PERSONEN HUPKA Landstreicher PISTOLETTI EIN GENDARM GRÄFIN GWENDOLYN BUCKELBURG-MARASQUINO GRAF LUITPOLD BUCKELBURG-MAKASQUIN0 JAMES, der Butler LADY P. GROSSFÜRSTIN ANASTASIA M. LORD R. G. B. SHAW LICHTKASSIER PAUL, Landstreicher HORTENSIA, eine alte Prostituierte ROSA, eine angehende Prostituierte JAKOB, Hortensias Verlobter PARTEI Nr. 23 687 JOURNALIST EINE SEKRETÄRIN EIN MANN MIT SAMMELBÜCHSE EIN^, OFFIZIER EIN ALTER MANN LAUTSPRECHER STIMMEN PARTEIEN IM PASSAMT ERSTES BILD (HUPKA und Pistoletti auf der Wanderschaft:) Der Sommer ist verglommen, Der Herbst hat ausgeweint, Nun ist der Winter kommen, Der bitterböse Feind. Die Erde liegt im Leichenhemd Und war einst jung und bunt. Was suchst du noch, du bist hier fremd, Mein Bruder Vagabund. Wie springt dir an die Waden Der scharfe Winterwind, Du bist nicht eingeladen, Wo sie besoffen sind. Dich ruft kein Wirt zum heißen Punsch Um Sankt Silvesters Stund' : Ein Rabe krächzt den Neujahrswunsch, Mein Bruder Vagabund. Und wär der Himmel droben Von Samt und von Brokat Und Sternlein eingewoben, Und jedes ein Dukat, Wär' keiner, der die Leiter stellt, Daß man sie holen kunnt. So ist die Zeit, so ist die Welt, Mein Bruder Vagabund. (Eine Landstraße, ein Wegweiser: St. Ulrich ob der Triesting 25,6 km,, Maria Wördern 5 km. HUPKA und Pistoletti. Autos fahren vorbei. Sie versuchen vergebens, die Wagen anzuhalten.) HUPKA: Ja, man muß schon wo unterkriechen. In diesem Sinne stellt sich unweigerlich die Frage des Winterquartiers. Weil das ist schon kein Klima mehr, sondern ein Scheißwetter. PISTOLETTI: Alsdann kommst du mit ins Spital? In Maria Wördern ist eins, das ist mir warm empfohlen worden. HUPKA : Auf so etwas kann ich mich nicht einlassen. Ich bin ein kranker Mensch. Ich muß übern Winter ins Gefängnis. Honni soit qui mal y pense… ??? (TEXTTEIL FEHLT) PISTOLETTI : Nachher haust du halt eine Fensterscheibe ein. HUPKA: Über so was bin ich erhaben, lieber Pistoletti, indem ich ohne Dokumente bin und einem bekannten Raubmörder ähnlich seh wie ein Ei dem andern. Bis sie mir nachweisen, daß ich nicht derjenige bin, wird's immer Frühling. PISTOLETTI: No bitte, das ist natürlich Sache der Weltanschauung. Ich weiß nur, daß in dem Spital ein gewisser Dr. Eilinger ist, und wenn du dich als chronischer Trinker legitimieren kannst, kommst du bei dem zur Entwöhnungskur. Und dieser Doktor kommt jeden Abend zu den Entwöhnungspatienten und tut Wettbewerbe veranstalten. Und zwar um so viel weiße Mäuse einer mehr sehen tut wie der Doktor, um so viel Tropfen Sliwowitz kriegt derjenige als Prämie. HUPKA : Ich will dich aber aufmerksam machen, daß das Polizeigefängnis in St. Ulrich ob der Triesting das Luxuriöseste ist, was wir in diesem Genre aufzuweisen haben. Direkt ein Hotel Bristol. Ich glaub sogar, sie haben dort Wasserspülung. Sapienti sat. PISTOLETTI^: Das schon. Aber entweder Arrest oder Spital. Alles auf einmal kann der Mensch nicht haben. HUPKA: Sehr richtig. Also auf Wiedersehen, Spezi, bei dem Wegweiser da. PISTOLETTI (im Abgehen): Wann? HUPKA : Eh schon wissen. Im Frühjahr kribbelt's uns sowieso immer am gleichen Tag. PISTOLETTI: Das macht die Seelensympathie. Servus, Hupka. HUPKA : Servus, Pisto. (Pistoletti ab.) (Autos fahren vorbei und bleiben trotz Hupkas Winken nicht stehen.) HUPKA : Fi donc. Noch minimal vier Stunden Marsch bis zum nächsten Gendarmen, der mich arretieren könnte. Wie immer, wenn man sie braucht, sind sie nicht da. GENDARM (tritt auf): Ein herzliches Grüß Gott .. . HUPKA (erstaunt): Gehst nicht weiter. So was von einem lupus ex machina. Das ist aber sehr lieb von Ihnen['], daß ich Ihnen in die Hände falle. GENDARM : Würden Sie sich bitte legitimieren? HUPKA : Der hat eine Höflichkeit an sich, daß es einem kalt herunterläuft. GENDARM : Oder haben Sie am Ende keine Dokumente? HUPKA : Erraten, Sherlock'^81 Auf nach Scotland Yard ! GENDARM : Armer Mann, da haben Sie sicher die Papiere verloren ! HUPKA (verblüfft): Was? Wie? GENDARM : Das ist doch logisch, mein ich. HUPKA : Allerdings ... natürlich ... ich kann ja gar nicht ohne Dokumente auf die Welt gekommen sein ... infolgedessen hab ich sie auf dem Weg verloren, aber ... da müssen Sie doch... GENDARM : Ihnen die Papiere wieder verschaffen, natürlich. Wozu wären wir Behörden sonst da? Wir werden recherchieren. HUPKA : Sagen Sie, sind Sie vielleicht zufällig das Christkindl? GENDARM (lachend): Mitnichten. Bin ich doch nur ein schlichter Landgendarm. Jedoch mein treues Weib hat mich gestern nacht um Punkt 10.25 Uhr mit gesunden Drillingen beschenkt. HUPKA : Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Aber hören Sie, bemerken Sie an mir nicht irgendeine Ähnlichkeit? Ich meine, erinnere ich Sie nicht an einen gewissen Steckbrief? Hab ich nicht irgend etwas von einem Raubmörder an mir? GENDARM : Sie mit Ihren ehrlichen Augen? HUPKA : Der Schein trügt, sag ich Ihnen. Glauben Sie mir. Es ist Ihnen gelungen, einem flüchtigen Verbrecher in die Hände zu laufen. Nehmen Sie mich fest! GENDARM: Niemals. Ein treuer Blick aus treuem Aug' Dir mehr als Dokumente taug' ! HUPKA: Zum Kuckuck! Sie müssen mich aber verhaften! Wozu zahlt man euch denn die Steuern? Außerdem steht auf mich eine Prämie von 10.000 Franken. GENDARM: Schnöden Geldes schnöde Macht Stets veracht', stets veracht' ! HUPKA: Bitte schön, nicht mich provozieren! Am Ende müsste ich Sie in der brutalsten Weise amtsehrenbeleidigen. GENDARM : Sie sind betrunken, alter Freund, unzurechnungsfähig, und die Not hat Sie verbittert gemacht. Ich nehm's Ihnen nicht übel. Meiden Sie nur den Alkohol und die flatterhaften Weiber. Sie, Sie ... (Ab.) HUPKA: Sie, Sie? So etwas! Jetzt hab ich den einzigen Gendarmen der Welt kennengelernt, der einem Vagabunden »Sie, Sie« sagt. Auf jeden Fall, das hat was zu bedeuten. Aber was? Das ist die Frage. — Wie wär' es, wenn es irgendwo in der Welt eine Grenzlinie geben täte, nämlich eine ganz spezielle Grenzlinie zwischen dem Reich der Wirklichkeit und dem Reich der Märchen — und wenn ich jetzt zufällig und ahnungslos auf dieser Grenzlinie herumspazieren täte (zieht einen Grenzstrich in den Straßenstaub), also, und wenn man die Grenze approximativ und zirka hier annimmt — hm, und wenn ich links von dem Strich weiterwandern tu, wie der Pistoletti, dann bleib ich ein ganz prosaischer Vagabund mit Frostbeulen und ohne Dokumente, hingegen, wenn ich rechts weitergehe, auf St. Ulrich zu, müßte jetzt zwanzig Schritte hinter mir ein Packard-Auto bremsen —und eine Millionärin müßte aussteigen mit Sonnenbrille und Revolver (Auftritt Gwendol[l]vn, sie hat einen Revolver gezückt) und müßte mir im reinsten Hollywoodisch zurufen — GWENDOLYN: Hello, wollen Sie mit mir nach London kommen? HUPKA : In so einem Fall würde ich mich als smarter Boy nicht im geringsten wundern, sondern mit trockenem Humor ausrufen: Hallo, Madam, geben Sie das Schießeisen weg! Das kleine Ding könnte sich leicht verkühlen — bei dem grippösen Wetter. GWENDOLYN: Ausgeschlossen! Die Form Ihrer Ohrläppchen zeugt von Not und Laster. Sie werden sich an mir vergreifen. Verzeihlich. Wir sind alle Sünder. Wer wirft den ersten Stein? HUPKA: Thank you für Ihr Mitgefühl — würde ich auf hochamerikanisch antworten. Aber you are in einem errare humanum est. Nix Gangster; Passagier! Mein Name ist Kilian Hupka. GWENDOLYN: Ich bin Gräfin Gwendolyn