19. Lehr- und Lernziele 1. Problemaufriss Lehrende und Lernende verfolgen im Fremdsprachenunterricht keineswegs automatisch die gleichen Ziele. Steht für die Lehrenden im Zentrum, dass die im Lehrplan gesetzten Lehrziele erreicht werden, so ist das Interesse der Lernenden vielfältiger: Es reicht von sozialen Zielsetzungen (Menschen kennen lernen, im Urlaub im Ausland Kontakte knüpfen können) bis zu kurzfristigen ,Überlebenszielen' im Unterricht wie z.B. sich nicht zu langweilen, nicht aufzufallen, besser zu sein als die Mitschüler u. Ä. So unterscheidet Doye (1995, 161) zwischen Lernzielen, „die Menschen sich für ihr eigenes Lernen setzen", und Lehrzielen, „die Menschen bei der Steuerung des Lernens anderer intendieren". Streng genommen würde das bedeuten, dass in der Schule, wo Schüler überwiegend unfreiwillig eine Sprache lernen, nur von Lehrzielen gesprochen werden kann, während im außerschulischen Fremdsprachenunterricht, wo Lernende teilweise aus eigenen Interessen Kurse auswählen und besuchen, eher Lernziele ins Spiel kommen. Aber auch, wenn z.B. durch regelmäßige Lernberatung und Lernerbefragungen versucht wird, die Interessen der Lernenden zu ermitteln und bei der Planung von Unterricht zu berücksichtigen (Art. 72) bzw. die Lernenden zu stärkerer Selbststeuerung des Lehr-Lernprozesses zu befähigen (Art. 67), setzen sich im Fremdsprachenunterricht letzten Endes meist die durch Curricula, Kursprogramme, Lehrmaterialien und insbesondere Prüfungen vorstrukturierten Lehrziele durch. Die Möglichkeit der Lernenden, eigene Zielsetzungen ins Spiel zu bringen, bleiben begrenzt. Die Unterscheidung von Lehr- und Lernzielen bleibt dennoch wichtig, da sie den Lehrenden signalisiert, dass „die von ihnen gesetzten Ziele durchaus nicht im Sinne der Lernenden zu sein brauchen" (Doyé 1995, 161). Wenn dennoch in der neueren Diskussion vorwiegend von Lernzielen die Rede ist, so kommt darin die Tendenz der Curriculumentwick-lung zum Ausdruck, das Lernen möglichst eng an den Bedürfnissen von Lernenden, dem Bedarf der Gesellschaft an Fremdsprachenkenntnissen, und das heißt vor allem, an beruflich verwertbaren Qualifikationen zu orientieren, die Lernenden und ihre Fähigkeiten in das Zentrum des Unterrichtsgeschehens zu rücken (Art. 18; Bausch et al. 1985). Während klassische Lehrziel-Formulierungen den Lernstoff und die Lerninhalte beschreiben, bezieht der Begriff Lernziel das Lemverhalten und die Lernprozesse ein. Lernziele beschreiben die erwünschten Lernergebnisse und die angestrebten Qualifikationen, gehen also deutlich über Stoffkataloge hinaus (Meyer 1974). Curricula, die im Sinne einer durchgängigen Lernerorientierung tatsächlich auf der Grundlage von Motivationsuntersuchungen, Rollenanaiysen über den künftigen Sprachbedarf der Lernenden ansetzen (Nunan 1988), sind bis heute ein Postulat, dem bestenfalls jn spezifischen Kursangeboten der Erwachsenenbildung Rechnung getragen wird. Der Begriff Lernziel ist dann angebracht, wenn diese Lern (er) Orientierung im Vordergrund steht; im Übrigen wäre Lehrziel der korrekte Ausdruck, um den normativen Charakter der durch Lehrpläne, Lehrmaterialien und Prüfungen vorgegebenen Ziele für den Fremdsprachenunterricht zu signalisieren (Neuner 2001). Allerdings hat sich in der Praxis der Curriculumdiskussion vielfach die Benutzung des Begriffs Lernziele auch dort durchgesetzt, wo eher dieser normative