Der Turm Stimmen Pablo Direktor Verwalterin Zauberer Zwerg Carlo Dompteuse Artisten Schwirrende, undeutliche Straßenlaute. Schritte, die sich nähern. Die Schritte kommen ganz nah und verweilen. Pablo versunken Der Löwenkopf - mit dem Ring im Maul -schlägt den eisernen Ring dreimal an das Tor - wie das drinnen durch den Turm hallt - die sind noch drinnen - die andern - ich komm von draußen - ich muß da herein - an sie heran -Noch einmal drei Schläge, jetzt drinnen in einem hallenden Echo-Raum. Verwalterin flüsternd Da ist jemand draußen -Direktor Irgendein Betrunkener - irgendwer, der sich verlaufen hat- verwalterin Das kann auch was Wichtiges sein -Direktor So spät nachts -Pause Pablo Ich seh das Tor von außen - ich komme von außen - ich bin nicht mehr eingeschlossen - ich weiß wie es draußen ist — Schlürfende Schritte. Klirren von Schlüsseln. Ich höre sie - wie sie da die Treppe herunterschlürfl - ich kann noch weg - Der Schlüssel knirscht im Schlüsselloch. Das schwere Tor öffnet sich knarrend. Pause Verwalterin Warum sagen Sie nichts - was wollen Sie? Stille Was wollen Sie? Pablo Ich suche Arbeit -Verwalterin So spät nachts? pablo Es hätte noch später werden können - Verwalterin Leute brauchen wir immer - aber Qualität verlangen wir - wir halten einen hohen Standard in unsern Vorstellungen! pablo Ja, ich weiß - ich hab vom Turm gehört - Verwalterin So, es kommt ganz darauf an, was Sie können -seufzt gute Arbeitskräfte sind selten heutzutage - pablo sachlich Ausbrecher. Entfesselungsnummer. Verwalterin Ausbrecher? Das ist lange her, daß wir einen Ausbrecher hatten. Wir können ja einen Versuch machen. - Wohnen Sie im Hotel? 9 pablo Nein. Kann ich hier übernachten? Verwalterin mißtrauisch Haben Sie kein Gepäck? pablo Gepäck brauch ich keins. Einen Strick haben Sie doch wohl. Und jemanden, der mich bindet. Verwalterin Und sonst brauchen Sie nichts? pablo Nein - sonst nichts. Verwalterin unsicher Kommen Sie herein. Schließt das Tor ab. Sie können hier in der Halle liegen. Können da auf der Bank schlafen. Ich hol' Ihnen eine Decke. Direktor sein Ruf hallend von oben Wer ist denn das? Verwalterin rufl zurück Ein Artist - willst du ihn nicht begrüßen? Direktor Warum kommt er so spät? Verwalterin Er hat nirgends zu wohnen -Direktor Das ist keine Herberge hier! pablo zu sich selbst Ich muß hier bleiben - muß jetzt hier bleiben - Direktor nähert sich. Noch so spät zu kommen - pablo sachlich Mein Name ist Niente, Herr Direktor. Ich habe eine Entfesselungsnummer. Direktor Seit wann im Fach? pablo Seit frühester Kindheit. Fing als Balanceur an. Ging dann zu einer Erhängungsnummer über. Angespannt In der Schlinge zu hängen, die sich bei der kleinsten Bewegung zuschnürt - ich bekam genug - herausfordernd vielleicht kennen Sie diesen Widerwillen, den man plötzlich für eine Nummer fühlt, mit der man lange gearbeitet hat - diesen Überdruß. Man muß sich erneuern -ich wußte: wenn ich's noch einmal mache, dann geh ich drauf. Immer dieser Todessprung. Dieses Ersticken. Versunken Dachte jetzt nur noch an die Befreiung. Ließ mich binden, um die Befreiung zu erfahren. Beim Binden ganz vom Gefühl des Freikommens erfüllt. Man muß schon frei sein, bevor man anfängt. Das Ausbrechen ist dann nur eine Beweisführung. Direktor hat gar nicht zugehört. Aus eigenen Gedanken Ausbrecher- wir hatten mal einen Ausbrecher — carlo seine Stimme noch entfernt, rufl Wer ist denn da? Was will denn der? Ist das Haus nicht voll? Ist das Programm nicht besetzt? Direktor Carlo! Schläfst du noch nicht - mach daß du ins Bett 10 kommst - du wirst morgen wieder in schlechter Form sein! carlo näherkommend Wer ist denn das? Verwalterin mild Geh doch - geh rauf! Carlo sich entfernend Wer ist denn das? Verwalterin Ja - und wir gehn dann auch. Hier ist die Decke. Direktor Ja, gehn wir. Verwalterin Gute Nacht. Direktor schon fern Gut Nacht. Pablo verhalten Gute Nacht. Stille In einiger Entfernung ein herausfordernder Pfiff, hallend, im Innern des Turmes, Zauberer noch entfernt Bist du hier? Wieso fährst du denn so zusammen? Hast wohl noch Angst vor mir - und bist doch so groß und stark geworden - das ist nicht mehr unser kleiner Pablo, der mit dem Löwen floh - Pablo heftig Sei still! Zauberer Ich still? War nicht ich es, der dir beim Fliehen half? War ich es nicht, der den Käfig aufschloß? Was hättest du ohne mich getan? Pablo Und warum schlugst du Alarm, kaum daß wir durchs Tor waren? Zauberer Mußte ich doch, um den Verdacht abzulenken. Und was willst du - du kamst doch frei! Allerdings der Löwe - armer Löwe! Pang! Da lag er. Werd nie vergessen, wie man ihn am Schwanz wegzog. Pablo Ich weiß, warum du das Tor aufmachtest. Du wolltest, daß ioh mich draußen töte. Du wußtest, daß ich die Schlinge um den Hals hatte. Zauberer Aber Pablo - wir waren doch so gute Freunde! Pablo Du hattest mich eingefangen. Ich wußte ja nichts - war ja nie draußen gewesen. Ja - du warst freundlich zu mir. Liebevoll gabst du mir ein Messer, daß ich mir den Puls aufschneiden konnte. Sagtest, daß ich mich die Treppe herunterwerfen sollte. Sagtest, daß ich ganz still liegen und den Atem anhalten sollte - und ich lag still, bis was in mir zerriß. Zauberer Aber Pablo! pablo Überall tauchtest du auf mit deinem Flüstern. In der Umkleideloge sah ich dich plötzlich im Spiegel. Nachts fühlte ich plötzlich, daß du neben mir auf dem Bettrand saßt. Ii Zauberer Pablo - du hattest doch so viel Vertrauen zu mir. Pablo Aus Furcht vertraute ich mich dir an. Ich hatte Angst vor deinem weißen, reglosen Gesicht! Zauberer Pablo! Pablo Zauberer nanntest du dich. Hellseher. Aber nie tratst du auf. Parasit! Was tust du eigentlich hier? Was hast du mit mir gemacht? Und mit Nelly? Was hast du mit Nelly gemacht? Zauberer gefährlich Kommst du hierher, um mich anzuklagen? Hast wohl vergessen, was du mit der Dompteuse angestellt hast. Hast wohl vergessen, warum man dich zum Löwen in den Käfig sperrte. - Da lagt ihr zwei Tiere hinterm Gitter und die Ratten pfiffen. Du beichtetest mir - batst mich um Hilfe - pablo Ich hab' dir nicht alles gesagt - Zauberer War wohl sie, die dich verführt hatte, was? Dir die Kleider abgerissen, was? Sich mit dir auf dem Boden rumgewälzt? Sie schrie wohl nur aus Lust? pablo Sie schrie, weil ich sie nicht anrührte. Weil ich zurückwich. Ich war plötzlich wie gelähmt. Sah nur Nelly vor mir. Sah, wie sie da in der Arena lag - was hast du mit Nelly gemacht? Zauberer Armer kleiner Pablo. Pablo, der nie aus dem Turm rausgekommen ist. Pablo-Balanceur auf dem großen roten Ball. Seine letzten Worte sind in einen hallenden Echoklang übergegangen. Mit lockender, hypnotisierender Stimme fährt er fort - Komm, komm - gib mir deine Hand - so - tüchtiges Kind - schön fest auf dem Ball balancieren — gelehriges Kind - so — schön auf den Zehenspitzen - vorwärtstrippeln - vorwärts - vorwärts - immer schön um die Arena rum - so - Schultern zurück - Körper gerade - Beine gestreckt - ganz gestreckt - kerzengerade - nur die Zehen rühren - schneller - schneller - so ist's gut, Pablo - sehr gut -bald darfst du auftreten - ah - und draußen wird man deinen Namen durch die Straßen tragen - mit großen Buchstaben: pablo, der balanceur - schön weiter trippeln - alles mit den Zehen machen - den Körper ganz steif - nicht mit den Schultern zucken -pablo reißt sich heraus Ich bin nicht mehr Pablo! Ich komm von draußen. Ich weiß, wie der Turm von draußen aussieht. Ich weiß, wie die Gasse draußen aussieht - die Stadt - der Hafen - das Meer — ich weiß wie andere Städte sind — ich war auf Bergen — in Wäldern - auf Landstraßen - auf Schiffen - 12 Zauberer Du warst nie draußen. Du bist drinnen im Turm. Nachdrücklich Du bist hier, weil du nie draußen warst. Pablo geschlagen Ja. Alle Städte und Wälder und Meere lagen innen im Turm. Überall die Begrenzung. Was ich auch anrührte -die Begrenzung. Jedes Wort, jedes Gefühl im Turm eingeschlossen. Ja, du hast recht. Ich bin nie freigekommen. Starker Aber ich bin nicht mehr Pablo. Ich balanciere nicht mehr auf dem Ball. Ich erhänge mich nicht mehr. Ich bin hier, um mich auszubrechen. Zauberer beschwörend Hier ist alles unverändert und alles wirkt auf dich ein wie früher. Pablo Nein! Alles ist verändert! Ich werde selbst das Tor öffnen! Zauberer Wenn du den Schlüssel kriegst! Pablo Langsam hinauszugehen. Nicht blind hinauszustürzen. Wie unter plötzlichem Schmerz Wie das immer wehtut, wenn ich mich die Gasse herablaufen sehe. Als schlüge was auf mich ein - alles verschwimmt. - Ruhig aus dem Tor zu gehen - Zauberer Hier ist alles unverändert. pablo Nein! Alles ist anders. Ich fürchte mich nicht mehr vor dir. Und die Verwalterin - wie grau und müde sie ist. Früher kam sie hereingebraust - ihr Haar wie ein schwarzer Polyp. Sie wird mich nicht mehr schlagen. - Und der Direktor - wie ich ihn da auf der Treppe sah - mit seinen verdrückten Hosen - tat er mir fast leid. Ich frage mich, bin ich um deretwillen hierher gekommen - diese beiden Alten - was hab' ich mit denen zu tun? - Vielleicht wollen sie mich noch fangen mit ihrer Schwäche — mit ihrer Verlassenheit - mit ihrer Gewalt können sie mich niemehr unterwerfen - Zauberer Alles ist wie es immer war. Hör die Uhr. Hör die Atemzüge. Alles ist wie früher. Hör - Seine letzten Worte sind wieder in den hallenden Echoton über-gegangen. Das dumpfe Ticken einer Uhr ist zu hören. Das Uhrwerk rasselt, spannt sich zum Schlag. Ein gebrochener Gongschlag. Dann wieder das Ticken. Der Direktor schnarcht. Die Verwalterin stöhnt im Schlaf. Die Matratze knarrt. Alles eingehüllt wie in den Schwall einer großen Woge. Dann wieder Stille. pablo Ja, ich höre es. Die Nächte - ich schlich mich zu Nelly. Nelly - wach auf! - Was hast du mit Nelly gemacht?! Zauberer Jetzt aber genug! pablo Sie lag da mitten in der Arena. Das Pferd verschwunden. Du 13 sagtest, sie sei gestürzt. Aber es waren keine Hufspuren in der Nähe. Du standest neben ihr. Ihr Gesicht unkenntlich. Diese furchtbare Stille dort in den leeren Zuschauerbänken -Stille Carlo aus einem weiten Echoraum herbeischwebend Ich - Carlo - liebte sie am meisten! Pablo Ich schlich mich in ihr Zimmer, wenn alle andern schliefen -Carlo Ich - Carlo - war wach - Pablo Ich wartete, bis ichs oben schnarchen hörte. Nelly hatte ihre Türe angelehnt - sie saß aufrecht im Bett - wartete auf mich - Carlo seine Stimme immer wie ein Hauch herankommend Sie wartete auf mich. So eng lagen wir umarmt. Sie sagte, sie hätte mich am liebsten. - Alles willst du mir nehmen! Immer stellst du dich mir in den Weg! Aber mich liebte sie am meisten! Pablo Dich! Du hingst doch nur der Alten am Rock! Verwalterin herbeibrausend Ist er wieder frech - der Pablo? Vergreift er sich wieder an dir! Daß du dich unterstehst! Wart -das werd' ich dem Onkel sagen! Direktor herbeibrausend Was ist denn jetzt schon wieder los? Verwalterin Wieder der Pablo! pablo Ja, ich! Ich bins! Ihr habt mich nicht unterkriegen können! Verwalterin Was sagst du da?! Und ich, die ich wie eine Mutter für dich war! pablo Aber du bist nicht meine Mutter. Niemand von uns hat eine Mutter. Niemand von uns ist hier geboren. Man hat uns alle von draußen hereingetragen. Auch ihr wurdet als schmutzige Bündel auf die Schwelle gelegt. Es gibt keine Blutsbande. Nur den Turm. Nur der Turm hält uns zusammen. Verwalterin Wie kannst du so herzlos sein. Strafen sollte man dich - strafen! pablo Ja, strafen! Ich hab' mich selbst gestraft. So sehr war ich von eurer Macht erfüllt, daß jeder Gedanke, der sich gegen euch richtete, gleich auf mich selbst zurückschlug. Zauberer Aber was ist denn eigentlich geschehen? Du hast ein bißchen Schläge gekriegt, du hast ein bißchen Ordnung gelernt -wenn die Zügel mal straff gehalten wurden, dann nur deshalb, damit du zu einem tüchtigen Artisten werden solltest. Was willst du eigentlich? pablo Ja - was ist eigentlich geschehen? - Manchmal fühle ich, wie 14 meine Gedanken wie aus einem dunklen Schacht kommen, eh ich an was Greifbares gerate. Irgendwas Unergründliches liegt unter jedem Gedanken - irgendwas, für das es keine Worte gibt. Und dort war es, wo ich geformt wurde. Als mir zum ersten Mal der Ball bewußt wurde, auf dem ich stand, da war ich schon fertig dressiert. Direktor Wir waren viel zu schlapp mit dir. Du hast keine Disziplin gelernt! Zauberer wieder beschwörend - hohl, schallend Raus mit der Brust - Magen einziehen - Schultern zurück - so - Arme ausstrecken -fest auf dem Ball bleiben - so - schneller - schneller - mit den Zehen trippeln - rum um die Arena - immer im Kreis rum - Pablo hypnotisiert, gehetzt Diese Gesichter da in den Bänken -dieses Prasseln und Murmeln - Geräusch von Stimmengewirr, Geschähe von Händen, die Beifall klatschen - diese furchtbaren Hände - Zauberer Und dann verneigtest du dich so artig. Warst der Günstling des Publikums. Hübsch warst du in deinem weißen Trikot mit dem gepuderten Gesicht und dem langen schwarzen Haar. Kußhände warfst du ihnen zu. Pablo Aus Furcht! Ich fürchtete mich vor ihnen. Dachte, es seien Tiere. Als ich sah, daß sie uns ähnlich waren, glaubte ich, ich sähe falsch. Ihr hattet mir gesagt, daß sie mich zerreißen würden, wenn ich mich je zu ihnen hinauswagte. - Warum hieltet ihr mir alles geheim? Warum durfte ich nichts von draußen wissen? - Wenn ich fragte, legtet ihr nur den Finger auf den Mund! Direktor hart und eintönig, aufleiernd Hier haben wir unsere Arbeit und hier bleiben wir. Erst mußt du mal zeigen, daß du was kannst. Daß du deine Aufgaben beherrschst. Erst deine Pflichten erfüllen! Pablo Ja - ich hör' den Turm sprechen. Aber ich antworte jetzt. Ich schweige nicht mehr. Aufruhr habe ich schon damals gefühlt. Ich wußte immer, daß es eine Welt draußen gab! Zauberer hart und eintönig Für uns gibts nur den Turm. Da draußen ist alles haltlos. Nur die Mauern des Turms sind fest. Alles zerrinnt da draußen. Wir halten uns an die Ordnung des Turms. Verachtend Und warum kommen sie her — diese Menschen? Um Kraft bei uns zu sammeln. Bei uns! Wir sind es, die diese Kraft austeilen! 15 pablo besessen Aber ich hab die Welt draußen gesehn! Ich fand die Luke auf dem Dachboden - ein rundes weißes Feuer! - Es war kurz nachdem ich mir die Handgelenke mit deinem Messer aufge-' schnitten hatte - damals, als ich mit den dicken Verbänden umherging - brauchte ich nicht auf dem Ball zu arbeiten - du lehrtest mich, daß man sich töten mußte, wenn man freikommen wollte - aber es gab noch eine andere Stimme in mir - eine Stimme, die ich noch nicht hörte - um euch mit dieser erstickten Stimme zu antworten - darum mußte ich noch einmal hierher kommen! - Es war dieses Flüstern, das über mein Leben bestimmte. Es war diese unerhörte Stimme, die mich hinauftrieb zum Boden, wo ich das Fenster fand. - Oh, was war eure Macht gegen dieses Fenster! - Nur eine Sekunde lang. Ich war geblendet - ich schrie -fühlte eine ungeheure Stärke vor diesem Licht! Dann standet ihr schon hinter mir - zogt mich zurück - die Treppe runter - der Boden abgeschlossen - der Schlüssel weggeworfen! Direktor hart leiernd Und jetzt an die Arbeit! Jetzt Schluß mit der Faulenzerei! pablo Ja - ihr stelltet mich wieder auf den Ball. Aber ich hatte es gesehn! Ich hatte es gesehn da draußen! Da oben hatte ich nur eine einzige weißglühende Tiefe gesehn. Aber jetzt traten Einzelheiten aus dem Lichtflimmern vor - immer mehr und mehr erkannte ich - ständig stieg Neues vor mir auf - ich sah ein Meer von Dächern - sah Säulen - Tiere - Rauch - farbige flatternde Tücher — sah Fenster — hinter den Fenstern Zimmer - in den Zimmern Gestalten - jemand trug eine gläserne Kugel - jemand kleidete sich aus - einer malte eine Wand mit einem breiten Pinsel - ein Riese ritt auf einem grünen Pferd - ein Schwert in der ausgestreckten Hand - Kinder spielten auf der Gasse - eins verschwand gerade in einer Grube - überall Menschen - allein oder in Gruppen - ein riesiges Bild sah ich und ich suchte nach einem Sinn des Bildes — fand immer wieder neuen Sinn - eine furchtbare Unruhe ergriff mich - ich wollte heraus - aber ich wagte noch nicht - ihr hieltet mich noch fest - Zauberer Du wagtest nie - pablo Ihr versteht nicht was ich sage. Ihr könnt mich nie verstehn. Ihr könnt mir nichts anderes sagen, als das, was ihr seit jeher in mich hineingehämmert habt. Ich hör' nur das Echo eurer Worte! - Wo seid ihr - wo seid ihr? 16 stimmen in ballendem Chor antwortend Hier überall! Hier überall! Pablo Ich werd' euch packen! Ich werd' euch aus mir herausreißen! stimmen Was willst du uns denn! Wir haben unser eigenes Leben! Du hast alles falsch gesehn! Du hast alles mißverstanden! Uns kannst du nichts vorwerfen! Pablo Ihr seid in mich eingedrungen. Ich war offen für euch. Ich bin von euch durchsetzt. Nie hab* ich zurückgeschlagen! Nie um mich getreten! Direktor Das fehlte noch! pablo Wenn du mich übers Knie legtest, heulte ich, um dich versöhnlich zu stimmen. Und wenn du mich mal lobtest, vergaß ich, daß mein Gesicht noch von deinen Schlägen brannte - Verwalterin Wie kannst du so grausam sein. Wir, die wir dir Essen und Arbeit gaben. Einen besonderen Brei kochte ich dir, weil du so schwach warst - einen kräftigen Brei - hast du vergessen, wie gern du den mochtest? pablo Im Mülleimer faulte er jeden Abend. Ich erbrach ihn, - Und nachts schlich ich mich dann zur Speisekammer, um mir zu stehlen, was ich brauchte. - Diese nächtlichen Reisen -Ein dumpfes Dröhnen füllt den Turm. Die Uhr tickt. Das Schnarchen, die Atemzüge der Schlafenden sind zu hören. Ein Sausen und Rauschen. Wie in einem sinkenden Schiff - das Wasser strömt ein - der Onkel und die Tante da oben - wie hydraulische Pumpen. - Ich gleite durchs Haus auf dem großen Ball. Ich fliege — Huiii - die Treppe hinab - durch die Korridore - durch die Hallen - wie das saust und rauscht - wie groß das Haus ist. - Huiii - zum Keller — zum Löwen — Löwe! Löwe - bist du da? — Löwe! -Seine Augen leuchten - wie still er da liegt - Geheimnisvoll Er ist verzaubert. Ich werde dich befreien, Löwe - wir werden draußen durch die Welt laufen - wir werden laufen - laufen - laufen - niemand wird uns einhalten - Zauberer Pang! Da Hegt er! Gutgezielter Schuß. Genau in den Nacken. Ich schieß nie daneben. pablo Der Löwe. Das Starke. Das Wilde. Das Eingekerkerte. Das Erschlagene. - Löwe! Ich werde dich wiedererwecken! Löwe! Komm heraus! Ein kicherndes Knurren ist zu hören, ein Rasseln von Sdjellen. T7 Zwerg Ja, ja - hier bin ich - Zauberer Komm schön - komm zu Herrchen - gib's Pfotchen - so — zwerg kichernd und knurrend Ist mein treuer Pablo endlich zurück - will er mich erretten - mich armen krummen Zwerg -Zauberer ja - der große Befreier ist hier! Zwerg jaulend Frei-frei! Zauberer Da hast du deinen neuen Löwen! Ein Zwerg, ein Krüppel, mit Schellen behängt! Und Nelly - willst du Nelly wiedersehn? pablo Nelly - Zauberer Komm, Löwe — tanz mit Nelly! Man hört ein Kichern, Trampeln und Rasseln von Schellen. pablo Nellys Kleid - das weiße Kleid -Zauberer Die letzten Fetzen von ihrem Kleid -pablo versunken Ist das alles, was von ihr geblieben ist -Zauberer hart Es gab nie mehr! pablo Aber die Nächte - als ich bei ihr war - zweifelnd als ich bei ihr war? Zauberer herausfordernd Na-und? pablo Ein einziges Mal war ich bei ihr — das war, als sei ich immer bei ihr gewesen - sie zeigte mir ihre Brüste -Zauberer Na - und dann? pablo Ja - und dann -Zauberer Sie fragte dich was -pablo flüstert Ja- zauberer knapp Sie fragte: Kannst du das auch, was der Carlo kann? pablo Ja, Ich hör' es sehr deutlich. Ich ging. Ich kam nie wieder zu dir, Nelly. Aber nach deinem Tod, da hatte ich dich für mich allein. Da war ich bei dir jede Nacht. Carlo seine Stimme von fernher herbeiwehend Mich hatte sie am liebsten — mich, Carlo — ich war bei ihr in den Nächten — pablo Und was hast du aus der Liebe gemacht - was ist aus dir geworden? Das Kichern und Schellenrasseln wieder nah. Gib es mir - gib mir das Kleid! Stille. Rascheln von Stoff. Nelly - ihr Geruch - flüsternd Nelly - Nelly - Langsam erhebt sich wieder das dumpfe Brausen aus dem Turm. 18 Die Uhr tickt. Schwere, dumpfe Atemzüge. Nach einer Weile erwacht der Direktor und die Verwalterin. Sie strecken sich, ächzen, gähnen. Direktor sdylaftrunken Ja - es ist Zeit - verwalterin Ach ja - Direktor Wieder ein Tag - Die Matratze knarrt, Gähnen und Räuspern. Verwalterin Ahh ja - mal Kaffee aufsetzen - Das Schleppen ihrer Pantoffeln kommt die Treppe herab. Verwalterin gähnt Liegt er da aufm Boden - nicht mal die Decke hat er genommen - was hat er denn da über'm Gesicht - was ist denn das für'n Fetzen - na stehn Sie doch mal auf - ich muß doch hier'n Tisch decken — Sie klappert mit Geschirr. Direktor gähnend - die Treppe herab So - hier - Strick hab ich schon mitgebracht - taugt der? - Was ist denn mit dem los? Wieso schlaft denn der noch? Was ist denn das für 'ne Art? Zur Verwalterin Ist der Kaffee fertig? Zauberer entfernt Morgen, Herr Direktor! Direktor Ah - früh auf, wie gewöhnlich - aber der da - wieso steht der nicht auf - wir müssen ihn uns noch ansehn vor den Repetitionen. Zauberer Nicht nötig, Herr Direktor, nicht nötig. Ist doch 'n Name von Weltruf. Niente. Ausbrecher. Den können wir direkt aufs Programm setzen. Direktor Der da - 'n Weltname? Nie von ihm gehört. Zauberer Doch, doch, 'ne große Nummer. Direktor unsicher So - der da - na ja - wenn Sie meinen - Verwalterin gießt Kaffee ein. Klirren von Tassen und von Löffeln, die in Tassen rühren. Stimmengewirr nähert sich. Die Artisten kommen die Treppe herab. Artisten Morgen, Herr Direktor. Morgen, Morgen. Morgen, Frau Verwalterin. Stühle werden gerückt. Klirren von Tassen und Löffeln. Schlürfen. Direktor klopft an eine Tasse. Wir werden heut' das Programm mit einer neuen Nummer erweitern. Mal sehn - was haben wir denn zuerst — in Papieren blätternd — »Tiefe Gefühle« — »Duell« -»Dressur« — tja — ich glaub', wir setzen ihn an den Anfang, um 19 gleich mal was neues zu zeigen - wendet sieb an den Zauberer -aber sind Sie auch sicher - ich meine — Zauberer Absolut sicher, Herr Direktor - absolut — Zwerg nähert sich kichernd und schellenklirrend. Absolut - absolut! pablo aus dem Stimmengewirr, sehr nahe Jetzt fängt es an. Zwerg nah - flüsternd, heiser Wo bin ich - wo bin ich? Während der folgenden Repliken Tassenklirren, Sciilürfen, Murmeln im Hintergrund. Direktor Wer fängt heut mit Repetition an? athlet Athlet! Direktor Mit den schwersten Gewichten. Athlet Schwersten Gewichten! Direktor Nächster? Spiegelfechter Spiegelfechter! Direktor Neue Positionen zum Duell. Spiegelfechter Neue Positionen, Herr Direktor! Direktor Wer kommt dann? Dompteuse Dompteuse! Direktor Mit größeren Peitschen arbeiten. Dompteuse Größere Peitschen, Herr Direktor! zwerg nah - flüsternd Was geschieht hier - was geschieht denn hier? Direktor Dann kommt Carlo dran. Carlo Ja, Onkel. pablo Ich bin drinnen im Turm - Direktor Und denkt dran - mehr Energie - mehr Enthusiasmus! Verwalterin im Hintergrund Noch'n bißchen Kaffee? pablo flüsternd Ich muß aus dem Strick heraus - zwerg echohaft flüsternd Strick raus - Strick raus - Direktor Mehr Einfühlung! Ihr habt nachgelassen in der letzten Zeit! Wir dürfen nicht die Tradition des Turms vergessen -zwerg nachäffend Tradition - taradition- Verwalterin näherkommend Na endlich - ausgeschlafen? Sie sind mir aber ein Langschläfer. Bißchen Kaffee? Direktor Na, wie gehts - Herr Ausbrecher? carlo Ausbrecher-ist er Ausbrecher? Dompteuse vielsagend Das ist lange her, daß wir einen Ausbrecher hatten — carlo Meinst du Pablo? 20 Dompteuse Und dann sieht er dem Pablo auch noch ähnlich -Carlo Er setzt sich an Pablos alten Platz! Pablo schreckt zusammen. Zauberer Aber bleiben Sie doch sitzen, Herr Niente! Direktor Was ist das für'n Gerede von Pablo - ich will das nicht hören! Pablo Wer ist Pablo? Zwerg nachäffend Wer bin ich? Zauberer Ein wunderbarer Artist. Der beste, den wir hatten. Aber er ist auf und davon. Direktor Ich will jetzt nichts mehr von Pablo hören! Zauberer Und wie schön er war - weißgepudert - entzückend -zwerg Günstling der Frauen - Dompteuse träumend Ja - er war schön - Pablo - haben Sie nie von Pablo dem Balanceur gehört - sind Sie ihm nie begegnet draußen? Pablo Ich weiß nicht - nein - ich glaub nicht - Verwalterin Was mag wohl aus ihm geworden sein? Ich hab ihn nie richtig verstanden. Er war so verschlossen. Kein Wort könnt' man aus ihm herausbringen - pablo Warum floh er? Direktor Er floh nicht - er wurde entlassen! pablo Warum? Direktor Warum, warum! Er war faul! Er war hochmütig! Ich versuchte, ihn zu einem rechtschaffenen Artisten zu machen, aber er hatte keine Disziplin im Leib! Verwalterin Immer war er unzufrieden. Nichts war ihm gut genug. Direktor Er konnte sich nicht einordnen. Er war respektlos. Aber jetzt will ich nichts mehr von Pablo hören! Wir haben jetzt an die Vorstellung zu denken! Verwalterin Noch 'n bißchen Kaffee? pablo Was tat er hier? Dompteuse kokett Er balancierte auf dem Ball - Verwalterin Übrigens - sagten Sie nicht, daß Sie auch Balanceur waren - könnten Sie nicht auf dem Ball balancieren? Sein Ball ist noch da. Ich weiß auch nicht, ob die Leute so drauf aus sind, einen Ausbrecher zu sehen. Bißchen zu gewagt. Man muß Rücksicht nehmen auf den Geschmack hier in der Stadt. pablo Ich bin Ausbrecher. 