SIND PRIVATSCHULEN WIRKLICH BESSER? Kath Was machen private Schulen anders? Welche Vor- und Nachteile haben sie, und wie viel kosten sie? sechs alternative konzepte im Überblick Von KATJA BOSSE Montessorischulen Wer hat sie erfunden? Die Reformpädagogin Maria Montessori, 1870 in Italien geboren. Sie promovierte als erste Italienerin in Medizin und arbeitete unter anderem auf einer psychiatrischen Station im Krankenhaus. Dort merkte sie, dass angeblich »schwachsinnige« Kinder einfach nur falsch gefördert wurden. Maria Montessori begann, erzieherische Methoden mit medizinischen zu verbinden und Einrichtungen für Kinder aufzubauen. Wer geht da hin? Kinder, deren Eltern möchten, dass ihr Nachwuchs vor allem zur Selbstständigkeit erzogen wird und nach seinem eigenen Tempo lernen darf. Montesso-rischullehrer verstehen sich als Beobachter, Helfer und Begleiter, nicht als Pauker. Kinder, die klare Strukturen und Regeln brauchen, sind vielleicht woanders besser aufgehoben. Wie lernt sich's da? Vor allem mit viel Freiheit. Schüler dürfen selbst entscheiden, ob sie sich gerade handwerklich oder sprachlich aus- toben wollen oder lieber eine Pause einlegen möchten. In Mathe benutzen sie Perlenstäbchen und in Deutsch Buch-stabenkärtchen - die speziellen Montessori-Materialien sollen die Sinne durch manuelle Tätigkeiten anregen. Die Freiarbeit läuft jahrgangsübergreifend ab. Zusätzliche Lektionen durch den Lehrer lassen sich allerdings auch hier nicht vermeiden. Manchmal gibt es sogar Zensuren. Was spricht dagegen? Das offene Konzept lockt besonders Kinder an, die an nor- 68 ZEIT SCHULFÜHRER malen Schulen gescheitert sind, sagen Kritiker. Sie halten auch die Materialien und Methoden für veraltet. Wie viel kosten sie? Zwischen 100 und 300 Euro im Monat. Der Schulstart kann zusätzlich kosten. Geschwister kommen günstiger weg. Es gibt auch Stipendien. Berühmte Schüler: Jackie Kennedy, Anne Frank, Heike Makatsch, Gabriel Garcia Märquez, Larry Page, Friedensreich Hundertwasser Wichtige Sätze und Begriffe: £ Hilf mir, es selbst zu tun - die ^ Basisidee der Montessori-Päda-£ gogik; kosmische Erziehung-H- eine Art Sachkundeunterricht, 5 in dem man seinen Platz im 1 »großen Ganzen« einzuschät-S zen lernt; vorbereitete Umge-5 bung-kindgerechte Gestaltung ■x der Klassenzimmer und Lehr- m £ materialien; sensible Phasen - ^ Zeiten, in denen Kinder für eine ^ Materie besonders empfänglich a sind; Pensenheft - in diesem □ wird der individuelle Lernerfolg ^ dokumentiert. cc l/) .—. => LS www.montessori.de; www. - montessori deutsclilanU.de Wer hat sie erfunden? Der Österreicher Rudolf Steiner (1861 bis 1925) leitete die Waldorfpädagogik aus seiner spirituellen Weltanschauung, der Anthroposophie, ab: Dieser zufolge bildet der Mensch sein Bewusstsein in vier Siebenjahresschritten aus. Die Lehrer sollen diese natürliche Entwicklung durch spezielle Unterrichtsmethoden bestmöglich unterstützen. Der Begriff »Waldorf« stammt von der Schule, die Steiner 1919 für die Kinder errichtete, deren Eltern in den Waldorf-Astoria-Zigarettenfa-' brik in Stuttgart arbeiteten. Wer geht da hin? Kinder, bei denen die Persönlichkeitsentwicklung, nicht die reine Wissensvermittlung im Vordergrund steht. Die Eltern sollten die Weltanschauung Steiners teilen, da diese sich in vielen Bereichen des schu-I lischen Lebens widerspiegelt. Wie lernt sich's da? Kreativ und harmonisch: Die Schüler starten mit rhythmischen Übungen, Morgensprüchen und Singen in den Tag. Mehrwöchiger Epochenunterricht ersetzt den starren 