Zielbereich gemeint ist. 2. Lehr- und Lernziele und Curriculum-entwicklung Die mit dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen verbundenen Zielsetzungen waren stets von den übergreifenden Zielen abhängig, die dem Bildungswesen in der Gesellschaft zukamen und zukommen (Art. 12). Der Wert des Fremdsprachenunterrichts wurde in seinen Anfängen vor allem unter dem Aspekt der Nützlichkeit gesehen, doch tauchen bereits in den Lehrplänen des 19. Jahrhunderts konkurrierende Zielsetzungen auf, die Kulturkunde sowie die Vermittlung einer sprachlich-formalen Bildung, wie sie bis dahin dem Lateinunterricht vor- 19. Lehr- und Lernziele 117 behalten war (Bohlen 1953). In der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts wurden diese Zielsetzungen nicht mehr alternativ gesehen, sondern in den meisten Richtlinien gebündelt, allerdings je nach vorherrschender methodischer Orientierung (Art. 40) unterschiedlich akzentuiert. In den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Curriculumforschung, die eine systematische Ausarbeitung von Zielen, Inhalten und Verfahren des Unterrichts zum Ziel hat(te) (Art. 18). Für die Lernziele des Fremdsprachenunterrichts führte die Curriculumdiskussion zur Abgrenzung sprachlicher, landeskundlicher und literarischer Lemziele und Curricula (Art. 20, 21, 22) sowie zu der Unterscheidung zwischen den pragmatischen, kognitiven und emotionalen Dimensionen dieser Zielbereiche; dieser Versuch einer umfassenden Neudefinition von Lernzielen auf der Grundlage einer Analyse von gesellschaftlichen Anforderungen einerseits und dem Anspruch des Individuums nach Entfaltung der eigenen Persönlichkeit andererseits (exemplarisch Meyer 1986) führte für die Lernziele des Fremdsprachenunterrichts, nicht zuletzt unter dem Einfluss der be-havioristischen Lerntheorie, zu einer Dominanz sprachlicher Lernziele. Mit der behavioristischen Grundlage der audiolingualen Methode war die Forderung nach einer Operationalisierung der Lernziele verbunden: Kennzeichen eines opera-tionalisierten Lernziels ist, dass es „ein Verhalten bezeichnet, was der Lernende tun muß, um zu zeigen, daß er das Ergebnis erreicht hat" (Mager 1965, 24). Die sprachlichen Fertigkeiten rückten als in dieser Form konkretisierte, sprachliches Verhalten in der Fremdsprache operationalisierende Lernziele ins Zentrum des Interesses. Auch nach Überwindung der behavioristischen Orientierung hat sich die Anforderung, Lernziele als Verhaltensziele zu definieren - und andere Lernziele nicht zu berücksichtigen -, bis in die Gegenwart erhalten; auch die Niveaustufenbeschreibungen im Gefolge des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens sind durch Can ^-Formulierungen charakterisiert (Kap. 3a). Kritisch wird dem entgegengehalten, dass durch den Zwang zur Operationalisierung wichtige Zielbereiche des Fremdsprachenunterrichts, die sich einer solchen konkreten Verhaltensbeschreibung entziehen, an den Rand des Fremdsprachenunterrichts gedrängt werden und als nicht überprüfbar auch in den Augen der Lernenden an Bedeutung verlieren. Das gilt insbesondere für Zielsetzungen im Bereich der Landeskunde und Literatur sowie insgesamt für die emotionale Dimension fremdsprachlicher Lernziele. Zwar dominieren auch im kommunikativen Ansatz sprachliche Lernziele, doch führte dessen Weiterentwicklung zu einer Wiederentdeckung literarischer und landeskundlicher/interkultureller