Roland Wagner, Tomáš Káňa: Sprachliche Entwicklungstendenzen im heutigen Deutschen Inhaltsverzeichnis 1. Theoretische Vorüberlegungen. 2 1.1. Begriffsbestimmung „Entwicklungstendenzen“. 2 1.2. Sprachliche Entwicklungstendenzen vs. Änderungen im Sprachgebrauch. 2 1.3. Ursachen für Sprachwandel 4 1.4. Normative × deskriptive Grammatik.. 6 2. Phonetische Neuerungen. 7 2.1. Durchsetzung des Zäpfchen-Rs in der Standardsprache. 7 2.2. Zusammenfall von langem /e:/ und /ä:/ 7 3. Morphosyntaktische Entwicklungstendenzen. 8 3.1. Neuorganisation der Flexionsklassen der Substantive. 9 3.2. Abbau von redundanter Genitiv-Markierung. 10 3.3. Rückgang der starken Verben. 12 3.4. Periphrastische Verbformen. 13 3.4.1. würde-Form.. 13 3.4.2. Doppeltes Plusquamperfekt 13 3.4.3. Rheinische Verlaufsform.. 13 3.4.4 Funktionsverbgefüge. 13 3.5. Vereinheitlichung des Satzbaus. 14 3.5.1. Ersetzung von Genitiv-Objekten. 14 3.5.2. Akkusativisierung durch Präfixe. 14 3.5.3. Zurückdrängung von impersonalen Satzmustern. 14 4. Entwicklungstendenzen im Lexikon. 14 4.1. Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen. 14 4.1.1. Entnazifizierung: 15 4.1.2. Medialisierung: 15 4.1.3. Technisierung und Bürokratisierung. 15 4.1.4. Verwissenschaftlichung: 15 4.1.5. Emanzipatorische Bewegungen der 70er und 80er Jahre: 15 4.1.6. Internationalisierung. 15 4.1.6. Wiedervereinigung. 15 4.2. Wortbildung. 16 4.3. Komposition. 16 4.4. Konversion. 16 4.5. Entlehnung: Anglizismen im Deutschen. 16 4.5.1. Zu den Ursachen: 16 4.5.2. Einteilungsmöglichkeiten von Anglizismen. 17 4.5.3. Bewertung von Anglizismen. 18 5. Entwicklungstendenzen auf der textuellen und pragmatischen Ebene ............ 19 1. Theoretische Vorüberlegungen 1.1. Begriffsbestimmung „Entwicklungstendenzen“ Definitionen in der Fachliteratur: „[…] Zusammenfassung einer größeren Anzahl meist gleichartiger Veränderungen, die sich in der Regel in einer bestimmten Zeitspanne und in gleicher Richtung (engl. drift) bemerkbar machen.“ (Masařík/Kratochvílová 1998, 3) „Häufung gleicher oder ähnlicher sprachlicher Veränderungen […], die […] über einen längeren Zeitraum wirken […].“ Langner (1984, zit. in Masařík/Kratochvílová 1998, 3): Diskussion: Wichtige Elemente: „Entwicklung“: gerichtete Veränderung, „Tendenz“: noch nicht zu einem Abschluss gekommen, „heutig“: nach dem 2. Weltkrieg, „Deutsch“: problematischer Begriff, den wir hier nicht genauer bestimmen, „sprachlich“: Systembezogen, nicht jede beliebige Veränderung im Sprachgebrauch. 1.2. Sprachliche Entwicklungstendenzen vs. Änderungen im Sprachgebrauch Unterscheidungen von sprachlichen (systembedingten) und außersprachlichen (gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, organisatorischen usw.) Erscheinungen notwendig. Vgl.: De Saussure: Langue ist das Sprachsystem: Zwänge für den Sprachbenutzer ohne Wahlfreiheit! Parole: die Art und Weise, wie die Sprecher das System benutzen; gehört nicht in die Kompetenz der Linguistik. Bsp.: Krone und Euro in der Tschechischen Republik: beim Übergang in die Eurozone findet kein Sprachwandel statt, auch wenn in allen möglichen Texten dann „Krone“ durch „Euro“ ersetzt wird. → gesellschaftlicher, nicht sprachlicher Wandel. Beispiele für häufig angeführte Erscheinungen, die keine sprachlichen Entwicklungstendenzen im eigentlichen Sinne sind: a) Satzlänge Behauptung: Im gegenwärtigen Deutschen ist die Satzlänge gegenüber früheren Entwicklungsstadien des Deutschen kürzer. Beleg: Auszählung der Satzlänge in (meist) literarischen Werken; z. B. bei Goethe 10,9 % der Sätze 21-24 Wörter, die statistisch häufigste Satzlänge bei den Klassikern ist 17-20 Wörter, heutige Romane dagegen kürzer (vgl. Braun 1979, 39f.; Stedje 1999, 177); Randbemerkung („Ausnahmen“): auch bei den Klassikern gibt es schon Autoren, die kurze Sätze benutzen (Lessing: Ch. G. Gellerts, 18: Jh:, „nur“ 15,8 Wörter im Durchschnitt!); Umgekehrt: auch in der Gegenwartsliteratur gibt es Autoren, die lange Sätze verwenden (vgl. Braun 1979, 40: Musil, Mann, Böll, Walser, Grass, d. h. praktisch ALLE wirklich bedeutenden Autoren der Zwischen- und Nachkriegszeit!) Statistische Schlussfolgerung: Tendenz zu kürzeren Sätzen; Ist aus Systemsicht jedoch irrelevant! Die Ausnahmen zeigen, dass es sich nicht um sprachlichen Wandel handelt, sondern um die unterschiedliche Ausnutzung der immer gegebenen Möglichkeiten des Sprachsystems (Chomsky: Rekursivität[1] der Sprache). Zu jeder Zeit ist es möglich, beliebig lange Sätze zu bilden (selbstverständlich auch heute noch); die statistischen Unterschiede gehen auf literarische Moden/Strömungen und die unterschiedliche Zusammensetzung der Korpora (Klassiker vs. Jerry-Cotton-Heftchen und Bild-Zeitung) zurück. Ergo: Veränderungen in der durchschnittlichen Satzlänge haben nichts mit dem Sprachsystem zu tun und sind daher nicht Ausdruck von sprachlichen Entwicklungstendenzen im Deutschen. b) Tendenz