Buckelburg-Marasquino, geschiedene Cash. Warum kehren Sie mir den Rücken? HUPKA: Wie? (Wendet sich um.) Nein, so was von einer plastischen Vision! How do you do? GWENDOLYN: Ich war Shopping. HUPKA: Im deutschen Text würde stehen: Ich habe Einkäufe gemacht. GWENDOLYN: Nicht ganz. Ich wollte nur. HUPKA: Was haben Sie denn einkaufen wollen, Mylady? GWENDOLYN : Einen Staat. Eine Monarchie zum Beispiel oder auch eine Republik. Ich habe mit der Preisliste in der Hand verschiedene osteuropäische Staaten ausprobiert. HUPKA : Ich, blasiert : Na, und waren sie Ihnen zu teuer oder was? – Sie, noch blasierter: GWENDOLYN : Unmodern. Veraltete Typen. HUPKA: Aha, no, und wozu brauchen Sie eigentlich einen Staat? GWENDOLYN : Für meinen Mann. Graf Buckelburg-Marasquino brachte mir in die Ehe einen Adelstitel, der auf die Zeiten des Kaisers Andreas des Kahlen zurückgeht. Als Gegenleistung wurde im Ehekontrakt vereinbart, daß ich ihm zum 88. Wiegenfeste einen Staat schenke. Vor vierzig Jahren war er nämlich Staatssekretär für Äußeres im Dienste einer europäischen Großmacht. Auf diesem Posten feierte er eine Woche lang einen diplomatischen Erfolg nach dem anderen, bis er schließlich abgesägt wurde. Seitdem verzehrt er sich in Gram. HUPKA: Ich verstehe. Ohne Staat kann der beste Außenminister nicht zur Geltung kommen. GWENDOLYN : Der Graf hat große Pläne. Nur muß er noch etwas warten. Bis morgen finde ich keinen passenden Staat mehr. HUPKA: Ich habe eine Idee. Nur keine überstürzten Einkäufe. Lassen Sie sich Zeit mit dem Suchen. Es genügt vollkommen, wenn Sie mich als Staatsbürger Nr. 1 und als vorläufige Kostprobe für den Herrn Gemahl mitbringen. GWENDOLYN : Okay. War auch meine Absicht, wie Sie sehen. (Deutet auf den Revolver.) Sind Sie von Natur heimatliebend? HUPKA : Schon immer gewesen, Gnädigste. Ob eigenes Vaterland oder fremdes, spielt für mich gar keinen Unterschied. Ich werde Ihnen einen Staatsbürger abgeben, daß Sie staunen werden. Ich bin ehrlich und sparsam. GWENDOLYN : Okay. HUPKA: Okay! Okay! (Wehmütig.) Und dann hätte sie mich husch, husch, husch in ihren Packard gepackard, und wir wären nach London gefahren. In einem amerikanischen Film. Behüt mich Gott, es wär zu schön gewesen ...(Pause) GWENDOLYN: Nun, kommen Sie oder nicht? HUPKA: Was? Sie sind noch immer da? GWENDOLYN : Natürlich ! Ich warte auf Sie! HUPKA: Wieso natürlich? Und wieso überhaupt? Sind Sie denn lebendig? Heiliger Nepomuk! Zwicken Sie mich! Zwicken sollen Sie mich schon endlich! – Au! Aber das ist noch kein Beweis. Pumpen Sie mir einen Dollar. – No, wird's? (Gwendolyn tut es.) HUPKA (beißt in das Goldstück): Echt! Ich träume nicht! Na so etwas! Ich träum nicht! GWENDOLYN: Also? Mein Motor wird kalt ! HUPKA (ruft die Kulissen): Pisto! Pisto! Nimm es mir nicht übel : Ich hab mich als Untertan engagieren lassen. (Dunkel.) ZWEITES BILD (James, der Butler; Stimme des Grafen.) GRAF: James? JAMES: Exzellenz? (Vorhang auf. Die Szene stellt das Gemach des Grafen dar.) GRAF : Lesen Sie mir die Glückwunschtelegramme vor! JAMES: Sehr wohl, Exzellenz! (Liest.) Dem tollen Junker zur Erinnerung an unvergeßliche Sauhatz im Odenwald anno 1890 ein zackiges Weidmannsheil. Wilhelm. GRAF: Schau, schau! Daß der Alte sich noch an mich erinnert! Obwohl er wieder regieren darf! JAMES: Exzellenz geruhen zu verwechseln. Der wieder regieren darf, ist ein anderer. GRAF : Schon möglich, schon möglich. Also weiter in diesem Sinne. JAMES : Verzeihung, Exzellenz, ein Mann wünscht vorgelassen zu werden. GRAF : Was für ein Mann? JAMES: Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, eine suspekte Erscheinung, Exzellenz. Nichts würde mich weniger wundern, als wenn es eine Art Anarchist wäre, der Exzellenz nach dem Leben trachtet. GRAF: Vorzüglich. Ich lasse bitten. (Auftritt Hupka.) JAMES (anmeldend): Hupka. (Gibt Hupka einen versteckten Stoß und ab.) HUPKA: Hupka mein Name, Kilian Hupka. GRAF: Exzellent, exzellent. Und was weiter in diesem Sinne? HUPKA: Ich bin nämlich verlegen, Exzellenz. Weil eigentlich sollte ich eine blaue Schleife um den Hals tragen und mit 88 Kerzln besteckt sein. GRAF: Vorzüglich. HUPKA : Hupka mein Name. Aber im gegebenen Fall bin ich sozusagen eine Geburtstagstorte. GRAF: Vorzüglich. Jetzt weiß ich nur nicht, bin ich verrückt oder was. In der Zeitung steht, ich überschreite die 88 in voller körperlicher und geistiger Frische. Aber die Blätter lügen heutzutag so viel... HUPKA: Nicht verzweifeln, Exzellenz! Sie werden schon verstehen. Ich bin Ihnen als erster Untertan zum Geburtstag beschert worden. GRAF: Exzellent, exz ... Gerechter! Bin ich am Ende zum Außenminister nominiert? Man schenkt mich dem Volk wieder? HUPKA: Contraire, Exzellenz! Man schenkt Ihnen ein Volk. Allerdings wird Ihnen dieses Volk erst später ausgeliefert. Ich bin vorläufig ein Vorgeschmack. L'etat c'est moi! GRAF: Ein Volk! Ein Staat! HUPKA : Ein Herrscher! GRAF (sich aufreckend): Ich folge dem Ruf! HUPKA: Hoch! (James staubt die Scherpe ab und bindet sie dem Grafen um.) GRAF (mit starrem Blick): Wissen Sie, wer Bismarck vergiftet hat? HUPKA: Ja. Niemand. GRAF: Falsch. Ein Rohköstler. --- Wer ist schuld, daß die Mittelmächte den Krieg verloren haben? HUPKA (eingeschüchtert). Ich. Weil ich damals Plattfüße gehabt hab. GRAF: Falsch. Die Fagottisten. Der deutsche Generalstab war von Fagottisten durchsetzt. HUPKA: So eine Heimtücke. Aber jetzt kommt der Tag der Rache. GRAF: Hören Sie zu! Mein Plan zur Befriedung der Welt ist folgender: Zuerst trete ich aus dem Völkerbund aus. Damit wird der Weg frei für eine klarblickende Realpolitik. Dann wird die Danziger Frage als die vordringlichste gelöst. Nichts einfacher als das. Polen erhält einen Zugang zum Mittelmeer, und zwar mittels eines Korridors quer durch Osteuropa. HUPKA : Sie haben die Weltlage erfaßt. Das ist das Heureka des Kolumbus. GRAF : Und der einzige Weg zur Rettung des Weltfriedens. HUPKA: Nur weiß ich nicht, was die Völker ... GRAF: Was Sie mit den Völkern wollen! Das gehört doch zum Ressort des Innenministeriums. Wo hat man je gehört, daß man für Außenpolitik ein Volk braucht? GWENDOLYN (tritt auf Sie ist aufgelöst.): Luitpold! Es ist aus ! GRAF (küßt ihr die Hand): Gwendolyn, ich danke dir. Mein Schatten steht seit zehn Jahren schicksalsschwer hinter den Kulissen der europäischen Politik, aber ab heute werde ich ... GWENDOLYN : Es ist aus, Sweetheart ! Alles aus ! GRAF : ... Gelegenheit haben, mein diplomatisches Fingerspitzengefühl ... GWENDOLYN: Ich bin die unglücklichste Frau der Welt. Ich kann nicht mehr! (Schluchzt) GRAF:... zur Geltung zu bringen. Aber du scheinst mir weniger fröhlich zu sein als sonst. Oder täuscht mich mein Fingerspitzengefühl? GWENDOLYN: ... Das Telegramm! (Streckt schluchzend das Telegramm vor.) HUPKA: Sie gestatten mir doch als gänzlich Unbeteiligtem ... (Nimmt das Telegramm, liest.) »Schwarzer Freitag. Ihre Aktien gestern 22,26, heute null Komma null. Aktionär Gwendolyn-Building in Brand gesteckt. Stop. Protestmarsch zu Roosevelt. Keinerlei Hoffnung. Was tun?