Lernziele (Art. 40, 23) sowie zu einer Integration kognitiver und emotionaler Dimensionen (Bausch et al. 1998). Die Haltung der Wissenschaft zur Festlegung und Ausarbeitung von Lehr- und Lernzielen ist zwiespältig: Einerseits gilt der Bereich der Ziele vielfach als vorgegeben durch staatliche Entscheidungen, die sich der fachlichen Disposition entziehen: „R(ahmenrichtlinien) legen diejenigen Ziele, Grundsätze, Strukturen und Mindestanforderungen fest, die staatlicherseits vorgegeben werden können und festgelegt werden müssen" (Brockmeyer 1977, 197); andererseits eröffnen Zielformulierungen und Richtlinien einen großen Aktualisierungsspielraum, so dass kaum empirische Befunde über die Umsetzung und Anpassung der Lehrzielvorgaben im konkreten Unterricht vorliegen (vgl. die Plädoyers für eine entsprechende Erforschung von Konzipierung, Implementation und Wirkung von Richtlinien in Bausch et al. 1985; Achtenhagen 1995). 3. Sprachliche Lehrziele a) Fertigkeiten als Lehrziele Mit der Betonung des Sprachkönnens an Stelle eines bloßen Wissens über das Sprachsystem rückten in der audiolingualen Methode (Art. 40) die Skills, die sprachlichen Fertigkeiten ins Zentrum des Fremdsprachenunterrichts. Zielte der Begriff der Fertigkeit in der ursprünglichen lernpsychologischen Prägung auf das, was - im Gegensatz zu den mitgebrachten Fähigkeiten - durch ständiges Üben erworben werden muss, so werden diese mentalen Prozesse des Übens und Automatisierens in der Fremdsprachendidaktik zu Lernzielen umgedeutet (Krumm 2001). Dabei lieferte die au-diolinguale Methode auch eine Hierarchisierung dieser Fertigkeiten: Sie sollten in ihrer natürlichen' Reihenfolge gelehrt und gelernt werden, d.h. das Hörverstehen und Sprechen gehen dem Leseverstehen und Schreiben voran (Faistauer 2001). Fertigkeitenorientierter Fremdsprachenunterricht in der Tradition der audiolingualen Methode sieht sein Ziel in der Beherrschung der Summe der einzelnen Fertigkeiten, die im Unterricht nacheinander und systematisch erlernt und dann 118 Hans-Jürgen Krumm in Realsituationen übertragen werden sollen. Sprachunterricht wird damit in eine manipulative und eine kommunikative, eine Anwendungsphase getrennt, was dann das Problem des Transfers aufwirft. Auch wer die einzelnen Fertigkeiten beherrscht, scheitert eventuell in komplexen Realsituationen. Auch wenn hier seit den 70er-Jahren die Kritik an einem zu stark auf die Fertigkeiten zielenden Unterricht ansetzt, hat sich die Formulierung sprachlicher Lehrziele in Form getrennter - und dann in sich gestufter - Fertigkeiten bis heute sowohl in Lehrwerken als auch in Prüfungen (Art. 82, 86) erhalten. Insbesondere der Europarat hat in seinem Sprachenprojekt (Art. 132) schon in den 70er-Jahren operationalisierte Beschreibungen für die Lehrziele in verschiedenen europäischen Sprachen und auf verschiedenen Stufen vorgelegt und in den 90er-Jahren revidiert, so für das Englische Waystage 1990, Threshold level 1990, Vantage 1997: Hier wird beschrieben, was ein Lernender verstehen, sprechen und auf fortgeschrittenen Stufen lesen und schreiben können muss, wenn er diese Stufe erreicht hat (Glaboniat et al. 2001). Präzisiert werden diese Niveaustufenbeschreibungen durch Listen von Themen, Situationen, Sprechhandlungen und Grammatik. Solche Niveaustufenbeschreibungen und Kataloge erlauben, eben weil sie in Form von Lernverhalten (can