bifie I Bildung standards Kompetenzorientierter Unterricht in Theorie und Praxis c 0 0 ^_ 0 E o c Bundes institut bifie Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens Aspekte kompetenzorientierten Lernens und Lehrens 4. Kompetenzen Kompetenzen verbinden Wissen und Können. Unter Kompetenzen versteht man „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können" (Weinert, 2003, S. 27-28). Kompetenzen in diesem Sinne sind somit Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Bewältigung komplexer Problemstellungen. Da es sich dabei um Konstrukte handelt, sind sie nicht direkt beobachtbar. Zusätzlich zu den kognitiven Leistungsvoraussetzungen sind motivationale, volitionale und soziale Aspekte zu berücksichtigen, da auch sie Einfluss darauf haben, dass das einer Kompetenz entsprechende Verhalten in einer Anwendungssituation tatsächlich gezeigt wird (Zeitler, Koller &Tesch, 2010, S. 24). Der Kompetenzbegriff Weinerts vereint zentrale Begriffe, die handlungsleitend für kompetenzorientiertes Lehren und Lernen in der Praxis sein können. Die Verbindung der kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten heißt, das Wissen mit dem Können, also akademisches Wissen mit Handlungswissen zu verbinden, und geht damit über das bloße Verstehen und Replizieren hinaus. Das führt zum zweiten zentralen Aspekt der Problemlösung: Wissen bildet nicht zum Selbstzweck, sondern in Begegnung mit der Wirklichkeit, am konkreten Handeln operationalisierbar, den Kern des Kompetenzbegriffs. Des Weiteren betont Weinert die zentrale Bedeutung der Motivation als Voraussetzung erfolgreichen Handelns und somit als lohnenswert.es Ziel schulischer Bemühungen. Motive (als verallgemeinerte Zielvorstellungen und Handlungserwartungen) werden erlernt. Sie führen nie direkt zu Handlungen. Aufforderung der Situation, (Selbst-)Motivierung, Durchführung, Selbstbewertung und weitere Folgen beschreiben modellhaft den Prozess. Wiederum kognitive Prozesse wie Erfolgsabschätzung oder Urheberzuschreibung auf der Basis eines individuell entwickelten Motivsystems bestimmen über Handeln oder Nicht-Handeln (Heckhausen, 1980). Kompetenz inkludiert aber auch die sozialen Voraussetzungen zum Handlungsvollzug. Dies kann als Absage an Hedonismus, also die Verzerrung von Individualisierung im Sinne des Lustprinzips, oder als eine Vereinzelung gewertet werden. Die intendierte Problemlösung in variablen Situationen unterstreicht die Fähigkeit, das erworbene Wissen abseits abstrakter Standardsituationen erfolgreich einsetzen zu können. Erst die verantwortungsvolle Nutzung kognitiver Fähigkeiten und Fertigkeiten zeichnet Kompetenz aus. Zusammengefasst geht es bei der Definition des Kompetenzbegriffs von Weinert einerseits um fachliche Kompetenzen, um den Aufbau eines lebendigen und anwendungsbezoge-nen Fachwissens. Je mehr Wissen eine Lernende/ein Lernender hat und je besser dieses strukturiert ist, umso leichter kann sie/er damit hantieren und neue Informationen damit in Beziehung setzen. Von Bedeutung sind darüber hinaus auch methodische Kompetenzen, sogenannte learning skills. Ein breit gestreutes und vielfältiges Strategie- und Methodenrepertoire erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit. Ebenso sind Anschlusskompetenzen notwendig, Haltungen und Einstellungen, der Umgang mit der eigenen Person sowie der Umgang mit anderen (Kommunikations-, Konflikt- und Integrationsfähigkeit) (Müller, 2008, S. 14). Somit geben Kompetenzen „in dreifacher Hinsicht Auskunft darüber, was jemand kann: im Blick auf seine Kenntnisse, seine Fähigkeiten, damit umzugehen, und seine Bereitschaft, zu den Sachen und Fertigkeiten eine eigene Beziehung einzugehen" (Rothböck, 2010, S. 261). Rudolf Beer & Isabella Benischek Allgemeinbildung als schulisches Meta-Ziel „ist die Gewinnung von Grundkompetenzen in möglichst allen Bereichen des Lebens für die kritische Auseinandersetzung mit der gesamten physischen und geistigen Wirklichkeit des Lebens" (Olechowski, 1997, S. 368). Zum Erwerb solcher Grundkompetenzen zählen: „1. der schlichte Erwerb von Basiswissen/Basiskönnen auf einem bestimmten Lern- oder Wissensgebiet, 2. die Schaffung von Lernvoraussetzungen für den weiteren Wissenserwerb, 3. die Schaffung einer Basis für einen möglichen .Lerntransfer'" (Olechowski, 2003, S. 415). Dieser Lerntransfer ist durch konkrete Hilfestellungen über Zusammenhänge von Wissensgebieten und Sachverhalten aktiv herzustellen. Solcherart gewonnene Grundkompetenzen stellen die Basis für die kritische Auseinandersetzung mit sich und der Welt dar (Beer, 2007, S. 15-16). Nachhaltiges, lebenslanges Lernen verlangt nach Schlüsselkompetenzen wie „Kommunikation in der Muttersprache und in Fremdsprachen, IKT, Fertigkeiten in Mathematik/NaturwissenschaftenAechnik, Unternehmergeist, Sozialkompetenz und Bürgerkompetenz, Lernen lernen, Allgemeinwissen" (Europäische Kommission, 2002, S. 7). Das Konzept der Bildungsstandards in Österreich setzt einen besonderen Schwerpunkt auf den Erwerb von grundlegenden fachlichen Kompetenzen, welche in der Verordnung zu den Bildungsstandards dargelegt sind. Diese grundlegenden fachbezogenen Kompetenzen decken die wesentlichen Inhaltsbereiche eines Unterrichtsgegenstandes ab, da sie auf den Lehrplan bezogen sind. Für den weiteren Kompetenzaufbau sind sie daher von größter Bedeutung. Diese Festlegung fundamentiert einen erweiterten Lernbegriff und versteht sich als Absage an „profitable" Bildung und bloß rezeptives Wissen. Schulische Ziele sind die „Entwicklung der eigenen Begabungen und Möglichkeiten, aber auch das Wissen um die eigenen Stärken und Schwächen sowie die Bereitschaft, sich selbst in neuen Situationen immer wieder kennen zu lernen und zu erproben [...] (.dynamische Fähigkeiten')" (BMBWK, 2000, S. 3). Die gesetzliche Verankerung der österreichischen Bildungsstandards im Paragraphen 17 des Schulunterrichtsgesetzes und die Verordnung zu den Bildungsstandards legen fest, über welche Kompetenzen Lernende am Ende der vierten Schulstufe in Deutsch und Mathematik und am Ende der achten Schulstufe in Deutsch, Englisch und Mathematik verfügen sollten. Mit der Festlegung der Bildungsstandards wird eine systematische Auswahl grundlegender Kompetenzen getroffen, die im Unterricht nachhaltig erworben werden sollen. Diese grundlegenden Kompetenzen sind für die weitere schulische und berufliche Bildung (im Sinne lebenslangen Lernens) von zentraler Bedeutung (BIFIE, 2010, S. 2). Somit wird ein Ziel schulischer Bildung genauer dargelegt. Da Kompetenzen nicht unmittelbar sichtbar sind, sind in den Bildungsstandards Verhaltensweisen als Indikatoren für die dahinterliegenden, zu erreichenden Kompetenzen beschrieben. Für die praktikable Anwendung wurden die Bildungsstandards nicht als psychologische Konstrukte formuliert, sondern als Indikatoren in Form von „Kann-Beschreibungen" (Zeitler, Koller & Tesch, 2010, S. 24). „Kompetenzmodelle beschreiben zu erwartende Lernergebnisse von Schüler/innen auf