« GWENDOLYN (weinend): Das liegt seit Tagen auf meinem Schreibtisch. Luitpolt, warum hast du's nicht geöffnet? GRAF: Aus Prinzip, Teuerste. Ein Akt muß mindestens zwei Wochen liegen bleiben, damit die Lage ausreifen kann. HUPKA: Sie ist, bittschön, glaub ich, diesmal ausgereift. GWENDOLYN: Ich bin ruiniert, Luitpold! Ich habe kaum mehr 10.000 Dollar. Ich bin eine Bettlerin. GRAF : Ich verstehe gar nichts. GWENDOLYN: Du mußt auf dein Außenministerium verzichten. GRAF: Ich kenne mich absolut nicht aus. HUPKA : Es war sicher ein Fagottist. GRAF (sinkt nieder): Ich verstehe alles. Europa ist verloren. GWENDOLYN : Und ich hätte dir sogar einen Staat geschenkt. Mein armer Luitpold. GRAF (düster): Drei unsichtbare geheime Mächte vergiften mein Mark. Ich bin die Weltesche, und sie nagen an meinen Wurzeln. HUPKA: Moment, Moment, Exzellenz! Vielleicht ist's gar nicht nötig, daß Sie vollständig narrisch werden. GWENDOLYN: Hupka, machen Sie Ihre vierzehn Tage, ich muß Sie ausbürgern. HUPKA: Halt! Halt! Exzellenz, haben Sie nicht selber gesagt, für Außenpolitik braucht man kein Volk? Braucht man kein Volk, so braucht man kein Land. Ergo möchte man sich einen Staat ohne Land vorstellen können. Oder nicht'? GWENDOLYN: Ich verstehe gar nichts. GRAF: Gewiß, gewiß! Ein Staat ohne Land. Exzellent, exzellent. Das ist eine exzellente Idee. HUPKA (ekstatisch): Nur einen guten Namen müßte man für den Staat finden. Jeder Staat, der etwas auf sich hält, heißt nach einem Hotel-Restaurant. Also – na – ihr werdet doch ein Kaffeehaus wissen! GRAF: Café de France? HUPKA: France gibt es schon. GWENDOLYN: Cafe de l'Europe? HUPKA: Europa gibt es auch schon. Die schönsten Namen haben sie uns schon weggeschnappt. JAMES: Republik Herrenhof? HUPKA: Zu wenig demokratisch. --- Astoria ... Ich hab's: Königreich Astoria! DRITTES BILD (Salon der astorischen Botschaft. Großfürstin Anastasia M.; Lady P.; G. B. Shaw, Gwendolyn; James, der Butler.) GWENDOLYN : Wie entzückend, daß vom Feste Die entzückendsten der Gäste Sich zurückgezogen schon Im chinesischen Salon. Ich bin entzückt in ihrer Mitte, Sie verleih'n dem Fest den Reiz. GÄSTE : Aber bitte, bitte, bitte, bitte, Das Entzücken liegt ganz unsrerseits. JAMES: Nicht mit Unrecht hat dieser Rout versprochen, sich zu einem der glänzendsten Ereignisse der Londoner Season auszuwachsen. GWENDOLYN: Reges Treiben hier entfalten Prominenteste Gestalten Aus der Welt des Geists sowie Auch der Kunst und Industrie. Wie interessant auf Schritt und Tritte! Sie verleihen dem Feste Reiz. GÄSTE: Aber bitte, bitte, bitte, bitte, Das Interesse liegt ganz unsrerseits. JAMES: Unter anderem bemerken wir die reizende Gattin des Trägers eines der ältesten Namen unseres Landes – Lady P. LADY P.: Ich trage Toiletten nur von Paulette Grünzweig. BUTTER: Großfürstin Anastasia M., bis auf Widerruf im Exil. die, wie man wissen will, ihre blendende Schönheit den Spionageabteilungen der Großmächte zur Verfügung stellt. ANASTASIA (lacht verruchte Skala): Chachachachachacha! JAMES: G. B. Shaw. Einer unserer beliebtesten Zyniker. SHAW : Europa hat noch vierundzwanzig Stunden zu leben. Unsere Nachfolger werden die Hottentotten sein. Morgenstund' hat Gold im Mund. GÄSTE: Ach wie beißend und wie gleißend! Ach wie plastisch und sarkastisch! GWENDOLYN: Ach, wie sind Sie schonungslos Und wie stellen Sie uns bloß. So frei von Konvention und Sitte Verleihen Sie dem Fest den Reiz. SHAW: Aber bitte, bitte, bitte, bitte, Das Vergnügen ist nur unsrerseits. ALLE : Meinerseits, deinerseits, seinerseits, unsrerseits. (Hupka tritt auf. Er ist sehr elegant, im Frack, mit Orden ALLE (außer Gwendolyn): Ah, Herr Legationsrat ! (Umringen ihn.) ANASTASIA (Zu Gwendolyn): Apropos, Frau Gräfin, wo liegt eigentlich ihre schöne Heimat? GWENDOLYN: Ach? Bitte? LADY P.: Wie, Mylady, das wissen Sie nicht? Astoria liegt doch in Tirol. Und die Hauptstadt heißt Reinhardt. ANASTASIA: Mylady meinen Austria. Dessen Hauptstadt aber heißt ... SHAW: GroBfürstin Anastasia M. ist die einzige Russin, die sich in Geographie auskennt. Geographie ist ihre Weltanschauung. Ich bin für Abschaffung der Geographie. Das wäre das einzige Mittel, um den Krieg zu verhindern. GWENOLYN: Nein, wie sardonisch! Dürfte ich die Herrschaften bitten, sich in den malaischen Salon zu begeben? Die astorische Jazzband spielt Wiener Lieder. LADY P.: Oh, lovely! (Alle verlassen den Salon außer Anastasia.) ANASTASIA (ballt ihr Spitzentüchlein zusammen, runzelt die Stirne, vollführt einen falschen Abgang nach links, geht wieder zur Mitte, kneift die Augen zusammen, zischt rätselhaft): Charascho! (Sie vollführt einen Abgang großen Stils nach rechts. Beim Hinausgehen prallt sie mit Hupka zusammen, [der in den Salon zurückkommt]) HUPKA: Pardon. ANASTASIA (beziehungsvoll): Nitschewo! (Blickt ihm mit Tigeraugen nach.) Chaben Sie auch gern Tschaikowsky? HUPKA: Ein bißchen Rum hinein mit einer Spur Zitrone, und es gibt nichts Besseres. (Hat sich an der Bar niedergelassen.) ANASTASIA: Chachachachacha! (Ab.) HUPKA : Auch eine Intrigantin. Man hat es nicht leicht. (Trinkt.) GWENDOLYN (tritt auf; nervös): Trinken Sie nicht so viel. Jedes unvorsichtige Wort gefährdet die Existenz unseres Staates. HUPKA : Wenn es nur das wäre. Das schwerste Verdachtsmoment gegen unser Vaterland ist, daß wir absolut keinen Fremdenverkehr brauchen können. GWENDOLYN: Ah, Sie meinen diesen gräßlichen Forscher, der unbedingt Astoria durchqueren will. HUPKA (düster): Mit Blitzlicht und Kamera. GWENDOLYN: Den hab ich schon abgewimmelt. Ich habe ihm erklärt, Astoria sei ein unwegsames Gebirgsland, wo sich die geübtesten Hochtouristen den Hals brechen. HUPKA: Das trifft sich gut. Ich habe ihm nämlich erläutert, Astoria ist ein sumpfiges Tiefland, wo die Malaria haust. Nur leider, je mehr Giftschlangen und Tsetsefliegen ich ihm aufgetischt habe, desto mehr ist er in Stimmung gekommen. GWENDOLYN: Hupka, haben Sie sich schon auf einen Kontinent festgelegt? HUPKA: Noch nicht. Leider ist das unvermeidlich. GWENDOLYN : Ich sehe die Zukunft sehr düster. HUPKA: Ah ! Über das Licht wissen Sie also auch schon Bescheid? GWENDOLYN: Was über das Licht? HUPKA: Daß es in fünfzehn Minuten im ganzen Botschaftsgebäude auslöschen wird, weil wir die Stromrechnung nicht bezahlt haben. GWENDOLYN: Was für ein Skandal! HUPKA: Übrigens ist eh alles Wurscht, jetzt, wo wir uns mit dem Britischen Empire zerstritten haben. GWENDOLYN: Wieso? HUPKA: No, was soll ich machen, wenn der Lord Y. mir ankündigt, daß der König von England unsere Hauptstadt besuchen will? GWENDOLYN: Was haben Sie gesagt? HUPKA: Danke schön. Und : Leider geht's nicht. GWENDOLYN : Das ist eine tödliche Beleidigung des Empires. GRAF (tritt auf,[ ]feierlich): Herr Legationsrat, ich danke Ihnen! HUPKA: Nichts zu danken. GWENDOLYN: Luitpold, hat man dich arretiert? GRAF: Akkreditiert, Liebste. Die Geschicklichkeit unseres Hupka hat die träge Maschine des Foreign Office in schnellste Gangart gebracht. HUPKA: Wieso Geschicklichkeit? GRAF: Er hat das Empire auf das schwerste insultiert. Die erste Folge war, daß Astoria von Frankreich die Anerkennung versagt wurde. Demzufolge wurden wir a tempo von Deutschland anerkannt, eo ipso von der Kleinen Entente nicht anerkannt, daraufhin von Italien sofort anerkannt und damit de facto von Österreich und Ungarn, gleichzeitig nicht anerkannt von Amerika und als Protest anerkannt von Japan, und nach Abwägung des Für und Wider anerkannt vom Foreign Office. HUPKA: Es müßte mindestens zehn Jahre dauern, bis wir uns aus dem Ballawatsch wieder herauswurschteln. GRAF (stolz): Mindestens! Das nennt man Diplomatie. Und jetzt geh ich Orden verteilen. (Stolz ab.) (Die vorigen