45-Mi-nuten-Zyklus zur besonderen Vertiefung des Stoffes. Nach der Mittagspause stehen dann künsüeeische und praktische Elemente auf dem Plan. Runde Klassenräume und bestimmte Farben sollen zusätzlich einen positiven Einfkjss auf die Kinder haben. $ Was spricht dagegen? Der Klassenlehrer nimmt bis zum achten Schuljahr eine sehr dominante Rolle ein. Erst danach werden auch die einzelnen ^chlehrer wichtiger - die übrigens nicht zwingend ein UiiivBrsitätsstudtum benötigen. Däss der Lehrer für die Kinder ein »Repräsentant der kosmischen Ordnung« sein soll, I der die Lektionen diktiert und im Chor wiederholen lässt, kommt vielen Kritikern etwas zu esoterisch vor. Wie viel kosten sie? Durchschnittlich 140 Euro im Monat. Dazu muss man Aufnahmegebühren einkalkulieren. Gelegentlich werden Eltern auch an den Kosten für neue Bauvorhaben beteiligt. Berühmte Schüler: Thomas Gottschalk, Harry Rowohlt, Sandra Bullock, Jennifer Aniston, Arnold Schwarzenegger, Stefan Raab, August Diehl, Michael Rogowski Wichtige Begriffe: Vier-Leiber-Lehre- Steiners Theorie zu den Entwicklungsstufen eines Kindes; Euryth-mie- Pflichtfach mit Ausdruckstanz, bei dem Gebärde, Musik und Sprache als Einheit erlebbar gemacht werden; Feldmess- und Landwirtschafts -praktika - mehrwöchige Exkursionen, bei denen Schüler die Herstellung von Landkarten und die Arbeit auf dem Biobauernhof lernen. Q www.waldorfschule.info; www.anthroweb.info ZEIT SCHULFÜIIRER 69 SIND PRIVATSCHULEN WIRKLICH BESSER? Konfessionelle Schulen Wer hat sie erfunden? Die katholische Kirche. Sie führte Klosterschulen zunächst nur, um geistlichen Nachwuchs zu rekrutieren. Allgemeinbildenden Aufgaben nahm sie sich erst später an. Die Tradition evangelischer Lehranstalten geht dagegen von jeher auf ein Verständnis von Glauben zurück, das eng mit Bildung verknüpft ist. Wer geht da hin? Vor allem Kinder aus christlich orientierten Familien - die Vermittlung dieser Werte steht im Mittelpunkt des Schulalltags. Zwar müssen die Schüler nicht getauft sein; wer sich mit dem Glauben aber so gar nicht identifizieren kann, fühlt sich möglicherweise fehl am Platz. Wie lernt sich's da? In einem konkurrenzarmen Klima, das zum »Lehren und Lernen, Leben und Feiern« einlädt. Freiarbeit im eigenen Tempo nach Wochenplan ist ein beliebtes Element. Viele Einrichtungen machen sich die Stärkung sozialer Kompetenzen, die Förderung außerschulischen Engagements und die Unterstützung benachteiligter Schüler zur Aufgabe. Neben dem Religionsunterricht, der für alle verpflichtend ist, gehören Morgenandachten, Mittagsgebete und Schulgottesdienste häufig zum Profil. Was spricht dagegen? Der Kirche wird im Bildungsbereich gern vorgeworfen, dass sie nicht sonderlich zeitgemäß agiert - auch weil sie vergleichsweise viele reine Mädchenschulen betreibt. Reine Jungenschulen sind deutlich seltener. In jüngster Zeit sind einige katholische Schulen, besonders solche mit Internatsbetrieb, durch den Missbrauchsskandal in Verruf geraten. Wie viel kosten sie? Die katholischen Schulen kosten durchschnittlich 60 bis 120 Euro im Monat, evangelische 30 bis 120 Euro. Je nach Einkommen der Eltern kann das Schulgeld aber auch niedriger sein oder sogar vollständig wegfallen. In einigen Bundesländern sind die Schulen von vornherein kostenlos. Deutlich höher fallen die Beiträge an kirchlichen Internaten aus. Berühmte Schüler: Volker Schlöndorff, Stephanie zu Guttenberg, Heiner Geißler, Romy Schneider, Katie Melua Wichtige Begriffe: Ehrenamt- eine Besonderheit kirchlicher Schulen liegt