Rollen spielen “Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frau´n und Männer bloße Spieler” (Shakespeare; Jacques in “Wie es euch gefällt”). Der Begriff Rolle () wird in der Schauspielkunst seit dem 16. Jh. verwendet, als die Schauspieler ihren zu sprechenden Text von einem abzurollenden Papierstreifen lesend probten. Eine Theaterrolle zu spielen, bedeutet nach heutigem Verständnis, die Verwandlung in einen anderen Charakter. In verschiedenen Theatertheorien gibt es unterschiedliche Bestimmungen des Rollenbegriffs. In der Sozialpsychologie und der Soziologie wird der Rollenbegriff zur Beschreibung von Interaktionsstrukturen benutzt, dem die Annahme analoger Strukturen von Theaterhandlung und Alltagskommunikation zugrunde liegt (Langer 1992: 800f). Die Welt ist eine Bühne und jede/r spielt dort bewußt oder weniger bewußt bestimmte Rollen1 (vgl. Goffman 1991: 3). Beim Theaterspielen gibt es mehrere Möglichkeiten von Rollenübernahmen: 1) Eine reale Situation wird mit der eigenen Identität gespielt, d.h. man nimmt keine fiktive Identität an, sondern spielt sich selbst (eine der bekannten eigenen Rollen). 2) Eine fiktive Situation wird gespielt, die Handelnden spielen sich selbst. 3) Die Handelnden übernehmen in einer realen oder fiktiven Situation eine fiktive Rolle. Eine fiktive Rolle ohne Hilfen, quasi aus dem Nichts zu entwickeln, sollten wir den professionellen Schauspieler/innen überlassen. Sie haben einen längeren Weg zurückgelegt, um dies zu können2. Wenn im Fremdsprachenunterricht Rollen dargestellt werden3, ist ein Mindestmaß an Hilfestellungen für deren Entwicklung notwendig: 1 Soziale Rollen sind Verhaltensweisen zwischen Handlungspartnern bzw. innerhalb einer Gruppe oder der Gesellschaft, die mit dem sozialen Status eines Individuums verknüpft sind und deren Befolgung von den Interaktionspartnern wechselseitig erwartet wird. Die Ausprägung einer Rolle hängt von der jeweils zugrunde liegenden Position und deren Funktion sowie vom gesamten Werte- und Normensystem ab (vgl. Hillmann 1994: 742). 2 Sie können dies dadurch auch ohne externe Hilfen, es ist das Handwerkszeug ihres Berufes. Der Rollenerarbeitung von Schauspieler/innen geht eine sehr intensive geistige, physische und emotionale Arbeit an sich selbst voraus (vgl. die Arbeit des Schauspielers an seiner Rolle und an sich selbst bei Stanislawski und Strasberg), die für uns im Fremdsprachenunterricht schon allein aus zeitlichen Gründen nicht in Frage kommt. Nur in spielerischen Ansätzen können hier Prinzipien des “Schauspieltrainings” berücksichtigt werden: “Entspannung, Konzentration, Arbeit mit 1) die Handlungsabsicht der fiktiven Figur muß geklärt werden, 2) der Status der fiktiven Figur (in ihrer Beziehung zu den anderen fiktiven Figuren) muß geklärt werden, 3) die Haltung muß geklärt sein, den eine fiktive Figur zu einem Sachverhalt oder Vorgang bzw. einer Person gegenüber einnimmt bzw. einnehmen wird. (Schewe 1993: 161) Je mehr Gestalt eine Rolle bekommt, desto leichter ist es, sich in sie hineinzuversetzen und entsprechend zu handeln. Hilfreich ist dabei, nicht nur eine äußere, sondern auch eine innere Haltung zu entwickeln4. Dies kann z.B. durch konkrete Fragen an die fiktive Person (über ihr Aussehen, ihre Vorlieben und