bestimmten Altersstufen und setzen methodisch/didaktische Vorgaben, um die gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Die Gliederung von Kompetenzmodellen in verschiedene Kompetenzstufen ist in hohem Maße von den Domänen abhängig." (Beer, 2007, S. 228) In einem Kompetenzstufenmodell ist jede „Kompetenzstufe durch kognitive Prozesse und Handlungen Aspekte kompetenzorientierten Lernens und Lehrens von bestimmter Qualität spezifiziert, die die Schülerinnen und Schüler auf dieser Stufe bewältigen können, nicht aber Schülerinnen und Schüler auf niedrigeren Stufen" (Wolf, 2004, S. 576). Erfolgreiches Lernen gelingt dann am besten, wenn Lernanreize möglichst nahe an der Schnittstelle zwischen Wissen und Nicht-Wissen angeboten werden. Treffen Angebote diese Schnittstelle nicht, drohen Überforderung (Lernvoraussetzungen fehlen) bzw. Unterforderung (Lernpotenziale werden nicht ausgeschöpft). Wissen um den Kompetenzstand der Lernenden, projiziert auf ein schlüssiges Kompetenzstufenmodell, ist die Voraussetzung erfolgreicher Lerninszenierung. Wenn auch noch „die Rückmeldevorgänge kontinuierlich erfolgen, d. h. bei jeder Reaktion des Lernenden eine positive Rückmeldung erfolgt, schreitet der Lernprozess mit maximaler Schnelligkeit voran" (Olechowski, 2003, S. 215). Standards, Kompetenzmodelle & Diagnose Maßnahmenplanung: Lernumgebung, Lernsetting Aufgabenstellung A Schüler/in A Lernstandsdiagnose ... Leistungsrückmeldung Ein rechtwinkeliges Dreieck in einem Gesamtzusammenhang auffinden und fehlende Bestimmungsstücke berechnen Bei einem unbesehrifteten rechtwinkeligen Dreieck in beliebiger Lage die Lange der Hypotenuse bzw. der Katheten berechnen Mit Hilfe des PL die Länge einer Kathete in einem gegebenen (beschrifteten) rechtwinkeligen Dreieck (ABC) berechnen Mit Hilfe des PL die Länge einer Hypotenuse in einem gegebenen (beschrifteten) rechtwinkeligen Dreieck (ABC) berechnen Den PL mit Variablen in der üblichen Form (a2 + b2 = c2) angeben Abb. 1: Kompetenzmodelle Kompetenzstufenmodelle liegen (meist implizit) in der professionellen Expertise erfolgreicher Lehrer/innen, sind tägliches Handwerkszeug und ermöglichen sinnvolles methodisch-didaktisches Vorgehen. Jede Lehrerin/jeder Lehrer weiß, was Lernende als Voraussetzung für den weiteren Erwerb von Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten wissen oder können müssen. Weitaus mehr Probleme macht es, den aktuellen Kompetenzstand der Schüler/innen (Kompetenzstufe) zu benennen. Standardbasierte Kompetenzmodelle und Rückmeldeinstrumente unterstützen die Lehrenden bei ihrer Tätigkeit. Lehrer/innen müssen somit die in der Verordnung dargelegten Kompetenzen, die als langfristige Ziele unter den Bedingungen der Output-Orientierung zu sehen sind, in einem didaktischen Prozess an die jeweiligen Situationen in der Klasse anpassen. Es sind Kompetenzen für die jeweilige Schulstufe abzuleiten, sodass sich ein „roter Faden" über alle Schulstufen zieht. Die unterrichtlichen Bedingungen für eine systematische und effektive Kompetenzentwicklung im jeweiligen Bereich werden dabei ebenso durch didaktische Strukturierungen geschaffen, wobei die Kumulativität des Lernprozesses berücksichtigt wird (Drieschner, 2009, S. 72). Die für eine bestimmte Schulstufe formulierten Standards sind folglich auf die Rudolf Beer & Isabella Benischek darunterliegenden Klassenstufen „herunterzubrechen"; kompetenzorientierter Unterricht setzt demnach eine neue Qualität des Professionswissens voraus: das Wissen über den Kompetenzerwerb (Helmke, 2009, S. 235). Für diesen Prozess können Kompetenzraster hilfreich sein. Sie bilden die inhaltliche Struktur, definieren in Form einer Matrix sowohl die Kompetenzen eines Fachgebiets (was?) als auch die Qualifizierungsstufen (wie gut?). Diese Auflistungen geben den Lernenden die Möglichkeit, sich zu orientieren, denn Kompetenzraster beschreiben, was man können könnte (Müller, 2006, S. 47). Ich kann Abb. 2: Arbeit mit Kompetenzrastern (nach Müller, 2006, S. 20) 5. Nachhaltigkeit Die kompetenzorientierte Arbeit mit Bildungsstandards einschließlich deren Überprüfung zielt auf das Überdenken von durchaus noch üblichen Unterrichts- und Beurteilungsformen, die sehr auf das Anhäufen und Abfragen kurzfristig verfügbarer Wissensinhalte orientiert sind. Ziel eines kompetenzorientierten Unterrichts will aber die Nachhaltigkeit und flexible Verfügbarkeit von Wissen sein. Damit wird die Basis für weitere schulische Lernschritte, beispielsweise an nachfolgenden Bildungseinrichtungen, gesichert, aber auch die Grundlage für lebenslanges Lernen geschaffen. Dies wiederum „fördert Kreativität und Innovation und ermöglicht den Bürgern eine uneingeschränkte Teilhabe an Wirtschaft und Gesellschaft" (Rat der Europäischen Union, 2008, S. 2). Je aktiver Schüler/innen die Auseinandersetzungs- und Verstehensprozesse gestalten, umso präsenter werden sie sein, umso beteiligter werden sie sich fühlen und umso intensiver werden sie die Zeit nutzen (Müller, 2006, S. 19). Dies führt automatisch zu größerer Nachhaltigkeit. Kenntnisse können als eine Grundlage von Kompetenzen angesehen werden, die zu Nachhaltigkeit führen sollten. Verdeutlicht werden kann dies anhand eines Beispiels: Wenn Personen im Rahmen einer Reise eine ihnen noch unbekannte Stadt erkunden möchten, dann verschaffen sie sich zuerst eine Übersicht. Sie erwerben in diesem Zusammenhang beispielsweise Kenntnisse über Sehenswürdigkeiten, Restaurants und Verkehrsmittel. Diese Aufgaben können mit Hilfe von bestimmten Kompetenzen ausgeführt werden; eine Vielzahl der Aufgaben wird aber wieder bedeutungslos, wenn die Personen die Stadt verlassen, die Inhalte werden mit der Zeit vergessen. Sollen jedoch eine Fremdsprache oder mathemati- Aspekte kompetenzorientierten Lernens und Lehrens sehe (Er-)Kenntnisse erworben werden, dann ist von Kompetenzen zu sprechen, weil diese Fähigkeiten möglichst lange Teil der Person sein sollen; sie sollte sich die Fähigkeiten zu eigen machen. Diese gewünschte Nachhaltigkeit von Kompetenzen hat wichtige Konsequenzen, etwa die Notwendigkeit, die Plastizität der Kompetenzen einzubeziehen. Denn: Werden sie nicht weiter geübt und gefestigt, können sie wieder verloren gehen (Schott & Azizi Ghanbari, 2008, S. 40). 