do-Statements) beschrieben sind, die direkte Überprüfung, ob die Ziele erreicht wurden. Ähnliche Lehrzielkataloge wurden daher seit den 70er-Jahren auch für die Zertifikatsprüfungen (Art. 82) erarbeitet (zur Kritik dieses Ansatzes vgl. Kap. 6b). b) Kommunikationsfähigkeit als Lehr- und Lernziel Mit der kommunikativen Wende' (Art. 42, 61) wurde auch diese einseitige Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts an den (isolierten) Fertigkeiten in Frage gestellt: Mit dem Begriff der Kommunikativen Kompetenz sollte die Zielsetzung des Fremdsprachenunterrichts ein übergreifendes Richtziel erhalten, das bewirkt, dass die sprachliche Interaktion in authentischen Kommunikationszusammenhängen durchgängig auch die Festlegung der konkreten Lehrziele bestimmt. Vor allem die Arbeiten von Piepho (1974) haben die funktionalistischen und pragmalinguistischen Ansätze für die Fremdsprachendidaktik im deutschen Sprachraum erschlossen und Kommunikationsfähigkeit als Ziel jeden Fremdsprachenlehrens etabliert: „In einer pragmalinguistischen Lernzielbe- stimmung steht vor der Präzisierung linguistischer Ziele eine Auflistung der sprachlichen Mitteilungsleistungen, zu denen die Schüler befähigt werden sollen, und zwar in einer extralinguistischen Darstellung." (Piepho 1974, 10). Als sprachliche Feinziele gelten nicht automatisierte Fertigkeiten und das entsprechende Manipulieren sprachlicher Strukturen, sondern die Verwirklichung von Redeabsichten. Die im vorigen Abschnitt genannten Lehrzielkataloge des Europarats und der Zertifikate tragen dem Rechnung, indem sie den nach Fertigkeiten strukturierten Zielbeschreibungen zusätzlich Listen von Themen und Sprachintentionen beifügen bzw. die Fertigkeitsbeschreibungen in Szenarien einbetten: „Szenarien sind zu verstehen als ,erwartbare Abfolgen kommunikativer Handlungen', die ihre Kohärenz durch den bewussten sozialen Sinn' erhalten. [...] Szenarien zeigen authentisches kommunikatives Handeln in authentischen Kontexten und haben folglich eine größere Nähe zur sprachlichen Wirklichkeit als beispielsweise isolierte Sprachintentionen" (Wei-terbildungs-Testsysteme et al. 1999, 25). Kommunikationsstrategien, d.h. die Fähigkeit, in konkreten Situationen Kommunikationsabsichten durchzusetzen, sind in diesem Verständnis zentrale Bestandteile von Kommunikationsfähigkeit als Lehr- und Lernziel. Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen (Europarat 2001) differenziert Kommunikationsfähigkeit nach den verschiedenen, zusammenwirkenden .Kompetenzen' (besser wäre hier wohl von Dimensionen sprachlicher Handlungsfähigkeit zu reden) wie folgt: - linguistische (grammatische) Kompetenz - soziolinguistische Kompetenz - Diskurskompetenz - strategische Kompetenz - soziale Kompetenz - soziokulturelle Kompetenz (van Ek 1986, 35-65). 4. Schlüsselqualifikationen Die Frage, „wie man allgemeine und berufliche Bildung zur Schaffung von Arbeitsplätzen und wirtschaftlichen Aktivitäten in den Ländern Europas" nutzen kann (Europäische Kommission 1995), zählt nicht erst mit der verstärkten Globalisierung der Wirtschaft nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu den Kernfragen des Fremdsprachenunterrichts. In den letzten Jahren ist diese Zielsetzung nicht nur im Kontext konkreter fachsprachlicher und berufsbezogener Kursangebote (Art. 19. Lehr- und Lernziek 119 28, 29) diskutiert worden, vielmehr soll auch der