61. Kommunikative Übungen 1. Definition Um kommunikative Übungen für die Praxis des Fremdsprachenunterrichts adäquat hinsichtlich ihrer spezifischen Leistungen und ihres didaktischen Orts beschreiben zu können, ist es unerlässlich, den Blick zunächst auf das Lernziel der fremdsprachlichen Kommunikationsfähigkeit bzw. der kommunikativen Kompetenz zu richten. Die gegenwärtige Forschungslage und die internationale Diskussion erlauben es, den Begriff der fremdsprachlichen Kommunikationsfähigkeit folgendermaßen zu fassen: Zunächst einmal ist Kommunikationsfähigkeit das Vermögen der Lerner, Äußerungen adressatengerecht im sozialen Interaktionsprozess so zu verwenden, dass eine Verständigung gewährleistet ist. Von didaktischer Bedeutung im Lernprozess ist hierbei, dass Lerner sich von einer engen Orientierung an den Sprachmitteln und von ihrem sprachlichen Korrektheitsmonitor lösen können. Vielmehr geht es darum, dass die Lerner nicht die Äußerung von sich geben, die sie in der Fremdsprache ausdrücken können, sondern die sie auch tatsächlich inhaltlich ausdrücken wollen. Dabei spielt eine entscheidende Rolle, dass der gesamte Fremdsprachenunterricht in seiner Konzeption und praktischen Durchführung von Anfang an so angelegt ist, dass im Bewusstsein der Lerner nicht der Eindruck entsteht oder verstärkt wird, dass Inhalte, die durch die Sprache transportiert werden, beliebig, nebensächlich oder gar bedeutungslos sind. Nur wenn dies gelingt, kann die relative Künstlichkeit von fremdsprachlicher Betätigung in einem muttersprachlichen Umfeld reduziert und möglicherweise mit fortschreitender Lehrgangsdauer ausgeglichen werden. Demnach müssen Inhalte so ausgewählt werden, dass bei jedem Kommunikationsanlass Persönlichkeitsvariablen wie Urteilsvermögen, Vorwissen, Emotionen, soziale Herkunft, Intentionen und Betroffenheit eine Rolle spielen können. Darüber hinaus sind ebenso die Beziehungen der Gesprächsteilnehmer zueinander und die Rahmenbedingungen der Sprechsituationen wie Ort, Zeit und Anlass des Gesprächs kommunikativ bedeutsam (Pauels 1983). Durch die Berücksichtigung des gesamten komplexen Umfelds sprachlichen Handelns und nicht zuletzt durch Modellentwürfe und empirische Befunde aus der internationalen Zweitsprachener-werbsforschung spielen zunehmend mehr auch Diskursstrategien und Kommunikationsstrategien fachdidaktisch eine Rolle (Art. 69 und 71). Neueste Lehrwerke haben bereits Strategietraining als festen Bestandteil des Lehrgangs verankert. Neben der Realisierung von Sprechabsichten durch geeignete Redemittel gehört zu einer erfolgreichen Anbahnung kommunikativen Handelns die Fähigkeit, Dynamik von Gesprächsabläufen zu erkennen und selbst Einfluss zu nehmen, indem man weiß, wie man wann sich in ein Gespräch einschalten kann, wie man selbst Gesprächsthemen verändern, Gespräche abbrechen oder in Gang halten kann, wie man gegenseitiges Verstehen sicherstellen kann, Nachfragen stellen, den Redefluss erhöhen oder Verstehensschwierigkei-ten und sprachliche Defizite ausgleichen kann, ohne die Kommunikation aufgeben zu müssen (Bach/Timm 1996). Dazu gehört auch das Erkennen kultureller individueller Identitäten von Sprechern und Reaktionen darauf, um Verstehen zu sichern oder mögliche Missverständnisse zu thematisieren (Bliesener 1999). Letzteres allerdings bereitet didaktisch noch große Schwierigkeiten, obwohl es unstrittig zu sein scheint, dass der Fremdsprachenunterricht zunehmend mehr auch die Kompetenzen vermitteln muss, die für die Bewältigung von Kommunikation zwischen Sprechern anderer Muttersprachen, die sich einer gemeinsamen Fremdsprache