1 DIE IM DUNKELN 1. Szene - In der WG Ein Tisch in der Mitte der Bühne, links und rechts davon je ein Stuhl, auf denen von Beginn an Felix und Anna sitzen; Anna mit einem Laptop vor sich auf dem Tisch. Auf dem Tisch steht außerdem eine Kerze. Zu Beginn ist die Bühne abgedunkelt (sofern möglich). Felix: Na toll, Stromausfall. Schon wieder. (Zündet die Kerze auf dem Tisch an.) Anna (in den Laptop vertieft): Noch hab ich Akku. Felix (lehnt sich zurück): Und was soll ich jetzt machen? Anna: Mich nicht stören. Felix (spielt mit dem Feuerzeug): Weißt du, ich hab nachgedacht, was ich machen könnte. Weil meine Mutter schon wieder ganz nebenbei erwähnt hat, wie viel mein Bruder jetzt verdient. Anna: Mhm. Felix: Ja, mein Englisch ist nicht so toll, aber Französisch kann ich ja auch. Zumindest lesen. Und Zeitungen austragen, im Lager arbeiten, Telefondienst,… das muss ja auch irgendwas zählen? Anna: Mhm. Felix: Ich habe keine Lust, schon wieder so einen Job zu machen… Langweilig und absolut unterfordernd. Anna: Und was denkst du, wie ich mein Geld verdiene? Felix: Aber es muss doch eine Möglichkeit geben. Anna: Hm. Felix: Wenn man bedenkt, dass ich mein Studium fast fertig habe. Anna (tippt auf der Tastatur): Stimmt. Felix: Man sagt doch immer, dass Geisteswissenschaftler vor allem logisch denken lernen. Und das kann man überall gebrauchen. (Anna tippt schweigend weiter.) Felix: Sag mal, hörst du mir überhaupt zu? Anna: Mhm. Felix: Gestern vor dem Einschlafen ist mir was eingefallen: Ich habe letztens in der Zeitung gelesen, dass Steuerhinterziehungen immer mehr zunehmen. Anna: Ja. 2 Felix: Und da habe ich gedacht, da muss man doch was machen können. Ich meine, all diese Steuerhinterzieher, einige davon bräuchten bestimmt professionelle Hilfe beim Verschwinden - weißt du, was ich meine? Wenn jemand richtig viel Geld zur Seite geschafft hat und dann kommen sie ihm auf die Schliche und er will nicht nachzahlen und muss verschwinden, am besten seinen Tod vortäuschen, damit er mit all dem Geld in die Karibik oder so verschwinden kann… Da könnte man doch professionelle Unterstützung anbieten. (Felix sieht Anna schweigend an, bis ihr auffällt, dass er schweigt, dann blickt sie auf, senkt den Blick aber gleich wieder. Das Licht geht an.) Felix: Was machst du da eigentlich? Anna: Einen Lebenslauf verbessern für eine Freundin. Felix: Wie, verbessern? Anna: Sie hat das Gefühl, dass sie keinen Job bekommt, weil sie sich nicht optimal präsentiert. Und offenbar denkt sie, dass ich besser formulieren kann. Oder zumindest formatieren. Felix: Das kenn ich, erst letztens hat Clemens… (Er stoppt, steht auf, setzt sich dann wieder hin.) (Anna sieht von ihrem Laptop auf; Felix bläst die Kerze aus.) Anna: Was hat Clemens? Felix (winkt ab): Ist nicht wichtig. Das bringt mich bloß auf eine Idee. Damit könnte man doch vielleicht auch Geld verdienen? Anna: Womit? Felix (spielt wieder mit seinem Feuerzeug): Mit Lebensläufen. Man könnte doch anbieten, sie ein bisschen aufzupolieren und dafür könnte man Geld verlangen. Man könnte Zettel auf der Uni aufhängen und das anbieten. Anna (klappt ihren Laptop auf und steht auf): Klingt illegal. Felix: Oder noch besser, Werbeplakate. Oder noch besser, eine ganz professionelle Webseite. Man muss von Anfang an den Eindruck erwecken, dass man Experte ist. Der Experte. Anna: