Statuen- und Bildertheater Statuentheater ist eine Übungsform in der Schauspielausbildung, die auch als Darstellungsform genutzt werden kann. Sie ist in theaterpädagogischen Kreisen sehr beliebt und vielfältig einsetzbar und variierbar. Wie der Name schon andeutet, agieren die Schauspieler/innen als Statuen, d.h. sie erstarren aus einer Bewegung heraus spontan in einer Position und Haltung (“frieren ein”) oder werden von anderen in eine solche gebracht und dort zu einem Bild geformt, modelliert, gebaut, bis sie dem Ausdruck (inklusive Blickrichtung und mimischer Ausdruck) entsprechen, den der Erbauer oder die Erbauerin beabsichtigt (ohne mündliche Anweisungen). Dadurch entstehen Bilder, die vergleichbar sind mit einer angehaltenen Handlung durch eine Photoaufnahme oder ein Videostandbild. Durch das Stellen von Bildern wird die Wahrnehmung sowohl der Personen in der Statuenrolle, als auch der Betrachter/innen geschärft. Deren Empathie und Verantwortung für die Statue u.a. hinsichtlich der Haltung (z.B. daß die Statue nicht dazu neigt, umzufallen), sind notwendige Voraussetzungen. Eine zentrale Rolle nimmt die Körpersprache ein. “Der Körper lernt mit Hilfe seiner eigenen Bewegungen in Bildern wieder sprechen” (Mars 1993: 7). Die Statuenbilder können Gedanken sichtbar und begreifbar machen, wozu gesprochene Sprache oft nicht in der Lage ist (Boal 1989: 55). Die in ihrer Aussage verdichteten Bilder sind sehr eindrucksvoll und vielschichtig. Sie konstruieren Projektionsflächen und sprechen direkt die emotionale Ebene an. Wahrnehmung der und Ausdruck durch die Körpersprache werden bewußter. Deutlicher als im Gespräch wird auch, wie unterschiedlich Vorstellungen und Bilder von Menschen sind. “Das (sorgfältig geformte Standbild) geht in seiner Tiefenwirkung über eine umgangsbzw. fremdsprachliche Formulierung von Erfahrung hinaus, indem es, so eigenartig das klingen mag, visuell Gefühle anspricht” (Schewe 1993: 241). Bei eingeschränkten verbalen Ausdrucksmöglichkeiten (wie z.B. im Fremdsprachenunterricht) können Meinungen, Einstellungen, Gefühle mit Hilfe dieser Körperbilder vermittelt werden. “Über den Weg solcher ‘sinnlich-präsentativen Unterrichtsformen’ gelingt es, zu Persönlichkeitsschichten vorzudringen, die im Fremdsprachenunterricht selten erreicht werden: Wenn ein Lerner nicht direkt aussprechen muß, wie und was er empfindet, wächst seine Bereitschaft zur Mitteilung, deren Direktheits-, Verdichtungsoder Verschlüsselungsgrad er selber bestimmt” (ebd.: 244). Durch die Verlangsamung normalerweise schnell ablaufender Prozesse und die Reduzierung auf Wesentliches (keine überflüssigen Bewegungen), kann gezielter und detaillierter beobachtet, reflektiert und mit den Bildern weitergearbeitet werden. Aussagen der Bilder können verstärkt oder verfremdet werden durch deren Dynamisierung, z.B. indem einzelne Körperteile rhythmisch bewegt werden, reduziert Sprache eingesetzt wird, Sprachsequenzen rhythmisch wiederholt werden, die Statue gedoppelt11 wird oder eine bewegte Bildermontage entsteht. Statuen können auch ausgetauscht werden (Rollentausch): Ein anderer übernimmt die Haltung der Statue. Dadurch ist es möglich aus der Rolle herauszutreten und sich von außen zu betrachten bzw. von der Betrachterrolle in die Empfindung der Rolle zu wechseln. Eine spezielle Form des Statuentheaters kennen wir aus den Techniken des “Theater der Unterdrückten” (Boal)12: Ein Konflikt wird als Realbild gestellt. Die übrigen TN können an diesem Bild noch Veränderungen vornehmen, bis alle mit der plastischen Umsetzung des Themas einverstanden sind. (Manchmal gelingt dies nicht, da die Vorstellungen zu unterschiedlich sind. Es werden dann mehrere Varianten in einem Bild oder mehrere Ausgangsbilder gestellt). Dann wird die kollektive Wunschvorstellung der TN (Konflikt ist überwunden) in einem Idealbild dargestellt. Ausgehend von diesen beiden Bildern werden Übergangsbilder entwickelt, die Möglichkeiten der Veränderung vom Real- zum Idealbild zeigen. Die Diskussion in der Gruppe findet nicht mit Worten, sondern mit Bildern statt. Die TN sollen “spontan in Bildern denken”. Ideen und Meinungsverschiedenheiten werden direkt in der Veränderung der Bildersequenzen ausgedrückt und sichtbar. Nachdem die “Bildhauer/innen” ihre Vorstellung sichtbar gemacht haben, setzen die “Statuen” selbst den Übergang vom Real- zum Idealbild in Zeitlupe bewegend um (vgl. Boal 1989: 53ff, 71ff, 241ff). Im Fremdsprachenunterricht ist das Statuentheater eine einfache und effektive Art, mit Theatermitteln vielfältig zu arbeiten13. Insbesondere mit Statuentheater • können generative Themen14 (Freire) der Gruppe über Bilder erarbeitet und ausgedrückt werden. • können Konflikte und Themen verdeutlicht werden • können Haltungen zu jemandem oder etwas eingenommen werden • können