21 Verwalterin Uberlegen Sie sichs doch. Pablo Ich balanciere nicht mehr. Athlet Ich fang jetzt mit den Gewichten an. Stühleschieben. Alle erheben sich. Geschirr klappert. Direktor Halt! Wo wollen Sie denn hin? Pablo Darf man nicht bei den Übungen zusehn? Direktor Das ist hier nicht üblich. Jeder arbeitet für sich. Pablo von einem Artisten zum andern Arbeitet jeder von euch allein? - Was machen Sie denn? Sie - was machen Sie - Warum antwortet ihr nicht? - Sprecht ihr nie über eure Arbeit? Die Artisten entfernen sich. Es wird stiller. Dompteuse nah Mein Lieber - Sie können hier nichts an der Ordnung ändern. Man merkt, daß Sie von draußen kommen. Sehn-südotig Sind Sie weit herumgekommen? - Erzählen Sie mir von draußen - pablo versunken Ich weiß nicht mehr, ob ich je draußen war -vielleicht habe ich es nur gewünscht - wo war ich? - Eine Landungsbrücke - der Strand am Meer - ein Segel - aber ich selbst - wo bin ich selbst - Zauberer nah - flüsternd Du hast einen ganzen Turm um dich herum — Wieder der Lautschwall aus dem Turm, wie eine Woge. Undeutliche Stimmen. Ticken der Uhr. Arbeitsrufe: Ho ruck - ho ruck; eins, zwei - eins, zwei! Dann wieder vorüber. pablo versunken Ich erinnere mich an den Tag, an dem du ankamst - ich stand hier an der Treppe - das Tor wurde hinter dir abgeschlossen - du gingst an mir vorbei mit deinem Koffer — ich nahm dir den Koffer ab - trug ihn - dachte, was wohl darin sein mag. - Folgte dir hinauf ins Zimmer - stand an der Tür, als du auspacktest - ich erschrak, als ich sah, daß alles in deinem Koffer aus Leder und Metall war. — Dann kamst du zu mir -fragtest mich wie ich hieße - packtest mich am Arm - am Haar -Dompteuse Am ganzen Körper hast du gezittert -pablo Ich dachte an Nelly - ich wurde Nelly nicht los -Dompteuse Ganz außer dir warst du, als du abends zu mir kamst -oh - sie umarmen einander - sei doch nicht so heftig - sei doch nicht so aufgeregt -pablo Dein Panzer - du bist gepanzert - dein ganzer Körper ist gepanzert — 22 Zauberer eilig, wie der Berichterstatter eines Ringkampfes Jetzt küßt sie ihn - sie reißt sein Hemd auf - sie beißt ihn - sie schlägt ihre Krallen in ihn - er umschlingt sie - sie zurück - er ihr nach -sie geht zu Boden - er stürzt sich über sie - jetzt gilt's - laut rufend Jetzt gilt es - Pablo! Der Ruf Pablo schallt als gewaltiges EcIjo aus dem Turm zurück. Von allen Seiten der hohle, hallende Ruf: Pablo, Pablo, Pablo! pablo Ja! Hier bin ich !Ich bin hier! Das Echo Hier widerhallt von allen Seiten. Stille pablo Ist es jetzt Zeit für mich? Direktor Zeit für was? pablo Repetition-direktor Ist nicht nötig. pablo Nicht nötig? Direktor Nicht nötig. Wir haben volles Vertrauen. pablo Volles Vertrauen -Direktor Das Seil - taugt das? pablo Das Seil? Direktor Ja - das Seil hier - wollten Sie nicht ein Seil haben? pablo Ein Seil - ja, natürlich - ein Seil. Direktor Ist es dick genug - lang genug? pablo Volles Vertrauen - ihr vertraut mir, weil ich fremd für euch bin. Ich komm von draußen. Wenn ihr wüßtet, wer ich bin - Verwalterin mild — von weither, näherkommend Aber verstehst du denn nicht, daß wir nur dein Bestes wollen? Was machen wir denn verkehrt? Wenn du einmal daran denken würdest, was wir für eine Mühe mit dir gehabt haben - pablo Was war ich denn für euch - und Nelly - und Carlo? Verwalterin Wir haben doch alles für euch getan! Ihr seid uns anvertraut worden. Wie unsre eigenen Kinder haben wir euch aufgezogen. Und wozu diese ganze Arbeit! - Nie ein Dank! -O wie leer das ist! - Nächtelang lag ich schlaflos und grübelte, was ich euch Gutes tun konnte. Und nie einen Dank! Nur Vorwürfe! Was hab ich denn verkehrt gemacht? pablo Es ist der Turm. Ist alles nur der Turm. Ihr seid selbst im Turm aufgewachsen. Du wolltest doch auch hinaus. Sicher wolltest du raus. Aber solch einen Wunsch - den wolltest du nicht wahrhaben. Schlugst du mich nicht, nur weil du wußtest - ich *3 wollte raus? - Wir waren hier ja alle so ineinander verfilzt. Ich war ein Teil von euch - ein aufrührerischer Teil, der unterdrückt werden mußte - zugunsten des Turms - Verwalterin aufschreckend Sagten Sie was? pablo versunken Sagte ich was? Verwalterin Was wollte ich denn - wo ist denn der Zwerg - die Schilder müssen raus - zwerg schellenklirrend Ja, Frau Verwalterin - ich bin schon dabei sie zu malen - langsam lesend: Die Grosse Nummer - einmaliges Auftreten des Ausbrechers! pablo Ein Mal? zwerg im Singsang Ein einziges Mal - ein einziges Mal - pablo plötzlich von Schwäche überwältigt Wie soll ich hier heraus - das Tor - macht das Tor auf - schlägt auf das Tor, Dröhnende Schläge - ich will raus - ich will raus! zwerg quietschend, grölend nachäffend Ich will raus, ich will raus! Tanzt schellenklirrend. Kann mir denn keiner hier helfen - o wie \-h. mir leid tu - alle hängen an mir - ziehen mich runter - bin schon ganz lahm und schief und krumm - o ich Ärmster — will mir'n keiner helfen! - Sachlich So - jetzt ist das Schild fertig -einmaliges Auftreten des Ausbrechers! Klirrt mit Schlüsseln So - Tor aufschließen und raus! pablo läuft ihmnach Ich auch-ich geh mit! Zauberer scharf Halt! Hiergeblieben! Stöhnender Ringkampf Das könnte dir so passen - jetzt auskneifen! Das Tor fällt zu. Wird von draußen abgeschlossen. Von weither die Stimme des Zwerges ... zwerg Der größte aller Ausbrecher! Heute abend einmaliges Auftreten! Kommt und seht! Kommt und seht den größten aller Ausbrecher! Einmaliges Auftreten! Kommt und seht! Kommt und seht! Seine Stimme verklingt. pablo atemlos O - der Turm - dieser Turm- Wieder die Woge aus dem Innern des Turmes. Stimmen. Schritte. Ticken. Entfernt die Stimme des Direktors. Direktor Carlo - zur Probe! carlo von fern Ja - ich komme! Eine Tür schlägt zu. Gedämpft die Kommandostimme des Direktors . . . *4 direktor Kopf hoch - Mundwinkel runter - Schultern drehen -tanzen - so - so - höher die Beine - höher die Arme - so - ist denn das so schwer - Pablo reißt die Tür auf. Die Stimme des Direktors nahe. Direktor Was - was unterstehen Sie sich! Pablo Ich will zusehn. Direktor Was fällt Ihnen ein - habe ich nicht ausdrücklich — pablo Ja ja - aber ich habe auch meine Bedingungen - ich will mich frei hier bewegen - sonst kann ich meine Arbeit nicht ausführen! Direktor Sie sind entlassen. Scheren Sie sich hinaus! Sofort! Zauberer plötzlich auftauchend Aber Herr Direktor - er ist doch schon annonciert! Direktor außer sich Mein Herr! Sie haben sich hier zu fügen! Hier bestimm' ich! pablo Dann kann ich nicht auf treten! Direktor seine Stimme überschlägt sido Verdammtes Pack! Hier rumstehn und glotzen! Aber ohne mich! Ohne mich! Der Direktor stampß davon. Carlo Daß Sie das wagen - pablo Komm - wolFn wir nicht ein bißchen raus an die Luft -carlo Raus? - Das ist doch unmöglich - pablo Wer kann uns das verbieten? Wir sind doch keine Gefangenen hier. Wir fordern nur einfach den Schlüssel. Laut rufend Herr Direktor! Wir wollen den Schlüssel! Wir wollen raus! Den Schlüssel! Das riesige Echo wirft zurück: Schlüssel, Schlüssel, Schlüssel! Direktor hallend, von weither Was ist denn? Andere Rufe aus dem Innern des Turmes mischen sich in den Schlüssel-Ruf. stimmen Was ist? - Was ist geschehen? - Was ist denn passiert? - Brennt es? - Ja, es brennt! - Es brennt - Feuer! Feuer! Es brennt! Hilfe! Hilfe! Im Geschrei, in dem sich die Rufe Schlüssel - Feuer - Hilfe vermengen, eilen Schritte die Treppe herab. Die Artisten kommen herabgejagt. Direktor herbeistürzend Wer hat den Schlüssel? Artisten in Panik Es brennt! Es brennt! Das Tor auf! Wir sind eingeschlossen! Direktor Wo ist der Schlüssel? *5 Zauberer schadenfroh Der Schlüssel ist draußen! Pablo Gibt es denn nur einen einzigen Schlüssel? Artisten in Panik zum Tor. Schreien, Schlagen an das Tor. pablo herausfordernd Wo brennt es denn? Artisten ja - wo brennt es - wo brennt es? Direktor Brannte es da oben? Artisten Nein - da oben nicht - wir dachten hier unten - wo brennt es denn? Zauberer Es brennt überhaupt nicht. Es war nur ein Spaß. Der Herr Ausbrecher hat sich einen kleinen Spaß erlaubt. Ihr könnt ruhig wieder raufgehn. Ist gar nichts los. Nur ein kleiner Probealarm. Murrend entfernen sich die Artisten, während von draußen sich die Stimme des Zwergs wieder nähert. zwerg Heute abend einmaliges Auftreten! Festvorstellung im Turm! Geräusch des Schlüssels im Schlüsselloch, Das Tor öffnet sich knarrend. Fällt gleich wieder zu. Die Schellen des Zwerges sind zu hören. Das Tor wird wieder abgeschlossen. Stille Direktor nah - dumpf drohend Was ist Ihnen denn eingefallen! carlo Er wollte doch nur den Schlüssel - wollte doch nur ein wenig raus mit mir — Direktor Was - mischst du dich ein - bist du noch da - marsch -scher dich rauf! - Zu Pablo, nah, drohend Daß Ihnen sowas nicht noch mal einfällt! zwerg kichernd Der ist doch nicht ganz richtig! Zauberer Der war nie ganz richtig! Wollte immer raus! pablo Ja - ich wollte immer raus - zwerg Der ist nicht richtig, seitdem er damals bumsbums aufs Köpp- chen gekriegt hat -pablo schreckt auf Was? - Was sagst du da? Zauberer Nichts - gar nichts -pablo Doch - da war was - was war das — zwerg Bumsbums - 'n bißchen bumsbums auf'n Kopp! Zauberer Scher dich doch weg! Zwerg kichert. pablo wiedererkennend Ja-zauberer Gar nichts - bist nur mal hingefallen - 16 pablo Ja - draußen - draußen auf der Gasse - ich war draußen -Zauberer Aber woher- pablo Ja - ich bin früher schon einmal raus - die Gasse runter -Zauberer Nicht doch - nicht doch - pablo Ja - ich lief - ich kam raus - die Gasse herab - aber nicht schnell genug - ihr kamt nach - ja - ich war draußen - ja - ich bin draußen - aber nicht damals, als ich mit dem Löwen floh — viel früher - viel früher - ja - jetzt weiß ichs - ich bin früher schon einmal geflohen - Zauberer Bildest du dir nur ein — pablo Nein - ich hab es immer gewußt - wie es draußen war - ja - es war Abend - die nassen Steine - diese großen Fenster rechts und links - diese riesigen Wagen - diese hohen Mäste - ich laufe wahnsinnig schnell - aber nicht schnell genug - ihr kommt nach -ihr holt mich ein - ja - und dann der Schlag - zwerg Bißchen Bumsbums! Zauberer Er weiß gar nicht, wovon er spricht - pablo Doch - jetzt weiß ich es. Jetzt endlich seh ich alles deutlich. Jetzt kann ich diesen Turm sehen. Und ich war draußen. Ich weiß, wie es draußen ist. Hier drinnen ist alles unveränderlich. Wie ich hier hereinkam, war es, als käme ich in einen Brunnen. Diese faule, eingeschlossene Luft hier. Kein Fenster. Die Dachluke verrammelt. Jetzt seh ich diesen Turm von innen. Jetzt erkenn ich ihn. Jetzt weiß ich, daß ich hinaus kann. Zauberer Du bist noch nicht draußen. pablo Ich werd hinauskommen. Zauberer Das mußt du erst beweisen. Wir haben dich noch nicht gebunden. Wir werden dich binden, mein Junge. Heute abend werden wir dich binden, wie du noch nie zuvor gebunden worden bist! zwerg schellenklirrend, echohaft Ja, binden wer'n wir dich! Zauberer Ruh5 dich jetzt aus und sammle Kraft - du wirst sie heut abend brauchen - ruh dich nur ordentlich aus! Wieder die Woge aus dem Turm. Das Ticken der Uhr. Zauberer einförmig, hypnotisierend Hör wie die Zelt tickt — wie dir die Zeit davonrinnt - und du sitzt hier schlapp und müde -hör - die endlose Zeit - Stunden - Tage - Wochen - Monate -Jahre - hier hast du immer schon gesessen und gewartet - und wolltest raus - und kamst nie raus - da sitzt du mit deinem Seil - 27 die Zeit sickert unter deinen Füßen weg - nichts wird dir gelingen - bald werden wir dich festbinden - werden dich umwickeln mit dem Seil - dir die Brust einschnüren - du kommst nie los -gleich werden wir das Seil über dich werfen - zieh schon dein Hemd aus, daß wir dich besser binden können - so - so - und jetzt geht es gleich los - hör nur - Ein vielfältiges Raunen von Stimmen ist zu hören, ein Schaben von Füßen. Sieh nur - der Zuschauerraum ist voll - wir haben ausverkauft heut abend - alle die Gesichter - alle die Hände -Direktor gehetzt Sind Sie bereit? Wir fangen gleich an! Das Raunen der Stimmen wird stärker. Ein Trommelwirbel setzt ein. Hände klatschen Beifall. Dann begleitet eine Trompete die Trommel zu einem Tusch. Die Trommel liegt nun dumpf rollend hinter den Worten des Direktors. Damen und Herren! Eine trompetenhafte Stimme echot trompete Damen und Herren! Direktor Gestatte mir vorzustellen! trompete Gestatte-vorstellen! Direktor Ausbrecher Niente! trompete Ausbrecher Niente! Beifallsklatschen. Pfiffe. Füßetrampeln Direktor Werden sehn denselben gebunden! trompete Gebunden! Direktor Vom Hals bis zu den Zehen! trompete Hals-Zehen! Direktor Mit diesem Strick! trompete Strick! Direktor Aus welchem er sich befreit! trompete Befreit! Direktor Ohne fremde Hilfe! trompete Hilfe! Direktor Der Zauberkünstler und der Zwerg! trompete Zauberkünstler - Zwerg! Direktor Unsere altbewährten Kräfte! trompete Kräfte! Direktor Beginnen jetzt mit der Fesselung! 28 trompete Fesselung! Beifallsklatschen Direktor Bitte verehrtes Publikum um absolute Ruhe! trompete Ruhe! Starker Trommelwirbel. Geräusche von Stöhnen. Dumpfer Fall. Ächzen. Stille. Nur der verhaltene Trommelwirbel. Verwalterin ängstlich Das ist ja unmöglich. Da kommt er doch nie raus. Direktor Das Seil schneidet sich ja in seine Haut ein. Verwalterin Das Seil schnürt ihm ja den Hals ab. Direktor So eine Blamage. Verwalterin Er hätt doch auf dem Ball balancieren sollen. pablo mit äußerster Anstrengung Gebt mir Zeit! Direktor vortretend Bitte geehrtes Publikum! trompete Publikum! Direktor Ein wenig Geduld! trompete Geduld! Trommelwirbel stärker pablo flüsternd Laßt mir Zeit! Direktor flüsternd Denk an unsern guten Namen! Verwalterin flüsternd Mach uns keine Schande! pablo Es wird noch dauern -direktor vortretend Damen und Herren! trompete Damen und Herren! Direktor Seien Sie gewiß! trompete Gewiß! Direktor Derselbe sein Äußerstes! trompete Äußerstes! Trommelwirbel stärker. Stimmenmurmeln. Lachen. Vereinzelte Pfiffe pablo Gebt mir Zeit - Zauberer nah - flüsternd Du hast Zeit - unendlich viel Zeit - der ganze Turm ist voll von Zeit für dich! pablo Laßt mich liegen. Spielt die nächste Nummer! Direktor nervös Damen und Herren! trompete Damen und Herren! Direktor Bitte ergebenst um Geduld! trompete Geduld! Direktor Unterdessen vorweisen - Phänomen Carlo! 29 trompete Carlo! Trommel und Trompete Tusch. Beifallsklatsdoen. Pfiffe Direktor In stummem Spiel! trompete Stummem Spiel! Direktor Tanzt echte tieferlebte Gefühle! trompete Gefühle! Direktor Zunächst-Liebe! trompete Liebe! Trommel, Trompete, Xylofon und Gong intonieren eine schwirrende Musik. Zauberer nah - flüsternd Siehst du wie er sich windet vor Liebe -wie er die Luft umarmt und von Nelly träumt - wie er sich biegt - wie er das Gesicht verzerrt - wie er verzweifelt sucht nach der Liebe - aber hier gibts keine Liebe - wie ein Wurm am Angelhaken windet er sich - er windet sich wie du - und kommt nicht frei -Die Musik vertönt. Direktor Sodann die Furcht! trompete Furcht! Die Instrumente setzen wieder ein: schabend, kratzend, knirschend, scheppernd. Zauberer flüsternd Siehst du wie er kriecht - wie er hin und her jagt und nach einem Rattenloch sucht — wovor fürchtet er sich denn - wie? - Wovor fürchtet ihr euch denn - stimme ganz frei und offen - weit hallend Pablo, du bist frei! Du mußt heraus aus dem Seil! pablo stöhnend Gebt mir noch Zeit! Die knirschende Musik verklingt. Direktor Und Abschluß - die Demut! Die Musik der Instrumente ist winselnd, wehend. Zauberer flüsternd Siehst du, wie er den Boden küßt - wie er die Hände ringt - ah - er ist hier ganz zu Hause - er leckt diesen Boden aus Hingabe - sieh ihn dir nur an - ihr beiden - wie ihr hier den Boden küßt - den guten alten Steinboden - stimme wie vorher Pablo, du mußt raus! Du bist frei! Die Musik verklingt. Beifallsklatschen. Tusch Trommel setzt wieder ein. Direktor Damen und Herren! trompete Damen und Herren! 30 Direktor Während Ausbrecher sich zum letzten sammelt! trompete Sammelt! Direktor Unser geschätzter Spiegelfechter! trompete Spiegelfechter! Direktor Duell mit sich selbst! trompete Sich selbst! Beifallsklatschen. Trommel stärker Direktor Beachten Sie! trompete Beachten Sie! Direktor Neu einstudierte Ausfälle! trompete Ausfälle! Direktor Parierungen! trompete Parierungen! Wahrend die Trommel rollt, das Geräusch von heßig aneinander-fahrenden Klingen. Zauberer hastig, wie ein Ansager — mit der Trommel und den Klingen hinter sich Unaufhörlich geht der Kampf des Ausbrechers weiter, er ist noch dicht vom Seil umwickelt, seine Haut ist zerschunden, man sieht seinem Gesicht die unmenschliche Anstrengung an, noch gibt er nicht auf, noch drängt er gegen die Fesseln an. Voller Unruhe fragen wir uns, wie lange er dies noch ertragen kann, die Adern auf seiner Stirn sind zum Bersten geschwollen, er ist in Schweiß gebadet, sein Herz schlägt rasend -Ein paar peitschende Klingenschläge. Tusch. Beifallsklatschen. Direktor gehetzt vor Damen und Herren! trompete Damen und Herren! Zauberer im Hintergrund weitermurmelnd Es ist ein einzigartiger spannender — Direktor Nach dem Sieg des Spiegelfechters über sich selbst - Zauberer im Hintergrund Mächte haben ihn gebunden, von deren Stärke er nichts geahnt hatte - Direktor In Erwartung des Entfesselungsaktes - Plötzlich bricht ein Wirbel von Karussellmusik, Fanfaren, singenden Stimmen, Glocken, Klingeln, Autohupen, Motorendröhnen in den Raum. Verwalterin schreit Das Tor - das Tor geht auf! Zauberer Das Tor - pablo Die Welt draußen - Direktor Wer hat das Tor aufgemacht? 3i stimme aus dem Lautschwall von draußen Du bist frei, Pablo! Verwalterin Carlo! - Er läuft raus! - Carlo! Pablo Carlo ist frei - Direktor Carlo! Verwalterin Carlo ist hinaus! Direktor Haltet ihn doch! pablo Einer bricht sich immer aus - Zauberer Einer kommt immer wieder zurück - stimme weit hallend aus dem Tönen Du bist frei, Pablo! Das Tor fällt dröhnend zu. Stille. Dann setzt die Trommel mit einem neuen Wirbel ein. Direktor ermattet Damen und Herren! Trompete bläst einförmigen Ton. Zauberer mit seiner Ansage fortsetzend Er spannt sich zur letzten, allerletzten Anstrengung, Blutstropfen sickern ihm schon -Direktor atemlos Gehen wir nunmehr zur nächsten Nummer über- Trompete bläst einen langgezogenen Ton. Zauberer während des Trompetentons - scheint jetzt aber das Nutzlose seiner Bemühungen eingesehen zu haben - Direktor mit Gewalt, kann die Worte kaum vorbringen Die Dompteuse in ihrer Dressurnummer! Die Trompete stößt einförmige, langgezogene Tone aus. Der Zauberer murmelt unverständlich weiter. Die Trompete ruß wie ein Notsignal, ertrinkt, arbeitet sich wieder vor. Die Peitsche der Dompteuse: »Hopp! Mach schon! Auf die Beine! Zeig was du kannst!* knallt. Stimmen surren. Anfeuernde Rufe. Dann wieder alles in einer Woge ertrinkend. Beifallsrauschen. pablo ganz nah - flüsternd Die Landungsbrücke - der Strand - das Meer - ich bin draußen - ich bin im Freien - ich überwinde den Turm - ich überwinde ihn - Zauberer seine Stimme arbeitet sieb aus dem Dröhnen heraus - er spricht jetzt hackend, suchend, unsicher Zu unserm Erstaunen sehen wir, daß er sich aufrichtet, das muß der letzte Lebensreflex sein, gleich wird er zusammenbrechen, nein, das geht nicht mit rechten Dingen zu - Seine Stimme wird undeutlich. Das Sausen steigert sich. Die Peitsche knallt. pablo Die Peitsche trifft mich nicht - nichts mehr hier kann mich anrühren - alles ist Vergangenheit - ich bin frei - Zauberer mit letzter Kraft Der Strick über seiner Brust lockert sich — seine Arme schieben sich aus den Fesseln hervor - und jetzt — Das Sausen steigt an. Stimmengewirr. Ticken der Uhr. Trommeldröhnen. Direktor ertrinkend Die Traditionen des Turms - Zwerg ertrinkend taradition taradition - Verwalterin ertrinkend Pablo -Carlo-Nelly- zauberer ertrinkend Jetzt erhebt er sich- pablo Der Turm - wo ist der Turm - Noch einmal schwillt das große Dröhnen an. Dann Stille. stimme ganz langsam, sachlich, kühl Der Strick hängt von ihm herab wie ein Nabelstrang - 33 Die Versicherung Ein Drama Personen Alfons, der Polizeipräsident Erna, seine Frau Drei Kinder Pluto, der Hund (dargestellt von einem Sdoauspieler) Frau Burian Doktor Kübel Hulda Versicherungsdirektor i Versicherungsdirektor n Direktor des Casinos Zahlreiche Gäste Drei Krankenwärter Drei Ziegen (dargestellt von Schauspielern) Leo Josefine Ein Mann Eine Frau Grudek Zwei Schaffner Der Alte Der Bucklige Der Diener Der Friseur Zwei Polizisten Wachthabender Kommissar Das Mädchen Näherinnen Passanten I Zahlreiche Gäste in Abendtoilette. Kleidung und Schminkung je-doch mit übertriebenen Akzenten. Eine Dame kann knallrote Backen haben oder einen herzförmigen Mund, eine grüne oder violette Perücke, eine riesenhafte Schleife am Kleid, oder überdimensionale Schmuckstücke. Die Herren im Frack können eine zu kurze oder zu lange Jacke tragen, eine herabhängende sackartige Hose, ein gesprenkeltes Taschentuch kann aus einer Tasche hängen, die Kragen oder Rosetten können auswachsen, oder eine buschige rote Perücke kann vorkommen. An der Wand die große Projektion eines Farbfotos in einem Goldrahmen. Es stellt Alfons, den Polizeipräsidenten, dar, lachend. In den Ecken Tisch- und Stuhlbeine, Stuhlsitze und die zusammenschiebbaren Hälften der Tischplatte. Eine breite, offene Mitteltür. Auf dem Fußboden Pluto, der Hund. Alfons steht in der Mitte der Bühne, vor der Türöffnung. Er zwirbelt seinen kleinen schwarzen Schnurrbart. Sein Haar ist schwarz und pomadisiert. Er trägt Frack und Ordensband. Rechts und links hinter ihm stehen zwei hünenhafte Polizisten in Postenstellung. Rechts vorn ist Erna mit dem Herrichten ihrer Frisur beschäftigt. Hulda, in einem kurzen schwarzen Servierkleid, ist ihr behilflich, reicht ihr Spangen und Haarnadeln, die Erna in ihr Haar oder in den Mund steckt. Von links treten nacheinander die Gäste auf und verneigen sich vor Alfons. Die Begrüßung spielt sich zeremoniell ab, unter variierenden Floskeln. Manchmal nickt Alfons dem Ankommenden nur einen gnädigen Gruß zu, manchmal würdigt er ihn mit einer Phrase, in der Art von »Mein lieber Herr Versicherungsdirektor*. Die empfangenen Gäste stehen in pantomimischer Konversation umeinander herum. Doktor Kübel erscheint, begleitet von seinem Gehilfen Grudek, der eine Chauffeuruniform trägt. Grudek nimmt seinem Herrn das Cape und den Zylinder ab und verschwindet damit. ERNA tänzelt und summt vor sich hin. Die Spangen und Nadeln im Mund behindern sie beim Sprechen. Sie kratzt sich die Kopfhaut mit einer Nadel. Läusegekräusel, Wanzentanzen, es juckt, es juckt, ich kratze, ich kratze. Was steht ihr da rum und glotzt. Tut 37 was, tut was. Glaubt ihr, Tisch und Stühle fliegen nur so vor euch hin. Da an der Wand. Brischtett, Bischteine, Suhrstitze, Buhlsteine. Seid ihr denn blind, da an der Wand, mehmts in die Hand, bellt die Steine auf, dreht das Brett lauf. Das juckt, das juckt. Sie tanzt, dreht sich, wiegt sich, schwankend in ihrer Leibesfülle. Fingert an ihrer hoch aufgetürmten Frisur. Einer der Herren hat ein paar Stuhlbeine ergriffen und läßt sie hinter ihr zum Tanztakt aneinander schlagen. Irn Gekräusel krabbeln Läuse, im Gehäuse säuseln Läuse, an den Wänden tanzen Wanzen, in den Schatten nagen Ratten, hu hu, es juckt, es juckt, ich kratze. Die Gäste laufen hin und her mit den Tischbeinen, den Stuhlbeinen, den Stuhlsitzen, der Tischplatte. Sie stecken Stuhlbeine in Stuhlsitze, stellen Stühle auf, rücken Stühle umher, setzen sicJ? zur Probe, fallen mit den Stühlen um, liegen strampelnd am Boden, schrauben die Tischbeine an die Tischplatte, dicke, spiralförmig gedrechselte Tischbeine, an denen sie sich abschleppen, unter denen sie zusammenbrechen. Liegen in einem Durcheinander unter der emporgehaltenen Tischplatte, schieben und drehen an den Beinen. Nachdem Erna ihre Frisur vollendet hat, geht Hulda durch die Tür ab. Alfons steht still in der Mitte der Bühne, zwirbelt seinen schwarzen Schnurrbart. Blickt schweigend um sido. Frau burian unter zwei schwitzenden, schraubenden, ineinander verhakten Herren liegend, zwischen ihren Knien eins der Tischbeine stützend, bläst sich in den Brustausschnitt ihres Kleides, langt nach ihrer Handtasche auf dem Fußboden, nimmt Puderdose, Parfümflasche heraus, pudert sich Stirn und Nase, betupft sich Ohren und Hals. Hulda erscheint in der Türöffnung, mit einer großen Silberschüssel, in der eine gebratene Gans liegt. erna steckt die letzten Nadeln ins Haar. Tänzelnd Viel zu früh, Hulda. Hab ich Ihnen nicht gesagt, Sie solln nicht kommen eh ich Sie rufe. Jetzt wird die Gans ganz kalt. Ihr Tanzbegleiter mit den Stuhlbeinen wiederholt einige Male, Gans ganz kalt, Gans ganz kalt, und schlägt den Takt dazu. hulda setzt wütend die Schüssel auf den Fußboden. Geht mit heftiger Drehung ab. erna Dieses Pack. Nie kann sie die Zeit einhalten. Gesindel. 