Stegreiftheater und Forumtheater Stegreiftheater ist improvisiertes Theater aus dem Stegreif fast ohne vorherige Proben oder Vorbereitung. In ihm werden Ideen sofort in Handlungen umgesetzt (s.o.). Wir können in den folgenden Improvisationsformen dennoch Unterschiede zum reinen Improvisationstheater (wie z.B. im Theatersport) feststellen: Es erfolgt hier eine Verbindung zwischen Improvisation und Reflexion. Die Mitwirkenden spielen i.d.R. sie selbst konkret betreffende Inhalte und weniger fiktive Situationen23. Beim Stegreiftheater schlüpft man seltener in fremde Rollen, sondern spielt sich (meistens) selbst unter Erweiterung des bekannten Rollenverhaltens24. Die beiden Begriffe Improvisationstheater und Stegreiftheater werden in der Literatur nicht voneinander abgegrenzt, jedoch in unterschiedlichen Kontexten verwendet. Zwei besondere Formen von Stegreiftheater sind das Psycho- bzw. Soziodrama (Moreno25) und das Forumtheater (Boal26). Für das Psycho- und Soziodrama gilt das Stegreiftheater als frühe Vorform, aus dem sie sich weiterentwickelt haben. Die eigentliche Theaterarbeit steht hier noch im Vordergrund. In beiden Theaterformen ist das Publikum aktiv. Deshalb bieten sie interessante Anstöße auch für den Unterricht. Desweiteren sind für uns in dieser Hinsicht Zeitungstheatertechniken (Boal/Moreno) und das Playbacktheater (Fox) interessant. Forumtheater Im Forumtheater wird ein gesellschaftlicher Konflikt durch Schauspieler und Schauspielerinnen vor einem Publikum dargestellt. Diese Szene wird wiederholt. Nun können und sollen die Zuschauer/innen (Zu-Schau-Spieler27) intervenieren, indem sie eigene Lösungen vorschlagen und andere Handlungsalternativen auf der Bühne erproben. 23 Dies trifft v.a. in den Ursprüngen dieser Theaterformen zu. Natürlich kann man sämtliche Techniken des Stegreiftheaters auch in fiktiven Kontexten verwenden. 24 “Im Psychodrama ist Willy Loman Willy Loman, Macbeth ist Macbeth, Cyrano ist Cyrano. Der Protagonist spielt nicht »als ob«; das Spiel geht von einer realen Person aus, die sich selbst und die Schlüsselerlebnisse des Lebens darstellt” (Yablonski 1992: 26). 25 Jakob Moreno kreierte in den 20er Jahren zuerst in Wien, später in den USA neue, lebendige Formen des Theaters: das Konflikttheater und das Stegreif- oder Spontanitätstheater als Revolutionierung der verfestigten, konservierenden herkömmlichen Theaterformen (“Kulturkonserven”). Im Konflikttheater konnten die Zuschauer aktiv in die Handlung auf der historischen Bühne eingreifen (“Zuschauspieler”). Im Stegreiftheater wurden zusätzlich die beiden Bühnen aufgehoben und der ganze Raum wurde zu einem einzigen Theaterfeld, zu einer einzigen Bühne, zu einem “Theater ohne Zuschauer” (Feldhendler 1987: 10ff). Aus dem Stegreiftheater entwickelte Moreno die soziometrischen Methoden Soziodrama und das therapeutische Theater bzw. Psychodrama. Er erkannte die heilende, kathartische Wirkung des Stegreifspiels, wobei er den Prozeß des Spielens als ein Ausagieren eines Konflikts beschreibt, der sich im Leben angestaut hat. Im “Theater der Privatsphäre” werden unmittelbar inter- und intrapsychische Konflikte angesprochen (vgl. ebd.: 18ff). Er verstand sich dabei nicht als Analytiker, sondern als Akteur (Yablonski 1992: 243). 26 Boal siehe Kap. 6.1.2 (Statuentheater) 27 von Boal “spect-actors” genannt Schauspieler/innen und Spielleiter28 sind ihnen dabei behilflich. Alle agieren gemeinsam und versuchen, im Dialog des Theaters mit seinen Mitteln (Bilder, Sprache, Körpersprache) eine erweiterte Handlungsfähigkeit zu erwerben und neue Lösungen zu finden. Kennzeichnend ist - wie beim Statuentheater - daß über ein Problem nicht sprachlich, sondern vorrangig handelnd diskutiert wird. Reflexion und Aktion gehen Hand in Hand. Das Probehandeln soll konkrete Erfahrungen im Theater und Veränderungen im realen Leben ermöglichen (vgl. Boal 1989: 56ff, 82ff u. Boal 1993b). Ein Beispiel für Forumtheater im Fremdsprachenunterricht beschreiben Dietlinde Gipser, Nabil Kassem29 und Heiner Zillmer, die es u.a. gemeinsam in der Deutschlehrer/- innenausbildung in Ägypten an der Ain Shams Universität Kairo einsetzten. Thema der gespielten Szene war eine ägytische Familie, in der die Tochter versuchte, ihren Vater davon zu überzeugen, Theater im Rahmen ihrer Lehrerinnenausbildung spielen zu dürfen. “In den teilweise heftig gespielten Austauschrollen kam eine Reihe von Variationen ins Spiel: wie kann sich die Tochter anders verhalten? Die Macht des Vaters, gestützt von Frau und Sohn, konnte Keine/r in die Schranken weisen. Aber zumindest Widersprüche im scheinbar so klaren Verhalten des Vaters sichtbar gemacht werden” (Gipser u.a. 1988: 11).