unterschiedliche und gemeinsame Vor- und Einstellungen, Werte und Normen, Erfahrungen und Fiktionen deutlich werden, Vertrautes fremd und Fremdes vertraut erscheinen • kann Feedback anderen Gruppenmitgliedern und dem Anleiter bzw. der Anleiterin gegeben werden 12 Der brasilianische Theatermacher und -autor Augusto Boal entwickelte das “Theater der Unterdrückten” in den 60er und 70er Jahren parallel zur Alphabetisierungsarbeit Freires (Pädagogik der Unterdrückten bzw. Erziehung zur Freiheit). Es griff als dialogisches Theater die Themen des Volkes in seiner Sprache auf und ließ die Zuschauer selbst in Aktion treten mit dem Ziel der Bewußtwerdung über und Befreiung von bestehenden Herrschaftsverhältnissen (Reflexion und Aktion). Für Boal findet im Theater Probehandeln für die Wirklichkeit statt, eine Probe zur Revolution. Dies ist im Zusammenhang mit den politischen Gewalttätigkeiten und staatlichen Repressionen in den Ländern Lateinamerikas zu sehen. Obwohl die Situation eine andere war und ist, als in Europa, wurde und wird hier viel mit diesem Theater gearbeitet. Häufig ist hier die internalisierte Unterdrückung (“Polizist im Kopf”) Thema. Weitere Techniken des Theater der Unterdrückten sind das Forumtheater, das Zeitungstheater, das unsichtbare Theater und das legislative Theater. Im unsichtbaren Theater wird zu einem aktuellen Thema vor Zuschauern gespielt, die nicht wissen, daß sie Theaterzuschauer sind (z.B. in der U-Bahn). Die Zuschauer werden in eine Handlung miteinbezogen, deren fiktiver Ursprung ihnen nicht bewußt ist (vgl. Boal 1989: 74ff u. 98ff). Im legislativen Theater fließen szenisch erprobte Themen und Änderungsvorschläge (mit unterdrückten Randgruppen z.B. Slumbewohnern und Straßenkindern) als Gesetzesvorlagen über das “Mandat Boal” in das Stadtparlament Rio de Janeiros ein (Boal 1993c: o.S.). “Man übt Demokratie live” (Runge de Souza 1995: 45). 13 Der Spielleiter sollte jedoch selbst Erfahrungen mit Statuentheater gemacht haben. 14 Konkrete Themen bzw. Tatsachen sind Themen im Menschen, in seinen Beziehungen mit der Welt im Gegensatz zu Themen, die außerhalb des Menschen existieren (vgl. Freire 1993: 89). • können Improvisationen, Theaterstücke und Texte entwickelt werden und • Rollen erarbeitet und vertieft werden • können Handlungen angehalten und zum Thema gemacht werden • kann gezielt mit der Sprache gearbeitet werden (z.B. können eingefrorene Bilder als Pausen für sprachliche Korrekturen oder Nachfragen genutzt oder entstehende Dialoge besser mitgeschrieben werden, was in einem fortlaufenden Theaterspiel ohne dessen Unterbrechung kaum möglich ist) • können Texte bespielt werden (z.B. Ausgangspunkt, Höhepunkt(e), Schlußbild; verschiedene Momente eines Konflikts; verschiedene Haltungen und Äußerungen von Figuren aus dem Text) • können Schauspielprinzipien erlebt, verdeutlicht und geübt werden (z.B. Körperspannung, abwechselnde Interaktion, Reduzierung ist oft mehr, wie wirkt was?, Gespür für Details...)15. Statuentheater ist eher nonverbal angelegt. Es läßt sich aber auch gut mit Sprache oder Sprachelementen kombinieren (durch die Statuen, durch Beschreibungen und Kommentare der Betrachter/innen, als Sprechanlässe für Diskussionen/Reflexionen oder folgende Handlungen, evtl. beim Aushandeln in einer Gruppe von Bildhauer/innen über das zu bauende Bild16). Statuentheater eignet sich sowohl gut als Einstieg (Warming up für die Gruppe, ein Unterrichtsthema, Theater), als auch als konkrete Arbeitsform, mit der eingehender umgegangen wird. Theater wird mit Statuentheater auch für Ungeübte leicht spielbar, vorausgesetzt sie sind mit dem Prinzip des Bauens, Einfrierens und Verharrens in der Position vertraut. Vergessen sollte man nicht, zwischendurch kurze Lockerungsübungen für länger stehende bzw. sitzende oder liegende Statuen einzubauen, da die eingenommene Haltung auf Dauer anstrengend sein kann. Ein weiteres Beispiel, das ZAUBERHASEL mit einem Deutschkurs spielte: In einem Museum stehen verschiedene Statuen (die von anderen gebaut wurden). Die Besuchergruppe betrachtet die Kunstwerke und philosophiert darüber, was sie darstellen sollen bzw. was der Künstler oder die Künstlerin sich dabei gedacht hat. Anschließend werden die Statuen zu ihrer Meinung - während sie noch in der Haltung stehen - befragt. 15 Häufige Anfangsfehler beim Theaterspielen sind zu schnelles und vielfältiges Agieren, durcheinander sprechen, mit dem Rücken zum Publikum spielen, zu leise bzw. undeutlich sprechen, Spannungen bzw. Pausen nicht aushalten können. 16 Das nonverbale Aushandeln einer Gruppe, die ein Bild baut, beinhaltet eine andere Qualität als wenn dies verbal (kognitiv) geschieht. Durch eine nonverbale Diskussion in Bildern entsteht eine konzentriertere Atmosphäre und Wahrnehmung, die zudem eher von emotionalen Motiven geprägt ist.