Aus der Praxis 1. Am Anfang des Schuljahres habe ich festgelegt, wie die vorgegebenen Themenkreise (aufgrund Deutsch aktiv 1C) im Hinblick auf die Dramatisierbarkeit zu verarbeiten sind. In der Klasse 2 ab (15 Schüler) konnten demnach folgende Ereignisse als Drill-Spiele aufkommen: 1. Lernen, Berufswahl Generationsprobleme, Streit 2. Charakterisierung situatives Durchspielen von positiven und negativen Charakterzügen (Ratespiel) 3. Medien, Politik Umfrage, Interview, Rede 4. Post, Dienstleistungen Verlust von Geld, unverrichtete Aufträge 5. Freizeit Einladung, Theaterbesuch, Überreden 6. Ferien, Reisen Unfall, Gepäckverschwinden, Reklamation Nehmen wir jetzt den Theaterbesuch als Bespiel, um klarzumachen, wie eine auf Dramapädagogik basierende Unterrichtsstunde aussieht. Jede dramatische Übung besteht aus drei Teilen: aus der Vorbereitung, dem Spiel und der Auswertung. Dementsprechend wurde zuerst, in diesem Fall von mir, eine konkrete Situation ausgedacht: Ein Zuschauer hat sich auf die Theatervorstellung verspätet, deshalb läßt ihn der Platzanweiser nicht hinein, worauf er letzteren darum bittet, mit ihm eine Ausnahme zu machen. In der Vorbereitungsphase wurden die Umstände (Theater, begonnene Vorstellung, Türen zu), das Verhältnis zwischen dem Platzanweiser und dem Zuschauer (sachlich: der eine macht seine Arbeit, der andere will hinein), Stimulus (in die Vorstellung hineinzukommen) und geforderte Sprechfähigkeit (Dialog herzustellen) von der Gruppe bestimmt. In dieser anscheinend einfachen Situation kamen auch Schwierigkeiten jeder Art vor, wie z.B. Begriffstutzigkeit des Platzanweisers, Fehlen von Eintrittskarte, kritisches Moment während der Vorstellung, wo keine Störung auftreten darf usw. Der ausführlichen Besprechung in der Zielsprache folgte die Aufführung der in Partnerarbeit hergestellten Dialoge. Im Anschluß daran gab es noch eine Art Pseudo-Kommunikation, die den SchülerInnen klarmachte, die Sprache sei ein Mittel der Kontaktaufnahme und -haltung unter Menschen und dieses Mittel fachkundig angewandt, können sie jede Situation meistern. Am Anfang nahm die Auswertung ungefähr so viel Zeit in Anspruch, wie das Spiel selbst, zuletzt konnten wir darauf fast vollkommen verzichten. 2. Bald hatten die Schüler genug Erfahrung, um ganze Stunden ohne Lehrerhilfe zu gestalten. So konnten wir ohne Schwierigkeiten zum projektorientierten Dramaspiel übergehen. Das heißt, die Schüler suchten sich gemeinsam einen “Rahmen” zu ihren Lieblingsrollen aus, der ihnen die verschiedensten Sprechanläße ermöglichte. In unserem Fall wurde das Leben von zwei miteinander befreundeten Großfamilien (Großeltern, Eltern - wobei der Vater Mathelehrer des Sohnes der anderen Familie war, Kinder von 14 bis 21, Freund der Tochter) in die Zukunft (2005) projiziert. Unter diesen Bedingungen ließen sich bisher folgende Themen bearbeiten: Schulstreß, Haushalt, Generationsprobleme, politische Überzeugung. Als Ausgangspunkt zu einem Projekt mit dem Thema Schulstreß dienten das Schulzeugnis eines Sohnes und ein von der anderen Mutter, einer Ärztin geschriebener Zeitungsartikel (Hausaufgaben dieser zwei Personen), wozu dann Kinder, Eltern/Großeltern, Lehrer Stellung nahmen. Die Schüler sammelten Materialien in Zeitungen, in Büchern, im Internet, mit denen sie ihren Standpunkt wissenschaftlich oder politisch unterstützen