Und dann kannst du ganz bequem vom Küchentisch aus Geld verdienen. Felix: Was ist so falsch daran? Anna: Das funktioniert doch nicht. Felix: Wieso? Man muss ja nicht direkt lügen, man kann ja nur… na ja, verschönern. Außerdem biete ich ja nur Hilfe an. Ich sage den Leuten ja nicht, was sie damit machen sollen. (Anna steht auf, nimmt den Laptop und geht vom Tisch weg.) 3 Felix: Nur einen Namen bräuchte ich noch, irgendwas Griffiges, mit verbessern, oder noch besser, optimieren,… (Anzugträger betritt die Bühne, wiederholt „verbessern, optimieren“, stellt sich dann an den Bühnenrand.) Anna (bleibt stehen, dreht sich zu ihm um): Gut wäre so was wie „Biografisches Optimierungsinstitut“? Felix: Das ist es! (Felix und Anna gehen ab.) Anzugträger: Verbessern und optimieren, meine Rede. So fängst du an. Ein Siegerlächeln auf dem Lebenslauffoto. Nicht arrogant, wehe arrogant. Freundlich und aufgeschlossen, motiviert und professionell. Du bist jung, ehrgeizig, nicht zu ehrgeizig, besser zielstrebig. Und flexibel, Globalisierung und Internationalisierung bedeutet flexibel. Du merkst, die anderen sind auch jung. Und zielstrebig und flexibel. Also Olympiasiegerlächeln, noch optimistischer. Aber sympathisch, immer sympathisch. Praktika, im Ausland am besten. Im Lebenslauf deutlich hervorheben, keine überflüssigen Details. Wenn du gefragt wirst, roter Faden. Roter Faden im Lebenslauf ist wichtig. Und sozial kompetent sein. Millisekunden entscheiden. Richtig lächeln. Angenehm sprechen. Du optimierst dich, komprimierst dich, stromlinisierst dich. Bis du merkst, du lächelst wie auf Befehl. Lächelst perfekt und sprichst angenehmst. Roter Faden, roter Strick. Wer du sonst bist, weißt du nicht. Verrat es nicht. 2. Szene – Im Café Felix und Anna sitzen einander an einem Kaffeehaustisch gegenüber, beide haben eine Kaffeetasse und ein Wasserglas vor sich, Felix auch einen Laptop, Anna ein Buch. Im Hintergrund steht ein Tisch mit mehreren Tassen, Geschirrtüchern etc. Zudem stehen noch zwei Stühle nebeneinander, eher am Bühnenrand. Felix (starrt in den Laptop vor sich): Mit HTML kenn ich mich nicht wirklich aus. Anna (nimmt einen Schluck Kaffee, schlägt ihr Buch auf): Hm. Du, ich hab mich übrigens für ein Praktikum beworben. Felix (in Gedanken versunken): Ich muss was Einfacheres finden. Anna: Erst habe ich gedacht, ich schicke nichts hin, die nehmen mich ohnehin nicht. Aber dann habe ich überlegt, ich könnte es zumindest versuchen. Felix: Gut so, glaub mal an dich. (Tippt auf seinem Laptop herum, starrt konzentriert auf den Bildschirm.) Mit TYPO3 kenne ich mich auch nicht aus. Anna: Das sind aber zwei verschiedene Dinge, TYPO3 ist ein Content-Management-System. 4 Felix: Was bitte? Anna: Vergiss es. Aber Webseite wirst du wohl keine erstellen. Willst du das nicht einfach lassen? Felix: Stimmt, aber ich frage mich ohnehin... (stockt, als er Daniel näher kommen sieht) Daniel (betritt die Bühne und nähert sich dem Tisch): Bei euch alles in Ordnung? Felix: Ja, danke. Daniel (sieht auf die Uhr): Anna, gehst du heute nicht in die Vorlesung? Anna: Die fällt heute aus. Felix: Wir brauchen jetzt wirklich nichts, danke. (Daniel lächelt sie an, geht in den Hintergrund und beobachtet die beiden.) Anna: Sei nicht so unfreundlich zu ihm. Felix: Willst du, dass er uns zuhört? Anna: Nein. Felix (leiser als zuvor): Eben. Ich frage mich jedenfalls, ob eine Webseite eine gute Idee ist. Wahrscheinlich können wir unser Zielpublikum viel besser mit Flyern erreichen. Die könnten wir an der Uni, in der Mensa und in Cafés aufhängen, zum Beispiel. Anna (sieht zu Daniel, als er sich abwendet, fragt sie): Und was soll auf den Flyern stehen? Felix: So etwas wie: „Angst vor der Bewerbung? Minderwertigkeitsgefühle?