jetzt. Gehen Sie. Roth Ich bleibe. Batzler Dann lass ich Sie entfernen. Ein Kind schlagen, ich glaub, ich bin ein mieser Mensch, aber so was war mir nie passiert. Roth Ich geh nicht weg. Batzler Herr Dörflinger, wollen Sie versuchen, oder muss ich telefonieren? Dörflinger Erika - Roth zu Dörflinger Du rührst dich nicht. Lydia Sie hat den Hammer. Roth Ich hab den Hammer, und ich geh nicht weg. Sie nimmt im Folgenden Hammer und Nägel und nagelt ihre Füße fest. Ich bin hier richtig. Ich bin hier richtig, und ihr seid falsch. Weil im Herbst kommen die neuen Klassen, und ich werde Märtyrer 179 ■Pf t das Skelett aus dem Lager holen, die aufgesperrten Gesichter, ob es echt ist, dann Knochenbau, aufrechter Gang, Herz, Kreislauf, Sinnesorgane, Gehirn, und alle wissen, dass sie gemeint sind, ich sag ihnen, was sie sind, und sie wollen es hören, weil ich von ihnen rede, ein Wunder, jedes Einzelne von ihnen, auch ohne Gott, ihre Augen, die von der Tafel lesen, die Münder und Stimmen, wenn sie fragen, ihre Ellbogen, auf die sie sich stützen, ihte Finger, die Stifte halten und schreiben, die immer nervösen Beine, die unter den Bänken zappeln, die Füße, die in kleinen Sandalen auf dem Linoleum hin- und herrutschen und sie hergetragen haben den ganzen Weg von daheim. Die Füße. Ich geh hier nicht weg. Ich bin hier richtig. Ende Zitiert wird die Standardausgabe der Lutherbibel. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984. S. 107 Samaria wird wüst werden; denn es ist seinem Gott ungehorsam. Sie sollen durchs Schwert fallen und ihre kleinen Kinder zerschmettert: und ihre Schwangeren aufgeschlitzt werden. - Hos 14,1 S. 108 Denn der Herr ist zornig über alle Heiden und ergrimmt über alle ihre Scharen. Er wird an ihnen den Bann vollstrecken und sie zur Schlachtung dahingehen. Und ihre Erschlagenen werden hingeworfen werden, dass der Gestank von ihren Leichnamen aufsteigen wird und die Berge von ihrem Blut fließen. -Jes 34,2-5 S.108 ...] Und ihr Land wird trunken wetden von Blut, und die Erde wird triefen von Fett. Denn es kommt der Tag der Rache des Herrn und das Jahr der Vergeltung [...]. - Jes 34,7-8 S. no [...] dass die Frauen in schicklicher Kleidung sich schmücken mit Anstand und Zucht [...] sondern, wie sichs ziemt für Frauen, die ihre Frömmigkeit bekunden wollen [...] -1 Tim 2,p—io S. m [...] Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. - Mt 5,28 S. in Wer mich verachtet und nimmt meine Worte nicht an, der hat schon seinen Richrer: Das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am Jüngsten Tage. -Joh 12,48 S. in [D]er mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt. -Job 8,2p S. 115 Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. 180 Märtyrer 181