darin, dass sie häufig Freiwillige einsetzen, zum Beispiel bei der Hausaufgabenbetreuung oder bei der Gestaltung des Nachmittagsprogramms; Bildungsgerechtigkeit - neuerdings wollen sich die evangelischen Schulen laut Aussage der Evangelischen Kirche in Deutschland stärker um sozial benachteiligte Kinder kümmern. A www.evangellsclie-schiilen-in-demschlan d.de; www.kathollsche-schulen .de Bilinguale und internationale Schulen Wer hat sie erfunden? Die wachsende Zahl bilingualer Schulen ist weniger einem einzelnen Erfinder als vielmehr dem Trend geschuldet, Kinder für den internationalen Arbeitsmarkt wappnen zu wollen. Auch internationale Schulen werden unter Deutschen immer beliebter, obwohl ursprünglich vor allem Diplomaten und internationale Führungskräfte Interesse daran hatten. Wer geht da hin? Internationale Schulen besuchen Kinder, deren Eltern Wert auf mehrsprachige Ausbildung, interkulturelle Kompetenzen und einen internationalen Abschluss legen. Auch bilinguale Schulen werden längst nicht mehr nur von Kindern besucht, die aufgrund der unterschiedlichen Nationalität I ihrer Eltern zweisprachig aufwachsen. Die Schulen fordern allerdings ein hohes Maß an Disziplin und setzen ein gewisses Leistungsniveau voraus. Wie lernt sich's da? An bilingualen Grundschulen wird die Fremdsprache meist spielerisch und unter Anleitung von Muttersprachlern in den Schulalltag integriert. Etwa die Hälfte des Unterrichts findet auf Deutsch, der Rest in der Fremdsprache statt - auch an der weiterführenden Schule. An internationalen Schulen ist Englisch die alleinige Umgangsund Unterrichtssprache. Die pädagogische Ausrichtung unterscheidet sich vor allem da- I durch von deutschen Regelschulen, dass die Schüler selbstständiger arbeiten und der Unterricht zum Teil fachübergreifend stattfindet. Was spricht dagegen? Internationale Schulen gibt es nur in größeren Städten. Sie werden oft als »Schulen für Besserverdienende« bezeichnet. Deutsche Kinder werden meist nur in der ersten Klasse nach einem Auswahlgespräch aufgenommen. Auch bilinguale Schulen gelten manchen Kritikern als elitär. Wie viel kosten sie? Gebühren für bilinguale Schulen fallen nur bei privaten Einrichtungen an. Deutschlands erste Privatschulkette Phorms verlangt je nach Standort und Elternverdienst zwischen 100 und 1170 Euro im Monat; die internationalen Schulen kosten monatlich zwischen 600 und 1250 Euro. Berühmte Schüler: Hardy Krüger jr., Carey Mulligan, Mina Wichtige Begriffe: Immersionsprinzip - Einbindung einer Fremdsprache in den Unterricht, ohne die Grammatik zu thematisieren; International Baccalaureate- Abschluss internationaler Schulen nach der zwölften Klasse, der in zahlreichen Ländern (auch in Deutschland) zum Hochschulstudium berechtigt. CS www.agis-schools.org www.fmks-online.de 70 ZEIT SCHULFÜHRER Jenaplaii-Schulen Wer hat sie erfunden? Peter Petersen, der ab 1923 in Jena einen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft innehatte. Er beobachtete systematisch Schüler, um eine kindgerechte, menschlichere Alternative zu der strengen Schulerziehung seiner Zeit zu entwickeln. Seiner Ansicht nach sollte der Schulunterricht forschend-ent-deckend, sozial förderlich und kritisch sein, eine positive Persönlichkeitsentfaltung unterstützen und Lust auf lebenslanges Lernen machen. Wer geht da hin? Kinder, deren Eltern größten Wert auf Toleranz, Rücksichtnahme und Teamarbeit legen. Behinderte Kinder werden hier bewusst integriert. Es gilt, sich gegenseitig zu motivieren statt miteinander zu