S. 31/4 und 5 (M = Moderatorin, B = Michelle Blancpain) M: Die Schweiz ist ein kleines Land in der Mitte Europas. Zu den Besonderheiten dieses Landes gehört die Tatsache, dass in der Schweiz gleich vier offizielle Sprachen gesprochen werden. Man spricht außer Deutsch eben auch noch andere Sprachen. Wir haben darüber mit Michelle Blancpain gesprochen. Sie ist Schweizerin und studiert zur Zeit in München Theaterwissenschaft. M: Michelle, ahm, Sie sind Schweizerin. Woher stammen Sie denn genau? B: Ich stamme ursprünglich aus Fribourg in der französischen Schweiz, bin aber in Zürich aufgewachsen. M: Und was sprechen Sie jetzt zu Hause mit Ihren Eltern oder mit Ihren Freunden? B: Zu Hause wird Schweizerdeutsch gesprochen, Züricher Dialekt. M: Und was sprechen Sie jetzt mit mir? B: Das ist Hochdeutsch. M; Und das sprechen Sie aber nicht zu Hause. B: Nein, das sprechen wir nicht zu Hause. Also, ahm, Schweizerdeutsch ist Umgangssprache. Schweizerdeutsch gibt es allerdings keine Schriftsprache. Also, das lernt man erst dann in der Schule. Also, für mich ist das, was ich jetzt spreche, eine Fremdsprache. M: Ja, wie kann man denn den Unterschied zwischen echtem Hochdeutsch und diesem Schweizerdeutsch noch etwas näher beschreiben? Inwiefern hört sich denn Schweizerdeutsch anders an als Hochdeutsch? B: Das ursprüngliche Schweizerdeutsch? Also, es sind viel kehligere Laute. Es ist viel mehr „ch". Wir rollen das „r" ganz anders. Ahm, es klingt viel gröber. Also, Deutsche machen oft den Witz, dass es klingt wie Holländisch. Ml Aha! B: Sehr grob. M: Wir haben schon gesagt, in der Schweiz gibt es vier offizielle Sprachen, also vier Amtssprachen. Welche sind denn das? B: Es ist Französisch, Deutsch, Italienisch und Rätoromanisch. M: Und welche davon ist die größte Sprache? B: Deutsch. Also es ist Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch ist eine Minderheit, also eine minimale Minderheitensprache. M: Und was ist dieses Rätoromanisch? B: Rätoromanisch, das ist eine Sprache, das spricht man im Kanton Graubünden, in einigen wenigen Tälern. Graubünden, das liegt so im Gebiet zwischen Italien, Österreich und der Schweiz, so in diesem Dreieck. Das sind zwei oder drei Täler. Das sind ein paar Hundert Leute, die das sprechen... Ahm, ja, also, es gibt auch rätoromanische Literatur. Und es wird gerade als Kulturgut sehr gepflegt und unterdessen auch geschützt. Es klingt so ein bisschen... es klingt, wenn man's hört, wie eine Mischung aus Latein und Rumänisch. Es ist sehr speziell. Kaum zu verstehen für andere Menschen. M: Eine interessante Frage - wenn man sich vorstellt ein Land mit vier Sprachen - wie kommunizieren denn dann die Einwohner der Schweiz miteinander? B: Das ist nicht ganz einfach. Es ist aber so, dass man in der Schule automatisch sehr früh eine weitere Landessprache lernt. Man bekommt in der Schweiz keinen Schulabschluss, wenn man nicht neben der eigenen Landessprache oder neben der eigenen Muttersprache mindestens eine weitere Landessprache beherrscht. Das ist in der Deutsch-Schweiz im Normalfall Französisch. Für die Französisch-Schweizer ist es im Normalfall Deutsch. Die weichen aber zunehmend auf Italienisch aus, weil's einfacher ist für sie zu lernen. Ich würde meinen, dass es im Tessin, also in der italienischsprachigen Schweiz, wohl auch Deutsch ist. An und für sich ist die Kommunikation aber recht schwierig. Also, es gibt viele Deutsch-Schweizer, die nicht wirklich gut Französisch sprechen, es gibt viele Französisch-Schweizer, die nicht wirklich gut Deutsch sprechen. Und es ist auch immer so ein bisschen 'ne Frage der sozialen Machtverhältnisse. Also, zum Beispiel sprechen Französisch-Schweizer sehr ungern Deutsch. M: Darf ich noch mal fragen: Ab welchem Alter lernt man denn nun eine andere Landessprache? B: Eine andere Landessprache lernt man ... unterdessen, also zumeist, wo ich zur Schule ging, war's