Achim von Arnim 207 ACHIM VON ARNIM MIR IST ZU LICHT ZUM SCHLAFEN Mir ist zu licht zum Schlafen, Der Tag bricht in die Nacht Die Seele ruht im Hafen Ich bin so froh verwacht. Ich hauchte meine Seele Im ersten Kusse aus, Was ist's, daß ich mich quäle, Ob sie auch fand ein Haus. Sie hat es wohl gefunden, Auf ihren Lippen schön, O welche sel'ge Stunden, Wie ist mir so geschehn. Was soll ich nun noch sehen, Ach alles ist in ihr, Was fühlen, was erflehen, Es ward ja alles mir. Ich habe was zu sinnen, Ich hab', was mich beglückt, In allen meinen Sinnen Bin ich von ihr entzückt. Novalis MS NOVALIS WENN NICHT MEHR ZAHLEN UND FIGUREN Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren Sind Schlüssel aller Kreaturen Wenn die so singen, oder küssen, Mehr als die Tiefgelehrten wissen, Wenn sich die Welt ins freie Leben Und in die Welt wird zurückbegeben, Wenn dann sich wieder Licht und Schatten Zu echter Klarheit wieder gatten, Und man in Märchen und Gedichten Erkennt die wahren Weltgeschichten, Dann fliegt vor Einem geheimen Wort Das ganze verkehrte Wesen fort. Rainer Maria Rilke 303 RAINER MARIA RILKE DER PANTHER Im J ardin des Plantes, Paris Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, daß er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille -und hört im Herzen auf zu sein. Hugo von Hofmannstliai 241 HUGO VON HOFMANNSTHAL "WAS 1ST DIE WELT? Was ist die Welt? Ein ewiges Gedicht, Daraus der Geist der Gottheit strahlt und glüht, Daraus der Wein der Weisheit schäumt und sprüht, Daraus der Laut der Liebe zu uns spricht Und jedes Menschen wechselndes Gemüt, Ein Strahl ists, der aus dieser Sonne bricht, Ein Vers, der sich an tausend andre flicht, Der unbemerkt verhallt, verlischt, verblüht. Und doch auch eine Welt für sich allein, Voll süß-geheimer, nievernommner Töne, Begabt mit eigner, unentweihter Schöne, Und keines Andern Nachhall, Widerschein. Und wenn du gar zu lesen drin verstündest, Ein Buch, das du im Leben nicht ergründest. Wilhelm Müller }69 WILHELM MÜLLER DER LINDENBAUM Am Brunnen vor dem Tore, Da steht ein Lindenbaum. Ich träumt in seinem Schatten So manchen süßen Traum. Ich schnitt in seine Rinde So manches liebe Wort, . Es zog in Freud und Leide Zu ihm mich'immer fort. Ich mußt auch heute wandern Vorbei in tiefer Nacht, Da hab ich noch im Dunkel Die Augen zugemacht. Und seine Zweige rauschten, Als riefen sie mir zu: Komm her zu mir, Geselle, Hier findst du deine Ruh! Die kalten Winde bliesen Mir grad ins Angesicht, Der Hut flog mir vomjlopfe, Ich wendete mich nicht. Nun bin ich manche Stunde Entfernt von jenem Ort, Und immer hör ich's rauschen: Du fändest Ruhe dort! CLEMENS BRENTANO (1778-1843) Abendlied Wie so leis die Blätter wehn in dem lieben, stillen Hain; Sonne will schon schlafen gehn, Läßt ihr goldnes Herndelein Sinken auf den grünen Rasen, Wo dis schlanken. Hirsche grasen in dem roten Abendschein, in der Quellen klarer Flut Treibt kein Fischlein mehr sein Spiel; Jedes suchet, wo es ruht, Sein gewöhnlich Ort und Ziel Und entschlummert überm Lausdien Auf der Wellen leises Rauschen Zwischen bunten Kiesein kühl. Schlank schaut auf der Felsenwand Sich die Glockenblume um, Denn verspätet über Land Will ein Bienchen mit Gesumm Sich zur Nachtherberge meiden In den blauen, zarten Zelten, Schlüpft hinein.und wird ganz'stumrn.