TSCHECHISCHES SCHULWESEN NACH DEM JAHRE 1989 Tomáš Janík 1. Einleitung Nach dem Jahre 1989 begann in der damaligen Tschechoslowakei die Transformation des kommunistischen Systems in ein demokratisches System. Es ergaben sich neue Perspektiven in allen Bereichen. Es ist nicht einfach alle Wege, die diese Transformation verfolgt hat, zu begreifen. Wir versuchen das wichtigste zu unterstreichen. 2. Transformation des tschechischen Schulwesens Es sei jedoch angemerkt, dass der Transformation des tschechischen Schulwesens nach dem Jahre 1989 keine offizielle langfristige Strategie zu Grunde lag; d.h. Schule durchläuft viele Veränderungen, die manchmal nicht vorbedacht sind: Die meisten Entscheidungen spielten sich oft ad hoc ab. Es wurden zwar Einzelfälle gelöst, nicht aber das ganze System reformiert. Das Schulgesetz ­ Školský zákon ­ aus dem Jahre 1984 wurde nach der politischen Wende im Jahre 1989 nicht neu gefasst, es wurde lediglich novelliert. Die eigentliche Transformation des tschechischen Schulwesens begann erst im Jahr 1990: Es entstand ein Hochschulgesetz ­ Zákon o vysokých školách (Nr. 172/1990) sowie ein Gesetz betreffend die staatliche Verwaltung und Selbstverwaltung ­ Zákon o státní správě a samosprávě (Nr. 564/1990) ­ welches das Schulmanagement tangiert und den Schulen auch dahingehend Autonomie verleiht, dass sie sich als juridische Personen registrieren können. Durch diesen Transformationsprozess gewannen die Schulen Autonomie. 1992 kam es zu Veränderungen in den Arbeitsbedingungen der LehrerInnen; durch die Verordnung 503/1992 wurde die Anzahl der Unterrichtstunden von 21 auf 22 Wochenstunden erhöht. Im Jahr 1997 wurde im Rahmen der ,,Rationalisierung" des Bildungssystems die Anzahl der Unterrichtstunden von 22 auf 24 pro Woche erhöht (Verordnung 68/1997); im Jahr 1999 wurde diese Änderung wieder zurück genommen (Verordnung 153/1999). Im Jahr 2000 kam es zu neuen administrativen Reformen: die Lehrerinnen-Gehälter wurden um 8% erhöht mit dem Ziel, junge Leute für den Lehrerberuf zu motivieren. Einen Bestandteil dieser Transformation bilden die Ausbildungsreformen, die folgender- maßen charakterisiert werden können: ˇ Auflösung von ideologischer Indoktrination in der Ausbildung, ˇ freie Wahl der Schule und der Schullaufbahn, ˇ Aufhebung des Staatsmonopols bezüglich der Beschulung, ˇ Dezentralisierung des Managements im Bildungssystem, ˇ strukturelle und curriculare Veränderungen u.a. 3. Äußere und Innere Schulreform Oft wurde Kritik zum Ausgangspunkt der Reform gemacht: Schule sei normativ und uniform, Schule sei passiv und verbal, leistungsorientiert, isoliert von der Umgebung, die Inhalte sind detailliert und normativ definiert, das Schulwesen ist direktiv und zentralisiert geleitet, die Kommunikation zwischen LehrerInnen und SchülerInnen ist deformiert, äußere Disziplin wird 1 akzentuiert, die intellektuelle Entwicklung geht auf Kosten der sozialen, emotionalen, moralischen Entwicklung, Prüfen und Beurteilen zielt auf die Identifikation von Fehlern ab, unangemessene Arbeit mit dem Fehler, LehrerInnen haben minimale Kompetenzen, sie sind Beamte und Vollzieher von Vorschriften, Lehreraus-bildung ist uniform usw. Notwendige äußere Reformen betreffen strukturelle Veränderungen im Schulsystem, das Schulmanagement, die Finanzierung, u.a., wobei eine legislative Verankerung notwendig ist. Notwendige innere Reformen betreffen Veränderungen in der Auffassung von Ausbildung und Schule, Sinn, Zielen, Funktionen und Inhalten, Unterrichtsprozessen, Menschenbildern, veränderte Beziehung zu Eltern, zur sozialen Umgebung, zu Methoden und Arbeitsformen. Das tschechische Schulwesen wurde von OECD-Experten untersucht. Das OECD- Dokument