zur verkürzten (verstümmelten) Ausdrucksweise z. B. Höppnerová (2006): „Telegrammstil“: Bsp.: Verkaufe Mercedes! Und zahllose Beispiele aus Annoncen, SMS, E-Mails etc. Stellt eine Verwechslung von Entwicklungstendenzen mit der Gliederung in verschiedene Funktionalstile dar! Beispiele belegen nicht, dass sich die deutsche Sprache verändert (viele Beispiele von Höppnerová sind aus Sicht der Standardsprache eindeutig defizitär), sondern nur, dass bestimmte Sprachstile heute (dank der Massenmedien) verschriftlicht werden! Nicht die Sprache, sondern die Möglichkeiten, bestimmte Dinge öffentlich zu schreiben, haben sich verändert; Soziologisches Problem, nicht sprachliches! Verschiebungen in diesem Bereich (z. B. Vordringen von umgangssprachlichen Formen in die Domäne der Hochsprache) ist eher ein soziales Phänomen und hat zunächst mit der langue nichts zu tun! Was dagegen sprachliche Entwicklungstendenzen sind: Erscheinungen, die den Sprechern keine Wahlmöglichkeit lassen. ich erinner mich deiner → an dich Mich hungert → Ich habe Hunger *Das ist ein schön Kleid → ein schönes Kleid (vgl. erstarrte Form in der Redewendung Gut Ding will Weile haben) *leichtes Schrittes → leichten Schrittes (Ágel 2002, 18-21) der Witz (‚Esprit‘) → der Witz (‚pointierte Anekdote‘) Da stetiger Gebrauch aber zur Regelbildung führen kann, ist mit einer Übergangszone zwischen beiden zu rechnen (z. B. bei Nominalisierungen oder v. a. Lexik): Grenzfall: Fräulein; Entschuldigung, mein Herr; das Deutschtum; (heute verschwundene Formen) Loser etc. (heute neu verwendete Formen) Sozialer Wandel kann langfristig zu sprachlichem Wandel führen, z. B. zum Verschwinden bestimmter Formen bzw. zu Bedeutungswandel bestehender Lexeme (Besp.: die Dirne, heute ‚Prostituierte‘, früher ‚Mädchen‘). Trotzdem muss beides methodologisch unterschieden werden. Fazit: Entwicklungstendenzen (im linguistischen Sinne) betreffen nur Veränderungen im Sprachsystem, nicht generelle alle Änderungen, die im Sprachmaterial feststellbar sind. Nur Veränderungen im System können mit linguistischen Methoden beschrieben und erklärt werden. Abschließende Definition: Sprachliche Entwicklungstendenzen sind gerichtete Veränderungen im Sprachsystem, die langfristig zur Produktion neuer, verbindlicher Formen führen. 1.3. Ursachen für Sprachwandel Sprachliche Variation & Selektion: Jedes Sprachsystem produziert für denselben Inhalt verschiedene Ausdrucksvarianten; Diese Varianten unterliegen der Selektion nach verschiedenen Kriterien; die jeweils geeignetste Variante setzt sich durch und kann sich daher allgemein verbreiten → Sprachwandel. Diskussion Selektionskriterien (vgl. z. B. Thurmair 2002): Soziale Faktoren, Systemkonformität der Varianten, Ökonomieprinzipien. a) Soziale Faktoren: Prestige einer bestimmten Sprechergruppe wird auf deren Sprachform übertragen; Prestigeträchtige Varianten haben bessere Aussichten sich durchzusetzen und auch von anderen Sprechergruppen übernommen zu werden. Beispiel: (1) a. Ich habe das nicht bemerkt. (2011 noch allgemeine Standardvariante) b. Ich habe das nicht realisiert. (Variante, die von Sprechern mit internationalen Kontakten benutzt wird: geht auf englische Interferenz zurück, engl. to realize ‚bemerken‘) (1b) hat wegen Prestige der Sprechergruppe (Manager, Spitzenpolitiker, Wissenschaftler, Kulturschaffende) gute Chancen, sich durchzusetzen. (2) a. Ich gehe in die Stadt. (Standardvariante) b. Ich geh‘ Stadt. (Slangvariante, die primär von Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund verwendet wird) In gewissen Kreisen, z.B. unter Hauptschülern in Stadtvierteln mit hohem MigrantInnenanteil, genießt die Sprechergruppe von (2b) (türkischstämmige Jugendliche) das höchste Prestige: Variante (2b) wird auch von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund übernommen. b) Systemkonformität: Manche zufällig produzierten Varianten entsprechen den allgemeinen Systemregularitäten einer Sprache besser als andere → haben daher größere Chance, sich durchzusetzen. Bsp.: Abbau der sog. schwachen Deklination. (3) Mike gibt seinem Pilot das Zeichen (Originalbeleg FAZ) Standardvariante (Rechtschreib-DUDENb1996, 569): dem Piloten Vgl. jedoch andere, stark frequente dt. Substantive: (4) a. seinem Freund b. seinem Kind c. seiner Frau Ø-Endung im Dat Sg. entspricht dem System des Deutschen → gute Chancen, sich durchzusetzen c) Ökonomieprinzipien Urspr. für die Phonologie formuliert (A. Martinet 1960; 1969) Auf andere Sprachebenen übertragbar, z.B. Prinzipien von Kiparsky (2005, 114): Ökonomie ↔ Expressivität „Vermeide Komplexität!“ „Drücke Bedeutung aus!