Gäste treten lachend wieder auf. Sie tragen einen Globus.) GWENDOLYN: Ach, wie entzückend! Und was für ein entzückender Globus! So schön rund ... LADY P.: Wissen Sie, Gräfin, was unser G. B. S. eben behauptet hat? SHAW: Ich habe behauptet, daß Astoria nicht existiert. (Stille.) GWENDOLYN: Entzückend! HUPKA : Heiliger Nepomuk, bitt für uns! SHAW: Ich habe im selben Atem behauptet, daß auch England und Amerika nicht existieren. LADY P.: Ja, stellen Sie sich vor! Das war der tiefschärfendste Aphorismus seines Lebens. ANASTASIA.: Nun haben wir dem Meister an Hand des Globus bewiesen, daß England und Amerika existieren. SHAW: Geographie ist ein politisches Argument, aber kein Beweis. LADY P.: Ach, wie skurril ! ANASTASIA Nur Königreich Astoria haben wir nicht finden können. Wie komisch, nicht wahr? HUPKA: Hahaha! (Alle blicken erwartungsvoll auf ihn und Gwendolyn. Hupka erhebt sich, betrunken.) Aber das ist doch ganz einfach LADY P.: Also dann zeigen Sie's. HUPKA: Ich erkläre es lieber. Astoria divisa est in tres partes. Quarum unam appellant cis secundam trans tertiam etcetera cum grazia ad infinitum. Corriere della sera. Caveant consules. Astoria ipsa lucus a non lucendo. Après nous cum grano salis. Jedze Polska ne signela. Astoria quasi una fantasia quo usque tandem ceterum censeo Carthaginem esse delendam. Vive l'Empereur! LADY P.: Er redet astorisch. SHAW: Astorisch und Usbekisch sind die Sprachen der Zukunft. HUPKA: (versucht, den Globus wegzuhantieren). Oh, die astorischen Nächte! — Wenn das Murmeln der Balalaika sich mit dem dumpfen Brüllen der Haifische mischt — wenn die Bergriesen sich melancholisch im Asphalt spiegeln und die zahmen Gnus zur Tränke eilen —wenn die Schollen dampfen und die Wellen des Pazifik von Kolumbus und den Wikingern träumen! Oh girls and boys! LADY P.: Sie haben uns auf Ihr herrliches Land ganz begierig gemacht. Wo liegt es denn? HUPKA (den Globus drehend): Ja, wie soll ich Ihnen das zeigen, wenn sich die Erde so schnell dreht? SHAW: Die Erde dreht sich nicht! Das ist ein galileisches Vorurteil! ALLE : Sehr richtig! (Auftritt. Graf mit Orden in der Hand.) LADY P.: Die Sache ist sehr verdächtig. Wo liegt Astoria? SHAW: Ja, im Namen der freien Kritik des europäischen Geistes, wo liegt das As ‑ GRAF: Ihnen, lieber Meister, verleihe ich für Verbreitung astorischer Denkungsart und -weise in aller Welt den Astorischen Biberorden III. Klasse, tax- und gebührenfrei! SHAW: Mein letzter Besuch in Astoria hat mich überzeugt, daß Sie das fortschrittlichste Land der Welt sind. LADY P.: Aber Liebste, wo liegt ... GRAF: Ihnen, Lady P., vertraue ich mit dem Ordenskreuz II. Klasse das Patronat über die astorische Veteranen- und Waisenhilfe an. Sie waren unseren Waisen immer eine Mutter. LADY P.: Die soziale Fürsorge Astorias, Ihres schönen Landes, ist ja so vorbildlich. ANASTASIA: Gut, guuut, aber wo, wo ... GRAF: Großfürstin! Ihnen als prominentestes Opfer des Bolschewismus, verleihe ich die astorische Ehrenbürgerschaft mit einer Apanage von 30.000 Pfund jährlich. ANASTASIA: Ich kenne und liebe Ihr primitives mystisches Land! Oh, ich liebe den geduldigen astorischen Muschik. — Chach, Mütterchen Astoria! HUPKA (hat nach jeder Verteilung ein Vivat ausgesprochen und ein Glas getrunken. Er ist völlig betrunken. Er dreht den Globus.): Girls and boys! Ich finde dieses verflixte Astoria nicht. ALLE: Ja wieso denn nicht?! (Alle zeigen vom anderen Ende des Zimmers auf den Globus.) Dort liegt's ja!!! HUPKA: Ach so ... (Alle bis auf Gwendolyn und Hupka verabschieden sich und gehen ab.) HUPKA: So, jetzt haben wir schon eine Staatsform, Staatsorden, geheime Militärbündnisse und eine Inflation. Natürlich fehlt uns jetzt noch einiges. Aber immerhin, es geht aufwärts. GWENDOLYN (zu HUPKA): Ich verstehe. Viel kann uns ja nicht mehr geschehen. Halt! Etwas fehlt noch! Das heiligste Gut unserer Tradition! Die Nationalhymne. Hupka, dichten Sie die Volkshymne, bevor alle gegangen sind. (HUPKA gröhlt, dann fallen alle ein. A tempo dunkel.) VIERTES BILD (Vor den Toren der astorischen Botschaft. Paul und Pistoletti schlafen. Paul erwacht von der Kälte.) PAUL: Kalt. PISTOLETTI (seinerseits aufwachend). Dich kann man mit nichts zufriedenstellen. Frostbeulen oder Sonnenbrand – alles auf einmal kann doch der Mensch nicht haben. PAUL (nach einer Pause): Kalt. PISTOLETTI: Dafür bist du wieder nüchtern. In der Trunkenheit ist der Mensch ein Vieh. Erfreust du dich denn gar nicht an deiner Menschenwürde? PAUL (zitternd): Das schon. Aber wenn ich jetzt wo in einer menschlichen Wirtsstube sitzen könnte und hätte was zum Essen und zum Trinken ... PISTOLETTI (richtet sich auf, gütig): Die heutige Jugend hat keine Logik in sich. In einem solchen Fall wärst du wieder besoffen, ergo ein Viech, ergo hättest du schon wieder keine menschliche Würde. PAUL: Aber glücklich tät ich sein. PISTOLETTI: Glücklich. Wo denn? PAUL (kleinlaut): Wo? (Ein Mondstrahl fällt auf das Schild der Astorischen Botschaft.) In Astoria, zum Beispiel. PISTOLETTI (interessiert): Astoria? Was ist denn das? PAUL: Irgendein Staat. Irgendwo in der Welt. PISTOLETTI: Nie gehört. PAUL: Ich auch nicht. Eben drum. PISTOLETTI: Ah so! Spinnen tust. PAUL (leise): Halt's Maul, Pistoletti. In Astoria sind im Winter die Straßen geheizt, daß die Obdachlosen nicht frieren. In einem jeden Schanigarten wachsen schippelweise Bananen. In Astoria saufen die Menschen nicht aus Unglück, sondern aus Glück. Weil in Astoria ist alles gratis. Sogar das Geld. Und die Mädeln tragen Sommerkleider. . . (Der Mondstrahl verläßt das Schild der Botschaft.) Aber du hast ja kein Interesse. Du schlafst ja. PISTOLETTI (au[.]fspringend). Wer schlaft, du Rotzbub? Glaubst du, bei so was kann einer schlafen? Du willst mir einreden, daß es so was gibt? Soviel Glück auf einem Fleck? PAUL (fest): Muß geben. Je größer anderswo das Elend ist, um so viel größer muß in Astoria die Seligkeit sein. Automatisch. Weil sonst gleicht es sich nie aus auf der Welt. PISTOLETTI (Aufbrausend.): Es muß sich ja gar nichts ausgleichen in der Welt. PAUL: Muß! Weil warum möcht man sonst leben? PISTOLETTI: Warum? No schau. Jetzt geh ich zum Beispiel ums Eck in die Markthalle hinüber und werde fragen, ob wer eine Arbeit für uns hat beim Lebensmittelabladen. Die Chance für uns ist 1:100.000. Hingegen wenn wir tot sind, ist die Chance null. Verstehst du jetzt den Unterschied zwischen lebendig sein und tot sein? PAUL: Der ist mir zu klein, der Unterschied. (Legt sich in den Schatten des Hauses zurück. Pistoletti ab. — Pause. — Auftritt Hortensia und Rosa.) HORTENSIA: Aber Rosa, das war wieder ein Herr, und du hast ihn glatt vorbeigelassen. ROSA: Das war kein Herr, Frau Hortensia, sondern ein Mann. HORTENSIA: Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Guldens nicht wert. Hochmut kommt vor dem Fall. ROSA: Wissen Sie, Frau Hortensia, es ist ja sehr lieb von Ihnen, daß Sie mich ins Geschäft einführen und daß Sie mich in Ihrem Rayon arbeiten lassen wollen und so. Aber ich glaub, ich hab kein Talent. HORTENSIA: Talent hast du schon, aber Prinzipien hast du keine. ROSA: Schon möglich. Ich bin auch nicht sparsam genug. HORTENSIA: Jugend kennt keine Tugend. ROSA: Ja, das wird's sein, ich bin zu unanständig für ein Strichmädel. Nämlich weil ich so unanständig bin, denk ich mir immer, was ich mir dabei denken