“ Anna: Wenn du deine zukünftigen Kunden gleich beleidigst, wirst du nicht viele bekommen. Felix: Also positiver? Zum Beispiel, „Wir verhelfen dir zu deinem Traumjob!“ Anna: Das ist ein Ansatz. Wie wär’s mit „Dein Traumjob erscheint dir unerreichbar? Wir helfen dir!“ Felix (tippt in den Computer): Ja, das könnte funktionieren. Daniel (nähert sich): Wollt ihr vielleicht noch was? Einen Schwarztee, Felix, wie immer? (Felix starrt ihn einen Moment lang an, beugt sich dann übertrieben deutlich über seinen Laptop und tippt wieder. Daniel versucht, auf den Bildschirm zu sehen, sieht dann zu Anna.) Anna: Nein, danke, wir sagen schon Bescheid. (Daniel geht wieder in den Hintergrund und beobachtet. Anna ist verunsichert, ob er sie beobachtet, zupft an ihrer Kleidung, streicht sich durch die Haare.) Felix (sieht zu Daniel, spricht leiser als vorher): Und dann sollten wir in prägnanten Schlagworten beschreiben, was wir anbieten. Anna: Wir sollten, ja. Wenn wir das machen würden. Ich will jetzt gerne weiterlesen. (sieht weiterhin immer wieder zu Daniel) Felix: Zu faul zum Nachdenken? 5 Anna: Zu faul zum Selberdenken? Felix: Komm schon. Oder glaubst du, dass Nachdenken illegal ist? Anna: Na gut. (denkt einen Moment nach) Professionelle Beratung? Felix (spricht schon etwas lauter): Das ist zu ungenau. Beratung in was? Wofür? Anna (beugt sich tiefer über den Tisch): Lebenslauferstellung? Felix (beugt sich ebenfalls weiter nach vorne): Das klingt langweilig. (Beide sehen zu Daniel, der sich zu ihnen umgedreht hat und mit einem Geschirrtuch eine Tasse poliert. Er lächelt die beiden freundlich an. Als Felix wieder auf seinen Bildschirm starrt, zwinkert er Anna zu.) Felix (lehnt sich zurück): „Professionell“ ist wahrscheinlich gar nicht schlecht, etwa „professionelle Bewerbungsvorbereitung“. Anna (ist Daniels Aufmerksamkeit peinlich, wendet sich übertrieben deutlich Felix zu): Und dazu „Bewerbungsunterlagenorientierung“? Felix (tippt in seinen Laptop): Ja, aber dann haben wir zwei Mal „Bewerbung“. Anna: Du kannst es ja als zwei Punkte untereinander schreiben und wenn wir noch was Drittes finden, leiten wir das mit „Wir bieten“ ein und heben die Punkte durch fette Pfeile hervor oder so. Felix (tippt, löscht): Stimmt. Aber nein, das klingt nicht wirklich gut. Anna: „Professionelle Bewerbungsvorbereitung“ und „Anschreibenoptimierung“? (Zwei Bewerber betreten die Bühne, jeder hat eine Mappe unter dem Arm. Sie setzen sich auf die beiden Stühle.) Bewerber 1: Diesmal klappt es. Im Anschreiben roter Faden, nur die wichtigsten Punkte. Und soziale Kompetenzen, ideal für die Stelle. Ein nicht zu formelles Foto. Bewerber 2: Und das Deckblatt? Bewerber 1: Wie, das Deckblatt? Bewerber 2: Das Deckblatt deiner Bewerbungsmappe ist wichtig, der erste Eindruck zählt. Bewerber 1: Nie gehört. (blättert nervös in seinen Unterlagen) Bewerber 2 (sieht zufrieden auf seine Mappe, dann auf die Uhr) Gleich geht’s los. Bewerber 1 (sieht nach rechts): Ich hoffe, ich komme bald dran. (Die übrige Szene sind die beiden damit beschäftigt, möglichst „seriös“ zu sitzen, sehen immer wieder nach links und rechts, um nachzusehen, ob nicht doch jemand kommt.) Felix: Ja, das ist besser, aber im Grunde ist das alles dasselbe. Anna: Na ja, aber wir sagen ohnehin nicht direkt, was wir machen, wir reden nur um den heißen Brei herum. 