6. Individualisierung Vor über 200 Jahren schrieb Johann Friedrich Herbart: „Die Verschiedenheit der Köpfe ist das große Hindernis aller Schulbildung. Darauf nicht zu achten, ist der Grundfehler aller Schulgesetze, die den Despotismus der Schulmänner begünstigen und alle nach einer Schnur zu hobeln veranlassen." (Herbart in Jank & Meyer, 2009, S. 78) Bereits damals wurde die Notwendigkeit von Differenzierung erkannt. Die Fachbegriffe Individualisierung und Differenzierung sind in jedem Lehrplan zu finden und werden derzeit stark thematisiert. Im angelsächsischen Raum wird von ..differentiation", „in-dividualisation" und ..personalised learning" gesprochen, wobei ..differentiation" grundsätzlich innere Differenzierung meint und „individualisation" verstärkt mit Sonderpädagogik und in letzter Zeit auch mit eLearning konnotiert wird. In beiden Fällen soll mit Hilfe der didaktischen Kompetenz der Lehrpersonen die Heterogenität der Lerngemeinschaft mit den gesellschaftlichen Zielen des Bildungssystems (z. B. Lehrplan) in Einklang gebracht werden. Der relativ neue Begriff ..personalised learning" hat dagegen mehr mit der einzelnen Person zu tun: Das „Ich" ist beim Lernen direkt beteiligt und macht sich die Dinge/Inhalte zu eigen. Personalised learning soll die persönlichen und sozialen Dimensionen aktivieren, damit Menschen einen persönlichen Zugang zu Lerninhalten finden und die Bedeutung ihrer eigenen Lernerfahrungen für ihr Leben erschließen können (Radnitzky & Westfall-Greiter, 2009, S. 14-15). Im Rundschreiben 9/2007 des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur wird der Begriff „Individualisierung" ebenfalls präzisiert: „Unter Individualisierung verstehen wir die Gesamtheit aller unterrichtsmethodischen und lernVIehrorganisatorischen Maßnahmen, die davon ausgehen, dass das Lernen eine ganz persönliche Eigenaktivität jeder einzelnen Schülerin bzw. jedes einzelnen Schülers selbst ist, und die darauf abzielen, die Schülerinnen und Schüler dabei gemäß ihrer Persönlichkeit, ihrer Lernvoraussetzungen und Potenziale bestmöglich zu fördern und zu fordern." (BMUKK, 2007) Diese Begriffsklärung hat somit viele Gemeinsamkeiten mit ..personalised learning". Zusammenfassend kann der Begriff Individualisierung beschrieben werden als die jeder Person offenstehende Möglichkeit, ihr gesamtes Potenzial (in intellektueller, sozialer, affektiver und motorischer Hinsicht) zu entwickeln. Um dies zu erreichen, bedarf es der Förderung, beispielsweise durch Lehr-/Lernmittel, entsprechende Lernumgebungen und durch das Verhalten und vor allem durch die Haltung der Lehrer/innen (Schubert, 2010, S. 271). In diesem Zusammenhang sollten auch die Bildungsstandards gesehen werden. Sie wenden sich an Schüler/innen, Eltern und Lehrer/innen, ihre Wirksamwerdung bleibt vorerst jedoch großteils auf Lehrer/innen und den Unterricht beschränkt. Eigentliches Ziel ihrer normativen Kraft sind dessen ungeachtet die individuellen Lernprozesse. Aufgabe der Lehrer/innen ist es, die Schüler/innen bei ihrem Lernen in wertschätzender Art und Weise zu begleiten, sie mit Informationen zu versorgen, auf sie abgestimmte Lernangebote Rudolf Beer & Isabella Benischek bereitzustellen und ihnen die Bedeutsamkeit der Inhalte näherzubringen. Das bedeutet aber auch, dass die Lernenden zu eigenverantwortlichem Lernen ermutigt und befähigt werden, dass sie in ihrem Selbstkonzept bestärkt und dass ihnen immer wieder bewertungsfreie Räume zur Entfaltung der individuellen Neigungen zur Verfügung gestellt werden (Radnitzky & West-fall-Greiter, 2009, S. 6). „Beim schulischen Lernen geht es nicht um die Übernahme von Assoziationen durch Konditionierung, sondern um Konstruktion von Bedeutung." (Stern, 2006, S. 46) Solch eine Rekonstruktion kulturellen Wissens erfolgt stets individuell. Individualisierung im Unterricht bedeutet nun, dass alle Maßnahmen „aus der Perspektive des Lernens und des Lernenden gedacht" (Krainz-Dürr, 2007, S. 1) werden. Die unterrichtsmethodischen und lehr- bzw. lernorganisatorischen Maßnahmen basieren auf pädagogischer Diagnose, der Passung von Anforderungen/Angeboten und individuellen Lernvoraussetzungen sowie fördernder Rückmeldung, eingebettet in die sozial-emotionalen Beziehungen der Lernumgebung. Dies ist und war Kerngeschäft aller Lehrer/innen. Jede Lehrerin/jeder Lehrer tut es. In diesem Sinne ist Individualisierung nichts Neues, das es zu erfinden, anzuordnen und anzuweisen, wohl aber neu zu stützen gilt. Individualisierung konkretisiert sich auf unterschiedlichen Ebenen: auf jener der Lernenden (Eigenverantwortung, Erfolg, Selbsttätigkeit etc.), auf jener der Lehrenden (Zeit, Forderung/Förderung, Vertrauen etc.), auf jener der Lernumgebung (Platz, Möglichkeiten, Anreiz, Lernort/Lebensort etc.) und auf jener der Gemeinschaft (Heterogenität, Geborgenheit, Wertschätzung etc.) (Thum, 2006, S. 9). Standards zur Steuerung des Bildungssystems Eltern Standards Schüler/innen Unterricht individuelle Lernprozesse Lehrer/innen Abb. 3: Standards - Individualisierung Wird das Individuum in letzter Konsequenz als isoliertes Einzelsystem gedacht, endet Individualisierung im Einzelunterricht egoistisch-hedonistischer Denkweise. Optimale Lernfortschritte werden mit isolierten kognitiven Kompetenzen erkauft. Erst wenn das Individuum als Mitglied in ein soziales System eingebunden wird, können vernetzte kognitive Kompetenzen mitsamt den für unsere demokratische Gesellschaft unab- Aspekte kompetenzorientierten Lernens und Lehrens dingbaren sozialen Kompetenzen und dynamischen Fähigkeiten optimal gefördert werden. Individualisiertes Lernen hat immer eine soziale Dimension. Soziale Dimension des individualisierten Lernens Das Individuum als ... isoliertes Einzelsystem isolierte kognitive Kompetenzen ... vernetztes Mitglied in ein soziales System eingebunden vernetzte kognitive Kompetenzen soziale Kompetenzen dynamische Fähigkeiten Abb. 4: Soziale Dimension „Wenn Unterricht jeden einzelnen Schüler optimal fördern will, wenn er jedem zu einem möglichst hohen Grad von Selbsttätigkeit und Selbständigkeit verhelfen und Schüler zu sozialer Kontakt- und Kooperationsfähigkeit befähigen will, dann muss er im Sinne innerer Differenzierung durchdacht werden." (Klafki, 1996, S. 181) Nach Klafki lässt sich innere Differenzierung in zwei Grundformen unterscheiden: jene durch Methoden und Medien auf der einen, jene nach Lernzielen und Lerninhalten auf der anderen Seite. Generell ist unter individualisiertem Lehren die curriculare und unterrichtliche Berücksichtigung der Kompetenz und Lernweise der einzelnen Schülerin/des einzelnen Schülers im Unterricht zu verstehen. Die Heterogenität der Lernenden hat jedoch unterschiedliche Aspekte: Geschlecht, Alter, sozialer und familiärer Hintergrund, biografische Erfahrungen, psycho-physische Konstitution, Sprachkenntnisse, Interessen und Neigungen, Talente, Lernfähigkeit, Leistungs- und Anstrengungsbereitschaft und vieles mehr (Wiater, 2007, S. 266). Wohl eine der gängigsten Maßnahmen zur Gestaltung personalisierten/individualisierten Unterrichts ist die Variation des Schwierigkeitsgrads von Aufgabenstellungen. In den Schulbüchern findet sich hierzu eine Fülle von Anmerkungen. Ebenso kann die Komplexität (einfache oder zusammengesetzte Aufgaben) an die individuellen Möglichkeiten der Lernenden angepasst werden. Umfang und Abstraktionsgrad der gestellten Aufgaben eignen sich ebenso dazu, maßgeschneiderte Lernangebote bereitzustellen. Die flexible Setzung von unterschiedlichen Unterstützungsmaßnahmen (Verwendung von Büchern, Heften, Internet, Vorlagen, Rechenhilfen ...) ist ebenso gängige Praxis eines individualisierenden Unterrichts. Der Schwierig- Rudolf Beer & Isabella Benischek keitsgrad einer Aufgabe ist dabei nicht zuletzt vom sozialen Kontext abhängig, in dem sie gelöst werden soll. Die Unterstützung durch eine Lernpartnerin/einen Lernpartner oder Lerncoach bzw. die Arbeit in einer heterogenen, aber auch in einer (zeitlich begrenzt) bewusst homogen gebildeten Arbeitsgruppe können die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen berücksichtigen. Unter Coaching wird dabei eine absichtsvoll herbeigeführte Beratungsbeziehung verstanden, deren Qualität vorrangig durch Freiwilligkeit, gegenseitige Akzeptanz, Vertrauen und Diskretion bestimmt wird. Coaching ist inhaltlich gesehen eine Kombination aus individueller Hilfe zur Bewältigung verschiedener Anliegen und persönlicher Beratung auf Prozessebene, wobei der Coach keine direkten Lösungsvorschläge macht, sondern die Person dabei unterstützt, eigene Lösungen zu entwickeln (Rauen, 2008, S. 2). Im pädagogischen Bereich impliziert Coaching/Beratung dabei immer auch Prävention: Die angebahnten Lernprozesse sollen durch die Beratung so unterstützt werden, dass die neu erworbenen oder veränderten Handlungsstrategien auf andere Situationen oder Aufgaben übertragbar sind (Schnebel, 2007, S. 16). Der Einsatz unterschiedlicher Lehrmittel (von Visualisierungen über Modelle bis hin zu realen Objekten) kann gezielt differenziert geschehen, wobei die gewählte Unterrichtsmethode selbst als Mittel differenzierten Arbeitens verstanden werden kann und nicht zuletzt auch die Thematik der Motivation zu berücksichtigen ist. So kann etwa die freie Wahl, begründet durch die unterschiedlichen Motive der Lernenden, individualisierende Maßnahmen leiten. Zuletzt soll noch auf die Möglichkeit unterschiedlicher Zeitvorgaben bei der Bearbeitung von Aufgabenstellungen hingewiesen werden. Voraussetzungen für eine gezielte individuelle Beratung und Förderung sind die Diagnose und eine intensive Beobachtung der Schülerin/des Schülers in ihren/seinen Arbeitsprozessen und Arbeitsorganisationen (Bönsch, Kohnen, Möllers et al., 2010, S. 64). Als Diagnosekompetenz wird in diesem Zusammenhang die Fähigkeit von Lehrpersonen bezeichnet, nach festgelegten Kriterien angemessene Urteile über das Lern- und Leistungsverhalten der Schüler/innen abzugeben (Paradies, Linser & Greving, 2007, S. 55). 7. Unterrichtskultur Bereits im 17. Jahrhundert hat Comenius in seiner „Didactica magna" formuliert, wie die Aufgabenverteilung in der Schule sein sollte, wenn er meinte, dass das erste und letzte Ziel der Didaktik sein sollte, die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei der die Lehrpersonen weniger zu lehren brauchten und die Lernenden dennoch mehr lernten. Lernen könnten nur die Lernenden selbst, Lernen sei eine Aktivität, ein Selbstgestaltungsprozess (Müller, 2008, S. 110). Mit den herkömmlichen Inszenierungsmustern von Unterricht ist in der heutigen Zeit weder den Schülerinnen und Schülern noch den Lehrerinnen und Lehrern gedient, denn die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Neue bzw. veränderte Anforderungen werden nicht nur vonseiten der Schüler/innen (z. B. Prägung durch Fernsehen und Computerspiele), sondern auch vonseiten der Eltern (z. B. durch veränderte Familienstrukturen), der Wirtschaft, der Schulverwaltung und der Lehrer/innen (z. B. aufgrund stetig wachsender Belastungen) selbst gestellt, die ein Mehr an Entlastung, Lernerfolg und persönlicher Berufszufriedenheit erwarten (Klippert, 2008, S. 31-34). Die lange Tradition, Unterricht unter dem Aspekt der Vermittlungsdidaktik zu verstehen, muss durchbrochen werden. Noch heute wird Unterricht vielerorts als lehrerorientierter Unterricht realisiert, wobei die klassischen Formen „Vortragen, Vorführen, Vormachen" eine dominante Rolle spielen. Mit ihnen korrespondiert ein Verständnis von Lernen, das auf die Tätigkeiten des Speicherns von Informationen, die reproduktive (sprachliche) Wiedergabe von vermittelten Inhalten und auf das Nachma- Aspekte kompetenzorientierten Lernens und Lehrens chen von vorgegebenen psychomotorischen Fertigkeiten abzielt. Dieses Grundmuster ist teilweise so selbstverständlich, dass es die Erwartungen auf beiden Seiten prägt: Die Lehrkraft bereitet die zu vermittelnden Inhalte auf und hält Unterricht; die Lernenden geraten dabei in eine Konsumentenhaltung. Sie warten ab, was kommen wird, sind über Arbeitsunterlagen glücklich („Hamstermentalität") und fürchten Prüfungen. Doch das Lehr-Lern-Verhältnis ist nicht ein Subjekt-Objekt-Verhältnis, sondern ein Subjekt-Subjekt-Verhältnis, wo Lehren und Lernen anders organisiert werden müssen (Bönsch, Kohnen, Möllers et al., 2010, S. 7-11). Schratz fordert, die Perspektive „Lehrseits von Unterricht" zu verlassen und demgegenüber die Perspektive „Lernseits von Unterricht" einzunehmen. Perspektivenwechsel Abb. 5: Perspektivenwechsel (nach Schratz, 2010) Nimmt man die Perspektive „Lehrseits von Unterricht" ein, so sieht man zuerst sich selbst als Lehrende/Lehrender vor dem Lehr-/Lernprozess und erst dahinter die Klasse mit ihren Individuen. Wählt man hingegen die Perspektive „Lernseits von Unterricht", so wird zunächst das Kind in der sozialen Gruppe vor dem Hintergrund des Lehr-/Lernprozesses wahrgenommen und erst dahinter die Lehrerin/der Lehrer. Der Dialog geht in diesem Fall von den Lernenden aus. Die entscheidende Frage fokussiert folglich nicht mehr den Unterrichtsstoff (Input-Steuerung), sondern die erworbenen Kompetenzen der Lernenden (Outcome-Steue-rung) am Ende eines Bildungsganges. Auf diese Weise rückt das Lernen der/des Einzelnen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Für diese Umgestaltung des Unterrichts in Richtung eines zunehmend selbstgesteuerten, methoden-, team- und projektorientierten Lernens sprechen nicht nur die subjektiven Nützlichkeitserwägungen von Lehrpersonen, Lernenden, Eltern und Vertreterinnen und Vertretern aus Bildungspolitik und Wirtschaft, sondern auch Befunde aus der Lernforschung. Im Zentrum dieser Studien steht der Zusammenhang von Handeln und Erkenntnisgewinn, von Konstruktion und Kompetenzerwerb. Piaget zufolge sind Kinder bis etwa zum 11. Lebensjahr elementar auf praktisches Tun und konkrete Operationen angewiesen, wollen sie wirk- Rudolf Beer & Isabella Benischek sam lernen. Danach sind sie aufgrund ihrer biologischen und intellektuellen Entwicklung zwar grundsätzlich in der Lage, abstrakt-rezeptiv zu lernen, also Strategien, Begriffe, Zusammenhänge und Theorien auch ohne korrespondierende Lernhandlungen zu verstehen. Daraus darf aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass ältere Schüler/innen keiner konkreten Lernhandlungen mehr bedürfen. Viele von ihnen (nicht nur Sonderschüler/innen) sind auch nach dem 11. Lebensjahr darauf angewiesen, handlungsorientiert und selbstorganisiert zu lernen, wenn sie den Lernstoff nachhaltig begreifen und behalten wollen. Begreifen und Behalten haben letztlich bei Personen aller Altersstufen etwas damit zu tun, dass Inhalte, Aufgaben