Abneigungen, die momentane Lebenssituation, ihre Handlungsmotivation etc.), das Schreiben einer Rollenbiographie oder Statuentheater (s.u.) unterstützt werden. Die intensivere Entwicklung einer Rolle entläßt den Darsteller nicht nur aus seiner Hilflosigkeit, sondern vermindert die Gefahr einer Stereotypenbildung5. Vor dem Theaterspielen ist eine Aufwärmung des Körpers, ein Sich-frei-spielen wichtig. Insbesondere in Gruppen, in denen man die anderen nicht kennt, können (körperliche) Hemmschwellen, sich zu zeigen, verringert werden. Die Aufwärmung kann beispielsweise durch ein Spiel, eine Konzentrations- oder Entspannungsübung erfolgen. Um das Ziel des darstellenden Spiels in einer Sprachlerngruppe zu erreichen, ist es vorteilhaft, mit einfachen Spielen zu beginnen, um die TN an diese Art des Lernens zu gewöhnen. Dazu eignet sich u.a. die Etablierung von Repertoireszenen6. Grundsätzlich, ob wir nur mit sprachlichen Elementen spielen oder zusammenhängende Szenen darstellen, sollten die Spielaufgaben begrenzt, leicht überschaubar und dem darstellerischen sowie sprachlichen Vermögen der Lernenden angemessen sein (Hartmann 1967: 26). Objekten, sensorische Erinnerung, Handeln und Improvisation sowie Stimm- und Körpertraining machen die Arbeit des Schauspielers an sich selbst aus” (Straßberg 1996: 140). 3 Eine Darstellung ist die Zeichnung von etwas oder jemandem durch das eigene verbale und nonverbale Verhalten, so daß das Gemeinte für die Umwelt sichtbar und verständlich wird (Löffler 1983a: 35). 4 Die äußere Haltung bezieht sich auf das körperliche und sprachliche Ausdrucksverhalten einer Figur. Die innere Haltung umfaßt ihre bewußten und unbewußten Vorstellungen, Wünsche, Gefühlslagen, die sozialen, kulturellen und politischen Interessen (Schewe 1993: 163). 5 Siehe auch Kap. 6.2.2 ”Erarbeitung von Rollen” 6 Das sind einfache Spiele, die zunächst zur Gewöhnung der Lernenden an diese Arbeitsform dienen und durch Wiederholung zum festen Bestandteil eines Kurses werden (wie etwa der Rückgriff auf vorangegangene Inhalte und sprachliche Mittel). “Nach dem Prinzip der aufbauenden, erweiternden Wiederholung (Prinzip der sog. konzentrischen Kreise) können diese ‘Repertoireszenen’ [...] Ausgangspunkt zur Einführung neuer Sachverhalte und sprachlicher Mittel sein” (Hartmann 1967: 25). ¨¨ 6.1.1 ...in Rollenspielen “Unter Rollenspiel wird ganz allgemein ein dramatisches Spiel verstanden, in dem die Teilnehmer in die Lage versetzt werden sollen, zwischenmenschliche Beziehungen, deren soziale, emotionale, kognitive Dimensionen zu klären, indem sie ihre eigenen Rollen in der Auseinandersetzung mit der Rolle ihrer Partner zu relativieren, abzugrenzen versuchen. Hierzu ist es erforderlich, daß sie dazu in der Lage sind, das Rollenverhalten der anderen zu antizipieren und diese Vorwegnahme in ihrem Rollenhandeln zu spiegeln. In diesem Sinne ist Rollenspiel Probehandeln” (Schwerdtfeger zit. in Wagner 1983: 93). Der Begriff Rollenspiel wird entweder als eine bestimmte Technik oder als Sammelbegriff für viele unterschiedliche Spielformen oder in der Abgrenzung zu allen anderen darstellenden Spielformen gebraucht (vgl. Löffler 1983a: 14f). Wir grenzen diesen Begriff folgendermaßen ein: Unter Rollenspielen verstehen wir jedes