konnten, untersuchten die Darstellung des Themas in Erzähltexten, führten Interviews mit einer festgelegten Fragestrategie bei den Mitschülern und Lehrern durch, werteten sie aus und berichteten dann einander über das Ergebnis. Am Schluß des Projekts (in der 5. Stunde) wurde eine Podiumsdiskussion organisiert, an der sich alle ihren Rollen entsprechend beteiligten. (Ich bekam die Rolle des Schiedsrichter-Moderators.) Beim Rollenspiel mußten die SchülerInnen einerseits auf ihre eigenen Erlebnisse und Vorstellungen von Verhaltensweisen zurückgreifen, andererseits auch solche unbewußten sinnlichen und emotionalen Empfindungen und Wünsche aktivieren, die damit auch in das eigene Selbstbild integriert werden konnten. 3. Eine ähnliche Möglichkeit eröffnet die szenische Interpretation von fiktionalen literarischen Texten, die fremde Lebensentwürfe als Spielmaterial anbietet, die den Schülern bzw. Schülerinnen Anstöße gibt und ermöglicht, sich auch in fremde Figuren und Situationen einzufühlen, in Rollen zu handeln und Wirkungen zu erfahren. “Indem sie den Text in Szene setzen, geben sie ihm eine Gestalt, die sich auf die Vorstellungen des Autors bzw. Autorin beziehen läßt. Dabei aktivieren sie eigene Erlebnisse und Verhaltensmuster und machen sich diese bewußt.” (Scheller: Szenische Interpretation, S. 22) In dieser Klasse bearbeiteten wir auf diese Weise Eichendorffs “Aus dem Leben eines Taugenichts”. Nach dem Lesen der Ausschnitte versuchten wir, die szenischen Leerstellen zu füllen und dabei auch die konkreten Gegebenheiten (Zeit, Raum, Gegenstände, Charaktere, Haltungen, soziale Unterschiede, Sprache usw.) vor Augen zu halten.. Dieses epische Werk war für eine szenische Deutung sehr geeignet, da sich die Fabel über eine Folge von Szenen entwickelt und es im Text auf innere und äußere Haltungen der Figuren bzw. auf den sozialen Kontext ganz klare Hinweise gibt. Während die SchülerInnen Situationen aussuchten und präsentierten, mußten sie nachdenken und sagen, was diesen fremden Figuren, in die sie sich einfühlten, beim Handeln durch den Kopf geht. Außer dieser Text- und Erfahrungsbezogenheit der szenischen Darstellung wollen wir aber auch auf die Bedeutung der angewandten vielfältigen sprachlichen und körperlichen Handlungen im Interpretationsprozeß hinweisen. Die SchülerInnen entdeckten literarische Zusammenhänge aus verschiedenen Perspektiven, fühlten sich in die Figuren ein, schrieben Rollen und spielten Szenen, wobei die Deutung des Werkes in unterschiedlichen Produktionsarten wie Körperhaltungen, Standbildern, Rollentexten, Gesprächen und Inszenierungen präsentiert wurde. Durch die Zusammenarbeit in der Gruppe konnten bestimmte Fehlvorstellungen einzelner Schüler rechtzeitig korrigiert, gute Ideen voneinander unterstützt und addiert werden. In der Vorbereitungsphase lasen die SchülerInnen den Lebenslauf von Eichendorff, untersuchten das Leben und die Kultur seiner Zeit, sammelten Materialien und Bilder darüber, suchten dann solche Textteile aus, die sich ihrer Meinung nach szenisch darstellen ließen, wie die Gespräche des Taugenichts mit seinem Vater, den Damen in der Kutsche, der jüngeren Dame im Wiener Palais, mit Wanderern unterwegs in Italien usw. Die größte Aufmerksamkeit schenkten sie ihrem Alter entsprechend der Szene, in der der Taugenichts seine Liebe der schönen Gesellschafterin