38 Tänzelnd scheucht sie Pluto, der die Gans gewittert hat, mit dem Fuß von der Schüssel weg. Immer wieder macht sich Pluto heran. Sie setzt ihm den Schuh auf die Nase, schiebt ihn zurück. Die Gäste haben die Stühle im Kreis aufgestellt, liegen in der Mitte in einem zappelnden, ineinander verschlungenen Haufen unter der Tischplatte, befestigen die Beine und Querleisten. Nackte Arme mit Schmuckstücken ragen heraus. Frau Burian schreit auf. Jemand ist ihr auf den Bauch gestiegen. Die beiden Versicherungsdirektoren kriechen hervor, beugen sich über sie, bitten zeremoniell um Verzeihung, strecken die Hände herab, bekommen einander an der Hand zu fassen, suchen wieder nach Frau Burians Hand, stoßen auf andere Hände. Alfons betrachtet den Betrieb mit schiefem Lächeln, am Bärtchen zwirbelnd. Erna Das reicht, das ist genug, der steht, der steht. Die Damen und Herren kriechen hervor. Die Tischbeine sdrief, die Querleisten unsymmetrisch. Ein paar Damen sind hängen geblieben, werden unter Gestöhn und Gekreisch herausgezogen. Man streicht sich die Kleider zurecht, ordnet die zerzausten Frisuren. Alfons tritt an den Tisch, rüttelt daran, klopfl auf die Tischplatte. Der taugt, der steht fest. Also, liebe Freunde, setzen wir uns. Alle strecken ein Bein hinter sich aus, ziehen einen Stuhl heran, und wenn sie keinen Stuhl finden, laufen sie suchend herum, manche bekommen einen Stuhl zu fassen, den ein anderer schon erobert hat, zeternd ziehen sie am Stuhl, balgen sich, streiten sich, entreißen sich den Stuhl, und wer sich nicht festsetzt auf einem Stuhl, muß sich einen andern Stuhl suchen, und auch der kann ihm noch unterm Hintern weggerissen werden. erna hebt die Silberschale mit der Gans auf und stellt sie auf den Tisch. Pluto ihr nach, drängt siöo zwischen den Sitzenden hindurch, legt die Pfoten auf den Tisch. Durch die Türöffnung kommen drei Kinder, eins auf einem Fahrrad, die beiden andern auf Rollern. Sie sind in Nachthemden gekleidet. Schreiend, Autohupen und Ambulanzsirenen nadoahmend, jagen sie um den Tisch. erna Raus mit euch, raus in die Betten. Die Kinder lassen sich nicht stören. Frau burian Die tun nur so als hörten sie nichts. 39 Pluto sitzt neben ihr, auf der Ecke ihres Stuhls. Die Zunge hängt ihm aus dem Maul. Sie legt den Arm um seine Schulter, schmiegt ihr Gesicht an seinen Kopf. Klingelnd und johlend sausen die Kinder weiter. Erna Wollt ihr augenblicklich machen, daß ihr rauskommt, ich schlag euch sonst kurz und klein. Die Kinder schreiend und pfeifend hinaus. einzelne gaste Gott, sind die süß in ihren Hemdchen. Die rosa Schleifen stehen ihnen wirklich gut. Die sind aber gewachsen seit dem letzten Mal. Prächtige Ärmchen und Füßchen haben sie. Blühend sehn sie aus. erna Sie hatten grade Scharlach und Pocken und Mumms-Mumms, und Kolik und Kaputt und Karbol und Karfunkel, das Kleinste hat vor Fieber nur so gekocht, und Nasenfäule hatten sie und Ohrenfäule und Höhensonne und Maul- und Klauenseuche. doktor Kübel Weil wir grade von Krankheiten sprechen, ihr könnt ja nachher alle mit in die Klinik herüberkommen, da werde ich euch mal abhorchen. Alfons klopft auf den Tisch und erhebt sich. Meine lieben Freunde, weshalb ich euch heute eingeladen habe, das ist vonwegen der Versicherung. Versicherungsdirektor i ein langer, magerer Mann, mit lederar-tig gegerbtem Gesicht Bravo. Alfons Wie ihr alle wißt, will ich eine Versicherung eingehen. Zwecks dieses Zweckes habe ich die beiden Direktoren der Versicherungsgesellschaft gebeten, sich hierherzubegeben. Zeigt auf die genannten Herren, die aufstehen und sich verbeugen. In der ständig anwachsenden Unsicherheit, die bei Schritt und Tritt ringsum anwächst, will ich jetzt nicht langer zögern - Versicherungsdirektor ii klein und rund, mit Vollbart und einer großen Hornbrille Bravo Alfons Seit langem habe ich mich mit diesem Gedanken befaßt, und jetzt, in einer Lage, in der wir in der Früh nicht wissen, was der Abend mit sich bringt, und in der der morgige Tag in Schleiern liegt, unter denen sich Katastrophen und Revolutionen verbergen, will ich den Gedanken in die Tat umsetzen, meiner Verantwortung als Vater, Gatte, Hausbesitzer und Bürger bewußt, will ich den Gedanken mit dem Entschluß krönen - 40 einzelne gäste beifällig murmelnd Sehr richtig. Vortrefflich. Außerordentlich klug gehandelt. Man kann nie wissen. Versicherungsdirektor i erhebt sich. Es ist uns eine ganz besondere Freude, den Herrn Polizeipräsidenten bedienen zu dürfen. Ein Mann in solch ausgesetzter Stellung wie der Herr Polizeipräsident ist in einem ganz besonderen Grad - Versicherungsdirektor Ii unterbricht ihn, zieht ihn auf den Stuhl herab und erhebt sich selbst. Es ist uns sicher eine ganz besondere Ehre, versichern zu dürfen, daß wir mit unseren Versicherungen die Sicherheit des Herrn Polizeipräsidenten sichern werden. Ich bin sicher, daß die Versicherungen dazu beitragen werden, das sicherlich noch lange währende Leben des Herrn Polizeipräsidenten ersichtlich zu erleichtern. Die Gäste klatschen in die Hände. Der bärtige Versicherungsdirektor setzt sich, streicht sich durch den Bart, rückt die Brille zurecht und beugt sich schnuppernd über die Gans. Andere Gäste folgen seinem Beispiel. Draußen hinter der Türöffnung flitzen die Kinder auf Rad und Rollern vorbei. Alfons zieht ein großes Taschenmesser hervor und läßt es zwischen den erschreckt zurückfahrenden Gesichtern der Gäste aufklappen. Mit schnellen geschickten Bewegungen zerschneidet er den Braten. Also langt zu, liebe Freunde, laßts euch schmecken. In einer Pantomime von ineinandergreifenden Bewegungen stoßen die Arme der Gäste vor, greifen Hände in die Fleischstücke hinein, heben sich, ziehen sich zurück, Hände mit Ringen, die kleinen Finger fein gekrümmt, Handgelenke mit Goldreifen und klimpernden Ketten, und zwei Hände ergreifen manchmal das gleiche Fleischstück, zerren daran, lassen es fahren, einigen sich, unter Höflichkeitsbezeugungen, bis alle ein Fleischstück erhalten haben, an dem sie saugen und nagen. Auch Pluto bekommt ein Stück aus Frau Burians Hand. Schmatzend liegt der Hund über dem Tisch, das Fleischstück in den Pfoten, die Augen wollüstig geschlossen, mit den Zähnen den Knochen zermalmend. Wieder kommen die Kinder hereingesaust, bescloreiben schreiend und klappernd eine Runde um den Tisch, schräg in der Kurve liegend. An der Tür stürzt der Radler, die Roller fahren in ihn hinein, alle liegen in einem zappelnden Haufen. Erna springt auf. Hab ichs nicht gewußt. So muß das immer enden. Läusepack, Rattenpack. 4i Alle springen auf. Nur Frau Burian, Pluto und Alfons bleiben sitzen. Die Gäste, noch an Bratenstücken nagend, befingern die Kinder und richten sie auf. Einige benutzen die Gelegenheit, sich die Hände an den Nachthemden abzuwischen. Schläfrig und gähnend sitzen die Kinder da. Man nimmt sie in den Arm und trägt sie hinaus. Erna und die Gäste verschwinden mit den Kindern hinter der Tür, wo man sie schäkern hört. einzelne gäste Ach die kleinen Lieblinge. Wie habt ihrs schön hier. Willst du noch aufs Töpfchen. Jetzt aber schnell ins Bettchen. alfons zieht Papiere aus der Brusttasche, breitet sie vor sich aus, macht ein paar Notizen, legt eine Hand vor die Augen und beginnt, stoßweise zu schluchzen. Frau burian zu Pluto Komm, Küßchen pflücken. Sie nimmt ein Fleischstück in den Mund und hält es Pluto hin. Sie nagen sich aneinander heran, bis Pluto Frau Burian in den Mund beißt. Röchelnd greift sie sich an den Hals und fällt mit den Anzeichen des Erstickens vom Stuhl. Sie windet sich unterm Tisch. Pluto kriecht auf den Tisch hinauf und verzehrt die Reste der Mahlzeit. Alfons sitzt schluchzend über den Papieren. Er legt sein Gesicht in die Arme. Seine Schultern beben. Draußen hinter der Tür geht das Schäkern weiter. einzelne gaste Gott, wie goldig sie in ihren Bettchen sind. Die Süßen. Und jetzt betet schön. Faltet die kleinen Händchen. In das Gebet, das von Erna geleitet wird, fallen die Gäste ein. erna und einzelne gäste Klein und fein - klein und fein -Im Bett allein - im Bett allein -Herze rein - Herze rein -du allein - du allein -Augen mein - Augen mein -Glücklich sein - glücklich sein — schlafe ein — schlafe ein — Friede dein - Friede dein -Stille sein - Stille sein -Amen - Amen - 42 Während des Gebets greift Frau Burians Hand hilfesuchend an Alfons' Bein. Alfons richtet das Gesicht auf. Schluchzt, wischt sich die Augen. Er stößt Frau Burians Hand mit dem Fuß weg. Die Hand kommt wieder. Er tritt mit dem Fuß aus, Stampfl auf die Hand, zertritt sie. Alfons Wieder so eine Ratte. Man kann nie genug Fallen aufstellen. Frau burian wimmert halb erstickt und hält sich die blutige Hand. Alfons Hab ich sie erwischt. Erna und die Gäste kommen zurück. Sie betrachten Frau Burian, die röchelnd und krampfhafl zuckend zu Alfons' Füßen liegt. Auf dem Tisch schläft Pluto, der alles aufgefressen hat, schnarchend in der Silberschale. Versicherungsdirektor ii Wahrscheinlich eine berechtigte Bestrafung für ein Vergehen. Versicherungsdirektor i Sicher hat er allen Grund gehabt, ihr eine Strafe zu verabfolgen. Die Gäste rühren Frau Burian an, drehen sie herum, befühlen sie. erna War sie wieder aufdringlich. Alfons Wer. erna Sie, die Burian. Alfons blickt sich suchend um. Die Burian - wo ist denn die Burian. erna Da liegt sie doch. Alfons beugt sich nieder. Was ist denn mit der los. Hebt sie doch auf. Man hebt Frau Burian auf und legt sie auf den Tisch. Ihre Hand ist um den Hals verkrampft. Die andere Hand hängt blutig vom Tisch herab. doktor kübel beugt mit Gewalt die Hand von ihrem Hals weg. Frau Burian bäumt sich auf. Er öffnet ihren Mund und blickt hinein. Er schüttelt den Kopf, zieht ein Vergrößerungsglas aus der Tasche, kriedrt auf den Tisch, untersucht sie, über ihr kniend. Sie hat einen Knochen im Hals. Wir müssen sie in die Klinik schaffen. Da könnt ihr ja gleich alle mitkommen. Versicherungsdirektor i Und die Versicherung. Alfons Die können wir auch drüben abschließen. Gehn wir. Doktor Kübel steigt vom Tisch. Die Gäste heben Frau Burian auf und tragen sie in hoch emporgestreckten Händen. Sdoweigend, von Doktor Kübel angeführt, in feierlicher Prozession, verlassen 43 sie den Raum. Am Ende geht Alfons, das Gesicht gesenkt, die Hände in den Taschen. Nur Erna bleibt zurück. Während die Schritte sich draußen in langsamem schürfenden Takt entfernen, beginnt sie wieder zu tanzen. Sie wirft die Schuhe ab, zieht ihr langes Abendkleid hoch über die Knie empor und wiegt sich summend, zum Takt der Schritte draußen, um die Stühle und den Tisch, auf dem Pluto noch schnarchend in der Bratenschale liegt. Ihr Gesicht ist von einem Lächeln verklärt. Ihre Augen sind halb geschlossen. Sie tanzt schwerfällig und andächtig, wie ein Zirkuselefant. Eine Wandtür Öffnet sich knarrend und ein junger Mann, Leo, blickt daraus hervor. Erna starrt den Fremden an. Sie hält mitten in einem Tanzschritt inne, das eine Bein in der Luft, das andere auf den Zehen stehend. Der Fremde legt den Finger auf den Mund und nähert sich ihr. Seine Kleidung ist schäbig und verschmutzt. Er hat rotes borstiges Haar. Er geht in löchrigen grünen Socken. Bleibt vor Erna stehen, den Finger vor dem Mund, den Zeigefinger der andern Hand drohend erhoben. Erna blickt sich nach Pluto um, doch der schläft weiter, im Traum zuckt sein Hinterbein. Eine Weile stehen sie reglos einander gegenüber, bis Erna in ihrer Tanzhaltung ermüdet und sich auf die Fußsohlen niedersinken läßt. Doch ihr Kleid hält sie immer noch emporgezogen. Leo betrachtet ihre nackten weißen Beine. Langsam zieht Erna das Kleid noch höher hinauf, über die spitzenbesetzte Unterwäsche. Sie hebt sich wieder auf die Zehen. Leo geht langsam rückwärts zur Tür hinaus und Erna, auf Zehenspitzen, dreht sich ihm nach. Wie er verschwunden ist, geht auch sie, tänzelnd auf Zehenspitzen, hinaus. Pluto springt vom Tisch und folgt ihr. II Die Wandprojektion erlischt. Eine neue Projektion, mit dem Text Doktor Kübels Privatklinik. Alle Arten von Heilverfahren. Aus einer Bodenluke schießen ein paar weißgekleidete Krankenwärter hervor. Der eine Wärter flitzt am Tisch vorbei und ergreift die Bratenschale, wirft sie dem andern Wärter zu, der jongliert mit ihr und wirft sie einem dritten Wärter zu, der in der Tür erscheint und sie dort auffängt. Wärter i hat blitzschnell ein weißes Tuch 44 über den Tisch geworfen, knipst mit den Fingern, worauf sich eine große Operationslampe über den Tisch herabsenkt, knipst noch einmal, und blendend helles Licht geht an, und Wartern und in stellen mit größter Geschwindigkeit die Stühle rechts und links zur Reihe auf. Schon sind sie wieder in der Luke verschwunden. Die Gäste treten ein, im schlürfenden Gleichschritt, Frau Burian in hocherhobenen Händen tragend. Doktor Kübel führt die Prozession an. Als letzter kommt Alfons, zusammengesunken, die Hände in den Taschen. Doktor Kübel zeigt auf den Tisch. Frau Burian wird dort abgelegt. Doktor Kübel klatscht in die Hände Assistenten. Operation. hulda tritt ein, in einem weißen Kittel, einen weißen Arztmantel über dem Arm. Sie hilft Kübel in den Mantel. Gleichzeitig mit Huldas Eintritt schießen die beiden Krankenwärter wieder aus der Luke hervor. Versicherungsdirektor i Außerordentliche Organisation, doktor kübel während er sich über die Patientin beugt und gemeinsam mit seinen Mitarbeitern die Pantomime der Festschnallung, der Narkoseninjektion und der chirurgischen Eingriffe ausführt. Liebe Leute, legt inzwischen eure Kleider ab und hängt sie da über die Stühle, ich werde euch dann alle der Reihe nach untersuchen. Ihr habt es wirklich nötig, das kann ich euch sagen. Ich habs während der Mahlzeit gesehn, meine Lieben. Schlimme Zeichen hab ich entdeckt. Fettsucht und Verkalkung, Blasenleiden, Gallenleiden. Prostata und Hämorrhoiden. Unregelmäßige Herztätigkeit. Pickel und Ausschläge. Aufgeblähte Bäuche, Plattfüße, krumme Rücken, Atemnot, verfaulte Zähne, saures Aufstoßen. Ihr pflegt euch nicht. Ihr müßtet mal richtig ausspannen. Ein bißchen Ferien machen hier bei mir. Ich habe eure trüben Pupillen gesehn, eure zitternden Hände. Ich nehm mir euch gleich alle freundschaftlich vor. Bin gleich fertig. Ist nur ein Kinderspiel, bei meiner Übung. Die Gäste legen unterdessen Kleider und Schuhe ab. Verlegen und steif stehen die Damen im Korsett, in rosafarbener, violetter und schwarzer Unterwäsche. Die Herren, in Unterhosen, versuchen, stramm zu erscheinen, drücken die Brust heraus, spannen die Armmuskeln, dehnen, strecken sich, ein paar gehen in die Kniebeuge. Nur Alfons bleibt im Frack. Er steht still und zwirbelt seinen Schnurrbart. Wahrend Kübel und seine Gehilfen ihre Manipula- 45 tionen fortsetzen, finden die Gäste allmählich an ihrem halbbekleideten Zustand Gefallen, die Damen werden kokett, die Herren hahnenhafl. Einige der Damen öffnen ihr Haar, andere pudern und schminken sich, eine beginnt, sich die Zehennägel zu lackieren, eine andere drückt sich Mitesser aus. Ein Herr schneidet und feilt sich die Fingernägel, ein paar andere Herren boxen spielerisch miteinander, ein Draufgänger greift einer Dame um den Leib und fordert sie zu gymnastischen Übungen auf. Doktor Kübel nimmt die unsichtbaren Instrumente entgegen, die Hulda ihm reicht. Messer. Wir müssen schneiden. Der Knochen sitzt zu tief. Schneide ihr jetzt den Hals auf. So. Da haben wir ihn. So ein Ding. Er hält den Knochen empor. Und jetzt - weitausholende Handbewegung das ganze zugenäht. So. Und einen schönen Verband herum. So. Und jetzt das Händchen. Werden wir schon zurechtflicken, das zerquetschte Händchen. Schon in Gips legen. Kinder, wenn ihr mich nicht hättet, wo kämt ihr da hin. Alfons Meine Herren Versicherungsdirektoren, gehn wir zu unserm Anliegen über. Die beiden Direktoren suchen gewohnheitsmäßig an ihrer Brust nach Papieren und Füllfederhalter, finden aber nur ihre Unterwäsche. Laufen zu den aufgehängten Kleidungsstücken, kommen mit Papieren, laufen zurück, um das vergessene Schreibwerkzeug zu holen. Alfons Zur Sache, meine Herren, zur Sache. Bitte beeilen Sie sich, meine Herren, meine Zeit ist bemessen. Versicherungsdirektor i Schon da, Herr Polizeipräsident, schon zu Diensten. Alfons Beginnen wir mit der Unfallversicherung. Auf Schritt und Tritt umlagern mich die Gefahren. In der vergangenen Nacht hat man uns ein Loch in die Wand des Schlafzimmers gesprengt. Versicherungsdirektor i liest rappelnd aus einem Dokument vor. Diese Versicherung, Herr Polizeipräsident, versichert Sie gegen alle Schäden, die Ihnen durch äußere Gewalt zugefügt werden. Sie versichert Anschläge mit explosiven Mitteln wie Sprengladungen, Höllenmaschinen, Handgranaten, Minen, Knallerbsen, sowie mit Gewehrschüssen, Pistolenschüssen, Maschinengewehrschüssen, Pfeilschüssen, geworfenen Speeren, Steinen, Holzstücken und anderen harten Gegenständen. Sie umfaßt Anschläge mit gegrabenen Gruben, herabfallenden Gegenständen, Giften, Messern, 46 Schlagringen, Knüppeln, Scherben, Seilen, Drähten, Faustschlägen, Anprellungen, Anfahrungen, sowie Versuche der Ermordung mittels Feuer, elektrischem Strom und Ertränkung. Auch Angriffe psychischer Art werden berücksichtigt, wie sie sich im Lauf einer Tortur oder Gefangenschaft ergeben können. Versicherungsdirektor Ii hat die Rede seines Mitarbeiters mit einer Pantomime begleitet, in der er die genannten Anschlagsformen darstellt. Alfons Schon gut, schon gut. Er unterschreibt das Papier. Versicherungsdirektor Ii von Versicherungsdirektor I pantomimisch assistiert. Und hier haben wir die Versicherung des Besitzes gegen Brand- und Wasserschäden. Alles geht mal in Rauch und Flammen auf. Die Versicherung ersetzt es Ihnen. Die elektrische Leitung ist schadhaft, Sie vergessen das Bügeleisen, den Brotröster, schon verkohlt der Tisch, Glut fällt auf den Boden, die Gardine faßt Feuer, wipps brennt alles lichterloh, die Decke kracht ein, das Dach stürzt zusammen, die Feuerwehr kommt, durchtränkt alles mit Wasser, alles futsch, Sie sind aber versichert, bekommen alles neu wieder. Alfons langt ungeduldig nach dem Papier und unterschreibt es. Weiter, meine Herren, weiter, weiter. Versicherungsdirektor i von Versicherungsdirektor II pantomimisch assistiert. Alle Arten von Hausgeräten, Schüsseln, Teller, Gläser, Tassen, Vasen, Porzellanskulpturen, Lampen, Schirmständer, Sie wissen, wie leicht alles angerannt wird, umfällt, fallengelassen wird, zerspringt, zerbricht, in Stücke geht, und geleimt ist nicht mehr neu, nur versichern hat Wert, da kann es neu angeschafft werden, wieder kaputt gehen, wieder neu angeschafft werden, Teppiche vom Hund zerbissen, Kleider von den Kindern zerrissen, Gardinen von der Sonne verschlissen, Tapeten von Fliegen beschissen - Alfons Ja, ja, geben Sie her. Versicherungsdirektor i salbadert weiter, während Alfons unterschreibt. Bibliotheksbücher verschwinden, Hüte, Spazierstöcke werden vergessen, man verliert die Hose, den Rock, man läßt das Gebiß im Restaurant liegen, der Ehering, die goldene Armbanduhr fällt einem ins Klosett, die Fensterscheiben zerkrachen, alles geht in Fetzen, alles wirbelt durcheinander, man weiß nicht, wo man den Kopf hat - 47 Versicherungsdirektor Ii fällt ein. Und hier gegen Ungeziefer, gegen Seuchen, für alles gesorgt, alles in besten Händen, alles in bester Ordnung, morgen scheint die Sonne, auch für Sie, auch für Sie, die Versicherung beschützt Sie, bewacht Sie, Ihr Helfer in der Stunde der Not - Alfons streckt die Hand aus, unterschreibt das Papier. Ja, ja, ja, ja. Er wird wieder von einem Anfall des Schluchzens geschüttelt. Und damit ist wohl alles erledigt? Versicherungsdirektor i Nein, nein, noch mehr, noch viel mehr. Alfons mit tränenerstickter Stimme Das genügt mir für heute. Ich danke Ihnen, meine Herren. Laut, mit berstender Stimme Ich danke euch, liebe Freunde, daß Ihr mir die Freude gemacht habt, der feierlichen Stunde beizuwohnen. Die Gäste nehmen jedoch keine Notiz von ihm, da Kübel, nach dem Abschluß der Operation, sie zu sich an den Tisch gerufen hat und dort befühlt und beklopft. Alfons entfernt sich schluchzend. Stammelnd Habt Dank, habt Dank, ich rechne es euch hoch an. Ich danke euch, ich danke euch. Versicherungsdirektor i & ii rufen ihm nach Noch die gewöhnlichen, alltäglichen Unfälle. Auf der Straße. Auf dem Arbeitsplatz. Auf Ausflügen im Wald. Im Gebirge. Auf dem See. Gewitter. Blitzschläge. Überschwemmungen. Orkane. Invasionen. Kosmische Stürme. Weltraumexplosionen - Während der letzten Worte der Versicherungsdirektoren schwellen die Geräusche eines Unwetters an und werden immer gewaltsamer. Alfons steigt in die Bodenluke hinab und verschwindet. Im Dröhnen des Sturms tritt völlige Dunkelheit ein. Vorhang, der so weit zurückliegt, daß davor Raum für die folgende Szene bleibt. III Eine beleuchtete Leiter, auf der Alfons herabklettert. Die Bühne dunkel. Eine ungeheure Entladung von Geräuschen, durchknallt von elektrischen Schlägen. Ein Pfeifen und Heulen, ein Sturmwind. Alfons klettert wie durch einen zähen Widerstand. Er weint und zittert, die Zähne schlagen ihm aufeinander. Langsam, 48 mit äußerster Anstrengung, drängt er sich hinab, verliert manchmal den Halt, hängt an den Händen, rudert mit den Beinen, bis er endlich, im Tosen und Krachen, den Boden erreicht. Wieder völlige Dunkelheit. Der Orkan läßt nach, wird zu einem einförmigen Sausen. IV Das Licht flammt gesteigert auf. Alfons und die Leiter verschwunden. Kübel, Hulda und die Krankenpfleger tragen große schwarze Brillen und unförmliche weiße Pantoffeln. Frau Burian liegt nicht mehr auf dem Tisch. Die Kleidungsstücke hängen nicht mehr über den Stühlen. Die Gäste springen und hüpfen geängstigt umher, als erhielten sie elektrische Stöße aus dem Boden. Manche drängen sich aneinander, andere erklettern schreiend die Stühle. Kübel und seine Assistenten flitzen mit den Bewegungen von Schlittschuhläufern zwischen den Gästen herum, reißen hier und da jemandem die Arme hoch, pressen ihn auf einen Stuhl nieder, reißen ihm den Mund auf, legen das Ohr auf seine Brust, seinen Rücken, beklopfen ihm das Knie, legen ihn auf den Boden, heben ihm die Beine, halten ihn am Haar und lassen ihn vor sich rotieren, alles blitzschnell, von einem zum andern rutschend. Dazu das Sausen, durchkracht von elektrischen Sdilägen. Doktor kübel Stellt euch nicht so an, zappelt doch nicht so, bibbert doch nicht so, kreischt doch nicht so, haltet das Maul, es geschieht alles zu euerm Besten, die Elektrizität lockert euch, wir werden sie gleich noch steigern, Schnauze halten, dies ist der beste Weg zur Heilung. Hulda, noch ein paar Grade. Hulda beschreibt eine Hebelbewegung an der Wand. Das Summen wächst an, die elektrischen Entladungen werden heftiger. einzelne gaste unter Schreien und Luftsprüngen Wir wollen nach Hause. Genug, genug. Wir wollen weg. Wo sind unsere Kleider. Wo ist mein Frack hin. Das geht zu weit. Ich laß mir sowas nicht bieten. Hilfe, Hilfe. Stellen Sie das ab. doktor kübel umhergleitend, die Hände auf dem Rücken. Die Worte so aussprechend, daß sie oft direkt ans Publikum gerichtet sind. Ihr seid in einem solchen Zustand, daß ich euch nicht herauslassen kann. Ich kanns nicht verantworten. Krüppel. Wracks. Was 49 Regerwburg ihr braucht ist vor allem Pflege. Gründliche Pflege. Zuerst mal zurechtgeschüttelt, zurechtgerüttelt. Dreckhaufen. Mistbande. Wie seht ihr denn aus. Seht euch doch mal an. Ist sowas noch menschlich. Paßt auf, daß ich euch nicht mit meinen Vivisektionstieren verwechsle, Hulda, holen Sie die Viecher mal rauf. Hulda drückt auf einen unsichtbaren Wandknopf. Die Bodenluke öffnet sich und drei Ziegen springen hervor, rasen zwischen den Gästen umher, stoßen sie mit den Hörnern. Eine Ziege kriecht einer Frau zwischen die Beine und läßt sie rücklings auf sich reiten. Eine andere Ziege schleckt einem Mann, der auf eine Stuhllehne gekrochen ist, die nackten Füße. der mann auf der Stuhllehne Weg, nehmen Sie das weg, was fällt Ihnen ein, kennen Sie mich denn nicht. Ich bin der Direktor der Bank. Der Spielbank. Des Casinos. Aufhören, aufhören, sage ich. Er bricht in gellendes Gelächter aus. Aufhören, aufhören. Doktor Kübel Seht euch den an. Der ist hin. Mit dem ist nichts mehr zu machen. Der ist reif für den Käfig. Runter mit ihm. Die beiden Krankenwärter ergreifen ihn und lassen ihn in der Bodenluke verschwinden. doktor Kübel Will noch jemand runter? Meldet euch nur an. Es gibt Futter für jeden. einzelne gaste jammernd Bitte lieber Doktor, lassen Sie mich raus. Ich muß nach Haus zu den Kindern. Meine Katze muß Milch haben. Ich muß die Blumen gießen. Ich muß mein Auto