und Probleme möglichst aktiv und konstruktiv erschlossen und durchdrungen werden. Dies bestätigen unter anderem auch Untersuchungen der American Audiovisual Society, die besagen, dass Menschen durchschnittlich nur etwa 20 Prozent von dem behalten, was sie hören, und etwa 30 Prozent von dem, was sie sehen. Hingegen behalten Menschen durchschnittlich 70-90 Prozent von dem, was sie aktiv sagen beziehungsweise konstruktiv tun. Diese hohe Behaltensrate kann darauf zurückgeführt werden, dass beim Lernen in konkreten Handlungsvollzügen verschiedene Sinne angesprochen werden, die sich kumulativ ergänzen. Oder anders ausgedrückt: Lernstoffe, die von den Schülerinnen und Schülern unter anderem handlungsbetont erarbeitet, strukturiert, dokumentiert, präsentiert, archiviert und wiederholt werden, haben nachweislich sehr niedrige Vergessensraten (Klippert, 2008, S. 37). [ Bildungsstandards eröffnen eine Vielzahl von Möglichkeiten, an Initiativen der Schul- und Unterrichtsentwicklung anzuknüpfen und diese mit einer neuen Dynamik zu versehen, neue Perspektiven zu entdecken, ohne Bewährtes verwerfen zu müssen, aber im neuen Licht kritisch reflektieren zu können (Beer, 2010, S. 222). Aus der Perspektive des Unterrichts lassen sich zumindest drei Brennpunkte ausmachen: Die Orientierung an den Kompetenzen wird durch die Klarheit operationalisierter Ziele gestützt. Die Domänen werden zum Arbeitsfeld der Kompetenzentwicklung. Die stofflichen Inhalte dienen dazu, das Lernziel (Kompetenz) am besten zu erreichen. Komplexe Problemstellungen zeigen die Brauchbarkeit und den Nutzen erlernter fachlicher Fertigkeiten. Der nachhaltige Charakter von Kompetenzen sichert das Aufsetzen neuer Lernschritte. Die längerfristige Perspektive zum Kompetenzaufbau (über vier Jahre) erleichtert die planvolle Unterrichtsarbeit. Die professionellen Lernangebote orientieren sich verstärkt an den Lernprozessen der Lernenden. Hergebrachte Homogenitätsvorstellungen lassen sich empirisch nicht verifizieren. Schulisches Lernen erfolgt immer in heterogenen Schüler/innen-Gruppen (Klassen), die nur in Bezug auf ihre Alterszusammensetzung als einigermaßen homogen zu bezeichnen sind. Individualisierung im Unterricht bedeutet nun, dass jedes einzelne Kind im Fokus pädagogischen Denkens steht. Standards bilden die Synapsen zum System, stellen die Durchlässigkeit sicher und werden als Leitideen individueller Lernbiographien verstanden. Personalisierte Lernarrangements schaffen Raum, um die „kreativen Kapazitäten zu nutzen und zu erweitern" (BMBWK, 2000, S. 4). Einem solchen, die Kreativität fördernden Unterricht geht es darum, die kreativen Potenziale aller Kinder zu wecken und grundlegende Forschungs- und Entdeckungserfahrungen mit den tagtäglichen Lernsituationen in den Klassen zu verbinden. Forschen und Entdecken dürfen nicht nur ausgewählten Kindern und besonderen Lerngelegenheiten vorbehalten bleiben (Beer, Miller & Bertram, 2008, S. 76-79). Die Postulierung eines produktiven Leistungsbegriffs von einer Leistungsbürde hin zur Freude an individuell erbrachter Leistung ist von zentraler Bedeutung. Die bloße Bewer: tuna tritt zurück, während Rückmeldung als Steuerung von Lernprozessen an Profil ae-_ winnt. Eine an einer sozialen Bezugsnorm orientierte Praxis schulischer Beurteilungen (vgl. Ingenkamp) im Zusammenhang mit der irrigen Vorstellung einer Normalverteilung schulischer Zensuren schafft in unseren Klassen ewige Verlierer. Bildungsstandards ermöglichen, über die soziale und individuelle Bezugsnorm hinaus, eine Orientierung an Aspekte kompetenzorientierten Lernens und Lehrens sachlichen LeistungskriterigiLJndividuelle Entwicklungen lassen sich objektiv messen, geben Rückmeldung zu individuellen Lernfortschritten. Rückmeldungen - beispielsweise aus Informellen Kompetenzmessungen (IKM) - erlauben lernsteuernde Maßnahmen im Sinne eines Regelkreises. rjoj^umjsntjfffij individuelle I eistungserfolge erhöhen die Freude am Leisten aller Kinder. Damit lässt sich von einer Selektionskultur deutschsprachiger Prägung hin zu skandinavischen Förderkulturen steuern, hin zum Ziel einer bestmöglichen Schule für alle Kinder. Solch eine Steuerung von Unterrichtsarbeit wird aus einem Regelkreis aus Wissen (um den aktuellen Kompetenzstand der Lernenden), Handeln (maßgeschneiderte Lernsettings, die dem aktuellen Stand der Pädagogik entsprechen) und Evaluieren (Überprüfen, Erheben und Rückmeiden von individuellen Lernleistungen/Erfolgen) gespeist. 8. Schule und Unterricht Die Schule ist in den Gesellschaften des 21. Jahrhunderts die zentrale Institution zur Bildung von handlungsfähigen Gesellschaftsmitgliedern. Während die Familie nach wie vor für die grundlegenden psychischen, sozialen, gesundheitlichen, sprachlichen und kognitiven Entwicklungen der Kinder die Verantwortung hat, soll die Schule, anknüpfend an diese individuellen Entwicklungs- und Lernvoraussetzungen, spezielle Funktionen erfüllen. Zu diesen Funktionen gehören unter anderem: die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten, die von der ^TflsgllsnhFift als notwendig erachtet werden (Qualifikationsfunktion): die Vermittlung grundlegender Werte, Normen und Verhaltensweisen, die von der Gesellschaft als zentral für das politische und soziale System angesehen werden (Sozialisierungsfunktion); die faire Zertifi-zierung der Lernleistungen am Fnde der Schulzeit, beispielsweise als Grundläge für einen Arbeitgeber in Bezug auf Aufnahmeentscheidungen (Allokations- und Selektionsfunktion) TPFeuss-Lausitz, 2009, S. 95). An der Frage, was denn aber nun eine gute Schule sei, versuchen sich Bildungswissenschafter/innen und Pädagoginnen und Pädagogen seit Generationen. Auch aktuelle Debatten um Schulkompetenzen, Lehrer/innen-Arbeitszeit, Bildungsstandards, Leistungsevaluierung etc. trachten danach, die Qualität von Schule zu bestimmen und zu beeinflussen. Alle Initiativen von außen können nur einen Rahmen schaffen, anstoßen und unterstützen; denn letztlich kann schulische Qualität nur von den betroffenen Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern und Eltern hervorgebracht werden. Im Zentrum steht der Unterricht. Auch wenn es nicht gelingen kann, guten Unterricht eindeutig zu definieren, so lassen sich dabei doch spezifische Merkmale finden bzw. zur Diskussion stellen. Generell wird unter Unterricht ein didaktisch-pädagogisches Handeln der Lehrperson bei geplanten Lehr-Lern-Prozessen verstanden, die zumeist in der Schule ablaufen (Wiater, 2007, S. 16). Oder anders ausgedrückt: „Als Unterricht werden didaktisch geplante und deshalb sowohl thematisch abgrenzbare als auch zeitlich hinreichend umfassende Sequenzen des Lehrens und Lernens im Kontext pädagogischer Institutionen bezeichnet." (Arnold, 2009, S. 15) Es ist jedoch zu beachten, dass Unterricht auch in außerschulischen Bereichen stattfindet, wie beispielsweise in Sport-, Tanz- und Musikvereinen oder bei Religionsgemeinschaften (Arnold, 2009, S. 15). Folgende Merkmale sind dabei