gestand, wobei auch sprachliche Akzente (Gebrauch von veralteten Wörtern und Wendungen, in gehobener literarischer Form gefaßten Gedanken, komplizierten Sätzen usw.) richtig (und bewußt) gesetzt wurden. Demzufolge kam es auch in der Auswertungsphase zu einer heftigen Diskussion über die von ihnen angebotenen Darstellungen und die dichterischen Absichten. Die Vorteile Indem die Dramapädagogik eine Tätigkeitsform ist, die nur in einer Gesellschaft betrieben werden kann, bietet sie uns die Möglichkeit, uns und die Welt rund herum besser kennenzulernen. Durch das Dramaspiel werden die Schüler angeregt, Selbständigkeit und Kreativität zu erlernen. Von den 3 obenangeführten Fällen habe ich das Fazit gezogen, daß Dramapädagogik im Unterricht von großem Nutzen sein kann, weil das Interesse der Schüler bzw. Schülerinnen durch die dramapädagogischen Methoden besser aufrechterhalten werden kann als im traditionellen Frontalunterricht. Sie müssen sich die ganze Zeit auf das Gesagte, Gehörte oder Gesehene konzentrieren, damit sie das aktive Spiel mitmachen können. Tun sie trotzdem faulenzen, werden sie vor der Klasse blamiert und ausgegrenzt. Folglich ist jeder darauf aus, Bestleistung anzustreben. Die realkommunikativen Situationen sind flexibel, lassen sich den Ansprüchen nach verändern und statt zu büffeln, statt feste formelhafte Elemente der Sprache einzupauken, regen sie die Lernenden zum Kombinieren, zu Verfeinerungen und freiem Sprachgebrauch an. Die thematisch vereinheitliche Lexik kommt in ihrer Vielfalt zur Anwendung, weil ja keine Situation mit einer anderen völlig identisch sein kann, weder im praktischen Leben, noch im Unterricht. Das Dramaspiel erfordert aber auch eine Menge Fähigkeiten und Fertigkeiten, die weit über das Sprachliche hinausgehen, z.B. emphatische Fähigkeiten, rasche Erkennung von sprachlichen Barrieren beim Sprechen, erfinderische Einstellung zu Problemlösungen, sie haben also auch eine erzieherische und persönlichkeitsfördernde Wirkung. Dramapädagogische Spiele lassen sich bis auf die Kontrollarbeiten in das Curriculum lückenlos einbauen, weil sie sich besonders in der allgemeinen Bekanntmachung eines Themas sehr nützlich zeigen, aber auch in den späteren Phasen der Bearbeitung eindeutig gut anzuwenden sind. Sie helfen den Schülern bzw. den Schülerinnen, ihre Kenntnisse zu vertiefen, ein bestimmtes Material einzuüben und ihre Schwachstellen im Sprachgebrauch zu entdecken. Dramaspiele sind nicht nur sprachfördernd, sondern verfügen auch über solche länderspezifischen und länderübergreifenden Züge, mit deren Bewußtmachung der Horizont der Schüler und Schülerinnen in großem Maße erweitert werden kann Frank Gabriella Literatur: Doff, Adrian: Teach English. A training course for teachers - Cambridge University Press/The British Council 1989, S. 208-240 Heinze, Norbert/Schurf, Bernd: Text+Dialog. Grundband. Deutschunterricht auf der Sekundarstufe II. August Bagel Verlag, Düsseldorf 1979, S. 11-145 Humann, Paul: Pragmatik und Sprachunterricht. Theoretische Überlegungen und Unterrichtsbeispiele - In: Diskussion Deutsch. 6. Jg. 1975. Moritz Diesterweg Verlag, Frankfurt/M./Berlin/München, S. 210-229 Krappmann, Lothar: Lernen durch Rollenspiel - In: Rollenspiel als Methode sprachlichen und sozialen Lernens. Hrsg. von Barbara Kochan. 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