waschen. Ich hab eine wichtige Besprechung. Ich erwarte ein Telephongespräch. Ich will weg, ich will weg. Versicherungsdirektor i Und unsere Dokumente, die Dokumente, die der Herr Polizeipräsident unterschrieben hat, wo sind unsere Dokumente? Versicherungsdirektor Ii Geben Sie uns augenblicklich unsere Kleider zurück. doktor kübel Was nehmen Sie sich für einen Ton heraus. Hier bestimme ich. Meine Verantwortung als Arzt. Ihr braucht Ruhe. Pflege, Schreie und Rufe des Protests. Fresse halten. Wenn ihr nicht still seid, geb ich euch noch ein paar Grade. Schreien und bittende Rufe. Ihr bleibt heut nacht hier. Schwester Hulda und die Pfleger wer- 50 den sich eurer annehmen. Die Betten stehen bereit. Kinder, seid doch froh, daß ihr mal ausspannen könnt. Ich muß jetzt weg. Morgen sehn wir uns wieder. Genießt jetzt die Ruhe. Schlaft schön. Ihr könnts gar nicht besser haben. Dankbar solltet ihr mir sein. Gleitet zur Luke und verschwindet. Hulda vollzieht wieder eine Hebelbewegung an der Wand. Im Dröhnen und Krachen jagen die Gäste umher und werden von Hulda und den Ziegen hinausgetrieben. Die Pfleger, wieder drei an der Zahl, tragen blitzschnell Stühle und Usch hinaus, einer knipst mit den Fingern und die Lampe erlöscht und wird hinaufgezogen. Das Licht zu einem fahlen Violett. V In einem Sturmwind, im violetten Lichtschimmer, überquert Kübel, jetzt ohne Pantoffeln und Brille, die leere Bühne. Langsam, vorgebeugt kämpft er gegen den Wind an. Doktor Kübel heulend Huh huh, was ist denn das - was wollt ihr denn - was soll denn das - Zuweilen schlägt er weit mit einem Arm, einem Bein aus, als würde daran gezogen. Er macht Luftsprünge wie ein Hampelmann, drängt sich, seitwärts vorgelehnt, gegen den Widerstand des Windes an. Seine Arme, seine Beine werden zurückgerissen, er kriecht auf allen Vieren, laut weinend. Sei doch vernünftig - was ist denn los - nimm dich doch zusammen. Er richtet sich wieder auf, kämpft sich weiter vor. Es wird völlig dunkel. Durch das Blasen des Windes ruft er Was ist denn das, was ist denn das - bin doch auf dem Heimweg - das kann doch nicht sein — was ist denn das - was ist denn das — Seine Stimme versiegt. Der Wind läßt nach. VI Die Bühne wieder hell. In der Mitte ein Küchenherd, aus dem es raucht. Rechts ein Bett, voll von Geschirr. Links eine Badewanne. Ein offenes Fenster. Josefine am Herd. Kübel tritt vorgebeugt, noch mit den Armen fechtend, von der Seite herein. josefine Kommst du aber spät. doktor Kübel Ich hatte heute so viel Untersuchungen. josefine Ich hab so lange auf dich gewartet. Ich hab dir das Essen warmgehalten. Doktor kübel Hab dir doch gesagt, daß ich heut auswärts esse. josefine Bist doch immer hungrig, wenn du nach Hause kommst. Doktor kübel schnuppert Was hast du denn gekocht. josefine Tut mir leid, aber es ist angebrannt. Das ist weil du immer zu spät kommst. Ich kanns nicht helfen. Wollts dir nur warm halten. Kalt sehmeckts doch nicht. Dein Lieblingsgericht - heißer Pudding. Doktor kübel Na ja, macht ja nichts, vielleicht kann mans doch essen, selbst wenns ein bißchen angebrannt ist. josefine eifrig zum Herd, Werd gleich mal nachsehn. Öffnet den Herd, eine Wolke von Rauch heraus. Doktor Kübel legt mit Bewegungen, in denen sich noch die Nachwirkungen des Kampfes gegen den Sturmwind zeigen, den weißen Mantel ab. Hält sich den einen Arm fest, der zur Seite auffliegen will. Dann das eine Bein. josefine Nimmt einen schwarzgebrannten Pudding aus dem Ofen und trägt ihn zum Bett, wo sie ihn zwischen den Tellern und Gläsern abstellt. Also komm. doktor kübel stapft müde und klapprig zum Bett. Daß du immer alles aufs Bett stellen mußt. josefine Wohin soll ichs denn sonst stellen. doktor kübel Dieses verdreckte Geschirr. Gibs doch in die Badewanne. josefine Da liegt Leo. doktor kübel blickt zur Wanne. Leos Kopf, mit struppigem rotem Haar, taucht auf. Er drückt einen großen Schwamm über sich aus, taucht wieder unter. Der hat Zeit zu baden. Unsereiner muß sich abrackern. Na ja. Er schiebt das Geschirr zur Seite und setzt sich aufs Bett. josefine nimmt ein paar Löffel aus dem Geschirrhaufen. Einen reicht sie Kübel. Mit dem andern beginnt sie, vom Pudding zu essen. Sie sieht ihn aufmunternd an. Na. doktor kübel kostet vom Pudding, schneidet eine Grimasse, spuckt aus. Pfui Teufel, was hast du denn da dran, das schmeckt ja widerlich. josefine scljmeckt Nein, so schlecht ist der doch nicht - im Gegenteil - sogar ganz gut - sehr gut - aber du bist ja so verwöhnt - 52 dir paßt mein Essen nicht mehr - du kannst es nicht mehr runterkriegen - mein Fressen - meinen Schweinefraß - du mußt natürlich immer was besseres haben. Doktor Kübel legt die Jacke seines Abendanzugs ab. öffnet den Kragen. Betrachtet Josefine angewidert. Dann zündet er sich eine Pfeife an, lehnt sich in die Teller und Gläser zurück. josefine spitzt die Lippen und nähert sich ihm. Na, Alter, komm mal her. Bist du mein Alter. Ist doch schön, dich zu Hause zu haben. Sie greift ihn am Ohr, küßt ihn auf die Nase. Doktor kübel versetzt ihr einen Faustschlag, so daß sie auf den Pudding fällt. Dann steht er auf und geht zur Badewanne. Hast du denn nichts anderes zu tun als den ganzen Tag in der Badewanne zu liegen. Leo streckt den Kopf über die Wanne. Er bewegt die Hände, als bespritze er Kübel. doktor kübel weinerlich Ach laß doch. Du hasts wirklich gut. Na ja, ich möchts auch, wenn ich die Zeit hätte. Er beginnt zu schluchzen, sdjlägt die Hände vors Gesicht. Leo hebt eine Badebürste und bespritzt ihn. doktor kübel Ach ja, wenn ihr wüßtet, wie ich mich abschufte. Ich weiß kaum mehr aus und ein. Er beugt sich zum Fußboden nieder und hebt das Buch auf, das dort liegt. Ach ja, baden und lesen, den ganzen Tag lang, das wäre was. Leo taucht unter, kommt wieder hervor und läßt eine Fontäne von Wasser aus dem Mund spritzen. doktor kübel weinerlich Laß das doch. Leo steigt aus der Wanne. Sein Körper ist mit einem roten Fell bedeckt. Er schüttelt sich, schlägt mit den Armen um sich, prustet. Dann ergreift er ein Handtuch und trocknet sich ab. doktor kübel im Buch blätternd Ja, Künstler hätte man werden sollen. So ein schönes Bild. Wie das gemalt ist - dieses Leibchen -und Strumpfbänder - ganz wirklich. Er blättert weiter. Und die hier - ganz so wie - nein sowas - das nenn ich Kunst - es geht doch nichts über richtige Kunst - blättert weiter ich muß schon sagen - also die beiden hier - was machen die denn - was machen die denn da - also wirklich - Leo läßt das Handtuch klatschend durch die Luft fahren. Zielt auf Kübel. doktor kübel bricht wieder in Weinen aus. Laß mich doch. Laß mich in Frieden. Zieht sich zurück. 53 Leo verfolgt ihn ladoend, wirft ihm das Handtuch über den Kopf. Doktor kübel Laß mich doch, laß mich doch. Leo trommelt sich auf die Brust. Lacht dröhnend. Doktor kübel vor dem Bett, auf dem Josefine sich aufrichtet Sitz nicht bloß so da, Mensch, tu was, räum das Zeug weg, oder solln wir hier zwischen den Tellern schlafen. Er hebt einen Teller hodo, als wollte er ihn wegwerfen. josefine Nein nein, nicht werfen. Mein Teller, mein Erbstück. Ich werde alles wegräumen, alles saubermachen, blitzblank wird alles werden, mit der Zunge werd ich den Boden auflecken. Doktor Kübel schleudert den Teller weg. Der Teller zerschellt. josefine Mein Teller, mein schöner Teller, mein bester Teller. Doktor Kübel zieht die Hose aus und kriecht unter die Bettdecke. Schiebt Geschirr und Pudding zur Seite. Josefine versucht, das Geschirr zu retten. Teller und Gläser fallen auf den Boden. Sie trägt das Geschirr zum Ofen, rennt hin und her, während Kübel unter der Decke verschwindet. josefine Mein Geschirr, mein schönes Geschirr. Rennt verzweifelt umher, hebt Gläser und Teller auf, scharrt Scherben zusammen. Leo unter wildem Gelächter zum Fenster. Springt aufs Fensterbrett und läßt das Gelächter in ein Bellen übergehen. Hunde antworten draußen. Er lauscht, bellt und jault wieder, und in der Ferne bellen und jaulen Hunde zurück. Es wird dunkel. Das Bellen wird im Dunkeln fortgesetzt. Heller Vorhang, auf den Reklamefilme projiziert werden. VII Während der Veränderungen, die auf der Bühne vorgenommen werden, laufen ein paar kurze Reklamefilme ab, von der gleichen Art, wie sie auch zur Zeit in den Kinos der Stadt laufen. Anpreisungen von Tellern und Gläsern, von Küchenherden, von Kleidungsstücken und Puddingpulvern. Im Hintergrund ist das Bellen noch eine Weile zu hören. Dann wieder dunkel. 54 VIII Im gedämpften bläulichen Licht zeigen sich links die Kulisse eines großen Kohlehaufens, rechts ein Himmelbett, Grudek, halbnackt, kohlegeschwärzt, kommt mit einer Schaufel hinter den Kohlen hervor. Hulda, in einem silberglitzernden, eng anliegenden Ballkleid, kommt eine Leiter herab. grudek hält ihr die Schaufel in den Weg. Hoppla Fräulein, mach schon hopp. hulda Lassen Sie mich vorbei. "Wie sehn Sie denn wieder aus. Sie tritt mit dem Fuß nach der Schaufel. grudek lacht Schön springen, hab ich gesagt. Hulda springt. grudek hält ihr wieder die Schaufel vor. Nochmal. hulda Lassen Sie mich vorbei. Sie machen mich schmutzig. Grudek lacht und hält die Schaufel vor sie hin. hulda zieht ihr Kleid hoch und steigt über die Schaufel. grudek hebt die ScJiaufel, läßt sie darauf reiten. Klemmt den Griff der Schaufel zwischen die eigenen Schenkel. Hoppla hoppla hoppla. hulda will von der Schaufel steigen. grudek packt sie am Fuß, läßt sie auf einem Bein hüpfen. Ei, bist du schön heut abend. hulda schlägt nach ihm, fällt hin, flieht zum Kohlehaufen, hebt pantomimisch Kohlestücke auf und bewirft Grudek. grudek Au, verfluchtes Aas - ich werd dir. Packt sie, wirft sich über sie. hulda Mein Kleid, mein Kleid, du machst mich ganz schwarz. grudek Ziehs doch aus, dein Kleid. hulda Au, du tust mir weh. grudek umarmt sie noch stärker, zieht sie auf den Boden. hulda Laß mich. grudek zieht sie hinter den Kohlehaufen. hulda Mein Kleid. grudek Ziehs aus. Das Kleid und Huldas Schuhe kommen hinterm Kohlehaufen hervorgeflogen. Ein Geräusch von rieselnden Kohlen. Huldas Schreie, Grudeks Stöhnen. Nebenan ist das Rollen von hölzernen Kugeln zu hören und das Poltern umfallender Kegel. Schwere Schritte. 55 Neues Rollen. Hulda und Grudek tauchen hinterm Kohlehaufen auf. Huldas Körper und die Reste ihrer Unterwäsche sind von Kohlestaub geschwant. Grudeks Gürtel hängt offen. Hulda mit den Händen in den Hüften. Hast du mir zugesetzt. Ich kann mich kaum rühren. Mein Rücken ist wie ab. grudek befühlt sie. hulda schreit auf. grudek Ja, das sieht übel aus. Dein Rücken ist ganz durchgewetzt. Warst du aber wild. hulda stöhnend zum Bett, läßt sich dort fallen. grudek streckt sich neben ihr aus, räkelt sich. Eine Holzkugel rollt herein. Drei Männer, in der Uniform von Straßenbahnschaffnern, kommen ihr nach, ergreifen die Kugel, schlendern langsam zurück, verlassen jedoch die Bühne nicht, machen Anstalten, sich in der Nähe des Bettes auf den Boden zu setzen und ihre Butterbrote, die sie aus den Taschen packen, zu verzehren. Einer von ihnen, ein Alter, mit langem weißen Bart, beugt sich über Hulda. der alte Was ist denn mit der los. Was hast du denn angestellt. grudek Die hat sich wieder mal ordentlich rumgewälzt. der alte Wie sieht denn dein Rücken aus. Er betupft ihren Rücken. hulda Au, mein Rücken, au. der alte nimmt ein großes Wattebauschel aus seiner Ledertasche, bespuckt es, betupft damit ihren Rücken. Laß mich mal. hulda Au au, ei ei ei. Die beiden andern Schaffner haben sich jetzt gesetzt und essen ihre Butterbrote. Der eine öffnet eine Bierflasche. grudek schläfrig Kannst du nicht Kaffee aufsetzen, wenn du Gäste hast. Ich hätte auch einen Durst. So wie du mit mir umgegangen bist. hulda beugt sich stöhnend über die Bettkante und zieht eine Kaffeekanne unterm Bett hervor. Mühsam steht sie auf und geht mit der Kaffeekanne zum Herd. Zusammengekrümmt kommt sie zurück. der alte betupft wieder ihren Rücken. hulda Au au, ei ei ei. grudek Stell dich nicht so an. Was du angestellt hast. Und wie du mich zugerichtet hast. Schaffner i kauend Der Zweier kam heut wieder zu spät. Schaffner Ii die Flasche vom Mund nehmend Mit dem Siebenund- , zwanziger klappte es auch nicht. Schaffner i Immer die Weichen. Schaffner ii Ich hab die Verschlage festgeschraubt. Die Windungen am Querkolben. Müßten eigentlich vier Membranen sein. Sind immer nur drei. Schaffner i Manchmal zwei, Schaffner Ii Das Getriebe ist abgenutzt. Schaffner i Was sagt der Vormann. Schaffner Ii Mit dem ist nicht zu reden. Man sollte nicht mitmachen. Schaffner i Den Hals sollte man ihnen abschneiden. Den Schweinen. hulda hat sich wieder zum Herd begeben. Kommt mit der Kaffeekanne zurück. Zieht drei Tassen unterm Bett hervor. Gießt Kaffee ein, reicht dem Alten und Grudek eine Tasse, setzt sich auf den Bettrand. grudek den Kaffee schlürfend Ah, das tut gut. Gemütlich haben wirs hier. Zieht Hulda an sich. Nur ein bißchen Musik sollten wir noch haben. hulda streckt die Hand unters Bett und zieht einen Grammophon hervor. Sie läßt die Platte schnurren und legt die Nadel auf. Die Musik beginnt. Der Alte bespuckt wieder ein Wattebäuschel und reibt Huldas Rücken damit ab. Zuerst zuckt Hulda zusammen, doch allmählich werden ihre Bewegungen katzenhaft ansclymiegend, sie knurrt und spinnt. Grudek wippt mit dem Fuß zum Takt der Musik und summt die Melodie. Auch der Alte beginnt zu summen und hier und da ein paar Worte des Textes mitzusingen. Grudek zündet sich eine große Zigarre an und dehnt und streckt sich grunzend. Unmerklich hat sich aus den wollüstigen Drehungen und Wendungen, die Hulda beschreibt, und den liebkosenden Handbewegungen des Alten eine Umarmung und Tanzhaltung ergeben, und die beiden gleiten langsam vom Bett weg. Die Musik ist wehmütig und herzergreifend. Hulda und der Alte halten die Augen geschlossen. Huldas Mund liegt im Bart des Alten. Manchmal beugt der Alte seine Partnerin so weit zurück, daß sie fast den Boden berührt. Die verbrauchte Platte, die abgespielte Nadel lassen kein dcut- 57 Uches Verstehen des Textes zu, der von einer brüchigen Greisenstimme gesungen wird. Musiktext Wunderbar - Wundenbar - unten war - Munde nah -Komm zu mir - komm zu dir - komm trink Bier - hier bei mir -Einzige - eine Ziege - einziehe - Einzige — O wie wunderbar — wo die Wunde war — wies im Grunde war — hier bei dir - wir beim Bier - du mein Tier — du mir hier - Eine Ziege - eine Ziege - eine Ziege - Geschwunden war - geschunden war - die Wunde war - so wunderbar - Meine Zier - meine Gier - noch ein Bier - Loch in dir - O meine Siege - meine Siege - meine eine Ziege - meine Einzige - Meine Einzige — meine Einzige - meine Einzige - Gegen Ende des Musikstückes, und während der Alte und Hulda sich immer weiter vom Bett entfernt haben, stehen die beiden Schaffner auf und gehen mit der Kegelkugel ab. Grudek gähnt und beginnt, die Zigarre schief im Mund, zu schnarchen. Es wird dunkel. Die Musik versiegt. Ein Fenster. Nachtlicht und Widerschein von Straßenreklamen. Ein paar sich entfernende Stimmen, die die Melodien von vorhin noch singen. Geräusche von Automobilen und Motorrädern. Schritte. Pfiffe. Entferntes Hundebellen. Die Bühne dunkel und leer. Ein Mann in einem Schlafanzug und eine Frau in einem durchsichtigen Nachthemd am Fenster. Frau aus dem Fenster blickend Was für ein Betrieb, und es ist doch schon weit nach Mitternacht. Woher kommen eigentlich alle diese Autos. Und wohin fahren sie. Und diese Motorräder. Und alle diese Hunde. Sieh doch mal den da - der will hier rauf. Beugt sich weit aus dem Fenster. Der Mann beugt sich über sie, hält sie umarmt. Nein sowas - der klettert hier wirklich rauf - hast du sowas schon gesehn. Beide weit aus dem Fenster gebeugt. Die Frau zurück Könntest du das auch, Liebling. mann Was denn. frau So eine Wand raufklettern. J8 mann antwortet nicht. Frau löst sich aus seiner Umarmung, beugt sich wieder hinaus, streckt die Arme hinunter. Was will denn der - wer ist denn das -wohin wollen Sie denn. mann beugt sich hinaus, schiebt die Arme der Frau beiseite. Laß doch. Das geht dich doch nichts an. Frau nach draußen gewendet Das muß aber schwer sein, so eine Wand raufzuklettern. Flüsternd zum Mann Würdest du das wagen, Liebling. mann will sie vom Fenster wegziehen. Sie liegt aber fest, mit den Armen nach unten gestreckt. frau Halt mich - ich halte ihn da unten. mann legt sich neben sie und streckt die Arme nach unten. Sie ziehen beide. Leos Kopf erscheint draußen. Mit einem gewaltsamen Schwung, wobei er den Mann nach draußen reißt, springt Leo aufs Fensterbrett. Der Mann bleibt mit den Zehen draußen am Fensterbrett hängen. mann Hilfe, hilfe. frau Jetzt zeig mal, was du taugst. Zeig mal, ob du auch so klettern kannst. mann draußen stöhnend Kann doch nicht klettern mit dem Kopf nach unten. frau Häng du da nur. mann schreit Du kannst mich doch hier nicht hängen lassen. frau streicht Leo, der sich in der Ecke des Fensters niedergelassen hat, durch das Fell. Wo wollen Sie denn hin. leg Höher rauf. frau Können Sie nicht hierbleiben - kommen Sie - bleiben Sie. Sie schmiegt sich an ihn. mann stöhnend Ihr könnt mich doch nicht runterfallen lassen. frau streichelt Leo Komm, komm. Will ihn ins Zimmer ziehen, doch Leo stößt sie zurück. leo Ich muß weiter. frau Bleib ein bißchen. Sie umschlingt ihn, küßt ihn. leo Nein, ich muß weiter. mann winselnd Zieht mich rauf - schnell - ich kann nicht mehr -ich gleite ab. leo klettert weiter nach oben, stützt sich oberhalb des Fensters, schwingt die Beine hin und her, stemmt sich hinauf, versclowindet. 59 Frau setzt sich rücklings aufs Fensterbrett, beugt sich zurück, blickt nach oben, flüstert Komm zurück - komm bald zurück. mann Hilf mir — hilf mir doch. frau Ja, ja, ich komme schon, ich werd dir schon helfen - bist du denn ein Mann, oder was bist du eigentlich. mann stammelnd Liebst du mich nicht mehr - frau Lieben und lieben - warte ich will mir nur ne Zigarette anzünden. mann undeutlich Ich kann nicht mehr — frau zündet sich eine Zigarette an. Aber wie soll ich dir denn helfen. Hält den Mann an den Fersen. mann schreit Zieh doch - zieh doch. frau Ich kann dich doch unmöglich raufziehn, das verstehst du doch. Bläst den Zigarettenrauch aus dem Fenster. mann stöhnend Hol was — bind mich fest - frau Was sagst du. Beugt sich so weit heraus, daß ihre Füße in der Luft hängen, mann Hol irgendwas und bind mich fest. frau Was soll ich denn nehmen - haben wir denn irgendwo ne Schnur. mann Gürtel oder irgendwas - schnell - ich kann nicht mehr. frau Was denn für einen Gürtel. mann mühsam Gürtel vom Regenmantel oder irgendwas — schnell — frau Wo hast du den denn hingehängt. Sie tastet auf der dunklen Bühne umher. Ich kann nichts finden. Warum hast du auch das Licht nicht repariert. mann Schnell schnell - frau Au, verfluchter Tisch, au, hier stößt man sich nur überall. mann Dein Nachthemd, schnell, bind mich fest — frau zum Fenster Was sagst du. mann Dein Nachthemd - frau Mein Nachthemd - was glaubst du eigentlich - ich kann doch nicht mein Nachthemd nehmen — das würde ja ganz zerknüllt. mann stößt einen hohen Schrei aus. Seine Füße gleiten ab. frau setzt sich aufs Fensterbrett, beugt sich rücklings hinaus, blickt nach oben, während der wimmernde Schrei des Mannes sich entfernt. Komm zurück Liebster - Liebster -In der Tiefe das dumpfe Aufschlagen des Körpers. frau weit zurückgebeugt Komm bald Liebster. 60 Es wird dunkel. Die Straßengeräusche setzen sich, etwas gedämpfter, fort. X Wieder die gleiche Lichtquelle, diesmal hinter der herausgesprengten Öffnung in einer Wandkulisse. Die fahle Projektion vom Portrait des Polizeipräsidenten. Ein breites Ehebett, drei Kinderbetten. In der Ecke Pluto zusammengerollt. Erna, Alfons, die Kinder und der Hund schlafen. Der Hund zuckt mit dem Bein und mit den Ohren. Die Schlafenden im Bett kratzen sich. Leo erscheint im Loch in der Wand und kriecht hinein. Auch er beginnt gleich, sich zu kratzen, sich auf die Arme, die Schultern zu schlagen. Er schleicht sich an das Ehebett heran und beugt sich über Erna. leo flüsternd Erna, Erna. Erna wacht auf. Leo versteckt sich unterm Bett. Erna sitzt in einem kurzen Hemd im Bett, kratzt sich das Haar und die Brüste. Dann steht sie auf, zündet eine Laterne an, die mit einem langen Handgriff in einem Halter steht. Sie ergreift einen Gegenstand, der einer Maschinenpistole gleicht, der jedoch eine Insektenspritze ist. Sie geht durch das Zimmer und läßt ringsum die Flüssigkeit in die Luft sprühen, über die Kinder, über Alfons und über den Hund hinweg. Pluto wacht auf. Er streckt sich und gähnt. Er erhebt steh, trabt im Kreis umher, wittert Leos Spur, beginnt zu knurren. Er folgt der Spur zum Bett, legt sich dort schnüffelnd und murrend nieder. Leo kriecht seitwärts unter dem Bett hervor. Pluto drängt sich nah an ihn heran. Sie liegen Nase an Nase. Beide knurren und winseln. Erna nimmt die Laterne aus dem Halter und hebt sie empor. Pluto und Leo umkreisen einander. Erna hält die Lampe hoefj über sie. Pluto stürzt sich auf Leo, sie verbeißen sich ineinander, wälzen sich auf dem Boden herum. Erna beugt sich über sie, ihr Gesicht zu einem besessenen Lachen verzogen. Ein berstender Laut. Leo hat Pluto den Hals umgedreht. Der Hund liegt mit zuckenden Beinen auf dem Rücken, fällt dann zur Seite und liegt reglos, mit steif ausgestreckten Beinen. Leo erhebt sich, klopft sich das Fell ab, legt den Finger auf den Mund. Erna weicht langsam vor ihm zurück, die Laterne 61 noch in der erhobenen Hand. Sie gerät bis zur Öffnung in der Wand. Leo folgt ihr. leo indem er die Arme um sie legt Komm mit mir. Erna Was glauben Sie eigentlich - für wen halten Sie mich — leo Komm mit. erna Ich kann doch nicht einfach mit Ihnen kommen — ich kenne Sie doch gar nicht. leo hält sie umarmt, küßt sie. erna Nein nein — wer sind Sie denn. leo Kommst du mit - erna Ich kann doch nicht einfach meine Kinder — leo Die finden sich schon zurecht. Komm. Er liebkost sie, klettert mit einem Bein schon aus dem Mauerloch. erna Oh-oh- leo Komm. erna will sich zurücklegen, bereit für ihn. leo Nicht hier - komm - setz dich auf meinen Rücken - Erna setzt sich auf seinen Rücken und Leo klettert mit ihr hinaus. leo Halt dich fest - jetzt gehts runter. Erna klammert sich an seinem Hals fest. Sie verschwinden beide. Es wird dunkel. Alfons stöhnt im Schlaf. Pause XI Gleiches Bild wie vorherige Szene. Die Bühne hell. Tageslicht hinter dem Loch in der Wand. Alfons und die Kinder schlafend in den Betten. Pluto mit steif ausgestreckten Beinen, wie zuvor. Hulda tritt ein, in einem tief ausgeschnittenen ärmellosen modischen Kleid, ein paar große Pflaster am Hals, an den Schultern und Oberarmen. Sie trägt ein Tablett mit dem Frühstück und der Zeitung. hulda über Pluto steigend Guten Morgen, Herr Polizeipräsident. Alfons setzt sich sofort auf, klarwach. Auch die Kinder fahren auf und beginnen sogleich einen Kissenkrieg. hulda stellt das Tablett auf dem Bett ab. Alfons blickt sich suchend um. Wo ist denn die gnädige Frau. 61 hulda zieht fragend die Augenbrauen hoch. Alfons Haben Sie meine Frau nicht gesehn - wo ist denn die hin, am frühen Morgen. die kinder von Bett zu Bett springend Wipps iss se weg. Hat nen Liebhaber. Durchs Loch raus. Alfons Kommt, Kaffee trinken. die kinder stürzen sich über die Kuchenstücke. ein kind nimmt ein Zuckerstück, hält es Pluto hin Pluto - komm schön - Zuckerchen. Pluto liegt reglos. Alfons Was der schläft. ein kind Was der für komische Beine macht. hulda -wendet sich um und geht hinaus. Versetzt Pluto einen Fußtritt. Alfons Was ist denn mit dem Hund. Weckt ihn mal. die kinder springen auf, beugen sido über Pluto, rühren ihn an. Was der fürn komisches Maul macht. Alfons Holt ihn mal her. die kinder ziehen Pluto am Schwanz zum Bett. ein kind Der hat nen gesegneten Schlaf. die kinder gießen Kaffee in sein Maul, stecken ihm das Zuckerstück zwischen die Zähne. Wach auf, Pluto, wach auf, mußt in die Schule. ein kind Pluto ist krank. die kinder heben Pluto gemeinsam auf und legen ihn neben Alfons ins Bett. Der muß in die Klinik. Der muß opopariert werden. Bauch aufschneiden, Bauch aufschneiden. Killekillekill. Alfons befühlt Pluto, hebt den Finger. Hört, Kinder, unser guter Pluto ist nicht mehr, unser guter Pluto ist tot. die kinder schreien Dann müssen wir ihm ein Grab graben. Sie heben Pluto aus dem Bett und schleppen ihn zur Tür heraus, singend Ein Grab wolln wir graben, ein Grab wolln wir graben, ein Grab wolln wir graben - Alfons nimmt sich die Zeitung vor, rührt in der Kaffeetasse, kaut an einem Kuchenstück. Auf dem Außenblatt der Zeitung große Sdüagzeilen KATAST ROPHEN REVOLU TIONEN 63 XII Vorhang mit der Projektion einer aktuellen Wodoenschau. Kurze Szenen von einem Hundewettbewerb mit Preiskrönung, einem diplomatischen Empfang, von der Einweihung eines neuen Wohnviertels, einer Modeschau usw. Keine kriegerischen Ereignisse. XIII Wandprojektion mit dem Text Doktor Kübels Privatklinik. Alle Arten von Heilverfahren. Zwei Reihen von Betten. Links liegen die Herren, rechts die Damen. In der Mitte Frau Burian, festgeschnallt auf einem sdjräg vorgeneigten Tisch, über und über mit Verbänden umwickelt. Am Tisch sind ein paar Räder und Hebel angebracht. hulda tritt ein, in einem weißen Kittel. einzelne gaste Da kommen Sie ja endlich. Wie lange solln wir denn hier noch liegen. Warum kommt Doktor Kübel nicht. Wann kriegen wir unsere Kleider. hulda freundlich lächelnd Leider kann ich gar nichts machen bevor der Doktor kommt. einzelne gaste durcheinander Das geht doch nicht. Wir können doch hier nicht in aller Ewigkeit bleiben. Ich muß auf die Börse. Meine Aktien. Mein Auto steht falsch geparkt. Ich muß auf eine Geschäftsreise. hulda schüttelt lächelnd den Kopf. Aber meine Herrschaften. Genießen Sie doch die Ruhe. Versicherungsdirektor i Wir haben eine wichtige Konferenz heute Vormittag. Versicherungsdirektor ii Ohne uns kann nicht begonnen werden. hulda scharf Ich kann absolut nichts machen. Freundlicher Was wünschen die Herrschaften zum Frühstück - gekochtes Ei oder Spiegelei - Kaffee, Tee, Schokolade-die gaste durcheinander Gekochtes Ei. Spiegelei. Ich will gar nichts, ich will weg. Rührei. Kaffee, Tee usw. hulda Immer schön der Reihe nach. Wendet sich an die Herren. Bitte sehr. die Herren Spiegelei, auf beiden Seiten gebraten, Kaffee und Brötchen. 