Theaterspiel innerhalb einer Kleingruppe7, in der fremde oder eigene Rollen dargestellt werden. Der Begriff Rollenspiel wird hier demnach als Oberbegriff für viele verschiedene szenische Darstellungsformen verwendet, in denen zur Probe in einer Als-ob-Situation gehandelt wird. Von diesen werden wir eine Auswahl in diesem Kapitel besprechen. In Spielbeschreibungen für den Fremdsprachenunterricht finden wir häufig unter der Rubrik Rollenspiel Dialoge zwischen zwei Personen am Tisch, ohne daß “richtig” gespielt wird (z.B. Lohfert8). Da hier keine explizite Bühne geschaffen wird und die Rollen i.d.R. ohne Einsatz von Körper, Gestik und Mimik gesprochen werden (s. unsere Theaterdefinition im ersten Kapitel), definieren wir diese “Rollenspiele” als Gesprächsdialoge. Rollenspiele - im oben definierten Sinn - benutzt im Fremdsprachenunterricht u.a. Butzkamm: “Ein Schüler, der eine Rolle übernimmt, sich in sie hineinlebt und dabei in eine natürliche Gesprächssituation hineinversetzt und sprachliches Handeln mit nichtsprachlichem Handeln verbindet, hat die verwendeten sprachlichen Fügungen in sein kommunikatives Repertoire eingebunden. Sie haben damit eine tiefere Schicht seiner Persönlichkeit erreicht und sind weniger anfällig gegen das Vergessen. Der Schüler erfährt die Sprache auch körperlich. Zudem kann das Rollenspiel im direkten Gegenüber mit anderen Personen die Gefühlswelt eines Textes in elementarer Weise offenbaren. Rollenspiel ist Sprache mit Herz, Hirn und Hand” (Butzkamm 1980: 67). Um der körperlichen Bewegung im Raum gerecht zu werden, fügt Schewe Herz, Hirn und Hand symbolisch den Fuß hinzu (vgl. Schewe 1993: 7). 7 hier: die Sprachlerngruppe 8 In dem Spielebuch Lohferts: Kommunikative Spiele für Deutsch als Fremdsprache sind von 51 Spielen mit 11 benannten Rollenspielen lediglich drei davon einem Rollenspiel ähnlich. Vgl. zusätzlich Schewe 1993: 145ff, der in seinem Kapitel “Spielen als Farce?” die Defizite zahlreicher Übungsbeispiele von Rollenspielanregungen bzw. “-anleitungen” in gängigen DAF-Lehrwerken herausstellt und kritisiert. Mit Rollenspielen können im Fremdsprachenunterricht allgemein: • realitätsnahe oder fiktive Interaktions- und Kommunikationsstrukturen geschaffen werden, in denen Kommunikationsabsichten bewußt werden und entsprechende Kommunikationsmittel kennengelernt und angewendet werden, um diese Absichten auszudrücken (Erweiterung der kommunikativen Kompetenz)9 • Sprache und Inhalte handelnd reproduziert und produziert (kreativ erschaffen) werden • verschiedene Aktions- und Reaktionsmöglichkeiten in verschiedenen (eigenen und fremden) Rollen probiert werden • Sachverhalte aus verschiedenen Perspektiven gesehen und auf diese Weise hinterfragt werden, wobei es nicht um einfache Antworten , sondern um ein Weiterfragen geht10 • Empathie und ein erweitertes Verständnis für andere Denkweisen, Haltungen, Kulturen etc. entwickelt werden • nonverbale Wahrnehmungs- und Ausdrucksmöglichkeiten gefunden und erweitert werden • Sprachen emotionell erlebt werden Je ungewöhnlicher und unalltäglicher die Figuren im Rollenspiel aufeinandertreffen, desto weiter wird das Spektrum der sprachlichen Interaktionsmöglichkeiten und desto spannender wird die dramatisierte Szene (vgl. Schewe 1993: 168).