6 Felix: Ja, ich lass das mal so. Irgendwas mit Coaching vielleicht noch? Anna: Lebenslaufcoaching? Felix (laut): Super, ja, perfekt, „Lebenslaufcoaching“! Daniel (hat sich während der letzten Sätze genähert, steht direkt neben dem Tisch): Oder vielleicht noch Wasser? (Felix und Anna starren ihn an, er beugt sich wieder über seinen Laptop, sie schlägt ihr Buch auf. Daniel versucht wieder, auf den Bildschirm zu sehen, lächelt dazwischen Anna an.) Felix (in seinen Laptop, leise): Klingt schon ganz gut, ich seh‘ mir das später noch mal an. Daniel: Bitte? Anna (wendet sich ihm zu): Wir zahlen, bitte. (Felix und Anna bezahlen wortlos, dann gehen sie und Daniel ab, kurz danach auch die beiden Bewerber.) 3. Szene – In der WG Felix und Anna sitzen nebeneinander am Küchentisch, Felix den Laptop vor sich. Anna: Also, wie willst du das machen? Felix: Einfach ein bisschen mehr. Zum Beispiel, schau, da steht, „Durchführung einer Marketingumfrage im Rahmen eines Seminars“. Da schreibt man stattdessen den Namen des Professors hin, „Marketingumfrage für Professor Hubert Müller“, das klingt nach mehr Verantwortung. Anna: Gut, und dann schreibst du hier statt „Praktikum“ bei Forchner GmbH „wissenschaftliche Mitarbeit“. Felix: Siehst du, ist doch ganz einfach. Aber was soll das, „ein halbes Jahr durch Neuseeland und Südostasien gereist und ein Blog darüber geschrieben“? Anna: Ganz einfach – „berufliche Neuorientierung und Erfahrungen als Reisejournalist“. Felix: Gute Idee, dann haben wir auch gleich „interkulturelle Kompetenz“, wegen Neuseeland und Südostasien. Anna: Ist das nicht vielleicht ein bisschen übertrieben? Felix: Eher noch zu wenig. (Lichtwechsel, etwa auf blaues Licht – Felix klappt den Laptop zu, die beiden stehen auf und verschieben die Stühle so, dass sie nun links und rechts von Tisch einander gegenüber stehen. Anna zieht ein paar Blätter hervor. Im Folgenden spielt Anna „Chef 1“, Felix „Heuberger“.) Chef 1: Nehmen Sie bitte Platz, Herr Heuberger. (Setzen sich beide, Chefin blättert in Unterlagen.) 7 Chef 1: Ich sehe, Sie haben schon viel Erfahrung im Lektoratsbereich gesammelt? Heuberger: Ja, ich interessiere mich schon sehr lange für den Bereich, deshalb habe ich konsequent darauf hingearbeitet. Ich bin sehr zielstrebig, müssen Sie wissen. Chef 1: Sie haben also für den Aufstieg-Verlag gearbeitet, interessant. Den kenne ich leider nicht. Heuberger: Es ist schade, wie wenig dieser Verlag bekannt ist, aber das ist bei Kleinverlagen leider viel zu oft der Fall. Chef: Und was haben Sie da genau gemacht? Heuberger: Neben meinen Lektoratsaufgaben habe ich auch das Manuskriptmanagement und einen Teil der Schrifstellerkontakte übernommen. Chef 1: Klingt ein bisschen, als wären sie ein Mädchen für alles gewesen... Heuberger: (unterbricht ihn): Nein, nein, gar nicht, aber in so einem Verlag muss man eben flexibel sein und sich immer neuen Aufgaben stellen können. Chef 1: Interessant, interessant. Das klingt schon sehr gut. Und dort haben nur Sie als Lektor gearbeitet? Heuberger (hastig): Nein, mein Chef, ich meine, ein Kollege hat mich eingearbeitet, wir waren zu zweit dort tätig, und ich habe immer mehr Aufgaben übernommen. Chef 1: Und Schreibtrainer sind Sie auch noch! Was machen Sie da? Heuberger: Professionelle Schreibberatung für Studierende, um ihnen zu einem schnellen Abschluss zu verhelfen. Chef 1: Und nicht nur Englisch, sehe ich da, sondern auch etwas Tschechisch. Heuberger: Ja, man sollte sich auch für das naheliegende Fremde interessieren, denke ich. Chef 1: Interessant. Jak se máte? Heuberger: Dobře... ähm... děkuju... ähm... Das ist eine Weile her, dass ich mein Tschechisch gebraucht habe. Chef 1: Ach, wissen Sie, meines ist auch nicht besonders gut. Aber falls Sie bei uns anfangen, unsere Buchhalterin ist Tschechin, da können Sie quasi beim Kaffee Ihr Tschechisch wieder auffrischen. (Heuberger sagt nichts und lächelt unsicher.) Chef 1: In Ordnung. Das klingt alles sehr gut. Vielen Dank für das Gespräch. Wir melden uns bei Ihnen. Heuberger: Ich danke Ihnen für das Gespräch. (Stehen auf, geben einander die Hand. Verschieben die Stühle wieder an die ursprüngliche Position, nehmen einander gegenüber Platz) 8 Anna (deutet auf den Laptop): Aber das könnte schwieriger werden. Felix: Es fällt uns schon was ein. (Die beiden beugen sich über den Laptop und deuten, während dem Folgenden unterhalten sie sich pantomimisch.) (Chef 2 und Bewerber 3 betretend die Bühne, stellen sich einander gegenüber, Chef 2 hält Lebenslauf in der Hand.) Chef 2: Und dann dieses Praktikum im Controlling, sehr beeindruckend. Bewerber 3: Man muss seine Ziele eben vor Augen haben. Chef 2: Der Leiter dieser Abteilung hat den gleichen Nachnamen wie Sie, was für ein lustiger Zufall. Bewerber 3: Wirklich lustig, ja. Chef 2: Und dann im Sommer Praktikum in einer Controlling-Abteilung, in London! Bewerber 3: Man tut, was man kann. Chef 2: Natürlich haben Sie dadurch Ihre interkulturelle Kompetenz erweitert. Bewerber 3: Und meine Stressresistenz ist auch enorm gestiegen, das möchte ich noch betonen. Chef 2: Und in Ihrer Freizeit gehen Sie zum Paragliding! Wissen Sie, als ich in Ihrem Alter war, war ich mit dem Studium noch nicht ganz fertig, habe nebenbei ein bisschen gearbeitet, so in den Tag hineingelebt, gelesen, bin ins Theater gegangen. Wirklich, heutzutage sieht das doch alles anders aus. Bewerber 3: Man muss eben wettbewerbsfähig sein. Chef 2: Ganz richtig, absolut. Wir melden uns bei Ihnen. Bewerber 3: Ich danke für das Gespräch. (Schütteln einander die Hände, gehen ab.) Anna (steht auf): Ich muss jetzt los. Felix: Wohin? Anna: Zu dem Praktikum. Ich will ja nicht am ersten Tag zu spät kommen. Felix: Was ist das eigentlich für ein Praktikum? Anna: Ein Praktikum halt. Bei so einer Firma für „bio und Nachhaltigkeit“. Felix: Was ist das, „bio und Nachhaltigkeit“? Anna: Die haben ein großes Portfolio... Felix: Essen? Tee? Landwirtschaft? Pharmaindustrie? (Anna schüttelt den Kopf und geht ab.) 9 Felix (denkt einen Moment nach, tippt dann in den Laptop): „Ein großes Portfolio.“ Vielleicht kann ich das noch wo brauchen. [...] 