als Kommunikationsmedium bedienen und ihre eigenen kulturellen Identitäten mitbringen. Hier wird in Zukunft ein Forschungsschwerpunkt liegen müssen (Art. 23). Kommunikative Übungen sind solche Übungen, die die Palette der genannten Lernzielkomponenten fremdsprachlich direkt ansteuern. Sie sind nicht primär an der Einübung linguistisch-formaler Bestände der Zielsprache ausgerichtet, sondern an Mitteilungen und Inhalten. Dazu steht den Lernern das gesamte Inventar der zuvor bereits gelernten linguistischen Mittel zur Realisierung ihrer Sprechabsichten und sprachlichen Interaktionen zur Verfügung. Da sich die Konzentration der Lerner vornehmlich auf den Inhalt und weniger auf die sprachliche Form richtet, ist - je nach Lehrgangsstadium und Leistungsstärke - mit Fehlerhäufungen oder sprachlichen Defiziten zu rechnen. Diesen sollte bewusst mit großer Toleranz begegnet werden, da gerade der Versuch fremdsprachlicher Formulierung mitteilungsbezogener Äußerungen einen direkten und nachhaltigen Lembeitrag zur fremdsprachlichen Kommunikationsfähigkeit leisten kann. Darüber hinaus zwingt die Inhaltsorientierung die Lerner zur Verwen- dung von Kommunikationsstrategien, die nämlich besonders dann gefordert sind, wenn sprachliche Schwierigkeiten bei eigenständigen Formulierungen auftreten und dennoch die thematisch-inhaltliche Orientierung seitens der Lerner nicht aufgegeben werden soll. 2. Der didaktische Ort kommunikativer Übungen Zur Bedeutung und zum didaktischen Ort kommunikativer Übungen lässt sich heute sagen, dass sie weltweit in der fachdidaktischen Diskussion und in praktischen Lehrgangsprogrammen wesentlich an Bedeutung gewonnen haben und zu den Übungen gehören, die über den Erfolg oder Misserfolg von Fremdsprachenlernen entscheiden. Ihre spezifischen Lernziele sind bestimmt von der in einem breiten didaktischen Konsens erreichten Einsicht, dass fremdsprachliche Lehrgänge sich ständig weiter darum bemühen müssen, sich auf Kommunikationsfähigkeit in der Zielsprache hin und auf Strategien, die auch für das Lernen weiterer Fremdsprachen als Schlüsselqualifikationen mit hohem Transferpotential zur Verfügung stehen können, auszurichten. Die Vermittlung von Sprachmaterial zum Ausdruck von Redeintentionen ist demnach kommunikationsvorbereitend. So kann man heute davon ausgehen, dass die Diskussion um den Vorrang einer kommunikativen oder linguistischen Progression von Lehrgängen zugunsten einer Parallelprogression beendet ist. Dieses Progressionskonzept impliziert, dass die Erweiterung fremdsprachlicher Kommunikationsfähigkeit Hand in Hand mit dem Aufbau eines soliden linguistischen Fundaments geht. Die spezifischen Lernziele kommunikativer Übungen sind demnach abhängig vom Grad der linguistischen Kompetenz der Lerner, also auch vom Lehrgangsstadium. In den letzten Jahren ist diese Parallelprogression erweitert worden um die systematische Einbeziehung von kommunikationsrelevanter Themenorientierung, die den Rahmen für das gesamte Übungsmaterial darstellen. Dazu kommt als ständiges die Progression begleitendes Element die Vermittlung, Bewusstma-chung, Einübung und Verwendung von Strategien, die sich allmählich als wesentlicher Bestandteil kommunikativer Übungen entwickeln. Über eine Hierarchisierung von Kommunikationsstrategien, die Basis für eine Progression im Lehrgang sein könnte, gibt es allerdings noch wenig Befunde, so dass hier eine Sensibilisierung der Unterrichten- den vorausgesetzt werden muss, die es ermöglicht, Strategieentfaltung der Lerner zuzulassen, zu thematisieren oder durch Instruktion anzubahnen, wo immer sich Gelegenheit