noch ab der siebten Klasse, unterdessen ist es ab der vierten Klasse. Allerdings fangen die Schweizer ja sehr früh an, Fremdsprachen zu lernen, weil Hochdeutsch... Also, sobald sie lernen zu schreiben, lernen sie Hochdeutsch zu schreiben, weil es im Schweizer Deutschen keine offizielle Schriftsprache gibt. Also, aller Schriftverkehr, auch der Amtsverkehr in der Schweiz, findet in Hochdeutsch statt. Und deshalb lernen wir eigentlich spätestens ab dem zweiten Schuljahr, wird auch unterrichtet, in Hochdeutsch. M: Und Hochdeutsch ist dann Ihre erste Fremdsprache sozusagen? B: Ja. M: Und dann Französisch wahrscheinlich Ihre zweite? ß: Ja. M: Als Deutsch-Schweizerin. Und lernen Sie dann auch noch Italienisch dazu, oder? ß: Das ist nicht obligatorisch. Also, man lernt, wenn man Abitur macht, auf jeden Fall Englisch dann noch als dritte Fremdsprache. Und man kann wählen, wenn man will, kann man Italienisch oder Spanisch lernen. Also, es sprechen schon relativ viele Deutsch-Schweizer Italienisch. Es gibt auch ... in Zürich alleine leben fünfzehn Prozent der Bevölkerung ... in Zürich sind Italiener. Und das ergibt sich eigentlich fast selbstverständlich, dass man da was aufschnappt. M: Interessant ist auch die Frage, wie ist es denn in den Medien? Zum Beispiel im Radio oder im Fernsehen? Was wird da gesprochen? B: Da gibt es für jede Region, also für jede Sprachregion gibt es einen eigenen Sender. Es gibt das Deutsch-Schweizer Fernsehen. Es gibt das französische Fernsehen. Es gibt Swizzera Italiana, also das italienische Fernsehen im Tessin. Und die Rätoromanen bekommen so spezielle Sendeplätze. Das sind aber dann ganz unabhängige Programme. Also, die senden nicht einfach dasselbe in unterschiedlichen Sprachen, sondern es sind verschiedene Fernsehanstalten. M: Ein Land mit vier Sprachen, kann man da auch sagen ein Land mit vier Kulturen? B: Das ist schwer zu beurteilen. Es gibt ganz bestimmt kulturelle Unterschiede. Ja, also die Franzosen haben eindeutig ... oder die Welsch-Schweizer haben eindeutig eine Affinität zur französischen Kultur, auch zur französischen Literatur. Die Tessiner identifizieren sich durchaus zumindest mit Norditalien. Also... und die Deutsch-Schweizer sind sicher sehr deutschsprachig orientiert. Aber eigentlich gibt's da dann auch schon so einen Verbund. Also, es gibt durchaus auch Schweizer Kultur, auf die Transkriptionen man sich rückbesinnt und auf die man sich bezieht. M: Hm, können Sie da mal ein Beispiel geben? ß: Ja, in der Schweiz wird ja immer sehr viel an Geschichte festgemacht. Also, die historischen Ereignisse sind dann eigentlich dieselben, auf die man sich bezieht. M: Also zum Beispiel der Rütli-Schwur, oder...? B: Genau! Oder also, man merkt's ja zum Beispiel an Sportveranstaltungen. Also, dann sind dann alle wieder Schweizer, wenn irgendein Schweizer gewinnt. So dann schon. M: Woran merkt man denn, innerhalb der Schweiz, dass man jetzt in ein anderes Sprachgebiet kommt? B: Also, es ist ja nicht so, dass man mit dem Überfahren einer Grenze dann plötzlich von einem Meter zum nächsten in einem anderen Sprachgebiet ist. Es gibt zwar gerade zwischen der deutschen und der französischen Schweiz, so etwas, das nennt sich Röstigraben - Rösti ist ein Schweizer Nationalgericht - und man sagt, dass es quasi im deutschen Teil vor dieser Grenze die Röstis gibt, und da, wo man Französisch spricht, gibt's die dann nicht mehr. Das ist aber eine ungefähre Grenze. Zum Beispiel da, wo ich ursprünglich herstamme, in Fribourg, wird sowohl Deutsch als auch Französisch gesprochen. Straßenschilder sind sowohl in Deutsch als auch in Französisch gehalten. Wenn man dann ein bisschen weiter nach hinten kommt, also Richtung Lausanne und Genf und Montreux und die Regionen, da spricht man dann schon fast ausschließlich Französisch. Da wird's dann auch wirklich schwierig, sich in Deutsch zu verständigen.