5. Szene – Im Café Felix sitzt an einem Kaffeehaustisch, eine Tasse vor sich, Anna betritt die Bühne. Anna (lässt sich Felix gegenüber auf den Stuhl fallen): Ich bin so fertig. Felix: Praktikum nicht spannend? Tut mir Leid für dich. Daniel (betritt die Bühne, nähert sich): Hallo Anna, alles okay bei dir? Anna: Ja, nein. Ich will mich nicht beschweren. Daniel: Ich bringe dir einen Capuccino. Anna: Danke. (Daniel geht ab.) Felix: Du, es ist spannend, was man da so erfährt. Dass ich jetzt immer um eine Rückmeldung bitte, zum Beispiel, das hilft wirklich viel. Also eine anonyme Rückmeldung natürlich, man muss natürlich die Anonymität der Kunden wahren, das wirkt seriöser. Um meinen Service zukünftig noch optimieren zu können. (Daniel kommt zurück, bringt einen Kaffee und stellt ihn vor Anna ab.) Daniel: Bitte schön. Anna: Danke. (Daniel bleibt in der Nähe des Tisches stehen, hört den beiden zu.) Felix: Zum Beispiel ist Teamfähigkeit offenbar gar nicht so wichtig, wie ich dachte. Zielstrebigkeit, mit ein paar Behauptungen garniert, kommt viel besser. Anna: Aha. Daniel: Das denke ich auch. Felix: Wie meinst du das? Daniel: Siehst du hier ein Team? Felix: Nein, aber das ist eher eine allgemeine Angelegenheit, verstehst du,... Daniel: Ja, ich verstehe schon. Wenn man ein Ziel vor Augen hat, dann kann man auch zusammenarbeiten, denke ich. Felix: Klingt vernünftig. (Daniel geht in den Hintergrund und tut beschäftigt, Felix sieht ihm einen Moment lang nach.) 10 Felix: Aber es ist jedenfalls auch wichtig, dass man immer wieder neu formuliert, kooperatives Arbeiten, Zusammenarbeit, Kommunikationsstärke in Teamabläufen,... Und heute habe ich, glaube ich, fünf Synonyme für Organisationstalent gefunden, rasche Auffassungsgabe im Organisationsbereich, organisatorische Fähigkeiten und Fertigkeiten,... Anna (unterbricht ihn): Ich bin einfach zu müde. Felix: Hast du heute was für die Homepage machen dürfen? Anna: Ich werde niemals irgendetwas machen dürfen, dass auch nur im Entferntesten mit meinen Qualifikationen zu tun hat. Felix: Du darfst nicht so negativ denken. Du musst eben an deiner Durchsetzungskraft arbeiten und Kritik zielgerechter umsetzen und... Anna (laut): Spinnst du? Felix: Entschuldige, das war ein Scherz. Daniel (nähert sich rasch): Alles in Ordnung? Felix: Danke, ja. Anna: Entschuldige. Daniel: Vielleicht hat er ja Recht. Anna: Was? Daniel: Ich sollte mich nicht einmischen. (Er geht wieder in den Hintergrund.) Felix: Ich finde das wirklich spannend. Offenbar habe ich wirklich etwas gefunden, in dem ich gut bin. Und immerhin hat es was mit Sprache zu tun. Anna: Da zahlen sich die sechs, sieben, acht Jahre Studium fast aus. Felix: Haha. Wird deine Laune heute auch noch mal besser? Anna: Vergiss es, das verstehst du nicht. Felix: Was verstehe ich nicht? Anna: Ich habe mich so gefreut auf dieses Praktikum. Endlich etwas Praktisches und Sinnvolles machen, auch wenn ich nicht viel bezahlt bekomme. Daniel (nähert sich wieder): Noch einen Wunsch? Anna: Nein, danke, wirklich nicht. (Daniel geht ab.) Anna: Du solltest vor ihm nicht so offen reden. Felix: Was meinst du? Anna: Wenn du hier so erzählst, was du den ganzen Tag machst. Felix: Der belauscht uns doch nicht. Anna: Aber hast du nicht Angst, dass das auffliegt? 