dazu gibt. 3. Kommunikative Übunßsformen im Lehrgang Freie, allerdings zunächst sprachlich einfache Kommunikation kann in einer kommunikativen Unterrichtsführung ständig in nicht eigens geplanten Übungseinheiten aufgebaut werden. Dies geschieht, indem die Primärsituation rund um das Klassenzimmer und um die Unterrichtsorganisation fremdsprachlich nutzbar gemacht wird. Hier ergeben sich von Anfang an Möglichkeiten, classroom discourse in echter Kommunikation zu praktizieren, etwa durch Aufforderungen, Vorschläge, Kritik Lob, Tadel, Wünsche, Erklärungen, Richtigstellungen, Fragen, etc. (Cattliff/Thorne 1988). Entscheidend ist die Erfahrung der Lerner, dass sie durch eigene Verwendung von classroom phrases (Hughes 1981) bei den Unterrichtenden wie bei Mitschülern etwas bewirken und Handlungen in Gang setzen können (Bach/Timm 1996). Innerhalb dieses Rahmens der ständigen Einübung und Erfahrung kommunikativer Handlungen verändert sich die Spezifik kommunikativer Übungen im Verlaufe eines Lehrgangs, wobei die Veränderung von der Entwicklung fremdsprachlicher Gesprächskompetenz abhängt: Zu Beginn werden sie von dem bestimmt, was man als sprachlichen Transfer bezeichnet. Die Kommunikation ist noch relativ eng von der Übertragung und Verwendung zuvor gelernter Sprachmittel in neuen bislang noch nicht versprachlichten Situationen gesteuert. Diese enge Steuerung in einem frühen Lernstadium muss dem Grundsatz folgen, dass sie immer auch möglichst solche Inhalte, Kontexte und Situationen berücksichtigt, die in irgendeiner Weise lernerorientiert sind, so dass sich auch hier bereits trotz der Steuerung durch zu vermittelnde Sprachmittel Motivationen ergeben, die für die Lerner als Sprechanlässe für weiterführende, eigene inhaltsbezogene Äußerungen dienen. Diese Äußerungen können auch durch die Unterrichtenden initiiert werden durch Aufforderungen wie „Andwhatdoyoulike?", „Whatisyourfavou-rite V, „What would you have done?", „What did you do yesterday?", etc. (Legutke/Thomas 1993; Bundesarbeitsgemeinschaft 1996). Kurzdialoge sind eine unbestritten geeignete Form kommunikativer Übungen. Hier erfahren die Lerner zunächst kommunikative Ausschnitte, können aber auch ihre eigenen personenbezogenen Äußerungen, Stellungnahmen etc. mit Hilfe vorgestellter sprachlicher Modelle artikulieren. Sie können neue Kurzdialoge mit den selben oder anderen Personen zum selben oder zu einem anderen Thema erarbeiten. Solche Übungen sind in einem frühen Lernstadium angeraten, weil die Lerner trotz vorgeschlagener sprachlicher Hilfen eigenständig inhaltlich kreativ sein können. Oftmals verlangen diese Übungen Partner- oder Grup penarbeit, wobei die Lerner fremdsprachlich im Rahmen ihrer Möglichkeiten miteinander kommunizieren. Die Verwendung der deutschen Spra che bei Rückfragen wie etwa „What is ,sich ärgern' in English?" gehört als Sprachwechsel mit zur Ausbildung von Kommunikationsstrategien. Im Verlaufe des Lehrgangs ist es notwendig, dass kommunikative Übungen sich immer weiter weg von einer Orientierung an den kommunikativ-sprachlichen Mitteln hin zu einem inhaltsorientierten, sprachlich selbständigem Sprechen in der Fremdsprache als dem eigentlichen Ziel kommunikativer Übungen entwickeln. Dazu kann die Fortsetzung der Entwicklung von Kurzdialogen in Rollenspielen beitragen, die durch unterschiedlich ausweitbare Szenarien etwa aus dem Alltag wie z.B. Autopanne, Schultag, Kaufgespräche, Planung von Freizeitaktivitäten etc. die Handlungs- und Kommunikationsspielräume erweitern. Hier gibt es kaum festlegbare Anweisungen. Simulationen sind gedacht als Ausgleich der