“ Beide Prinzipien müssen sich die Waage halten, da übermäßige Ökonomie (Abbau von phonol. Material) mit Deutlichkeitsverlust (Schwierigkeiten bei der Dekodierung) einhergeht. Bsp. 1: Unregelmäßige Komparativformen gut : besser besser hat verschiedene Konkurrenten: (5) a. besser b. guter c. gut (5c) am ökonomischsten, da kein zusätzliches Material angefügt; geht aber auf Kosten der Expressivität da der Unterschied zw. gut /positiv/ und gut /komparativ/ nicht mehr ausgedrückt wird; (5b) expressiver, aber weniger ökonomisch, das zwei Morpheme nötig: {gut}+{er} (5a) morphologisch nicht segmentierbar (*bes-), daher am ökonomischsten: ein Morphem {besser}, trotzdem distinktiv zu gut. (Sofern man die Existenz einer neuen lexikalischen Einheit nicht als zusätzliche Belastung des Wortschatzes und damit als unökonomisch einschätzt; eigentlich müssten syntaktische Bildungen wie mehr gut am ökonomischsten und expressivsten sein: potentielle Entwicklungstendenz!) Bsp. 2: Süddeutsche e-Apokope (phon. Wegfall des auslautenden [e]) als Folge von Sprachökonomie, z.B.: (6) haid ‚heute‘, die Laid ‚die Leute‘, die Disch ‚die Tische‘, Soch des net! ‚Sage das nicht!‘ (Fränkisch); im Haus (Standard statt älter im Hause). Führt bei Durchführung im Imperfekt jedoch zum Verlust des morphologischen Kontrastes zum Präsens: (7) sie lacht – sie lachte sie sagt – sie sagte sie fragt – sie fragte → Im Süddeutschen: Ersatz des Imperfekts durch das Perfekt (außer war und wollt‘) Externe Faktoren - Gesellschaftliche Veränderungen (z. B. Emanzipation → ^TFräulein), - Sprachkontakte (Anglizismen) Betrifft v. a. lockerer strukturierte Systembereiche, d. h. Wortschatz. Zusammenfassung: Entwicklung in der Sprache entsteht durch die Existenz von Varianten und deren anschließende Selektion im Sprachgebrauch. 1.4. Normative x deskriptive Grammatik Erscheinungen, die mit Sprachwandel zusammenhängen, können von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet werden: - Normativ: Die jeweiligen Autoren bewerten die neuen Formen nach mehr oder weniger expliziten Kriterien; Sprachwissenschaft als „Sprachkritik“ und Sprachpflege; - Deskriptiv: Die Autoren beschreiben die neuen Entwicklungen möglichst genau, ohne sie gleichzeitig zu bewerten; ideal: Naturwissenschaften. Beispiele für den normativen Ansatz in der Germanistik: (Hervorhebungen R. W.) · „Verarmung des Verbalsystems“, „Genitivverlust“, das Dativ-Plural-Affix „droht in den Sog des Abbaus der Kasusflexive zu geraten“ (Masarik/Kratochvilová 1998,s. 22), „Verarmung“, „Substantivitis“, „inhumaner Akkusativ“ bei be-Verben (jemanden beliefern statt jemandem etwas liefern). · Zum Fremdwortgebrauch: „In der Allgemeinsprache […] sollten Fremdwörter in den Fällen vermieden werden, wo sie der Leser oder Hörer nicht ohne weiteres versteht“ (Stedje 1999, 171); · „Gefahr“ des „Expertendeutsch“ (a.a.O., S. 168) · Zum Eindringen von Umgangssprache in die Schriftsprache (a.a.O., S. 175): · „Die bestehende Diskrepanz zwischen Sprachgebrauch und Norm wird also nicht mehr unbedingt [!] als ‚Sprachverfall‘ gedeutet.“ · Vgl. auch Bastian Sick: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Köln: Kiepenheuer und Witsch, 2007. Kritik der Sprachkritik: - Überschätzung der Verknüpfung von gram. Struktur und Bedeutungsstruktur, - Frage nach der Legitimierung: Warum soll irgendjemand das Recht haben, anderen vorzuschreiben, wie sie sprechen sollen? - Verabsolutierung des eigenen Standpunkts: an klassischen Texten geschulte Profi-Leser wollen allen anderen Vorschreiben, wie sie sprachlich handeln sollen, ohne deren Standpunkt (Profis auf anderen Gebieten) zu kennen; - Konservatismus: alles Neue negativ; Hier: Ablehnung des normativen Standpunkts; Beschreibung (Deskription) statt Wertung (Normierung). Wichtig für die Seminararbeit: Bemühung um einen deskriptiven Standpunkt; keine normativen Standpunkte (z. B. zu den Anglizismen) unkritisch aus der Sekundärliteratur übernehmen! Die weitere Gliederung orientiert sich an den Ebenen des Sprachsystems, auf denen sich die Entwicklungstendenzen bemerkbar machen. Frage: Welche Ebenen gibt es? 2. Phonetische Neuerungen 2.1. Durchsetzung des Zäpfchen-Rs in der Standardsprache grün, kriechen, Tritt, dritte, Brot, Prag, vgl.: Filme der 30er Jahre!!! Zungenspitzen-R durchgehend die Norm, was heute fremdartig (wenn nicht gar: ‚nazistisch‘) anmutet; Das Zungenspitzen-R kann zur Erzielung von künstlerischen Effekten (z. B. Aggressivität bei Rammstein) eingesetzt werden (nicht mit neutralem Sprachgebrauch verwechseln!) Die Situation in den Dialekten kann sich vom Standard unterscheiden, z. B. Zungenspitzen-R im Süddeutschen. fränk. Broud, a roude Schdaddwoschd, a Graddler ‘Landstreicher’ 2.2. Zusammenfall von langem /e:/ und /ä:/ Tendenz in der heutigen Standardsprache, langes /e:/ und langes /ä:/ nicht mehr zu unterscheiden; Phonetisch: urspr. [e:] : [æ:] fällt in [ε:] oder (v. a. in Norddeutschland) sogar in [e:] zusammen; Beispiele für Wörter, die homonym werden: Ähre : Ehre Bären : Beeren Fälle : Felle Gewähr : Gewehr Sie gäbe (Konj. II) : Sie gebe (Konj. I) Sprachliche Situation laut Wikipedia (Abgerufen: 26. 7. 