aus dem Jahr 1996 ­ Reviews of National Policies for Education. Czech Republic. OECD, Paris 1996 ­ analysiert das tschechische Schulwesen und bringt elf Empfehlungen für die Bildungspolitik. Das OECD-Dokument aus dem Jahre 1999 ­ Přiority pro českou vzdělávací politiku. Mimořádné zasedání Výboru pro vzdělávání OECD v Praze 26. ­ 27. dubna 1999. Praha 1999 ­ evaluiert, wie diese elf Empfehlungen in der Tschechischen Republik realisiert wurden. Anfang 2001 hat die tschechische Regierung die Resolution Nr. 113 vom 7. Februar 2001 mit dem Titel Národní program rozvoje vzdělávání v České republice (The National Programme of Education Development in the Czech Republic), ursprünglich als ,,Weißbuch" publiziert, angenommen. Dieses Dokument weist zukunftsgerichtete Aspekte auf, die zum Teil in das Jahr 2005, z.T. in das Jahr 2010 weisen. 3.1. Curriculare Reform Im Bereich der Curriculumentwicklung entstand bereits im Jahre 1995 der sog. ,,Standard der Grundausbildung" (Standard základního vzdělávání). Dieses Dokument definiert die Ziele der Ausbildung und den Basislehrstoff in sieben Bereichen der Grundausbildung. Es ist eine Grundlage für die Entwicklung von Lehrplänen, Lehrbüchern und spezifischen Ausbildungs- programmen. Im Bereich der Grundschule entstanden in der Tschechischen Republik drei konkrete Ausbildungsprogramme (Základní škola, Obecná škola, Národní škola), die vom Schulministerium offiziell genehmigt wurden. Die jeweiligen Schulen können sich entscheiden, nach welchem dieser Modelle sie arbeiten wollen. Die Ideen der Humanisierung und Demokratisierung sind für diese Transformation von Bedeutung. Die Akzeptanz des Freiheitsbegriffes wurde proklamiert. Vom Jahre 2005 gibt es in der Tschechischen Republik ein neues Schulgesetz und es werden ein neues Rahmencurruculum (Rámcové vzdělávací programy) implementiert. 3.2. Neue Aufgaben von Schule E. WALTEROVÁ (2001) verweist darauf, dass sich die Transmission als traditionelle Aufgabe der Schule ändert. Sie muss heute vor allem der interaktiven und integrativen Aufgabe Rechnung tragen. Demnach muss die Schule folgende Funktionen erfüllen: ˇ eine methodische und koordinative Funktion, ˇ eine technologische Funktion, ˇ eine Professionalitätsfunktion, ˇ eine soziale Funktion, 2 ˇ eine Personalisationsfunktion, ˇ eine Schutzfunktion (vgl. Walterová, 2001, S. 12). Gegenwärtig ist die tschechische Schule auf der Suche nach einer neuen Schulkultur und das können wir als einen innovativen Prozess verstehen. Infolge von Veränderungen im Aktionsradius der Schule wird auch der Aufgabenbereich der LehrerInnen erweitert. Für die LehrerInnen bedeutet die Zeit der Transformation einen Wandel in ihrem Rollenverständnis. Wenn sich die Ziele und die Funktionen der Schule ändern, soll die LehrerInnenausbildung auch reagieren. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Lehrerinnen für ihre neuen Funktionen (neue Rollen) überhaupt vorbereitet sind. 4. Die LehrerInnen in der Transformation Nach 1989 öffnete sich den LehrerInnen ein großer Freiraum für ihre Kreativität und damit zahlreiche neue Herausforderungen auf der inhaltlichen oder methodischen Ebene. Sie können sich auch frei entscheiden bei der Auswahl von Lehrbüchern usw. Die Lehrerinnen waren allerdings 40 Jahre daran gewöhnt, dass alles ,,von oben" kommt. Neue ,,Herausforderungen" für die LehrerInnen stellten aber auch neue Anforderungen an sie: Die LehrerInnen müssen auf verschiedene Bedürfnisse und Interessen der Kinder, auf neue Anforderungen reagieren, die mit der Schulautonomie verbunden sind (flexible Adaption der Lehrpläne, der Unterrichtsmethoden und Arbeitsformen). Die LehrerInnen sollen aktiv sein, d.h. sie sollen sich im