wesentlich: Unterricht ist ein Interaktionsprozess zwischen Lehrenden und Lernenden. Unterricht ist institutionell eingebettet und auf eine bestimmte Dauer angelegt. Unterricht verläuft zielorientiert und planmäßig. Unterricht hat eine curriculare und soziale Ordnung. Rudolf Beer & Isabella Benischek Unterricht dient nicht nur der Unterrichtung, sondern auch der Erziehung und Vermittlung von Kompetenzen (z. B. Sozial- und Selbstkompetenz). Unterricht erfordert eine pädagogisch gestaltete Umgebung (z. B. Klasse). Unterricht wird von qualifiziertem Personal durchgeführt. (Jank & Meyer, 2009, S. 43) Es steht jedoch fest, dass pädagogische Innovationen und ein verändertes Verständnis von Lernen dazu führen, dass Lehrer/innen ihren Unterricht heute anders gestalten (müssen) als früher (Schnebel, 2007, S. 10). Hilbert Meyer definiert guten Unterricht als jenen „Unterricht, in dem (1) im Rahmen einer demokratischen Unterrichtskultur (2) auf der Grundlage des Erziehungsauftrags (3) und mit dem Ziel eines gelingenden Arbeitsbündnisses (4) eine sinnstiftende Ordnung (5) und ein Beitrag zur nachhaltigen Kompetenzentwicklung aller Schülerinnen und Schüler geleistet wird" (Meyer, 2004, S. 13). Im Anschluss formuliert er zehn Merkmale guten Unterrichts: 1) klare Strukturierung: Klarheit bei Prozessen, Zielen und Inhalten, Rollenklarheit, Absprache von Regeln, Ritualen und Freiräumen 2) hoher Anteil an echter Lernzeit: erreichbar durch ein gutes Zeitmanagement, durch Pünktlichkeit, durch Auslagerung von „Organisationskram" und durch eine Rhythmisierung des Tagesablaufs 3) lernförderliches Klima: gegenseitiger Respekt, Einhaltung von Regeln, Übernahme von Verantwortung, Gerechtigkeit und Fürsorge 4) inhaltliche Klarheit: Verständlichkeit der Aufgabenstellung, Plausibilität des thematischen Gangs, Klarheit und Verbindlichkeit der Ergebnissicherung 5) sinnstiftendes Kommunizieren: durch die Beteiligung an der Planung, Gesprächskultur, Sinnkonferenzen, Lerntagebücher und Schüler/innen-Feedback 6) Methodenvielfalt: Reichtum an Inszenierungstechniken, Vielfalt der Handlungsmuster, Variabilität der Verlaufsformen und Ausbalancierung der methodischen Großformen 7) individuelles Fördern: durch innere Differenzierung und Integration, Schaffung von Freiräumen, Geduld und Zeit, durch individuelle Lernstandsanalysen und abgestimmte Förderpläne 8) intelligentes Üben: durch Bewusstmachung von Lernstrategien, passende Übungsaufträge, gezielte Hilfestellungen und entsprechende Rahmenbedingungen 9) transparente Leistungserwartungen: durch ein an den Richtlinien/Bildungsstandards orientiertes, dem Leistungsvermögen der Schüler/innen entsprechendes Lernangebot und durch förderorientierte Rückmeldungen zum Lernfortschritt 10) vorbereitete Umgebung: durch entsprechende Ordnung, funktionale Einrichtung und brauchbares Lernwerkzeug (Meyer, 2004, S. 17-18) Standards können bei vielen dieser Merkmale positive Wirkungen zugeschrieben werden. So können sie in den Bereichen Strukturierung, Lernzeit, Klarheit und Leistungserwartungen zweifelsohne fruchtbringende Beiträge bereitstellen. Guter bzw. erfolgreicher Unterricht hängt aber nicht nur vom eigentlichen Unterrichtsgeschehen ab; die fachliche Lernentwicklung von Schülerinnen und Schülern unterliegt weiteren Einflussfaktoren wie beispielsweise der Kompetenz der Lehrkraft und den individuellen Voraussetzungen der Lernenden. Besonders starken Einfluss üben diesbezüglich die familiären, kulturellen und historischen Rahmenbedingungen aus, aber auch das Klassenklima. Lipowsky kam auf Basis zahlreicher Studien zum Ergebnis, dass maximal 30 Prozent der kognitiven Lernfortschritte der Lernenden durch die folgenden drei Faktoren erklärbar sind, die den Unterricht direkt beeinflussen: (1) die Merkmale der Lehrerin/des Lehrers, (2) die Merkmale des Unterrichts und (3) die Unterrichtszusammensetzung. Die Möglichkeiten der Lehrkräfte zur aktiven Beeinflussung der Lernenden sind somit zwar begrenzt, aber gerade deshalb sollten die vorhandenen Möglichkeiten so optimal wie möglich genutzt werden (Ebert & Koliander, 2009, S. 22). NqpeMe kompetenzorientierten Lernens und Lehrens ils der Folge sollen ausgewählte Aspekte zur Anregung und Reflexion erfolgreicher Praxis im nahmen des Unterrichts erläutert werden. Guter Unterricht Methodenvielfalt Fehler als Lernstrategie angstfreies Lehr-/Lernklima Fördern und Fordern Handlungsorientierung Rätsel und Spiel offene Lernangebote/ freie Arbeitsphasen Abb. 6: Guter Unterricht . Methodenvielfalt soll es ermöglichen, Settings mit hoher Passung bereitzustellen. Hier ist den Lernvoraussetzungen der Schüler/innen, aber auch der Logik des Faches und den aktuellen Unterrichtsinhalten Rechnung zu tragen. Ebenso ist der Lehrer/innen-Persönlichkeit gerecht zu werden, denn nur so können die Lehrenden authentisch sein und bleiben. Handlungsorientierung stellt das Lernprodukt, also die Performance ins Zentrum des Unterrichtsgeschehens. Lernende experimentieren, planen, forschen, bearbeiten, strukturieren, visualisieren, präsentieren usw. Handlungsorientierter Unterricht will die drei Formen der Menschenbildung, „die intellektuelle Bildung (,Kopf), die sittliche Bildung (,Herz') und die praktisch-motorische Bildung (,Hand')" (Hutterer, 1998, S. 103), miteinander verbinden. Damit werden das Tun, seine volitionale und motivationale Beziehung als auch das Reflektieren zu methodischen Hauptgedanken der Unterrichtsarbeit. Prensky zieht Schlussfolgerungen aus Erkenntnissen über das Computerspielen heran und argumentiert, dass Lernen dort stattfinde, wo die Lernenden ihre eigenen Entscheidungen treffen könnten, um ein erwünschtes Ergebnis zu erreichen. Solch ein Handeln kann letztendlich nur persönlich sein, weil persönliche Entscheidungen getroffen werden und eigene Erfahrungen, Informationen und Konzepte während des Lernprozesses gedeutet und/oder revidiert werden müssen (Radnitzky & Westfall-Greiter, 2009, S. 14). Offene Lernangebote/freie Arbeitsphasen: Selbstständiges, eigenverantwortliches Arbeiten und Lernen fordern und fördern dynamische Fähigkeiten und sind ein guter Nährboden für kreatives Denken in variablen Situationen. Neue Gedanken können nur gefasst werden, wenn Umwege gegangen werden können und eigene Entscheidungen gefragt sind. Rudolf Beer & Isabella Benischek Fehler als Lernstrategie- -Her diagnostische Wert von Fehlern bei Fehleranalysen lernziel-orientierter Testverfahren für die weitere Gestaltung und Planung der Unterrichtsarbeit ist unbestritten. Für die Schüler/innen sind Fehler oft mit einer schlechten Bewertung verbunden. „Der kreative Denker dagegen wird den potentiellen Wert von Fehlern erkennen" (Oech, 1992, S. 166) und vielleicht als Impuls für eine neue Idee nutzen. Neben dem „Lernen am Modell" sind „Versuch und Irrtum" eine der elementarsten und erfolgreichsten Lern- bzw. Problemlösungsstrategien. „Die Natur dient uns als ein gutes Beispiel dafür, wie Versuch und Irrtum benutzt werden