2011), Eintrag „Vokale“: „Der lange ä-Laut wird in einem bedeutenden Teil Deutschlands nicht vom langen e-Laut unterschieden. Das heißt, dass dort in der Aussprache zum Beispiel nicht zwischen Gewähr und Gewehr unterschieden wird. Die kurz ausgesprochenen Buchstaben ä und e bezeichnen im Standarddeutschen aber immer denselben Laut: den kurzen, halboffenen Vokal: die Aussprachen von „Fälle“ und „Felle“ sind identisch.“ Hintergrund (DUDEN 2009, 54 f.): Bei der Umlautung (z. B. Vater → Väter) wird der ursprngl. Vokal a artikulatorisch nach vorne verschoben; phonetisch entsteht dadurch ein [e:]- oder [æ:]-artiger Laut; Da immer der einheitliche a-Laut zugrunde liegt, kann die Wahl des einen oder des anderen Lautes nicht distinktiv wirken; Es entsteht eine Konkurrenzsituation: sowohl [e:] als auch [æ:] kann gewählt werden; Demgegenüber gibt es nur wenige Kontexte, in denen [e:] : [æ:] distinktiv wirken (z. B. in den oben angeführten Beispielen); Systematisch geraten [e:] und [æ:] nur bei der Konjunktivbildung (Konj. II mit Umlaut; Konj. I mit urspr. e) in Kontrast; Ausgehend von den Konkurrenzkontexten (freie Variation) setzt sich eine vereinheitlichte mittlere Lautung [ε:] durch, die auch auf die urspr. Kontrastkontexte ausgedehnt wird. DUDEN: Zusammenfall ist systemkonform; Hinderling (1982): nur ältere Norm, d. h. /e:/ : /ä:/ systemkonform; gewandelte Haltung der DUDEN-Redaktion fördert sekundär systemkonträre Entwicklungstendenzen 3. Morphosyntaktische Entwicklungstendenzen Morphologie im Engeren Sinne: Flexionsmorphologie = Endungen (und sonstige „Veränderungen“) an den Wörtern, je nach grammatischer Funktion; Gewöhnlich aber: auch periphrastische Formen (z. B. Perfekt), an die Syntax gekoppelte Erscheinungen (z. B. „Genitivschwund“, Akkusativsierung via be-) und Wortbildung unter „Morphologie“ eingereiht: Morpho-Syntax Allgemeine Tendenz des Deutschen: synthetischer Sprachbau → analytischer Sprachbau Frage: Verstehen Sie den Unterschied? Die deutsche Sprache entwickelt sich bereits Jahrhunderten von einer synthetischen zu einer analytischen Sprache. Synthetische Formen (Ausdruck der gram. Kategorie durch ein Morphem im Morphembestand des betroffenen Wortes) werden zunehmend durch syntaktische Umschreibungen (mehrere Wörter) ersetzt, die grammatikalisiert werden. Diese Entwicklung hat sich auch in neuerstes Zeit fortgesetzt. Beispiel: a) Tempusbildung für Vergangenes; Synthetisch: Imperfekt (Ich lachte, ich schlief); Analytisch: Perfekt (Ich habe darüber gelacht, ich habe geschlafen). Tendenz zu analytischen Formen: Paraphrasierung und schließlich vollständige Ersetzung der synthetischen Formen durch die analytischen. Im Oberdeutschen in Bezug auf Imperfekt/Perfekt (mit Ausnahme von „Hilfs- und Modalverben“ in der semantischen („Vollverb“) Funktion) bereits abgeschlossen. b) Artikel übernimmt Kasus-Markierung der Zaun – den Zaun – dem Zaun – (des Zaunes) 3.1. Neuorganisation der Flexionsklassen der Substantive Literatur: Rolf Thieroff, in: Linguistik Online, 16, 2003 (4) http://www.linguistik-online.com/16_03/thieroff.html der Automat - am Automat(en), der Bär – Wir müssen den Bär(en) fangen; der Friede(n), der Funke(n) die Gruft - die Grüfte/Gruften, Mike gibt seinem Pilot das Zeichen zur Beschleunigung. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2001, S. 2) die Mütze des Bubs (statt: des Buben) (G. Hauptmann) Zur Erklärung muss das Sprachsystem herangezogen werden: Flexionsklassen (z. B. 11 verschiedene), die sich weder mit der Genuseinteilung decken noch rein phonologisch motiviert sind: kompliziertes Mischsystem Mögliche Tendenzen: Durchsetzung von Genus (Möglichkeit a) oder Remotivierung der Klasse nach semantischen oder phonologischen Kriterien (Möglichkeit b); Nübling (2008): a) bei den Femina setzt sich ein Genussystem durch: -e/-en wird zur prototypischen f-Klasse, Umlaut markiert (prototypisch) Maskulina; b) bei den Maskulina setzt sich eine Remotivierung der Flexionsklasse durch: die „schwache Deklinationsklasse“ versammelt best. semantische (+belebt, +hum) und phonologische (trochäischer Ausgang auf –e, mehrsilbig) Merkmale → Systemtendenz: ungeeignete Kandidaten werden umgebildet oder wechseln die Deklinationsklasse Ad a): Femina: Klasse 4 (Städte-Klasse) ungeeignet, da mit Umlaut markiert; Umlaut hat aber die Tendenz, als Maskulin-Marker reinterpretiert zu werden → Räumung der Klasse bis auf wenige hochfrequente Vertreter: Bereits abgeschlossen: die Schlucht - †die Schlüchte > die Schluchten Noch im Gange: die Flucht - die Flüchte > die Fluchten, (erhalten in Ausflüchte) die Gruft – die Grüfte > die Gruften Die gemischte Klasse (Klasse 3) wird zur reinen Femininklasse ad b): Maskulina der schwachen Deklination (-en): Der Klasse werden bestimmte, typische Merkmale zugeschrieben: - maskuline, belebte, v. a. menschliche Wesen, - Schwa-Ausgang (Affe, Bote; aber nicht: Bär, Mensch), - Pänultima-Betonung (Matrose, Afghane, Tscheche; aber nicht: Automat, Pilot, Bub), - Mehrsilbig (Gedanke, Franzose; aber nicht: Mensch, Fink, Spatz) Protototypisch und wenig prototypische Vertreter; Beibehaltung (und Neuaufnahme: Afghane) der prototypischen, Abwanderung der weniger prototypischen: III/VI (-belebt): Gedanke; nicht belebt, daher bereits abgewandert (der Schade > der Schaden – die Schäden: Klasse 8 mit Reinterpretation des Flexivs als Stammelement) oder gerade dabei (der Funke(n), der Friede(n)), VIII (Bär-Klasse ohne –e und Einsilbig): Bär, Fink, Spatz schwanken; VII (Mensch): z. B. Christ, Fürst, Held, Prinz schwanken; Gnom bereits in Klasse 6 (starke Maskulina, Einsilbig, vgl. Tag) abgewandert. Automat, Planet, Brillant (unbelebt!): schwanken; Magnet – Magneten/Magnete schon stark in Klasse 5: Endbetonte Maskulina oder Einsilbige mit Umlaut, Gast/Gäste) integriert. Seminararbeit: Im Internet/Korpus Frequenz der Konkurrenzformen feststellen; Prototypen-Theorie überprüfen; Lexika überprüfen, ob Schwankung verzeichnet/Semantik prüfen. 3.2. Abbau von redundanter Genitiv-Markierung (morphologische Seite des angeblichen Genitivschwundes, vgl. Bastian Sick: „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“) Die Leiden des jungen Werthers (J. W. von Goethe im Original) / heute eher: Die Leiden des jungen Werther „der große Streifen Himmels“ (Musil, Mann, S. 648) Tendenz: a) bei Eigennamen (Werther, Europa, Vatikan) fällt die Genitiv-Markierung weg, wenn an anderer Stelle markiert, b) Bildung von Kasuslosen Konstruktionen mit Mengenangaben u. ä.: (ein Streifen Himmel, eine Tasse Tee, Anfang September); wenn kein Artikel vorhanden ist, der die Kasus-Markierung erzwingt (*Anfang die Woche), c) Ersetzung der Genitiv-Verbindung durch Präpositionalgruppen oder Komposita Beispiele: Die Bürger Europas aber Die Bürger des freien Europa ^?Die letzten Tage des September (heute eher: Septembertage, Tage im September, Anfang September)) (dtv-Sprachatlas) Vertreter des Vatikan, Korrespondenten des Berner Tageblatt, die Erfindung des Radar, der Fahrer des LkW (Höppnerová (2006) Sonderfall Possessivkonstruktionen: Ottos Mopps – der Mopps von Otto – dem Otto sein Mopps In den Dialekten schon lange vollständig verschwunden; auch in der Umgangssprache durch von Präpositionalphrase (PP) ersetzt; in der Schriftsprache jedoch stabil! Ggf. Differenzierung von Bestimmtheit/Unbestimmtheit, da bei fehlendem Artikel von-PP obligatorisch auch in der Schriftsprache eintritt: Die Einfuhr des Erdöls (determiniert) x von Erdöl (indeterminiert) Die Erwartungen der Schüler (determiniert) x von Schälern (indeterminiert); Genitiv in anderen Adnominalen Positionen: Auch in vielen anderen Fällen durch Präpositionen ersetzt: N + N[Gen] – N + PP Lehrstuhl für deutsche Sprache (^?Lehrstuhl der deutschen Sprache) Oder Komposita: Die ersten Septembertage, Schreibwarenhandlung, Deutschlehrertagung (statt entsprechende Genitivkonstruktionen) Ergänzung zu (b): Unflektiertes Attribut in der NP Ausgehend von Mengenangaben auf weitere Fälle ausgeweitet (produktiv!) Eine Überdosis Kokain Ein Glas Milch Ein Kilo Tomaten Ecke Waldstraße-Wiener Straße Die Regierung Schröder Eine Art Mensch In Richtung Schönefeld Das Buch Hiob Jedoch auch Gegentendenz: Schrifttum der modernen Gesellschaft zwingt zu immer stärkerer Kondensierung (vgl. später Syntax): immer mehr Nominalisierungen? Schriftlich bleibt hier der Genitiv bestehen, genau wie bei sekundären Präpositionen: anlässlich, hinsichtlich, laut etc: In bestimmten funktionalen Stilen (Behördensprache, Fachtexte etc.) ist der Genitiv auf dem Vormarsch: Ergo: Kein Tot des Genitivs, diesbezügliche Aussagen sind stark vom Funktionalstil abhängig. Seminararbeit: ImKorpus Frequenz der Konkurrenzformen Genitiv bei Eigennamen mit und ohne –s. Lexika überprüfen, ob Schwankung verzeichnet/Semantik prüfen. 3.3. Rückgang der starken Verben Entwicklungslinie mit verschiedenen Stadien, auf denen bestimmte Verben „stehen geblieben“ sein können: nur starke Form → Konkurrenz mit schwacher Form → Aussterben der starken Form freie Variation / Bedeutungsdifferenzierung / stilistische Differenzierung (stark=alt/gehoben) / regionale Differenzierung (ggf. nur in Phraseolo- gismen erhalten) Bereits archaisch bis unverständlich/unbekannt: bellen – der Hund boll (Masarik/Kratochvilova, s. 30) > bellte fragen – frug – (aber: hat gefragen???) „Warum frug er nichts?