64 Kaffee mit warmer Milch, Schwarzbrot, Schinken mit Schnittlauch. Tee mit Zitrone, geröstetes Brot und die Zeitung. Schokolade mit Schlagsahne bitte und Butterkuchen, wenn Sie haben. Die beiden Versicherungsdirektoren schweigen. Hulda Und Sie, meine Herren. Die beiden Versicherungsdirektoren schweigen gekränkt. hulda zuckt mit den Schultern. Wie Sie wollen. Wendet sich den Damen zu. Und Sie, meine Damen. die Damen Apfelsinensaft. Ich will zu meinen Kindern. Einen geriebenen Apfel, ein Mohnbrötchen, Honig und Kaffee. Gern auch Weintrauben. Ich eß morgens nur Eis. Ich muß zur Massage. Ich will mein Frühstück zu Hause essen. Ich hab einen Termin bei der Friseuse. hulda Wenn Sie nicht Ihr bißchen Verstand zusammennehmen können, kriegen Sie gar nichts. Geht zur Tür und ruft Bedienung. Die drei Krankenpfleger erscheinen. hulda Rote Grütze für alle. die gaste richten sich steil auf, blicken einander an. Unverschämt. Ist ja unerhört. Was erlauben die sich eigentlich. Ein paar Herren stehen auf, stapfen in Unterhosen umher. Haben wir denn überhaupt keine Rechte mehr. Werde mich sofort beim Polizeipräsidenten beschweren. Sich sowas gefallen zu lassen. hulda Ihr braucht wohl wieder ein bißchen Strom in die Beine. Marsch in die Betten. die gaste kriechen unter Protesten in den Betten zusammen. Frau burian läßt ein langgezogenes Stöhnen hören. einzelne gaste Was ist denn mit der Burian. Der ist wohl nicht gut. Schwester, sehen Sie doch mal nach der Burian. Grudek tritt ein, in einen weißen Arztkittel gekleidet. Ihm folgen die Krankenpfleger, die Tablette mit Blechschüsseln tragen. Die Krankenpfleger verteilen die Schüsseln an den Betten. Grudek tritt zu Frau Burian heran. frau burian Stöhnt. die gäste beginnen geängstigt mit den BleclAöffeln aus den Blechschüsseln zu essen. . 65 Einer der Krankenpfleger tritt mit einer Blechschüssel zu Frau Burian heran und beginnt sie zu füttern. Frau burian stöhnt und spuckt die Grütze aus. Hulda zu Frau Burian Sie müssen unbedingt essen, sonst werden Sie nicht gesund. Frau burian verworren Wo bin ich - was wollt ihr denn - Der Krankenpfleger stopft ihr wieder Grütze in den Mund. frau burian stöhnt und spuckt den roten Schleim aus. Ich will nach Hause - ich will nach Hause -hulda Das bestimmt Doktor Kübel. frau burian wieder Grütze ausspuckend Ich kann nicht - ich kann nicht - mir wird übel - hulda Was ist denn das für ein Getue. Wenn Sie nicht essen, kommen Sie ganz herunter. grudek zieht eine große Injektionsspritze aus der Tasche und sticht sie Frau Burian in den Arm. frau burian schreit auf und zuckt zusammen. Wie ist mir denn -ich kann mich ja nicht regen - Doktor Kübel - wo ist denn Doktor Kübel - grudek Ja liebes Kind, hier bin ich. Sein Sie nur ganz ruhig. frau burian stammelnd O Pluto - Pluto - hulda steckt ihr ein großes Fieberthermometer in den Mund. die gaste essen weiter. Schielen hin und wieder voller Schrecken zum Tisch. Sie beginnen jedoch allmählich, miteinander zu sprechen. Bruchstücke der halblaut gemurmelten Gespräche werden deutlich, greifen ineinander, oder werden zwischen den Repliken, die an Frau Burians Tisch geführt werden, laut. ein herr Habe mir das folgendermaßen gedacht - rechts der Schreibtisch und links das Regal - in der Mitte die Schreibmaschine -der Tisch mit den Warenproben vorm Fenster - die Stehlampe neben dem Rauchtisch - Sie wissen, der Rauchtisch mit der runden Messingplatte — eine dame Wir hatten den ganzen Nachmittag schönes Wetter -dann wurde es plötzlich kühl - ich hatte keinen Mantel mit -ich dachte, hättest du nur deinen Frühjahrsmantel mitgenommen - hulda nimmt Frau Burian das Thermometer aus dem Mund und liest es ab. Das ist ja nicht zu sagen — sowas — Sie schüttelt das Thermometer. 66 Der Pfleger stopft ihr wieder Grütze in den Mund. Frau burian spuckt und schreit. Hulda Wenn Sie nicht fressen, verrecken Sie. eine Dame Ich hab gehört, sie trafen sich in einer Straßenbahn -blieben im Gedränge aneinander hängen - dreiunddreißig Jahre lang — dann verloren sie sich im Gewimmel und sahen einander nie wieder - eine dame Sieh dir doch das mal an - was ich hier unterm Kopfkissen gefunden habe - diese Dinger - Prä - Präs - wie heißen noch gleich diese Dinger - eine dame Und hier bei mir liegen Haarnadeln - das ganze Bett ist voll Haarnadeln - ich möcht wissen, was hier vorgeht - grudek ist um den Tisch gestrichen, dreht an einem Rad, rückt an einem Hebel. Die Riemen spannen sich. frau burian Pluto - bist du das - Pluto - grudek nah an ihrem Gesicht Ich bins, Ihr Freund, Doktor Kübel. frau burian O Pluto - liebster Pluto - grudek Nur schön still halten, Frauchen. Dreht an einem Rad. Die Riemen straffen sich knirschend. frau burian schreit Nein nein — wie ist mir denn — grudek Das geschieht alles zu ihrem Besten. Wir richten Ihr Körperchen schön wieder her. frau burian schreit und stöhnt. ein herr Habe mich da gründlich umgesehn - ich sage Ihnen - was da alles zu haben ist - Schlösser, Herrensitze, Güter, sogar eine mittelalterliche Burg mit Zugbrücke und allem Drum und Dran - ein herr Wir haben erst mal alle Grubenaktien aufgekauft - wenn die sich da unten zu Ende geprügelt haben, werden sie schon angekrochen kommen - dann brauchen sie unser Geld - eine dame Und hier liegen Bilder - aber was für Bilder - sehn Sie sich das mal an. Unterm Kopfkissen gefundene Fotos werden herumgereicht und bekichert. hulda Die spielt uns hier ein Theater vor, während wir unsere Pflicht tun. Schreit Sind Sie jetzt still. grudek am Rad drehend Wir bringen Sie doch nur wieder in Form, Püppchen. Werden schon sehn, wie Sie wieder auf die Füße kommen. ein herr Wir brauchen uns nichts vorzumachen - so minderwertig diese Ware auch war, an den Mann haben wir sie gebracht - 67 heute hat sie sich durchgesetzt - die Leute reißen sich nur so darum - eine dame Da im Fahrstuhl, da steht immer einer - jedesmal wenn ich rauffahre, er steht nur da und sagt kein Wort - da wird einem ganz anders — eine dame Ich möcht nur eins wissen - ich möcht nur eins wissen - Frau burian röchelt Ohhh - grudek Das sind ganz neue Methoden. Ein Wunderwerk. Sie werden sehen. Versicherungsdirektor Ii springt auf. So geht das nicht weiter. Wir lassen uns das nicht gefallen. Die bereitstehenden Krankenwärter werfen sich sofort über ihn und drücken ihn ins Bett zurück. Einer hält ihm den Mund zu. Frau burian mit brechender Stimme Mein Pluto - mein liebster Pluto - Ihr Kopf sinkt herab und sie ist still, hulda Die glaubt, wir täten das zu unserm Vergnügen. Wir könnten sie ja auch Hegen lassen. Dann kann sie sehn, wie sie allein fertig wird. grudek nimmt ein großes Hörrohr aus der Tasche, behorcht ihr Herz, befühlt ihren Puls. Nickt stumm. ein herr Ledersessel sind sehr schön - nur ein bißchen kalt -eine dame Ich möcht nur wissen - grudek wendet sich den Gästen zu. Na, und Sie, meine Lieben -Versicherungsdirektor i Wann kommt Doktor Kübel. grudek Ich bin Doktor Kübel. Was haben Sie auf dem Herzen. einzelne gaste Wir wollen mit Doktor Kübel sprechen. Was geht hier vor. Was ist das für eine Art. Es ist ja sehr freundlich, daß Sie uns hier aufgenommen haben, wir haben gut geschlafen, aber jetzt möchten wir gern nach Hause. grudek Herrschaften, ihr wirkt mir ja sehr fiebrig. Scheint schlimm mit euch zu stehn. Ein paar Herren wollen auffahren, werden aber sogleich von den Pflegern niedergedrückt. grudek zieht eine große schwarze Brille aus der Tasche und setzt sie auf. Sprechen Sie in mir Doktor Kübel an. Haben Sie volles Vertrauen. eine dame Bitte bitte, lieber Doktor Kübel, was ist denn mit uns. grudek Wie ich sehe, sind Sie alle von einer schweren Epidemie ergriffen. Nicht daß unmittelbare Todesgefahr vorliegt, aber Sie 68 müssen sich nur ganz still verhalten. Jede Aufregung, jede Bewegung schadet. Versicherungsdirektor Ii springt auf. Wenn ich sterben muß, will ich zu Hause sterben. Ein Pfleger versetzt ihm einen Faustschlag, so daß er betäubt zurückfliegt. grudek Ich kann hier keine Panik zulassen. Im Interesse der andern Kranken haben Sie absolute Ruhe zu bewahren. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder einfach losschreien wollte. ein herr Aber unsere Geschäfte - ich muß wenigstens Direktiven geben - ist denn hier kein Telefon - grudek Das wäre noch schöner, wenn hier alle herumlaufen wollten, um zu telefonieren. Das ist eine Heilanstalt hier. Haben Sie das noch nicht gemerkt. eine dame Ich muß meiner Schneiderin absagen. ein herr Mein Haus ist nicht abgeschlossen - jeder kann kommen und sich was heraustragen - ein herr Ich erwarte einen Möbeltransport - die sind jetzt sicher schon da und stellen die Möbel auf der Straße ab - grudek Ts ts ts, was ihr für Sorgen habt. Lacht erkünstelt. Die Krankenpfleger fallen in das erkünstelte Lachen ein. Hulda stößt noch ein nachträgliches erkünsteltes Lachen aus. grudek So - und jetzt will ich mal mit den Damen beginnen. Mir alle einmal vornehmen. Schön Hemdchen ausziehn. Mal alle einmal gründlich angucken. Los, ab mit dem Zeugs. Schreie des Protests. Ein paar Herren wollen wieder aufspringen und erhalten sogleich Faustschläge von den Pflegern. grudek zu Hulda Schwester, ziehn Sie mal den Vorhang zu, so daß man uns von der Stadt her nicht reinsehen kann. Hulda geht zur Seite und zieht einen Vorhang vor die Bühne. Der Vorhang liegt so weit zurück, daß genügend Platz bleibt für die folgende Szene, die sich davor abspielt. Im Hintergrund sind noch eine Weile Schläge, Kreischen und Schreie zu hören. XIV Ein großer Mülleimer mit geschlossenem Deckel rollt herein. Aus dem Innern des Eimers dringen Laute der Wollust. Der Eimer rollt 69 hin und her. Dann wird der Deckel von innen aufgedrückt und Leo kriecht hervor. Erna liegt im Eimer und hält Leos Beine fest. erna O du - o du - leo reißt sich los, richtet sich auf, streicht sich allerlei Unrat vom Fell, verschmiertes Papier, Apfelsinenschalen. erna Au, da fltzelt mich was am Fuß, da beißt mich was. leo streckt die Arme tief in den Eimer, kommt zurück, eine große Ratte in der Hand, die er auf dem Boden totschlägt. erna Laß mich hier nicht allein. leo beugt sich nieder, küßt sie. Spuckt aus. Bist ja ganz voll von Kaffeesatz, Bleib du nur noch ne Weile liegen und schlaf. Ich muß jetzt weg. erna kommt halb herausgekrochen. Ihr Hemd ist beschmutzt, ihr Haar hängt offen und strähnig, voll von Kartoffelschalen. Du willst mich doch nicht allein lassen. Komm zu mir - o du - du - leo stößt sie zurück. Sabbel nicht so. Ich hab jetzt genug, Hab heut Wichtiges vor. Ich komm schon wieder. Runter mit dir. Drückt sie in den Eimer hinein und legt den Deckel auf. Schraubt den Deckel zu. erna klopft innen und schreit Laß mich nicht allein, laß mich nicht allein — leo hüpft auf allen Vieren und bellt. Läuft davon, verschwindet mit einem hohen Luftsprung. Es wird still im Eimer. Der Alte mit dem langen weißen Bart erscheint, gekleidet wie zuvor. Ein Diener, in Pumphosen, mit langen Schnürbändern, in gestreifter Weste, zieht einen Karren auf dem ein paar Mülleimer liegen. der alte als riefe er ein Pferd an Brrr. Der Diener hält an neben dem Eimer, in dem Erna liegt. Zusammen mit dem Alten lädt er den Eimer auf den Wagen. der alte Puh, ist der schwer. Sicher wieder voll von Steinen. Der Diener zieht den Wagen, der Alte geht hinterher, mit der Zunge schnalzend. Sie verschwinden. Ein Straßenkehrer erscheint und kehrt den Unrat auf, der sich vorhin beim öffnen des Mülleimers angesammelt hat. Er pfeift bei der Arbeit, Der Straßenkehrer ab. 7° XV Rechte Ecke der Bühne beleuchtet. Die übrige Bühne im Dunkeln. Der Besitzer des Casinos liegt in einem Käfig zwischen den Ziegen vor einem Trog. Grudek tritt ein, im weißen Kittel. grudek Wie sehn Sie denn aus. Sie müssen sich unbedingt sauberhalten. Wir können Sie nicht vor jedem Versuch waschen. der Besitzer des casinos Endlich kommen Sie. Ich weiß gar nicht, wie lange ich hier schon gewartet habe. Das muß ein Mißverständnis sein. Geben Sie mir jetzt meine Kleider zurück. grudek fragend Ihre Kleider - der Besitzer des casinos Ja, meine Kleider. Die kamen gestern weg, oder wann es war. Wir waren bei Kübel zu Besuch. grudek Doktor Kübel, bitte. der Besitzer des casinos Kübel oder Doktor Kübel - ich will hier raus. Sie haben kein Recht, mich hier einzusperren - und dazu noch auf solch eine Art. grudek Was nehmen Sie sich für einen Ton heraus. der Besitzer des casinos Wollen Sie jetzt so freundlich sein, mir meine Kleider zu bringen. grudek Klar, daß Sie oben bei Kübel waren. Glauben Sie, Sie kämen so ohne weiteres in die Vivisektion. der Besitzer des casinos Es beruht alles auf einem Irrtum. Ich sagte Ihnen doch, ich kam aus Versehen mit den Viechern da herunter. Ich bin der Besitzer der Spielbank. Ich bin der Direktor des Casinos. Kennen Sie mich denn nicht. Ich war Gast beim Herrn Polizeipräsidenten. grudek Gast - kennen wir. Alter Polizeikunde. der Besitzer des casinos Ich bin persönlich mit dem Polizeipräsidenten befreundet. grudek lacht. Brauchen sich nicht vor mir zu genieren. Ich weiß, was wir für Leute hierher kriegen. Wir hatten schon Massenmörder. Was sind Sie denn schon. Falschspieler, was. Immerhin lobenswert, die Gefängnisstrafe gegen einen Dienst an der Menschheit einzutauschen. Meine Hochachtung. Sehr anständig von Ihnen. Nur sauberhalten müssen Sie sich. der Besitzer des casinos fällt in die Knie, umschlingt Grudeks Beine. Bitte lassen Sie mich raus - ich hab nichts getan - Sie müssen 7i mir glauben - ich bin unschuldig - führen Sie mich zu Doktor Kübel - der wird den Irrtum sofort aufklären - grudek stößt den Besitzer des Casinos mit einem Tritt zurück. Geh an deinen Platz und leck dir den Schmutz ab. Nimm dir ein Beispiel an den Tieren da. der Besitzer des casinos Die Tiere - die setzen mir so zu - grudek streichelt die Ziegen, die meckernd ihre Köpfe an ihn drük-ken. Das sind die freundlichsten Ziegen von der Welt. der Besitzer des casinos jammert Wie die mir zusetzen - grudek Das ist nur Einbildung. der Besitzer des casinos hält Qrudek am Mantelsaum fest. Mit dem Ausdruck eines Verrückten, der ein Geständnis macht Sobald Sie weg sind, fallen sie über mich her, ich kann nichts machen, sie legen mich um, die eine hält mich fest und die andere schleckt mich ab, und ihre Zungen, oh - grudek lacht und geht ab. Also Ordnung und Sauberkeit. Die Ziegen machen sich über den Besitzer des Casinos her. Sie rempeln ihn an und werfen ihn um. Die eine Ziege legt sich auf ihn und hält ihn fest, die andere beginnt, ihm die Füße und das Gesicht zu lecken. der Besitzer des casinos schreit Ein Mißverständnis, ein Mißverständnis - ich bin der Direktor des Casinos - ich habe eine Villa am Stadtpark - eine Frau und zwei Kinder - drei Kinder wehrt sich verzweifelt - ich hab eine Kunstsammlung - Hilfe, Hilfe, - ein Mißverständnis - Sie können es nachprüfen - mein Auto steht unten auf der Straße - hier ist die Nummer - 2-3-7-8 — bricht in wahnsinniges Gelächter aus - 7-8-5 - und meine Telefonnummer ist 11-96-92 - gellendes Gelächter - Sie können anrufen und kontrollieren - stimmt alles - Hilfe, Hilfe - und mein Bankkonto hat die Nummer 8-7-6 - ha ha ha - 9-2-1 - halt, halt — ich habe immer meine Steuern bezahlt - an meinen Spieltischen ist alles mit rechten Dingen zugegangen - habe alles selbst kontrolliert - nein, nein - der Herr Polizeipräsident selbst ist zweimal wöchentlich bei mir - jeden Mittwoch und jeden Samstag -Hilfe - Alfons - mein Freund - ruft ihn doch an - Polizeipräsidium - Sie bekommen sogleich Verbindung wahnsinniges Gelächter - fragen Sie ihn — Wahrend der letzten Worte wird der Mittelteil der Bühne beleuchtet. Dort liegt Alfons im breiten Bett, rührt in der Kaffeetasse, 7* kaut an einem Kudoenstück, liest die Zeitung. Langsam wird es wieder dunkel über dem Bett. In der Folge ahnt man jedoch Alfons auf der dunklen Bühne. Er schlägt manchmal ein Blatt der Zeitung um. Eine Luke über dem Trog wird mit einem Krach aufgeschoben. Ein paar Hände entleeren einen Eimer mit Futter über dem Trog. Die Ziegen lassen vom Casinobesitzer ab und stürzen sich über den Trog. der Besitzer des casinos Und ich - und ich - soll ich denn hier verhungern - ihr könnt mich doch hier nicht einfach verhungern lassen - grudek im Hintergrund Hier kriegen alle das gleiche Futter. Friß nur. Die Luke schließt sich mit einem Krach. Die Ziegen wühlen über dem Trog. Nach einer Weile kriecht der Casinobesitzer an den Trog heran, drängt sich zwischen die Ziegen, stößt sein Gesidjt in das Futter und schlürft. Rechts dunkel. Linker Teil der Bühne beleuchtet. Ein Haufen von alten Hüten und Schuhen, Blechbüchsen, Pappsdjachteln und anderem Plunder. Der Diener trabt mit dem Karren herein. Hinter ihm der Alte. der alte Brrr. Sie laden die Eimer vom Karren ab. Der erste Eimer wird entleert. Er enthält alte Hüte und Schuhe, Blechbüchsen, aufgeweichte Pappschachteln und anderen Plunder. Dann entleeren sie den Eimer, in dem Erna liegt, über dem Haufen. Erna gleitet heraus, zusammen mit klebrigem Zeitungspapier und Unrat. der diener Wieder eine Leiche. Gestern kriegten wir auch so eine mit. Ich sage ja - das Leben in dieser Stadt. Er steigt um Erna herum, zieht sie am strähnigen Haar, kneift sie in den Arm, klopft ihr auf die Schenkel, befühlt ihre Brust. Erna gibt kein Lebenszeichen von sich. der alte beachtet sie kaum. Er ordnet den Abfall zu verschiedenen Haufen, die Kleidungsstücke, das Papier, die Blechbüchsen. der diener streicht Erna den Schmutz aus dem Gesicht. Kniet neben ihr nieder und starrt sie an. Dann legt er das Ohr an ihren Mund. Kommen Sie mal, Meister, sehn Sie sich die mal an. der alte läßt sich neben Erna nieder. Richtet sie, mit Hilfe des Dieners, auf. der diener Sie atmet. 73 der alte schüttelt sie, schlägt sie leicht auf die Backen. erna öffnet die Augen. der diener Sie lebt. erna sieht den Alten. Ich hin im Bimmel - ich bin beim bieben Gott. der diener Nein, nein, mein Herr fährt nur den Müll ab. erna stößt verwirrte, singende Laute aus. der diener begeistert Eine Sängerin. Sing uns was vor. erna wiegt sich hin und her. Singt noch verwirrter Läuse krause im Gekräuse - Mäuse sause im Gehäuse - Wanzen tanzen an den Wanden - Ratten natten in den Schatten - hu, hu, hu - der alte Die will ich bei mir behalten. Zum Diener Richte es ihr wohnlich ein — sie soll sich wohlfühlen hier bei uns. erna versucht, aufzustehn, wird aber vom Alten festgehalten. Sie stößt verwirrte Laute aus. Ha ha ha - hu hu hu - ha ha - hu hu -Der Diener errichtet einen erhöhten Sitzplatz aus Pappsdiachteln, Zeitungspapier und altem Gerät. Der Alte hält Erna fest und streicht ihr durch das lange, verfilzte Haar. Dann zieht er, zusammen mit dem Diener, Erna zum Sitzplatz und drückt sie dort nieder. Erna hockt verwirrt da, wiegt sich hin und her, immer noch summend und stammelnd. Der Diener hockt hinter ihr und hält ihren Leib mit den Armen umschlungen. Der Alte kniet vor ihr und breitet die Arme aus. der alte verzückt Du Schöne - sei begrüßt im neuen Heim - auf ewig werden wir beieinander sein - alle Reichtümer sind dein -sieh, was ich dir alles anbiete - mit großen Gesten — spiegelblanker Parkettboden - Marmorwände - Kronleuchter mit echten Kristallen - sieh die persischen Teppiche - und dort meine Bibliothek - Bände aus Leder und Pergament - dort mein Weinkeller -dort ein Teewagen mit Gebäck und Konfekt — erna will aufstehen. Der Diener hält sie fest. O - hu hu - ha ha -hu- der alte Festschmieden werde ich dich hier - du Schöne - zum ewigen Bund - hier in meinem Heim, das auch dein Heim ist - Pelzwerk werde ich dir schenken - einen Morgenrock aus Damast — perlenbesetzte Pantoffeln — sieh die schönen weißen Gardinen am Fenster - sieh den Garten draußen - Zypressen - Rosenbüsche - erna sinkt zusammen, beugt den Kopf tief herab. Richtet sich wieder auf. Das Haar hängt ihr übers Gesicht. Sie stößt stöhnende, summende Laute aus. 74 der alte Horch - wie schön die Vögel singen - draußen im Garten -Links dunkel Mittelstück der Bühne erhellt. Alfons legt die Zeitung nieder, richtet sich auf. Hulda. hulda erscheint, im ausgeschnittenen Kleid, mit den Pflastern. Der Herr Polizeipräsident wünschen - Alfons Ist meine Frau noch nicht zurück. hulda zuckt die Achseln. Alfons Ich versteh nicht. Wo die nur steckt. Im Dunkeln rechts kriecht der Besitzer des Casinos zwischen den Ziegen hervor. Die Ziegen ihm nach. der Besitzer des casinos Hilfe, Hilfe - Alfons - mein bester Freund - habt ihr mich denn alle verlassen - Er bricht in gellendes Gelächter aus, da die Ziegen ihn wieder niedergedrückt haben und abschlecken. Stumm wälzt er sich weiter mit den Ziegen herum. Links ist während der Tortsetzung der Szene im Dunkeln zu ahnen, wie der Alte vor Erna kniet und sie stumm umwirbt, wie Erna entgeistert dasitzt und hin- und herschwankt. Im Lauf der Szene tragen der Alte und der Diener das Gerumpel und die Mülleimer heraus und laden schließlich Erna auf den Karren. Alfons erhebt sich. Helfen Sie mir beim Ankleiden. hulda hält ihm die Hose hin. Alfons steigt im Hemd in die Hose. Setzt sich auf den Bettrand und streckt Hulda die Füße hin. hulda zieht ihm die Scljuhe an. Alfons Ich versteh nicht - wo kann sie nur hin sein -hulda Beunruhigen Sie sich nicht, Herr Polizeipräsident, da kommt nie was dabei raus. Es ist so schönes Wetter heute, die Sonne scheint, Sie sollten einen Spaziergang machen. Alfons weinerlich Ganz allein - das macht doch keinen Spaß. Wo sind denn alle hin. Pluto ist tot. Die Kinder sind weg. Meine Frau ist weg. Wo sind denn alle -hulda Aber, aber, Herr Polizeipräsident. Sie als führender Mann müßten mit gutem Beispiel vorangehen. Kopf hoch tragen in allen Lebenslagen. Alfons schluchzt Ach Hulda, wenn Sie wüßten — hulda So, so, kämmen Sie sich jetzt das Haar und ziehen Sie sich die Jacke an. Hält ihm die Jacke des Fracks hin. 75 Alfons während er die Jacke anzieht Ach Hulda -Hulda Was ist denn, Kleiner. Alfons beginnt zh weinen. Wenn Sie wüßten - wenn Sie wüßten -hulda streichelt ihn. So, so - Alfons zieht Hulda schluchzend an sich heran, begräbt sein Gesicht zwischen ihren Brüsten. hulda streicht ihm durchs Haar und wiegt ihn hin und her So, so, so- alfons Wie soll nur alles werden - hulda drückt sein Gesicht an sich. Dann öffnet sie vom ihr Kleid und reicht ihm die Brust. Alfons saugt schmatzend, ab und zu aufschluchzend. Rechts im Dunkeln erscheint Grudek im weißen Rock. Er ergreiß den Besitzer des Casinos am Arm und zieht ihn empor. grudek Losaufstehn. der Besitzer des casinos Darf ich jetzt gehn. grudek Ja, jetzt gehts los. An die Arbeit. der Besitzer des casinos schreit Nein, nein-Hilfe-Alfons-mein Freund - Hilfe - Er wird herausgezogen. Die Krankenpfleger erscheinen, führen die Ziegen ab und räumen den Käfig und den Trog weg. Links im Dunkeln ist Erna auf den Karren gehoben worden. Der Diener zieht den Karren heraus, der Alte folgt. erna wimmernd Alfons - mein Mann - meine Kinder -hulda knöpft ihr Kleid zu. Alfons wischt sich den Mund, schluchzt noch ein paarmal zufrieden. hulda So, und jetzt machen wir einen Spaziergang draußen in der Sonne, wir zwei, und dann gehst du zum Friseur und läßt dich rasieren, kannst dir auch die Haare waschen lassen — wird schon alles gut werden, Kleiner, was — Vorhang XVI Vor dem Vorhang promenieren Alfons und Hulda Arm in Arm. Hulda trägt einen orangefarbenen Sonnenschirm, den sie spielerisch rotieren läßt. Alfons trägt keinen Kragen zum Frack. Die Jacke ist schief geknöpft, die Hose hängt verlottert. Einige Male 7* hört man das Donnern und Pfeifen vorbeifliegender Düsenjäger. Zeitungsverkäufer i kommt ihnen entgegen. Ruft Zeitungen aus Morgenblatt, Morgenblatt - Casino heute nacht ausgeraubt — Verwilderte Hunde - lest alles über die verwilderten Hunde -Neue Vivisektionsexperimente - Sensationelle Ergebnisse - Morgenblatt, Morgenblatt - Verschwindet. der bucklige graugekleidet, humpelt hinter Alfons und Hulda her, überholt sie, grüßt ehrerbietig Guten Morgen, Herr Polizeipräsident, wünsche wohl geschlafen zu haben, schönes Wetter heute. Verschwindet unter Bücklingen. Zeitungsverkäufer ii kommt ihnen entgegen. Die Morgenzeitung, Extraausgabe — Neue Skandale und Schiebungen der Versicherungsgesellschaft - Heute nacht wieder Attentate - Die Hundeplage nimmt zu - Unruhen im Polizeipräsidium - Extraausgabe -Extraausgabe - Während der letzten Ausrufe sind Alfons und Hulda verschwunden. Es wird dunkel. Die Stimme des Ausrufers ist noch zu hören. Ein paar Düsenjäger sausen vorbei. XVII Doktor Kübels Zimmer, wie zuvor. Redits im Bett Kübel, röchelnd, mit weit offenem Mund. Josefine in einem violetten Unterrock am Herd, aus dem es raucln. Das Fenster offen. Von draußen nodi die Rufe des Zeitungsverkäufers. Hin und wieder Geräusche vorbeifahrender Automobile. Entfernte Pfiffe und Schreie. Aus der Badewanne spritzt eine Wasserfontäne empor, die Leo ausspuckt. LEO auftauchend und aus der Wanne kletternd Hast du das Frühstück fertig, alte Vogelscheuche. josefine Ach sei doch lieb. LEO Ob du das Frühstück fertig hast, hab ich gefragt, du klappriges Gestell. josefine Gleich fertig, Liebster, hab dir einen Kuchen gebacken. Leo Na beeil dich, ich hab heut Wichtiges vor. josefine Gleich fertig, du, ich tu ja alles für dich, und du behandelst mich so. leo trocknet sich laut pfeifend ab. Pathetisch Große Dinge stehen heute bevor. Veränderungen. Umwälzungen. 