können, um Änderungen zu schaffen." (Oech, 1992, S. 167) Im Unterricht wird dieses Prinzip jedoch kaum produktiv angewendet. Angstfreies LehrVLernklima: Alte genetische Muster programmierten die Menschen in angstindizierten, bedrohlichen Situationen blitzartig auf Flucht, Kampf oder Totstellen, nicht aber auf Nachdenken und Lernen. Eine angstfreie Lernsituation ist nicht nur Voraussetzung für optimalen Lernerfolg, sondern auch Grundlage kreativen Denkens und Handelns. Fördern und Fordern: Immer wieder stößt man im Unterricht auf ungewöhnliche kreative Denkansätze, Frage- und Lösungsverhalten. Nicht immer gelingt es, diese positiv zu verstärken; manchmal „stören" sie den intendierten Denkentwurf aufseiten der Lehrenden. Ja es mag sein, diese zündenden Ideen in Erwartung konvergenter Lösungen gar nicht zu erkennen. Divergente Lösungen wollen jedoch gefördert und gefordert werden. Besondere Programme oder Förderangebote zur Begabtenförderung dürfen aber nicht nur hochbegabten Kindern zur Verfügung stehen. Untersuchungen zeigen, „dass jeder Mensch in der Lage ist Kreativität nutzbar zu machen" (Goleman, Kaufman & Ray, 1997, S. 27). Hier gibt es einen großen noch zu hebenden Schatz an Potenzialen. Aufgabenstellungen, die das kritische Potenzial der Schüler/innen fordern, sind im Besonderen mit Blick auf Bildungsstandards lohnende Forderungen. Rätsel und Spiel: „Glaubt man der Wiener Kinderpsychologin Waltraud Hartmann vom Institut für Psychologie der Uni Wien, dann haben Österreichs Schulen ein großes Manko: Es wird zu wenig gespielt." (Der Standard, 2004, S. 7) Der hohe Motivationscharakter einer Spielkonstellation führt zu einer intensiven Durchdringung der Sache, die meist soziale Situationen eröffnet und ungewohnte Sichtweisen schafft. Das Erkennen von Regeln, deren Einhaltung, aber auch deren Modifikation sind nicht zu unterschätzende Lernerfahrungen. Dabei nutzen die Lernenden die befruchtenden Einfälle in der Gruppe und die tutoriále Hilfe untereinander. Das voneinander/miteinander Lernen liegt in der Anlage von Spielsituationen selbst. Nur das muss vorgegeben werden, was nicht selbst erarbeitet werden kann. Machen sich Lehrpersonen die kompetenzorientierte Perspektive zu eigen, so erkennen sie oftmals, dass die Überlegungen der Schüler/innen mitunter vernünftiger, organisierter und intelligenter sind, als es auf den ersten Blick scheint. Kinder und Jugendliche denken bisweilen anders, als Erwachsene denken, als Erwachsene es vermuten oder auch anders, als Erwachsene es wollen (Sundermann & Seiter, 2008, S. 15). Zusammenfassend kann kompetenzorientierter Unterricht folgendermaßen beschrieben werden, wobei die Aufzählung durch viele weitere Punkte ergänzt werden kann/soll: Kompetenzorientierter Unterricht ermöglicht es, dass Lernende eigene Wege gehen und mit-hilfe individuell passender Anforderungen die bisherige Lebensbiographie weiterentwickeln. Die Schüler/innen setzen sich aktiv-konstruktiv mit Lern- und Leistungsanforderungen auseinander; die Lernangebote besitzen eine Passung zu bereits erworbenen Kompetenzen; Differenzierung und Individualisierung unterstützen den individuellen Lernprozess. Lehrer/innen verstehen sich als Coaches, die das selbstgesteuerte Lernen unterstützen und fördern. Sie stellen möglichst passende Lernangebote zur Verfügung und ermöglichen das Erkennen von Lernstrategien. Ebenso unterstützen sie mit unterschiedlichen Aspekte kompetenzorientierten Lernens und Lehrens Methoden die Selbstreflexion und Bewertung der Lernenden. Lehrkräfte tragen somit die Verantwortung für einen förderlichen Lernkontext, der nicht nur aus Methoden und Materialien besteht, sondern in dem die Persönlichkeit der Lehrerin/des Lehrers und ihr/sein Verhalten eine große Bedeutung haben. Um Wissen im Langzeitgedächtnis abzuspeichern, bedarf es wiederholter Erfahrungen mit den Inhalten. Im kompetenzorientierten Unterricht werden daher gewisse Lerninhalte immer wieder in ähnlicher Form dargeboten, wodurch sie sich verfestigen und zu verfügbarem Wissen und überdauernden Kompetenzen werden. Da diese Lerninhalte strukturell aufeinander aufbauen, entstehen keine Wissenslücken; neue Informationen knüpfen organisch an bestehende an, es entstehen Sinnstrukturen. Lernen braucht Erfolge, die durch die aufbauenden Anforderungen gegeben werden, denn jede/jeder Lernende bearbeitet die Aufgaben auf ihre/seine Art, in der ihr/ihm entsprechenden Zeit und erhält gegebenenfalls Hilfen, um erfolgreich zu sein. So können alle Schüler/innen auf ihrem individuellen Lernweg Erfolge erleben und weitere Erfolgserwartungen aufbauen. Eine positiv gestaltete Lernumgebung und eine emotional positive Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden begünstigen erfolgreiches Lernen, was sich wiederum auf die Motivation auswirkt. Das bewusste Wahrnehmen der eigenen Leistung stärkt ebenfalls das Erleben von Kompetenz. Kompetenzorientierter Unterricht fördert auch die Beziehungen der Schüler/innen untereinander und unterstützt somit die soziale Integration. Schüler/innen können erfolgreich sein, wenn sie sich realistische (Teil-)Ziele setzen, die zwar schwierig, aber erreichbar scheinen. Durch Rückmeldungen über den Lernprozess werden die eigenen Lernfortschritte bewusst und es kann gegebenenfalls korrigiert werden, um eine Zielerreichung zu sichern. Die Schüler/innen kennen die anzustrebenden Kompetenzen und können diese somit zielgerichtet ansteuern. (Bönsch, Kohnen, Möllers et al., 2010, S. 30-40) 9. Förderliches Leistungsfeedback „Es gibt kein Diagnoseverfahren (sei es die Beurteilung durch den Lehrer oder ein Test), das vollkommen die an das Verfahren gestellten Anforderungen und Erwartungen erfüllen kann. Bei jeder Diagnose wird es einerseits Schüler geben, die einem bestimmten Leistungsanspruch nicht entsprechen, obwohl sie die geforderten Fähigkeiten besitzen (,ß-Fehler' eines Tests oder einer Prüfung), und andererseits wird es Schüler geben, die eine Leistungsprüfung bestehen, obwohl sie in Wirklichkeit nicht geeignet sind (,a-Fehler' eines Tests oder einer Prüfung)." (Rieder, 1990, S. 75) Damit ist allen Erwartungen, dass Standards und darauf bezugnehmende Erhebungsinstrumente hundertprozentig valide Ergebnisse liefern könnten, eine Absage zu erteilen. Außerdem werden beispielsweise in den Standardüberprüfungen nur grundlegende Kompetenzen überprüft; Unterricht ist aber viel mehr. Ebenso werden nicht jährlich alle Schüler/innen der vierten und achten Schulstufe in allen „Standardfächern" überprüft und die Rückmeldungen erhalten die Lehrpersonen in anonymisierter Form erst im nächsten Schuljahr, zu einer Zeit, in der die Schüler/innen bereits eine andere Schule besuchen. Leistungsbeurteilung wird also weiterhin ein Kerngeschäft der Lehrer/innen bleiben. Zwischen der Leistungsfeststellung und der Leistungsbewertung (Benotung) ist jedoch ein pädagogischer Prozess zwischengeschaltet. Die Leistungsfeststellung muss den größten Ansprüchen an