würde. Und dann denk ich geschwind an was anderes, damit ich nicht mehr an das denken muß. HORTENSIA (mütterlich): Na, an was denn, Kinderl? (Mondstrahl.) ROSA: An dieses Land da. An Astoria. HORTENSIA: Wegen dem Geschäft? ROSA: In Astoria macht niemand Geschäfte. In Astoria wird alles aus Liebe gemacht. Oder gar nicht. Sogar die anständigsten und reichsten Frauen heiraten dort aus Liebe. In Astoria kriegen die Frauen die Kinder nicht aus Unglück, sondern aus Glück. Alle Menschen wohnen in kleinen Häusern am Land. Jeder hat einen Garten mit Glaskugeln, Gartenzwergen, Turteltauben, Hängematten, Veilchenbeeten und Rehen und Hirschen. Und es gibt dort ein Ehegesetz, daß ein Mann nur dann eine Frau haben kann, wenn er ein Kosewort für sie erfindet, das noch keiner vorher gebraucht hat. HORTENSIA (ergriffen): So einen Zustand gibt's doch nicht. Nirgends! ROSA: Muß. Weil wieso könnt es mir sonst einfallen? Von irgendwo müssen wir doch das haben, was wir uns so denken. Vielleicht haben wir alle schon einmal etwas von Astoria gehört, und dann haben wir es wieder vergessen. Aber immer haben wir ein Gefühl gehabt, daß wir uns wieder erinnern werden. Darum haben wir trotzdem immer weitergelebt. Oder wofür sonst, meinen Sie? (Mondstrahl verschwindet.) PAUL (aus dem Schatten): Damit der Unterschied größer wird. HORTENSIA: Siehst du, mein Kind, da meldet sich schon ein Interessent. Handle kulant und zeige dem Käufer Entgegenkommen, aber gib nichts auf Kredit. Vergeude auch keine Zeit mit Formalitäten. Zeit ist Geld, mein Kind. (Ab.) ROSA: Ja, Frau Hortensia. (Nähert sich zögernd Paul.) Kommst mit? PAUL (lächelnd): So mir nichts, dir nichts? Und gegrüßt wird gar nicht? ROSA (schüchtern): Grüß Gott. PAUL: Servus! (Lacht.) Siehst du, so gehört sich's. Hast aber, mir scheint, wenig Lebenserfahrung. ROSA: Die Frau Hortensia sagt, sie kennt das Leben. Aber das Leben will ich gar nicht leben. PAUL: Sollst auch nicht. Ist dir kalt? Bist du schläfrig? Setz dich zu mir. ROSA (gehorcht): Also, du willst doch mitkommen. PAUL: Freilich! Allein tätest du dich ja zu viel fürchten auf der großen Reise. ROSA: Auf der großen Reise? (Mondstrahl fällt auf das Schild.) PAUL: Liegt ja auf den Antipoden, das Land. Aber um so schöner ist es dann. Denk dir: Die Überfahrt war stürmisch ... ROSA: Die Überfahrt war stürmisch ... PAUL: Aber jetzt sind wir endlich in der Heimat gelandet. (Verwandlung: Phantastische Tropenlandschaft mit Palmen und Fabriksschloten. Heller Mittag. Paul und Rosa unter einer Palme.) PAUL: Schlaf noch ein bissl. Du darfst noch ein bisserl träumen. (Der Himmel hat sich grau gefärbt.) ROSA: Ich habe Angst, ob der Himmel nicht wieder grau ist. PAUL: Der Himmel ist nicht grau. PISTOLETTI (von draußen): Paul! Paul! (Paul und Rosa sind aufgesprungen. Pistoletti kommt hereingestürzt, schwenkt ein Zeitungsblatt.) PISTOLETTI: Da, lies! PAUL (stockend): Bei der internationalen Wirtschaftskonferenz in London ereignete sich ein aufsehenerregender Zwischenfall. Als die Diskussion über die Arbeitslosenfrage eröffnet wurde PISTOLETTI (reißt ihre das Blatt aus der Hand): – erhob sich der astorische Legationsrat Hupka und erklärte feierlich: – (Unterbricht) Hupka? Hupka? Den kenn ich doch. PAUL: So lies doch weiter! PISTOLETTI: — feierlich: »Unter sämtlichen Staatsbürgern von Astoria befindet sich derzeit nicht ein einziger Arbeitsloser.« – (Große Pause. Alle starren auf das Gesandtschaftstor. Dann reißt Pistoletti sich - und liest weiter.) »Nicht ein einziger Astorier ist krank, nicht ein einziger hungert. Die Säuglingssterblichkeit in Astoria beträgt null Komma null.« (Inzwischen ist Hortensia hereingekommen und hat den Jakob hinter sich hergezogen. Sie hören alle zu. Lange Stille. Alle starren auf das Tor. Dann, wie unter einem Zwang.) ALLE : Aufmachen! Aufmachen! Aufmachen!!! (Die Tür geht ^ auf kommt Hupka, sehr elegant gekleidet, stutzt einen Augenblick und will dann durch die Leute zurück, Pistoletti erkennt ihn.) PISTOLETTI: Hupka, Spezi! HUPKA (fremd): Ich kenne Sie nicht. PISTOLETTI: Also ein Herr Hupka bist du geworden? Ein Herr Hupka? HUPKA (peinlich berührt). Was wollen Sie? ALLE (stürmen auf Hupka ein): Eine Einreiseerlaubnis nach Astoria! (Hupka verdrückt sich betreten in die Kulissen.) PISTOLETTI (singt das »Chanson von der Ehre«.-) – [ÜBERLEITUNG] Willst du Platz am warmen Herde? Und für andre Platz daneben? Schweig von leiblicher Beschwerde, Weihe dich dem höhern Streben! Heb dich in die Geistessphäre, Wo sich scheiden Mensch und Vieh, Denk, oh denk an deine Ehre, Denke Tag und Nacht an sie! Winter ist ein arger Würger Und die Kälte — bittrer Segen. Doch der wahre Ehrenbürger Fühlt sich geistig überlegen! Frei von aller Erdenschwere Schwebt sein sittliches Gesetz. Strahlend wärmt ihn seine Ehre, Wärmt ihn besser als Briketts. Ehrentage dich verklären, All die köstlich kostenlosen. Du bekleidest tausend Ehren Statt sich selbst mit Rock und Hosen. Oh, verachte die Misere, Laß den Tisch mit Staub bedeckt, Aber halte rein die Ehre, Halt sie rein und unbefleckt. Sieh, auch ohne Barbeträge Spielen große Hasardeure, Wählen die bequemern Wege, Setzen nur mehr ihre Ehre! Von der großen Ehrentorte Schneide dir ein Stückchen ab, Nähre dich vom Ehrenworte Bis ans kühle Ehrengrab. FÜNFTES BILD (Bevor der Vorhang aufgeht, hört man mehrmals hinter dem Vorhang: »Der nächste, bitte!« Wenn der Vorhang sich öffnet, sieht man das Innere des Schalterraumes des astorischen Passamtes. Hupka sitzt in der Amtsstube an einem Tisch,ihm gegenüber ein zweiter Stuhl. An der Wand Plakate: »Zeichnet astorische Erdölanleihe!« – »Astorier, zahlt nur astorische Steuern!« – »Besuchet nicht das schöne Astoria!«– Hupka ist völlig erschöpft. Links hinten ist ein Absperrband gespannt. James bewacht den Eingang und lässt immer nur einen durch. Hinter dem Band drängen sich Menschen.) HUPKA: Ehrenbürger Nr. 23.687 bitte. Nicht drängen. (In der Schalteröffnung wird sichtbar. Partei Nr. 23.687 (EVA), mit Nummer auf der Brust.) PARTEI NR. 23.687: Herr Rat, ich bin Ihnen zutiefst verbunden. Ich war, wie Sie aus den Blättern wahrscheinlich wissen, bis gestern staatenlos. Mein Vaterland hat mich ausgebürgert, obwohl ich ihm als Wissenschaftler doch nach Kräften gedient habe. Es wird mich freuen, mich in meiner neuen Heimat in den Dienst der astorischen Wissenschaft zu stellen ... Warum lachen Sie? HUPKA: Warum ich lache? Aus 23.687 Gründen, Herr Professor. Hauptsächlich aber aus völliger Verblödung. PARTEI (lächelt gezwungen): Ach so! Müde? Na, dann wollen, wir die etwas lächerliche Formalität mit dem Visum möglichst schnell ... (reicht ihm seinen Paß.) HUPKA: Ja, das wollen wir, Herr Professor. Leider fehlt mir hier Ihr Meldezettel vom Jahre 1934. PARTEI (lacht): Aber wo ich 1934 gelebt habe, weiß doch die ganze Welt; das ist doch in allen Zeitungen gestanden, Herr Rat. HUPKA: Ein Beamter liest keine Zeitungen. Die einzige Lektüre eines Beamten sind Meldezettel. Der nächste Ehrenbürger bitte! PARTEI: Aber Herr Rat, ich ... HORTENSIA (schiebt sich vor, zu 23.687): Also weiter, weiter! Wie lange wollen Sie da noch herumreden, wo ich schon seit fünf Uhr früh ... (23.687 wird protestierend abgedrängt) HUPKA: Mit den Intellektuellen hat man's noch am leichtesten. HORTENSIA: Also Herr Rat. diesmal hab ich schon alles mitgebracht. Alles hab ich