“ (Musil, Mann ohne Eigenschaften, Bd. 1, S. 475, 1930/32) pflegen – pflog – gepflogen (‚used to do‘; etwas pflegen) > pflegte (Umgang mit) „außer mit einigen engeren Amtskollegen …. pflog er fast keinen gesellschaftlichen Verkehr“ (Wassermann, Der Fall Maurizius, S. 27, 1928); heute nur noch: Gepflogenheiten; saugen – sog (nur: Er sog die Luft ein) > saugte, heute nur noch: Ein Sog erfasste ihn. stecken – stak > steckte sieden – sott (nur noch: Gesottenes und Gebratenes: Auseinanderfallen des Lexems) > gesiedet backen – buk > backte hauen – hieb (eher als Substantiv: ein Hieb mit dem Säbel) > haute Bedeutungsdifferenzierend bzw. stilistisch markiert: Bedeutungsdifferenzierung (teilw. mit rückläufiger Tendenz: Aufhebung der Distinktion): schaffen – schuf (ein Bild)/schaffte (den Zug) gären – gor (???) (adj.: vergoren, unausgegoren)/gärte senden – sandte (Brief)/sendete (Fernsehen) Sonderfall: transitiv/intransitiv geschieden: bewegen (em-Übungsgrammatik): als intransitives Verb schwach, als transitives stark „Wer sich nie viel bewegt hat, wird auch im Alter keinen Sport mehr treiben.“ x „Die Aussicht auf eine schnelle Karriere hat ihn bewogen die Firma zu wechseln.“ Ich: Was hat dich zu diesem Schritt bewegt? (zumindest in Süddeutschland) heute stilistisch bereits neutral → Tendenz zur Aufhebung der Distinktion erschrecken – erschrak > erschreckte – ist erschrocken > ist erschreckt wenden – wandte (sich an jemanden)/wendete (das Auto) Stilistischer Faktor: wandte (sich an jemanden) > wendete sich an jemanden sendete den Brief per Einschreiben Einfache Ersetzung ohne semantische oder stilistische Distinktion: melken – molk > melkte (nur noch erhalten in: die Molke (fachsprchl.), die Molkerei) Neuer Übergänge: speien – spie > speite gleiten – glitt > gleitete (in meinem Bewusstsein (R.W.) noch schwach verankert): Gesamttendenz: Verlust der starken Formen ausgehend vom oberdeutschen Sprachraum (Zusammenhang mit dem Fehlen des Imperfekts?); Hinweis: mehr schwache Formen in süddeutschen Dialekten (fränkisch: Hadds scho angfangt?; österr.: Des hob´i mi net gedenkt! hochdt.: nur stark: angefangen; gedacht). Die starken Verben sind heute unproduktiv: keine Neubildungen oder Integration von Lehnwörtern; Insgesamt (wegen außerordentlicher Gebrauchshäufigkeit) ist der Kernbestand der starken Verben aber stabil! Seminararbeit: Möglichkeit der Untersuchung in Korpus, verschiedene Wörterbücher vergleichen; mögliche Bedeutungsdifferenzierungen feststellen; erstarrte Formen finden) 3.4. Periphrastische Verbformen 3.4.1. würde-Form 3.4.2. Doppeltes Plusquamperfekt Ich hatte das schon bestellt gehabt. 3.4.3. Rheinische Verlaufsform^^[2] am + Infinitiv + sein: Am Überlehen sein, Er ist am Schreiben. Ich bin noch am Überlegen. Stahl (2007): Progressivkonstruktion Genauso produktiv (nach R. Wagner): Kausativkonstruktion zum + Infinitiv + bringen Er bringt den Ball zum Platzen. Seminararbeit: Korpusanalyse. Wie geläufig sind diese Formen in der geschriebenen Sprache? Gibt es regionale Unterschiede? 3.4.4. Funktionsverbgefüge „Streckformen“: in Erwägung ziehen, zum Ausdruck bringen, in Angriff nehmen, Verzicht leisten Seit den 60er Jahren auf dem Vormarsch; zunächst von Sprachpuristen abgelehnt: „kindische Ausdrucksweise“ (Mackensen 1964); „bringt die Bewegung … zum Erstarren“ (Seibicke 1969); „Hauptwörterseuche“ (Korn 1962); Inzwischen anerkannt und als Stilmittel einer professionellen Ausdrucksweise unverzichtbar Seminararbeit: 1) Überprüfung der Konkurrenzformen FVG x Verb-Simplex; 2) setzen, bringen, ziehen, machen, nehmen u.a. desemantisiert (Korpusrecherche) 3.5. Vereinheitlichung des Satzbaus (Transitivierung) Satzmuster stellt sich auf einheitlich S[Nom] – V[fin] – S[ak]/PP ein. 3.5.1. Ersetzung von Genitiv-Objekten Ersatz und Erhaltung in archaischen oder feierlichen Registern: †jemandes erwähnen (Wassermann 1928, S. 164) → jemanden erwähnen †sich eines Menschen erinnern → sich an einen Menschen erinnern sich einer Begebenheit entsinnen → sich an eine Begebenheit erinnern Wir gedenken der Toten (Beerdigung und Messe; nicht identisch mit: wir denken an die Toten) Erhaltung im Spezialwortschatz (Recht, Politik: jemanden eines Vergehens beschuldigen, sich der Stimme enthalten) oder in festen Wendung (Eines Tages wirst du noch an mich denken, hier allerdings nicht Objekt, sondern Temporalangabe). 3.5.2. Akkusativisierung durch Präfixe be-: beheizen, beantragen, (einen Fußballplatz) bespielen, bekochen, bemuttern; ent-: (den Keller) entrümpeln, (den Müll) entsorgen kündigen: jemandem kündigen → jemanden kündigen (Sie sind gekündigt!) 3.5.3. Zurückdrängung von impersonalen Satzmustern †ihm ahnte, dass (Wassermann , S. 265) > Er ahnte, dass … (heute nur noch umgangssprchl. mir schwant, dass …) †mich schämt > ich schäme mich Mich dürstet. (veraltet) > Ich habe Durst. Mich friert. (noch gebräuchlich) > Ich friere. 4. Entwicklungstendenzen im Lexikon 4.1. Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen Lexikon: am schwächsten strukturiert und daher den externen Faktoren (Veränderungen in der nicht-sprachlichen Umgebung des Systems) am leichtesten zugänglich. (Stedje 1999, 161) Gesellschaftliche Veränderungen seit dem Zweiten Weltkrieg: 4.1.1. Entnazifizierung: Rasse, Volk, Volkstum, Deutschtum; Gehorsam, Kamerad; Körperertüchtigung; heute (außerhalb von rechtsradikalen Kreisen) zu gebrauchen; Vgl. „Dem deutschen Volke“ (Aufschrift auf dem Berliner Reichstag) der öffentlichen Kritik ausgesetzt (um 2000); 4.1.2. Medialisierung: Vgl. „Standardisierung“; vgl. Werbesprache: Küchenstudio, Haarstudio, Boutique, Hundesalon, Videoshop; Spitzen-, -fest (reißfest, krisenfest) Riesen-, - echt (waschecht) Bomben-, -leicht (pflegeleicht) Super-, Mini-; „Nicht immer aber immer öfter“, „Ein ganzer Kerl, dank Schappi“ 4.1.3. Technisierung und Bürokratisierung Einwohnermeldeamt, gegenfinanzieren; Tiefkühltruhe, Munddusche, S-Bahn) 4.1.4. Verwissenschaftlichung: „Bildungsexplosion“ der 70er Jahre (Universitätsbildung verbreitet sich in breitere Schichten, Verallgemeinerung bestimmter wiss. Fachtermini): Bafög, ausdiskutieren, Diskurs, andenken, Strukturen, hinterfragen, System, Wahrnehmung; 4.1.5. Emanzipatorische Bewegungen der 70er und 80er Jahre: · Neue Lexik: antiautoritär, basisdemokratisch, WG, Querdenker · Umdeutung von vorher positiv/negativ besetzten Begriffen: brav, ein ganzer Kerl (-); schräg, unbequem, unangepasst (+); · Abbau bzw. Ersetzung von Lexik: †Fräulein, Titel, #Arme (sozial Schwache), #Lehrling (Azubi), #Arbeiter (Arbeitnehmer), #Altersheim (Seniorenwohnheim), #Ausländer (Menschen mit Migrationshintergrund) → political correctness oder Beitrag zur Kommunikationskultur? 4.1.6. Internationalisierung Anglizismen; internationale Neubildungen bzw. Nachbildungen (lebenslanges Lernen; EURO-Zone, Wirtschafts- und Währungsunion, googlen) 4.1.6. Wiedervereinigung Mauerfall, Besser-Wessi, Jammer-Ossi; Gauck-Behörde; Verlust von DDR-Wortschatz; 4.2. Wortbildung Suffigierung mit „Sufixoiden“: fließender Übergang zur Kompositabildung -bar: haltbar, vertretbar, singbar; erneuerbar; -los: arbeitslos, verantwortungslos, haltlos; -fest: wetterfest, trinkfest, krisenfest; -bereit: aufnahmebereit, einsatzbereit, … - freudig: spielfreudig, konsumfreudig, trinkfreudig Weitere Beispiele: fernsehsüchtig, beziehungsmüde, trennscharf, pflegeleicht, rückkehrwillig; (mit „Rechtschreibproblem“): kostendeckend/Kosten deckend (DUDEN: beides). 4.3. Komposition Zwischenstellung zwischen Syntax und Lexikon: relativ frei bildbar, jedoch Tendenz zur Lexikalisierung Vgl. Seite 8 Seminararbeit: 1) Sammeln und Klassifizieren; Überprüfung, ob wirklich 3 und mehr Glieder schon häufig sind. 2)Kontrastierung mit syntaktischen Zusammensetzungen = Kookkurrernzanalyse im Koprus (ist z. B. Gutmensch dasselbe wie guter Mensch?) 4.4. Konversion z.B. bei Präpositionen aus anderen Wortarten: älter: hinsichtlich, bezüglich, dank; vermutlich neuer: samt, fern, zuliebe der Umwelt zuliebe, samt der Besatzung, fern der Heimat 4.5. Entlehnung: Anglizismen im Deutschen Außerordentlich großer Umfang (vgl.Liste bei Masarik/Kratochvilova); Laufende Neubildungen (Night Liner, Wellness; Bachelor und Master). 4.5.1. Zu den Ursachen: „Die Flut von Anglizismen hängt mit der Vormachtstellung der USA nach dem 2. Weltkrieg zusammen, mit ihrer Rolle in Wissenschaft und Kultur, mit der Nachahmung des amerikanischen Lebensstils sowie mit den Englischkenntnissen besonders bei der jüngeren Generation.“ (Höppnerová, S. 55) Reaktion: Wenn die Vormacht der USA die Ursache ist, dann müssten in allen europäischen Sprachen die Anglizismen genauso verbreitet sein; Stichhaltiger: stark verbreitete Englischkenntnisse; Masarik/Kratochvilová, s. : 97: „Die deutsche Sprache – dank ihrer Zugehörigkeit zu den germanischen Sprachen – kann eine englische Entlehnung besser ohne große Veränderungen übernehmen als z. B. das Russische, wo die Transkription nach der Lautgestalt des Modelwortes herrscht, oder das Tschechische, wo die graphische Anpassung oft bald nach der flektiven Anpassung folgt …“ Reaktion: - Verwechselt Sprache und Orthographie, - Ist selbst dann, wenn man Sprache=Orthographie gelten lässt, abwegig, das das Alphabeth oder die graphische Anpassung nichts mit dem genetischen Sprachtyp zu tun hat, Völlige Diskreditierung von „Deutschtümelei“ nach dem Zweiten Weltkrieg; geringe Sprachloyalität und hoher Prestigewert des Englischen: - große Aufnahmebereitschaft (gestärkt durch die allgemeinen Englischkenntnisse). 4.5.2. Einteilungsmöglichkeiten von Anglizismen a) Entlehnungszeitraum (alte ‚foulen‘ vs. neue ‘event’) (hier vernachlässigt; siehe dazu: Valta, 1971) b) Integrationsgrad - Phonologisch (Spray, Sponsor, Stress, Manager, Pullover, PC, TV x Hifi, Science Fiction, Wellness, Band; auch Zweifelsfälle/Übergangserscheinungen: Thriller Puzzle, stylen/gestylt; City-Center (in Fürth). - Orthographisch: Großschreibung (ein Hit), scharfes ß (Streß), jetzt aber oft wieder rückgängig gemacht (Stress; Boss, Fitness), Plural-i/y (die Parties/Partys, die Hobbies/ys), Bindestriche, sonstiges (foul – faul???), - Morphologische Integration: (i) Flexion: Deklination und Pluralbildung bei den Substantiven (Computer, -0, Designer, -0, Sponsor, -en), Deklination der Adjektive (eine clevere Lösung, ein grooviger Sound, fairer Wettbewerb; aber Camel light, *lighter), Konjugation bei den Verben (downgeloaded, getuned, upgraden/upgegradet, gecrashed); ich checke, du checkst, er checkt; (ii) Genuszuordnung (der Airport – Hafen; die Band – Kapelle/Bande, die/das Mail?) (iii) Integration ins Wortbildungssystem (Präfigierung bei den Verben: zumailen, einchecken aber nicht: *besprayen[3]); Komposition bei den Substantiven (Hybride Composita: Web-Site, Bahn-Card, Pass-Word, Lean-Management), Derivation (Job-jobben; Stress-stressig, stressen; sich reinstressen; Seminararbeit: lighter, cleverer, besprayen, abchillen etc. – bereits integriert? Oder doch nicht? - Lexikalische Integration: Gibt es alternative Benennungsmöglichkeiten? Das Aftershave/Rasierwasser, der Printer/Drucker, der Hit/der Schlager; Aber mit verschiedener Bedeutung: der Looser/Verlierer, Killer/Mörder, der Insider/Kenner, Eingeweihte, die Pipeline/Rohrleitung, der Showmaster/Moderator; Und!!! Pullover/?, Brainstorming/?, der Scanner/?, der Manager/? etc. Seminararbeit: Möglichkeiten für eigene Recherchen im Korpus: Kontexte vergleichen (Kookkurrenzen) und Unterschiede/Gemeinsamkeiten herausfinden) Kuriosum: Anglizismen, die es nur im Deutsch gibt (German English) (nach T. Káňa): Happy-End happy ending Aircondition air-conditioning Handy mobile (phone) Showmaster speaker City-Center Shopping mall Oldtimer veteran car 4.5.3. Bewertung von Anglizismen Diskussion zum Artikel der Gesellschaft für Deutsche Sprache e.V.: http://www.vds-ev.de/sprachnachrichten/154-sprachnachrichten-archiv Seminararbeiten:Sammeln (Korpus, Textmaterial, Wörterbücher) und bearbeiten! Ordnen, klassifizieren, analysieren (Integrationsgrad), vergleichen (Deutsch/Tschechisch; Bedeutungswandel oder Erhalt; Konkurrenzformen) Wichtige Quelle (mit Datenbank und vielen Beispielen): Verein Deutsche Sprache: http://www.vds-ev.de/anglizismenindex 5. Entwicklungstendenzen auf der textuellen und pragmatischen Ebene 5.1. Tendenzen in der Textgestaltung: Textuelle Makroebene Lay -out: Schriftbild – fett, kursiv, unterstrichen (!); Schriftart: mehrere Möglichkeiten - . Times New Roman, Ariel, Gohic... => Trend zur Stilisirung Zeilenabstand größer = „papierintensiv“ Tendenz zu Ikonizität: Bilder, Piktograme/ Bildymbole, Graphiken Tendenz zu Ausdehnung: Detailliertheit, Komplexität Internetnachrichten - Links zu anderen Artikeln, Erklärungen Querverweise Tendenz zur klaren Struktur Knappheit; Überschaubarkeit; Stichpunkte, Nummerierungen Beispiele: ● Lebenslauf - tabellarisch ● Kochrezepte ● Gebrauchsanweisungen ● Protokolle ● Geschäftsbriefe - ohne Betr. (eher Nr., Codes... - „fetischistischer“ Gebrauch von Zahlen - Policenummer) ● Wissenschaftliche Arbeiten - ZITZIEREN Teilweise Ausgleich der Differenz zw. der geschriebenen und gesprochenen Sprache SMS E-Mail -- Stil - (Mikroebene) - Kolloquialismen (Interjektionen ey, boa, wahnsinn...), informelle Ausdrücke - Durchsickern der niedrigeren Ebenen in den Standard Seminararbeit:Vegleich von vergleichbaren Texten von damals und jetzt (mind. 3 Beispiele – z. B. Kochrezepte, Gebrauchsnaweisungen...) 5.2. Tendenzen in der Pragmanitk Anreden schriftlich mündlich elektronisch (E-mail) Duzen - Siezen Diastratisch (Beispiel: Uni bis 1968, 70-er Jahre, jetzt) Diatopisch (D – A –Ch) Geschlechtsneutrale Formulierungen Beispiele: Student – Studentin – Studierende Lehrer x Lehrerin - Lehrkräfte Landeshauptmann x Landeshauptfrau - Landeshauptleute Nicht mit dem Fahrer sprechen! *Nicht mit der Fahrerin sprechen! Nicht mit dem Fahrpersonal sprechen! Häufigste elegante Lösungen Substantiviertes Partizipium -kräfte -personal -leute Häufigste nicht-elegante Lösungen StudentInnen Seminararbeit: 1) „Gender Mainstreaming“: kontrastive Betrachtung de- cs 2) Duzen x Siezen etc. Empfohlene Internetadressen: Literatur: Rolf Thieroff, in: Linguistik Online, 16, 2003 (4) http://www.linguistik-online.com/16_03/thieroff.html Gerd Schrammen: Hoch und allgemein. In: Sprachnachrichte, 1/2008 http://www.vds-ev.de/sprachnachrichten/154-sprachnachrichten-archiv Anglizismen-Datenbank http://www.vds-ev.de/anglizismenindex Literatur: Àgel (2002): Braun, Peter (1979): Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Verlag W. Kohlhammer, 1979. DUDEN (2009): Die Grammatik. 8. Aufl., 2009. Hinderling, R. (1982): Das NHD. Phonem/ [a WITH DIAERESIS] :/ in Synchroner Sicht und die Problematik der Aussprachenormierung, in: German Life and Letters, 35, 1982 (4), 287–295. Höppnerová, Věra (2006): Neues in der deutschen Gegenwartssprache, in: Höppnerová, Věra/Hokrová, Zlata (eds.): Lingua Germanica 2006. Plzeň: Fakulta filozofická Západočeské univerzity v Plzni, 2006, S. 49-59. Kiparsky, Paul (2005): Blocking and periphrases in inflectional paradigms, in: Yearbook of morphology 2004, 2005, 113-135. 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