Objektivität, Reliabilität und Validität entgegenstreben. Dem pädagogisch verantwortungsvollen Prozess der Beurteilung wird immer ein Maß an Subjektivität und Individualität anhaften. Grundlage für ein förderliches Leistungsfeedback muss somit der pädagogische Leistungsbegriff sein, der folgende Merkmale aufweist: Rudolf Beer & Isabella Benischek „Leistung gründet auf einer vertrauensvollen Beziehungsstruktur, Leistung ist subjektbezogen und individuell, Leistung ist solidarisch, Leistung ist vielfältig, sie ist produkt- und prozessorientiert, Leistung ist auf systemische Unterstützung angewiesen, Leistung ist nicht wertfrei (beschreibbar), Leistung bedarf der Kommunikation und Reflexion, Leistung unterliegt einer Fremd- und Selbstbeurteilung." (Bohl, 2008, S. 32) Kompetenzkataloge und Standards helfen Lehrerinnen und Lehrern, vergleichbare Leistungskriterien festzulegen. Diese entbinden sie aber nicht, für sich selbst und ihre Lehrtätigkeit zu definieren, was Leistung alles sein kann. Gemäß den gültigen Lehrplänen sind dies nicht nur überprüfbares Wissen, auch andere Fähigkeiten und Fertigkeiten sind Ziele schulischer Arbeit. Die Operationalisierung dieser Leistungen schärft die Passung der Lernangebote. Einzelleistungen fügen sich zu einem Gesamten zusammen und können von Lehrkräften mit unterschiedlichen Gewichtungen versehen werden. Im Sinne der Transparenz stehen die Lehrenden mit den Schülerinnen und Schülern sowie mit den Eltern in einem dauernden dialogischen Prozess. Es gilt Ansprüche, aktuelle Leistungen und Entwicklungsstrategien zu übermitteln, zu erklären und zu reflektieren. Was auf keinen Fall passieren darf, ist, dass die Noten das gesamte Lernen dominieren. Schüler/innen wissen, dass sie positive Noten brauchen, um Berechtigungen (Aufsteigen in die nächste Schulstufe etc.) zu erlangen. Der Erhalt dieser positiven Noten ist oftmals wichtiger als der Lerninhalt selbst (Müller, 2006, S. 11). Lehtinen bezeichnet diese Art des Lernens als „Kulissenlernen"; „Schüler und Studenten haben effektive Strategien erworben, die es ihnen ermöglichen, die äusseren [sie] Anforderungssituationen der Schule zu bewältigen, ohne ein gründliches Verständnis der zu lernenden Inhalte erreicht zu haben" (Lehtinen in Müller, 2006, S. 12). Doch es sollte anders sein; die Schule ist für die Lernenden da, Schulen sind Orte, wo Schüler/innen den „Spuren zur Welt" folgen können und sie verstehen lernen sollten, wobei Verstehen sich durch eine hohe emotionale Qualität auszeichnet (Müller, 2006, S. 13-14). Da schulisches Arbeiten dem Ziel dienen soll, Wissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Einstellungen zu generieren, sollte die Reflexion der Ergebnisse und ihres Zustandekommens integraler Bestandteil des Lernprozesses sein. Eine Arbeitsrückschau bietet Gelegenheit, die unterschiedlichen Wege zum Ziel und den Umgang mit eventuellen Schwierigkeiten und Fehlern zu diskutieren. Es geht aber auch besonders darum, Schlüsse zu ziehen und aus den Erkenntnissen Strategien für das zukünftige Lern- und Arbeitsverhalten abzuleiten (Müller, 2006, S. 56). Um förderliche Rückmeldungen zu geben, hat sich das Prinzip des Feedback-Burgers oftmals bewährt: Ein Burger besteht aus zwei Brötchenhälften: Das Brot stellt Lob und Anerkennung dar. Zuerst sollte Positives hervorgehoben werden, wobei für die zweite (dickere) Hälfte noch etwas aufgespart werden sollte. Fleischlaibchen: Hier geht es um die Wahrnehmung/Beobachtung. Es sollten keine allgemeinen Behauptungen (z. B. „Du sprichst zu schnell.") aufgestellt werden; die Aussage sollte sich vielmehr auf die Feedback gebende Person beziehen (z. B. „Für mich hast du zu schnell gesprochen."). Käse: Was hat die Wahrnehmung/Beobachtung bewirkt (z. B. „Ich konnte kaum folgen und fühlte mich überfordert.")? Salatblatt: Was ist der Wunsch für das nächste Mal (z. B. „Ich wünsche mir, dass du mehr Pausen machst, damit ich Zeit zum Nachdenken habe.")? Nun kommt die zweite Hälfte des Brötchens. Aspekte kompetenzorientierten Lernens und Lehrens 25 Auf diese Art ist es für viele Menschen leichter, Feedback anzunehmen, denn die Feedback gebende Person verdeutlicht, dass es sich dabei um ihre subjektive Sicht handelt und sie nicht beabsichtigt, etwas zu verurteilen (Moesslang, 2006, S. 1-2). 10. Zusammenfassung und Ausblick Allen Lehrerinnen und Lehrern ist es ein Anliegen, dass ihre Schüler/innen etwas lernen, das Gelernte anwenden können und sich somit später im Berufs- und Alltagsleben bewähren können. Es wurden in den letzen Jahren viele innovative Ideen umgesetzt, der Unterricht hat sich gewandelt. Durch die Einführung der Bildungsstandards rückt die Kompetenzorientie-rung nun noch stärker ins Zentrum. Nicht länger der Input, sondern der Output mit seinen vielfältigen Facetten steht im Vordergrund. Schüler/innen sollen und müssen nicht nur den Unterrichtsstoff beherrschen, sie müssen ihn auch in unterschiedlichen Situationen und Aufgabenfeldern adäquat anwenden können und dies auch wollen. Lehrer/innen unterstützen die Entwicklung ihrer Schüler/innen beim Erwerb der vielfältigen Kompetenzen, sie werden zu Coaches. Aus Sicht der Schüler/innen könnte der Wunsch nach einemjcompetenzorientierten Unien rieht folgendermaßen ausgedrückt werden: „Zeige mir die Ziele, die ich erreichen soll, begleite mich auf dem Weg dahin, spiegle mir zurück, wo ich in meinem Lernprozess stehe und halte auch aus, wenn ich Nebenwege benutze. Lass mich meine Entscheidungen selber treffen, teile mir aber auch mit, welche Konsequenzen meine Entscheidungen für mich haben können." (Bönsch, Kohnen, Möllers et al., 2010, S. 44) Literatur Arnold, Karl-Heinz (2009): Unterricht als zentrales Konzept der didaktischen Theoriebildung und der Lehr-Lern-Forschung. In: Arnold, Karl-Heinz; Sandfuchs, Uwe & Wiechmann, Jürgen (Hrsg.): Handbuch Unterricht Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 15-22 Beer, Rudolf (2007): Bildungsstandards - Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern. Wien/ Berlin/Münster: Lit Beer, Rudolf (2010): Standards guter Bildung - Kinder im Zentrum der Innovation. In: Erziehung und Unterricht. 160. Jahrgang, Heft 3-4, S. 220-227 Beer, Rudolf; Miller, Werner & Bertram, Klaus (2008): Rechengeschichten & Zahlenrätsel. Wien: Lemberger Bildungsverlag BIFIE (Hrsg.) (2010): Bildungsstandards - für höchste Qualität an Österreichs Schulen. Salzburg: La Linea Bohl, Thorsten (2008): Theoretische Strukturierung - Begründung neuer Beurteilungsformen. In: Grunder, Ulrich & Bohl, Thorsten (Hrsg.): Neue Formen der Leistungsbeurteilung. Baltmannsweiler: Schneider Verlag, S. 9-50 Bönsch, Manfred; Kohnen, Helga; Möllers, Birgit; Müller, Günter; Nather, Wolfgang & Schüür-mann, Anja (2010): Kompetenzorientierter Unterricht. Selbständiges Lernen in der Grundschule. Braunschweig: Westermann Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (BMBWK) (Hrsg.) (2000): Lehrplan der Hauptschule - Erster Teil - Allgemeines Bildungsziel. Wien: öbv