IRA-Opfer Leichensucher im Moor Ermordet und vergraben: Die irische Terrorgruppe IRA ließ viele ihrer Opfer verschwinden, oft sind die Leichen bis heute nicht gefunden. In abgelegenen Mooren suchen Fahnder jetzt mit Laser, Bodenradar und anderen Methoden nach den Toten - und haben erstaunlichen Erfolg. Um ihn verschwinden zu lassen, schleppt man einen Toten am besten ins Moor. Abgelegene Torfgruben bieten sich an: keine Wanderer, keine neugierigen Spaziergänger, keine herumschnüffelnden Hunde. In solch einem Aushub steht die meiste Zeit trübschlammiges Wasser, in das garantiert niemand hineinwatet. Dazu kommt: Die Gegenden geben keine Orientierung; sie sind öde, ohne Bäume, Sträucher oder Felsen - niemand findet sich zurecht Irische Moore sind der Arbeitsplatz von John McIlwaine. Der Archäologe von der University of Bradford sucht im Auftrag der Unabhängigen Kommission für die Lokalisierung der Überreste von Opfern (Independent Commission for the Location of Victims' Remains, ICLVR) nach den Vermissten, die in den Jahren der Unruhen in Irland von der IRA und anderen militanten Organisationen entführt und ermordet wurden. Insgesamt 14 Namen stehen auf der Liste der "Verschwundenen" - wie die Opfer in Irland genannt werden. Sechs davon haben McIlwaine und sein Team bisher finden und bergen können. Zu neun der Morde bekannte sich die IRA im Jahr 1999. Doch das bedeutete nicht, dass sie auch Hinweise auf den Verbleib der Leichen lieferte. Die kamen erst in der Folgezeit spärlich bei der ICLVR an. Über eine Telefonhotline können die Täter oder Mitwisser heute anonyme Hinweise geben. Im Fall von Charlie Armstrong, der 1981 auf dem Weg zur Messe spurlos verschwand, bekam die Familie von einem Unbekannten eine markierte Landkarte zugeschickt. Die Hinweise sind aber in den meisten Fällen nur ein vager Fingerzeig in die ungefähre Richtung. "Das menschliche Erinnerungsvermögen ist höchst unzuverlässig", sagt McIlwaine im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Dazu komme eben die Ödnis der Landschaft: "Wir haben keine Markierungspunkte, mit denen man eine Karte zeichnen könnte." Wie sah die Landschaft früher aus? Die Suche beginnt damit, Einheimische zu fragen, die am nächsten wohnen. Hat sich die Gegend in den letzten Jahrzehnten verändert? Gab es Pfade, die heute zugewachsen sind? Ausgetrocknete Flussläufe? Neue Torfgruben? Wenn die Archäologen das Gelände so rekonstruiert haben, wie es zum Zeitpunkt des Verschwindens aussah, kann die eigentliche Arbeit beginnen. Mit raffinierten Methoden versuchen sie, verdächtige Stellen im Gelände zu orten. Zunächst tasten Laserstrahlen vom Flugzeug aus den Boden ab. Der sogenannte "Lidar" (Light Detection And Ranging) kartiert jede Unebenheit, jede Mulde, jeden Hügel. Dann schicken Fahnder elektrische Ströme in den Boden und messen den spezifischen Widerstand. Der ist für Torf anders als für Steine - oder eben für Knochen. Ähnlich ertastet auch die Magnetometrie Anomalien im Boden: Sie findet Störungen des Erdmagnetfeldes, die durch vergrabene Überreste im Erdboden hervorgerufen werden. Bodenradar rundet die geophysische Untersuchung ab. Hierbei wird gemessen, wie schnell Radarimpulse reflektiert werden. Auch das hängt wieder davon ab, auf welches Material sie im Boden treffen. Zum Abschluss der Voruntersuchungen kommen die Leichenspürhunde. Um ihnen die Arbeit zu erleichtern, stoßen ihre Trainer Stangen in den Boden - so können die Gerüche aus der Tiefe besser an die Oberfläche dringen. Doch gerade in Mooren und auf Müllkippen, wo alle möglichen Verwesungsprozesse große Mengen an Methan freisetzen, haben es die Hundenasen oft schwer, den Geruch schon lange verrotteter Leichen zu lokalisieren. Nach dem Verhör erschossen Am Ende legen McIlwaine und sein Team die entstandenen Karten übereinander und suchen nach Punkten, an denen möglichst viele der Methoden anzeigen: "Da ist etwas!" Die vielversprechendsten von ihnen werden zuerst untersucht. Der schwammige Untergrund ist eine Herausforderung für einen Archäologen: "Torf ist im Grunde genommen nichts anderes als Garten-Kompost", erklärt McIlwaine. Eine lockere Schichtung halbverwester Pflanzenteile, die eine Störung - etwa durch den Aushub einer Grabgrube - leicht verraten würde. Zudem ist der Boden sehr sauer und voller Tannine. Menschliche Überreste nehmen dadurch innerhalb kürzester Zeit genau die selbe bräunliche Färbung an wie der Boden. "Man sucht nach etwas Braunem vor einem genau gleich-braunen Hintergrund", erzählt McIlwaine. "Mit Holzstückchen dazwischen, die genau so aussehen wie Knochen." Diese Bodenbesonderheit macht den Job der Sucher zu einer mentalen Meisterleistung. "Man muss sich unglaublich konzentrieren, um überhaupt etwas zu entdecken", sagt McIlwaine. "Und dazu kommt noch die große Verantwortung, nichts zu übersehen." Bei einer normalen archäologischen Ausgrabung ist eine übersehene Scherbe oder Pfeilspitze zwar bedauernswert, hat aber keine tragischen Ausmaße. Bei der Suche nach den Opfern von Verbrechen aber kann ein Nachlassen der Aufmerksamkeit oder eine Störung der Konzentration darüber entscheiden, ob eine Familie nach Jahrzehnten der Ungewissheit Frieden findet oder nicht. Doch nicht nur psychisch, auch körperlich ist der Job eine Herausforderung. "Die wohl schwierigste Suche war die nach Danny McIlhone in den Wicklow Mountains", erinnert sich McIlwaine. Nach zwei vergeblichen Anläufen 1999 und 2000 fand das Team seine Leiche schließlich im November 2008. Der damals 19-Jährige wurde 1981 aus seiner Wohnung entführt. Die IRA beschuldigte ihn, Waffen gestohlen zu haben. Bei einem Verhör kam es zum Streit mit seinem Bewacher, der daraufhin Danny erschoss. Muskeln, Haut und Haare Um seine Leiche zu finden, musste das Team zehn Hektar Boden abschaben - das entspricht gut 20 Fußballfeldern -, jeweils in einzelnen Schichten von 10 Zentimetern. Regen und Stürme, die "zwischen ungemütlich und absolut bitter schwankten", erschwerten die Arbeit. McIlwaine erinnert sich: "Ich wiege 102 Kilo und bin 1,83 Meter groß - nicht gerade ein Fliegengewicht. Und am Ende einiger Tage tat mir alles weh, weil ich mich die ganze Zeit heftig gegen den Wind lehnen musste - der hätte mich sonst umgeweht." Oft sind die Leichen trotz Jahrzehnten im Torf erstaunlich gut erhalten. "Das sind nicht nur Knochen", erklärt McIlwaine den Unterschied zu den Überresten, die Archäologen üblicherweise ausgraben. "Da sind oft noch Muskeln und Haut dran. Und einmal hielt ich sogar ein Büschel blonder Haare in den Händen." McIlwaine gehen diese intimen Berührungen mit den Opfern oft nahe. Besonders, weil er ihre Geschichten so gut kennt. Etwa alle drei Monate setzt sich sein Team mit den Angehörigen zusammen, um neue Ergebnisse der Suchen zu besprechen. Am schlimmsten ist es für ihn deshalb auch, wenn sein Team nichts findet. "Es gibt die intellektuelle Seite in mir, die natürlich genau weiß, dass es nicht meine Schuld ist, wenn wir mit leeren Händen von einer Suche zurückkommen. Wo nichts ist, können wir schließlich auch bei aller Sorgfalt nichts finden. Aber da ist auch die emotionale Seite, die die Familien nicht enttäuschen will. Und mit der klar zu kommen, ist für mich sehr schwer." McIlwaine stammt selber aus Nordirland. "Ich habe meine Kindheit mitten in diesem Konflikt verlebt", erzählt er. "Das hat zwar keinen direkten Einfluss auf meine Arbeit, aber es gibt ihr noch eine weitere Dimension." Er ist mit den Ängsten und Sorgen der Iren aufgewachsen; weiß, wie die Familien sich fühlen. "Die Familien der Opfer sind Katholiken", erklärt der Ausgräber. "Für die Angehörigen reicht es nicht, nur ein Geständnis der Täter zu haben. Für sie ist es sehr wichtig, dass ihr Mann, ihr Sohn, ihr Bruder in geweihter Erde begraben liegt."