eigentlich künstlichen fremdsprachlichen Kommunikationssituation und sollen eine vorgestellte gesellschaftliche Wirklichkeit nachempfinden (Jones 1982). Hierzu gehören: Planung eines neuen Schulgebäudes, Organisation eines Schulfestes, Vorschläge für einen Klassenausflug oder eine Studienfahrt, Vorbereitung einer Ausstellung, Erstellung einer Zeitungsseite mit Leitartikel und Kommentar, Durchführung von Informationsveranstaltungen zu Themen wie Politik, Geldanlage, Dritte Welt, Umwelt, Städtepartnerschaften etc. (Arendt 1997; Yaiche 1996). Es bietet sich die Bereitstellung von Diskussionsunterlagen sprachlicher und inhaltlicher Art und die Erprobung von Diskussionsspielregeln an. Im Sinne der Einübung von Diskursstrategien ist es erforderlich, dass die Gesprächsteilnehmer mit Funktionen ausgestattet werden wie Stadtplaner, Politiker, Betroffene, Interessenvertreter o.a. und als solche ihre Interessen vertreten und miteinander in Interaktionen eintreten (Schiffler 1980). Dazu gehört, dass sie lernen, Handlungen zu bewerten, sich in Gespräche einzulassen, Überzeugungsarbeit zu leisten, Kritik zu üben, etc. Auf diese Weise kann erreicht werden, dass den Lernern die Diskussionsabläufe und die Strukturen von Diskussionen selber bewusst werden. Dabei müssen den Lernern die kommunikativen Mittel für den Ausdruck der Beziehungen der Gesprächsteilnehmer zueinander, des Wortergreifens, der Sprechintentionen und ihrer Wirkungen zur Verfügung gestellt oder Möglichkeiten zu ihrer Analyse gegeben werden, damit auf diese Weise eine Transferflexibilität für das fremdsprachlich-kommunikative Verhalten in ähnlichen Gesprächssituationen und mit sinnverwandten Themen entstehen kann. An dieser Stelle muss auch auf die Funktion von Projekten verschiedenster Thematik hingewiesen werden, die eine Fortsetzung und eine Schulung der Transferflexibilität ansteuern (Legutke 1996; Art. 38). Ebenfalls müssen an dieser Stelle Möglichkeiten kommunikativer Übungen durch neue Kommunikationstechnologien wie E-Mail und Internet erwähnt werden. Videokonferenzen mit ausländischen Gesprächspartnern in Schulen werden möglich, Korrespondenzen über E-Mail sollten nicht unterbleiben ebenso wenig wie das damit im Zusammenhang stehende Sprechen über die neuen Medien, um neben dem inhaltlichen Interesse auch ihre Fachsprache zu erlernen (Art. 51). Literatur Arendt, M., Hrsg. (1997), Simulationen. Themenheft. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch, 26. Bach, G./Timm, J.-R, Hrsg. (1996), Englischunterricht. Grundlaßen und Methoden einer handlungsorientierten Unterrichtspraxis, 2. Aufl., Tübingen/Basel. Bliesener, U. (1999), „Die eigentlichen Fachfragen des Fremdsprachenunterrichts", in: Neusprachliche Mitteilungen, 146-150. Bundesarbeitsgemeinschaft Englisch an Gesamtschulen (1996), Kommunikativer Englischunterricht. Prinzipien und Übungstypologie. Neue Ausgabe. Ein Handbuch für Lehrer, München. Cattliff, R./Thome, S. (1988), English in the classroom, Frankfurt a.M. Hughes, G. S. (1981), A Handbook of classroom English, Oxford. Jones, K. (1982), Simulations in language teaching, Cambridge. legutke, M./Thomas, H. (1993), Pwcess and experience in the language classroom, 2. Auflage, London/New York. Legutke, M. (1996), „Szenarien für einen handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht", in: Bach, G./ Timm, J.-P., Hrsg., 103-128. Pauels, W. (1983), Kommunikative Fremdsprachendidaktik. Kritik und Perspektiven, Frankfurt a.M. Schiffler, L. (1980), Interaktiver Fremdsprachenunterricht, Stuttgart. Yaiche, F. (1996), Les simulations globales, Paris. Wolfgang Pauels