mitgebracht, alles. Hier ist der Impfschein von meinem Greißler, Herr Rat. Hier ist der Trauschein vom Trauzeugen meiner ältesten Nichte. Hier 592 Bestätigungen von allen meinen 592 Bräutigamen über meinen tadellosen Lebenswandel. HUPKA: Gut. Können Sie Astorisch? HORTENSIA (fassungslos): Ja, woher soll ich denn ... HUPKA: Der nächste Ehrenbürger, bitte. (Hortensia wird protestierend abgedrängt.) HUPKA : Natürlich! (Für sich.) Astorisch. Geniale Idee von mir. ROSA: Bitte, Herr Rat — seit drei Wochen komme ich schon jeden Tag, Herr Rat, wegen dem Visum, Herr Rat. HUPKA : No was denn, mein Kind. Können Sie Astorisch? ROSA (strahlend): Ja, freilich. HUPKA: Waaas? ROSA: Perfekte! Studio applikado pane consulario. Tres semenas studio lingua astorica! Tante voluntes imigratione en Astoria. Soy pur piccolo girl. Sed enough pinke-pinke foer piccolo Toussaint-Langenscheidt, Astorisch für Anfänger. (Weist das Buch vor.) HUPKA: Bravo! Ja, mein Kind, jetzt weiß ich nur mehr einen numerus, der clausus genug ist, daß keiner von euch hereinkommt. ROSA: Ich verstehe nicht, Herr Rat. HUPKA: Wirst gleich verstehen. (Fällt in den Amtston zurück.) Bitte 250 Pfund Einreisetaxe. ROSA: Zwei – hundert – fünfzig –? ROSA: Aber woher soll ich denn ... (Beginnt zu weinen. Geht zu den anderen.) HUPKA: Der nächste Ehrenbürger ‑ STIMMEN (alle zusammen, leise, aber sehr eindringlich): Herr Rat! Herr Rat! PAUL: Was ist mit mir? Ich bin Ehrenbürger 23.690. ANDERE STIMME (Eva): 23.692. ANDERE STIMME (Lenka): 23.700. ROSA: Wir haben alles mitgebracht, Herr Rat! HORTENSIA: Alles mitgebracht, Herr Rat! ANDERE STIMME (Lenka) (fordernd): Recht ist Recht, Herr Rat! HUPKA (erhebt sich): Stimmt. Recht ist Recht! Abgewimmelt müßt ihr werden, Kollegen! Aber wenigstens ordnungsgemäß. (Paul taucht auf. James will ihn nicht durchlassen, doch Hupka gibt ihm ein Zeichen, die Absperrung zu heben.) PAUL: Schweinerei ! HUPKA Was sagten Sie eben, junger Mann? PAUL: Gemeinheit sondergleichen. HUPKA: Ich danke Ihnen. Sie haben das Wort des Tages gesprochen. PAUL: Und Sie sind ein elender Tintenkuli, ein ganz gemeiner, eine Kreatur, die was uns pflanzen tut. HUPKA: Ich danke Ihnen nochmals. Höchste Zeit, daß mir das jemand ins Gesicht sagt. PAUL: Jahrelang zieht man durch die Welt, verdreckt — verlaust — verhungert — ohne Heimat. HUPKA: Und jetzt rufen Sie sogar meine teuersten Erinnerungen wach —Ihnen müßte man helfen. PAUL: Ich brauche keine Hilfe von Ihnen. Ich will mein Recht, ich will nach Astoria. HUPKA: No sagen Sie einmal, wie wär's, wenn ich Ihnen als Lakai hier in der Botschaft anstellen würde? Und Ihre Freundin, oder was Sie dergleichen haben, als Stubenmädchen? PAUL (fasziniert): Herrschaftlicher Lakai? HUPKA: Mit einer prachtvollen Livree — und — warten Sie — wie wäre es, wenn Sie dreißig stramme, sympathische junge Burschen auswählen würden, die auch Lust auf eine feste Anstellung haben. Mit 15 Pfund monatlich. Und mit Gratisbekleidung. PAUL: Ja, kann denn die Herrschaft hier so viele Lakaien brauchen? HUPKA: Seitdem ihr so brav Steuern und Anleihen zahlt, hat die Herrschaft sich in Erdöl gestürzt und ihren Haushalt ziemlich vergrößert. Sonst einen Wunsch? PAUL: Ja, wo müssen wir uns denn anmelden? HUPKA: Beim Oberlakai James. — Sonst noch einen Wunsch? PAUL: Ja — ist auch Gold auf der Livree drauf? HUPKA: Nur. (James zieht Paul die Livree an.)— Sonst was? PAUL: Nein. Danke ergebenst, Herr Rat. HUPKA: Keinen Wunsch mehr? Denken Sie scharf nach. PAUL (tut es; plötzlich aufstrahlend, in strammer Haltung): Fröhliche Ostern, Herr Rat. (Ab.) HUPKA : Fröhliche Ostern. Wunschlos glücklich. Und die große Reise nach Astoria? Vergessen. Daß die Menschen zu kaufen sind, habe ich schon gewußt. Aber daß man sie so billig kriegt? (Er singt das »Lied von der Käuflichkeit der Menschen«.) Ins Himmelblau die Rohstoffpreise steigen Als holde Boten junger Konjunktur. Der Markt belebt sich schon, und schamhaft zeigen Sich zarte Triebe börslicher Natur. Und nur ein Kurs hält mit der Hausse nicht Schritt, Nur eine Ware geht im Preis nicht mit Und bleibt die billigste in jedem Land : Das ist die Ausschußware »Mensch« genannt. Der Mensch kommt heutzutag im Durchschnittspreise Auf zehn Pfund Sterling nur pro Exemplar, Die Liefrungskosten spart er klugerweise, Er liefert selbst sich aus mit Haut und Haar. Ja, er verkauft sich fertig appretiert, Mit seiner Menschenwürde ausstaffiert, Und bist du, Käufer, mit den Mitteln knapp, So kauf sie auf Kredit – und stotter ab. Und kannst du weder heut noch morgen zahlen. Kauf ruhig weiter, kauf sie massenweis. Zahl statt mit Geld mit faulen Idealen, Der Mensch verschleudert sich um jeden Preis. Denn seinesgleichen gibt es viel zu viele, Er weiß es selbst und handelt auch danach Und kennt den Kurs im großen Börsenspiele; Der Geist ist billig, und das Fleisch ist schwach. DIE WARTENDEN: Die Rechnung stimmt nicht ganz, du Mann vom Fach, Du überschätzt des Gläubigers Geduld. Hast du kein Brot für uns, hast du kein Dach, Stehn fordernd wir vor deinem Rechenpult. Der Schuldner löst den Wechsel niemals ein, Die Ware Mensch will nicht mehr Ware sein. (Während der letzten Strophe ist es hinter der Bühne unruhig geworden. [Die] Ausrufe der Wartenden werden immer ungeduldiger, es wird an die Wand gehämmert. Die Wand droht einzustürzen. Da erscheint James, der Butler.) JAMES (an der Spitze einiger genau wie er gekleideter Lakaien, darunter Paul und Pistoletti. Das Folgende blitzschnell): Keine Angst, Herr Legationsrat! (Stößt grellen Signalpfiff aus. Ab im Laufschritt an der Spitze der übrigen Lakaien.) PAUL: Wer hat noch Wünsche? (Ab.) (Man hört ununterbrochen Signalpfiffe, während das Chorlied immer schwächer wird) HUPKA: Halt! Das will ich auch nicht, hört ihr?! Zurück! Dafür kann ich nichts! Zurück! (Sinkt machtlos nieder.) Das ist ja ein Chaos! (A tempo verstummt der ganze Lärm, der nur wenige Sekunden gedauert hat. [James tritt wieder auf]) JAMES: Ein Chaos? Wenn Herr Legationsrat mir die Bemerkung erlauben: Im Gegenteil. HUPKA: Im Gegenteil? JAMES: Das ist Ruhe und Ordnung. In diesem historischen Moment wird Astoria, wenn auch nach einer etwas ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte, erst das, was es so lange fälschlich zu sein vorgab. HUPKA: Ja was denn, um Gottes willen? JAMES: Ein Staat, Herr Legationsrat. SECHSTESBILD (Die Bühne zeigt die Spitze einer langen Bankettafel, deren Fortsetzung hinter den Kulissen gedacht ist.) sind. GWENDOLYN : (GONG. Alle stehen auf, Hupka zu spät.) Vivat die Königlich-Astorische Erdöl-AG ! ALLE: Vivat! (GONG. Alle setzen sich. Pistoletti kommt und serviert Zucker und Milch.) ANASTASIA (zu Hupka:): Schönes Wetterrr heute? (In diesem Moment ist Pistoletti aufgetreten und serviert zusammen mit James. Hupka starrt gebannt auf ihn und antwortet nicht. Statt seiner.) GWENDOLYN : (GONG. Bei jedem Gong werden die Löffel weitergereicht. Hupka ist zumeist zu spät.) Nicht wahr ja, es regnet in Strömen. GRAF: (GONG)Vorzüglich. Und dieser prächtige jungfräuliche Schnee auf allen Straßen ! HUPKA (aus seiner Erstarrung auffahrend). Weg! Weg! Gespenst, verdächtiges ! (Pistoletti ab.) ANASTASIA: Ja was chast du denn, Täubchen, astorisches? HUPKA: War er's? War er's nicht? Blödsinn – er darfs nicht sein. GWENDOLYN : Ja wer denn? HUPKA: Wer? Mein leibhaftig gewordenes schlechtes Gewissen. Aber