77 josefine öffnet den Herd. Eine Wolke von Rauch quillt hervor. Sie nimmt einen verkohlten, rauchenden Kuchen heraus, versucht mit fuchtelnden Armen, den Rauch zu vertreiben, stellt den Kuchen in den Herd zurück und schließt die Luke. Leo vollführt ein paar Kniebeugen und Streckübungen mit den Armen, wobei er mit der Stimme eine Trompete nadoahmt. Gellende Geräusche von vorbeifliegenden Düsenjägern. Doktor kübel stöhnt und macht Ansätze zu einem Schreien. Seine Stimme ist wie erstickt. leo ergreift seine Hose, die über einem Stuhl hängt. Die Hose weist große Brandlöcher auf. "Was ist denn mit meiner Hose. Was hast du denn mit meiner Hose angestellt, du Sau. josefine Ach, ich wollte sie dir plätten, ich wollte sie dir nur schön machen, ich mag doch so gern, wenn du gut angezogen bist. Leo Schön machen, was. Schön hergerichtet hast du sie, du Aas. Er reißt die Hose zu Fetzen und wirft sie ihr ins Gesicht. Dann werd ich dem seine Hose anziehn. Läuft zum Bett, auf dem Kübels Kleider liegen, ergreift die Hose und zieht sie an. Düsenjäger sausen vorbei. doktor kübel beginnt zu sdneien. Er schreit gegen das Dröhnen an. Ein wahnsinniges, ohrenbetäubendes Geschrei. Nach einer Weile beruhigt er sich, wirkt erleichtert, liegt mit geschlossenen Augen, tief atmend. Leo hat ihm zugehört. Hat ers wieder. Ist er wieder auf Touren. josefine Die ganze Nacht ist das so gegangen. Der Arme, er ist so überanstrengt. leo Los, bring mir jetzt mein Frühstück. Steh nicht so blöd herum. josefine Öffnet wieder vorsichtig den Herd. Rauch qualmt hervor. Sie nimmt den Kuchen heraus, schließt die Luke. Gleich, Liebster, gleich. Setz dich aufs Bett. Hab dir auch Kaffee gekocht. leo zieht sich ein feuerrotes Hemd an und setzt sich auf den Bettrand. Von draußen her ein Poltern und Schreien. doktor kübel fällt in das Schreien ein, anfangs gedämpft, dann mit voller Kraft. Düsenjäger vorbei. leo schreit gegen das Geschrei und Dröhnen an. Schnauze halten, du Mumie, hör auf mit dem Gesabbele, ich kanns nicht mehr hören. Hör auf, hör auf. Da Kübel weiterschreit, springt er ihm auf die Brust, schüttelt ihn, würgt ihn, bis er verstummt. 78 josefine kommt mit der Kaffeekanne und einer Tasse. Gießt Leo Kaffee ein. Gebt zum Herd, um den Kuchen zu holen. Ein einzelnes Flugzeug nah vorbei. Hinter dem Fenster ist ein Kradyen und Bersten zu hören. leo Die Ziegel fliegen von den Dächern. Das ist noch gar nichts. Das ist nur der Anfang. Ihr werdet sehn, was noch kommt. Trinkt aus der Tasse, spuckt aus, verzerrt das Gesidrt. Was ist denn das für ne Brühe, was hast du denn da zusammengebraut, willst mich wohl vergiften. josefine kommt mit dem verkohlten, rauchenden Kuchen. Aber Liebster, was denkst du denn. Hab ich nicht immer dein Bestes gewollt. Hab ich dich nicht gehegt und gepflegt. Stellt den Kuchen auf dem Bett ab, setzt sich neben Leo und schlingt den Arm um ihn. leo Weg, du Gerippe. Du stinkst aus dem Maul. Faß mich nicht an. Du weißt doch, ich kanns nicht vertragen, wenn man mich anrührt. josefine Nur ein Küßdien. Spitzt die Lippen. Hab dir doch einen Kuchen gebacken. leo Was raucht denn da so. josefine reicht ihm den Kuchen. Ist noch ein bißchen warm. Gib mir ein Küßchen. Bist doch mein lieber Junge. leo stößt sie von sich. josefine dreht sich geziert im Unterrock. Findest du den nicht schön. Gefällt dir die Farbe nicht. leo Plunder, Mist. Springt auf und reißt ihr den Unterrock entzwei. josefine Was hab ich dir denn getan. Nichts ist euch gut genug. Bricht in Weinen aus. In einen Sack werd ich mich kleiden — in einen Sack — was anderes taugt nicht mehr für mich. Läuft zum Herd, neben dem ein Sack auf dem Boden liegt. Sie stülpt sich den Sack, der eine Öffnung für den Kopf hat, über. Nur noch einen Sack werde ich tragen - und mit Asche werde ich mich bestreun -etwas besseres bin ich nicht wert, öffnet heulend die Herdluke, nimmt eine Handvoll Asche heraus und bestreut sich damit. leo nimmt den Kuchen, will ein Stück abbredoen, verbrennt sich. Was ist denn das wieder, Drecksvieh. Schleudert Josefine den Kuchen an den Kopf. Wieder Düsenjäger vorbei. Draußen hinterm Fenster das 79 Geräusch eines heftig bremsenden Automobils, ein Krad} und ein Klirren. Leo So ists recht. Nur so weiter, nur so weiter. Doktor kübel fängt aufs neue an zu schreien. leo reißt ihn empor, schüttelt ihn, hebt ihn aus dem Bett, setzt ihn auf den Bettrand. Hör auf, hör auf. Doktor kübel beruhigt sich allmählich, sitzt schließlich steif, in Unterhosen, auf dem Bettrand. leo Zieh wenigstens ein Hemd an, ich kann deine picklige Hühnerbrust nicht ansehn. Wirft Kübel ein Hemd über den Kopf. Doktor kübel sitzt reglos da, das Hemd über dem Kopf. josefine nähert sich Leo. Ich werd dir einen neuen Kuchen backen, ich werd dir einen neuen Kaffee kochen, bitte sei mir nicht böse, ich meins doch so gut, ich kanns doch nicht helfen, wenn mir alles verbrennt, es ist der Herd, ich kann doch nichts dafür - leo Heul nicht, ich kanns nicht mit anhören. Gib ihm den Kuchen. Stopf ihm das Maul damit, wenn er wieder zu schreien anfängt. Klopft Kübel an den verdeckten Kopf. doktor kübel sitzt starr, mit dem Hemd über dem Kopf. Düsenjäger vorbei. Draußen das Dröhnen eines einstürzenden Hauses, leo springt auf, eilt zum Fenster. Lacht. Jetzt gehts los. Schreiend Es lebe die Revolution. Die Stunde der Freiheit hat geschlagen. Die Tyrannen sollen vernichtet werden. Läuft zu Kübel zurück, klopft ihn an den Kopf. doktor kübel verharrt reglos. leo Freßt eure Scheiße, sauft eure Jauche. Aber ohne mich. Läuft zum Fenster, springt aufs Fensterbrett. Ein vorbei donnerndes Geschwader von Düsenjägern, ein Krachen und Klirren. leo durch das Getöse schreiend Es lebe die Revolution. Bewohner der Stadt - die Freiheit bricht an - stürzt die Tyrannen. Er klettert aus dem Fenster. josefine schüttelt Kübel. Wach auf, komm zu dir. doktor kübel sitzt stocksteif, mit dem Hemd überm Kopf. josefine eilt zum Fenster. Leo, Leo, wo willst du hin. Bleib hier. Ich back dir Kuchen. Ich koch dir Kaffee. Ich kanns. Ich werd dir zeigen, daß ichs kann. Leo, Leo - läuft weinend zu Kübel zurück und schüttelt ihn. 80 Leo ist draußen verschwunden. Das Dröhnen läßt langsam nach. josefine sitzt neben Kübel, der erstarrt dasitzt, das Hemd über dem Kopf. Sie hat den Arm um ihn gelegt und wiegt sich mit Kübel hin und her. XVIII Eine Kulisse herab mit zwei Türen. Die folgende Szene spielt sich vor der Kulisse ab, während dahinter die Veränderungen zur letzten Szene vorgenommen werden. Über der linken Tür das Schild Friseur, mit dem üblichen Gewerbezeichen. Über der rechten Tür das Schild Polizeiwache. Rechts tritt Hulda auf, mit dem Sonnenschirm. Sie promeniert langsam, wartend, auf und ab. Ein paar Arbeiter erscheinen und stellen eine Bank zwischen den Türen auf. Sie verschwinden wieder. Die Tür zum Friseursalon wird aufgerissen und Alfons eilt heraus, in Hemdsärmeln. Er ist nicht wiederzuerkennen. Seine Backen sind eingeseift, sein Haar ist schneeweiß und das Bärtchen ist zu einem schmalen Streifen unter der Nase verkürzt. Er hält einen Handspiegel vor sich. Alfons Was haben Sie getan, Sie haben mir den Schnurrbart ja viel zu kurz geschnitten. der friseur erscheint hinter ihm, eine große Schere in der Hand. Entschuldigens, Herr, ist mir versehentlich passiert, das wächst aber bald nach. Alfons Das geht doch nicht, wissen Sie nicht, mit wem Sies zu tun haben, ich bin der Polizeipräsident. der friseur Entschuldigens, Herr Polizeipräsident, seins mir nicht böse, kommens, ich werds reparieren. Tritt an Alfons heran, faßt ihn elegant an der Nase und legt die Schere an den Rest des Bärt-chens. Während Alfons den Kopf zurückhält, schneidet er ihm den Schnurrbart ganz ab. S'ist schon besser, wir Schneidens ganz ab, dann wächsts richtig nach. Werd Sie dann auch gratis rasieren, Herr Polizeipräsident, ist mir eine Ehre, Herr Polizeipräsident. Alfons hält sich wieder den Spiegel vor. Aber mein Haar - Um Himmelswillen, mein Haar - was ist denn mit meinem Haar los - das ist ja ganz weiß. der friseur überrascht Weiß - ja, wars denn net früher weiß - Alfons Schwarz wars. Kein graues Haar hatte ich. 81 der friseur Es wird schon weiß gewesen sein, denkens doch mal nach. Alfons Wenn ich sage, es war schwarz, dann wars schwarz. der friseur Vielleicht wars das Wachsmittel. Ja, das kann schon mal passieren, Herr, Sie müssen aber sehr empfindliches Haar haben. Während des Folgenden stiehlt sich der Bucklige aus der Tür hervor, mit Alfons' Frackjacke unterm Arm. Er begibt sich ans linke Bühnenende, nimmt dort, verstohlen um sich blickend, Brieftasche und Papiere aus der Jacke, blickt hinein, steckt sie in seine Hosen-tasche und "wirft die Jacke weg. Die Hände auf dem Rücken spaziert er über die Bühne, setzt sich auf die Bank, schlägt die Beine übereinander, gähnt, zeigt keinerlei Interesse an der Auseinandersetzung neben ihm. Auch Hulda promeniert ohne Anteilnahme hin und her. Alfons Sie müssen mir das Haar schwarz färben. So kann ich doch nicht herumlaufen. der friseur Lieber Herr, das wag ich net. Das Haar verträgts net. Wenns so empfindlich ist, dann kann ich ihm die Färbung jetzt net zumuten. Sie müssen halt ein bissei Geduld haben. Wenns nachwächst wirds schon wieder schwarz, wenns schwarz war. Das garantier ich Sie. Alfons Das werden Sie mir teuer bezahlen, das kann ich Ihnen sagen. Ich werde Ihren Laden schließen lassen, darauf können Sie sich gefaßt machen. der friseur Das werdens schön bleiben lassen. Weißhaarig sinds gewesen, darauf besteh ich. Alfons zu Hulda Hulda, Hulda - kommen Sie mal her. Hulda überrascht Woher wissen Sie denn, wie ich heiße. Alfons Aber Hulda, erkennen Sie mich denn nicht mehr, ich bin doch der Polizeipräsident. Hulda lachend Polizeipräsident kann jeder sagen. Der Polizeipräsident, der sieht anders aus. Ein blühender Mann - Schwarzes Haar, gepflegt, ein Herr. Ein Mann in den besten Jahren. Alfons Aber Hulda, ich bins doch. Der Gauner hier hat mich nur so zugerichtet. hulda wendet sich ab. Belästigen Sie mich nicht. Ich kenn den Polizeipräsidenten aus nächster Nähe. Promeniert wieder auf und ab. 82 Alfons zum Friseur Meine Jacke. Los, bringen Sie mir meine Jacke. der friseur Was für ne Jacke. Sie kamens ohne Jacke. Ist doch so schönes Wetter heute. Alfons drängt sich an ihm vorbei, läuft in den Laden. Meine Jacke. Wo ist meine Jacke hin, mit meiner Brieftasche und allen Papieren. der friseur Jetzt ists aber genug. Sowas kann man sich ja nicht gefallen lassen. Schließlich lebt man in einem Rechtsstaat. Jetzt hö-rens mit der Stänkerei auf. Alfons wieder hinaus Mit einer Jacke bin ich reingekommen, und mit schwarzem Haar und mit Schnurrbart - und wie komm ich heraus — Hulda, Hulda - sagen Sie es ihm doch. der friseur schüttelt den Kopf. Die alten Herren heutzutage -immer jung wollen sie sein und sich was vormachen. Fräulein, Sie kÖnnens ganz beruhigt sein, der Alte hier kam so weiß herein wie er rauskam, und ne Jacke hab ich an ihm nie gesehn. Alfons Meine schwarze Hose - Hulda, Hulda - erkennen Sie die nicht wieder - Hulda wendet sich verächtlich ab. Schwarze Hose kann jeder haben. Verläßt rechts die Bühne. Alfons Räuber, Bandit. Bestohlen haben Sie mich. Ich werd Sie einlochen lassen. der friseur Habens nichts andres zu tun als am hellichten Tag friedliche Leut zu belästigen. Machens daß Sie wegkommen, sonst hol ich die Polizei. Alfons Ja, hol die Polizei. Packt ihn und schlägt auf ihn ein. Der Friseur schlägt zurück. Der Bucklige erhebt sich und schleicht sich heran, versetzt Alfons von hinten einen Schlag, so daß er zusammensackt. Der Friseur und der Bucklige schleppen Alfons zur Bank und setzen ihn dort nieder. Der Friseur geht in den Laden zurück und schließt die Tür. Der Bucklige zieht Alfons die Hose aus und geht mit der Hose davon. Alfons sitzt im Hemd auf der Bank. Im Hintergrund ertönen die singenden Stimmen der Kinder. die kinder treten auf, Pluto (eine Attrappe) in hoch erhobenen Händen tragend. Andere Kinder folgen ihnen. Sie singen Ein Grab wolln wir graben ein Grab wolln wir graben ein Grab wolln wir graben ein Grab wolln wir graben - 83 Alfons erwacht aus der Betäubung. Meine Kinder - meine Kinder — die kinder lachend Guck mal - Jesus - alle schreiend Jesus - Jesus - Sie gehen schreiend und singend weiter. Ein paar Passanten, darunter Leo, sammeln sich an. Alfons ist aufgestanden. Meine Kinder - erkennt ihr mich denn nicht - ich bin doch euer Vater -Die Passanten lachen. die kinder indem sie die Bühne verlassen Jesus, Jesus - dann weitersingend Ein Grab wolln wir graben ein Grab wolln wir graben ein Grab wolln wir graben ein Grab wolln wir graben - Aus der Tür der Polizeiwache sind während des Geschreis ein paar Polizisten hervorgetreten. Sie sind identisch mit den beiden, die am Anfang des Stücks den Polizeipräsidenten bewachten. Die Passanten stehen um Alfons herum und lachen. Polizist i Was ist denn hier los. Gelächter Alfons Ausgeraubt hat man mich, hier vor der Polizeiwache. Wo habt ihr denn eure Augen. Ich bin euer Vorgesetzter. Ich bin der Polizeipräsident. Johlendes Gelächter. Die Polizisten greifen ihn am Arm. Alfons Loslassen. Sie sind mir Respekt schuldig. Ich bin der Polizeipräsident. Polizist ii lachend Mensch reg dich nicht so auf. Komm mit auf die Wache und schlaf deinen Rausch aus. Alfons Ist ja unerhört. Ich werd Sie mir merken. Ich bin völlig nüchtern. Man hat mich bestohlen. Polizist i zieht Alfons zur Tür der Wache. Das wird sich alles auf der Wache herausstellen. Die Polizisten ziehen Alfons, der heftig widersträubt, in die Wache. Die Passanten gehen lachend ab. XIX Die Kulisse wird hochgezogen vor dem Interieur der Polizeiwache. In der Mitte der rückwärtigen Wand ein Text Polizeiwache i. Bezirk, darunter eine große Projektion vom Bild des 84 Polizeipräsidenten, mit dem Text Seid stets solidarisch mit dem Polizeipräsidenten. Rechts und links breite Fenster. Im Hintergrund ein Pult mit dem wachthabenden Polizeikommissar. Auf der Bühne zwei Reihen Nähmaschinen, an denen Frauen Uniformstücke flicken. Beim Heben der Kulisse beginnt ein allgemeines Surren der Nähmaschinen, das während der ganzen Szene anhält. Alfons wird von den Polizisten hereingeführt, in direkter Fortsetzung der vorherigen Szene. Die Polizisten drehen die Bank, die noch dasteht, um und drücken Alfons darauf nieder. Der eine Polizist setzt sich neben ihn, der andere geht zum Wachthabenden. Im Gesurr der Nähmaschinen ist nicht zu hören, was hinten am Pult gesprochen wird. Alfons will aufspringen und wird vom Polizisten festgehalten. Ich bin der Polizeipräsident. Einige der nächstsitzenden Näherinnen kichern. Alfons ist es gelungen, sich loszureißen. Er fuchtelt mit den Armen und schreit Wachthabender, werden Sie jetzt sofort den Fall aufklären. Polizist Ii versetzt ihm einen Schlag in den Magen, so daß er sich zusammenkrümmt. Dann läßt er ihn auf der Bank sitzen und geht auf und ab. wachthabender im Hintergrund durch das Gesurre rufend Schnauze halten. Wir haben Wichtigeres zu tun, als uns das Gerede von Idioten anzuhören. Alfons sitzt zusammengesunken auf der Bank. Eine Näherin in seiner Nähe, ein junges Mädchen, erhebt siclo mit einem Kleiderbündel. Während der Polizist sich abseits befindet, beugt sie sich über ihn. das mädchen Was ist denn mit dir. Alfons hebt den Kopf. Ich bin der Polizeipräsident, du mußt mir glauben. das mädchen mit einem Blick auf das Bild an der Wand Aber der Polizeipräsident kannst du doch nicht sein, der sieht doch ganz anders aus. Alfons Du mußt mir glauben - du mußt mir glauben -das mädchen streicht ihm im Vorbeigehen durch das Haar Ja, ich glaub dir schon, ich glaub dir schon. Sie trägt das Kleiderbündel zu einem Tisch und kommt mit neuen Kleidungsstücken zurück. 85 Hinter den Fenstern laufen johlende Menschen vorbei. Darunter auch Leo und der Bucklige, die einen Augenblick stehen bleiben und hereinblicken. Geschrei und Pfiffe. das Mädchen indem sie an Alfons vorbeigeht Ich werd dir helfen. Ganz bestimmt. Ich werd dir helfen. Sie setzt sich wieder an die Maschine. eine Näherin neben ihr Brauchst wohl einen neuen Zuhälter. das Mädchen Ach laß doch. Alfons schreit Wie lange wollt ihr mich hier noch sitzen lassen. Ich spreche als Vorgesetzter zu euch. Polizist i zurückkommend Der ist ja ganz übergeschnappt. Hebt vor Alfons die Hand Du hast zu warten, bis wir Zeit für dich haben. Alfons duckt sich zusammen. Die beiden Polizisten gehen im Vordergrund, in entgegengesetzten Richtungen, auf und ab. Wieder laufen Menschen an den Fenstern vorbei. Auch Hulda erscheint, mit dem orangefarbenen Sonnenschirm. Langsam geht sie von rechts nach links und blickt in die Fenster herein. das Mädchen rückt die Nähmaschine näher an Alfons heran. Beugt sich zu ihm vor. Mir ists egal, wer du bist - du - eine nÄherin neben ihr Was willst du denn mit solchem Gesindel - das Mädchen Ach laß doch. Zu Alfons Du kannst bei mir wohnen. Du - versuch, zu fliehen - ich komm dir nach. Alfons sitzt lauernd und blickt sich um. Hinter den Fenstern führt Leo eine Volksmenge an. Schreie und Pfiffe. Trillerpfeifen. leo Freiheit - Freiheit - es lebe die Revolution - nieder mit den Tyrannen. Geschrei und Trillerpfeifen. Die Menge beginnt zu laufen. Polizisten verfolgen sie. Alfons springt auf, versucht, nach vorne rechts auszubrechen. Die beiden Polizisten werfen sich über ihn, bearbeiten ihn mit Fäusten und Fußtritten, werfen ihn nieder. Die Volksmenge, angeführt von Leo, läuft jetzt im Vordergrund der Bühne vorbei, von Polizisten verfolgt. das Mädchen läuft zu ihnen hin und schreit Laßt ihn los - er hat euch doch nichts getan - er ist doch unschuldig -Polizist i Ebenso ne Unschuld wie du. Die Näherinnen lachen und nähen weiter. das Mädchen ängstlich zurück. Setzt sich wieder an die Nähmaschine. eine näherin neben ihr Los - weiternähen - der ist doch nichts für dich. Die beiden Polizisten führen Alfons, der sich heftig wehrt, nach links ab. Alfons Wohin wollt ihr denn mit mir. Polizist Ii Dorthin wo solche wie du hingehören. das mädchen springt auf und will ihm nachlaufen. Die Näherin neben ihr hält sie am Rock fest und zieht sie zur Nähmaschine zurück. Während Alfons links mit Gewalt von den Polizisten weggeschleppt wird und verschwindet, gehen im Vordergrund der Bühne von links nach rechts Hulda und Grudek vorbei. Sie promenieren langsam, lachend. Hulda läßt den Sonnenschirm rotieren. Die Nähmaschinen surren. Vorhang 87 Nacht mit Gästen Eine Moritat Personen Mann Frau Zwei Kind Gast Warner mann und frau Uise Was will der Mann in unserm Haus wir haben ihn nie gesehen er macht ganz leis die Türe auf und kommt herein auf Zehen kinder Ene mene mink mank pink pank pink pank ene mene eia weia acke wacke weck mann und frau leise Kann das der Peter Kruse sein der so spät noch kommt herein stumm da steht mit seinem Bart und mit seinen Augen starrt kinder Ist das der Peter Kruse mit der roten Bluse gast Ich bin der Kaspar Rosenrot mit meinem Messer stech ich euch tot husch flusch Pustekuchen kommt der Kaspar euch besuchen kinder Ach lieber Kaspar Rosenrot Laß uns am Leben mach uns nicht tot mann und frau leise Da steht er jetzt in unserm Haus die Tür hat er geschlossen und bald ist es mit uns wohl aus und unser Blut geflossen laut Komm lieber Kaspar Rosenrot und teil mit uns das Abendbrot gast Das Abendbrot das mag ich nicht ich esse selbst viel besser eßt ihr es auf dort unterm Licht 91 ich schärf dieweil mein Messer mann und frau Ach komm zu uns und bleib bei uns du kannst hier bei uns leben mit deinem Kommen freust du uns wir wolln dir alles geben gast Macht euch nur keine Sorgen was ihr habt hab ich auch ganz weit bin ich schon morgen mit allem was ich brauch mann und frau leise Wie können wir denn essen hier wenn er dort steht an unsrer Tür der Fisch das Bier uns garnicht schmeckt wenn gleich sein Messer in uns steckt kinder Ene mene mink mank pink pank pink pank ene mene eia weia acke wacke weck gast schleiß sein Messer Schliff schliff schleif das Messer ist hart die Haut ist weich mann und frau Ach lieber Kaspar bleib doch hier alles was wir haben geben wir dir wenn wir tot sind können wir dir nicht sagen was wir alles haben gast Was habt ihr denn ihr Lieben außer dem Huhn und den Ziegen mann, frau und kinder Wir haben keinen Kamm wir haben keinen Schwamm wir haben keine Seife doch eine rosa Schleife wir haben eine Schüssel wir haben einen Schlüssel 92 wir haben ein paar Betten und darauf ein paar Decken wir haben vier Stühle und einen Tisch darauf etwas Bier und einen Fisch ach wir sind arme Leute du machst hier keine Beute gast Was lügt ihr da ich werds euch zeigen mit dem Messer bring ich euch zum Schweigen mann Ach lieber guter Herr Rosenrot wir leben hier in großer Not wir gäbens schon auf wenn ich nicht wüßte von einer goldgefüllten Kiste gast Und wo ist diese Kiste hin mit dem besagten Gold dadrin mann Sie liegt am Teich im Schilfe ihr findet sie nicht ohne Hilfe gast Schliff schliff schleif das Messer ist hart die Haut ist weich zuerst deine Kinder dann deine Frau nehm ich mir her du weißts genau mann Ach lieber Kaspar wie könnt ich denn lügen wie könnt ich so dumm sein euch zu betrügen wenn ich so ganz in meiner Näh euer scharfes Messer seh gast So schicke deine Kinder aus daß sie die Kiste schaffen ins Haus mann Ach lieber Kaspar ach dafür sind die Kinder viel zu schwach diese Kiste kann ich euch sagen können kaum zwei Männer tragen 93 gast Ist die Kiste wirklich so schwer und wo habt ihr denn die Kiste her mann Soldaten ließen das große Stück einmal auf der Flucht zurück gast Warum habt ihr denn die Kiste versteckt und euern Tisch so ärmlich gedeckt eigentlich seid ihr doch sehr reich mit solch einer Kiste im Teich mann Ach lieber Gast auf unsrer Diele die Zeiten sind schlecht Räuber gibts viele fast jeden Tag kommt einer vorbei und nimmt dem Huhn das einzige Ei und läßt den unreifen Apfel kaum hängen an dem Apfelbaum und nimmt die harte Beere auch von unserm dürren Himbeerstrauch und gräbt die Kartoffel aus der Erd und reitet weiter auf seinem Pferd ach wenn ich daran denke wenn er noch Gold hier fände und Silber und Ringe und eine Krone glaubt ihr daß er uns verschone gast Ich seh du bist ein kluger Mann und packst die Sache tüchtig an du wirst auch genug Kräfte haben die Kiste allein hierher zu tragen dieweil bleib ich bei deinem Weib und setz ihr das Messer auf den Leib Kinder leise Wo bleibt denn Peter Kruse mit der roten Bluse mit der Bluse feuerrot hilft er den Armen in der Not 94 gast Husch flusch Pustekuchen nach Peter Kruse könnt ihr lange suchen der hat mich kaum gerochen hat er sich schon verkrochen sieht er mein Messer blitzen läßt er euch alle sitzen den Peter Kruse den gebt nur auf der ist schneller als der Hase in seinem Lauf mann Kommt mit mir lieber starker Herr denn ich bin schwach und die Kiste ist schwer gast Halts Maul und bind deiner Frau die Hände meine Geduld ist jetzt bald zu Ende mach schnell