konkurrieren. Wie lernt sich's da? Notenfrei und ohne großen Leistungsdruck. Anstelle traditioneller Fächer und Lerneinheiten in Schulstunden werden übergreifende Projekte in Tages- und Wochenplänen behandelt. Dabei wechseln sich Arbeit und Entspannung durch unterschiedliche Lernformen wie Berichtskreise, Schauspiele und Vorträge ab. Der Unterricht wird nicht in Klassen, sondern in altersübergreifenden Stammgruppen organisiert. Statt Zensuren gibt es nur Arbeitsberichte, weil Noten Petersen zufolge die Leistungsfreude mindern, Ängste schüren und die Lernatmosphäre verderben. Was spricht dagegen? Aufgrund Petersens starker Orientierung an der Gemeinschaft und seines pädagogischen Engagements während der NS-Zeit geriet er in Verdacht, völkischen Ideen anzuhängen. Die neuen Jenaplan-Schulen distanzieren sich von diesem Teil ihrer Geschichte. Wie viel kosten sie? Die Gebühren variieren je nach Einrichtung und Elterneinkommen stark und können bei bis zu 400 Euro im Monat liegen. Es gibt allerdings auch staatlich getragene Jenaplan-Schulen, zum Beispiel in Jena. Wichtige Begriffe: Schulwohnstuben - Klassenräume, die von den Kindern gestaltet werden; Elternengagement- die Schule setzt auf die Mithilfe der Eltern bei vielerlei Projekten, etwa bei Morgen-, Wochenschluss- und Aufnahmefeiern. 51 www.ienaplan-paeilagoglk.de www.jenaplan-schule-iena.de Demokratische Schulen Wer hat sie erfunden? Diese Einrichtungen werden meist von Eltern oder Lehrern initiiert, die mit dem staatlichen Schulsystem nicht einverstanden sind und sich auch mit reformpädagogischen Ansätzen nur unzureichend identifizieren können. Vorreiter sind zum Beispiel die US-amerikanischen Sudbury-Schulen, an denen sich auch Nenas »Neue Schule« in Hamburg orientiert. Wer geht da hin? Sprösslinge von Eltern, die antiautoritären Idealen folgen und den Respekt vor dem Kind in den Mittelpunkt stellen. Die Schüler können ihren Schulalltag selbst gestalten, indem sie demokratisch darüber abstimmen: Über die Einstellung von Lehrern dürfen sie ebenso mitentscheiden wie über finanzielle Belange. Dadurch sollen sie lernen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Wie lernt sich's da? Selbstbestimmt und abwechslungsreich: Die Lernumgebun- r; »Die Aufgabe der Umgebung ist 1 nicht, das Kind zu formen, = sondern ihm zu erlauben, sich = zu offenbaren« maria montessori gen werden immer wieder neu präpariert, um die Schüler zu inspirieren. Der Lehrer steht mit seinem Wissen zur Verfügung, falls zu einem Thema Vertiefungen gewünscht sind. Kognitive, soziale und emotionale Fähigkeiten haben denselben Stellenwert wie handwerkliche und musisch-künsüerische Begabungen, sodass jeder auf seinem Gebiet Perspektiven entwickeln kann. Was spricht dagegen? Viele Schulen haben nur den Status der genehmigten, nicht der anerkannten Ersatzschule; sie sind deshalb nicht berechtigt, Abschlüsse zu vergeben. Es wird auch kritisiert, dass die Schulen nicht genug auf eine breit gefächerte Kompetenzvermittlung achteten. Wie viel kosten sie? Für den Besuch der »Neuen Schule Hamburg« wird ein monatliches Schulgeld von 170 Euro erhoben. Geschwister zahlen die Hälfte. Hinzu kommen eine Lehrmittelpauschale und Essensgeld. Berühmte Begründerin: Nena Wichtige Begriffe: Schulen der Selbstbestimmung -Grundidee antiautoritärer Lehranstalten; Schulversammlung -wöchentliches Treffen, das der ständigen Diskussion und Ausarbeitung von Regeln dient. S www.democratlc-schools. com; www.sudbury.de; www. trele-alternativschulen.de ZEIT SCHULFÜHRER 71 14