das ist ja ein Blödsinn. Mein schlechtes Gewissen liegt im Armenspital von St. Ulrich und wettet mit weißen Mäusen um Sliwowitz. GWENDOLYN (zum rechten Nachbar. GONG)Er ist etwas berauscht, Mylord. ANASTASIA: Ja. Besoffen wie ein tungusischer Iswoschtnik! Willst du meine Seele, Bruder? Oder meinen weißglühenden Körper? (Pistoletti tritt auf und serviert stum.) HUPKA (fährt zusammen, schließt krampfhaft die Augen). Beides! Beides ! Nur dieses Gesicht nicht mehr sehen! (Pistoletti nach Blick ab.) HUPKA (öffnet zaghaft die Augen): Ist dieser Geist von einem Lakai schon fort? GWENDOLYN: Hupka! Benehmen Sie sich endlich! Sie befinden sich nicht in einem Bordell, sondern im Gegenteil! (Zum Tischnachbarn rechts:) (GONG) Aber das gestrige Wetter, Mylord – dieses strahlende Blau – GRAF: (GONG) Und dabei die vorzügliche Sonnenfinsternis ‑ HUPKA: Ich weiß, er wird wiederkommen. Aber was kann ich denn dafür– für die ganze Gemeinheit? Diesen ganzen Wirbel, diese Betrügerei, diese großangelegte? Das hab ich ja nicht gewußt im vorhinein – (Klammert sich an den Ärmel des Grafen.) Das hab ich nicht gewollt ! GRAF (völlig unbewegt): Da hat mir wieder ein Vandale eine Gräte in den Fisch geschmuggelt. Aber ich bin die Weltesche. HUPKA: Sie haben's gut. Sie sind blöd. GWENDOLYN: Hupka! Jetzt schweigen Sie und hören Sie auf mit diesen Lügen. Kommen Sie, Großfürstin, wir gehen in den chinesischen Salon. Er meint es nicht so. (Gwendolyn, Anastasia, Graf AB.) HUPKA ('öffnet die Augen): Jetzt lassen sie mich allein, die feigen Hunde. (Hupka allein. Pistoletti erscheint in der Türe.) HUPKA: Jetzt wär's schön, wenn ich in einem Mauseloch Platz hätte. (Will verschwinden.) PISTOLETTI: Hat Mylord sonst keine Wünsche? HUPKA : Ich – ich kenn Sie ja gar nicht ! PISTOLETTI: Die allerhöchste Erinnerungsgabe ist eben zu stark belastet. (Entfernt die Orden von Hupkas Brust.) Herr Legationsrat gestatten doch? HUPKA: Schauen Sie, Sie wissen ja selbst nicht, was Sie wollen. Es ist doch alles in bester Ordnung – in bester Ordnung mit unserem Staat. Für den Grafen ist gesorgt – für mich ist gesorgt – für das Erdöl ist gesorgt - PLSTOLETTI: Das werte Gedächtnis ist eben noch immer zu beengt. (Entfernt die Krawatte von Hupkas Kragen.) Herr Hupka haben doch nichts dagegen? HUPKA : Für die braven Lakaien wird auch gesorgt PISTOLETLI : Das werte Haupt des Oberhauptes noch nicht frei genug? (Nimmt ihm den Zylinder ab.) HUPKA : Und was die übrigen betrifft — PISTOLETTI: Aha – die übrigen! Jetzt wären wir endlich soweit. HUPKA: Schau, Pisto! PISTOLETTI: Da schau her! Jetzt erkennen Sie mich auch schon? Wir machen Fortschritte. HUPKA: Pisto! Warum tust du mich nicht duzen? Wieso bist du aus dem Spital heraus? Wie kommst du in die Livree? PISTOLETTI : In die Livree komm ich, weil man sonst nicht an Sie herankommt, Verehrtester. Aus dem Spital bin ich heraus, weil ein armer Teufel einen schweren Stand hat gegen den Schicksalsteufel. HUPKA : Das verstehe ich nicht. PISTOLETTI : Eben. — Deswegen duze ich Sie nicht. HUPKA: Pisto, hast du kein gutes Wort für mich? PISTOLEITTI: Doch! Und was für ein gutes! Warum laßt ihr uns nicht nach Astoria? HUPKA: Warum? (Brütet verzweifelt. Plötzlich erleuchtet.) Ja, warum eigentlich nicht! (GWENDOLYN tritt unbemerkt auf. Nur Pistoletti sieht sie.) HUPKA (begeistert): Jetzt, wo wir doch Geld haben wie Mist, infolge von unserem Erdöl, von unserem ätherischen. Jetzt könnten wir doch wirklich ein Land kaufen – ein Stücken Wald – und – und euch alle ansiedeln und euch Fabriken bauen und Pflüge schenken und Land –Land! (Versucht, Pistoletti zu umarmen. Der stößt ihn aber hart zurück. HUPKA erblickt GWENDOLYN, versucht, ihr stürmisch die Hand zu küssen.) Sie verstehen doch, was ich meine, Frau Gräfin? GWENDOLYN (stößt ihn zurück): Oh, ich verstehe sehr gut. – Sie rufen öffentliche Skandale hervor! – Sie konspirieren ohne Krawatte mit aufrührerischen Lakaien! –Ihr Platz ist nicht hier, sondern beim Mob! PISTOLETTI: Dagegen möchte ich mich im Namen des Mobs schärfstens verwahren ! HUPKA : Aber versteht ihr denn nicht, was ich meine? Astoria hat bis heute kein Land gehabt! PISTOLETTI : Kein Land – phantastisch! GWENDOLYN : Und Sie wollen, daß ich eines kaufe – wie? Damit mir jeder dahergelaufene Ingenieur nachweisen kann, daß es in Astoria kein Erdöl gibt. PISTOLETTI: Kein Erdöl – noch phantastischer. HUPKA : Schauen Sie, Frau Gräfin, jetzt ... Sie haben mir doch damals auf der Landstraße gesagt, Sie wollen ein Land kaufen ... Jetzt, wo Sie eine Börsenmagnatin sind, müssen Sie doch ein Einsehen haben ... ! (GWENDOLYN lacht.) PISTOLETTI : Eine Börsenmagnatin soll ein Einsehen haben? Das ist am allerphantastischsten. (Gwendolyn lacht.) HUPKA (hilflos zwischen beiden): Ich ... ich verstehe die Welt nicht mehr ... Pisto, warum versteh ich nichts mehr? PISTOLETTI : Das kommt vom Stehkragen ... Sie gestatten doch. (Reißt ihm den Kragen herunter) HUPKA: Ihr letztes Wort, Frau Gräfin? GWENDOLYN (lachend): Nein, mein lieber HUPKA. Ich kaufe kein Land. HUPKA: Nein? Dann pfeifen wir auf euer Astoria. Und daß Sie's wissen, noch heute lasse ich die ganze Seifenblase platzen ! PISFOLEFTI: HUPKA! Spezi.' HUPKA: Pisto! Kollegs! (Auftritt James, der Butler.) GWENDOLYN: James, nehmen Sie die Leute fest! HUPKA (mit Pistoletti ab durchs Fenster): Astoria existiert nicht! Die ganze Welt soll's erfahren! GWENDOLYN: James ... James, Sie waren doch immer mein bester Lakai ... jetzt müssen Sie mir helfen! JAMES : Zu Diensten, Frau Gräfin ... aber .. . GWENDOLYN : Aber. . .? JAMES : Zu Diensten, aber ich verlange die ganze Macht! SIEBENTES BILD (Kaffeehaus. Journalist, Sekretärin.) JOURNALIST: Schreiben Sie, Fräulein: Originalbericht Ihres nach Astoria entsandten Sonderkorrespondenten! SEKRETÄRIN : Was nun? Es wäre vielleicht nicht schlecht gewesen, wenn Sie wenigstens auf ein paar Tage nach Astoria gefahren wären. JOURNALIST : Sind Sie verrückt? Ein sechster Kontinent soll ihnen aus dem Pazifik auftauchen – und mich lockt doch keiner aus dem Cäfe Seniorenhof'! SEKRETÄRIN : No, was aber doch? JOURNALIST : Es wird sich schon was zusammenläppern. Schreiben Sie : Eben bahnen wir uns mit Hacke und Buschmesser einen Pfad durch die unwegsamen Dschungel von Krawonisch-Astoria SEKRETÄRIN : Eine Luft ist hier ... JOURNALIST: Danke für die Information. Schreiben Sie: Schwüle Tropenluft legt sich bleischwer auf unsere Lunge. SEKRETÄRIN: Herr Ober, einen kleinen Braunen! JOURNALIST : Danke. Ein Farbiger von pygmäenartigem Wuchs tritt uns entgegen – SEKRETÄRIN : Mit viel Milch! Aber ohne Haut ! JOURNALIST: Pfui! Wie grausam. – Die Feinde hatten ihn in tierischer Weise skalpiert, SEKRETÄRIN: Und ein Wasser! JOURNALIST: Da quälender Wassermangel herrscht, können wir dem Unglücklichen nicht helfen. — Sagen Sie, Fräulein, auf was hinauf ist der Doktor Gerstinger so arrogant geworden? SEKRETÄRIN : Was? Sie wissen nicht? Er ist doch jetzt der Leiter der amtlichen Korrespondenz von Astoria und Chefredakteur der Europa-Ausgabe der astorischen Nationalzeitung? JOURNALIST : Was? Das gibt's? SEKRETÄRIN : Seit gestern. JOURNALIST : No bravo! Wo es eine amtliche Korrespondenz ist, braucht man nichts mehr zu schreiben! Sie können gehen. (Auftritt HUPKA.) HUPKA : Frau Redakteurin — JOURNALIST: Wer ist das? Seit wann kommen in dieses Kaffeehaus fremde