11 Felix: Auffliegen, was soll denn daran auffliegen? Anna: Na ja, das, was du eben machst. Felix: Was ich mache, ist gut für die Bewerber, die bekommen, was sie wollen. Die Firmen bekommen auch, was sie wollen. Und ich praktischerweise auch. (Daniel kommt zurück auf die Bühne.) Anna: Ich gehe jetzt. (Sie steht auf, geht Daniel entgegen, drückt ihm Geld in die Hand und geht ab.) Daniel (kommt zum Tisch, schiebt langsam die Tassen zusammen): Was hat sie denn heute? Felix: Ich weiß es nicht. Daniel (stellt die Tassen langsam übereinander): Sag mal, bei dem, was du da machst... Denkst du da auch an Vorbereitung für Assement-Center? Felix: Was denkst du denn, was ich mache? Daniel (sieht ihn nicht an, wischt über den Tisch): Was man so hört halt. Felix: Und was ist das? Daniel: Denkst du eigentlich, ich stehe den ganzen Tag hier rum, denke an nichts, grinse zwischendurch ein bisschen freundlich und serviere? Besteht vielleicht auch die Möglichkeit, dass ich das nur nebenbei mache? Neben dem Studium vielleicht? (Felix schweigt peinlich berührt. Daniel nimmt ihm gegenüber Platz.) Felix: An Assessment-Center habe ich noch gar nicht so viel gedacht, muss ich zugeben. Wie kommst du darauf? Daniel: Ich habe schon einmal bei so was mitgemacht. Und einiges darüber gelesen. Felix: Woran hast du da gedacht? Daniel: Da gibt es Stresstests, wo man unmögliche Aufgaben lösen muss, so, machen Sie aus drei Bleistiften vier. Oder, bringen Sie an einem Tag 27 Termine unter und vergessen Sie dabei nicht auf den Kindergeburtstag ihres Chefs. Felix: Und was soll ich da machen? Daniel: Man könnte vielleicht den Bewerbern Überlebenstipps dafür geben? Oder ihnen zeigen, dass sie bestimmte Punkte aus ihrem Lebenslauf da beweisen können, dass sie zielstrebig sein können oder entscheidungssicher. Wenn es eine Teamaufgabe ist, können Sie auch zeigen, wie gut sie zusammenarbeiten können... (Felix und Daniel unterhalten sich während dem Folgenden pantomimisch weiter.) [Einzel-Assessment] (Erst Bewerber ab, dann Felix und Daniel.) 12 [...] 9. Szene – Im Café Die ganze Szene über halten sich „überflüssige“ Bewerber auf der Bühne auf (Zahl variabel), die erst noch ernst zu bleiben versuchen, dann aber Papierflieger falten, anfangen zu tanzen, Fangspiele machen, miteinander flirten, etc. Anna sitzt am Tisch, eine Tasse vor sich, Daniel tritt ein. Anna: Was machst du denn hier? Ich habe gehört, du arbeitest nicht mehr hier. Daniel: Tue ich auch nicht. Aber gut, dass ich dich treffe. Ich wollte dich fragen, ob du etwas von Felix gehört hast. Anna: War bei dir etwa nicht die Polizei? Daniel (setzt sich): Was sollte die Polizei bei mir? Anna: Vor zwei Tagen war die Polizei bei uns, offenbar ist er angezeigt worden. Seitdem ist er verschwunden. Daniel: Ja, er ist wie vom Erdboden verschluckt. Weißt du, in letzter Zeit hat er sich schon seltsam benommen. Anna: Inwiefern seltsam? Daniel: Na ja, eben... Er wollte alles immer noch größer und noch besser machen. Und dann diese Bewerbung. Ich hatte immer mehr den Eindruck, er will das am liebsten alles alleine machen, sich von niemandem dreinreden lassen. Anna: Aber du hast ihm doch zu dieser Bewerbung geraten? Daniel: Das war so eine Idee. Wir haben darüber lange diskutiert und waren unterschiedlicher Meinung. Anna: Er sagt, du wolltest im Hintergrund bleiben. Was soll das heißen, „ihr wart unterschiedlicher Meinung“? Daniel: Nur, damit du auch meinen Standpunkt verstehst. (sieht auf die Uhr) Du, ich habe keine Zeit mehr, ich habe jetzt einen Termin. (Die „Mitarbeiterin“ tritt ein, ein Plakat unter dem Arm. Daniel steht auf und geht auf sie zu.) Daniel: Ist das Plakat jetzt fertig? Mitarbeiterin: Es hat mit dem Grafiker etwas länger gedauert, Entschuldigung. Daniel: Und die Flyer sind auch fertig? Kann die Webseite endlich online gehen? Mitarbeiterin: Das sollte alles unter Dach und Fach sein. 13 Anna (ihr Handy piept, sie zieht es aus der Tasche, liest erstaunt laut vor): „Wie die Steuerhinterzieher. Es tut mir Leid.