Unterricht mehr engagieren, mit den SchülerInnen, KollegInnen, Eltern u.a. zusammenarbeiten. Den LehrerInnen ist eine aktive Teilnahme an der Transformation ermöglicht. Noch mehr, sie werden als Akteure der Reform gesehen. Es ist wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen für Lehrerinnen. Auch die diskutierten Veränderungen in den Zielen und Funktionen der Schule bringen neue ,,Herausforderungen" für die Lehrerinnen: ˇ Die LehrerInnen können sich in vielen professionellen Gruppen organisieren (z.B. NEMES, PAU) und dadurch an der Transformation aktiv teilnehmen. ˇ Im Rahmen der Schulautonomie, die die Schulen nach 1989 bekommen haben, können sich die LehrerInnen auf die Suche nach einem eigenen Schulprofil begeben. Das Schulministerium bestimmt 90% der Gegenstände in den Lehrplänen und überlässt den Schulen 10%. In einzelnen Gegenständen wird die Verantwortung auf 70 : 30 geteilt. ˇ An manchen Schulen werden die Eltern ins Schulleben einbezogen. Es entsteht eine Schulgemeinschaft (Öffnung der Schule nach außen). ˇ Die LehrerInnen können auch die Rolle eines Innovators/einer Innovatorin übernehmen was aber lediglich 10 bis 20% der LehrerInnen gelingt. Resultat: In vielen Schulen bleibt Frontalunterricht als überwiegende Arbeitsform, das Lehrbuch ist fast wie eine Bibel... es wird erwartet, dass die Lernergebnisse den Inhalten des Buches entsprechen, so wie es vorgelegt wurde. Lehrpläne wurden vielleicht verändert, ihre Grundkonzeption wurde aber aufrecht erhalten. 4.1. Die Lehrerrolle im Wandel In der traditionellen Auffassung sind die LehrerInnen Vermittler von Wissen und kulturellen Werten, ihre Rolle wird aber erweitert und die Struktur ichrer Funktionen bekommt eine neue Akzentuierung. 3 Tschechische LehrerInnen begeben sich auf den Weg zum/zur: ˇ Innovator/in (er/sie will die Schule sowie auch sein/ihr Können weiterentwickeln), ˇ Manager/in (er/sie leitet und unterstützt das Lernen...), ˇ Berater/in und Konsultant/in (er/sie hilft beim Lernen, beim Sozialisieren von Schülern...), ˇ Partner/in (im sozialen Bereich ist er/sie ein älterer und erfahrener Partner, bzw. Partnerin), ˇ Erzieher/in und Wertevermittler/in, ˇ Forscher/in (er/sie untersucht berufliche Situationen mit dem Ziel, diese weiter zu entwickeln) (vgl. Walterová, 1997). 5. Fazit Was ist im tschechischem Schulwesen in den letzten 12 Jahren tatsächlich passiert? Wie läuft die Schulreform ab? Leider kann nicht viel Objektives, Verlässliches und Allgemein- gültiges gesagt werden. J. PRŮCHA (1997/98) hat vor etwa fünf Jahren in den Učitelské listy, 1997-98, č. 3 festgestellt: ,,Es wurde keine komplexe Forschung der tschechischen Schule nach dem Jahre 1989 realisiert." Noch heute kann diese Aussage mit voller Gültigkeit wiederholt werden. Es ist schwierig zu widerprüchlichen Befunden, die aus verschiedenen, meist partikulären (empirischen) Forschungen bestehen, Stellung zu nehmen. In der Tschechischen Republik erleben wir eine allmähliche, ,,samtene" Schulreform. In dieser Situation kann über die tschechische Schule jeder sagen, was er will... Auf der ,,ideellen Achse der Begeisterung" würden sich diese Aussagen im Intervall von - bis + befinden. Literaturverzeichnis Die Lehrerbildung in Europa, CSEE/ETUCE, Boulevard E. Jacmin 155, Bruxelles, S. 12. Národní program rozvoje vzdělávání v České republice. Bílá kniha. Praha : Tauris, 2001. (Das tschechische Weißbuch.) Reviews of National Policies of Education Czech Republic. Paris, 1996. Standard základního vzdělávání. Věstník MŠMT ČR, 51, sešit 9, září 1995. Walterová, E. a kol.; Objevujeme Evropu (kniha pro učitele). Praha : PdF UK, Centrum evropských studií 1997. URLS http://www.msmt.cz/cp1250/web/12/WhiteBook.doc 4