ich hab keine Zeit mein Weg ist in dieser Nacht noch weit und binde sie fest das rat ich dir sonst lebt sie nicht mehr lange hier und mach dich dann gleich auf die Socken glaubst du es macht mir Spaß hier zu hocken mann Und wenn ich euch nur sagen kann daß ich sie nicht allein tragen kann gast Jetzt zähle ich bis zehn dann will ich die Frau gefesselt sehn Eins Kinder leise Es geht ein Plumpsack gast Zwei kinder in unserm Kreis herum gast Drei kinder dreimal drei ist neune 95 gast Vier kinder ihr wißt ja wie idis meine gast Fünf kinder es geht ein Plumpsack gast Sechs kinder in unserm Kreis herum gast Sieben kinder dreimal drei ist neun gast Acht kinder und eins dazu ist zehn gast Neun kinder dreht euch nicht um gast Zehn kinder der Plumpsack geht rum gast Streck mir mal die Hände hin sitzen sie auch fest in den Fesseln drin jetzt mal schütteln laß mich mal rütteln und jetzt aber raus und die Kiste ins Haus frau Und wenn er sie nicht heben kann was wird aus unserm Leben dann gast Schliff schliff schleif das Messer ist hart die Haut ist weich bis fünfzig zähl ich hier im Stillen und hat er dann nicht erfüllt meinen Willen dann liegt ihr hier alle in euerm Blut und du da draußen sei auf der Hut du kannst nicht verschwinden ich werde dich finden in allen Verstecken werd ich dich entdecken du hast nichts zu wählen jetzt fang ich an zu zählen kinder Ach Vater Vater laß uns nicht allein mit diesem Mann im Lampenschein mann Seid still Kinder habt Geduld es ist doch nicht meine Schuld seid freundlich zu unserm Gast bedient ihn und fallt ihm nicht zur Last Ab frau Seid still Kinder ihr habt doch vernommen euer guter Vater wird wiederkommen mit der großen Kiste kommt er herbei denn Kräfte hat er jetzt für zwei ihr wißt doch die große Kiste voll Gold die wir einmal durchs Schilf in den Teich gerollt kinder Ja wer davon wüßte von unsrer großen Kiste wer davon wüßte pink pank mit allem Gold drin klink klank und mit der Krone eia weia acke wacke weck der hätte unsre Kiste längst mit nem Gerüste 97 ene mene rausgezogen aus dem Teich und hoch nach oben unsre Kiste mink mank mit allem Gold drin pink pank gast Habt ihr denn die Kiste gesehen kinder Wir standen auf Zehen und sahen hinein und drinnen war alles von goldenem Schein gast So war es kinder So wahr es wahr ist frau Kinder stört unsern Gast nicht beim Zählen sonst weiß er nicht welche Zahl zu wählen und könnte leicht die Rechnung verfehlen ach wie mir die Hände schwelen kinder Lieber Herr Gast mit dem Messer wäre es nicht angenehmer und besser Sie würden das Messer aus den Händen nehmen und sich hier auf den Stuhl bequemen sicher sind Sie müde nach langen Wegen und lassen sich gern von uns pflegen frau Kinder ihr dürft unsern Gast nicht verwirren er könnte sich sonst beim Zählen irren ach wie mir die Adern schwirren kinder Mutter Mutter warum ist der Gast so stumm und warum sieht er sich immer nach der Türe um glaubt er daß sie das Haus schon umzingeln und gleich mit ihren Sensen klingeln frau Kinder laßt den Gast zufrieden hier kommt niemand wir leben ganz abgeschieden ach wie mir die Hände sieden KINDER Mutter warum läßt er die Augen so rollen warum ist sein Gesicht so verquollen warum ist seine Nase so rot warum sind seine Stiefel voll Kot FRAU Kinder das kann ich euch nidit sagen sicher hat er viel zu klagen sicher ist er einsam und allein und möcht lieber zuhaus bei seiner Familie sein KINDER Armer Kaspar Rosenrot vielleicht ist seine Familie tot vielleicht hat er kein Heim kein Haus und hält es draußen nicht mehr aus FRAU Kinder ihr müßt schweigen wenn der Gast will kann er ja bleiben es gehört ihm ja alles hier die Stühle der Tisch der Fisch und das Bier es gehören ihm die Betten es gehören ihm die Decken es gehört ihm die Schüssel es gehört ihm der Schlüssel wir gehören ihm ganz auch ohne Seife und es gehört ihm sogar die rosa Schleife KINDER Ach Mutter ach Mutter was macht er für Augen glaubst du denn daß wir ihm taugen FRAU Ach Kinder vielleicht nimmt er mit uns vorlieb jetzt wo der Vater im Teiche blieb ich fürchte er konnte die Kiste nicht heben und sie zog ihn nach unten und nahm ihm das Leben ach Friedrich ach Friedrich mein mußt du im Sumpf unterm Schilfe sein und niemehr werden wir dich finden weil im Regen deine Spuren verschwinden und vergessen habe ich die Stelle 99 wo wir einmal in der Helle aus dem Karren die Kiste lenkten und im lehmigen Wasser versenkten ach Friedrich ach Friedrich allein mit dem Fremden läßt du mich kinder Lieber Vater Rosenrot komm und teil unser Abendbrot komm und bleibe unser Gast selbst wenn du keinen Hunger hast iß von dem Fisch und trink von dem Bier sei unser Vater und bleibe hier frau Ach lieber Kaspar sieh mich an teile mein Bett und sei mein Mann kinder Ene mene mink mank pink pank pink pank ene mene eia weia acke wacke weck gast schreiend Ihr habt mich belogen ihr habt mich betrogen der Mann hat sich nicht ins Wasser sondern ins Weite verzog« er holt keine Kiste aus dem Schilfe er holt sich die Nachbarn her zur Hilfe aber das werdet ihr mir büßen in euerm Blut werdet ihr liegen zu meinen Füßen kinder und frau Ach lieber Kaspar Rosenrot laß dein Herz erweichen was nützen wir dir schon wenn tot dienen können wir dir nicht als Leichen im Karren werden wir dich schieben und ziehn du kannst uns seilen wir werden nicht fliehn wir werden für dich betteln und den Schirm über dich halten dich umwickeln mit Decken daß dir die Fuß nicht erkalten so hast du zur Hilfe einen ganzen Haufen das ist besser als allein rumzulaufen ioo und auf den Wegen zu gehn ist jetzt nicht leicht die sind vom Unwetter aufgeweicht ach lieber Kaspar hör uns zu bei uns hast du Frieden bei uns hast du Ruh gast Das könnt euch so passen daß sie kommen und mich hier fassen ich bin nicht so dumm erst schlag ich euch um frau Ach Kaspar dem Friedrich dem kannst du trauen und auf sein Wort auf das kannst du bauen nur reichen seine Kräfte nicht aus und jetzt bist du der Herr im Haus gast Still ich höre draußen Schritte schnell allesamt in die Mitte hierher neben die Mutter und euch nicht rühren sonst werdet ihr mein Messer spüren Pause Wo ist der Schlüssel frau Er liegt in der Schüssel gast Und wo habt ihr die Schüssel stehn frau Hab sie doch eben noch gesehn ein kind Sie stand in der eia eia Eck zweites kind Jetzt ist sie acke wacke weg gast Her mit dem Schlüssel mit oder ohne Schüssel Es klopft. gast flüsternd Ich rate euch euch nicht zu regen und keinen Laut von euch zu geben ich stelle mich hier vor euch hin 101 und wenn ihr wollt ist mein Messer in euch drin ein unnützes Wort und ich tu es gleich das Messer ist hart und die Haut ist weich Es klopß noch einmal. Wer ist dort wer kommt da so spät Warner von draußen Ich wollt nur sehen wies euch geht gast Wer bist du uns geht es gut warner Räuber gehn um seid auf der Hut gast wir leiden keine Not und Räuber schlagen wir tot warner Habt ihr auch die Tür gut verschlossen gast Glaubst du wir sind so dumm und lassen sie offen warner Dann geh ich wieder gute Nacht und seid vor den Räubern auf der Wacht gast Ja geh du nur wie du auch heißt und was du auch von Räubern weißt viel kanns nicht sein du armer Tropf ohne was in deinem Kopf Kinder flüsternd Vielleicht wars Peter Kruse mit der roten Bluse gast Ich muß mir die Sache mal überlegen vielleicht komm ich doch euerm Anerbieten entgegen und könnte euch noch eine Weile verschonen und bis auf weiteres bei euch wohnen kinder Ach lieber Kaspar alles werden wir für dich tun leg dich hierhin um dich auszuruhn wir werden dir die Stiefel abziehn und putzen und die Pantoffeln vom Vater kannst du benutzen 102 und deine schweren Kleider zieh aus ist noch eine Schlaf jacke vom Vater im Haus aufs weiche Kissen leg deinen Kopf und unters Bett stelln wir dir den Topf ach lieber Kaspar Rosenrot hier bei uns leidest du niemehr Not frau Und gleich werd ich im Herd das Feuer schüren könnt ich nur meine Hände rühren ganz abgestorben sind sie mir in diesen engen Fesseln hier gast Dann werd ich euch zeigen wie ich sie in der Mitt zerschneide mit einem einzigen Schnitt so und jetzt denkt daran was dieses Messer alles kann kinder und frau UlSC Jaja jaja wir denken dran wie er das Messer schwenken kann er ist unser Herr und Meister und wir sitzen hier im Kleister wir müssen tun was er verlangt weil uns vor seinem Messer bangt kinder Es geht ein Plumpsack in unserm Kreis herum dreimal drei ist neune ihr wißt ja wie ichs meine drei mal drei ist neun und eins dazu ist zehn jetzt bleibt der Plumpsack stehn er rüttelt sich er schüttelt sich er wirft die Jacke hinter sich jetzt hält er uns die Stiefel hin mit seinen dicken Beinen drin jetzt wirft er seine Mütze ab hu was für buschiges Haar er hat jetzt streicht er sich durch seinen Bart 103 der kracht und knirscht wie Draht so hart die rote Nase schneuzt er sich wie ein Gewitter fürchterlich wenn ihr ihn ohne Stiefel seht er wie in schwarzen Strümpfen steht sind aber keine Strümpfe ist nur gegangen durch Sümpfe und was wir sehen sind seine Zehen die Hose ziehen wir ihm aus und die bleibt stehen wie ein Haus sein Hemde stellen wir daneben gemeinsam wir ins Bett ihn heben die Schlaf jacke ziehn wir ihm an da liegt er unser guter Mann da liegt er dick da liegt er fett der Plumpsack liegt in unserm Bett frau Wo hat er denn sein Messer hin kinder Er hats in seinen Händen drin frau Schläft er denn schon der liebe Mann fühlt doch mal seine Hände an kinder Die Hände hält er fest geballt um sein Messer hart und kalt ein kind Und wenn ich ihm mal blase auf die rote Nase zweites kind Und wenn ich ihn mal ans Ohr tupfe ein kind Und wenn ich ihn mal am Bart zupfe zweites kind Und wenn ich ihn mal am Haar rupfe ein kind Und wenn ich ihn mal am Arm zwicke 104 zweites kind Und wenn ich ihn mal auf die Stirn picke ein kind Er liegt ganz still und regt sich nicht tief in der Matratz mit seinem Gewicht kinder Wir holen die rosa Schleife und binden sie ihm um dreimal drei ist neune du weißt ja wie ichs meine schnell die rosa Schleife um seinen Hals herum Pause Er liegt auf seinem Rücken wir wollen ihn schmücken die rosa Schleife binden wir um seinen Hals zu seiner Zier gast schreiend Ha ha ich weiß schon was ihr wollt sofort ins andre Bett euch trollt und keinen Mucks mehr von eurer Seite sonst werf ich euch ins Feuer wie Scheite und du Frau kommst jetzt zu mir her und machst die Matratze noch doppelt so schwer kinder Ach Kaspar sieh uns rennen zu unserm Bett so schnell wir können gast Und zieht euch die Decke übern Kopf so daß ich seh weder Schopf noch Zopf und komm jetzt blas die Lampe aus damit es dunkel wird im Haus komm zu mir und halt mich warm frau Mit solch einem Messer im Arm leg doch das Messer an die Wand gast Das Messer laß ich nicht aus der Hand 105 frau Ich kann dich doch nicht wärmen mit deinem Messer in den Gedärmen gast Du tust was ich sage und bist still ich halte das Messer wie ich will Kinder flüsternd Ene mene mink mank pink pank pink pank ene mene eia weia acke wacke weck Es klopft. gast Wer kommt denn da wieder in der Nacht und klopft daß man aus dem Schlaf erwacht warner Verzeiht daß ich euch noch einmal störe aber ein Räuber geht um wie ich höre nicht daß ich es mit Bestimmtheit wüßte aber man sagt er schleppt eine große Kiste es heißt auch er sei ein riesiger Mann der ein Pferd mit einem Arm heben kann ich hab ihn selbst noch nicht gesehn doch man sagt er sollte hier ums Haus rumgehn der Himmel ist trübe man sieht keine Sterne wenn ihr Hilfe wollt bleibe ich gerne frau Wer kann denn das sein ach tritt doch ein gast Schweig still wenn du dich rührst das Messer du im Bauche spürst Die Tür wird geöffnet. warner Da könnt ihr wohl nichts dafür hier zu schlafen bei offener Tür wenn es draußen wimmelt von Strolchen mit Schießeisen Schlagringen und Dolchen 106 gast Willst du dich gleich hinausscheren ich kann mich gegen die Kerls schon wehren wer hat dich denn gebeten in unser Haus einzutreten warner Verzeiht mir aber ich hörte genau die Stimme da von eurer Frau frau Nein nein ihr habt euch geirrt es war wohl der Wind der draußen schwirrt warner Es schwirrt kein Wind die Luft ist still kein Zischen kein Säuseln in Ritz und Rill gast Jetzt hab ich genug von deinem Gerede hinaus mit dir und geh deiner Wege warner Da draußen ists mir nicht geheuer da schleicht sich einer ums Gemäuer ich hör ihn zwischen den Bäumen schnaufen da kriecht durch den Nebel ein riesiger Haufen verschließt die Tür verriegelt sie gut wir brauchen jetzt unsern ganzen Mut kinder Die Tür geht nicht zu schließen ene mene mink hier zu unseren Füßen ene mene mank eine Schüssel leer und blank pink pank pink pank hier in dieser Schüssel lag einmal ein Schlüssel der gehört zu unsrer Tür doch jetzt ist er nicht mehr hier ene mene eia weia acke wacke weck warner Ich hab mein Messer schon bereit 107 ich fürchte er ist nicht mehr weit ich bleib hier stehn an dieser Stelle und stech ihn nieder auf der Schwelle frau Nein nein gast Kein Schrein du weißt warum ich drehs noch um Kinder leise Wer ist denn dieser andre Mann hier in unserm Zimmer daß man ihn nicht sehen kann das ist noch viel schlimmer hat er ne rote Bluse dann ists Peter Kruse dreh dich rum wir kennen dich nicht bist dus oder bist dus nicht gast Still da drüben in den Betten kriecht zurück in eure Decken warner Still sonst ist es mit euch aus er steht schon draußen vor dem Haus jetzt setzt er die Kiste ab und jetzt kommt er in sein Grab. Ttirknarren. Hieb. frau sterbend O Friedrich Hieb o o mann sterbend O nein nicht so nicht so kinder O nein o nein laßt sein laßt sein ihr habt doch alles was ihr wollt die ganze Kiste voller Gold 108 warner Wenns Gold ists mein ich stach ihm das Messer rein gast Das Gold gehört mir ich wohne hier warner Bleib du in deinem zerbuhlten Bett ich ziehe mit der Kiste weg gast Das könnt dir so passen meinen Besitz anzufassen warner Du bringst mich zum Lachen du Dreikäs mit deiner Bettjacke überm nackten Gesäß gast Paß auf ich tret dir den Hintern daß du im Misthaufen kannst überwintern warner Deine großen Worte hast du bald verloren wenn ich dir die Schnauze aufschneid zu den Ohren gast Ha ha wer redet hier vom Schneiden komm her so bring ich dich zum Schweigen warner Ha ha komm selbst ran wenn dus wagst wenn du mein Messer schmecken magst gast Ha ha zeig mir mal dein Messer ha das ich hab ist viel besser warner Ha ha komm nur ich schlag dich krumm gast mit kurzen gellen herausgejauchten Lauten Ha ha jetzt komm ich ha ha humm warner Ha ha ha ha ha ha kumm Hiebe und aneinander prallende Dolche. gast Ha ha ha ha ha ha humm 109 warner Ha ha o o ha ha o gast Ha ha so so ha ha so warner Ha au au ha au au gast Au ha ha au ha ha au warner Au au o au au o gast O au o au o o warner O o au o au o gast O au oo warner Au oo Die Kampfgeräusche setzen sich gedämpft während des Folgende fort. ein Kind flüsternd Komm schnell während sie sich totschlagen über den Leichen können wir uns wegschleichen komm leise sei auf der Hut daß du nicht ausrutscht auf dem Blut komm und halte meine Hand hier gehts zur Tür hier ist die Wand komm schnell hier ist die Schwelle draußen ist es bald helle vorsichtig da liegt er im Dreck steige leise über ihn weg hier steht die Kiste sie ist nicht verschlossen heb den Deckel gleich haben wir ihn offen brauchten schon was aus diesem Haufen dort wo wir jetzt hinlaufen steck die Hände tief hinein 110 stecks dir in die Taschen ein zweites kind Es klirrt garnicht es klingt ganz erdig und stumpf ist das wirklich das Gold aus dem Sumpf es kann kein Gold sein es ist so leicht sind das nicht trockene Rüben vielleicht ein kind Ja es sind Rüben es ist die Futterkist vom Stall drüben nimm dir ein paar wir können dran nagen jetzt wo wir solch einen langen Weg vor uns haben in Wie dem Herrn Mockinpott das Leiden ausgetrieben wird Spiel in 11 Bildern Personen: Mockinpott Wurst Frau Wärter Nebenbuhler Amtmann Arbeitgeber Advokat Arzt Der Liebe Gott Angestellter Diener Zwei Engel Zwei Schwestern Drei regierende Figuren Gleicher Schauspieler Gleicher Schauspieler Gleicher Sclmuspieler Gleicher Schauspieler i. Bild * Im Gefängnis Eine Pritsche. Eine Zellentür mit Guckloch. Mockinpott auf der Pritsche, die Decke bis zum Schnauzbart hochgezogen. Seine Nase ist spitz und rot. Die herabhängenden Bartzipfel liegen über dem Deckensaum. Ein knallendes Geräusch an der Tür. Mockinpott schreckt auf. Im Guckloch erscheint ein überlebensgroßes Auge. Mockinpott legt sich wieder zurück. Gleich darauf das krachende Geräusch des Schlüssels in der Tür. Mockinpott schreckt wieder auf. Der Wärter tritt ein und schließt die Tür hinter sich. Der Wärter ist ein großer Mann mit Vollbart. Er trägt eine Blechschüssel. Wärter gemütlich Los los auf auf da bring ich dir die Suppe hier im Blechgeschirr hineingespuckt hab ich wie üblich ich seh die Stimmung ist betrüblich bösartig Jetzt aber nicht mehr zugedeckt Herr Mockinpott du bist geweckt Sofort wird jetzt das Bett gemacht es ist jetzt Tag und nicht mehr Nacht Mockinpott kriecfyt benommen aus der Decke hervor. Er ist in ein Hemd und eine schlotternde Hose gekleidet. Nur an einem Fuß trägt er einen grünen Strumpf. Sein anderer Fuß ist an einer im Boden verankerten Kette befestigt. mockinpott Was ist denn heute für ein Tag wärter Freitag ist den ganzen Tag mockinpott Freitag werd ich da endlich frei wärter Fängt der schon wieder an mit dem Geschrei mockinpott während er die Decke zusammenfaltet und auf die Pritsche legt Gibt es denn keine Gerechtigkeit hab nie begangen keine Schlechtigkeit ii j laß mich nie mit niemand ein weil ich will in Frieden sein halt mich immer ganz bescheiden weil ich will Mißverständnisse vermeiden und da wird man einfach aus sein Leben gerissen und mir nichts dir nichts ins Gefängnis geschmissen wärter Also du Gauner jetzt halt deinen Mund daß du hier bist das hat seinen Grund hier hat noch keiner gesessen hätt er nicht irgendwas ausgefressen Mockinpott geht ein paar Schritte, die Kette am Fuß vergessend. Sein Fuß sitzt fest, er fällt hin. Bleibt auf dem Boden sitzen, betupft sich die Zunge, in die er sich gebissen hat. mockinpott Seit mehreren Sonn Mond Dienst und Donnerstagen bin ich jetzt hier und ich kann nur sagen das geht zu weit das ist keine Art daß man mich hier widerrechtlich verwahrt Wärter hat die Suppe auf die Pritsche gestellt, wendet sich der Tür zu. Ich soll mir wohl dein Stöckchen holen und dich wieder mal versohlen mockinpott erhebt sich, zieht sich ein paar Schritte zurück, die Kette nachschleifend Lieber Herr Wärter sehn Sie mich an ich war und bin ein ehrlicher Mann der keinem was angetan oder entwendet der einfach lebt und nichts verschwendet der die Zeitung liest und Kaffee trinkt und nie was Starkes zu sich nimmt und nie sich Vorteile erschleicht oder vom rechten Weg abweicht Wärter die Tür öffnend Da hab ich ganz andre Sachen gehört die Ruhe und Ordnung hast du gestört lungerst nachts auf der Straße rum und wenn man dich hopp nimmt stellst du dich dumm tritt hinaus. 116 Mockinpott tritt schnell vor, um den Warter zurückzuhalten. Er vergißt wieder die Kette, stolpert, bekommt den Wärter am Arm zu fassen, fällt fast hin, klammert sich aber am Wärter fest. Der knufft ihn grob zurück. mockinpott Ein Mißverständnis man meint einen andern nie sieht mich keiner bei Nacht rumwandern wo ich doch sparsam bin und meine Schuhsohlen schone und zuhaus bei meiner lieben Frau wohne ach Herr Wärter ich hab was auf der Bank für einen Advokaten kriegen Sie einen Gulden zum Dank wärter Fünf Gulden mockinpott Zwei wärter Vier mockinpott Drei Wärter von draußen Fünf Gulden mockinpott jammernd Fünf Gulden von mein teuer gespartes Geld daß man mir einen Advokaten hält Der Warter schnell wieder herein. Reicht Mockinpott einen Zettel und einen Schreibstift. Mockinpott unterschreibt stöhnend. Wärter ruft hinaus Herr Advokat treten Sie ein ich laß Sie mit dem Klienten allein Der Advokat erscheint unmittelbar. Stutzerisch gekleidet, mit Talar. Spricht mit Brusttönen, den Zeigefinger an der Nase. Der Wärter verschwindet und schließt die Tür hinter sich. advokat Aha aha was haben wir denn für einen Unglücklichen da ach wieder einer zu Unrecht verhaftet und mit den unergründlichsten Anklagen behaftet ach welch eine Welt die das Gute entstellt ich sehs Ihnen an Sie sind ein redlicher Mann "7 für fünfzig Gulden geh ich für Sie durchs Feuer mockinpott Fünfzig Gulden das ist viel zu teuer setzt sich auf den Rand der Pritsche, schlägt die Hände vors Gesicht. Advokat eilig Kämen noch fünfzig als Lösegeld hinzu und Sie werden sehn Sie sind frei im nu Mockinpott stöhnt, die Hände vorm Gesicht. advokat Sie leiden mein Herr wie war doch der Name Mottimrock wenn ich recht vernommen habe Mockinpott blickt auf, ringt die Hände. advokat Name hin und Name her Sie werden verstehn es ist außerordentlich schwer sich für einen solch hoffnungslosen Fall einzulegen wenn Sie nicht bereit sind auch selbst was zu geben Ja oder nein ich hab nicht viel Zeit sind Sie zur vorgeschlagenen Zahlung bereit mockinpott richtet sich auf. Herr Advokat was soll ich denn anfangen wenn Sie alle meine Ersparnisse verlangen Seit Jahren müh ich mich ab daß ich endlich hundert Gulden beisammen hab und außer im Portmonnä zwanzig Gulden hab ich sonst nichts wie Schulden dabei hätt ich doch nur eigne Beschwerden und sollte dafür entschädigt werden Advokat geölt Schnell mit der Entscheidung auf die Waage Sie haben mein Herr nichts zu fordern in Ihrer Lage Opfern Sie und ich kriege Sie frei opfern Sie nicht ists mir einerlei Mockinpott läßt ein trockenes Schluchzen hören. Der Advokat reicht ihm Papier und Schreibstift hin. advokat Fünfzig Honorar und fünfzig Kaution so gut wie frei hab ich Sie schon iiS Mockinpott unterschreibt. Der Advokat führt ihm die Hand. Wahrend des Unter Schreibens rutscht Mockinpott langsam von der Pritsche auf den Boden herab. Der Advokat klopft hart an die Tür, die gleich geöffnet wird. Der Wärter erscheint und zwinkert dem Advokaten zu. Der Advokat geht eilig zur Tür hinaus. mockinpott springt auf, will dem Advokaten nach, stolpert an der Kette, fällt hin. Herr Advokat Herr Advokat ich hab Ihnen doch noch gar nichts über mein Fall gesagt advokát von draußen Das kann ich alles aus den Papieren ersehn die mir selbstverständlich zur Verfügung stehn mockinpott Aber es ist doch alles falsch in den Papieren Herr Advokat wir werden die Sache verlieren advokat Nur keine Sorge Herr Koppimpott mit meiner Hilfe und mit Vertrauen auf Gott wird alles was in unsrer Macht steht geschehn auf daß Sie das Licht der Freiheit sehn Der Warter schlägt von außen die Tür zu und schließt sie ab. mockinpott auf dem Boden sitzend Warum geschieht sowas immer nur mir ich kann doch für alles gar nichts dafür wie hängt dies zusammen wenn ichs doch verstände und aus meinem Unglück herausfände Zwei Engel erscheinen. Sie tragen große weiße Blechflügel, die sie aneinanderschlagen. Mockinpott fährt auf und starrt die Engel an. die beiden engel Miserere Miserere daß es sich ihm noch viel mehr erschwere Sehet nur sehet unsern guten Mann der sein Leiden nicht verstehn kann Miserere Miserere daß er auch kein einziges Unglück entbehre Mockinpott auf den Knien, während die Engel flügelklappernd verschwinden. Dröhnendes Geräusch des Schlüssels in der Tür. Die Tür geht auf. Wärter, Advokat und Amtmann treten ein. Der 119 Warter trägt ein Kleiderbündel über dem Arm, der Amtmann hält ein Schriftstück in der Hand. amtmann Herr Mussjöh Mockinpott sind Sie der besagte hier vor uns stehende Angeklagte mockinpott hat sich erhoben. Derselbe bin ich doch ich hab nichts gemacht was mich berechtigterweise hierhergebracht amtmann Sie sitzen hier also geduldig und sind dabei ganz unschuldig mockinpott So ist es Herr Scharfrichter so ist es genau entfernt hat man mich von meine liebe Frau amtmann Und seitdem sitzen Sie hier und schmarotzen ganz fidel auf staatliche Kosten Mockinpott öffnet den Mund, bringt aber kein Wort hervor. Amtmann im Schriftstück lesend Es kämen zu Ihren übrigen Schulden für hiesige Ausspeisung noch fünfzehn Gulden Mockinpott sinkt wieder in die Knie, sucht nach Worten, findet keine Worte. advokat sehr schnell Nachdem erwähnter Herr Knoppimrock mich vertraglich gedungen ist es unsern andauernden und hartnäckigen Bemühungen gelungen daß wir nach Vorlegung der Zahlungsverbindung von höchster Instanz die Zusicherung erhielten daß Genannter nunmehr voll und ganz von seiner Freiheit Gebrauch machen und sich sofort nach Begleichung der Schulden entfernen dürfe von diesem Ort Der Warter bindet Mockinpott mit großer Geschwindigkeit eine violette Schleife um den Hemdkragen und zieht ihm die mitgebrachte allzuweite Jacke an. Er zieht ihn zur Pritsche herauf und öffnet ihm die Fußfessel. Er stellt zwei große schwarze Schnürstiefel neben ihn. Mockinpott bemerkt die Schuhe nicht