allgemeinsprachliche Fremdsprachenunterricht dadurch zur Berufsorientierung beitragen, dass er über die sprachlichen Lehr- und Lernziele im engeren Sinne hinaus auf fächerübergreifende Zielsetzungen ausgerichtet ist: Es geht darum, die Lernenden zu befähigen, die Sprache selbstständig weiterzulernen, ,autonom' zu werden (Art. 67) und dabei allgemeine Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln, wie sie in den unterschiedlichsten beruflichen Kontexten gefordert werden. Solche Schlüsselqualifikationen zielen auf andere Sprachen, Unterrichtsfächer und Lebensbereiche übertragbare Lerntechniken und Lernstrategien (Art. 69, 71), so wie diese in den Zieldimensionen des Gemeinsamen europäischen Referenzahmens (soziale und strategische Kompetenz, Kap. 3) festgehalten sind. Der Lehrplan Englisch für die Sekundarstufe II in Nordrhein-Westfalen listet folgende allgemeinen Zielsetzungen auf: - selbstbestimmtes und kooperatives Lernen stärken; - interkulturelle Lernprozesse unterstützen (siehe Kap. 5); - aktiven und kreativen Umgang mit Texten fördern (siehe Kap. 6); - Medienkompetenz entfalten; - die eigene Mehrsprachigkeit für weiteres Sprachenlernen nutzen (Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 1999, 8f.). 5. Interkulturelle Lehr- und Lernziele Mit ,Kulturkunde' wurde in den Lehrplänen der 50er-Jahre (vgl. Bohlen 1953, 6 f.) vielfach das bezeichnet, was Lehrpläne der Gegenwart als die Aufgaben von Landeskunde (Art. 21), teilweise auch der Arbeit mit literarischen Texten (Art. 22) beschreiben: Einsicht in das „Geistes- und Kulturleben", Kenntnis von und Verständnis für Vergangenheit und Gegenwart der jeweiligen Gesellschaft, vor allem auch Kenntnis der Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit der eigenen Gesellschaft (Bohlen 1953, 6f.). Vielfach hat sich dafür auch die Bezeichnung interkulturelles Lernen (Art. 23) eingebürgert. Gemeint ist damit, dass sowohl landeskundliche Kenntnisse als auch die Beschäftigung mit Literatur im Fremdsprachenunterricht kein Selbstzweck sind, sondern einen Beitrag leisten sollen zum Verständnis der ,Wirklichkeit', des Denkens, Handelns und der Normen und Werte der Gesellschaft in den Ländern, in denen die Fremdsprache gesprochen wird. Neben der Vermittlung historischer und aktueller Fakten über die Gegebenheiten des jeweiligen Landes, wie sie die Landeskunde im traditionellen Verständnis bereitstellt, sind literarische Texte besonders geeignet dafür, „daß die Lernenden Gelegenheit haben, ihr Vorverständnis, ihre Erwartungen und Erfahrungen zu artikulieren, [...] wobei Rezeptionsgespräche die Möglichkeit bieten, sich der jeweiligen Abhängigkeit des Verstehens von den eigenen Vorannahmen bewußt zu werden." (Bredella/De-lanoy 1999, 15). a) Interkulturelle Handlungsfähigkeit als Lehr-und Lernziel Landeskundliche Lehr- und Lernziele sind integraler Bestandteil von Fremdsprachenunterricht, wobei die konkreten Ziele unterschiedlich teils im Sinne einer kontextuellen Vertiefung des Sprachenlernens, teils in Richtung auf explizite Aspekte kulturell-politischen Lernens formuliert sind (Byram et al. 1994). Das traditionelle Verständnis von Landeskunde im Sinne des Erwerbs von Kenntnissen über wichtige politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Daten und Fakten des Zielsprachenlandes tritt in der neueren Diskussion in den Hintergrund zugunsten einer Betonung der