Menschen? SEKRETÄRIN : Legationsrat HUPKA. Seit gestern abgesägt. (Ab.) HUPKA: Frau Redakteurin, ich möchte Sie um die Publikation einer sehr wichtigen Nachricht bitten. JOURNALIST : Sehr wichtig? Schon gefährlich. Aber bitte, wenn Sie in der Montagnummer ganzseitig inserieren ... HUPKA : Es handelt sich, bittschön, nicht um ein Inserat, sondern darum, daß Astoria nicht existiert! JOURNALIST : Für so eine fette Lüge müssen Sie schon drei Inserate aufgeben. HUPKA: Aber das ist wahr. JOURNALIST : Wahr? Na, das kostet noch viel mehr! Das werden Sie gar nicht bezahlen können, Herr. Einigen wir uns vielleicht auf eine Lüge mittleren Formats. Das könnte ich Ihnen schon für zwei dreispaltige Inserate bieten. HUPKA : Aber es handelt sich nicht um Inserate in dem Fall ! JOURNALIST: Was heißt: in dem Fall? Es handelt sich immer um Inserate. (Ab.) HUPKA : Aber Frau Redakteurin, Astoria existiert nicht! LAUTSPRECHER : Die astorische Macht und der astorische Geist ergreifen in diesen Tagen Besitz von der ganzen Welt. Bei der diesjährigen Weltausstellung erregte besonderes Interesse der Pavillon der Astorischen Erdöl-AG. (HUPKA hört mit steigendem Befremden zu.) Aus den Abfallprodukten des astorischen Erdöls werden nämlich künstliche Nährstoffe erzeugt, welche infolge ihrer Billigkeit die Bevölkerungsmasse der Auslandsastorier für die nächste Zeit aller Nahrungssorgen entheben. HUPKA : Aber Astoria existiert doch nicht! LAUTSPRECHER: Der Begriff Staat setzt sich, populär ausgedrückt, zusammen aus Armee, Polizei, Beamten etc. Das alles besitzt Astoria. LAUTSPRECHER: Ab heute beginnt die RAVAG auf Wunsch zahlreicher Hörer mit dem astorischen Sprachkurs für Vorgeschrittene. Der Kurs wird geleitet von Meister Pluario, der für seinen astorischen Bauernroman »Die Sünde wider das Astorenblut« den staatlichen Literaturpreis erhielt". Bekanntlich hielt der Meister kürzlich im Wiener Kulturbund" als geistiger Repräsentant seiner Heimat .. . HUPKA (vor dem Lautsprecher, der unbeirrt weiterspricht): Aber – ihr habt doch keine Heimat. – Ihr wißt nicht, was eine Heimat ist! – Was ihr da anbetet, ist ... (Entmutigt.) Sie hören mich nicht. Es ist alles umsonst. (Lautsprecher verstummt.) PISTOLETTI: Hör zu, HUPKA! In einer halben Stunde wird im Garten der astorischen Botschaft ein Kolossaldenkmal des Staates Astoria enthüllt. Die Rede wird über alle Sender der Erde übertragen. Das ist deine letzte Chance, den ganzen Wahnsinn zu stoppen. Worauf wartest du? Schnell, lauf los. ACHTES BILD Denkmalenthüllung (Verhülltes Denkmal. In der Ehrenloge: GWENDOLYN, Graf James.) GRAF: Leute! Bevor ich in diesem historischen Moment meine Rede beginne, will ich sie mit den Worten schließen: Der Ruhm ist das Füllhorn der Treue! (Beifall.) GWENDOLYN: Liebe, liebe Freunde! Mitsünder im irdischen Jammertal! Wie ihr wißt, befasse ich mich nicht mit Politik. Ich bin nur eine schlichte Rechnerin und Geschäftsfrau. Meine einzige Sorge war und ist euer materielles Wohl. Nicht an mir ist's, in dieser weihevollen Stünde zu euch zu sprechen. Der einzige Berufene ist unser großer Stammler James. Ich bitte den erlauchten Stotterer James, diesen schlichten Mann aus dem Volke, das Wort zu ergreifen. Hup. James! (Huprufe und Beifall.) JAMES : Astoren und -törinnen. Heu ... heu ... heu ... heu ... VOLK : Heu ... heu ... heu ...heu JAMES (abwinkend):... heute ist ein großer Tag. Ich bin auch in der La... la ... la ... la ... VOLK (nach der Melodie der Hymne). La ... la ... la . la ... JAMES (abwinkend):... Lage, euch zu erklären, warum. Nun ... heute starb nämlich der letzte Astorier, welcher noch nicht dem freiwilligen Verein der Lakaien" und solcher, die es werden wollen, angehört. Ein Zi... zi ... zi . . . zi ... VOLK : Zi ... Zi ... Zi ... Zi ... JAMES: Ziegelstein erschlug ihn unversehens. Friede seiner Asche. Von nun ab besteht die auslandsastorische Bevölkerung aus lauter freiwilligen Lakaien und solchen, die es werden wollen. Ich ... ich ... ich ...ich (krampfhaft) VOLK: Hooooooch! JAMES: Ich habe daher die Möglichkeit, euch als Vereinsmitgliedern eine vertrauliche Enthüllung zu machen, die mir schon lange auf dem Herzen liegt. Astoren! Monatelang haben die geheimen Weltmächte: Fagottismus, Vandalismus und Rohköstlertum die Meldung zu verbreiten gesucht. Astoria besitze keinerlei Landfläche. Diese schamlose Lügenmeldung ist ... ist ... ist ...ist VOLK: Pfui! Pfui! Pfui! Pfui! JAMES: Ist wahr. (Donnernder Beifall.) Astoria besitzt kein Land. Was besitzt Astoria? Astoria besitzt den besten Beamtenapparat, die beste Armee der Welt. Was braucht Astoria noch? Einen noch besseren Beamtenapparat und eine noch bessere Armee. Und was weiter? Etwa Weizenfelder? Lachhaft! Jeder moderne Mensch weiß, daß Flugzeuge wichtiger sind als Getreide. Wohnhäuser? Der Großteil unserer Männer wohnt in den Kasernen verbündeter Staaten, der Großteil der Frauen in den Kantinen. Das sind insgesamt dreißig Prozent der Be völkerung. Weitere dreißig wohnen in diversen, uns liebenswürdigerweise zur Verfügung gestellten Gefängnissen. (Beifall.) Die restlichen vierzig Prozent wohnen in der Welt verstreut auf fremder Erde. Wohl uns! Diese merkwürdigen Wohnverhältnisse bewahren uns vor dem größten Übel dieses Jahrhunderts, vor der Zufriedenheit! Erhobenen Hauptes fiebern wir in ewiger innerer Dynamik und Unrast der Zukunft entgegen, ob sie nun düster sein wird oder ... oder ... oder ...oder VOLK: Hooooooooch! JAMES: ... oder düster. Wer wagt also zu behaupten, daß der Staat Astoria nicht existiert? Ich frage: Was ist eher ein Staat zu nennen : die Negerrepublik Liberia, die zwar ein ausgedehntes Territorium, aber nicht einen einzigen Exekutionsbeamten besitzt, oder Astoria, das umgekehrt kein Territorium aufzuweisen hat, wohl aber einen modernst ausgebildeten Beamtenapparat? As....As...As....As.... VOLK: As....As....As.....As.... JAMES: Astoria, der modernste Staatstypus, ist uns strahlend erstanden als die konsequenteste, restloseste, kompromißloseste Vollendung des modernen Staatsgedankens: Der Staat an und für sich ; der Staat, befreit von allen Nebenerscheinungen, die anderswo diesen Begriff verunreinigen; der Staat, reduziert auf den Staatsapparat! Astoren, diese epochemachende Enthüllung sei euch veranschaulicht durch die Enthüllung unseres Triumphdenkmals. Genug geschwiegen, umschrieben und beschönigt! Die Hülle falle! Astoren, ich ... ich ... ich ... (Donnernder Beifall.) (Auftritt HUPKA. Er springt auf die Rednertribüne.) HUPKA: Leuteln! Kollegen! (James will ihn packen) GWENDOLYN (lächelnd): Lassen Sie doch, lieber James. Es lohnt sich nicht der Mühe! HUPKA: Glaubt mir! Astoria existiert nicht! (Schweigen. HUPKA ist verwirrt.) Ihr versteht mich nicht. Aber es doch so einfach ... So redets doch was! Warum habts denn geklatscht, wie der geredet hat ... (Hier beginnen die Gäste der Ehrentribüne plötzlich zu lachen, das Lachen hallt im Volk wider und schwillt dröhnend an. Lachend packt James HUPKA beim Kragen und befördert ihn mit einem Fußtritt hinaus.) GRAF (lachend): James, wer war dieser fagottistische Hanswurst? JAMES: Ein Vagabund. GWENDOLYN : Kennen Sie ihn vielleicht? JAMES : Ein gewisser HUPKA. GWENDOLYN : HUPKA'? Kenn ich nicht. (Ernst werdend.) Aber wir sind alle Sünder. Wer wirft den ersten Stein? (Einen Moment Stille, dann großes Gelächter und Triumphmusik. Dunkel.)