und bleibt auf der Pritsche sitzen. Der Wärter nimmt eine unverhältnismäßig große Taschenuhr hervor und zieht sie auf. Das Uhr- 120 werk knattert, dann platzt die Feder mit einem Krach. Der Wärter hält die Uhr ans Ohr, schüttelt sie, es klappert darin. Er steckt Mockinpott die Uhr in die Hosentasche. Der Amtmann hebt mit der Bewegung eines Zauberkünstlers ein großes Portemonnaie hoch, öffnet es mit behender Geste, nimmt mit gespreizten Fingern und sich drehender Hand vier Geldstücke heraus, reicht, mit weit ausholender Armschwingung, dem Wärter ein Geldstück, steckt die drei andern, mit Eleganz, in die eigene Tasche, blickt noch einmal ins Portemonnaie, stülpt es um, reicht dann Mockinpott das leere Portemonnaie, hält schon Schreibstift und Schriftstück bereit, führt Mockinpotts Hand zur Unterschrift, dreht sich um und geht zur Tür. Mockinpott steht verdutzt da, geht dann auf die Tür zu, vergißt seine Schuhe, zieht den einen Fuß nach, als stecke er noch an der Kette fest. Amtmann und Advokat verlassen eilig die Zelle. Mockinpott will ihnen nach. Der Wärter schiebt seinen Fuß zwischen Mockinpotts Beine, Mockinpott stolpert und fliegt im hohen Bogen zur Tür hinaus. z. Bild • Im Freien Mockinpott erhebt sich, klopft seine Kleider ab. Steht da mit seinem einen grünen Strumpf, dreht sich vorsichtig hin und her, vollführt dann, versuchsweise, mit der rechten Hand eine Bewegung, als schwinge er einen Spazierstock. Er läßt den unsichtbaren Spazierstock einige Male rotieren, um sich dann darauf zu stützen. Eine Sekunde lang stützt er sich auf den unsichtbaren Stock, dann verliert er den Halt. Erstaunt sieht er sich um. mockinpott Mein Spazierstock wo ist denn mein Spazierstock hin ach den haben sie noch im Gefängnis drin Ein Spazierstock fliegt zu ihm auf die leere Bühne. Er hebt ihn auf, läßt ihn, mit der gleichen Bewegung wie vorher, am Handgriff herumschwingen, will sich dann darauf stützen, der Stock ist aber unten zerborsten und gibt keinen Halt. Mockinpott kippt um, steht gleich wieder auf und betrachtet den Stock. Wurst tritt während der Stockszene auf. Er hat einen Spitzbauch und trägt einen zerbeulten Hut. Er sieht fröhlich aus, nimmt anfangs keine Notiz von Mockinpott, läßt sich behende auf die untergeschlagenen Beine nieder, knotet ein großes kariertes Taschentuch auf und packt seine Wegzehrung aus, bestehend aus einem Stück Brot, einem Wurstzipfel und einer fast leeren Weinflasche. mockinpott abwechselnd auf Wurst und auf seinen Stock blik-kend Gestatten mein Name ist Mockinpott Sehn Sie zum Beispiel diesen Stock es war ein Erbstück geschnitzt von einem Meister Wurst das Brot und die Wurst mit einem großen Tascljenmesser in kleine Würfel zerschneidend Was hast keine Erbsen und sitzt im Kleister mockinpott Er war mein Stolz und meine Stütze Wurst kauend Was dein Kopf ist aus Holz und voll mit Grütze mockinpott Mein Herr wenn Sie wüßten was mir geschehen ist wurst Was willst dich brüsten und hast zwischen den Zehen Mist entkorkt genießerisch die Weinflasche und legt, mit übertrieben vornehmen Fingerbewegungen, die Wurstwürfel auf die Brotstückchen. mockinpott auf seine Füße starrend Meine Schuhe wo sind denn meine Schuhe hin ach die sind auch noch im Gefängnis drin Die Schuhe fliegen zu ihm auf die Bühne. Er hebt die Schuhe auf, betrachtet sie, versucht, sich erst den einen, dann den andern Schuh im Stehen anzuziehn, verliert das Gleichgewicht, setzt sich hin, hebt den rechten Fuß, um sich den rechten Schuh anzuziehn, entschließt sich dann aber, zuerst den linken Schuh an den linken Fuß zu ziehn. Er zieht den linken Fuß wieder heraus, vertauscht beim Niederlegen die Schuhe und zieht nun den rechten Schuh an den linken Fuß, den linken an den rechten Fuß. Wurst ißt während der Schuhszene seine Mahlzeit. Er ißt das Brot und die Wurst, als habe er ein Festessen vor sich. Die Flasche führt er zum Mund, als enthielte sie kostbarsten Wein. 122 mockinpott sieht dem Essenden zu und verwirrt sich dabei noch mehr beim Sdjuhanziehn, Wenn ich Ihnen so zuseh lieber Herr fällt mir das Schuhanziehn nochmal so schwer frag ich mich warum erst den linken und dann mit dem rechten Schuh nachhinken fang ich mit dem rechten an sieht mich der linke so komisch an will ich dann den richtigen wählen versuche ichs mit dem Abzählen hier ist aber wieder das Problem wer als erster zum Abzählen kam wurst ernsthaß Ja ja es ist auch beim Gehen immer sehr schwer zu sagen wann wir den rechten am linken und den linken am rechten Fuß vorbeizuziehn haben nimmt einen Schluck aus der Flasche, rülpst mockinpott erst stutzend, dann freudig Nicht wahr mein Herr nicht wahr ach endlich ein Mann mit dem man sich ernsthaft unterhalten kann Sehn Sie mein Herr es ist mir schlimm ergangen ein großes Unrecht ist an mir begangen wurst Was hast du für einen Hecht gefangen mockinpott die Schuhbänder die ihm durcheinandergeraten sind, zusammenknüpfend Geh ich da so bei Sonnenschein und bieg in eine Straße ein kommen die Gendarmen an rufen das ist unser Mann halten mich schon fest am Rock sag ich mein Name ist Mockinpott Name sagen sie tut nichts zur Sache was ich denn hier auf der Straße mache Wie üblich bin ich auf dem Weg zum Zeitungshändler der da an der Ecke steht sag ich und oben bei mir im Zimmer wartet meine Frau zum Kaffee wie immer Sagen sie das wird sich alles herausstellen 123 wenn wir die Sachlage erhellen und an dein Kaffee und an dein Flittchen kannst du dann denken im Kittchen Ist das frage ich was man unter Gerechtigkeit versteht wenn man so bei Sonnenschein spazieren geht steht auf, es zeigt sich, daß er die Bänder beider Schuhe miteinander verknüpft hat, er stolpert und fällt hin. Wurst hat inzwischen seine Mahlzeit beendet. Er trocknet sich mit einem Zipfel des Taschentuchs den Mund ab, wischt sich den Mund dann noch einmal mit dem Handrücken ab, faltet das Tuch säuberlich zusammen und steckt es, sowie die leere Weinflasche, in seine Hosentasche. Mit einem akrobatischen Sprung sdmellt er in die Höhe, federt noch ein paar Mal auf den Zehen auf und ab und sieht Mockinpott zu, der nun wieder die Schuhbänder aufknüpft und jeden Schuh einzeln verknotet, den linken Schuh am rechten Fuß, den rechten am linken Fuß. wurst Ja ja so einer bist du ich sehs dir an ders zuhaus bei seiner Frau nicht aushalten kann der nicht bei geordneter Arbeit bleibt sondern sich lieber auf den Straßen rumtreibt mockinpott sich erhebend Mein Herr Sie enttäuschen mich sehr und machen mir die Verständigung schwer bitte bedenken Sie doch meine Lage und was ich Ihnen gesagt habe wurst Hast du was gesagt ich habs schon vergessen ich laß mich ungern stören beim Essen und jetzt geh ich ich hab einen Durst wir sehen uns wieder mein Name ist Wurst geht ab mockinpott traurig Und ich glaubte schon ich hätt einen Freund gefunden für die bevorstehenden schweren Stunden ach keinem Fremden nie vertrau es bleibt mir nur noch meine liebe Frau setzt sich in Bewegung, behindert von den verkehrt angezogenen Schuhen. 124 3- Bild • Zuhause Ein Bett. Ein freistehender Schrank, daran lehnt ein Besen. Im Bett sitzt die Frau im Nachthemd und kämmt sich das strähnige Haar. Die Bettdecke über ihren Beinen ist dick aufgeplustert. Am unteren Ende des Bettes stecken zwei große schmutzige Füße unter der Decke hervor. Sie sind allzuweit von der Frau entfernt, als daß es ihre Füße sein könnten. Bei Mockinpotts Eintreten klopft die Frau die Decke zurecht. mockinpott klagend Ach liebe Frau bei Tag und bei Nacht hab ich da wo ich war an dich gedacht und nur der Gedanke an dein Gesicht und dein Haar hat mich am Leben gehalten da wo ich war frau giftig Auch ne Art einfach zu verschwinden und ich muß mich hier allein abschinden mockinpott Fragst du denn gar nicht was mir geschehn jetzt wo wir uns endlich wiedersehn Mockinpott setzt sich auf die Bettkante. Die Frau rückt von ihm ab. Unten am Ende des Bettes reiben sich die Füße aneinander. mockinpott Willst du denn gar nicht wissen was ich alles hab erleiden müssen Die Frau antwortet nicht. Kämmt weiter ihr Haar. Aus der Decke kommt ein halbunterdrücktes Niesen, von einer ruckhaften Bewegung begleitet. Zur Ablenkung niest die Frau auch, klopft auf die Decke, niest noch einmal. Mockinpott zieht sein Taschentuch hervor, schneuzt der Frau die Nase und streichelt ihr Haar. mockinpott Meinen Stock hat man mir auf dem Rücken zerschlagen und alles abgenommen was ich bei mir getragen ich hab nicht verstanden zu was für ein Zweck aber alle Ersparnisse die sind jetzt weg frau stößt ihn zurück. Erst weglaufen und meine Mitgift verprassen dann dich hier hinflegeln das könnte dir passen "5 bei mir nicht das kann ich dir sagen ich will mal eine Veränderung haben schlägt auf die Decke, ein Räuspern unter der Decke, die Frau stimmt in das Räuspern ein. mockinpott Diese Ungerechtigkeit in der Welt möcht ich doch wissen wie sich das alles verhält ich geh zur Arbeit und tu meine Pflicht höhere Ansprüche hab ich nicht zahl pünktlich die Steuer und die Miete fürs Heim und da wirfls einen mitten ins Unglück hinein Die Füße unten am Bett reiben sich aneinander. frau Ach kämen mal solche die mich nicht betrögen sondern was für mich täten und für mein Vermögen Es hustet unter der Decke. Sogleich beginnt auch die Frau zu husten. Sie schiebt Mockinpott vom Bett weg und steht auf. Ihr Nachthemd reicht bis auf den Boden, ihre Füße sind nicht zu sehen. Am Bettende bleiben die andern Füße unter der Decke sichtbar. mockinpott die Füße anstarrend Hast du denn deine Fuß verloren Frau auf die Füße blickend, sich schnell fassend Die Fuß die hab ich mir abgefroren Sie beginnt zu hüpfen, hüpft zum Besen, ergreift den Besen, hüpft, auf den Besen gestützt, umher und fegt den Boden. Sie hüpft zum Bettende und zieht die Decke über die Füße. Oben steckt der Nebenbuhler seinen bärtigen Kopf aus der Decke hervor. Mockinpott wendet ihm in diesem Augenblick den Rücken zu. Als Mockinpott sich umwendet ist der Kopf eben wieder unter der Decke verschwunden. Frau währenddessen Denn Strümpfe die waren zu teuer und im Ofen da hatt ich kein Feuer deine Schuld ist es denn du bist weg und läßt mich ohne was hier im Dreck aber damit sag ich dir ist es jetzt aus du hast nichts mehr zu suchen in diesem Haus hebt drohend den Besen. 126 Der Nebenbuhler schiebt seinen Kopf wieder aus der Decke hervor. Wieder steht Mockinpott gerade abgewandt, und als er sicJj umdreht, hat der Nebenbuhler den Kopf zurückgezogen. mockinpott Aber wo du wohnst da wohn ich auch so ist es doch zwischen Eheleuten der Brauch frau Das kann man nicht mehr Ehe nennen wo du wegläufst um wo anders zu pennen Der Nebenbuhler ist inzwischen aus dem Bett gekrochen. Er ist in ein kurzes Hemd gekleidet. Er geht auf Zehenspitzen, zieht den Hemdsaum herab. Das bärtige Gesicht Mockinpott zugewandt, stolziert er auf den Schrank zu. Mockinpott steht mit dem Rücken zu ihm, bis der Nebenbuhler den Schrank erreicht hat. Mockinpott wendet sich um als der Nebenbuhler eben hinter dem Schrank verschwunden ist. mockinpott Mir kommt dies alles so komisch vor ich trau nicht mein Auge und mein eigenes Ohr geht auf Zehenspitzen, behindert von den verkehrt angezogenen Schuhen, auf den Schrank zu Wie ist das eigentlich mit dieses Zimmer es scheint mir gar nicht so wie immer Die Frau hüpft mit großen Sprüngen hin und her und fegt, um Mockinpott abzulenken. Mockinpott schleicht sich an den Schrank heran. Als er hinter den Schrank blickt schleicht sich vorn der Nebenbuhler um den Schrank herum. Mockinpott schleicht sich hinter den Schrank, vorn schleicht der Nebenbuhler, Mockinpott ist verschwunden, der Nebenbuhler drückt sich am Schrank entlang. Mockinpott taucht wieder auf, der Nebenbuhler verschwindet. Mockinpott geht auf das Bett zu. Die Frau ist mit einem hohen Sprung im Bett gelandet. Sie zieht die Decke über sich und streckt unten ihre Füße heraus. Mockinpott beugt sich über sie und will die Decke heben. frau Ach das könnte dir so passen glaubst ich würd dich zu mir lassen 127 aber mit die Gefühle bei mir da ist es aus das sag ich dir Der Nebenbuhler läßt hinter dem Schrank ein Grollen und Knurren hören. mockinpott fährt zusammen und fällt vor dem Bett auf die Knie. Wie verhält sich denn das mit dieses Zimmer ich bin doch jetzt hier bei dir wie immer und den Schrank haben wir wie immer in der Ecke stehn und jahrelang hab ich dies Bett gesehn Der Nebenbuhler grollt und knurrt hinter dem Schrank. Frau unheimliche Grimassen schneidend, die Arme ausbreitend und gespenstisch auf und abschwingend Nie warst du hier ich kenn dich nicht wer bist du denn du armer Wicht paß auf ich hab einen großen Hund der frißt dich auf mit seinen Schlund Der Nebenbuhler knurrt laut. mockinpott zitternd Wie ist mir denn mir ist so bange ach ich ertrag das nicht mehr lange Die beiden Engel erscheinen flügelklappernd. die beiden engel Miserere Miserere daß sich ihm alles gründlich verheere Sehet nur sehet unsern guten Mann der sein Leiden nicht verstehen kann Miserere Miserere daß ihn sein Unglück gänzlich verzehre Die Engel verschwinden flügelklappernd. mockinpott sich auf den Knien rückwärts vom Bett entfernend Warum willst du mich denn nicht mehr erkennen und bei die üblichen Namen nennen was hab ich getan warum treibst du mich weg es ist doch mein Zimmer und ist doch mein Bett ach wenn du wüßtest was du verpaßt und an mir für immer verloren hast Die Frau und der Nebenbuhler stimmen ein furchtbares Grölen an. Mockinpott entfernt sich wimmernd, rückwärts kriechend. 11% 4- Bild • Beim Arbeitgeber Der Arbeitgeber an einem Stehpult, mit Papieren und Federhalter. Ein Angestellter trägt eine Kiste vorbei. Mockinpott tritt auf. Er zieht seine Uhr aus der Tasche, halt die Uhr ans Ohr, schüttelt sie, es klappert darin. Er steckt die Uhr wieder in die Tasche. Geht auf den Arbeitgeber zu, verbeugt sich. Der Arbeitgeber blickt nicht auf. mockinpott Besten guten Tag Herr Chef ich bin wieder da wenn Sie wüßten was mir alles geschah eingesperrt hat man mich ohne Grund ich bin doch kein Dieb und kein Vagabund daß ich Arbeit habe das hab ich gesagt dann hab ich nichts mehr zu sagen gewagt denn wenn ich nur den Mund aufmachte schlugen sie mich daß es nur so krachte arbeitgeber blickt auf. Mein Herr ich versteh nicht was Sie da sagen ich erinnre mich nicht Sie je gesehn zu haben mir ist es gleichgültig was Sie anzetteln doch wenn Sie hierherkommen um zu betteln dann kommen Sie an den verkehrten Ort wir geben nichts scheren Sie sich fort mockinpott zieht einen zerknitterten Zettel aus der Tasche. Herr Chef hier können Sie meinen Namen lesen angestellt bei Ihnen bin ich gewesen zu dieser Tür ging ich doch rein und raus arbeitete hier tagein und tagaus Arbeitgeber sieht den Zettel, den Mockinpott ihm hinreicht, nicht an. Das muß lang hergewesen sein daß Sie noch angestellt sind seh ich nicht ein Wer ohne Entschuldigung oder ärztliches Attest einfach seinen Arbeitsplatz verläßt muß als vom Arbeitsverhältnis gelöst angesehn werden da helfen Ihnen Herr keine Beschwerden wendet sich wieder seinen Papieren zu Der Angestellte geht wieder mit einer Kiste vorbei. 129 mockinpott ruft ihm zu Du kannst du dem Chef nicht sagen ich hab hier bei euch auch Kisten getragen und ich hab nie was verkehrt gemacht sondern genau abgezählt jede Fracht arbeitgeber Stören Sie den Mann nicht im Arbeitstakt sonst wird ihm was abgezogen laut Kontrakt mockinpott Bitte Herr Chef ich könnt doch nichts dafür daß ich da saß hinter verriegelter Tür könnt Ihnen keine Nachricht zukommen lassen weil niemand wollt sich mit mein Fall befassen Arbeitgeber Sind Sie noch hier das geht zu weit ich hab für sowas keine Zeit mockinpott Herr Chef bin ich nur wieder dabei dann werd ich auch arbeiten für zwei arbeitgeber Wir brauchen bei den Kisten nicht mehr als einen und von Ihrer Sorte gebrauchen wir keinen mockinpott Wolln Sie mich denn einfach auf die Straße setzen arbeitgeber Kommen Sie vielleicht her um meine Leut aufzuhetzen mockinpott Ich will doch nichts andres als mein Recht arbeitgeber Verschwinden Sie Sie verstehn mich wohl schlecht Der Angestellte kommt zurück, mit einer Kiste. Der Arbeitgeber wendet sich an ihn. Mann nehmen Sie den mal am Kragen Sie haben den Auftrag ihn rauszutragen Der Angestellte setzt die Kiste ab. Er geht einen Schritt auf Mockinpott zu. Mockinpott zieht sich zurück. mockinpott Ich geh schon ich geh schon allein 130 soll das der Dank für lange und treue Arbeit sein geht rückwärts ah. 5. Bild • Im Freien Eine Bank und ein kleiner runder Tisch. Mockinpott sitzt auf der Bank, über den Tisch gebeugt, das Gesicht in den Armen liegend. Wurst tritt auf, fröhlich, nimmt einen Schluck aus der wieder zu einem Drittel gefüllten Flasche. Mockinpott hebt den Kopf, bemerkt Wurst kaum, spricht mehr zu sich selbst. mockinpott Ach das mir angetane Unrecht wurst Welches ungetane Anrecht mockinpott Es geht mir schlecht es geht mir schlecht wurst Geschieht dir recht geschieht dir recht mockinpott aufschluchzend Ich dacht bei meine Frau hätt ich endlich Ruh kommt die mit dem Besen auf mich zu treibt mich aus meine Wohnung weg und bleibt allein in ihrem Bett wurst Bist du sicher sie war allein mockinpott Sie lag allein mit ihre zwei Bein ach die hatte sie verloren waren ihr beim Alleinsein abgefroren wurst Und was sonst noch da war außer den Zehen da hast du natürlich nicht nachgesehen mockinpott richtet sich bestürzt auf. Ach meine Frau würd mich nie belügen nie würd sie mich mit keinem andern betrügen Wurst setzt sich zu ihm auf die Bank. Er bietet Mockinpott die Flasche an. Mockinpott bemerkt die Flasche nicht, da nimmt Wurst selbst einen Schluck. 131 mockinpott Oder meinen Sie da war jemand da wo ich doch keinen anderen sah schlägt die Hände vors Gesicht und weint. Ach die schönen Stunden im trauten Heim am Abend nach der Arbeit im Lampenschein wo ich immer im Lehnstuhl saß und meiner Frau aus die Zeitung vorlas wurst Im Lehnstuhl wo jetzt ein andrer drin sitzt weshalb dir der Lehnstuhl nicht viel nützt mockinpott richtet sich auf. Und meine Arbeit wo ich den ganzen Tag war und dafür gezahlt kriegte jeden Monat in bar rausgesetzt haben sie mich ohne sichs zu überlegen und meine Arbeit einfach einem andern gegeben wurst Was hattst du denn bei der Arbeit zu tun außer rumzustehn und auszuruhn mockinpott verletzt Ich hatte was sehr Wichtiges zu tun mit Kisten und zwar was drin war an Hand von Listen herauszunehmen und mit die Listen zu vergleichen und wenns drin war auf den Listen zu streichen Mein Herr dies war der Inhalt meines Lebens und dafür opferte ich mich vergebens wurst Wenn ein andrer jetzt da steht so ist es doch klar daß das nicht deine Arbeit war Mockinpott wirft sich aufschluchzend vornüber auf den Tisch, das Gesicht in die Arme legend. Der Tisch fällt unter ihm zusammen. Mockinpott stürzt auf den Boden. Wurst bleibt auf der Bank sitzen, nimmt wieder einen Schluck aus der Flasche. wurst Warum legst du dich denn auf den Boden es sitzt sich viel bequemer hier oben dazu fremdes Eigentum demolieren dafür wird man dir bestimmt ne Rechnung servieren 132 mockinpott bleibt liegen. Ich kann nichts mehr zahlen ich hab nichts auf der Bank ach ich kann nicht weiter ach ich bin krank wurst verkorkt die Flasche, erhebt sich. Dann gehn wir gleich mal zu einem Arzt du legst dich auf den Tisch und wartst bis er dich aufgeschnitten hat das geht bei dem ganz schnell und glatt und schon in wenigen Sekunden hat er deine ganze Krankheit gefunden Mockinpott krümmt sich zusammen, verbirgt den Kopf unter den Armen. Wurst zieht ihn hoch. Mockinpott wehrt sich, strampelt. Wurst zerrt Mockinpotts Arm über seine Schulter und trägt nun Mockinpott auf dem Rücken. wurst Der schneidet alles was faul ist weg und du bist gesund noch auf dem Fleck Wurst geht, mit Mockinpott auf dem Rücken. Die beiden Engel erscheinen flügelklappernd. die beiden engel Miserere Miserere daß sein Fall auch die Wissenschaft nähre Ach sehet nur sehet unsern guten Mann der sein Leiden noch nicht verstehen kann Miserere Miserere daß er der Forschung gereiche zur Ehre Die Engel verschwinden flügelklappernd. Wurst und Mockinpott ab. 6. Bild • Beim Arzt Ein Untersuchungstisch. An der Wand ein weißer Kittel und ein Brett mit überdimensionierten Instrumenten, Behältern, Flaschen. Wurst trägt Mockinpott auf dem Rücken herein. Gleichzeitig tritt der Arzt ein, in einen weißen Kittel gekleidet. Ihm folgen zwei Schwestern in weißen Kitteln. Wurst legt Mockinpott auf den Tisch ab. Die beiden Schwestern legen Mockinpott zurecht. Wurst versteckt 133 sich hinter ihnen, schleicht schnell zur Wand und zieht sich den weißen Kittel über. Der Arzt umschreitet währenddessen den Untersuchungstisch, die Hand am Kinn. Wurst öffnet Sdowester i, die sich über den Tisch beugt, die Schleife hinten am Kittel und versteckt sich hinter Schwester 2. Schwester 1, im Glauben, Schwester 2 habe ihr die Schleife geöffnet, versetzt Schwester 2 eine Ohrfeige. Schwester 2 schlägt zurück. Arzt während der Ohrfeigenszene Aha aha was haben wir denn für einen Unglücklichen da ach wieder einer zermürbt und verschmachtet und von den unergründlichsten Krankheiten umnachtet ach welch eine Welt die das Gesunde entstellt Der Arzt bleibt vor Mockinpott stehen, er hebt die rechte Hand, knipst mit den Fingern. Schwester 2 reicht ihm einen Hammer vom Wandbrett. Wurst knöpft Schwester 2 die Schleife am Kittel auf, tritt zur Seite und steht unschuldig da. Nachdem Schwester 2 dem Arzt den Hammer gereicht hat, versetzt sie Schwester 1 eine Ohrfeige. Schwester 1 schlägt zurück. Alles geschieht mit großer Geschwindigkeit. Der Arzt zielt mit dem Hammer auf Mockinpotts Kopf, schlägt aber nicht zu, sondern zielt weiter über seinem Körper, bis er zum Knie gelangt. Er schlägt mit dem Hammer auf Mockinpotts Knie, das Bein fliegt hoch, trifft den Arzt, der Arzt fallt um und reißt beim Sturz beide Schwestern mit sich. Wurst ergreift ein Hörrohr und horcht Mockinpott von den Füßen bis zur Brust ab. Arzt und Schwestern erheben sich. ARZT Können Sie was hören Herr Kollege WURST Ich hör ein Brummen wenn ichs mir recht überlege ARZT Halten Sie es für einen beunruhigenden Ton WURST Am besten wir schreiten gleich zur Operation r34 mockinpott aufschreckend 0 nein Herr Professor bitte nicht schneiden ich bitte sehr ließ sich das nicht vermeiden arzt Strecken Sie mal die Zunge raus Der Arzt knipst mit den Fingern, Schwester i reicht ihm eine Taschenlampe, er leuchtet in Mockinpotts Mund hinein. Wurst beugt sich über Mockinpotts Mund. "wurst mit übertriebenem Schauder Was da zu sehn ist ist ja ein Graus arzt Sagen Sie mal A mockinpott 1 arzt A hab ich gesagt mockinpott o arzt A mockinpott U arzt Können Sie nicht A sagen mockinpott mit Mühe Herr Oberprofessor wenn ich unbedingt müßte und wenn ich auch den Grund dazu wüßte dann würd ichs ganz bestimmt sagen und Antwort geben auf alle Fragen Der Arzt und Wurst beugen sich tief über Mockinpott. arzt Herr Kollege ist die Zunge belegt wurst Ich kanns nicht sehn weil er sie immer bewegt arzt mit den Fingern knipsend Wollen Sie diesem Herrn mal von beiden Seiten den Mund aufsperrn Die Schwestern halten Mockinpott von rechts und links den Mund auf. 135 mockinpott stöhnend Ahhh Wurst beugt sich tief über Mockinpotts aufgerissenen Mund. arzt Was sehn Sie Herr Kollege lebt der Patient noch wurst Soviel ich seh hat er hinten ein Loch Der Arzt fuchtelt mit den Händen vor Mockinpotts Augen. arzt Reagiert der Patient noch mit seinem Blick wurst Schwester heben Sie dem Patient das Genick Schwester i hebt Mockinpotts Kopf hoch, Schwester 2 kommt mit einem Stoß viereckiger Schilder und stellt sich damit am Fußende des Tisches auf. arzt Sagen Sie uns jetzt was für ein Bild sich Ihnen zeigt auf jeweiligem Schild Schwester 2 hebt das erste Bild. mockinpott mit Mühe Mond Arzt sehr schnell Sonne Schwester 2 hebt das zweite Bild. mockinpott Turm arzt Tonne 136 Schwester 2 hebt das dritte Bild. mock1npott Vogel arzt Fisch Schwester 2 hebt das vierte Bild. mockinpott arzt Tisch Schwester 2 hebt das fünfte Bild. mockinpott Wurm arzt Stock Schwester 2 hebt das sechste Bild. mockinpott Schirm arzt Rock 137 Schwester 2 hebt das siebte Bild. mockinpott Schlüsselloch arzt Baum Schwester 2 hebt das achte Bild. mockinpott Zahnstocher arzt Zaun Schwester 2 hebt wieder das erste Bild. mockinpott eifrig Sonne Wurst brüllt Mond Arzt dozierend Auffassung trübe was er sieht dreht er um wurst Ich würde sagen Delirium mockinpott benommen Aber es ist ja auch alles verkehrt und verdreht wie macht man es denn daß man das alles versteht ach es ist alles wie im Suppentopf durcheinandergerührt in meinem Kopf Schwester 1 läßt Mockinpotts Kopf los. Der Kopf schlägt dröhnend auf den Tisch. Mockinpott jammert. 138 Herr Kollege unsern ärztlichen Kenntnissen gemäß untersuchen wir einmal dies kostbare Gefäß Der ,4m fernst mi*