interkulturellen Handlungsfähigkeit als einem neuen, zentralen Leitziel „im Sinne der Fähigkeit, eigene und fremde gesellschaftliche Erfahrung miteinander zu verbinden" (Kultusministerium 1993, 53; Art. 23). Es geht nicht darum, geschlossene Wissensfelder über das Zielsprachenland zu erwerben, sondern anhand exemplarischer Texte und Themen die Unterschiede zwischen der eigenen kulturellen Prägung und den handlungsleitenden Normen der Zielkultur bewusst zu machen. In zahlreichen Lehrplänen findet sich die Zielsetzung der interkulturellen Erziehung (Art. 16, 23) als integriertes, teilweise sogar übergeordnetes Lehrziel der einzelnen sprachlichen Fächer. In Österreich wurde interkulturelles Lernen zunächst als fächerübergreifendes Lehrplanprinzip formuliert (Stoik 1994); im Rahmen eines 1994 begonnenen Projekts Sprach- und Kulturerziehung wird inzwischen versucht, Zielsetzungen der interkulturellen Erziehung sprachübergreifend in allen Sprachfächern (einschließlich Deutsch und Latein) zu verankern (Matzer 2000). b) Literarische Texte als Lehr- und Lernziele Die Behandlung literarischer Texte wurde im 120 Hans-Jürgen Krumm Fremdsprachenunterricht lange vor allem als Möglichkeit gesehen, die Lernenden in die „Kultur und Geisteswelt der fremden Völker" einzuführen; in diesem Zusammenhang wurde sie als „Mittelpunkt und Höhepunkt des neu sprachlichen Unterrichts" angesehen (Bohlen 1953, 84). Mit der audiolingualen - und in den Anfängen auch der kommunikativen - Methode schien dann kein Platz mehr für literarische Texte. Sie ließen sich den fertigkeitsorientierten Zielsetzungen des Fremdsprachenunterrichts nicht eindeutig zuordnen; im Gegenteil, sie wurden insofern als ungeeignet betrachtet, als sie keine Muster für die Alltagssprache der direkten Kommunikation bereitstellten. Zwar waren auch während der 60er und 70er-Jahre literarische Texte gewichtiger Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts auf der Mittel- und Oberstufe, doch erst gegen Ende der 80er-Jahre rückten sie erneut ins Zentrum des Interesses, zum einen im Zusammenhang mit der Erkenntnis, dass das ästhetische Potential literarischer Texte „die kognitiven und wertenden Fähigkeiten des Lesers bzw. Lernenden besonders ansprechen [...] und wie sie zum Lesen und Sprechen in der Fremdsprache motivieren" (Bre-della 1991, 37 f.), zum anderen im Zusammenhang mit der Aufwertung des Lehr- und Lernziels der interkulturellen Handlungsfähigkeit, indem literarische Texte es ermöglichen, „in der Auseinandersetzung mit einem Produkt der fremden Kultur seine eigenen Erfahrungen und Sichtweisen (zu) klären und differenzieren" (Bredeila 1991, 42). In neueren Lehrplänen werden diese Zielsetzungen erweitert um die mediale Dimension, d.h. Textarbeit soll systematisch die Fähigkeit entwickeln, mit unterschiedlich medial vermittelten Texten umzugehen (Art. 22). 6. Offene Fragen und Perspektiven Mit Beginn des 21. Jahrhunderts zeichnen sich neue Schwerpunkte in der Curriculumentwick-lung und damit in der Erarbeitung von Lehr- und Lernzielen ab. Exemplarisch seien drei zentrale Fragestellungen herausgehoben: a) Mehrsprachigkeit als Lernziel Mit der Zielsetzung, dass alle europäischen Bürger mindestens zwei moderne Fremdsprachen lernen (Art. 132), aber auch angesichts der Tatsache, dass durch die zunehmende Mobilität und Migration Fremdsprachenunterricht durchweg in einer mehrsprachigen