“ (Daniel und die Mitarbeiterin beachten sie nicht, entrollen langsam das Plakat „CV Transparency – Wir durchleuchten Ihre Bewerber“.) Daniel: Sehr schön, so habe ich mir das vorgestellt. Eine klare und simple Botschaft, besonders wirkungsvoll. Anna (springt auf): Was soll das? Daniel: Ich habe dir ja gesagt, es war nicht einfach... Ich habe ihn gewarnt, dass er sich in einem Graubereich bewegt, mindestens. Anna: Und du wolltest eine weiße Weste? Daniel: Ich hatte eine Idee. Er wollte nicht auf mich hören. Anna: Du... Daniel: Eine simple Idee, mit der man eine Lücke im derzeitigen System schließen könnte. Genial, nicht? (an die Mitarbeiterin) Sehr schön. Hängen Sie das bitte gleich auf und dann rufen Sie noch einmal wegen der Webseite an, ich will, dass wir Punkt Mitternacht online gehen. (Mitarbeiterin nickt, rollt wortlos das Plakat ein und geht ab.) Anna: Ich habe die ganze Zeit schon gedacht, dass da irgendwas nicht stimmt. Daniel: Du übertreibst. Was hat denn nicht gestimmt? Anna: Du. Daniel: Wieso? Anna: Du tust mir Leid. Daniel: Warum? Anna: Weil du einen Freund betrogen hast. Daniel: Jetzt übertreib nicht, ich habe ihn gewarnt und... Anna: Lass mich ausreden. Weil du ihn unbedingt übertrumpfen musstest. Weil du unbedingt und um jeden Preis mitspielen willst. Daniel: Verstehst du das nicht? Er hat doch auch mitgespielt, auf seine Art. Und wenn man der Meinung ist, dass man sich so spielen kann, dass man die Regeln nach seinen Wünschen verbiegen kann... Warum sollte man dann nicht auf die Idee kommen, dass man auch die Regeln im Umgang mit anderen jederzeit ändern kann, dass man das auch alleine machen kann? Anna: So ist er nicht. Daniel: So läuft es aber. 14 Anna: Irgendwann wirst du Angst bekommen, dass es jemanden gibt, der noch besser spielt als du. Der dir deine Idee klaut. Oder noch eine besser hat. Daniel: Ich bin vorbereitet. Anna: Du hast schon Angst. Du wirst noch greller und noch lauter schreien, dich noch hochglanziger präsentieren. Und es wird dir trotzdem nicht reichen. Daniel: Und du? Anna: Ich? Ich will das alles nicht. Ich will diesen Lebenslaufwahnsinn nicht. Ich will diese verlogenen Phrasen nicht. Und diese überperfekten Bewerber auch nicht. Daniel: Was dann? Vielleicht möchtest du ja bei mir anfangen. Ich kann jederzeit Mitarbeiter gebrauchen, ich werde alle Hände voll zu tun haben. Anna: Nein, ich will etwas anderes. Etwas, das einen Sinn hat. (Anna geht kurz nachdenklich auf und ab, zieht dann ihr Handy hervor. Daniel beobachtet sie skeptisch.) Anna: Ich habe auch eine Idee. Entschuldige mich. (geht ein Stück von ihm weg, telefoniert) Grüß Gott, könnte ich bitte den Herrn Abteilungsleiter sprechen? Nicht da? Wann kommt er denn wieder?... Nein, ich möchte nicht später nochmals anrufen, könnten Sie ihm etwas ausrichten?.... Ich kündige. (Legt auf.) (Die Bewerber schauen sie erschrocken an und laufen davon.)