Gesellschaft stattfindet, stellt sich nicht nur die Frage, wie der vorhandene Sprachbesitz für das Lehren und Lernen weiterer Sprachen genutzt werden kann (Art. 97, 101), sondern auch die Frage, wie die Zielsetzung, eine Sprache zu lernen, so formuliert werden kann, dass damit das Lernen weiterer Sprachen gefördert wird. Als eine Möglichkeit, dem Einzelnen trotz begrenzter Lernzeit die Möglichkeit zu geben, mehrere Sprachen zu lernen, wird z.B. die Frage nach einem Verzicht auf das Erreichen einer umfassenden Kommunikationsfähigkeit zugunsten einer Beschränkung auf Teilfertigkeiten, z.B. rezeptiv oder produktiv, diskutiert (Krumm 2001). b) Orientierung der Lehr- und Lernziele an der Berufswelt Das Weissbuch Lehren und Lernen ~ Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft (Europäische Kommission 1995, 7 ff.) rückt die „Entwicklung der Eignung zur Beschäftigung" ins Zentrum der Aufgaben des Bildungswesens. Dem entspricht für die Curricu-lumentwicklung im Fremdsprachenunterricht die Tendenz, die sprachlichen Lehrziele auf allen Stufen möglichst genau und umfassend zu präzisieren (Kap. 3a). Das schafft eine hohe Transparenz der Ziele, Inhalte und erlernten Fertigkeiten und bildet die Grundlage, auf der einheitliche, zwischen den verschiedenen Sprachen und in den unterschiedlichsten Bildungsbereichen anerkannte Prüfungen entwickelt werden können (Art. 82). Damit könnte jedoch ein Widerspruch zur Förderung des autonomen Lernens, einer stärkeren Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Lernenden (Art. 67), entstehen. Dieser Widerspruch gilt - zumindest was den schulischen Fremdsprachenunterricht betrifft (Art. 35, 36) - auch im Hinblick auf die Frage, ob eine durchgängige Berufsorientierung des Fremdsprachenlernens eventuell wichtige emotionale Zielsetzungen des Fremdsprachenunterrichts wie z.B. die Neugier auf eine andere Kultur und Sprache oder die Entwicklung kreativer, literarischer und interkultureller Fähigkeiten gefährdet und die Lernenden in der Schule zu früh auf eine für sie teilweise noch unwichtige oder offene Berufswelt hin orientiert. c) Fremdsprachen im Sachfachuntericht Mit der Verwendung von Fremdsprachen als Arbeitssprachen (Art. 30) in den verschiedenen Unterrichtsfächern müssen die jeweiligen fachlichen mit den spezifischen Sprachlernzielen verknüpft 20. Fremdsprachliches Curriculum 121 werden. Das bedeutet, dass bei der Entwicklung von Lehr- und Lernzielen für die Fremdsprache nicht ausschließlich der herkömmliche Fremdsprachenunterricht in den Blick zu nehmen, sondern die sprachliche Bildung eines Lernenden in den verschiedensten Lebens- und Lernbereichen als Einheit zu betrachten ist. Literatur Achtenhagen, F. (1995), „Lehr- und Lernziele, Curricu-lumforschung", in; Bausch/Christ/Krumm, Hrsg., 461-466. Bausch, K.-R. et al.. Hrsg. (1985), Forschungsgegenstand Richtlinien, Tübingen. Bausch, K.-R./Christ, H./Krumm, H.-J., Hrsg. (1991), Texte im Fremdsprachenunterricht als Forschungsgegenstand, Bochum. Bausch, K.-R./Christ, H./Krumm, H.-J., Hrsg. (1995), Handbuch Fremdsprachenunterricht, 3. Überarb. und erw. Aufl., Tübingen. Bausch, K.-R. et al., Hrsg. (1998), Kognition als Schlüsselbegriff hei der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen, Tübingen. Bühlen, A. (1953), Methodik des neusprachlichen Unterrichts, Heidelberg. Bredella, L. 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